Nachwort

In London trennten sich unsere Wege wieder. Zofia mußte sich um ihre zahlenden Gäste kümmern, ich mußte ein Buch beenden. Immer wenn ich sie in jenem Sommer anrief oder wir einander schrieben, schien sie krank zu sein, geplagt von einer Folge kleinerer Unpäßlichkeiten. Als ich im November nach Cornwall zurückkam, sah sie müde aus und sagte, sie gehe zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. Man operierte sie und stellte fest, daß der ganze Unterleib verkrebst war.

Sie lebte länger als die zwei Monate, die die Ärzte ihr noch gaben. Sie erholte sich gut von der Operation und wurde im Frühjahr zusätzlich therapiert. Außerdem trug sie stets ein imaginäres schwarzes Messer bei sich, wie sie mir erzählte, und in den stillen Stunden nach Sonnenaufgang lenkte sie es nach unten gegen den Krebs und schnitt ihn Zelle für Zelle heraus. Eines Morgens rief sie mich lachend an. Es war ein Lachen, von dem ich wußte, daß es ihre Angst überdecken sollte. Sie erzählte, sie habe einen entsetzlichen Alptraum gehabt – die Rote Armee war nach Braganza gekommen und hatte sie auf den Müllhaufen geworfen; nach dem Aufwachen hatte sie noch eine Weile dagelegen, überzeugt, wieder in Mantuski zu sein, nahe dem Njemen – bis sie die See sich unten an den Felsen hatte brechen hören.

Der Sommer war wie sonst – Braganza voller Familie und zahlender Gäste und Hunde, und jeder staunte, wie gut sie sich erholt hatte. Doch als ich sie im September wiedersah, gab es Augenblicke, wenn wir unter uns waren und ihre Maske abfiel und sie auf einmal weit weg schien. Und sonderbarerweise verspürte ich damals überhaupt nicht jenen wahnsinnigen Druck, den ich erwartet hatte, die Empfindung, daß unsere Zeit ablief. Es war, als wüßten wir beide, daß wir nichts weiter miteinander erleben könnten als die langen Winter in Cornwall, die Reisen nach Weißrußland, die Kapelle, dieses Buch. Und wenn ich zurückdenke an das letzte Mal, als ich sie sah, als sie in ihrem hohen Lehnsessel saß, im Hintergrund die sonnenbeschienene See, erinnere ich mich nicht mehr an das, was gesagt wurde, sondern an die Zeit, nachdem wir miteinander geredet hatten und still dasaßen und nicht das Bedürfnis hatten, noch etwas zu sagen.

Ende Oktober, an einem grauen Nachmittag, war die Saison vorbei. Zofia winkte ihrem letzten Gast nach, schloß die Tür von Braganza und ging zu Bett. Vier Tage später war sie tot.