8.

In jenem Sommer 1914 wurde in Klepawicze jeden Tag zum Mittagsimbiß auf der Veranda gedeckt. Krüge mit Limonade und kwas standen neben einem Schinken oder kaltem Rinderbraten. Es gab Platten mit Käse, Schnittlauch und immer eine Vase mit Pfingstrosen. Helena und die Brońskischwestern versammelten sich hier als erste, dann kamen die Brüder, und Schlag 12.45 Uhr erschien Pan Stanisław aus seinem Arbeitszimmer, sprach das Tischgebet, und das Mahl konnte beginnen.

In der zweiten Woche von Helenas Aufenthalt verspätete Pan Stanisław sich eines Tages. Es war schon eins, als er aus der Verandatür trat, sich ein Glas kwas eingoß und verkündete, der Kaiser habe den Krieg erklärt.

Alle schwiegen. Helena sah zu den Brońskischwestern hinüber, zu den Brüdern, zu den diversen Tanten und Dienstleuten. Was bedeutete Krieg? Ihre Mienen boten keinen Anhalt.

Nach dem Mittagessen ging sie zum Fluß hinunter. Sie setzte sich zu Füßen einer kleinen Birkengruppe. Über das Wasser kam das unaufhörliche Fiepen der Schwalben. Sie streckte sich auf dem Gras aus und schloß die Augen. Die Sonne glühte hellorange hinter ihren Lidern. Wenn sie den Kopf bewegte, brachen die Birkenzweige die Sonnenstrahlen, und die Welt war voll orangefarbener Blitze. Sie hörte die Kanonen und sah die Troßpferde. Sie sah Kolonnen von Männern und Reihen von Uniformen. Das war Krieg.

Am Tag darauf wurde sie nach Wilna zurückgeschickt. Dort war alles genauso wie vorher – vielleicht ein paar Pferde mehr, mehr Truppen, etwas mehr Menschen in der Kirche –, aber das war alles. Dann kam nach einigen Wochen die Niederlage bei Tannenberg, und die Leute sagten, der Krieg sei wohl doch nicht so bald aus.

 

An einem Oktoberabend kam Graf O’Breifne für ein paar Tage Urlaub in das Wilnaer Haus. Am nächsten Morgen um halb zehn ließ er Helena zu sich in die Bibliothek rufen. Er war von seinem Schreibtisch aufgestanden und blickte aus dem Fenster. Warmes Herbstlicht fiel in den Raum und streifte sein Gesicht von der Seite. Er stand breitbeinig da, die Hände auf dem Rücken, und spielte nervös mit den Fingern.

»Vater?«

Er drehte sich zu ihr um. Er sah müde aus. Seine Haut war schlaff, seine Lippen blaß; er wirkte wie jemand, der auf eine Operation wartet. Doch er lächelte und trat aus dem Lichtstreifen heraus.

Anstatt sie zu küssen, sagte er: »Helenka, sieh dich an! Dein Aufzug ist einfach unmöglich!«

Kopfschüttelnd zog er ihre Bluse straff und bedeutete ihr, sich den Rock glattzustreichen. Dann setzte er sich abgekämpft hinter seinen Schreibtisch. »Ich muß mit dir reden, Helena. Du bist kein Kind mehr. Du bist fünfzehn . . .«

»Sechzehn, Vater.«

»Sechzehn?«

»Ja.«

»Nun, Zeit, daß du es lernst.« Er zog die Augenbrauen hoch und seufzte. »Hela, versteh bitte, daß eine Frau sich gut anziehen muß. Es ist ihre Pflicht, so gut wie möglich auszusehen.«

Es war das erstemal, daß er mit ihr nicht wie mit einem Kind redete.

»Du mußt dir darüber im klaren sein«, fuhr er fort, »daß das Glück und das Wohlbefinden einer Familie von der Frau abhängen. Wenn sie sich ständig bemüht, wird ihr Mann ihr stets zugetan bleiben. Ein Mann, der seine Frau liebt, wird immer einen guten Vater abgeben. Du bist in dem Glauben erzogen worden, es sei eine Tugend, nicht an dein Aussehen zu denken und sich nichts aus Kleidern zu machen. Sehe ich das richtig?«

Sie nickte.

»Meine liebe Hela, es ist keine Tugend, sondern ein Verbrechen. Deine arme Mutter wurde von einem Mann aufgezogen, einem frommen Mann, der nichts von Frauen verstand. Ihr völliger Mangel an weiblichem Charme hat Unglück über uns beide gebracht. Sie hätte überhaupt nicht heiraten sollen. Sie taugt nicht zur Ehe. Ehe basiert auf körperlichen Bindungen, und davon will deine Mutter nichts wissen.«

Er hielt ein Papiermesser in der Hand und schnipste irgendwelchen imaginären Staub von seinem Stempelkissen. Helena schwieg.

»Du darfst nicht in dieselbe Falle laufen. Ich weiß nicht, wie lange ich noch dasein werde und dir helfen kann, aber du mußt mir versprechen, daß du dir Mühe geben willst. Wirst du das tun?«

»Ja, Vater.«

Er stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Er ergriff ihre Hände. »Du bist schön, meine Helenka. Du bist eine Diane Chasseuse, eine Juno . . .«

Helena versuchte wegzusehen.

»Aber bitte mach etwas daraus! Trag nicht diese schrecklichen Knöpfchen und Rüschchen. Du brauchst gerade und schlichte Linien. Meinst du nicht, daß du dich in solchen Kleidern wohler fühlen würdest?«

»Ich habe nichts Derartiges.«

»Ich weiß, ich weiß. Es ist Krieg, und deine Mutter sagt, daß jetzt nicht die Zeit ist, gute Kleider zu kaufen. Stimmt’s?«

Helena lächelte.

»Ja, tatuś

Er wandte sich um, durchquerte den Raum und verschwand durch eine Tür in den Bücherregalen. Mit einem Stoß von Schachteln kam er zurück. Er stellte sie auf den Schreibtisch vor Helena.

»Ich habe dies in Petersburg für dich gekauft. Nur zu«, sagte er, »mach sie auf.«

Sie knotete die oberste Schachtel auf und schlug die Stofflagen zurück. Darunter lag ein geschneidertes Reitkleid. In der nächsten Schachtel war ein aus schwerer weißer Seide drapierter Hut mit einem winzigen Veilchensträußchen. In der nächsten ein weinroter langer Mantel. In einer anderen war ein ganzes Sortiment dünner Sommerkleider und eine gelbweiß gestreifte Überschürze und ein Abendkleid aus zartrosa Seide. Und da waren Schachteln mit Schuhen und Gürteln und Handschuhen.

Helena sah ihren Vater an.

»Probier sie an.«

Sie ging durch die Regaltür in sein Ankleidezimmer. Sie setzte die Schachteln ab. Das Zimmer roch nach ihrem Vater. Mitten im Raum stand ein hoher Spiegel, der auf halber Höhe ein Gelenk hatte, und Helena kippte ihn zu sich her, damit sie sich sehen konnte. Er hatte recht – ihr Aufzug war unmöglich!

Sie probierte alle Sachen an und kehrte schließlich im Abendkleid in die Bibliothek zurück.

»Und nun Schluß mit diesem Pferdeschwanz!« Mit einem Handgriff löste ihr Vater ihre Haarspange. Er faßte ihr Haar, legte es ihr um den Kopf und hielt es oben am Scheitel locker zusammen. Ein oder zwei dicke Locken ringelten sich an ihren Schläfen hinab.

»So, siehst du?« sagte er.

»Danke, Tatuś.«

»Mach dir keine Gedanken.« Er neigte sich vor, um ihre Stirn zu küssen. »Ich werde deiner Mutter alles erklären.«

Ihre Mutter hielt ihn für verrückt. Sie sagte, es sei eine Sünde, soviel Geld für Kleidung auszugeben. Jetzt, in diesen Zeiten! Ach! Doch angesichts dessen, daß sein Urlaub in Wilna so kurz war, ließ sie die Angelegenheit fallen.

 

Es war Mitte Mai 1915. In Wilna blühten die Bäume; weißer Flieder und Vogelkirsche belebten die Straßen mit bräutlichem Flor; die Parks waren mit Kamille gesprenkelt. Helena wurde rastlos. Sie schrieb etwas von einem Gefühl unbestimmter Erwartung, das sie mit dem ganzen Körper spürte. Irgend etwas bereitete sich vor, aber sie konnte es nicht sehen, konnte es nicht anfassen, und sie wußte seinen Namen nicht. Es hatte nichts mit dem Krieg zu tun. Fühlten alle sich so? Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte niemanden, den sie fragen konnte.

Bisweilen war dieses Gefühl der Erwartung übermächtig. Sie fing an, an trüben Nachmittagen allein durch die Stadt zu wandern, blinzelnd in dem eigenartigen Licht, ständig auf der Hut, ständig von vertrauten Dingen überrascht. Für sie kam der Frühling nie wieder, ohne ihr nicht etwas vom Mai 1915 zurückzubringen.

An den meisten Tagen war Wind. Wenn er in den Alleen durch die Ebereschen fegte, rauschte es wie Wasser; er zerrte an den Roßkastanien, ließ ihre breiten Blattfinger hin und her schlagen. Helena nahm die süßsauren Gerüche der Wilnaer Märkte in sich auf, die Rufe der Hausierer, die schleichenden Gestalten der Kesselflicker. Zur Mittagszeit fühlte sie ungestümes Leben in sich; am späten Nachmittag war sie erschöpft.

Abends brachte ein kühlerer Wind den Klang der Kirchenglocken. Sie suchte einen Gottesdienst nach dem anderen auf, betete, ganz ihrer ernsthaften und frühreifen Frömmigkeit hingegeben, starrte auf die Wundertätige Madonna vom Spitzen Tor, der Ostra Brama. In allen Wilnaer Kirchen war das Allerheiligste ausgestellt. Die Menschen verließen die Kirchenbänke, drängten sich Schulter an Schulter, standen zusammengepfercht in den Westtüren. Männer knautschten ihre Mützen in knotigen Fäusten; Frauen knieten in den Seitenschiffen. Alle sandten sie heiße Gebete empor – dringende Bitten an Gott, er möge die Deutschen fernhalten.

Die Russen waren auf dem Rückzug. Von Westen kamen Gerüchte, ganze Dörfer seien auf der Flucht. Im gesamten Land schickten Haushalte ihr Vieh nach Osten, fort vom Zugriff des Kaisers. Fahrende Gesellen erzählten von Landstraßen, die von Kanonen blockiert waren, von schlammbedeckten Soldaten und schwerfällig trottenden Viehherden.

Eines Nachmittags stand Helena auf dem Balkon. Ein Heuwagen bog von der Hauptstraße in die Mała Pohulanka ein. Dahinter kam noch einer und dann ein größerer Wagen, an dem eine Kette von Zuchtstuten angebunden war; ihre Fohlen trabten ungelenk nebenher. Helena erkannte die litauischen Zmudziakipferde ihrer Großmutter; da wußte sie, daß sie alle fort mußten.

 

Die O’Breifnes flohen zuerst nach Süden. Die Pferde wurden vorausgeschickt. Sie selber reisten zu mit dem Zug: Helenas Mutter, Helena, ihr Bruder und ihre Schwester – beide sehr viel jünger als sie –, Panna Konstancja und Tekla.

In den kommenden Jahren sollten Panna Konstancja und Tekla die Familie überallhin begleiten. Panna Konstancja war eine ausladende Matrone, scharfzüngig und humorvoll. Sie hatte Helena so gut wie allein aufgezogen und war für sie eine viel weniger ferne Gestalt als ihre Mutter. Tekla war die Köchin der Familie, das vaterlose Kind einer Landstreicherin, die Helenas Mutter aufgenommen hatte.

Eine Fahrt von fünfunddreißig Kilometern brachte die Gesellschaft vom Bahnhof in Nowojelnia nach Druków. Es war ein sich schläfrig hinschleppender Abend. Den Pferden wurden die von Fliegen gepeinigten Köpfe schwer. Helenas Mutter fächelte sich mit einem Buch Kühlung zu. Tekla hatte Durchfall, und sie mußten oft anhalten.

Helena ängstigte dieser Rückzug. Würde er in Druków zu Ende sein? Was, wenn die Deutschen gleich Napoleon nicht aufzuhalten wären und sie selber weitergetrieben würden, tiefer nach Rußland hinein? Der Osten! Rußland! Helena fuhr erschrocken auf bei dem Gedanken an die schneebedeckte Steppe, die grauen Hügel, die ungepflegten Bärte der orthodoxen Priester, die Reihen hochwangiger Tataren vor einer verschneiten Landschaft. Dann fiel sie in der vertrauten Gegend von Panna Konstancjas Brust in Schlaf.

Als sie aufwachte, waren sie schon beinahe da. Der Kutscher schnalzte mit der Zunge, und die Pferde bogen von der Landstraße in die gewundene Auffahrtsallee von Druków ein. Tekla tat einen letzten Sprung von der bryczka und rannte zum nächsten Busch.

Druków war das Heim von Onkel Nicholas O’Breifne, einem belesenen Mann mit sanfter Stimme, der keine Kinder hatte und Helena wie ein eigenes behandelte. Sie blieben einen Großteil jenes Sommers in Druków.

Es war ein ruhiger Sommer, Kriegsnachrichten unterbrachen ihn nur selten. Helena verbrachte viel Zeit – wenn sie nicht von ihrer Mutter behelfsmäßig unterrichtet wurde – mit Herumwandern und Reiten. Sie machte Spaziergänge mit Onkel Nicholas, die sie über die Allee hinausführten. Sie liebte es, ihn die Bäume und Blumen benennen und jeden Vogelruf bestimmen zu hören.

Eines Nachmittags betraten sie auf dem Rückweg die Kirche von Druków. Drinnen war es kühl und dunkel. Schweigend gingen sie bis zum Altarraum vor und knieten nieder – Onkel Nicholas riesig und tonnenförmig in seinem alten Kamelottmantel, Helena neben ihm schlank, mit einem blauen Samtband im wirren Haar.

Onkel Nicholas zeigte ihr die Gedenktafeln für seinen Vater, seinen Großvater und andere O’Breifnes.

»Onkel Nicholas«, fragte sie, »lebt deine Familie hier schon sehr lange?«

Der erste O’Breifne in Druków, erläuterte er, war der General gewesen, ihr Urgroßvater. Die Russen waren sehr stolz auf ihn, obwohl er kein Russe war. In Serbien hatte er die russische Armee einst vor den Türken gerettet. In der Nacht vor der Schlacht war eine Nonne namens Dovergill zu ihm gekommen und hatte ihn gewarnt, die Türken würden am nächsten Morgen angreifen. Er rüstete seine Stellungen entsprechend und blieb Sieger. Doch als der General in den umliegenden Klöstern nach Dovergill fragte, kam er nicht weit. »Dovergill? Devorgill? Wir kennen keine Nonne dieses Namens.«

Erst später fand er heraus, wer sie war – eine Ahnin, eine irische Königin aus dem zwölften Jahrhundert. Sie war vom König von Leinster entführt worden, und die anschließenden Zwistigkeiten hatten die Invasion der Normannen zur Folge gehabt. Dies, sagte Onkel Nicholas, sei der Anfang vom Ende der alten irischen Könige und Stammeshäuptlinge gewesen. Fünf Jahrhunderte später erlitten sie ihre endgültige Niederlage in der Schlacht an der Boyne, nach der die O’Breifnes aus Irland flohen und schließlich in Rußland landeten.

General O’Breifne, fuhr er fort, hatte Druków mitsamt den dazugehörigen fünftausend Seelen gekauft. Die Leibeigenen waren hauptsächlich polnische Katholiken. Eines Tages kam er angeritten, um sein Gut zu inspizieren, und fand eine große Anzahl von ihnen in der Kirche. Es wurde eine Messe gelesen. Der General war gerade rechtzeitig eingetreten, um noch die angstvoll erhobene Bitte zu hören, sie vor dem »russischen General« zu schützen, der sie gekauft hatte. Mit großen Schritten durchmaß General O’Breifne den Mittelgang. Seine Sporen klirrten gegen den Steinboden. Vorne kniete er nieder. Der Priester verstummte.

»Fahren Sie fort«, sagte der General, und der Priester stotterte sich weiter durch die Liturgie.

Als die Messe vorüber war, erhob sich der General von den Knien und drehte sich zur Gemeinde um. »Bitte, es besteht kein Grund zur Furcht. Ich bin kein Russe. Ich heiße O’Breifne und bin Katholik. Ich komme aus einem sehr alten katholischen Land – einem Land weit im Westen namens Irland.«

O’Breifne sagte ihnen nichts, Irland auch nicht, und sie waren von diesem Ausländer und seinem merkwürdigen Namen überhaupt nicht überzeugt.

»Erst als er mit einer polnischen Frau zurückkehrte«, sagte Onkel Nicholas, »fingen die Leute an, ihm zu glauben.«

 

Klepawicze war nur ein paar Stunden zu Pferd von Druków entfernt, und Adam Broński kam häufig zu Besuch. Er war stark in der polnischen Untergrundbewegung engagiert und genoß, schrieb Helena, den bedingungslosen Respekt der Bauern.

Obwohl Adam keinerlei Notiz von ihr nahm, machte eines an ihm damals besonderen Eindruck auf Helena: Standesunterschiede schienen ihm völlig unwichtig zu sein. Ihre Mutter fand das sehr seltsam. Er kam offenbar nach Druków mehr, um mit dem Gutsverwalter zusammenzusein als mit den O’Breifnes.

»Kriegszeit, Liebes. Landwirte sind in Kriegszeiten sehr wichtig. Adam muß seine Pflicht tun.« Und weil er so gute Manieren hatte, Erbe von Klepawicze war und Sohn von Pan Stanisław Broński, vergab sie ihm.

An einem Morgen kam Adam herübergeritten, um dem Gutsverwalter beim Säubern des Karpfenteichs zu helfen. Helena saß am Ufer und schaute zu. Die beiden Männer öffneten die Wehre, und Adam zog sich bis zur Taille aus. Mit nacktem Oberkörper beugte er sich vor, um die zappelnden Fische aus dem Schlamm zu ziehen.

»Aufzucht!« rief er oder: »Küche!« und warf den Fisch in den einen oder anderen von zwei galvanisierten Kesseln.

Nach dem Mittagessen stand Helena vor dem hohen Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Wie konnte sie Adam dazu bringen, mit ihr zu reden? Panna Konstancja hatte gesagt, wenn sie sich nur endlich einmal schön machte, werde sie ihr Wunder erleben.

Sie griff nach der Haarbürste und zog sie durch ihr langes kastanienbraunes Haar. Es fiel nicht glatt; sie wollte aber glattes Haar! Doch nach jedem Bürstenstrich waren die hartnäckigen Locken gleich wieder da. Sie warf die Bürste hin.

Im Schrank waren die Kleider aus Petersburg, die ihr Vater ihr geschenkt hatte. Sie setzte ihre Hoffnung auf ein himmelblaues Baumwollkleid und einen Strohhut. Während sie noch eine Kirsche zerkaute, um ihren Lippen Farbe zu geben, ging sie in den Park hinaus.

Jenseits der Auffahrt befand sich ein niedriges kleines Birkengehölz. Helena hörte Adams Stimme durch die Bäume hallen. Sie stand am Rand des Wäldchens und schob die Blätter beiseite, um hineinzusehen. Er war allein. Jetzt würde er mit ihr reden.

Er stand unter den Bäumen und sang. Er sah sie nicht. Er verfiel in einen merkwürdigen Indianertanz. Er warf die Arme hoch und drehte sich um sich selbst. Er probierte eine Pirouette auf einem Bein, fiel aber hin.

Helena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Doch sie blieb, wo sie war. Sie beobachtete, wie er aufstand, wie er vor und zurück durch die Bäume rannte. Nicht ein einziges Mal blickte er in ihre Richtung. Nach kurzer Zeit war er in der Ferne verschwunden. Sie wartete, ob er wiederkäme, doch er kam nicht. Stumm kehrte sie ins Haus zurück. Sie warf ihren Hut aufs Bett. Was für eine Zeitverschwendung das alles war! Mit Tieren hatte man, wie sie schon immer vermutet hatte, sehr viel weniger Mühe.