Kapitel 20 – Hotel Mama
„Mama, ich komme schon morgen. Oder hast du was dagegen?“, fragte Julia am Telefon.
„Oh, wie schön! Natürlich kannst du schon morgen kommen. Je früher du hier aufkreuzt, desto mehr Spaß werden wir haben. Ich hatte schon befürchtet, dass du mich gar nicht besuchen willst“, antwortete Julias Mutter fröhlich.
Julia packte ihre Sachen und vertrieb sich den restlichen Abend damit, sich durch das todlangweilige Fernsehprogramm zu zappen. Es war eine Art Hobby von ihr – vor allem interessierten sie natürlich die Werbespots. Nicht jedoch in dieser Nacht, denn die Werbung erinnerte sie an ihren Job, den sie so liebte.
Sie ging mit gemischten Gefühlen ins Bett, freute sich jedoch darauf, endlich ihre Mutter wiederzusehen. Außerdem konnte sie es kaum erwarten, die frische Landluft zu schnuppern.
Knapp zwölf Stunden später saß Julia im Zug. Sie zog es vor, mit der Bahn zu reisen. Autofahren war ihr meist zu stressig und vor allem nach den chaotischen Wochen, die hinter ihr lagen, wollte sie sich damit nicht auch noch belasten.
Julias Mutter wartete am Bahnhof auf sie und begrüßte ihre Tochter überschwänglich. Julia fiel zum ersten Mal auf, wie alt ihre Mutter mittlerweile war. Sie freute sich jedoch auf ihren kleinen Landurlaub und folgte ihrer Mutter in Richtung des Autos.
Dort angekommen erschrak Julia, denn sie wurde durch beständiges Kläffen begrüßt. Im Familienauto saß ein großer schwarzer Hund. Julia verdrehte die Augen und schaute zu ihrer Mutter herüber. „Das ist also die Überraschung, von der du gesprochen hast?“, fragte sie.
„Ist er nicht süß?“, erwiderte sie und öffnete den Kofferraum. Der riesige Mischling sprang heraus und wedelte überglücklich mit dem Schwanz. Julia grinste und meinte: „Vor allem ist er groß, oder?“
„Ja, du weißt doch, wie gefährlich es draußen geworden ist. Ich dachte, dass sich die Spinner beim Anblick dieses Prachtexemplars nicht so schnell an mich heranwagen. In letzter Zeit hatte ich manchmal Angst, wenn ich joggen war“, erzählte sie und streichelte ihren haarigen Bodyguard.
„Wie heißt er denn?“, erkundigte sich Julia und tätschelte den monströsen Kopf des verspielten Hundes.
„Luke“, meinte ihre Mutter stolz. Natürlich, dachte Julia. Ihr erster Hund hatte den gleichen Namen gehabt und sogar eine der Katzen, die ihnen damals, als Julia noch ein Kind gewesen war, zugelaufen ist. Julias Mutter hatte ein Faible für die alten Star Wars Filme und vor allem Luke Skywalker hatte es ihr damals angetan. Der Bann war offensichtlich immer noch nicht gebrochen, wie Julia amüsiert feststellte.
Während der Fahrt schnupperte, leckte und knabberte der Hund, der offenbar noch lange nicht ausgewachsen war, an Julias Haaren und sie war froh, dass die Fahrt bloß wenige Minuten dauerte. Ihre Mutter hatte das Radio aufgedreht, es lief die Art von Punkrock, die Julia so sehr hasste.
Aber auch diese Marotte übersah Julia gnädig, denn sie wollte nicht schon am ersten Tag ihres Besuchs einen Streit vom Zaun brechen.
Eine knappe halbe Stunde später hatte Julia ihr Gepäck auf das Bett in ihrem alten Zimmer geworfen. Sie schaute sich darin um – das letzte Mal war sie vor fast einem halben Jahr dort oben gewesen, wie sie überrascht feststellte.
„Juuuuliiiaaa!“, rief ihre Mutter. Julia hoffte, dass es vorerst nicht noch mehr Überraschungen zu bestaunen gab. Sie ging herunter ins Wohnzimmer und fand einen gedeckten Tisch vor. Sie lächelte. Ihre Mutter strahlte. Julia umarmte sie und musste sich zusammenreißen, um nicht gleich wieder loszuheulen. Ja, es ist die richtige Entscheidung gewesen, aufs Land zu fahren, dachte sie gerührt.
„So, jetzt erzähl mal! Gestern am Telefon habe ich ja fast nichts aus dir herausbekommen. Wie läufts im Büro?“, wollte ihre Mutter wissen, als sie sich an den Tisch gesetzt hatten.
Julia stopfte sich schnell das viel zu große Stück Kartoffel in den Mund, um nicht sofort antworten zu müssen. Ihre Mutter hatte ordentlich aufgetischt. Es gab Salzkartoffeln, Geschnetzeltes aus Tofu und einen würzigen Bauernsalat.
„Ich wurde gefeuert“, antwortete Julia mit vollem Mund, nachdem ihr klargeworden war, dass sie ihrer Mutter die traurige Wahrheit in den nächsten zwei Wochen ohnehin nicht vorenthalten konnte.
„Wie bitte?“, stieß ihre Mutter schockiert hervor und riss die Augen auf.
Julia erzählte also, was vorgefallen war. Sie hatte mit so einer Reaktion gerechnet und hoffte inständig, dass das Gespräch nicht in einer Diskussion über die Rechte der Frauen enden würde.
„Ich habs dir ja gleich gesagt. Diese Machos haben bestimmt nur nach einem Grund gesucht, um dich wieder loszuwerden“, regte sich ihre Mutter auf.
Julia hingegen hatte es satt, sich ständig aufzuregen. Sie zuckte mit den Schultern und meinte: „Mama, lass uns jetzt nicht weiter davon sprechen, okay? Das wird sich bestimmt noch klären.“
Sie wunderte sich wieder einmal über sich selbst, denn in Wirklichkeit löste der Verlust ihres Jobs Panik in ihr aus.
In der Gegenwart ihrer misstrauischen Mutter, die ihrerseits ständig nach Gründen suchte, um die Männerwelt schlecht zu machen, fühlte sie sich stark und selbstbewusst.
Außerdem wusste Julia, dass Peer tatsächlich einen triftigen Grund hatte, um sie zu entlassen. Die ganze Geschichte mit Alexej, das ständige Hin und Her – das war mehr als unprofessionell gewesen.
Sie verbrachten das Abendessen friedlich und unterhielten sich über eine der aktuellen Talentshows, die im Fernsehen heiß diskutiert wurden.
Julia war froh, dass sie das Gespräch in ruhigere Gewässer hatte steuern können. Sie wusste nur zu gut, dass Stress Gift für sie war. Sie wollte sich entspannen.
Julia hatte sich geschworen, dass sie ihre Probleme zumindest für den Zeitraum von knapp zwei Wochen in der Stadt lassen würde.
Nach dem Essen wollte Julia nur noch ins Bett. Ihre Mutter verstand das. Sie spürte, dass ihre Tochter etwas auf dem Herzen hatte. Sie würde ihr in den nächsten Tagen mal auf den Zahn fühlen, nahm sie sich vor und verabschiedete Julia ganz klassisch mit einem Gutenachtkuss auf die Stirn. Julia wehrte sich nicht. Für gelegentliche Zärtlichkeiten war selbst sie noch nicht zu alt.
Am nächsten Morgen wurde Julia von Luke geweckt. Er schleckte ihr das Gesicht ab und tobte im Zimmer und auf ihrem Bett herum. Wenige Augenblicke später stürzte Julias Mutter ins Zimmer und entschuldigte sich lachend: „Oje, das macht er sonst aber nicht. Er scheint dich ja wirklich gern zu haben!“
Als ihre Mutter den Hund aus dem Zimmer gelockt hatte, ließ Julia den Kopf wieder in die Kissen fallen. So viel zum Thema Entspannung, dachte sie und blieb noch ein paar Minuten liegen.
Unter der Dusche begutachtete Julia ihre Brandwunde. Sie heilte nur sehr schlecht, aber das war offenbar normal bei dieser Art von Verletzung. Je häufiger sie darüber nachdachte, desto absurder wurde die Vorstellung, dass Alexej wirklich etwas damit zu tun hatte.
Trotz ihrer neu entfachten Gefühle ihm gegenüber wollte sie ihn erst einmal zappeln lassen. Sie hatte die Hoffnung, dass er endlich kapieren würde, was für ein gefährliches Spiel seine Sekretärin spielte. Solange Julia Landurlaub hatte, konnte er sich mit ihr herumärgern.
„Na, wie schläft es sich im eigenen Bett?“
„Gut. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich mir einen sabbernden Wecker gestellt habe“, erwiderte Julia. Sie hätte lieber ausgeschlafen, so viel war klar.
„Jetzt stell dich nicht so an. Es ist bereits nach zehn. Ich dachte, wir unternehmen heute was und bei dem unbeständigen Wetter will ich lieber auf Nummer sicher gehen“, sagte ihre Mutter und schenkte der verschlafenen Julia Kaffee ein.
„Mama, musst du nicht arbeiten?“, fragte Julia und hoffte, dass sie in den folgenden zwei Wochen auch mal Zeit allein verbringen konnte.
„Ich habe mir für heute frei genommen – ach, jetzt guck nicht so. Ich hatte sowieso noch ein paar Urlaubstage. Du wirst mich schon noch los“, meckerte Julias Mutter.
Blond, schlank, Rundungen an den richtigen Stellen. Julia überlegte, dass die Frau, die ihr unter Höllenqualen (wie sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zu erzählen pflegte) das Leben geschenkt hatte, für ihr Alter wirklich fabelhaft aussah. Alt zwar, aber trotzdem attraktiv.
Sie dachte, dass sie mit fünfundvierzig auch gerne noch so fit wäre und realisierte, dass ihr Lebensstil in letzter Zeit nicht sonderlich gesund gewesen war.
„Wie schaffst du es eigentlich, so frisch auszusehen. Ich bin gestern viel früher als du ins Bett gegangen – und ich bin trotzdem hundemüde“, sagte sie und genoss den Riesenpott Kaffee, an dem sie ihre schlecht durchbluteten Hände wärmte.
„Schatz, ich gehe viermal pro Woche laufen und ich esse kein Fleisch. Du weißt das doch längst. Wenn du willst, dann bringe ich dich bis Weihnachten wieder in Form“, antwortete sie und grinste ihre Tochter an. Sie sah wirklich unverschämt wach aus, dachte Julia.
„Ach, da fällt mir was ein. Guck mal, was ich mir im Internet bestellt habe.“, sagte ihr Mutter und holte ein Paket aus dem Flur, das offenbar erst vor ein, zwei Tagen gekommen war.
Julia verdrehte die Augen, aber außer Luke, der geduldig darauf wartete, dass man ihn endlich fütterte, sah das niemand.
„Ach du scheiße. So was ziehst du an?“, fragte Julia alarmiert. „Na hör mal, ich finds super“, antwortete ihre Mutter stur und zog sich kurzerhand das Shirt, das sie gekauft hatte, über und stemmte die Hände provokativ in die Hüften. Der Slogan auf dem Shirt lautete Marathonina.
„Martina wird zu Marathonina. Findest du das wirklich so schrecklich?“, fragte Martina enttäuscht.
„Naja, es ist nicht schlecht. Aber ein bisschen flach, finde ich“, besänftigte Julia sie.
Martina schaute an sich herunter und stellte fest, dass ihr das Shirt nach Julias harscher Kritik noch besser gefiel.
„Du hast bloß Angst, dass deine Mama cooler ist als du“, scherzte sie und machte sich daran, dem Hund Futter in den Napf zu füllen.
Julia atmete tief ein und überging die Bemerkung souverän. Sie war froh, dass niemand in der Nähe war, der ihre - in ihren Augen extrem peinliche - Mutter miterleben konnte.
Die nächsten Tage verbrachte Julia hauptsächlich damit, auf der Couch zu liegen und zu lesen. Sie genoss das vorübergehende Leben auf dem Land und vermisste außer ihrer besten Freundin Verena nichts und niemanden.
Julia hatte sich an einem Abend, an dem es draußen besonders ungemütlich stürmte und regnete, mit ihrer Mutter über Alexej unterhalten. Nach dem Gespräch war Julia wieder unsicherer, was ihre Einstellung gegenüber ihrem Lover anging. Martina Steinkamp war eine geschiedene Frau, die es sich zum Ziel gemacht hatte, möglichst vielen jungen Frauen von einer verfrühten Heirat abzuraten.
Vor allem bei ihrer eigenen Tochter achtete sie darauf, dass diese sich nicht allzu spontan auf eine feste Beziehung einließ, die sie womöglich später bereuen würde.
Julia hatte ihrer Mutter stets zugestimmt und so war aus ihr ein Partygirl geworden, dass mit den Männern spielte und sich nicht auf feste Beziehungen einließ.
Sie hatte sich stets eingeredet, dass sie mit dieser Lebenseinstellung keinen Schaden anrichten würde, aber innerlich war die Leere immer größer, immer präsenter geworden.
Mit Alexej war es anders, dachte Julia, als sie es sich wieder auf der Couch vor dem Kamin des alten Fachwerkhauses gemütlich gemacht hatte. Sie legte das Buch zur Seite, das ihre Mutter ihr kurz nach ihrer Ankunft mit großer Begeisterung in die Hand gedrückt hatte.
Bei Alexej fühlte sie sich geborgen. Es klang sogar in ihrem eigenen Kopf absurd, denn letztlich kannten sie sich ja kaum. Jedenfalls war da mehr als nur Lust. Mehr als nur Begierden. Mehr als nur unverschämt hemmungsloser und unerreicht befriedigender Sex.
Julia starrte ins Feuer des Kamins und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Luke, der riesenhafte Hund, der von Tag zu Tag noch größer zu werden schien, im Schlaf zuckte. Er hatte ein sorgenfreies Leben, dachte sie. Ein Hund müsste man sein, war ihre naive Schlussfolgerung.
Später am Abend saß Julia mit ihrer Mutter zusammen auf der Couch. Sie hatten in der Fernsehzeitung einen der vielen Blockbuster gefunden, die zur Weihnachtszeit das Programm überfluteten. Noch bevor der Film begann, gegen zwanzig Uhr, klingelte plötzlich Julias Handy.
Sie erschreckte sich sogar ein wenig, denn sie hatte es in den letzten Tagen bewusst lautlos gestellt, um nicht gestört zu werden. Das Handy lärmte und vibrierte, aber Julia zögerte. Das Display zeigte den einzigen Anrufer, den sie nicht sprechen konnte – es war Alexej. Eigentlich wollte Julia rangehen, aber bevor sie den Mut dazu aufbringen konnte, schnappte ihre Mutter ihr das Handy weg und stellte es wieder lautlos.
Julia öffnete empört den Mund, sagte aber nichts, denn ihre Mutter hob drohend den Zeigefinger. Sie meinte: „Julia, wir haben doch gestern darüber gesprochen. Lass dich von dem reichen Schnösel nicht wieder um den Finger wickeln. Wer weiß, was er als Nächstes vorhat! Ich lasse nicht zu, dass du den gleichen Fehler machst wie ich damals mit deinem Vater.“
Schweigen. Julia wusste zwar, dass ihre Mutter leider goldrichtig lag, aber ihr Stolz und ihr Sturkopf drängten sie dazu, das Handy zurückzuerobern und Alexej doch noch zu sprechen. Sie widerstand dem Drang und lächelte matt.
Martina lächelte ebenfalls. Beide kuschelten sich unter die Decken und konzentrierten sich auf den Film.
Als Julia abends ins Bett ging, musste sie ununterbrochen an Alexej denken. Sie vermisste ihn. Trotz allem wollte sie in seiner Nähe sein. Julia wusste, wie gefährlich es wahr. Sie wusste auch, dass irgendetwas mit Alexej nicht ganz in Ordnung war. Da war dieser komische goldene Ring mit der mysteriösen Inschrift, den Alexej einfach nicht vom Finger nehmen wollte.
Seine Launenhaftigkeit, seine verletzenden Gesten, seine zweideutigen Worte. Und doch: Julia war verliebt und sie war bereit, über all seine Makel hinwegzusehen.
Während sie an den hünenhaften Russen dachte und sich an ihre obszönen Eskapaden in seinem Keller erinnerte, wanderte ihre rechte Hand weit unter die Decke. Julia strich sanft am Saum ihres Slips entlang und stellte sich vor, wie Alexej sie küsste.
Ihre reibenden Bewegungen näherten sich ihrem Schritt und sie fühlte durch den Stoff ihres Höschens, dass sie längst feucht war. Mit einem überlegenen Lächeln griff sie mit der anderen Hand blind in Richtung ihrer Kommode neben dem Bett. Da ihre Mutter in ihrem alten Schlafzimmer nichts umgestellt hatte, war alles noch an seinem rechtmäßigen Platz.
Ihr Lieblingsspielzeug, das ihrer Meinung nach einen schrecklichen Markennamen hatte und sie in keinster Weise an einen Hasen erinnerte, hatte sie bereits bei ihrer Ankunft in dem Nachttisch deponiert.
An diesem Abend konnte sie dem Drang nicht widerstehen. Sie machte sich nicht die Mühe, den Slip abzustreifen, sondern schob ihn lediglich beiseite, um das summende Ding hineingleiten zu lassen. Mit der freien Hand bearbeitete sie ihre steif abstehenden Knospen. Sie quetschte sie härter als früher und es fühlte sich gut an. Seit ihrer Abenteuer in Alexejs Keller wusste sie viel besser, was sie wirklich anturnte.
Mit schnellen Bewegungen rammte sie den vibrierenden Dildo rein und raus, rein und raus. Die dafür vorgesehene Spitze außerhalb des Schafts brachte ihren Kitzler zum Glühen. Ihre Hand wanderte von den Brüsten zurück in Richtung ihres Schritts, Julia spürte, wie sich ein phänomenaler Orgasmus anbahnte und sie grub ihre frisch manikürten Fingernägel in die Haut über ihrem Schritt. Sie stellte sich vor, wie Alexej das gemacht hatte und kurz bevor sie kam, durchfuhr sie ein höllischer Schmerz am Bauch.
„Verfluchter Mist!“, stieß Julia durch die Zähne hervor. In ihrem Eifer hatte sie das Pflaster auf ihrem Brandmal abgerissen und damit auch einen kleinen Teil der gerade erst entstandenen, neuen Hautschicht.
Keuchend richtete sie sich auf und knallte ihr Spielzeug zurück in die Schublade. Die Lust war ihr gehörig vergangen.
Julia hatte Schwierigkeiten beim Einschlafen, denn sie dachte immer wieder an Alexej und an das verstörende Gespräch mit ihrer Mutter. Sie hatte Julia davon abgeraten, Alexej eine weitere Chance zu geben. Sie hatte gemeint, Julia solle möglichst viele Erfahrungen machen, solange sie noch jung ist.
Julia fühlte sich zwar durchaus noch jung, aber sie spürte auch, dass ihre Abenteuerlust seit dem Höllentrip in Alexejs schummrigen Keller rapide abgenommen hatte.
Sie hatte die Zweisamkeiten genossen und auch der ganze Stress der letzten Wochen hatte sie irgendwie beflügelt, aber während Julia in ihrem alten Bett aus ihrer Jugend lag wollte sie eigentlich nur jemanden zum Kuscheln haben.
Zwei Tage später war bereits Weihnachten. Julia hatte ihrer Mutter auf einer ziemlich gut versteckten Seite im Internet einige originale Schallplatten ihrer alten Lieblingsbands besorgt und dabei ein kleines Vermögen verloren.
Das vor Freude strahlende Gesicht ihrer gerührten Mutter war jedoch eine befriedigende Entschädigung für den Aufwand, den Julia betrieben hatte, um an diese seltenen Exemplare zu kommen.
Sie konnte sich jedoch nicht erklären, wie diese komische Hippie-Musik immer noch so viele Menschen begeisterte und noch dazu ihre eigene Mutter.
Julia bekam von ihrer Mutter einen Gutschein für eine der luxuriösen Thermen in Köln. Es war ein Gutschein für zwei Personen und Julia wusste bereits, dass sie Verena mitnehmen würde, sobald sie ihre Schwangerschaft überstanden hatte. Zusätzlich bestand ihre Mutter darauf, dass Julia das dicke Buch behalten solle, was sie ihr einige Tage zuvor zum Zeitvertreib und zur Inspiration gegeben hatte.
„Die Frau hat echt was drauf. Da können wir uns alle noch eine Scheibe von abschneiden!“, hatte die nicht altern wollende Marathonina geträllert.
In dem Buch ging es um eine klassische Rache-Geschichte. Ein Mädchen hatte ihre Eltern verloren. Sie waren ermordet worden. Als Kind schwor sich das Mädchen, den Tod ihrer Familie zu vergelten und so machte die junge Frau sich auf eine gefährliche Reise, um den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Das Buch hatte mehr psychologische Tiefe, als Julia zu Beginn erwartet hatte. Der Titel war eher plakativ, wie sie fand. Die Mondscheinassasine verkaufte sich jedoch wie geschnitten Brot und das beeindruckte Julia.
Das Highlight an Heiligabend war Luke's missglückter Versuch, heimlich den Öko-Christstollen zu verputzen, den Martina noch vor Julias Ankunft gebacken hatte.
Luke flog auf, als er sich kotzend von der Küche ins Wohnzimmer schleppte, in dem Julia und ihre Mutter gerade ihre Geschenke austauschten.
Appetit hatte danach niemand mehr und so entschlossen sie sich, den Abend mit einem übergroßen Glas vom besten Rotwein ausklingen zu lassen.
Aus einem Glas waren insgesamt vier geworden und aus einer Flasche zwei. Julia wachte daher mit einem respektablen Brummschädel auf und verzichtete an den zwei verbleibenden Tagen auf König Alkohol.
„Willst du wirklich schon wieder zurück?“, fragte Martina und klang tatsächlich ein wenig enttäuscht.
„Mama, ich bin jetzt seit fast zwei Wochen hier. Ich muss zurück in die Stadt, sonst langweile ich mich noch zu Tode!“, erwiderte Julia lachend. In Wirklichkeit hatte ihr der Landurlaub, wie sie es nannte, sehr gut getan.
In den letzten Tagen war sogar ihre hässliche Wunde fast vollständig verheilt. Eine auffällige Narbe würde ihr jedoch den kommenden Sommer vermiesen, dachte Julia, als sie das Pflaster zum letzten Mal gewechselt hatte.
„Ja, ich weiß. Kommst du mich denn bald nochmal besuchen? Also vor dem nächsten Weihnachten, wenn es irgendwie möglich ist. Du arbeitest zu viel“, fügte Martina besorgt hinzu.
„Ach, Quatsch. Es wird Zeit, dass ich mich um meinen Job oder das, was noch davon übrig ist, kümmere. Wenn ich Glück habe, schmeißt mich Peer doch nicht raus. Bei ihm weiß man ja nie“, meinte Julia und stopfte das Buch, das sie geschenkt bekommen hatte, in ein Seitenfach ihrer viel zu kleinen Reisetasche.
„Denk dran, Julia. Lass dich nicht von den Männern verarschen. Wenn dein Chef, äh, dein Ex-Chef, wieder so ein Chaos veranstaltet, bekommt er es mit mir zu tun!“
„Oh, ich glaube das würde ihm gefallen. Ich stelle es mir gerade vor: Marathonina sprintet wie ein Wirbelwind durch das Büro und mit einem eleganten Fußtritt reißt sie die Tür aus den Angeln, um Peer Mendelsohn schließlich auf seinem eigenen Schreibtischstuhl den faltigen Hintern zu versohlen. Ein Bild für die Götter. Meinst du, das du dafür fit genug bist?“, fragte Julia und lachte.
„Jaja, mach du nur deine Witze. In zwanzig bis dreißig Jahren wärst du froh, wenn du ein bisschen mehr für deinen Körper getan hättest“, sagte Martina laut und stemmte die Hände in die Hüften. Sie war ebenfalls gut gelaunt, denn sie wusste, dass Julia gut drauf war.
Ihre Sorgen bezüglich Julias Arbeitspensums waren zwar mehr als berechtigt, aber andererseits war sie auch stolz auf ihre Tochter, die es so viel weiter als sie selbst gebracht hatte.
„Ich weiß außerdem gar nicht, warum du mich hier festhalten willst. Du hast doch jetzt sogar einen Joggingpartner“, sagte Julia und nickte zu Luke herüber, dem die Zunge aus dem Maul hing, während er auf seiner Lieblingsdecke vor dem Kamin ein Nickerchen hielt.
„Ach was, von wegen festhalten. Ich will doch nur, dass du dich endlich mal richtig entspannst“, erwiderte ihre Mutter und beim Anblick ihres geliebten Hundes glänzten ihre Augen vor Freude.
„Dafür habe ich ja den Gutschein, nicht wahr? Ich ruf dich spätestens an, sobald ich mit Verena im Spa war. So, jetzt müssen wir aber los!“, sagte Julia, die einen kurzen Blick auf ihre Uhr geworfen hatte. Sie stellte fest, dass sie ihren Zug vermutlich um ein paar Minuten verpassen würde, falls nicht noch ein Wunder geschah.