Ein Wort zum Schluss

Die Tochter der Seidenweberin« ist ein Roman, der auf geschichtlichen Ereignissen basiert. Um den Fluss der Erzählung nicht zu stören, habe ich mir jedoch erlaubt, einige kleine zeitliche Änderungen vorzunehmen. So war Mertyn beispielsweise nicht 1508, sondern erst wieder im darauffolgenden Jahr und 1512 Ratsherr. Andreas Imhoff war ab 1503 Faktor der Vöhlin-Welser und wurde erst ab 1506 für die Fugger tätig, also ein Jahr später als berichtet, und Andreas Ime Hofe, der Sohn von Lisbeth und Mertyn, wurde zwei Jahre später, nämlich erst 1511 geboren.

 

Während des Mittelalters war Köln die Seidenstadt im Deutschen Reich. Ein Seidengewerbe von ähnlicher Bedeutung gab es zu jener Zeit nur in Paris, Lyon und in den Städten Oberitaliens. Auch als das Gewerbe im 15. Jahrhundert weitere Verbreitung in Deutschland fand, behielt Köln seine vorherrschende Stellung bis in das 17. Jahrhundert hinein.

Um das Jahr 1500 stand das kölnische Seidengewerbe in höchster Blüte. Der zunehmende Wohlstand der Menschen in den Städten hatte zu höheren Ansprüchen – auch bei der Kleidung – geführt, und Seidenstoffe waren nicht mehr nur für die oberen Schichten der Bevölkerung erschwinglich.

Doch nicht in jeder Stadt konnte sich ein solch gewinnbringendes Handwerk etablieren, denn das Seidengewerbe war bei seinem Rohstoffeinkauf und beim Absatz seiner Erzeugnisse abhängig vom Fernhandel. Darüber hinaus brauchte es für den Verkauf zusätzlich einen lokalen Markt. Köln hatte beides zu bieten: Dank der verkehrsgünstigen Lage war es eine hervorragende Handelsstätte und besaß überdies den Glanz des Bischofshofes, den Reichtum der Kirchen und in zunehmendem Maße den Wohlstand einer prosperierenden Kaufmanns- und Handwerkerschaft.

Die kölnische Zunft der Seidmacherinnen war im Grunde eine reine Frauenzunft. Frauen führten ihre Betriebe auf eigene Rechnung, bildeten Lehrtöchter aus, kauften Rohseide und verkauften ihre Erzeugnisse in der Stadt oder auf den Messen in Frankfurt und Antwerpen.

Die männlichen Mitglieder der Zunft waren meist Ehemänner von Seidmacherinnen oder Seidenhändler, oftmals beides zugleich. Dass zwei von ihnen zu Zunftmeistern gewählt wurden, lag daran, dass die Frauen trotz aller wirtschaftlicher Eigenständigkeit keine politischen Rechte besaßen. Die beiden »Herren zum Seidamt« waren allein schon deshalb vonnöten, um mit dem Rat der Stadt kommunizieren zu können.

Um für den Handel, das heißt, um auf Vorrat produzieren zu können, bedurfte es einer nicht geringen Menge Kapitals, das in teure Rohstoffe und kostspielige Werkzeuge investiert werden musste, denn das Geld floss erst nach Verkauf der Waren auf der nächsten Messe zurück in die Taschen der Seidmacherinnen. Dies begründete den großen Vorteil, den die wohlhabenderen Seidmacherinnen vor ihren ärmeren Zunftgenossinnen hatten.

Einige von ihnen waren so vermögend, dass sie zwei- bis dreitausend Gulden im Jahr für Rohseide ausgeben konnten, und mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass sie sich alle als Verlegerinnen betätigt haben. Zu nennen wären hier Tryngen (Katryn) Ime Hofe (die Frau Zur Roten Tür), Fygen Lützenkirchen (die Frau Zur Wolkenburg), Hylgen Byrken (Wickeroed), Styngen II. (Adelheid) Liblar, Mettel van Hielden und die Schwestern Fygen und Sewis Berchem (im Roman, um Verwechslungen zu vermeiden, Brigitta und Gunda genannt).

Den beträchtlichen Wert der Beträge, welche die Seidmacherinnen für Rohseide aufwendeten, mögen einige Zahlen veranschaulichen: Zwar waren in den Jahren 1513/14 die Preise für Fleisch und Brot sehr günstig, doch für einen Gulden bekam man dreiundachtzigeinhalb Pfund Rindfleisch oder zehn gute junge Hühner. Ein Bachknecht verdiente um die fünfundsechzig Gulden pro Jahr, ein Leyendecker, das heißt, ein Dachdecker, der Dächer mit Schiefer eindeckte, vierhundertvierundvierzig Gulden. Dafür arbeitete Letzterer zweihundertsiebzig Tage im Jahr.

Zum Ende des 14. und Beginn des 15. Jahrhunderts kam es zu den geschilderten Missständen im kölnischen Seidamt. Einige reiche Seidmacherinnen versuchten, ihre ärmeren Kolleginnen aus dem Geschäft zu drängen beziehungsweise die Zulassung neuer Seidmacherinnen zum Amt zu verhindern. Eine zunehmende Konzentration im Seidamt war die Folge.

In dem Zusammenhang ist jedoch anzumerken, dass es den Seidmacherinnen und Seidspinnerinnen, die für Verleger arbeiteten, gemessen an vielen anderen Bürgern, nicht wirklich schlechtging. Sie hatten ihr gesichertes Auskommen und genug zum Leben, aber es bestand ein eklatanter Unterschied, auch in gesellschaftlicher Hinsicht, zwischen ihnen und den zum Teil immens reichen Seidmacherinnen wie Fygen Lützenkirchen und Tryngen Ime Hofe.

Ab 1504 befand sich die Amtsführung der Seidmacherzunft in einem desolaten Zustand. Erst im November 1513, nachdem die Seidamtsmitglieder ihren Eid auf die Zunftordnung erneuert hatten, wurden neue Seidmacherinnen und Lehrtöchter nachgetragen, und man kehrte zu der gewohnten Ordnung zurück.

 

Lisbeth Ime Hofe, die Tochter von Fygen und Peter Lützenkirchen, begann ihre Lehre bei ihrer Mutter im Jahr 1491 und wurde 1496 als Hauptfrau eingetragen. Sie arbeitete bis 1515, hatte sechs eingetragene Lehrtöchter und darüber hinaus wohl eine unbekannte Zahl von Lehrmädchen, die nicht eingetragen worden waren. Im Jahre 1513, als sich das Seidamt neu ordnete, wurde sie Zunftmeisterin.

 

Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft war bei ihren Kunden ob ihrer Redlichkeit bekannt, und es war nicht zuletzt diese Redlichkeit, die ihr in einer Zeit großer kapitalistischer Gesellschaften, wie der der Fugger, Welser und Baumgartner, ein Ende bereitete.

Als sich die Gesellschaft um das Jahr 1530 auflöste, verwahrte ihr letzter Regierer, Alexius Hilleson, die Geschäftspapiere, und auch sein Enkel, der in das Zisterzienserkloster Salem eintrat, konnte sich nicht von ihnen trennen. Im Archiv des Klosters überdauerten sie mit dem Vermerk »unnützliche Handelssachen« und landeten nach Auflösung des Klosters im Generallandesarchiv Karlsruhe.

Der damalige Direktor des Archivs fand sie durch Zufall und übergab sie Professor Aloys Schulte, der dieses einmalige Zeugnis kaufmännischen Unternehmertums im Mittelalter in zehnjähriger Arbeit auswertete.

Durch diesen glücklichen Umstand sind wir gut über die Geschäfte, die Organisation und die Handelsgepflogenheiten der Ravensburger Handelsgesellschaft unterrichtet. So etwa über die Art und Menge der Waren, die in Valencia gehandelt wurden, darüber, welche Wege sie nahmen, um nach Köln, Flandern oder in die Zentrale nach Ravensburg zu gelangen, wie hoch die Frachtraten dafür waren, und sogar über die Lage und Einkünfte der dortigen Bodega.

Tatsächlich hat es in Valencia einen Faktor des Geliegers gegeben, der nur unter dem Namen »Wilhelm der alt Mann« verzeichnet wurde.

Auch über die Niederlassung in Köln, deren Geschäfte Peter Lützenkirchen und später seine Witwe Fygen führten, und ihren Versuch, Seide aus Valencia und Almeria zu importieren, finden sich spärliche Nachrichten, die mit der Ausweisung der fremden Faktoren aus Köln im Jahre 1508 enden.

Wir finden Hans Her, den Schwiegersohn von Peter und Fygen, erfolgreicher Obmann des Antwerpener Gelieger, und seinen Vater, Hans Her den Älteren, der zwischen 1499 und 1510 – damals schon als betagter Mann – als Haupttransporteur auf der Straße nach Mailand unterwegs war. Bereits im ersten Vierteljahr überquerte er sechsmal mit Waren die Alpen, mitunter eine Transportmasse von hundert Ballen im Gepäck. Er kam selten über Lindau oder Como hinaus, doch er hinterließ ein sehr wertvolles Straßenbüchlein.

 

Das Haus Wolkenburg an der Wollküche verdankt seinen Namen wahrscheinlich nicht, wie vom Volksmund überliefert und im Roman wiedergegeben, seinen trutzigen Eckwarten und den Dämpfen der Wollküche, sondern dem längst erloschenen Burggrafengeschlecht von Wolkenburg, dessen Stammsitz die gleichnamige Feste im Siebengebirge war. Denn in den Schreinsbüchern wird als erster Besitzer des Hauses ein Johannes de Wolkenburg genannt, der das Haus im Jahre 1309 an seinen Sohn vererbte.

Bis zum Jahr 1445 war die Wolkenburg im Besitz der Grafen von Virneburg, wechselte dann mehrfach den Eigentümer und wurde von Peter Baire, dem damaligen Miteigentümer des Gürzenich, umgebaut, was ihre Ähnlichkeit zu Kölns »Guter Stube« erklären würde. 1462 gelangte sie in den Besitz von Ludwig von Aiche, von dem Peter Lützenkirchen sie dreißig Jahre später, im Jahre 1492, für seine Familie erwarb.

Die Wolkenburg stand bis in das Jahr 1911/12, dann wurde sie abgerissen.

 

Anders als im heutigen Sprachgebrauch verstand man zu jener Zeit unter dem Begriff »Sodomie« jede Abweichung von der sexuellen Norm, vor allem die gleichgeschlechtliche Liebe.

Bereits im Jahre 1484 hatte es einen größeren Skandal wegen Homosexualität in Köln gegeben. Der Rat beauftragte eine Kommission, die umfangreiche Untersuchungen anstellen sollte, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass viele Menschen mit der »unsprechlichen stummen Sünde« befleckt sein sollten. Die Rede war von zweihundert Personen, darunter ein Ratskollege.

Urteile wurden in der Angelegenheit nicht gefällt. Letztendlich wurde die Schuld einem Auswärtigen in die Schuhe geschoben und die ganze Sache unter den Tisch gekehrt, weil der betreffende Ratsherr zwischenzeitlich verstorben war und man in Zeiten politischer Instabilität keinen großen Skandal hervorrufen wollte.

Während es in Köln nicht zu größeren Verfolgungsmaßnahmen kam, ging man anderenorts rigoros gegen die »stumme Sünde« vor. 1409 wurden in Augsburg vier Priester in einem großen Vogelbauer zu Tode gehungert und ein mit ihnen befreundeter Lehrer auf den Scheiterhaufen geschickt.

In Venedig rief man im Jahre 1418 nach einem größeren Skandal, in den auch Söhne aus Dogenfamilien verwickelt waren, ein Collegium Sodomitarum ein, dessen Untersuchungen bis zum Jahr 1500 zu zweihundertachtundsechzig Verurteilungen führten.

In Florenz entsprachen dieser Institution die Uffiali della Notte. Insgesamt verstärkte sich im fünfzehnten Jahrhundert die Verfolgung Homosexueller.

 

Am 15. Dezember 1513 siegelten Rat und Zünfte den Transfixbrief, der die städtische Verfassung in vielen Punkten reformierte. Damit die schweren Vergehen der Ratsherren, die zu den Unruhen geführt hatten, sich nicht wiederholen sollten, wurde insbesondere verfügt, dass alle Angelegenheiten, die vor den Rat gehörten, dort in ordentlicher Sitzung und nicht vorab in geheimen Kränzchen verhandelt werden. Städtische Ämter durften ab sofort nicht mehr von den Bürgermeistern, sondern ausschließlich vom gesamten Rat vergeben werden, und zu der vierteljährlichen Rechnungslegung der Rentmeister wurde ein Mitglied von jeder Zunft, das nicht zum Rat gehörte, hinzugezogen.

 

Ursula Niehaus
im März 2010