Teil IV

1511 bis 1513

18.  Kapitel

Mattes Licht fiel durch das schmale Fenster im Obergeschoss und warf dunkle Schatten unter die Augen der Frau auf dem Bett. Ihr Gesicht war bleich, die pergamentene Haut spannte sich über die hohlen Wangen. Ihre Augen waren geschlossen, und es schien, als schliefe sie.

Lisbeth setzte sich bequemer auf dem Hocker zurecht, den sie sich neben die Bettstatt gezogen hatte, und ihre Gedanken wanderten zurück zu jenem Tag vor nun bald zwei Jahren, an dem sie von Stephans unbegreiflichen Taten erfahren hatte.

In den Tagen, die auf den Brand in der Wolkenburg folgten, hatte Hans Her sich die Mühe gemacht, das, was von den Geschäftsbüchern noch übrig war, zu sortieren. Er hatte mit all jenen Kaufleuten, Handwerkern und Seidmacherinnen gesprochen, von denen er wusste oder zumindest vermutete, dass Fygen mit ihnen Geschäfte tätigte. Die Ehrlichen unter ihnen hatten ihre Rechnungen bezahlt.

Von der Ursache des Feuers, das die Geschäftspapiere vernichtet hatte, hatte Hans ihnen gegenüber nichts verlauten lassen, so wie sich die Familie auch über Stephans Verschwinden ausschwieg. Offiziell hatte er den Dienst quittiert, nachdem man die Faktorei aufgelöst hatte, und war ins Ausland gegangen, nach London vielleicht.

Hans war es nicht möglich gewesen, den genauen finanziellen Verlust, der durch Stephans Betrügereien entstanden war, zu beziffern, sosehr er sich auch bemüht hatte. Doch Fygen hatte auf die Nachricht erstaunlich gelassen reagiert. Das jedenfalls hatte Lisbeth den Briefen entnommen, die Fygen den Warensendungen aus Valencia beigefügt hatte.

Ihre Mutter und Mertyn waren übereingekommen, dass Fygen ihre Rohseide nun an ihn lieferte – freilich nicht mehr im Auftrag der Ravensburger Handelsgesellschaft –, was sie für Lisbeth nochmals um einiges günstiger machte.

Weit mehr schien Fygen dagegen die Enttäuschung über Stephans Verrat zu bekümmern. »Sag Katryn, es tut mir unendlich leid. Ich habe mich geirrt und bitte sie inständig um Vergebung«, hatte sie geschrieben.

Auf diese Worte hatte Lisbeth sich keinen Reim machen können, aber als sie Mertyns Mutter gegenüber Fygens Worte wiederholt hatte, hatte diese wissend genickt. »Das hatten wir alle damals nicht erwartet. Fygen trifft keine Schuld.«

Lisbeth musste ihre Schwiegermutter verständnislos angeblickt haben, denn erklärend hatte diese hinzugefügt: »Es war deine Mutter, Lisbeth, die mich damals angefleht hat, Stephan um der Barmherzigkeit willen zu mir zu nehmen und wie einen eigenen Sohn aufzuziehen.« Seufzend hatte Katryn innegehalten, doch nach einem Moment des Zögerns hatte sie sich entschlossen, Lisbeth die ganze Wahrheit zu erzählen.

»Mertyn, mein Mann, konnte seine Finger nicht von den Frauen lassen. Eines Tages war es dann geschehen: Er hatte eines meiner Lehrmädchen geschwängert. Ich jagte das Luder sofort aus dem Haus, aber Fygen nahm das Mädchen auf, bis es sein Kind zur Welt gebracht hatte. Danach kam deine Mutter zu mir und redete mir ins Gewissen, das Kind zu mir zu nehmen. Sie konnte nicht ahnen, was geschehen würde. Keiner konnte das.« Resigniert hatte Katryn die Hände vor das Gesicht geschlagen.

Für Mertyns Mutter war es ein Schock gewesen, dachte Lisbeth betrübt und strich Katryn sanft über die Stirn. Stephans Schändlichkeiten hatten sie so sehr erregt, dass sie einen Schwächeanfall erlitten hatte. Wochenlang hatte sie das Bett gehütet und sich danach nicht wieder richtig erholt.

Heute war sie zum Morgenmahl nicht erschienen, und als Lisbeth in ihre Kammer hinaufgestiegen war, hatte sie Katryn mit Erschrecken in diesem beängstigenden Zustand zwischen Wachen und Dämmern vorgefunden.

Lisbeth spürte die Bewegung auf der Bettstatt mehr, als dass sie sie sah. Katryn hatte die Augen aufgeschlagen und blickte sie an. »Es ist … bald so weit«, flüsterte sie mit schwacher Stimme, die wie das Rascheln von Papier klang.

»Scht, das darfst du nicht sagen«, beschwichtigte Lisbeth. »Du wirst wieder gesund.«

Katryn schloss die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie fühlte, wie es um sie stand. »Hol Mertyn. Ich habe … Wichtiges … zu besprechen.«

Kaum vermochte Lisbeth ihre Worte zu vernehmen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sich erhob.

Behutsam öffnete Lisbeth die Tür zur Stube. Ihr bot sich ein friedvoller Anblick. Mertyn und der nun bald zweijährige Andreas saßen auf den blankpolierten Holzdielen. Andreas hielt ein farbiges Ei mit beiden Fäusten fest umklammert. Die kleine Zunge voller Eifer zwischen die Zähne geklemmt, hieb er damit auf ein anderes Ei ein, das Mertyn in seiner Rechten hielt.

Seit ein paar Jahren war es in Mode gekommen, für die Ostertage Eier hart zu kochen und sie mit Pflanzenrinde bunt einzufärben, eine Sitte, die, wie es hieß, die Seeleute aus den neuen Ländern jenseits der Meere mitgebracht hatten.

Doch gleich, woher der Brauch stammte, die Kinder hatten ihren Spaß daran. Und nicht nur die Kinder, dachte Lisbeth, als sie das Vergnügen im Gesicht ihres Gemahls sah.

Es knirschte, und Andreas stieß ein freudiges Geheul aus. Er hatte gewonnen. Sein Ei war heil geblieben, während die Schale des Eis seines Vaters gesprungen war. Gierig griff Andreas nach dem beschädigten Ei und hielt seine Trophäe stolz in die Höhe. Dann legte er es zu den drei anderen Eiern, die er seinem Vater bereits abgenommen hatte, und forderte: »Noch mal!«

»Mertyn«, sagte Lisbeth mit belegter Stimme. Nur ungern störte sie die beiden in ihrem Spiel.

Mertyn reckte träge die steifen Glieder. Als er jedoch den besorgten Ausdruck auf Lisbeths Gesicht erblickte, kam er sofort auf die Beine. »Mutter?«, fragte er, und die Freude erlosch auf seinem Gesicht.

Lisbeth nickte. »Sie ist sehr schwach. Sie hat nach dir gefragt.«

Als Mertyn und Lisbeth in Katryns Kammer traten, erhellte ein schwaches Lächeln die Züge der Kranken. »Ich habe … kein Testament aufgesetzt«, flüsterte Katryn. Das Sprechen fiel ihr sichtlich schwer.

Mertyn und Lisbeth traten nah an die Bettstatt heran, um ihre Worte zu verstehen.

»Ich habe …« Katryn brach ab und schöpfte Luft. Müde streckte sie den Arm aus und ergriff Lisbeths Hand. »… Geld beim Fugger … Erbe meines Vaters.« Für einen Moment schloss sie die Augen, als sammele sie Kraft für die folgenden Worte. »Das Seidamt … nimm das Geld … mach das Seidamt wieder zu dem, was es war!« Katryns müde Augen hielten Lisbeths Blick fest, forderten ein Versprechen.

Lisbeth schossen die Tränen in die Augen. Dennoch hielt sie Katryns Blick stand. »Das werde ich!«, versprach sie mit erstickter Stimme. »Das werde ich!«

Mit einem Seufzer ließ Katryn Lisbeths Hand los und schloss die Augen. Ihre Züge schienen sich zu entspannen. »Ruft Pater Anselm«, flüsterte sie.

So still Katryn in den letzten Jahren gelebt hatte, so leise verabschiedete sie sich aus dem Leben. Nur wenige Stunden, nachdem Pater Anselm ihr die Beichte abgenommen und die Sterbesakramente erteilt hatte, schlossen sich die nussbraunen Augen der Seidmacherin zum letzten Mal.

 

Feine Staubkörnchen tanzten in dem kalten Sonnenstrahl, der durch das Fenster der Seidenwerkstatt in Sankt Peter fiel. Mit einem tiefen Seufzer ließ Clairgin das fast leere Schiffchen zwischen den Kettfäden hindurchgleiten. Sorgfältig wickelte sie das Fadenende um den äußeren Kettfaden und schlug zum letzten Mal die Kammlade an. Zum allerletzten Mal. Dies war ihr letztes Seidentuch. Kritisch betrachtete Clairgin das Gewebe. Es war gerade wenige Fuß lang geworden, aber sie hatte kein Seidengarn mehr und auch kein Geld, um neues zu kaufen.

Reglos blieb Clairgin an ihrem Webstuhl sitzen, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Es war vorbei. Sie würde das Weben aufgeben und die Werkstatt schließen müssen.

Zwar hatte Brigitta van Berchem ihr angeboten, Clairgin könne für sie im Verlag weben, und auch Frieda Medman hatte angedeutet, sie gerne als Weberin beschäftigen zu wollen. Wie die Geier schienen sie nur darauf zu warten, dass ihr das Geld ausging. Doch brüsk hatte Clairgin die Angebote von Brigitta und Frieda ausgeschlagen. Nicht um alles in der Welt wollte sie für die reichen Seidmacherinnen arbeiten, sich für ihre Arbeit mit einem Almosen abspeisen und von ihnen auch noch von oben herab behandeln lassen.

Nun jedoch kamen Clairgin Zweifel, dass sie vielleicht zu vorschnell entschieden hatte, und für einen Moment wurde sie in ihrem Entschluss wankend. Anders als die meisten anderen Seidmacherinnen hatte sie keinen Ehemann, der für sie sorgte. Wovon sollten sie und ihre Töchter leben? Sie hatte nichts anderes gelernt als das Seidenweben. All ihre Fähigkeiten, auch, dass sie eine der besten Seidmacherinnen der Stadt war, wären ihr zu nichts mehr nütze.

Entschlossen richtete Clairgin sich auf und hieb die Faust in die hohle Hand. Nein! Zum Teufel, nein! Ihr Entschluss stand fest. »Hilf mir beim Abscheren!«, wies sie Susanna, ihre ältere Tochter, an.

Behende griff das Mädchen zur Schere. Sie und ihre jüngere Schwester Maria hatten schon früh gelernt, ihrer Mutter in der Werkstatt zur Hand zu gehen.

Als sie die letzten Fadenreste vom Kettbaum gepflückt hatten, traten zwei Knechte der van der Sars herein. Abschied nehmend strich Clairgin über den Kettbaum des letzten Webstuhls, der in ihrer Werkstatt verblieben war, dann trat sie beiseite, um den Knechten Platz zu machen.

Schnell und kundig zerlegten diese den Webstuhl, an dem Clairgin so viele Stunden ihres Lebens verbracht hatte, und zahlten ihr den Kaufpreis, den sie mit Mechthild van der Sar vereinbart hatte, in die Hand. Dann luden sie sich die Holme auf die Schultern und verließen mit ihrer Last die Werkstatt.

Einen Moment starrte Clairgin auf die Tür, die sich mit einem Klappen hinter ihnen geschlossen hatte, dann band sie sich die Schürze ab und hängte sie an einen Haken. »Fegt noch die Garnreste zusammen, die auf dem Boden liegen«, befahl sie ihren Töchtern und wies in die Ecken des Raumes. »Ich bin bald zurück.«

Der Weg von Sankt Peter zum Alter Markt zog sich, doch die Bewegung tat Clairgin gut und zauberte eine sanfte Röte auf ihre Wangen. Vor dem Goldenen Krützchen hielt Clairgin inne und schöpfte tief Luft. Dann stieß sie entschlossen die Tür auf.

»Clairgin van Breitbach! Wie schön, dass Ihr mich besuchen kommt«, begrüßte Rudolf sie. »Wie komme ich zu der seltenen Ehre?«

Verlegen zwirbelte Clairgin mit den Fingern einen Faden, der sich von ihrem Umhang löste. »Darf ich Euch eine Frage stellen«, bat sie.

»Nur, wenn ich sie beantworten kann«, sagte Rudolf lächelnd.

»Braucht Ihr eine tüchtige Schankmagd?«, fragte Clairgin.

 

Lisbeth strich sich mit der Hand über den Leib, dann nahm sie eine neue Spule zur Hand, wickelte das Fadenende ein Stück weit ab und legte die Spule in das Schiffchen. Sorgfältig verwebte sie das Fadenende am Rand, dann ließ sie das Schiffchen auf der ganzen Länge durch die Kettfäden gleiten. Sie zog die Kammlade an und trat das Pedal. Wieder glitt das Schiffchen durch die gespannten Seidenfäden.

Nach drei weiteren Reihen arbeiteten Lisbeths Hände wie von selbst, ohne dass sie darauf zu achten hatte, während ihre Gedanken sich dem Problem zuwandten, an dem sie seit Katryns Tod kaute und für das sie bislang keine Lösung gefunden hatte: Wie sollte sie Katryns Letzten Willen erfüllen?

Das Guthaben beim Fugger, das Mertyns Mutter ihr vermacht hatte, belief sich auf zehntausend Gulden. Davon konnten einige der ärmeren Seidmacherinnen lange leben. Doch es machte wenig Sinn, ihnen einfach das Geld zu geben. Wenn sie es verbraucht hätten, stünden die Frauen genauso arm da wie zuvor.

Das Klappen der Werkstatttür riss Lisbeth aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf und sah Mertyn eintreten. Aufgeräumt grüßte er die Weberinnen und wechselte einige freundliche Worte mit ihnen.

Ein Lächeln schlich sich auf Lisbeths Lippen. Mertyn schien seit der Geburt des kleinen Andreas wie verwandelt. Nicht einen Morgen – so er in der Stadt war – hatte er es versäumt, an die geschnitzte Wiege zu treten und seinem Sohn einen guten Morgen zu wünschen. Und mehr als ein Mal hatte Lisbeth ihren Gemahl dabei überrascht, wie er, energischen Schrittes auf und ab gehend, mit dem Jungen ernste Zwiesprache über die Belange seiner Geschäfte gehalten hatte, ganz so, als spräche er mit einem ausgewachsenen Handelsherrn.

Zu Lisbeths Freude hatte die Zuneigung, die Mertyn seinem Sohn entgegenbrachte, dazu geführt, dass er auch ihr mit größerer Aufmerksamkeit begegnete. Immer noch kümmerten ihn die Angelegenheiten des Rates und der Gaffeln, doch inzwischen verbrachte er so manchen Abend in ihrer Gesellschaft, anstatt sich bis spät in seinem Kontor zu vergraben.

Und so war schließlich das gekommen, was Lisbeth sich einst so sehnsüchtig gewünscht hatte: Sie war wieder in Umständen. Man sah es ihr noch nicht deutlich an, doch ihre Wangen waren voller geworden, und sie band die Schnürung ihres Kleides schon ein gutes Stück lockerer.

»Wie viel von der Seide aus Valencia willst du haben?«, unterbrach Mertyn ihre Gedanken.

Vor wenigen Tagen war wieder eine Rohseidenlieferung aus Valencia eingetroffen und wartete nun in einem der Lagerhäuser am Rhein darauf, verkauft zu werden.

Die Seide aus Valencia! Genau das war es, dachte Lisbeth. Warum war sie nicht eher darauf gekommen? »Alles!«, entschied sie und strahlte Mertyn an.

»Alles? Es sind fünftausend Pfund! Bist du dir sicher?«, fragte Mertyn, die Stirn zweifelnd in Falten gelegt.

»Ganz sicher!« Lisbeth sprang auf, und vor den Augen der schmunzelnden Weberinnen schloss sie ihren Gemahl voller Überschwang in die Arme, um nur wenig später ihre Lehrmädchen in alle Richtungen davonzuschicken. Sie wünschte so bald wie möglich die Seidmacherinnen zu sprechen, die für sie im Verlag webten.

Ida Rummels war die Erste, die ihrer Bitte Folge leistete. Lisbeth empfing sie in ihrer Schreibstube. »Ich möchte Euch ein Geschäft vorschlagen.« Lisbeth kam sofort zur Sache, kaum dass Ida auf der Kante ihres Stuhles Platz genommen hatte. »Was haltet Ihr davon, nicht länger für mich arbeiten zu müssen?«

Erschrecken zeichnete sich auf dem rundlichen Gesicht der Weberin ab, daher fuhr Lisbeth hastig fort: »Nein, versteht mich nicht falsch. Ich schätze Eure Arbeit.« Beruhigend schüttelte sie den Kopf, während Ida unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte, den Blick wachsam auf ihre Brotherrin gerichtet.

»Hört Euch meinen Vorschlag an«, sagte Lisbeth. »Ich gebe Euch fünf Zentner Rohseide aus Valencia, die beste, die es gibt. Der Zentner kostet um die dreihundert Gulden. Ich gebe sie Euch für zweihundertfünfzig, zu dem Preis, zu dem auch ich sie bekomme. Ihr könnt sie spinnen lassen und verweben, auf Eure eigene Rechnung. Und erst in einem halben Jahr, wenn Ihr die Seidenstoffe längst verkauft habt, bezahlt Ihr mir die Rohseide.« Kurz überschlug Lisbeth die Monate. »Am Martinstag«, fügte sie hinzu. »Was haltet Ihr davon?« Aufmerksam blickte sie Ida an und harrte deren Antwort.

»Es klingt wie ein sehr gutes Angebot«, sagte Ida vorsichtig. Dann verfiel sie für eine Weile in Schweigen und nagte an ihrer breiten Unterlippe. Lisbeth konnte förmlich sehen, wie es unter der weißen Haube der Weberin arbeitete.

»Was ich nicht verstehe, ist, was Ihr davon habt«, sagte Ida schließlich. »Mit fünf Zentnern habe ich ein halbes Jahr zu tun«, überlegte sie laut. »Und wenn ich auf eigene Rechnung arbeite, kann ich nicht für Euch weben. Euch fehlt eine Weberin. Was also habt Ihr davon?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Nichts«, entgegnete Lisbeth. In der Tat würde es eine deutliche Einbuße bedeuten, wenn weniger Weberinnen für sie arbeiteten. Doch Mertyns Geschäfte florierten ausnehmend gut. Da würde es nicht schaden, wenn sie weniger verdiente. Überdies hatte sie nun ein Kind, das nach ihrer Aufmerksamkeit verlangte, und bald würde sie ein zweites bekommen.

»Nichts«, wiederholte sie. »Ich habe nichts davon. Außer, dass ich dafür sorge, dass es auf lange Sicht eine Seidmacherin mehr gibt, die auf eigenen Beinen stehen kann und nicht mehr gezwungen ist, für eine Verlegerin zu arbeiten. Wenn Ihr die Seide verwebt und mir das Geld zurückgezahlt habt, bin ich bereit, Euch zu den gleichen Bedingungen abermals Seide zur Verfügung zu stellen. Und zwar so oft, wie Ihr es benötigt, bis Ihr ohne meine Hilfe auskommt.«

Ungläubig starrte Ida sie an. »Ihr seid ein guter Mensch, Lisbeth Ime Hofe«, brachte sie hervor. »Danke Euch tausendfach! Natürlich nehme ich Euer großzügiges Angebot an!«

»Euer Dank gilt nicht mir, sondern dem Andenken der Frau Zur Roten Tür. Es ist ihr Wille und ihr Geld, die das möglich machen«, widersprach Lisbeth. Als Ida ihre Schreibstube verlassen hatte, lehnte sie sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück. Der Anfang war gemacht.

Ähnlich und mit gleichem Erfolg wie das Gespräch mit Ida Rummels verliefen auch die Unterredungen mit den drei anderen Seidmacherinnen, die für Lisbeth arbeiteten.

Auch zu Clairgin van Breitbach hatte Lisbeth ein Lehrmädchen geschickt, doch wie sie befürchtet hatte, kam es unverrichteter Dinge zurück. »Frau van Breitbach lässt ausrichten, sie webe nicht mehr«, erklärte das Mädchen. »Und wenn Ihr sie zu sprechen wünscht, dann sollt Ihr sie selbst aufsuchen. Der Weg nach Sankt Alban sei schließlich genauso weit wie der nach Sankt Peter.«

Kurz erwog Lisbeth, tatsächlich selbst zu Clairgin zu gehen. Doch was hatte es für einen Sinn? Clairgins abweisender Botschaft nach zu schließen, würde das nur in unerfreulicher Streiterei enden.

Zu Lisbeths Erstaunen fanden an den darauffolgenden Tagen noch vier weitere Seidmacherinnen den Weg zu ihr: Liese Backes und Gundula von Bruwiler, die für Frieda Medman und ihre Tochter Dora arbeiteten, und zwei Frauen, die in den Diensten der Berchem-Schwestern standen. Sie hatten von Lisbeths Angebot an ihre Weberinnen gehört und fragten höflich an, ob auch sie vielleicht in den Genuss dieses Darlehens gelangen konnten. Nur zu gern kam Lisbeth ihrem Ansinnen nach.

Acht Weberinnen, für jede fünf Zentner zu zweihundertfünfzig Gulden – damit waren die zehntausend Gulden von Katryn aufgebraucht, dachte Lisbeth. Frieda und Dora Medman und die Berchem-Schwestern wären über ihr Vorgehen sicher nicht erfreut, doch was sollten sie schon dagegen unternehmen? Lisbeth tat schließlich nichts Verbotenes.

Obschon: Wie gefährlich und gerissen Brigitta van Berchem war, das hatte sie hinlänglich bewiesen. Wenn ihr jemand in die Quere kam, schreckte sie auch nicht vor Nötigung und Mord zurück.

Damals, als sie die ganze Wahrheit über Hermans Tod erfahren hatte, hatte Lisbeth daran gedacht, die Angelegenheit vor den Rat zu bringen. Doch wie hätte sie es beweisen sollen? Alberto hatte ein Geständnis abgelegt. Abgesehen davon verfügte Johann van Berchem nach wie vor über großen Einfluss. Er hätte nie zugelassen, dass man Seger oder seine Nichten peinlich befragte. Als einzige Folge hätte Lisbeth den Hass der Berchems noch mehr auf sich und ihre Familie gezogen, und wer weiß, was dann geschehen wäre? Herman und Alberto wären davon jedenfalls nicht wieder lebendig geworden.

Energisch schob Lisbeth ihre Furcht beiseite. Sie war es leid. Wenn sie nichts unternahm, würde bald die ganze Stadt nach Brigittas Pfeife tanzen.

Über ihren Gedanken hatte Lisbeth zunächst gar nicht gemerkt, dass ihre Nichte Sophie nicht an ihrem Webstuhl saß. Erst als Gertrud sie darauf aufmerksam machte, fiel ihr auf, dass sie das Kind in den letzten Stunden nicht gesehen hatte. Keine der Weberinnen und keines der anderen Lehrmädchen wusste, wo Sophie steckte.

Eiligen Schrittes ging Lisbeth ins Haus hinüber. Dort hatte man Sophie ebenfalls seit dem Morgen nicht gesehen, und sie war auch nicht in der Kammer unter dem Dach, die sie mit den anderen Mädchen teilte. Was, um Himmels willen, war dem Kind nun wieder eingefallen, dachte Lisbeth mit Sorge, in die sich auch eine gehörige Portion Groll mischte.

»Spann den Wagen an«, befahl sie Mathias, Mertyns Knecht. »Wir fahren in die Wolkenburg!«

Nach Stephans Verschwinden hatte das Haus, das Peter Lützenkirchen einst für Fygen gekauft hatte, leer gestanden, und so war Andreas Imhoff mit seiner Familie dort eingezogen. Denn die Wolkenburg war ein behaglicherer und würdigerer Wohnsitz als das Haus Zum Kleinen Ochsen. Nur dass die Imhoffs dort mietfrei wohnten, vergaß ihr Schwager stets zu erwähnen, wenn er die Vorzüge seines neuen Heimes pries.

Nachdem sich die Oberdeutschen Handelsgesellschaften aus Köln zurückgezogen hatten, waren die Geschäfte für Andreas nicht gut gelaufen. Er hatte weder Mertyn noch Hans Her dazu überreden können, das Handelsverbot zu missachten und mit ihm – unter Schwägern – Geschäfte zu tätigen. Erst Anfang dieses Jahres hatte er sich endlich dazu durchgerungen, das kölnische Bürgerrecht zu erwerben, wie Hans es ihm schon vor Jahren geraten hatte.

Lisbeth hoffte inständig, dass Sophie nach Hause zu ihren Eltern gelaufen war, obwohl ihr dafür kein Grund einfallen mochte. Denn sollte dies nicht der Fall sein, könnte ihr wer weiß was zugestoßen sein, und Lisbeth sähe sich zudem in der unangenehmen Lage, ihrem Schwager erklären zu müssen, dass ihr das Kind, für das sie Sorge trug, entwischt war.

Als Mathias gerade den Wagen in die Cäcilienstraße lenken wollte, fiel Lisbeth etwas ein, was Ursache für Sophies Verschwinden gewesen sein mochte: Gestern am späten Nachmittag war Jacobus, der ältere Geselle von Färber Quettinck, gekommen, um ungefärbte Seidenballen zu holen, und Lisbeth hatte gesehen, wie er Sophie ein Briefchen zugesteckt hatte.

Sie hatte nicht weiter darauf geachtet, hatte gedacht, es wäre eines der üblichen Billetts, die Sophie und der junge Godert seit längerem austauschten. Doch vielleicht hatte dieser Brief etwas anderes beinhaltet als heimliche Liebesbeteuerungen, wie sie junge Leute einander zu schreiben pflegten?

»Mathias, fahr weiter geradeaus nach Sankt Peter zu Meister Quettinck«, befahl Lisbeth.

Als sie in Quettincks Werkstatt Onder Blauverfer trat, fand Lisbeth den Färbermeister überrascht, doch erfreut über ihren Besuch. »Ich suche meine Nichte, Sophie. Ist sie womöglich hier bei Euch?«, erläuterte sie Quettinck den Grund ihres Besuches, bemüht, sich ihre Sorge um Sophie nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

Verdutzt blickte der Färber Lisbeth an, dann führte er sie über den Hof in die Werkstatt. Ein rascher Blick in den Raum sagte ihnen, dass auch Godert nicht bei seiner Arbeit war.

Doch anders als Lisbeth, schien Quettinck Sophies und Goderts Verschwinden nicht zu beunruhigen. Ein tragisch-mitleidvolles Lächeln huschte über die ledrige Haut seines Gesichts. »Ja, die junge Liebe«, sinnierte er. Auch ihm waren die zarten Bande nicht entgangen, die sich zwischen Lisbeths Nichte und seinem Lehrjungen gesponnen hatten.

»Ich möchte jetzt nicht in der Haut des jungen Mannes stecken«, sagte er. »Denn ich glaube, Godert hat seiner Liebsten etwas mitzuteilen, was ihr ganz und gar nicht gefallen wird.«

Verständnislos starrte Lisbeth ihren Färber an.

»Der Dachboden. Vielleicht sind sie dort oben«, erklärte dieser mit einem Schmunzeln und erbot sich, für sie dort nachzuschauen.

Doch Lisbeth winkte ab. Sie würde diese Angelegenheit selbst erledigen und ihrer Nichte gründlich den Kopf waschen, sollte sie tatsächlich dort oben sein. Energischen Schrittes stieg sie die hölzernen Treppen zum luftigen Dachboden des Färberhauses hinauf.

An Leinen, die über die ganze Längsseite des Hauses gespannt waren, hingen hier Tuche in allen Farben des Regenbogens zum Trocknen. Wie bunte Zeltdächer muteten die feuchten Bahnen an, und Lisbeth erblickte Sophie und Godert unter dem smaragdgrünen Himmel einer Seidenbahn, kaum dass sie die letzte Stufe der Stiege erklommen hatte. Zornig machte sie einen Schritt auf die beiden zu, doch das Bild, das sich ihr bot, ließ sie innehalten.

Godert war von dem schlaksigen Jüngling, der er vor Jahren noch gewesen war, zu einem hochgewachsenen jungen Mann herangereift, dem die schwere Arbeit breite Schultern und kräftige Muskeln beschert hatte. Sophie hatte ihren Kopf an seine breite Brust gelehnt, und Godert hielt sie vorsichtig mit den Armen umschlossen, als umfasse er eine zerbrechliche Kostbarkeit. Die beiden waren so ineinander versunken, dass sie Lisbeths Eintreten nicht bemerkten.

»Es ist doch nicht für lang. Ein paar Jahre nur …«, flüsterte Godert in Sophies Haar, doch laut genug, dass Lisbeth seine Worte verstehen konnte.

»Ein paar Jahre!«, stieß Sophie heftig hervor. »Bloß ein paar Jahre! Mein Vater …« Ihre Stimme schien zu bersten.

»Und dann komme ich zu dir zurück und spreche mit deinem Vater«, suchte Godert sie zu besänftigen.

Die Verzweiflung in der Stimme ihrer Nichte hatte allen Zorn in Lisbeth schwinden lassen. »Sophie«, sagte sie leise und machte einen weiteren Schritt auf die beiden zu.

Sophie und Godert fuhren ertappt auseinander.

»Frau Ime Hofe! Zürnt Eurer Nichte nicht, es ist meine Schuld. Ich …«, hob Godert sogleich zu einer Erklärung an, doch Lisbeth ließ ihn nicht weitersprechen. »Sophie, es wird Zeit, zu gehen!«, mahnte sie.

Hastig kramte Godert aus dem Beutel, der ihm vom Gürtel hing, etwas hervor, ergriff Sophies Hand und ließ es hineingleiten. Dann schloss er behutsam Sophies Finger darum. »Auf bald«, flüsterte er.

Sophie war unfähig, zu antworten.

»Sophie?«, fragte Lisbeth.

Unwillig verzog das Mädchen das Gesicht. Dann stellte es sich auf die Zehenspitzen, beugte sich vor und küsste Godert zum Abschied auf die Lippen. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und folgte ihrer Tante die Stiege hinab.

Erst als sich das Tor des Quettinckschen Hauses hinter ihnen geschlossen hatte, ließ Sophie ihrem Kummer freien Lauf. »Er will auf Wanderschaft gehen, Tante Lisbeth!«, klagte sie und begann haltlos zu weinen. »Kannst du nichts dagegen tun?«

Wortlos schloss Lisbeth das Kind in ihre Arme und wiegte es, bis das Schluchzen leiser wurde, dann half sie Sophie auf den Wagen.

»Kannst du es Godert verdenken, dass er lernen will, sein Handwerk noch besser zu beherrschen?«, fragte sie, als Mathias die Zügel lockerte und sich der Wagen in Bewegung setzte. Sanft strich sie Sophie eine feuchte Strähne aus dem Gesicht. »Du solltest stolz auf ihn sein. Wenn er zurückkehrt, wird er einer der besten Seidfärber der Stadt.«

»Wenn er zurückkehrt, hat Vater mich längst an einen ekelhaften alten Mann verheiratet«, stieß Sophie unglücklich hervor.

»Ich wäre beinahe in die Wolkenburg zu deinen Eltern gefahren, weil ich dachte, du seiest dort«, sagte Lisbeth. »Du kannst von Glück sagen, dass ich gesehen habe, wie Jacobus dir den Brief gab.«

Erschrocken presste Sophie die Hand auf den Mund. »Oh, Tante Lisbeth! Bitte sag es ihnen nicht! Und verzeih mir, dass ich einfach so davongelaufen bin. Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn noch einmal sehen.« Wieder entschlüpfte ihr ein Schluchzer.

»Ich werde es ihnen nicht verraten«, beruhigte Lisbeth sie. »Wenn du mir versprichst, nie wieder davonzulaufen.«

»Das verspreche ich!«, beteuerte Sophie, und in diesem Moment meinte sie es auch so. Immer noch hielt ihre kleine Faust den Gegenstand, den Godert ihr gegeben hatte, fest umschlossen. »Was hat Godert dir gegeben?«, fragte Lisbeth, um Sophies Gedanken in andere Bahnen zu lenken.

Behutsam öffnete Sophie die Faust. Auf ihrem Handteller lag ein kleiner hölzerner Anhänger in Form eines winzigen Weberschiffchens. Eine feine Schnitzarbeit, die Godert für seine Liebste gefertigt hatte.

Lisbeth fuhr bewundernd mit dem Finger darüber. »Wie schön! Dein Godert ist wirklich ein Künstler«, sagte sie.

Als sie das Haus Zur Roten Tür erreicht hatten, führte Lisbeth Sophie geradewegs in ihre Schlafkammer hinauf. »Ich glaube, ich habe etwas für dich«, sagte sie, öffnete den kleinen Kasten, in dem sie ihren Schmuck aufbewahrte, und nahm ein silbernes Kleinod heraus. Es war das Armband, das Stephan ihr einst geschenkt hatte. Lisbeth würde es nie wieder anlegen, doch sie sah keinen Grund, warum Sophie es nicht tragen sollte. »Ich schenke es dir«, sagte sie und reichte ihrer Nichte das Band. »Du kannst den Anhänger daran befestigen.«

 

»Was für eine Frechheit!« Brigitta van Berchem schäumte vor Wut. Ihre spitz vorspringende Nase war weiß vor Zorn, und auf ihren hageren Wangen hatten sich rote Flecken der Empörung gebildet. Erregt lief sie in ihrem Kontor vom Kamin zum Tisch und wieder zurück, während sie aufgebracht vor sich hin schimpfte. Ihre Schwester Gunda begleitete ihre unstete Wanderung mit einem Schritt Abstand.

»Freches Miststück!«, fluchte Brigitta. »So eine Dreistigkeit! Was glaubt sie, wer sie ist? Das kann sie mit einer van Berchem nicht machen!«

Eine Weile fuhr Brigitta darin fort, auf und ab zu gehen und zu fluchen, bis sie plötzlich mitten im Schritt innehielt und ihre Faust in die hohle Hand hieb. »Ja, so kann es gehen!«

Gunda, die nicht bemerkt hatte, dass ihre Schwester stehen geblieben war, stieß unsanft in Brigittas Rücken.

»Kannst du nicht aufpassen!«, herrschte Brigitta sie an. »Was stehst du so dumm da? Lauf und hol mir Grete Elner her!«, fauchte sie.

Nicht lange darauf trat Grete in das Kontor im Haus Xanten. Es war nicht ratsam, die Frau van Berchem lange warten zu lassen.

»Ihr wünscht mich zu sprechen?«, fragte Grete höflich. »Habt Ihr Arbeit für mich?«

»Ja!«, beschied Brigitta ihr. Sie hielt es nicht für nötig, Grete einen Platz anzubieten. »Aber du sollst nicht weben. Das überlassen wir getrost anderen. Außerdem bist du eine lausige Weberin. Du würdest mir den Ruf ruinieren.«

Grete schnappte ob dieser Unhöflichkeit nach Luft, doch Brigitta war noch nicht fertig mit ihren Verunglimpfungen. »Ich habe dich rufen lassen, weil du faul bist, dreist und verschlagen.«

Empört blies Grete die Backen auf. Auch wenn es Frau van Berchem war, die vor ihr stand – beleidigen lassen musste sie sich nicht. Giftig blickte sie auf die drahtige Seidmacherin, die sie um mehr als Haupteslänge überragte, herab und holte Luft zu einer harschen Entgegnung.

Doch mit einer einzigen Handbewegung schnitt Brigitta ihr das Wort ab. »Wie ich dich kenne, kannst du Geld brauchen. Ich schlage dir daher ein Geschäft vor, das sich für dich lohnen wird.«

Brigitta hatte sie richtig eingeschätzt, denn Grete schluckte ihre Wut hinab und lauschte mit wachsendem Respekt, während Frau van Berchem ihr einen Vorschlag unterbreitete, der an Durchtriebenheit kaum zu überbieten war. Als Brigitta geendet hatte, pfiff sie anerkennend.

»Das verstehe ich als Zustimmung?«, schnarrte Brigitta.

Grete grinste breit und nickte.

Drohend trat Brigitta ganz nah an Grete heran und bohrte ihren dunklen Blick in deren wässrige Augen. »Wag es ja nicht, mich zu betrügen!«, zischte sie. »Und glaub nicht, dass ich dir das Geld auf einmal gebe, damit du dich damit aus dem Staub machst.« Brigitta griff nach einem ledernen Beutel, der auf dem Tisch lag. »Dies sind dreihundert Gulden. Eine Summe, der sie nicht widerstehen können! Du bringst die Seide hierher, bevor du sie zum Spinnen trägst, damit ich sie sehe. Dann erst bekommst du neues Geld.«

Hochzufrieden verließ Grete das Haus Xanten. Heute noch würde sie ihr letztes Lehrmädchen nach Hause schicken, überlegte sie. Sicher ist sicher. Bei dem, was sie vorhatte, konnte sie keine neugierigen Ohren und Augen in der Werkstatt gebrauchen, und überdies hatte sie nun keine Verwendung mehr für das Mädchen – ohnehin eine dusselige Trine, die das Geld nicht wert war, das sie verfraß.

Das war ein Geschäft nach ihrem Geschmack, freute Grete sich. Eine gute Weile würde sie sich jetzt nicht mehr hinter ihren Webstuhl setzen müssen, denn sie würde Geld verdienen, ohne dafür mit den eigenen Händen zu arbeiten. Und es würde mehr Geld sein, als Brigitta erwartete, dachte sie voller Genugtuung und rieb sich die Hände. Weit mehr, als der Frau van Berchem lieb war!