ANITA
Ralf Steiner tobte vor Wut. Die Kobaliks hatten es ihm erzählt. Sie mussten Christians nächtlichen Besuch vom Fenster aus beobachtet haben.
»Sie halten sich nicht an meine Vorgaben!«, brüllte mich der Anwalt zornig an. »Ich hatte absolutes Hausverbot über Ihren Ex verhängt! Ja, wie blöd sind Sie denn, dass Sie den einfach so wieder reinlassen!« Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
Dann wollte er wissen, was Christian noch von mir gewollt habe.
»Nichts, er wollte nur reden.«
»Hat er Wertsachen mitgenommen?« Ralf Steiner ging alarmiert durchs Haus und fotografierte alle Möbel, Bilder, Teppiche, Elch- und Bärenköpfe, um sie notfalls bei Gericht als Beweismittel vorzulegen.
Hätte Christian diese grässlichen Dinge doch mitgenommen! Als ich Ralf Steiner erzählte, dass er es doch lediglich nur noch mal mit mir versuchen wollte, war es um seine guten Manieren vollständig geschehen. Er schlug mit der Faust auf den Glastisch, dass die künstlichen Weintrauben der Kobaliks aus ihrem Kelch flogen.
»Sie glauben doch nicht, dass ich mir das gefallen lasse! Die Scheidung LÄUFT!«, brüllte er mich an. »Sie lassen den Kerl keinen Millimeter mehr auf das Grundstück, geschweige denn ins Haus. Es wird überhaupt nicht mehr über den Fortbestand der Ehe diskutiert!«
»Ja, ja«, stammelte ich eingeschüchtert. Meine Güte, noch nie hatte ich einen Mann so schreien hören. Christian hatte nie die Stimme gegen mich erhoben und erst recht nicht mit der Faust auf den Tisch gehauen.
»Der Mann schuldet mir inzwischen über fünfzigtausend Euro!«, schrie Ralf Steiner. »Was denken Sie denn, was meine Extra-Arbeitsstunden über Silvester und meine Dringlichkeitsanträge bei Gericht gekostet haben? Ich bin über vierhundert Kilometer gefahren, damit Sie das neue Jahr als freie Frau beginnen können! Ich bin in Vorleistung gegangen. Weil die Kobaliks sich so für Sie eingesetzt haben!«
»Ja, danke, ich weiß das auch sehr zu schätzen …« Oh Gott, fühlte ich mich klein. Ich wollte nicht in Ralf Steiners Schuld stehen! Und in Kobaliks schon gar nicht!
»Offensichtlich NICHT!«, fiel der vor Zorn Rasende mir ins Wort. »Wenn Sie hier hinter meinem Rücken gegen mich arbeiten, wird Sie das teuer zu stehen kommen! Wie stehe ich denn jetzt da vor Gericht! Ich verliere ja mein Gesicht!«
»Nein, wirklich, das war nicht meine Absicht …« Ich weinte fast. Jetzt hatte ich den Mann in seiner Berufsehre gekränkt. Daran hatte ich nicht gedacht, als ich Christian hereinschlüpfen ließ.
»Und die Kobaliks machen auch nur Mist!«, brüllte er mich weiter an. »Wie können die dem Flöte spielenden Goldesel denn den Stuhl unterm Hintern wegziehen?« Er schlug sich fassungslos vor die Stirn und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Der ist Wiener Philharmoniker! Nicht dritte Geige im Schrammelorchester von Bad Oeynhausen!«
»Aber ich dachte, genau das wollten Sie …« Hatte Ralf Steiner nicht mit hochgereckter Faust gesagt, dass Christian ihn im Golf besiegt habe und er nun IHN besiegen würde?
»Aber erst, wenn der Mann GEZAHLT hat! Wie blöd kann man eigentlich sein!« Der Anwalt trat so fest gegen den toten Bärenkopf, dass es staubte. »Bei dem ist jetzt auf die Schnelle gar nichts mehr zu holen!«
»Ich weiß nicht, ich …«
»Haben Sie seine Kreditkarten sperren lassen?«
»Ähm … nein, natürlich nicht.« Ich wusste gar nicht, wie so etwas ging, Kreditkarten sperren lassen. Christian und ich hatten immer gemeinsame Konten gehabt. Ralf Steiner hatte jedoch schon Vorbereitungsmaßnahmen getroffen. Er zog einige Formulare aus seiner Aktentasche und ließ mich unterschreiben. Damit bevollmächtigte ich ihn, Christian die Konten sperren und noch ausstehende Honorare pfänden zu lassen. Außerdem wollte er wissen, wie der Filialleiter unserer Bank in Wien hieß.
»Ich habe Ihrem Exmann schon ein Friedensangebot gemacht, aber er ist nicht darauf eingegangen!«, schimpfte der Anwalt, nachdem er die unterschriebenen Formulare an sich gerissen und in seine Tasche gestopft hatte.
»Friedensangebot?!«
»Ja. Er hätte zwei Millionen Euro zahlen können, für Sie und die Kinder. Davon hätte ich dann mein Honorar und die Gerichtskosten abgezogen, und alle hätten ihre Ruhe gehabt. Aber er wollte meine ausgestreckte Hand ja nicht ergreifen.« Ralf Steiner wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich beeilte mich, ihm einen Drink einzuschenken. »Zwei Millionen? Ich glaube, so viel hat er nicht. Nicht mal, wenn er seine kostbaren alten Instrumente verkauft.« Meine Finger zitterten.
»Verteidigen Sie ihn jetzt auch noch?«, fuhr Ralf Steiner mich an. »SIE wollten die Scheidung! In aller Eile, noch einen Tag vor Jahresende! Und eine Scheidung kostet Geld! Vor allem, wenn ein Spitzenanwalt wie ich hinzugezogen wird!« Der Anwalt lief mit großen Schritten durchs Haus und fuhr prüfend mit den Fingern über Bilder und Möbel. »Soll der Kerl doch einen Kredit aufnehmen!«
»Ich weiß nicht …« Ich verstand von diesen Dingen nichts. Ich wollte nur, dass der Anwalt aufhörte, so zu brüllen. Schließlich waren meine armen Mädchen oben in ihren Zimmern. Ich konnte nur hoffen, dass sie wie immer Kopfhörer auf den Ohren hatten und ihre Lieblingsmusik hörten. Sie standen doch nicht etwa zitternd auf dem Treppenabsatz und lauschten diesen grässlichen Dingen über ihren Vater?
»Was ist eigentlich mit seiner Geliebten?« Der Anwalt wirbelte plötzlich zu mir herum. »Der gehört doch eine ganze Musikschule?! Die kriegt doch von Hunderten von Eltern monatlich Geld?«
»Keine Ahnung!« Ich zuckte die Schultern. »Ja, ich glaube, er hat so was erwähnt.«
Sie war ja so TÜCHTIG und kreativ und CHAOTISCH!
Der Anwalt riss sein Smartphone aus der Hosentasche und ließ sich über die Auskunft mit Heilewelt verbinden. »Geben Sie mir gleich ihre Handynummer«, befahl er.
Unglaublich! Nach einer Minute hatte er die rothaarige Schlampe in der Leitung. Mein Herz klopfte unrhythmisch. Mein Christian war zu ihr gefahren! Und sie war nicht loszueisen! Ja, sollte sie ruhig bluten! Wegen ihr steckte ich jetzt in dieser Situation. Und meine armen Töchter auch. Ich bekam mit, wie sie sich meldete. Im Hintergrund wurde gefiedelt, geflötet und getrötet. Sie unterrichtete wohl gerade.
»Ralf Steiner hier. Ich bin der gegnerische Scheidungsanwalt Ihres Liebhabers.«
Die Frau sagte etwas, das ich nicht verstand.
»Sie haben keinen Liebhaber? Dass ich nicht lache! Ihr Liebhaber heißt Christian Meran!«
Wieder antwortete die Frau, was, konnte ich jedoch nicht verstehen, weil sie von einer Triangel übertönt wurde, die klang, als wäre Feueralarm. Ich wäre nervlich mit diesem Lärm gar nicht zurande gekommen.
»Dann gehen Sie mal an einen Ort, wo es ruhig ist! Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Können Sie mich jetzt hören? Also: Friedensangebot. Das sage ich jetzt nur einmal und dann nie wieder. Wir lassen Sie und Ihren Liebhaber für immer in Ruhe, wenn Sie meiner Mandantin zwei Millionen Euro bezahlen.«
Er lauschte angestrengt, wobei er sich konzentriert über die kurze Stoppelfrisur strich. »Wie ich auf diese Summe komme? Das steht ihr zu, das habe ich ausgerechnet. Bei seinem früheren Einkommen als Wiener Philharmoniker … Aber das brauche ich Ihnen doch nicht zu erzählen, Sie sind schließlich vom Fach! Der Lebensstandard, den meine Mandantin gewohnt ist, muss gehalten werden. Da wären die Weltreisen, die … wie bitte? Es ist nicht Ihre Sache, die Ehefrau abzufinden? Das sehe ich aber ganz anders! Sie haben ihre Ehe zerstört und den Kindern den Vater genommen.«
Mein Herz pochte. Jawohl! Sollte doch die Besitzerin der Musikschule ausbaden, was sie angerichtet hatte!
Die Frau antwortete wieder, und Ralf Steiner fiel ihr lautstark ins Wort. »Das ist mir doch egal, dass Sie die Musikschule nicht besitzen, sondern nur leiten, und dass sie der Sparkasse gehört. Halten Sie mich nicht für blöd! Die Sparkasse, das ist Ihr allseits bekannter Lebensgefährte mit den gelben Luftballons. Der hat den Stein schließlich ins Rollen gebracht und meine Mandantin angerufen! Man muss Sie ja nur googeln, gute Frau, dann sieht man Sie, Ihren Lebensgefährten und ihre drei sommersprossigen Kinder von den Sparkassenplakaten grinsen. Wir sichern Ihren Kindern eine Zukunft! Ja, dann machen Sie das mal! Aber den Kindern meiner Mandantin auch!« Er lachte bollernd. »Zwei Millionen, die wird Ihr Lebensgefährte wohl auftreiben können, wenn er an der Quelle sitzt. Also, ich stelle Ihnen jetzt ein Ultimatum: Entweder meine Mandantin hat am Monatsende die zwei Millionen auf ihrem Konto, oder Ihr perfektes Sauberfrau-Image wird nachhaltig demoliert. Da bleibt aber kein Stein auf dem anderen in Ihrem Heilewelt, das verspreche ich Ihnen! Sie glauben gar nicht, wozu ich fähig bin!« Mit diesen Worten knallte er den Hörer auf. »So«, sagte er zufrieden und kippte seinen Drink. »Die macht sich jetzt ins Hemd und rennt heulend zu ihrem Alten in die Bank.«
Der hatte er es aber gegeben! Mir allerdings auch. Ich war gefangen in einem Labyrinth aus Intrigen. Und wer hatte mich dort hineingelockt? Ja, genau, die Kobaliks. Sie waren an allem schuld! Weil sie ständig die Nase in unser Leben steckten. Nein, falsch! Der Sparkassenleiter. Der hatte die ganze Katastrophe erst ausgelöst.
»Wozu sind Sie denn fähig?«, fragte ich bange. Nicht, dass er Mafiamethoden anwandte und in Heilewelt alles niederballerte, was rothaarig war.
»Am besten ist es, den Menschen damit zu drohen, ihnen das wegzunehmen, was ihnen am wichtigsten ist«, sagte Ralf Steiner und grinste mich gehässig an. »Ihre Kinder kann ich schlecht kidnappen. Aber ihr sauberes Familien-Image, das kann ich zerstören. Die gilt doch in Heilewelt als eine Art Supermutter! Wir müssen nur ein paar Fotos in die Zeitung setzen, auf denen SIE mit IHREN Kindern samt Koffern auf der Straße stehen. Die Bildunterschrift lautet dann: ›Diese Frau nahm meinen Kindern den Vater und das Zuhause! Wir sind mittellos, was nun?‹«
»Aber …«
»Ich bin noch nicht fertig! Mit diesem Artikel plakatieren wir dann ganz Heilewelt. Daraufhin werden sich die Leute alle von der Supermutter abwenden und Partei für Sie ergreifen!«
Mir entfuhr ein ungläubiges Lachen. »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Aber das wollen Sie doch erreichen, oder? Sie wollen die Frau doch demontieren!«
»Ja, schon … Aber ich meine, so eine Plakataktion, die kostet doch richtig Geld!«
»Das übernehmen die Kobaliks. Wir haben das alles schon besprochen. ›Wollen Sie dieser Frau wirklich Ihre Kinder anvertrauen?‹«, zitierte er eine weitere Schlagzeile.
Ich bekam Gänsehaut und schmiegte mich Schutz suchend an die Heizung. »Ich glaube, das ist mir dann doch zu heftig. Die bekommt ja kein Bein mehr an die Erde …«
»Wir müssen sämtliche Geschütze auffahren!«, herrschte mich Ralf Steiner an. »Was meinen Sie, wen ich schon alles demontiert habe, wenn ich meine Kohle nicht bekommen habe!« Er zog sein Lid mit dem Zeigefinger nach unten. »Gewusst wie!« Er lachte dröhnend.
»Aber wir sind doch gar nicht obdachlos!« Ich quietschte fast vor Angst. »Wir haben doch dieses Haus hier. Ich meine, dafür kämpfen Sie doch!«
»NOCH haben Sie dieses Haus«, sagte der Anwalt Unheil verkündend. »Aber wenn weder Ihr Exmann noch dessen Geliebte noch Sie mein Honorar bezahlen, werde ich mein Geld wohl oder übel von Ihren Nachbarn holen müssen. Die haben mich schließlich beauftragt. Und die werden ihr Geld bestimmt wiedersehen wollen. Gut möglich, dass Sie dann gezwungen sein werden, das Haus ihnen zu überschreiben.« Mit diesen Worten klappte Steiner seine Aktentasche zu. »Also dann!« Er schüttelte mir so fest die Hand, dass mein Ring sich schmerzhaft in meine Finger bohrte. »Schönen Tag noch, Frau Meran.« Dann verschwand er durch die Terrassentür und eilte zielstrebig zum Nachbarhaus.