LOTTA
»Bist du jetzt ausgezogen oder was?« Jürgens Stimme am Telefon klang verzweifelt.
Ich antwortete nicht. Stumm hielt ich mir einfach nur das Handy an die Wange.
Jürgen schnaufte. »Du willst also einfach alles hinschmeißen? Nach ein paar kleinen Irritationen?«
»Ich weiß es nicht, Jürgen, wirklich, ich weiß es nicht.« Das Badewasser war inzwischen genauso lauwarm und abgestanden wie meine Gefühle für Jürgen.
Sophie lehnte abwartend an der Tür. »Soll ich rausgehen?«, hatte sie mir durch Gesten zu verstehen gegeben, und ich hatte ihr mit der Hand bedeutet, zu bleiben. Nebenan tobten und lachten die Kinder. Caspar hatte sich diskret verzogen.
Jürgen schnäuzte sich deutlich hörbar die Nase. »Es tut mir alles so wahnsinnig leid, Lotta. Ich wusste mir einfach keinen anderen Rat!«
Ich wusste mir auch keinen anderen Rat, als zu schweigen. Sophie schüttelte nur stumm den Kopf und zog spöttisch die Brauen hoch.
»Bitte komm wieder nach Hause! Wir sind doch eine Familie!«, heulte Jürgen verzweifelt. »Wir gehören doch zusammen!«
»Ich kann nicht, Jürgen. Nach allem, was ich jetzt über dich weiß …« Ich presste die Lippen zusammen und zog die Beine an.
»Was hab ich denn nur falsch gemacht?«, schluchzte Jürgen.
»Du hast …« Ich zählte an meinen eingeweichten Fingern auf: »… die Ehefrau von Christian Meran angerufen. Über eine Stunde mit deren sogenannten Freunden telefoniert. Das Telefonat heimlich mitgeschnitten.«
»Ja, aber doch nur, um dich zu schützen! Ich wollte dir zeigen, wie unzuverlässig dieser Herr ist!«
»Das war gar nicht nötig, denn ich hätte ihn ohnehin nie wiedergesehen.«
»Das glaube ich dir jetzt ja auch! Lotta, komm nach Hause!«
»Das war schon schlimm genug, aber damit hättest du es gut sein lassen können. Doch als Nächstes hast du eine Plastiktüte mit anrüchigen Utensilien im Flur liegen lassen. Wo die Kinder jederzeit darüber hätten stolpern können!«
Sophie verdrehte die Augen und hielt zwei Finger vor ihren geöffneten Mund.
»Auch das hat dich nicht gerade in meiner Achtung steigen lassen.«
»Ich schäme mich ja selbst ganz furchtbar«, wimmerte Jürgen reumütig. »Ich wollte doch nur unsere Beziehung retten!«
Seine Reue klang echt. Fast tat er mir schon wieder leid. Sollte ich es noch einmal mit ihm versuchen? Mein fragender Blick prallte an Sophie ab wie an einer Betonwand.
»Wenn das alles wäre, würde ich ja noch mal drüber nachdenken«, sagte ich schließlich. »Aber meine vielen Entschuldigungen und das Versprechen, dass ich Christian nie mehr anrufen werde, hast du nicht ernst genommen. Du hast …« Ich zählte weiter an den Fingern ab: »… eine Wanze in mein Handy gesteckt. Meine Telefonate nicht nur abgehört, sondern auch aufgezeichnet. Der ganze Schuhschrank ist voll mit Beweistonbändern. Wem wolltest du die denn vorspielen?«
Sophie stieß ein angewidertes Schnauben aus und schlug mit der Stirn gegen die Badezimmertür.
»Ich wollte im Notfall was gegen dich in der Hand haben«, gab Jürgen leise triumphierend zu. »Wenn du mich weiter mit diesem Herrn betrogen hättest, hätte ich sie dem Familiengericht vorspielen können. Damit ich die Kinder kriege.«
»Schwachsinn!«, schnaubte Sophie verächtlich. »Ihr seid überhaupt nicht verheiratet! Er hätte keine Chance!«
»Über das verwanzte Handy in meiner Handtasche hast du mein Gespräch mit meiner besten Freundin belauscht.«
»Ich musste doch wissen, woran ich war!«
»Du hast …«. Nun brauchte ich schon die zweite Hand und musste das Handy ans andere Ohr halten: »… die Lokalpresse eingeweiht und eine Zeitbombe bei Schaumschläger deponiert, die jederzeit hochgehen kann.«
»Um dich vor dir selbst zu schützen! Es war ein Warnschuss!«
»Du hast meine Plakate beschmiert, damit ich mich schäme und vor Angst und Schuldgefühlen vergehe.«
»Ich musste doch an deine Vernunft appellieren! Dir vor Augen führen, in welcher Gefahr du dich befindest!«
»All das wäre vielleicht noch verzeihlich gewesen«, sagte ich. »Aber dass du meine beste Freundin auf dem Altar deiner Allmachtsfantasien geopfert hast, das verzeihe ich dir nicht!«
Sophie steckte die Hände in die Hosentaschen und presste die Lippen zusammen.
»Du solltest doch nur begreifen, dass ich der wichtigste Mensch in deinem Leben bin«, jammerte Jürgen. »Dass du nur mir vertrauen kannst und sonst niemandem!«
Ich lachte bitter auf. »Wie kann ich dir nach diesen kranken Aktionen noch vertrauen?!«
»Ich tue es nie wieder! Ich werde vor deinen Augen sämtliche Drähte kappen! Wir plakatieren die ganze Stadt neu! Ich gebe dir Geld für deine Musikschule, sodass du nächstes Jahr die gesamten Wiener Philharmoniker engagieren kannst!«
Ich lachte bitter. »Oh, Jürgen! Warum musst du gleich so übertreiben?«
»Du bist meine Nadel im Heuhaufen! Ohne dich kann ich nicht leben! Bitte komm wieder nach Hause, bitte gib mir noch eine Chance!« Er weinte wie ein kleiner Junge, der im Dunkeln nicht allein sein kann. Dieselbe Panik hatte Paulchen in der Stimme gehabt, wenn wir im Kinderzimmer das Licht ausmachten. Jürgen war wirklich am Ende. Aber war Mitleid jetzt der richtige Ratgeber? Ich warf Sophie einen fragenden Blick zu.
Die verschränkte nur die Arme vor der Brust.
»Ich flehe dich an, zerstöre nicht unsere Familie!«
Tat ich das? Zerstörte ich unsere Familie? Oder hatte er sie durch seine Unsensibilität und Ungeschicktheit nicht längst selbst zerstört?
Sophie stieß ein verächtliches Schnauben aus und verdrehte die Augen.
»Bitte pack die Kinder ins Auto und komm wieder nach Hause!«
»Wie kann ich mir dort jemals sicher sein, dass du mich nicht mehr abhörst, mir keine Fallen mehr stellst …«
»Ich werde es nie wieder tun, das schwöre ich beim Augenlicht unserer Kinder!«
Ich sah Sophie Hilfe suchend an. Sophie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
»Vielleicht sollten wir das Augenlicht unserer Kinder nicht schon wieder bemühen«, sagte ich spitz.
»Ich war einfach nur so hilflos«, jammerte Jürgen. »Ich musste einfach wissen, ob du mit diesem Herrn Kontakt hast!«
In diesem Moment sang das Handy in meiner Handtasche verhalten »Halleluja«.
»Lotta!«, schluchzte Jürgen. »Ich bin der Vater deiner Kinder! Du kannst mich doch nicht abstreifen wie einen alten Schuh!«
»Aber wenn er doch so sehr drückt …«, sagte ich. »Manchmal passen Schuh und Fuß einfach nicht zusammen.«
»Halleluja, Halleluja, Halleehelujaa!«, sang das Handy unverdrossen.
»Zerstöre nicht unsere Familie! Ich schwöre dir, ich werde mich in Zukunft mehr um die Kinder kümmern! Gib mir eine letzte Chance! Ich werde dir beweisen, dass ich ein guter Vater bin!«
Sophie bückte sich, nahm mein Handy und sah mich fragend an. Ich nickte. Wahrscheinlich war es meine Mutter. Ich hatte ohnehin keine Chance.
»Bitte glaub mir doch! Wir werden eine perfekte Familie sein!«, bettelte Jürgen, während Sophie meinen Anruf entgegennahm. »Mach jetzt nicht alles kaputt!«
Ich sagte nur müde: »Gut, Jürgen. Wir versuchen es noch mal. Ich komme zurück.« Dann legte ich auf.
Sophie reichte mir mein Handy. In ihren Augen lag ein seltsamer Glanz. Ihr Gesicht war gerötet, und auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. »Christian Meran.«