ANITA

»Ihr habt WAS?«

»Dein Häuschen ein bisschen netter gestaltet.«

Verwirrt sah ich die Kobaliks an, die bereits am Gartentor gestanden hatten, als das Taxi vor unserem Haus mit den Bremer Stadtmusikanten hielt. Sie hatten die Türen aufgerissen und dem Fahrer mit großzügiger Geste einen Schein hingeworfen. »Stimmt so.«

Ich war verdutzt ausgestiegen und hatte mein Geld wieder eingesteckt.

»Wir haben ein paar Dinge umgestellt und ergänzt, um euch den Neuanfang etwas zu erleichtern.« Ursula Kobalik breitete die Arme aus und küsste die Mädchen und mich ab.

Die Kinder flohen sofort durch die Garage ins Haus.

»Dein Christian hatte ja gar keinen Geschmack«, brummte Wolfgang Kobalik, während er ganz gentlemanlike unsere Rollköfferchen vom Gartentor zur Haustür beförderte. »Nur bei dir, da hat er Geschmack bewiesen.«

Das sollte wohl ein Kompliment sein, doch recht freuen konnte ich mich darüber nicht. Ein ungutes Gefühl beschlich mich. Sie waren also ganz selbstverständlich am Wochenende in meinem Haus gewesen. Sie hatten zwar die Übergabe von Christians persönlichen Gegenständen überwachen sollen, aber …

»Mädchen, du wirst staunen! Wir waren wirklich nicht kleinlich.«

Ich schlich wie ein begossener Pudel hinter ihnen her und ließ mir von ihnen meine Haustür aufsperren. Mir schwante Schlimmes.

»Tritt ein!«, forderte mich Ursula Kobalik großzügig auf und machte eine einladende Geste, als wäre ich hier nur zu Besuch.

Es roch irgendwie … streng. Außerdem war es auf einmal so düster. Irritiert sah ich mich um. Waren wir aus Versehen in Kobaliks Haus gegangen? Aus der Stereoanlage dröhnte mir Abba entgegen: Chiquitita, tell me what’s wrong …

»Überraschung!«, rief Onkel Kobalik und machte einige ungeschickte Tanzschritte, die wohl cool wirken sollten. Indem er mich um meine eigene Achse drehte, wollte er mich zum Mittanzen auffordern. Ich kam mir vor wie eine Marionette.

»Wir haben auch für euch eingekauft«, teilte Ursula mir hochzufrieden mit. Sie machte sich bereits am Getränkekühlschrank zu schaffen. »Schau mal, deine Kommode! Hier unter dem Fenster sieht sie doch gleich viel besser aus.«

Ich fuhr herum. Nein! Was hatte sie denn dort zu suchen?

»Und den scheußlich kalten Glastisch haben wir unter einer gemütlichen Häkeldecke verschwinden lassen.«

Ich versuchte, mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Mit Grausen entdeckte ich ein altes Bärenfell mit Kopf. Daher kam also der muffige Geruch! Ich hatte bei den Kobaliks einmal höflichkeitshalber erwähnt, dass mir dieser Bär Respekt einflöße. Daraufhin hatte mir Wolfgang Kobalik stolz berichtet, dass er das Tier selbst erlegt habe. Das Entsetzen im Gesicht des Bären spiegelte sich jetzt in meinem wider. Immerhin war Kobalik das Letzte, was der Bär in seinem Leben gesehen hatte! Ich suchte an der Fensterbank Halt, als mein Blick in die Küche fiel. Dort hatte Ursula Kobalik bereits bunte Papierservietten zu Blüten gefaltet und in bauchige Steinguttassen gestopft. Sie standen auf einem altdeutschen Eichenholztisch, zusammen mit einer schweren Buttercremetorte. Ich wandte erschüttert den Blick ab. Über der Treppe hing ein ausgestopfter Elchkopf. Die Augen des verendeten Paarhufers sahen mich mitleidig an, so als wollten sie sagen: Tja, Mädchen, wir beide haben den Elchtest nicht bestanden. Wir haben die Kobaliks in unser Leben gelassen.

Meine Augen weiteten sich mit Grausen. Fehlte nur noch, dass sie meine Bilder abgehängt und ihre furchtbaren Schinken an meine Wände geklatscht hatten: Jagdszenen mit toten Hasen und Hunden, die an deren blutigen Eingeweiden zerrten. Enten, die mit verdrehten Köpfen auf einem Tisch lagen, auf dem zufällig auch noch ein paar Äpfel und Birnen herumkullerten. Wolfgang Kobaliks Lieblingsbild war jedoch eine junge dunkelhaarige Frau in Rot, die dem Betrachter ihren überlangen Nacken zuwandte. Das hing meines Wissens nach in seinem Schlafzimmer. In Ursulas Schlafzimmer dagegen hing ein Kind, das Kullertränen weinte und dem Betrachter seine Speckärmchen entgegenstreckte. Diese Meisterwerke schienen noch drüben zu hängen. Oder aber oben bei uns im ersten Stock. Das würde auch die Entsetzensschreie der Kinder erklären, die gerade an mein Ohr drangen. Immer wieder drehte ich mich um meine eigene Achse und staunte. War das hier unser Haus? Was war passiert? War das ein Albtraum? Würde ich gleich aufwachen und mit Christian auf dem Sofa sitzen? Ich betete inbrünstig darum.

Meine Fassungslosigkeit fehlinterpretierend, sagte Ursula: »Dafür haben Jarek und Olga das ganze Wochenende geschuftet. Toll, was?«

Ich wollte etwas erwidern, aber mir blieb das heisere Krächzen im Halse stecken.

»Währenddessen habe ich mich ums Geschäftliche gekümmert.« Zufrieden ließ sich Wolfgang Kobalik auf mein Ledersofa fallen, auf dem seit Neuestem eine braune Lamadecke lag, und streckte sich genüsslich aus. »Dem schweineteuren Anwalt Steiner habe ich schon mal die erste Rate überwiesen. Der wollte natürlich Kohle sehen.«

Ich starrte ihn stumm an.

»Ja, Wolfgang, das kriegste ja zurück«, meldete sich Uschi aus der Küche. Sie schnitt gerade die Buttercremetorte an. »Unser lieber Christian wird das alles zahlen müssen.«

Ich fühlte mich verpflichtet, ihnen zu danken. Dann bedankte ich mich natürlich noch für das schöne Hamburg-Wochenende. Ich stand wirklich tief in ihrer Schuld.

»Freut uns, wenn ihr es schön hattet.« Ursula Kobalik kam mit zwei Kuchentellern aus der Küche und stellte sie auf die Häkeldecke. »Komm, nimm die Füße vom Tisch, Wolfgang. Wir sind hier nicht zu Hause.«

Verdutzt glotzte ich sie an. Nein? Sie waren hier nicht zu Hause? Und wussten das auch noch?

»Wir haben deinem lieben Gatten mal ein bisschen am Stuhl gesägt«, sagte Wolfgang Kobalik schmunzelnd, während er sich mit Appetit über die Buttercremetorte hermachte.

Ich schaute erschrocken unter den Tisch.

»Nein, Dummchen! Nicht hier!«, lachte Wolfgang und verschluckte sich fast an der Sahne.

Ursula brachte die Kaffeetassen und drückte mir eine davon in die Hand. »Wir meinen doch seinen Arbeitsplatz!«

»Grazia hat schon so was angedeutet …«, hob ich hilflos an. »Christian ist vorläufig beurlaubt?«

Wolfgang Kobalik nickte vielsagend und kniff dabei die Augen zusammen. »Auf unbestimmte Zeit. Der Lauser hat sich ja nur noch in der Weltgeschichte rumgetrieben, statt seine Pflichten wahrzunehmen.«

»Wirklich? Ich meine, er hat doch …«

»Gestern war schon ein Vorspiel«, grunzte Wolfgang Kobalik zufrieden. »Ham wir uns natürlich angehört.«

»Ja, und sie haben auch schon einen jungen Koreaner engagiert«, verkündete Ursula erleichtert, so als sei es ihr gelungen, das Orchester zu retten.

»Janz wunderschön hat det Schlitzauge vorjespielt. Wir kannten die Stücke ja alle schon. Von Christian.«

»Ja, was die Flötentöne anbelangt, sind wir inzwischen Experten!« Wolfgang Kobalik biss zum Nachtisch frohgemut das Mundstück seiner Zigarre ab und spuckte es auf den Teppich. »Hahaha, kleiner Scherz!« Er tätschelte mir jovial den Oberschenkel. »Mädchen! Jetzt lach doch mal! Wir tun hier wirklich alles, um dich aufzuheitern!«

Mir war gerade kein bisschen zum Lachen zumute.

»Aber das ist doch nicht endgültig? Ich meine, Christian ist doch nur vorübergehend beurlaubt?«

»Der soll einfach mal Zeit zum Nachdenken haben!« Wolfgang Kobalik lehnte sich zurück und verschränkte die Hände über seinem Bauch. »So viel Scheiße, wie der jebaut hat, soll der ruhig mal Muffensausen kriegen.«

»Aber ihr habt meinem Mann die Existenz geraubt! Begreift ihr das denn nicht?« Verzweifelt sprang ich auf und warf die Hände in die Luft. »Es ist ja gut und schön, dass ihr euch so auf meine Seite stellt, aber es ist doch auch MEINE Existenz! UNSERE Existenz!« Ich zeigte auf die gerahmten Fotos unserer Kinder auf dem Flügel. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch dort standen.

»Aber Mädchen, jetzt reg dich doch nicht so auf!« Ursula hatte schon wieder eine Flasche Champagner in der Hand. »Hier, ich bin so frei …« Sie schenkte unsere Gläser voll. »Der Kerl hat so viele Möglichkeiten, zu spielen, zu unterrichten und in ländlichen Musikschulen den Lehrerinnen den lustigen Vogel zu blasen …«

»Uschi!«

»Ist doch wahr! Der wird dir dein Häuschen schon zahlen. Und so viel isst du ja nicht.« Vorwurfsvoll wies sie auf das Buttercremetortenstück, das unberührt vor mir stand.

Sollte das ein Witz sein?

Mein … Häuschen. Und was war mit dem Unterhalt für die Kinder? Unserem Lebensstandard, wie Ralf Steiner so schön gesagt hatte? Was war mit dem Golf, dem Pferd, dem Ballett? »Und wenn nicht?«, fragte ich mit zitternder Stimme. Hastig nahm ich einen Schluck Champagner. »Wenn er das ›Häuschen‹, wie ihr das nennt, nicht mehr bezahlen kann?«

»Dann koofen wir es dir ab«, sagte Wolfgang Kobalik großzügig. »Dann bist du ein freier Mensch und kannst gehen, wohin du willst.« Er zündete sich seelenruhig seine Zigarre an: »Mach dir da ma keene Sorgen.«

»Wir haben alles im Griff auf dem sinkenden Schiff«, scherzte Uschi aus der Küche.

»Solange du uns zu Freunden hast …«

Ja. Brauchte ich keine Feinde, dämmerte mir langsam. Meine Gedanken überschlugen sich. War es wirklich nur die Langeweile, die sie dazu trieb, sich so in mein Leben einzumischen? Oder verfolgten sie womöglich noch ganz andere Zwecke? Zogen sie finanzielle Vorteile aus der Zusammenarbeit mit Ralf Steiner? Bekamen sie möglicherweise Provision für die Vermittlung einer lukrativen Scheidung? Oder … Mir wurde angst und bange. Handelten sie vielleicht gar nicht in MEINEM Interesse, sondern in ihrem eigenen? War ich ihnen auf den Leim gegangen? Wollten Sie mein Haus?

Ich lauschte auf das Geplärr aus der Stereoanlage. Abba sangen gerade: The winner takes it all.