ANITA
»Ja, das ist ja ein Ding! Dett is ja echt ’n dicket Ding!« Ursula Kobalik wanderte in heller Aufregung in meinem Wohnzimmer herum, ihre weiten Gewänder umwallten sie wie in einer dramatischen Wagner-Oper. Ich hielt mich in hilfloser Verzweiflung an einem Champagnerglas fest. Ich wusste gar nichts mehr. Dieses Telefonat von dem Heilewelter Sparkassentyp hatte meine heile Welt vollkommen zerstört. Im Fernsehen lief ein Konzert der Wiener Philharmoniker, aber wir hatten den Ton abgedreht. Ab und zu kam Christian ins Bild, der stumm die Flöte blies.
»Dass der dich so schamlos betrügt, der Schweinehund.«
»Also, er hat mich doch nicht … betrogen?!« Er hatte doch offensichtlich nur auf der Treppe im Parkhaus die Musikschuldirektorin geküsst. Vielleicht war das so eine Art kollegialer Abschiedskuss gewesen? Ich wusste, dass es in Musikerkreisen locker zuging. Mein Gott, wir waren seit achtzehn Jahren verheiratet! So genau wollte ich es auch gar nicht wissen!
»Das ist eine janz miese Kreatur«, brummte Wolfgang Kobalik verbittert und warf seine ausgelutschte Zigarre mit einer verächtlichen Geste in den Kamin. »Ich helf dem, wo ich nur kann, besorg dem die Villa und die Mitgliedschaft im Golfclub. Ich lass dem bei meinem Mercedes-Händler das beste Auto reservieren, lass den immer erste Klasse fliegen mit meinen Bonusmeilen – und denn machta hinta unsam Rücken so wat!«
Er tat so, als hätte Christian IHN betrogen und nicht mich.
Ich hatte mich inzwischen angezogen und die Kinder unter einem fadenscheinigen Vorwand fortgeschickt. Als Grazia und Gloria die Kobaliks gesehen hatten, wollten sie sowieso nur noch weg. Grazia hatte sich die Hand noch mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger symbolisch an die Wange gehalten, und Gloria hatte keck gesagt: »Um SIEBZEHN Uhr musst du uns aber spätestens abholen, Mama! Wir rufen dich an.« Trick siebzehn. Ach, wie ich meine süßen Mädels liebte! Alles sollte so bleiben, wie es war, allein schon ihretwegen. Ich wollte dieses alberne Telefonat einfach vergessen. Eine kluge Frau verdrängt und schweigt. Dieser stotternde Sparkassenheini hatte doch einen an der Waffel! Fast tat mir die kleine rothaarige bebrillte Musikschullehrerin leid. Und wenn sie meinen Christian geküsst hatte, konnte ich sie sogar ein bisschen verstehen. Obwohl ich nicht wusste, wie dieser Sparkassenmensch aussah, hatte ich doch aus dem Telefonat herausgehört, dass er total verklemmt war. Herr Immekeppel hatte schließlich nicht gesagt, dass Christian mich wegen seiner rothaarigen Brillenschlange verlassen würde. Sondern nur, dass sich die naive Landpomeranze in meinen Christian verliebt hatte. Und da war sie mit Sicherheit nicht die Einzige. Das war sein Problem, nicht meines. Ich würde Christian nachher bitten, mich nicht mehr so peinlichen Telefonaten auszusetzen. Christian würde mir mit Sicherheit alles erklären können, und dann würden wir gemeinsam darüber lachen. Hatte er nicht sowieso erzählt, dass es in dieser Kleinstadt so herrlich menschelte? Gab es da nicht einen größenwahnsinnigen Bäckermeister namens Gerngroß oder so, der ernsthaft davon träumte, seine Tochter bei den Wiener Philharmonikern unterzubringen, nur weil sie behindert war? Christian hatte mir diese Leute geschildert wie Schildbürger. Wie liebenswerte Trottel, die noch nie über den Tellerrand hinausgeschaut hatten. Provinznester wie Schilda oder Heilewelt sollte er demnächst aus seinem Programm streichen. Und ich hatte mich schon von der allgemeinen Hysterie anstecken lassen! Als ich gerade all meinen Mut zusammengenommen hatte, um genau das auszusprechen, sagte Ursula Kobalik, während sie ihr leeres Glas schwungvoll auf dem Kamin abstellte:
»Wat machnwa denn nu?« Diese Frage war allerdings nicht an mich, sondern an ihren Mann gerichtet.
»Tja. Wat machenwa nu.« Wolfgang Kobalik schob sich die Brille auf die Stirn und tippte auf seinem Smartphone herum. »Wie hieß der Ding noch ma, der die Dicke so erfolgreich geschieden hat?«
»Du meinst die Rosie«, sagte Ursula. Zu mir gewandt fügte sie erklärend hinzu: »Meine Tochter. Aus erster Ehe.«
»Ich weiß«, sagte ich heiser. »Du hast mir von ihr erzählt. Die mit dem adipösen Sohn.«
»Ja, der kleene Fettsack, der jetzt im Burgenland die Hungerkur macht.« Wolfgang Kobalik lachte bollernd, bevor er sich wieder auf sein Display konzentrierte. »Erst hat ’n die Uschi aba noch jemästet, wa! Det nennick Weiberlogik.« Er ging seine Kontakte durch. »Sachma, Uschi. Der Dings.«
»Den Steiner meinst du?!«
»Genau. Steiner. Toller Mann!« Dann brummte er nicht ganz tonrein: »Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägtaaaa im Jesicht.« An mich gewandt, fügte er noch hinzu: »Der hat da abgeräumt bei der Rosie ihrem Ex. Tabula rasa hat der gemacht.«
»Aber das ist doch gar nicht nötig!«, stieß ich hervor. Nicht dass die beiden meinten, ich ….
»Die Rosie kann sich nicht beklagen! Die hat den ausgezogen bis aufs Hemd«, sagte Ursula triumphierend. »Sie hat das Haus behalten, das hat sie gleich verkooft, den Kleen …«
»Den hat se zwar nich verkooft, aber zum Hungern jeschickt«, kalauerte Wolfgang. »Die Uschi will ja, det se in unsere Nähe zieht mit dem Fettklops …«
»Wolfjank!«, fuhr Uschi ihm in die Parade. »Fall mir nicht ins Wort! Einen super Zugewinn hat er für sie rausgeschlagen, das Auto und die Gemäldesammlung …«
»Sogar das Chlor für den Swimmingpool muss er ihr bezahlen, hahaha!«
»Wie meint ihr das?« Sie wollten doch nicht … Sie würden doch nicht …
»Hier. Ick happn. Steiner, Ralf!« Wolfgang Kobalik räusperte sich wie jemand, der gleich telefonieren will. Oh Gott. Er WOLLTE telefonieren. Halt!, wollte ich schreien, STOPP! Aber ich brachte keinen Ton heraus.
»Hallo!? Kobalik hier. Ja … auch schöne Weihnachten gehabt zu haben. Ich hätte schon wieder einen Job für Sie. Geht nicht, gibt’s nicht.«
»Ähm …« Ich streckte zitternd einen Arm nach dem Handy aus, aber Ursula zischte mir mütterlich zu: »Lass ma! Der macht det schon, der Wolfjank!«
»Ja, also es handelt sich hier um eine gute Freundin. Sie wohnt im Haus nebenan, dort, wo die Bremer Stadtmusikanten im Garten stehen.« Wolfgang Kobalik hustete seinen Raucherschleim ab und begann dann umständlich mit der Wegbeschreibung. »Kennen Sie sich in Wien aus?«
Ich versteifte mich unwillkürlich.
»Also, ich …« Wieder versuchte ich zu Wort zu kommen, aber Ursula nahm mich in den Arm und drückte mich an ihren wogenden Busen: »Trinkma, Kindchen. Der erste Schock ist der schlimmste.« Mit diesen Worten flößte sie mir weiteren Champagner ein.
»Ja, klar ist das dringend!«, ließ Wolfgang nicht locker. »Ehebruch, Betrug, auf frischer Tat ertappt, die ganze Palette! Meinen Sie, sonst rufe ich Sie an den Feiertagen an?« Er lauschte wieder kurz, unterbrach seinen Gesprächspartner dann aber vehement: »Woher wir das wissen? Der Ehemann der Gegenpartei hat uns angerufen und uns am Telefon was vorgeheult, der arme Mann!«
Gegenpartei! Das hörte sich ja nach … Scheidung an! Ich spürte ein Kratzen in meinem ausgedörrten Hals und trank das Glas auf einen Zug aus. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich allein zu sein. Einen klaren Gedanken fassen zu können. Ich rieb mir die Schläfen, hinter denen es grässlich pochte. Ich sollte nicht mehr so viel trinken. Immer wenn die Kobaliks da waren, hielt ich ein Glas in der Hand. Das musste aufhören! »Ich würde jetzt gern …« Sie hörten mir gar nicht zu. Mit leerem Blick starrte ich sie an.
»Der Ehemann hat se in flagranti erwischt, im Parkhaus!«, gab Wolfgang Kobalik gerade Auskunft. Anscheinend schrieb der Anwalt schon mit.
»Nee, Wolfjank, so war det nich!«, quakte Ursula dazwischen. »Da war doch erst noch der anonyme Brief!«
»Ja, noch schlimmer!«, grollte Wolfgang in den Hörer. »Das ist ein fürchterliches Drama! So wat haben wir noch nie erlebt! Det müssen WIR uns nicht bieten lassen!« Er verzog grimmig das Gesicht.
Verwirrt starrte ich ihn an. Hallo? Ging es noch? Der tat so, als sei ER betroffen! Und was war mit MIR? Verwechselten die da nicht was? Ich hatte das Gefühl, in eine Katastrophe hineinzuschlittern. Aber irgendwie war mein Hirn wie leer gefegt. Wie betäubt umklammerte ich mein leeres Glas. Mir wurde schwindlig. Ursula flößte mir weiteren Alkohol ein. Und der blieb nicht ohne Wirkung. Plötzlich war mir alles egal. Ich würde morgen über alles nachdenken. Verschieben wir es doch auf morgen.
»Ja, morgen früh, das lässt sich einrichten.« Fragend ruderte Wolfgang mit dem Arm in unsere Richtung, und Ursula Kobalik nickte heftig. »Zehn Uhr is juht!«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Mein Herz fing wild an zu klopfen. Zehn Uhr war janich juht. Da würde ich wegen des vielen Alkohols und einiger Schlaftabletten noch im Tiefschlaf sein! Oder Pilates machen! Da wollte ich keinen geschniegelten Anwalt im Haus haben, der Haifischzähne im Gesicht hatte! Bei dem Gedanken daran wurde mir eiskalt. Ich durfte das nicht zulassen! Ich ruderte ebenfalls mit den Armen und versuchte, das Unheil abzuwehren, aber Ursula hielt mich tröstend fest. »Das ist wie ein Zahnarztbesuch«, sagte sie mitfühlend, »den bringt man am besten schnell hinter sich.«
»Besser gestern, aber morgen tut’s auch!« Wolfjank lachte laut. »Aber machen Sie Tabula rasa! Wie bei der Tochter von meiner Uschi. Da haben Sie auch keinen Grashalm stehen lassen bei dem Ehebrecher! Also gut. Honorar besprechen wir dann. Das streck ich vor, da lass ick mir nich lumpen. Am Ende zahlt sowieso die Gegenpartei.«
Widerstandslos ließ ich mich auf eine Sessellehne sinken. Wahrscheinlich hatten sie recht. Christian verdiente es nicht besser. Zumindest einen Denkzettel hatte er verdient. Aber vielleicht nicht gleich so einen hinterhältigen? Es war so gar nicht meine Art, ihm in den Rücken zu fallen. Aber war er mir nicht auch in den Rücken gefallen? Nur deswegen hatte es schließlich zu so einem peinlichen Anruf kommen können.
Kobalik legte auf und strahlte mich zufrieden an: »Na? Wie hab ich det jemacht? Onkel Wolfjank hilft sofort und unbürokratisch! Krieg ich dafür ’n Kuss?« Er tippte sich auf die kratzige, feiste Backe.
»Ich weiß nicht …«, stieß ich unsicher hervor. Mir wurde übel. »Ich weiß im Moment gar nicht …« Ich roch kalten Zigarrenrauch und konnte nicht weitersprechen.
»Was weißt du nicht, Mädchen?« Wolfgangs Gesicht kam bedrohlich auf mich zu. Ich starrte auf seine großen Poren und auf seine blutunterlaufenen Augen unter den buschigen Brauen. Er verschränkte die Arme, als würde er auf etwas warten.
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich so schnell und so kompromisslos …« Ich versuchte meine Tränen runterzuschlucken. Wolfgang schien mir überhaupt nicht zugehört zu haben. Er machte eine wegwerfende Geste.
»Willst du dir das von dem Saukerl bieten lassen? Mit einer rothaarigen Kleinstadtschlampe hat er rumgeknutscht! Im Parkhaus einer Musikschule! Da waren Minderjährige im Spiel! Die Frau hat kleine Kinder! Er hat gleich zwei Ehen zerstört!«
»Sie begreift das Ausmaß nicht, Wolfjank. Mach sie nicht zu fertig jetzt.«
»Aber ich würde gern erst mal mit ihm reden. Er kann mir vielleicht alles erklären.« Ich fasste mir mit den Händen an den Kopf.
Ursula Kobalik lachte höhnisch. »Ja, das hättest du wohl gern!«
»Mit REDEN kommt man da nicht weiter«, grunzte Wolfgang und vergriff sich an meiner Cognacflasche. »Wenn einer meine kleine Anita betrügt, dann gibt es nüscht mehr zu reden. Nicht mit Onkel Wolfjank.«
Ich starrte ihn schwer atmend an und holte tief Luft. »Aber das ist doch MEINE Angelegenheit!«, wagte ich einzuwenden. »Vielen Dank für eure Hilfe, aber ich würde gern selbst entscheiden, was ich mache.« So. Das hatte mich jetzt Mut gekostet. Aber nun war es heraus. Sofort fühlte ich mich besser.
»Sie will ihm vielleicht noch eine Chance geben, Wolfgang«, flötete Ursula Kobalik mit gespitzten Lippen. »Vielleicht sucht sie sogar die Schuld bei SICH!«
»Das fehlt mir noch, wa!«, brauste Wolfgang auf. »So ne treue nette Frau. Alles hat se für den Windhund aufgegeben, ne tolle Stelle bei der Lufthansa, erste Klasse, Chefstewardess, alle Millionäre der Welt hätte sie haben können, bei ihrem Aussehen. Und jetzt guck dir doch mal an, wat aus ihr geworden ist!« Wolfgang zeigte mit einer neuen Zigarre auf mich, so als wäre ich ein baufälliges Gebäude. »Da gehört mal ganz gründlich aufgeräumt! Jetzt hat sie sich lange genug für doof verkaufen lassen!«
Mir schnürte sich der Magen zusammen. Jäh fuhr ich zu Ursula herum:
»Ja, hat er denn … Also, ich meine, wisst ihr denn, ob er … schon öfter?«, fragte ich bang.
»Ja wat denkst du denn, kleene Maus! Wat der so auf seinen Reisen treibt?«
»Wie naiv bist du denn, Kindchen?« Ursula Kobalik klopfte mir tröstend auf den Rücken. »Du weißt doch, für wie schön der sich hält. Dabei hatta janz krumme Beene«, sagte sie spöttisch lachend.
»Also diese Information hättet ihr euch auch sparen können!«, hätte ich sie am liebsten angebrüllt. Stattdessen murmelte ich es mehr so vor mich hin.
»Wir haben uns bisher eine Menge Informationen gespart, Kindchen. Aber jetzt reichtet uns.«
»Was denn für Informationen?«, krächzte ich ängstlich. Mit einem mulmigen Gefühl rieb ich mir die Arme.
»Na? Die Affäre mit der Fernsehansagerin? Solln wir ihr det sagen?«
»Welche meinste, Wolfjank? Die bei der Goldenen Kamera in Berlin?!«
»Nee, det war beim Ball der Ölbarone in Dubai.«
»Genau! Aber die war Schauspielerin! Anja Dings … oder war das die Schwester? Den Namen kann ich mir einfach nicht merken. Die Kesse, die immer beim Traumschiff mitspielt.«
»Auf dem Kreuzfahrtschiff? Ach je. Das hätten wa ma besser nicht gesagt. Die kennt sie doch. Jetzt heult se gleich.«
Ich traute meinen Ohren kaum. Was sagten sie da?! Die nette Anja, die ich mochte und mit der ich herumgescherzt hatte? Meine Gedanken überschlugen sich. Fieberhaft überlegte ich, was sie hinter meinem Rücken angestellt haben könnten.
»Kindchen, nicht aufregen! Das ist der Mann nicht wert.« Ursula sandte ihrem Mann einen warnenden Blick. »Kein Kerl auf der ganzen Welt ist das wert. Dass man eine Träne um ihn vergießt.« Sie nahm meine Hand und sang mit scheppernder Stimme: »So schön kann doch kein Mann sein, dass ich ihm lange nachwein …«
Ich war wie betäubt. Noch nie hatte mir jemand so wehgetan. Ich sah direkt vor mir, wie Christian und Anja sich küssten und umarmten und … Mir war, als hätte ich gerade eine schallende Ohrfeige bekommen.
»Auf den Schreck hin muss ich jetzt ooch ma eene rauchen.« Ursula war fertig mit Singen. Sie zündete sich eine Zigarette an und wedelte den Rauch von meinen Gardinen weg. »Tut mir leid, Herzchen, aber das musst du verstehen. Wir wollen nur dein Bestes.«
In dem Moment klingelte das Telefon. Oh Gott, danke! Das waren bestimmt die Mädchen. Trick siebzehn. Ich griff fast erleichtert nach dem Hörer. Wolfjank wäre mir gern zuvorgekommen, aber noch wohnte ICH hier! Ich meldete mich und bemühte mich um einen möglichst normalen Ton.
Mein Herz fing erneut an zu rasen, als ich eine unbekannte Männerstimme vernahm, die ziemlich herrisch klang: »Steiner noch mal. Spreche ich mit meiner Mandantin? Mit Anita Meran?«
»Ähm … ja?«
»Wenn ich Ihre Sache morgen in die Hand nehme, muss ich Ihnen jetzt schon ein paar ganze wichtige Anweisungen geben.« Das klang sehr autoritär.
»Ähm … ich überlege eigentlich noch …« Also gut. Ich würde ihm jetzt sagen, dass wir ein bisschen voreilig gehandelt hatten und dass ich ihn zu gegebener Zeit anrufen würde – wenn überhaupt. Zuerst würde ich mit Christian sprechen.
»Da gibt es nichts zu überlegen!«, rief Wolfgang Kobalik. »Stell mal laut!«
»Sie müssen sofort die Schlösser austauschen!«, befahl Ralf Steiner. »Während das Verfahren läuft, dürfen Sie ihn natürlich nicht mehr über die Schwelle lassen.«
Christian nicht mehr ins Haus lassen? Nein, unmöglich. Er wohnte doch hier! Ich meine, es war ja sein Haus. Außer, er hätte mich sogar schon hier … Ich sah ihn auf einmal vor mir, wie er Hand in Hand mit Anja die Treppe zu unserem Schlafzimmer … Ja. Es musste sein. Tabula rasa. Schlösser austauschen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Mit möglichst fester Stimme sagte ich: »Laufendes Verfahren? Ich meine, läuft es denn schon? Habe ich Ihnen denn schon einen Auftrag erteilt?« Ich schluckte.
Ursula Kobalik schnalzte missbilligend mit der Zunge. Wolfgang schüttelte entsetzt den Kopf und warf die Arme in die Luft.
»Davon gehe ich allerdings aus! Sie haben mich aus einer Familienfeier herausgeholt, und ich bin schon unterwegs nach Wien!« Die Stimme des Anwalts klang noch unterkühlter als zuvor. »Ich bringe nur noch meinen Sohn zu meiner geschiedenen Frau zurück.«
Ich setzte mich kerzengerade hin, bekam fast keine Luft mehr. Panik erfasste mich. Der machte ernst. Mir fiel das Herz in die Hose.
»Schlösser austauschen. Sofort! Haben Sie mich verstanden?«
Ich blieb stocksteif sitzen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. »Natürlich!«
»Das ist oberste Priorität«, drang die Stimme des Anwalts an mein Ohr. »Wenn ich Ihren Fall übernehmen soll, müssen Sie meine Anweisungen ab sofort ganz genau befolgen.«
Ich starrte die Kobaliks verwirrt an. Mir wurde ganz schwindelig. Alles war komplett aus dem Ruder gelaufen. Ein seltsames Schweigen trat ein.
»Det tutse, det tutse«, quakte beschwichtigend Ursula Kobalik über meine Schulter in den Hörer und wedelte mit ihrer Zigarette vor meinem Gesicht herum.
»Ab sofort verfolgen wir eine ganz klare Strategie«, belehrte mich Herr Steiner streng.
Er klang nicht so, als sei er zum Diskutieren bereit.
»Die Kobaliks wissen, wovon ich rede.«
»Ja, det wissen wa, Herr Steiner!«, dienerte Wolfgang Kobalik in Richtung Telefon.
»Ihre Freunde stehen Ihnen ja zum Glück mit Rat und Tat zur Seite«, bemerkte der Anwalt zufrieden.
Ich hörte seinen Wagen mit quietschenden Reifen wenden. Wahrscheinlich hatte er gerade seinen Sohn bei der Geschiedenen abgeliefert.
»Ja, det könnse laut sagen!« Wolfgang warf sich in die Brust: »Wozu sind Freunde sonst da?«
»Es ist besser, wenn Sie jetzt nicht alleine bleiben«, ordnete Herr Steiner an. »Wenn man so verwirrt ist, macht man oft unüberlegte Sachen. Also, Sie tauschen jetzt die Schlösser aus. Haben Sie mich verstanden?«
»Aber jetzt an den Feiertagen …«, versuchte ich zaghaft, Zeit zu schinden.
»Rufen Sie den Notfalldienst.«
»Das machen wir, lassen Sie das mal meine Sorge sein«, blökte Wolfgang dazwischen und gab mir zu verstehen, dass ich mein Schicksal getrost in seine Hände legen solle. Er nahm mir den Hörer ab: »Herr Majista, wir sind ja keene Grienhoorns, wat det anbelangt, ham wa alles von Ihnen gelernt.«
»Kindchen, jetzt musste dem Wolfjank vertrauen«, zischte Ursula laut genug, dass Herr Steiner das mithören konnte. »Das ist jetzt schwer, aber am Ende stehst du als Siegerin da.«
Ich wollte gar nicht als Siegerin dastehen. Ich wollte mit meinem Mann reden. Am besten ein paar Tage wegfahren. Nach dem Neujahrskonzert. Wir würden zusammen irgendwohin fahren, wo es warm war und die Kobaliks uns nicht finden würden. Dort würden wir über unsere Ehe reden.
»Den ziehen wir aus bis aufs Hemd!« Ursula klopfte mir besänftigend auf die Schulter.
Ich fing an zu weinen. Nach dem Neujahrskonzert würde er gleich wieder nach Japan müssen. Und wenn diese Anja heimlich mitfuhr? Wie ein gutmütiges Schaf hatte ich ihm vertraut! Es stimmte: Ich hatte keine Ahnung vom Leben meines Mannes. Die Kobaliks wussten längst Bescheid! Der Anruf von dem Immekeppel aus Heilewelt war nur die Spitze des Eisbergs gewesen! Aufschluchzend warf ich mich an Ursulas weiche Brust.
»Das Mädchen ist völlig durch den Wind!«, erklärte Herr Kobalik jovial. »Ist am Flennen. Meine Frau hat da ’n juhtet Händchen. Tröstet se schon.«
»Gut, ich verlasse mich auf Sie«, hörte ich wie aus weiter Ferne den Anwalt. »Wenn sie im Vorfeld mit der Gegenpartei auch nur ein Wort spricht, kann ich für nichts garantieren. Sie wissen ja, meine Handschrift: ganz oder gar nicht.«
»Ja, die Devise kennen wir!« Herr Kobalik lachte wissend und tätschelte mir mit der freien Hand den Arm. »Haben wir uns aber immer dran gehalten! Und das machen wir jetzt wieder so.«
»Ich bin mein Geld wert«, sagte der Anwalt zum Abschied. »Ich leiste hervorragende Arbeit. Selbst die Gegenpartei empfiehlt mich an Freunde weiter.«
»Das wissen wir, das wissen wir!«
»Am Ende hat Ihre Freundin die Kinder, das Haus, die Möbel, das Auto und eine fünfstellige Unterhaltssumme bis an ihr Lebensende. Genau wie Ihre Tochter. Aber Sie müssen meine Bedingungen akzeptieren.«
»Verstanden, janz klar, ick bin doch nicht blöd, Mann!«
»Also. Bis morgen dann.« Der Anwalt legte auf.