Die Via Appia war eine der ältesten Straßen Roms. Sie war von Clodius’ Vorfahre Appius Claudius dem Blinden gebaut worden und gehörte den claudischen Pulchri, Clodius’ Familie, die sich auch weiterhin um Pflege und Instandhaltung der Straße kümmerte. Aus diesem Grund lagen an der Via Appia auch die Gräber der patrizischen Claudier.

Publius Clodius hatte sich überzeugt, daß die Furcht des sterbenden Cyrus unbegründet gewesen war. Cyrus’ Berechnungen waren vollkommen richtig, und es bestand nicht die geringste Gefahr, daß die gewagte Konstruktion, die der alte Grieche entworfen hatte, in den Abgrund stürzen würde, über dem sie saß. Was für ein herrlicher Platz für eine Villa! Und eine Aussicht, bei der Cicero vor Neid erblassen würde! Er würde es dem alten Sack heimzahlen! Daß er gewagt hatte, sein neues Haus in Rom so hoch zu bauen, daß Clodius der Blick auf das Forum Romanum versperrt wurde! Da Cicero geradezu zwanghaft ein Landhaus nach dem anderen kaufte, würde ihn die Neugier sicher bald auch in die Gegend von Bovillae treiben. Beim Anblick von Clodius’ neuer Villa würde er vor Neid noch grüner werden als die Ebene von Latium, die sich vor seinen Augen erstreckte.

Die Überprüfung von Cyrus’ Berechnungen war so schnell gegangen, daß Clodius noch in derselben Nacht nach Rom hätte zurückkehren können. Doch war die Nacht mondlos, ein Ritt entsprechend gefährlich. Also beschloß Clodius, zu seiner alten Villa in der Nähe von Lanuvium zu reiten, ein paar Stunden zu schlafen und sich im Morgengrauen auf den Rückweg zu machen. Er hatte zwar weder Gepäck noch entsprechende Diener dabei, doch das reduzierte Personal in der Villa konnte für ihn, Schola, Pomponius und Gaius Clodius eine Mahlzeit bereiten; die dreißig Sklaven seiner Eskorte aßen, was sie in ihren Satteltaschen mitgenommen hatten.

Bei Sonnenaufgang galoppierte die kleine Gruppe schon auf der Via Appia in Richtung Rom. Clodius reiste selten ohne Fulvia und wollte so schnell wie möglich zu ihr zurück. Seine Begleiter sahen sich nur vielsagend an. Sie kannten ihn und wußten, daß er ohne Fulvia nur schwer zu ertragen war.

Drei Stunden nach Sonnenaufgang erreichten sie Bovillae, wo gerade Markttag war. Eine Meile hinter der geschäftigen Stadt kamen sie in unbewohntes Land, obwohl es nur noch dreizehn Meilen bis zur Servianischen Mauer von Rom waren. Das saftige Weideland zu beiden Seiten der Straße gehörte dem jungen Ritter Titus Sertius Gallus, der so reich war, daß er den vielen Kaufangeboten leicht widerstehen konnte. Die Wiesen waren braun gesprenkelt von den schönen Pferden seiner Zucht, seine luxuriöse Villa aber lag so weit abseits der Straße, daß man sie auch nicht von Ferne sehen konnte. Das einzige Gebäude an der Straße war eine kleine Taverne.

»Da kommt uns eine größere Gruppe entgegen«, bemerkte Schola.

Clodius grunzte nur und gab mit erhobener Hand das Zeichen, die Straße zu verlassen.

Die ganze Gruppe wich auf die grasbewachsene Böschung aus, wie es Brauch war, wenn zwei Parteien sich begegneten, von denen eine mit Wagen unterwegs war und die andere nicht.

»Sampsiceramus mit seinem Harem!« sagte Gaius Clodius.

»Nein!« sagte Pomponius, als die andere Gruppe näherkam. »Das ist ja eine kleine Armee! Seht doch, alle mit Brustpanzer!«

In diesem Moment erkannte Clodius den Mann, der an der Spitze ritt: Marcus Fustenus. »Cacat!« rief er. »Es ist Milo!«

Schola, Pomponius und Gaius Clodius zuckten zusammen, die Farbe wich aus ihren Gesichtern. Doch Clodius trat sein Pferd in die Flanken.

»Los! Wir müssen vorbei, so schnell wir können!«

Das carpentum mit Fausta, Milo und Fufius Calenus fuhr genau in der Mitte des Zuges. Clodius lenkte vorsichtig sein Pferd auf die Straße, blickte finster in den Wagen und ritt vorbei. Als er sich ein paar Schritte weiter umdrehte, sah er, daß Milo den Kopf aus dem Fenster streckte und ihm böse hinterherstarrte.

Es war ein langes Spießrutenlaufen. Clodius hatte es schon fast hinter sich gebracht, doch als er auf der Höhe der rund hundert schwerbewaffneten Reiter am Ende von Milos Zug angekommen war, begann der Ärger. Clodius selbst konnte noch problemlos passieren. Als seine dreißig Sklaven ihm aber folgen wollten, scherte Milos Leibwache aus und verstellte ihnen den Weg. Mehrere von Milos Männern hatten Speere, die sie Clodius’ Pferden heftig in die Flanken rammten. Schon lagen ein paar Sklaven am Boden, andere zogen fluchend ihre Schwerter und schlugen um sich. Clodius und Milo haßten sich — aber ihre Männer haßten sich noch viel mehr.

»Weiter!« schrie Schola, als Clodius die Zügel zog. »Laß sie, Clodius! Wir sind vorbei, reite weiter!«

»Ich kann meine Männer nicht im Stich lassen!« Clodius brachte sein Pferd zum Stehen und wendete.

Die beiden letzten Reiter in Milos Zug waren Milos bewährteste Schläger, die ehemaligen Gladiatoren Birria und Eudamas. Als Clodius umdrehte, um seinen Männern zu Hilfe zu eilen, hob Birria den Speer, zielte und warf.

Die wie ein Blatt geformte Spitze traf Clodius mit solcher Wucht in die Schulter, daß er vom Pferd gerissen wurde und auf die Straße fiel. Er blieb auf dem Rücken liegen, beide Hände um den Schaft des Speeres geklammert. Seine drei Freunde sprangen von den Pferden und rannten zu ihm hin.

Geistesgegenwärtig riß Schola ein großes, viereckiges Stück von seinem Mantel und faltete es zu einer Kompresse. Dann nickte er Pomponius zu. Im selben Moment, als Pomponius den Speer herauszog, drückte Schola den provisorischen Verband auf die jetzt heftig blutende Wunde.

Während Schola den Verband festhielt, richteten Pomponius und Gaius Clodius ihren Freund auf und zogen ihn im Laufschritt die Straße entlang zu der etwa zweihundert Schritt entfernten Taverne.

Milos Zug hatte angehalten. Milo selbst stand mit gezogenem Schwert vor seinem Wagen und starrte zur Taverne. Seine Leibgarde hatte mit Clodius’ Sklaven kurzen Prozeß gemacht; elf waren tot, einige krochen schwerverletzt über das Gras, der Rest war über die Wiesen geflohen. Fustenus eilte zu ihm.

»Sie haben ihn in die Taverne dort gebracht«, sagte Milo.

Aus dem carpentum hinter ihm drang hysterisches Geschrei und Gekreische. Milo steckte den Kopf durch das Fenster und sah, wie Calenus und sein Diener vollauf damit beschäftigt waren, Fausta und deren Dienerin zu beruhigen. Gut. Calenus war beschäftigt, er würde nicht aussteigen, um nachzusehen, was draußen los war.

»Bleib im Wagen!« sagte Milo zu Calenus. »Clodius. Es ist zum Streit gekommen. Er hat angefangen, und wir beenden ihn jetzt.« Er trat zurück und nickte Fustenus, Birria und Eudamas zu. »Kommt!«

Als die Auseinandersetzung auf der Straße begonnen hatte, hatte der Wirt der kleinen Taverne seine Frau, seine Kinder und seine drei Sklaven durch den Hinterausgang auf die Wiesen hinausgeschickt. Als Pomponius und der Freigelassene Gaius Clodius den Verwundeten durch die Tür schleppten, war er deshalb allein. Vor Angst quollen ihm fast die Augen aus dem Kopf.

»Schnell, ein Bett!« rief Schola.

Der Wirt deutete mit zitterndem Finger auf einen Nebenraum, wo die drei Männer Clodius auf ein Brettergestell mit einer groben Strohmatratze hievten. Die Kompresse war inzwischen blutgetränkt und tropfte. Schola sah sich aufgeregt nach dem Wirt um.

»Bring Tücher!« befahl er barsch, und riß erneut ein Stück von seinem Mantel ab.

Clodius’ Augen waren offen, und er stöhnte. »Nicht so schlimm«, sagte er und versuchte zu lachen. »Ich komme durch, Schola, aber holt besser Hilfe aus Bovillae. Ich kann in der Zwischenzeit hier bleiben.«

»Auf keinen Fall, Clodius!« flüsterte Schola. »Milo hat angehalten. Die bringen dich um!«

»Das wagen sie nicht!« keuchte Clodius. »Los! Macht euch auf den Weg!«

»Ich bleibe bei dir. Zwei sind genug.«

»Alle drei!« stieß Clodius mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich befehle es euch, Schola! Geht!«

»Du drückst das fest auf die Wunde!« befahl Schola dem Wirt. »Wir sind so schnell wie möglich wieder zurück.« Er überließ dem versteinerten Wirt seinen Platz am Bett, und kurz darauf hörte man Hufe klappern.

Clodius schwindelte. Er schloß die Augen und versuchte, nicht an die Schmerzen und das Blut zu denken. »Wie heißt du?« fragte er den Wirt, ohne die Augen zu öffnen.

»Asicius.«

»Asicius, drücke die Kompresse auf die Wunde, so fest du kannst, und leiste Publius Clodius Gesellschaft!«

»Publius Clodius?« stammelte Asicius.

»Der bin ich.« Seufzend hob Clodius die Lider und grinste. »So ein Mist! Ausgerechnet Milo zu begegnen!«

In der Tür tauchten Schatten auf.

»Ja, ausgerechnet Milo!« Milo trat in das Zimmer, gefolgt von Birria und Eudamas.

Clodius sah ihn verächtlich an. »Wenn du mich tötest, Milo, wirst du den Rest deines Lebens im Exil verbringen.«

»Das glaube ich kaum, Clodius. Ich handle sozusagen in Pompeius’ Auftrag.« Er stieß den Wirt zur Seite und beugte sich über die Wunde, die nur noch schwach blutete. »Hm, daran wirst du nicht sterben.« Er nickte Fustenus zu. »Tragt ihn raus!«

»Und der?« Fustenus zeigte auf den wimmernden Asicius.

»Töte ihn!«

Ein rascher Hieb auf Asicius’ Kopf, und es war erledigt. Birria und Eudamas hoben Clodius aus dem Bett, als wiege er nichts, schleiften ihn hinaus und warfen ihn mitten auf die Via Appia.

»Kleider runter! Ich will sehen, was an dem Gerücht dran ist!« sagte Milo höhnisch.

Mit seinem Schwert, das schärfer war als eine Rasierklinge, schlitzte Fustenus erst Clodius’ Reitkleid vom Saum bis zum Halsausschnitt auf, dann das Tuch um seine Lenden.

»Seht euch das an!« Milo brüllte vor Lachen. »Er ist wirklich beschnitten!« Er schnippte Clodius’ Penis mit der Schwertspitze nach oben. »Stellt ihn hin!«

Birria und Eudamas packten Clodius rechts und links an den Armen und stellten ihn auf. Sein Kopf schwankte ein wenig, seine Füße berührten kaum den Boden. Er sah Milo nicht, er sah auch Birria, Eudamas und Fustenus nicht, er sah nur den bescheidenen, kleinen Schrein auf der anderen Straßenseite gegenüber der Taverne: Einige schöne Steine waren zu einer kurzen, quadratischen Säule aufgeschichtet, darunter ein großer roter Stein, in den Schamlippen und die klaffende Öffnung einer Vulva eingeschnitten waren. Bona Dea... ein Altar zu Ehren der guten Göttin hier an der Via Appia, dreizehn unselige Meilen von Rom entfernt. Am Sockel der Säule lagen Opfergaben, Blumensträuße, ein paar Eier, eine kleine Schüssel mit Milch.

»Bona Dea!« krächzte Clodius. »Bona Dea!«

Die heilige Schlange der Göttin streckte züngelnd ihren häßlichen Kopf aus dem breiten Schlitz der göttlichen Vulva, die kalten, schwarzen Augen fest auf Clodius gerichtet, der an den Mysterien der Bona Dea gefrevelt hatte. Als Fustenus Clodius das Schwert in den Bauch stieß, bis es an der Wirbelsäule wieder herauskam, spürte Clodius nichts davon. Auch nicht, als Birria ihn auf seinen Speer spießte und Eudamas seine Gedärme auf die blutgetränkte Straße schleuderte. Clodius und die Schlange der Bona Dea sahen einander auf den Grund der Seele, bis seine Augen brachen und er starb.

»Gib mir dein Pferd, Birria!« Milo saß auf, Eudamas und Birria stiegen zusammen auf ein Pferd. Milos Eskorte hatte sich auf der Via Appia in Richtung Bovillae entfernt, und die Männer ritten los, um sie einzuholen.

Zufrieden zog die heilige Schlange den Kopf ein und ringelte sich wieder in Bona Deas Vulva zusammen.

Asicius’ Familie und seine Sklaven kehrten von den Wiesen zurück. Als sie Asicius tot fanden und dann auch noch Publius Clodius’ nackte Leiche auf der Straße entdeckten, flohen sie wieder.

Auf der Via Appia waren stets viele Reisende unterwegs, auch an diesem achtzehnten Tag des Januar. Elf von Clodius’ Sklaven waren tot, elf weitere lagen im Sterben und stöhnten, doch niemand hielt an, um ihnen zu helfen. Als Schola, Pomponius und Gaius Clodius zusammen mit ein paar Einwohnern von Bovillae und einem Karren zurückkehrten und den toten Clodius sahen, liefen ihnen Tränen die Wangen hinunter.

»Auch wir sind so gut wie tot!« sagte Schola, nachdem sie die Leiche des Wirts gefunden hatten. »Milo wird keine Ruhe geben, bis er alle Zeugen beseitigt hat.«

»Dann nichts wie weg von hier!« sagte der Besitzer des Karrens, drehte um und holperte davon.

Bald waren auch die anderen verschwunden. Clodius lag weiter auf der Straße in einer Lache geronnenen Blutes und inmitten seiner Eingeweide, den Blick starr auf den Schrein der Bona Dea gerichtet.

Die anderen Reisenden warfen nur einen kurzen Blick auf die Leiche, dann eilten sie entsetzt weiter. Am Nachmittag jedoch kam eine Sänfte, in der Sextus Teidius saß, ein steinalter römischer Senator. Als die Träger stehenblieben und aufgeregt die Stimmen erhoben, streckte er gereizt den Kopf zwischen den Vorhängen heraus — und sah in das Gesicht von Publius Clodius. Er kletterte hinaus, seine Krücke fest unter den Arm geklemmt, denn er hatte nur noch ein Bein; das andere hatte er unter Sulla im Kampf gegen König Mithridates verloren.

»Legt den armen Kerl in meine Sänfte und tragt ihn, so schnell ihr könnt, nach Rom zu seinem Haus!« wies er die Träger an. Dann winkte er seinem Diener. »Xenophon, hilf mir zurück nach Bovillae! Die wissen doch, was hier passiert ist, sonst hätten sie nicht so komisch reagiert, als wir durchfuhren.«

Eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit trugen Sextus Teidius’ Träger die Sänfte völlig außer Atem durch die Porta Capena und den Clivus Palatinus hinauf zu Clodius’ neuem Haus.

Fulvia rannte ihnen mit wehenden Haaren entgegen. Sie schob die Vorhänge der Sänfte beiseite und sah auf das hinunter, was von Publius Clodius übriggeblieben war. Seine Haut war weiß wie parischer Marmor, die Gedärme hatte man ihm achtlos in die klaffende Bauchwunde gestopft, sein Geschlecht lag offen und ungeschützt da, kein Kleid verlieh seinem Tod Würde. »Clodius!« schrie sie gellend. »Clodius!«

Diener legten ihn auf eine behelfsmäßige Bahre und trugen ihn in den Garten des Peristyls, ohne seine Blöße zu bedecken. Zur gleichen Zeit versammelten sich seine Freunde, Curio, Antonius, Plancus Bursa, Pompeius Rufus, Decimus Brutus, Poplicola und Sextus Cloelius.

»Milo!« knurrte Antonius.

»Das wissen wir nicht«, sagte Curio, der Fulvia, die auf einer Bank vor ihm saß und regungslos auf Clodius starrte, die Hand auf die Schulter gelegt hatte.

»Und ob wir das wissen!« meldete sich eine neue Stimme zu Wort. Sie gehörte Titus Pomponius Atticus.

Er ging zu Fulvia und setzte sich neben sie. »Arme Fulvia!« sagte er zärtlich. »Ich habe nach deiner Mutter geschickt, sie wird bald hier sein.«

»Und woher willst ausgerechnet du das wissen?« fragte Plancus Bursa argwöhnisch.

»Von meinem Vetter Pomponius. Er begleitete Clodius«, sagte Atticus. »Sie ritten mit dreißig Sklaven auf der Via Appia, wo sie auf Milo trafen, der fünfmal so viele Männer dabei hatte.« Er deutete mit der Hand auf Clodius’ Leiche. »Das ist das Ergebnis, obwohl Pomponius nicht dabei war, als man ihn tötete. Er sah nur, wie Birria einen Speer warf. Doch die Wunde an der Schulter war nicht tödlich. Clodius floh in eine Taverne, wo er sich sicher wähnte, und schickte Pomponius, Schola und Gaius Clodius nach Bovillae, um Hilfe zu holen. Die Einwohner von Bovillae wollten mit der Sache aber nichts zu tun haben, und als die drei zurückkehrten, war es zu spät. Clodius lag tot auf der Straße, der Wirt tot in der Taverne. Da gerieten sie in Panik — leider, aber jetzt läßt es sich nicht mehr ändern. Wo Schola und Gaius Clodius sind, weiß ich nicht; mein Vetter trennte sich in Aricia von ihnen, um mich aufzusuchen. Natürlich glauben sie, daß Milo versuchen wird, auch sie zu beseitigen.«

»Gab es denn überhaupt keine Augenzeugen?« fragte Antonius und wischte sich die Augen. »Ich hätte Clodius zwar jeden Monat ein dutzendmal umbringen können — aber er war mir teuer!«

»Nein, offenbar nicht«, sagte Atticus. »Es ist auf der einsamen Strecke bei Sertius Gallus’ Gestüt passiert.« Er nahm Fulvias schlaffe Hand und rieb sie sanft. »Komm, Fulvia, es ist kalt draußen. Laß uns drinnen auf deine Mutter warten.«

»Ich muß bei Clodius bleiben«, flüsterte sie. »Er ist tot, Atticus! Wie konnte das geschehen?« Sie wiegte sich vor und zurück. »Tot! Warum? Was soll ich den Kindern sagen?«

Atticus’ dunkle Augen trafen über Fulvias Kopf die Augen Curios. »Das macht deine Mutter schon, Fulvia. Komm rein!«

Curio nahm sie am Arm, und sie ließ sich widerstandslos führen — Fulvia, die Unbezähmbare, Fulvia, die vor nichts Angst hatte, die auf dem Forum brüllte wie ein Mann und für alles kämpfte, an das sie glaubte. Auf der Schwelle gaben ihre Knie nach. Atticus kam Curio zu Hilfe, und zusammen trugen sie Fulvia ins Haus.

Sextus Cloelius, der damals Clodius’ Straßenbanden anführte, war kein Adliger; die anderen kannten ihn zwar, aber er nahm normalerweise nicht an den Treffen des Freundeskreises teil. Doch jetzt, als alle vom Schock wie gelähmt waren, übernahm er das Kommando.

»Ich schlage vor, wir tragen Clodius’ Leiche in diesem Zustand zum Forum und legen sie auf die Rostra«, sagte er kurz. »Die ganze Stadt soll sehen, was Milo mit einem Mann gemacht hat, der ihn in den Schatten gestellt hat wie die Sonne den Mond.«

»Aber es ist doch dunkel!« sagte Poplicola einfältig.

»Nicht auf dem Forum. Die Neuigkeit hat sich schon verbreitet, Fackeln wurden angezündet, und Clodius’ Leute versammeln sich. Ich finde, sie haben das Recht zu sehen, was Milo mit ihrem Anführer gemacht hat!«

»Du hast recht!« Antonius warf seine Toga ab. »Kommt! Zwei von euch nehmen die Trage unten, ich halte sie oben.«

Decimus Brutus schluchzte heftig, also legten Poplicola und Pompeius Rufus ihre Togen ab und traten an die Bahre.

»Warum faßt du nicht mit an, Bursa?« fragte Antonius, als er sah, daß die Bahre sich gefährlich neigte. »Siehst du nicht, daß Poplicola neben Rufus zu klein ist? Nimm seinen Platz ein!«

Plancus Bursa räusperte sich. »Ich wollte eigentlich nach Hause gehen. Meiner Frau geht es sehr schlecht.«

Antonius runzelte die Stirn, dann verzog er den Mund und entblößte seine kleinen, ebenmäßigen Zähne. »Was ist eine Frau, wenn Clodius tot ist? Nicht mehr als der Dreck unter meinem Schuh! Nimm Poplicolas Platz ein, oder ich richte dich zu wie Clodius!«

Bursa gehorchte.

Die Neuigkeit hatte sich tatsächlich schon verbreitet, und in der Gasse vor Clodius’ Haus waren Menschen zusammengeströmt, die Fackeln in der Hand hielten. Als Antonius aus der Tür trat, in den Händen die beiden Griffe am Kopfteil der Bahre, erhob sich ein Murmeln, das beim Anblick der Leiche zu lautem Seufzen wurde.

»Seht ihr ihn?« rief Cloelius. »Das hat Milo getan!«

Ein Grollen ging durch die Menge, das anschwoll, als die drei Männer ihre Last zum Clivus Victoriae trugen. Dort, am oberen Ende der Vestalischen Treppe, hielten sie an. Antonius drehte sich um, hob die Griffe der Bahre über seinen Kopf und stieg rückwärts die Treppe hinunter, ohne sich umzusehen und ohne zu stolpern. Unten auf dem Forum brannte ein Meer von Fackeln, und der Platz war erfüllt vom Klagegeschrei der Männer und Frauen. Antonius’ rotbraune Locken glühten im flackernden Licht, als er am Fuß der Treppe ankam.

Antonius, Bursa und Pompeius Rufus trugen Clodius über das untere Forum zum Versammlungsplatz der Komitien und zur Rednerbühne an dessen Seite. Dort stellten sie die Bahre ab.

Cloelius war in der ersten Reihe der Menge stehengeblieben; als er jetzt auf die Bühne stieg, hatte er den Arm um die Schultern eines sehr alten, kleinen Mannes gelegt, der bitter weinte.

»Ihr alle wißl, wer das ist«, sagte Cloelius mit lauter Stimme. »Ihr alle kennt Lucius Decumius! Jahrelang war er Clodius’ treuester Anhänger und Freund!« Cloelius faßte mit der Hand unter Lucius Decumius’ Kinn und hob das runzlige Gesicht an, so daß seine Tränen im Licht der Fackeln glänzten. »Seht ihr, wie Lucius Decumius trauert?«

Er zeigte mit dem Finger auf die Curia Hostilia, den Versammlungsort des Senats, auf deren Stufen sich eine kleine Gruppe von Senatoren versammelt hatte: Cicero, der lächelte, Cato, Bibulus und Ahenobarbus, die zwar ernst wirkten, doch keineswegs traurig, und Manlius Torquatus, Lucius Caesar und der von einem Schlaganfall gezeichnete Lucius Cotta.

»Seht ihr sie?« brüllte Cloelius. »Die Männer, die Rom und euch verraten haben! Seht ihr, wie der große Marcus Tullius Cicero lächelt? Wir wissen alle, daß er durch Milos Bluttat nichts zu verlieren hat.« Er wandte sein Gesicht einen Augenblick ab; als er wieder zur Menge sprach, war Cicero verschwunden. »Wahrscheinlich hat er Angst, daß er der nächste sein wird! Keiner verdient den Tod mehr als unser großer Cicero, der römische Bürger ohne Prozeß hinrichten ließ und dafür von dem Mann, der hier zerfleischt vor euch liegt, in die Verbannung geschickt wurde! Der Senat war gegen alles, was Publius Clodius tat oder zu tun versuchte! Wofür halten sich diese Idioten eigentlich? Für etwas Besseres halten sie sich, für besser als ich, als Lucius Decumius und als Publius Clodius, der einer von ihnen war!«

Das Murren der Menge wurde lauter, und der Haß, den Cloelius mit seiner Rede schürte, wuchs.

»Er hat euch kostenloses Getreide gegeben!« schrie er. »Er hat euch das Recht zurückgegeben, euch in den collegia zu versammeln, ein Recht, das dieser Mann«, er zeigte auf Lucius Caesar, »euch entzogen hatte! Clodius war euer Freund, er hat euch Arbeit gegeben, und er hat wunderbare Spiele für euch ausgerichtet!« Er tat so, als spähe er angestrengt in das Meer von Gesichtern vor ihm. »Ich sehe viele Freigelassene hier. Auch ihr trauert um ihn, denn er war euer Freund! Er verschaffte euch Zutritt zu den Spielen, als die anderen sie euch verboten. Und er wollte euch das volle römische Bürgerrecht geben, das Recht, einem der einunddreißig Landbezirke anzugehören!«

Cloelius hielt heftig atmend inne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber die dort drüben«, schrie er dann, die Hand zur Curia Hostilia ausgestreckt, »die wollten das nicht! Weil sie wußten, daß ihre schöne Zeit dann vorüber sein würde! Sie haben sich verschworen, um unseren geliebten Publius Clodius zu töten! Denn er war so furchtlos und entschlossen, daß nichts außer dem Tod ihn hätte aufhalten können. Das wußten sie, und deshalb planten sie seinen Tod. Sie alle haben ihn getötet — nicht nur Milo allein, dieser Exgladiator. Er war nur ihr Werkzeug! Darauf gibt es nur eine Antwort! Zeigen wir ihnen, daß wir das nicht auf uns sitzen lassen, daß wir sie töten, bevor sie uns fertigmachen!« Er sah wieder zur Treppe der Curia Hostilia und tat erstaunt. »Seht ihr das? Sie sind weg! Nicht einer von ihnen hat den Mumm, euch ins Gesicht zu sehen. Aber hält uns das auf? Haltes uns auf?«

Die Menge brodelte, und Fackeln wurden wild durch die Luft geschwenkt. »Nein!« schrien die Menschen wie aus einem Mund.

Poplicola stand neben Cloelius, doch Antonius, Bursa, Pompeius Rufus und Decimus Brutus hielten sich im Hintergrund; ihnen war nicht wohl in ihrer Haut. Zwei von ihnen waren Volkstribunen; der eine war erst kürzlich zu den Senatssitzungen zugelassen worden, der andere, Antonius, wartete immer noch auf seinen Platz im Senat. Cloelius’ Rede galt genauso ihnen wie den Senatoren, die von der Treppe der Curia Hostilia geflohen waren, aber sie konnten Cloelius nicht mehr aufhalten, und sie konnten sich auch nicht einfach aus dem Staub machen.

»Dann zeigen wir ihnen jetzt, was wir mit ihnen machen werden!« schrie Cloelius. »Wir legen Publius Clodius in den Senat! Sollen sie es doch wagen, ihn von dort zu entfernen!«

Eine Bewegung lief durch die Menge, die die vordersten Reihen auf die Rostra hinaufschob. Von unzähligen Armen ergriffen, wurde Clodius’ Bahre über Schultern gehoben und die Treppe zur Curia Hostilia hinaufgetragen bis zu dem schweren Bronzeportal. Im Handumdrehen waren die beiden Flügel aus den gewaltigen Angeln gerissen und das Portal gestürmt. Publius Clodius’ Leiche verschwand im Inneren. Dann hörte man von drinnen ein Splittern und Krachen.

Bursa hatte inzwischen unauffällig verschwinden können. Antonius, Decimus Brutus und Pompeius Rufus standen noch da und verfolgten entsetzt, wie Cloelius die Treppe zum Eingang des Senats hinaufstürmte.

Antonius bemerkte, daß der alte Lucius Decumius noch immer weinend auf der Rostra stand. Er kannte ihn aus Caesars Tagen in der Subura, und obwohl er kein gütiger Mensch war, hatte er doch ein Herz für Menschen, die er mochte. Da sich niemand um Lucius Decumius kümmerte, trat er zu dem Alten und legte den Arm um ihn.

»Wo sind deine Söhne, Decumius?«

»Weiß ich nicht, ist mir auch egal.«

»Zeit für einen alten Knaben wie dich, ins Bett zu gehen.«

»Ich will nicht ins Bett.« Die tränennassen Augen blickten auf und erkannten Antonius. »Ach Marcus Antonius, jetzt sind alle tot!« heulte er. »Sie hat ihnen das Herz gebrochen, sie hat auch mein Herz gebrochen, und jetzt sind alle tot!«

»Wer hat dir das Herz gebrochen, Decumius?«

»Die kleine Julia. Ich kannte sie schon als Säugling, und Caesar auch. Ich kannte Aurelia, seit sie achtzehn war. Ich kann nicht mehr, es ist zu viel für mich, Marcus Antonius.«

»Caesar lebt noch, Decumius.«

»Aber ich werde ihn nicht mehr wiedersehen. Caesar sagte zu mir, paß auf Clodius auf, paß auf, daß Clodius nichts passiert, solange ich weg bin. Aber ich konnte es nicht, niemand konnte es. Clodius machte, was er wollte.«

Die Menge brach in Geschrei aus. Antonius sah auf und erstarrte. Die altehrwürdige Curia Hostilia hatte keine Fenster, doch hoch oben an der Wand, wo sie von schönen Wandmalereien geschmückt war, befanden sich große Lüftungsgitter. Aus diesen drang nun ein roter, flackernder Schein und quoll Rauch.

»Beim Jupiter!« brüllte Antonius. »Sie haben die Curia angezündet!«

Lucius Decumius wand sich aus Antonius’ Arm und eilte weg.

Bestürzt sah Antonius, wie der Alte sich durch die Menschenmassen kämpfte, die vor dem Feuer zurückwichen. Lodernd schlugen die Flammen aus dem offenen Portal, doch Lucius Decumius lief weiter. Seine Silhouette war schwarz gegen das Feuer zu sehen, dann verschwand er im Innern des Gebäudes.

Der Rachedurst der Menge war gestillt, die Menschen gingen erschöpft nach Hause. Antonius und Decimus Brutus stiegen die Vestalische Treppe hinauf und beobachteten von dort, wie das Feuer in der Curia Hostilia den Leichnam des Publius Clodius verzehrte. Rechts schlossen sich an die Curia Hostilia die Amtsräume des Senats an, in denen wichtige Dokumente aufbewahrt wurden, so die consulta, die Senatsbeschlüsse, und die fasti, die Listen aller Magistraten, die jemals im Amt gewesen waren. Links von ihr, am Clivus Argentarius, stand die Basilica Porcia, wo die Volkstribunen sich versammelten und die Geldverleiher ihre Büros hatten; auch sie war voll von unersetzlichen schriftlichen Dokumenten. Cato der Zensor hatte sie erbauen lassen, das erste Gebäude dieser Art am Forum, und obwohl sie klein und in die Jahre gekommen war und schon lange im Schatten großartigerer Gebäude stand, war sie doch steingewordener Teil des mos maiorum. Gegenüber der Curia, auf der anderen Seite des Argiletum, erhob sich die prächtige Basilica Aemilia, die gerade von Lucius Aemilius Paullus restauriert wurde und bald in neuem Glanz erstrahlen sollte.

Antonius und Decimus Brutus sahen zu, wie all diese Gebäude ein Raub der Flammen wurden.

»Ich hatte Clodius gern, aber für Rom war er nicht gut«, sagte Antonius niedergeschlagen.

»Mir ging es genauso! Ich glaubte lange, unter Clodius würde alles besser werden«, sagte Decimus Brutus. »Aber er wußte einfach nicht, wann er aufhören mußte. Der Plan mit den Freigelassenen hat ihn umgebracht.«

»Vielleicht ist der Bandenkrieg jetzt zu Ende.« Antonius sah Decimus Brutus an. »Vielleicht werde ich ja doch noch zum Quästor gewählt.«

»Und ich gehe zu Caesar nach Gallien. Wir treffen uns dort.«

»Weiß nicht«, brummte Antonius, »wahrscheinlich ziehe ich das Los für Sardinien oder Korsika.«

»Nein!« Brutus grinste. »Wir gehen beide nach Gallien. Caesar hat dich angefordert, das hat er mir geschrieben.«

Als Antonius sich auf den Heimweg machte, ging es ihm schon viel besser.

In jener schrecklichen Nacht waren noch andere Dinge geschehen. Plancus Bursa war mit einigen Männern aus der Menge zum Tempel der Venus Libitina auf dem Campus Esquilinus jenseits der Servianischen Mauer marschiert. Sie holten die fasces, die Rutenbündel, die dort lagen, weil keine hohen Magistraten gewählt worden waren, denen sie als Insignien hätten dienen können, und trugen sie den ganzen Weg vom Süden der Stadt zum Marsfeld. Vor Pompeius’ Villa stellten sie sich auf und riefen laut, Pompeius solle die fasces und damit die Diktatur annehmen. Doch im Haus blieb alles dunkel, niemand antwortete ihnen. Pompeius war zu seinem Gut in Etrurien gereist. Fußlahm zogen sie zum Palatin zu Plautius und Metellus Scipio weiter und baten diese, die fasces anzunehmen. Aber auch dort waren die Türen verriegelt, und niemand antwortete.

Bursa hatte sich schon nach dem erfolglosen Gang zu Pompeius’ Villa abgesetzt und war verängstigt nach Hause gegangen. Im Morgengrauen brachte die führerlose Gruppe die Rutenbündel wieder zum Tempel der Venus Libitina zurück.

Niemand wollte Rom regieren, diesen Eindruck hatten die Römer, die am nächsten Tag zum Forum gingen und die verkohlten Trümmer der ruhmreichen römischen Geschichte sahen. Von Fulvia beauftragte Bestattungsunternehmer durchstöberten in Stiefeln und mit Handschuhen und Gesichtsmasken die immer noch heiße Glut nach Publius Clodius’ Überresten. Sie fanden nicht viel, aber genug, um etwas in die edelsteinbesetzte Urne zu füllen, die Fulvia für eine Unsumme gekauft hatte. Fulvia, am Ende ihrer Kräfte, gehorchte ihrer Mutter und mied das Forum. Aber Clodius mußte beerdigt werden, wenn auch nicht auf Staatskosten.

Mit aschfahlen Gesichtern starrten Cato und Bibulus auf das Forum.

»Ach Bibulus, die Basilica von Cato dem Zensor ist abgebrannt! Und ich habe kein Geld, um sie wieder aufbauen zu lassen!« Mit Tränen in den Augen starrte Cato auf die geborstenen, rauchgeschwärzten Mauern. Die Säule, die den Volkstribunen so im Weg gewesen war, ragte aus den verkohlten Balken des eingestürzten Daches wie ein verfaulter Zahnstummel.

»Porcias Mitgift könnte ein Anfang sein«, schlug Bibulus vor. »Porcia und ich kommen auch ohne das Geld zurecht. Außerdem kommt Brutus demnächst zurück, er wird eine große Spende geben.«

»Und alle Dokumente des Senats sind verloren!« sagte Cato laut schluchzend. »Auch die, die künftigen Römern die Worte Catos des Zensors überliefert hätten.«

»Ja, Cato, es ist eine Katastrophe, aber wenigstens sind wir jetzt die Sorge mit den Freigelassenen los.«

So dachten auch die anderen Senatoren.

Lucius Domitius Ahenobarbus, der mit Catos Schwester verheiratet war und Bibulus mit zwei seiner eigenen Schwestern verheiratet hatte, kam auf die beiden zugeeilt. Klein und untersetzt und mit einem völlig kahlen Schädel, hatte er weder Catos Prinzipientreue noch Bibulus’ scharfen Verstand, dafür war er stur bis zur Blödheit und den boni, den »guten Männern« der ultrakonservativen Senatsfraktion, vollkommen ergeben.

»Ich habe gerade ein äußerst erstaunliches Gerücht gehört!« sagte er atemlos.

»Nämlich?«

»Milo soll während des Brandes heimlich nach Rom zurückgekehrt sein!«

Cato und Bibulus starrten ihn an.

»Das würde er nicht wagen«, widersprach Bibulus.

»Mein Informant schwört, daß er sah, wie Milo vom Kapitol aus dem Brand zusah. Die Türen seines Hauses sind zwar verriegelt, aber es ist jemand im Haus.«

»Wer hat ihn zu dem Mord angestiftet?« fragte Cato.

Ahenobarbus sah ihn erstaunt an. »Angestiftet? Milo und Clodius mußten doch früher oder später aneinandergeraten.«

»Ich glaube trotzdem, daß ihn jemand angestiftet hat«, sagte Bibulus. »Und ich glaube auch, ich weiß, wer dieser Jemand ist.«

»Wer denn?« fragte Ahenobarbus.

»Pompeius natürlich. Ermutigt durch Caesar.«

»Das wäre ja eine Verschwörung zum Mord!« sagte Ahenobarbus entsetzt. »Wir wissen zwar alle, daß Pompeius ein Barbar ist, aber er ist sehr vorsichtig. Caesar kann nicht belangt werden, er sitzt im italischen Gallien, aber Pompeius ist hier, und eine solche Suppe würde er sich nicht freiwillig einbrocken.«

»Wenn niemand es beweisen kann, kann es ihm doch egal sein«, erwiderte Cato geringschätzig. »Schließlich hat er sich vor über einem Jahr von Milo losgesagt.«

»Tja!« Bibulus grinste. »Es wird wohl immer wichtiger, daß wir diesen picenischen Barbaren für unsere Sache gewinnen. Wenn er schon so vor Caesar kuscht, was könnte er dann erst für uns tun! Wo ist Metellus Scipio?«

»Der hat sich zu Hause eingeschlossen, seit man ihm die fasces angetragen hat.«

»Laßt uns zu ihm gehen«, sagte Cato. »Uns wird er reinlassen.«

Cicero und Atticus, Freunde seit vierzig Jahren, hatten eine schwere Auseinandersetzung. Cicero, der wegen Publius Clodius in größter Angst gelebt hatte, hielt dessen Tod natürlich für das Beste, was Rom überhaupt passieren konnte, während Atticus aufrichtig trauerte.

»Ich verstehe dich nicht, Atticus!« rief Cicero. »Du bist einer der einflußreichsten Ritter von Rom, du bist an fast allen Geschäftszweigen beteiligt und warst deshalb eins der Hauptopfer von Clodius. Und jetzt bekommst du Heulkrämpfe, weil er tot ist! Ich bin überglücklich!«

»Niemand sollte sich über den vorzeitigen Verlust eines Claudius Pulcher freuen«, sagte Atticus streng. »Er war der Bruder des Appius Claudius, eines meiner engsten Freunde. Er war ein kluger Kopf und sehr gebildet. Ich werde ihn vermissen, denn ich habe seine Gesellschaft immer genossen. Außerdem tut mir seine arme Frau leid, sie hat ihn leidenschaftlich geliebt.« Atticus’ grobknochiges Gesicht bekam einen wehmütigen Ausdruck. »Eine solche Liebe ist selten, Marcus, und sie verdient es nicht, auf dem Höhepunkt zerstört zu werden.«

»Fulvia?« kreischte Cicero empört. »Diese ordinäre Hure, die die Frechheit besaß, auf dem Forum lauthals für Clodius zu schreien, als sie hochschwanger und dick wie zwei war? Das ist nicht dein Ernst, Titus! Sie mag die Enkelin des Gaius Gracchus sein, aber sie ist eine Schande für das Geschlecht der Sempronier! Und der Fulvier!«

Atticus stand abrupt auf, die Lippen zusammengepreßt. »Manchmal bist du wirklich unerträglich prüde, Cicero! Sieh dich doch an, du kommst aus einem Stall in Arpinum! Du scheinheilige alte Jungfer! Als Gaius Gracchus über das Forum schritt, wohnte noch kein Tullier in Rom!«

Er rauschte aus dem Zimmer, und Cicero sah ihm verdattert nach.

Terentia kam herein. »Was ist denn mit dir los?« blaffte sie. »Und wo ist Atticus?«

»Wahrscheinlich bei Fulvia, um ihr beizustehen.«

»Na ja, er hat sie immer gemocht. Fulvia und die Clodias waren sehr tolerant in bezug auf seine Vorliebe für Knaben.«

»Terentia! Atticus ist verheiratet und hat ein Kind!«

»Was hat das damit zu tun? Du bist wirklich eine alte Jungfer, Cicero!«

Cicero zuckte zusammen, sagte aber nichts.

»Ich muß mit dir sprechen.«

Er zeigte auf die Tür zu seinem Arbeitszimmer. »Da drin?« schlug er kleinlaut vor. »Es sei denn, es ist dir egal, ob jemand mithört.«

»Es ist mir egal. Tullia will sich von Crassipes scheiden lassen.«

»Warum denn das?« rief Cicero verzweifelt.

Terentias häßliches Gesicht wurde noch häßlicher, »Das arme Mädchen ist völlig außer sich! Crassipes behandelt sie wie Hundekot an seinem Stiefel! Wo sind denn die vielversprechenden Anlagen, die er laut dir hat? Er ist ein Faulenzer und ein Idiot!«

Cicero hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und sah seine Frau unglücklich durch die Finger an. »Ich weiß, daß er eine Enttäuschung ist, Terentia, aber nicht du mußt eine weitere Mitgift für Tullia auftreiben, sondern ich! Wenn sie sich von Crassipes scheiden läßt, behält er die Hunderttausende von Sesterzen, die ich ihm für sie gegeben habe, und ich darf noch einmal die gleiche Summe auftreiben! Sie kann schließlich nicht allein leben wie die Clodias! Eine geschiedene Frau ist für Roms Klatschmäuler ein gefundenes Fressen!«

»Ich habe auch nicht gesagt, daß sie allein bleiben will«, deutete Terentia an.

Cicero, der nur an die Mitgift dachte, entging die Andeutung. »Natürlich ist sie ein liebes Mädchen und zum Glück auch attraktiv. Aber wer soll sie heiraten? Wenn sie sich von Crassipes scheiden läßt, hat sie mit fünfundzwanzig schon zwei Ehemänner durchgebracht, ohne ein Kind geboren zu haben!«

»Das ist nicht ihre Schuld«, sagte Terentia. »Piso Frugi war so krank, daß er keine Kraft mehr dazu hatte, bevor er starb, und Crassipes hat kein Interesse an ihr. Tullia braucht einen richtigen Mann!« Terentia schnaubte verächtlich. »Wenn sie einen findet, hat sie jedenfalls in ihrem Leben mehr erreicht als ich!«

Cicero wußte später nicht mehr, warum ihm gerade in diesem Augenblick ein Name einfiel: Tiberius Claudius Nero, Sproß eines Patriziergeschlechts, ein reicher Mann — und ein richtiger Mann.

Seine Miene hellte sich auf, Atticus und Fulvia waren vergessen. »Ich weiß einen!« sagte er freudestrahlend. »Einen, der reich genug ist, um auf eine große Mitgift verzichten zu können. Tiberius Claudius Nero!«

Terentia riß den Mund auf. »Nero?«

»Ja, Nero. Er ist noch jung, aber er wird eines Tages Konsul sein.«

»Brrr!« knurrte Terentia und marschierte hinaus.

Cicero sah ihr verwirrt nach. Was war heute mit ihr los? Niemandem konnte er es recht machen. Daran war nur Publius Clodius schuld!

»An allem ist Clodius schuld!« sagte er denn auch zu Marcus Caelius Rufus, als dieser bei ihm eintrat.

»Ja, das wissen wir.« Caelius grinste, legte den Arm um Ciceros Schulter und schob ihn in sein Arbeitszimmer. »Was machst du denn hier? Hast du den Wein neuerdings hier draußen?«

»Nein, der Wein ist wie immer im Arbeitszimmer.« Cicero seufzte erleichtert. Er schenkte Wein ein, verdünnte ihn mit Wasser und setzte sich. »Was führt dich zu mir? Vielleicht Clodius?«

»In gewisser Weise.« Caelius runzelte die Stirn.

Auch er war, in Terentias Worten, ein richtiger Mann. Groß, gutaussehend und männlich, hatte er Clodia jahrelang als Geliebte für sich einnehmen können. Dann hatte er sie fallenlassen, was Clodia ihm nie verziehen hatte. Es war zu einem sensationellen Prozeß gekommen, in dem sich Cicero als Caelius’ Verteidiger so virtuos über Clodias skandalöses Benehmen ausgelassen hatte, daß die Geschworenen den des Mordversuchs an Clodia angeklagten Caelius freisprachen. Die Anklage hatte zwar noch weitere Punkte umfaßt, doch Caelius kam davon. Publius Clodius hatte ihm das nie verziehen.

Gegenwärtig war Caelius Volkstribun. Seine Amtskollegen waren überwiegend Anhänger des Clodius, während Caelius für Milo eintrat.

»Ich habe Milo gesehen«, sagte er zu Cicero.

»Dann stimmt es, daß er in die Stadt zurückgekehrt ist?«

»Ja, er ist hier. Er hält sich versteckt, bis er weiß, in welche Richtung der Wind auf dem Forum weht. Und er ist ziemlich unglücklich darüber, daß Pompeius abgehauen ist.«

»Alle, mit denen ich gesprochen habe, sind auf Clodius’ Seite.«

»Ich nicht, kann ich dir versichern!« sagte Caelius kurz.

»Dank den Göttern, daß sie wenigstens dich auf den rechten Weg geführt haben!« Cicero schwenkte sein Glas, sah hinein und schürzte die Lippen. »Was plant Milo?«

»Er will seine Chancen bei der Konsulatswahl sondieren. Wir hatten ein langes Gespräch, in dem wir übereinkamen, es sei das Beste, so zu tun, als sei gar nichts Besonderes passiert. Clodius begegnete Milo auf der Via Appia und griff ihn an, und er lebte noch, als Milo und sein Gefolge sich zurückzogen. Das stimmt ja auch.«

»In der Tat.«

»Sobald sich der Brandgeruch auf dem Forum verzogen hat, berufe ich eine Volksversammlung ein.« Caelius hielt Cicero sein Glas hin, damit dieser Wein und Wasser nachschenken konnte. »Milo und ich halten es für das Gescheiteste, zuerst einmal Milos Version des Vorfalls zu verbreiten.«

»Hervorragend!«

Es entstand eine Pause, dann sagte Cicero zögernd: »Milo hat doch sicher die Sklaven freigelassen, die er dabeihatte.«

»Natürlich.« Caelius grinste. »Clodius’ Anhänger hätten natürlich verlangt, daß man Milos Sklaven unter Folter Geständnisse abpreßt! Aber darf man einem unter Folter gemachten Geständnis glauben? Besser also, sie sind keine Sklaven mehr und man darf sie nicht foltern.«

»Hoffentlich gibt es keinen Prozeß«, sagte Cicero. »Bei Notwehr besteht dazu im Grunde keine Veranlassung.«

»Es wird keinen Prozeß geben«, erwiderte Caelius zuversichtlich. »Wenn es in Rom wieder Prätoren gibt, die diesen Fall bearbeiten können, wird alles nur noch eine ferne Erinnerung sein. Die momentane Anarchie hat also auch ihre guten Seiten. Und wenn ein Volkstribun, der gegen Milo ist — zum Beispiel Sallustius Crispus —, versucht, in der Volksversammlung einen Prozeß einzuleiten, werde ich Einspruch erheben. Und ich werde Sallustius sagen, was ich von einem Mann halte, der einen unglücklichen Unfall als Vorwand benutzt, sich an dem Mann zu rächen, der ihn verprügelt hat, weil er sich an seiner tugendhaften Frau vergangen hat!«

Sie lachten beide.

»Ich wüßte gern, wo genau Pompeius steht«, sagte Cicero. »Er ist auf seine alten Tage so verschlossen geworden, daß man nie weiß, was er denkt.«

»Pompeius Magnus leidet unheilbar an Selbstüberschätzung«, sagte Caelius. »Ich war nie der Meinung, daß Julia einen guten Einfluß auf ihn hatte, aber seit sie tot ist, habe ich meine Meinung geändert. Sie hat ihn abgelenkt, damit er kein Unheil anrichten konnte.«

»Ich neige dazu, seine Diktatur zu unterstützen.«

Caelius zuckte mit den Achseln. »Ich weiß noch nicht. Magnus muß sich jetzt eigentlich voll hinter Milo stellen — wenn er das tut, kann er auch auf mich zählen.« Er verzog das Gesicht. »Leider bin ich mir da nicht sicher. Auch er wird abwarten, in welche Richtung der Wind auf dem Forum weht.«

»Dann mußt du auf jeden Fall eine mitreißende Rede für Milo halten.«