VI. Rom

Januar bis Dezember 50 v. Chr.

Als der dreißigjährige Gaius Cassius Longinus nach seiner erstaunlichen Karriere als Statthalter einer wichtigen römischen Provinz nach Hause zurückkehrte, schlug ihm von allen Seiten Bewunderung entgegen. Er verzichtete allerdings weise darauf, den Senat um einen Triumphzug zu bitten, obwohl seine Soldaten ihn nach dem Sieg über die galiläische Armee am See Genezareth noch auf dem Schlachtfeld zum Imperator ausgerufen hatten.

»Ich glaube, so was gefällt den Leuten genauso wie deine Erfolge in Syrien«, sagte Brutus.

»Warum sollte ich auch die Aufmerksamkeit in einer Weise auf mich lenken, die den Narren im Senat auf stoßen würde?« fragte Cassius achselzuckend. »Sie würden mir ja sowieso keinen Triumph gewähren. Da ist es schon besser, so zu tun, als wollte ich gar keinen. Jetzt müssen dieselben Leute, die mir meine Dreistigkeit vorgeworfen hätten, wohl oder übel meine Bescheidenheit loben.«

»Du warst gern dort, nicht wahr?«

»In Syrien? Ja. Nicht, solange Marcus Crassus noch lebte, aber nach Carrhae war es einfach phantastisch.«

»Wo ist eigentlich das von Crassus beschlagnahmte Gold aus den syrischen Tempeln geblieben? Hat er es auf den Marsch nach Mesopotamien mitgenommen?«

Cassius sah Brutus einen Augenblick lang verständnislos an, dann begriff er, daß Brutus, obwohl nur vier Monate jünger als er, abgesehen von der finanziellen Seite nur wenig von der Logistik einer Provinzverwaltung verstand. »Nein, es blieb damals in Antiochia. Ich habe es jetzt mitgebracht.« Er lächelte dünn. »Was glaubst du wohl, weshalb ich bei Bibulus so schlecht angeschrieben bin? Er war nämlich der Meinung, er sei für das Gold zuständig, es müsse deshalb bis zu seiner Rückkehr nach Rom in Syrien bleiben. Hätte ich nachgegeben, wäre allerdings nicht mehr viel davon nach Rom gelangt. Man sah regelrecht, wie seine Finger bei der Aussicht, in den Geldtruhen zu wühlen, gierig zuckten.«

»Aber Cassius!« Brutus sah ihn schockiert an. »Marcus Bibulus ist über jeden Tadel erhaben! Catos Schwiegersohn sollte stehlen, was Rom gehört? Niemals!«

»So ein Unsinn!« entgegnete Cassius verächtlich. »Wie naiv bist du eigentlich, Brutus? Das würde doch jeder tun, der die Gelegenheit hätte. Daß ich es nicht tat, lag nur an meinem Alter und meiner steilen Karriere. Wenn ich erst Konsul gewesen bin, soll Syrien meine Provinz werden, und ich werde Syrien auch bekommen, denn ich will mir einen Namen als Fachmann für dieses Gebiet machen. Wäre ich dort nur Quästor gewesen, würde sich niemand auch nur an meine Anwesenheit erinnern. Doch weil der Quästor sich in einen Statthalter verwandelt hat — und zwar in einen sehr erfolgreichen —, wird sich ganz Rom daran erinnern. Deshalb habe ich auf meinem Recht bestanden, den von Crassus zusammengeklauten Schatz als dessen Quästor nach Rom zu bringen, auf völlig legalem Weg, wie Bibulus genau wußte. Außerdem hat Bibulus auf dem Weg nach Syrien so getrödelt, daß ich schon vor seiner Ankunft alles in Kisten verpackt und an Bord einer angemieteten Flotte gebracht hatte. Du hättest sehen sollen, wie er heulte, als er mich wegfahren sah! Ich wünsche ihm alles Gute in Syrien, ihm und seinen beiden verwöhnten Söhnen.«

Brutus schwieg. Gaius Cassius war zwar der anständigste Kerl, den man sich vorstellen konnte, aber zugleich ein streitbarer Mensch, der überhaupt nichts von gewissen boni hielt, die die Last einer Statthalterschaft mit ihren unvermeidlichen Kriegen und Gefahren bekanntlich stets dankend ablehnten. Auch wenn Cassius von seiner Abstammung her zum Konsul bestimmt war, würde er nie ein Politiker sein, dazu fehlte es ihm an Raffinesse, Takt und der Fähigkeit, andere mit glatten Worten auf seine Seite zu ziehen. Er sah genauso aus, wie er war: untersetzt, energisch und soldatisch, die Haare kurzgeschoren und zur Intrige unfähig.

»Ich freue mich natürlich, dich zu sehen«, sagte Brutus, »aber gibt es einen bestimmten Grund für deinen Besuch so kurz nach deiner Rückkehr?«

Cassius’ Mund zuckte, und seine braunen Augen wurden zu Schlitzen. Wie naiv war dieser Brutus eigentlich? Und gab es denn kein Mittel gegen seine scheußliche Akne? »Eigentlich bin ich hier, um mit dem Familienoberhaupt zu sprechen«, sagte er.

»Meine Mutter? Warum sagst du das nicht gleich?«

Seufzend schüttelte Cassius den Kopf. »Brutus, das Familienoberhaupt bist du, nicht Servilia. Ich bin gekommen, um dich in dieser Eigenschaft zu sprechen.«

»Ach so, natürlich. Du hast recht, ich bin das Familienoberhaupt. Aber Mama ist so tüchtig und schon so lange Witwe, daß ich mir gar nicht recht vorstellen kann, sie zu ersetzen.«

»Solange du das nicht kannst, wirst du es auch nicht.«

»Mir ist es so recht, wie es ist«, sagte Brutus. »Also, was führt dich her?«

»Ich will Junia Tertia heiraten — Tertulla. Wir sind seit Jahren verlobt, und auch ich werde nicht jünger, Brutus. Ich dachte, jetzt, wo ich Mitglied des Senats bin und einer großen Zukunft entgegensehe, wird es langsam Zeit, eine Familie zu gründen.«

»Aber sie ist kaum sechzehn«, wandte Brutus stirnrunzelnd ein.

»Weiß ich doch!« sagte Cassius gereizt. »Und ich weiß auch, wessen Tochter sie in Wirklichkeit ist. Aber das weiß ja ganz Rom. Und ich habe nicht das geringste dagegen, den Sproß Caesars zu heiraten, schließlich gelten die Julier noch mehr als die Junier. Und wenn ich Caesar auch persönlich nicht mag, zeigen seine Erfolge gegenwärtig doch wieder deutlich, daß die Julier noch nicht zum alten Eisen gehören.«

»Ich bin Junier«, sagte Brutus steif.

»Aber vom Zweig des Brutus, nicht des Silanus, was ein Unterschied ist.«

»Und mütterlicherseits sind sowohl Tertulla als auch ich patrizische Servilier«, fuhr Brutus fort. In seinem Gesicht begann es angestrengt zu arbeiten.

»Genug davon.« Cassius, der diesen Gesichtsausdruck zur Genüge kannte, wechselte hastig das Thema. »Kann ich Tertulla heiraten?«

»Ich muß zuerst Mutter fragen.«

»Ach Brutus, wann begreifst du denn endlich? Das ist nicht Servilias Entscheidung!«

»Welche Entscheidung denn?« fragte Tertullas Mutter Servilia, die, ohne anzuklopfen, in Brutus’ Arbeitszimmer getreten war. Ihre großen, dunklen Augen ruhten nicht auf ihrem Sohn (von dem sie so enttäuscht war, daß sie es vorzog, ihn zu übersehen), sondern auf Cassius. Strahlend ging sie auf ihn zu und nahm sein starkes, braungebranntes Gesicht in die Hände. »Cassius, wie schön, daß du wieder in Rom bist!« sagte sie und küßte ihn. Seit der Zeit, als Brutus und Cassius Schulkameraden gewesen waren, hatte sie stets eine Schwäche für Cassius gehabt. Ein Krieger, ein Mann der Tat. Ein junger Mann, der wußte, wie man Karriere machte.

»Welche Entscheidung?« wiederholte sie und setzte sich.

»Ich will Tertulla heiraten, und zwar sofort«, antwortete Cassius.

»Dann fragen wir sie doch, was sie davon hält«, sagte Servilia freundlich, womit sie ihrem Sohn die Entscheidung abnahm. Sie klatschte in die Hände, um einen Diener zu rufen. »Bitte Tertulla, ins Arbeitszimmer zu kommen«, trug sie ihm auf. Dann sah sie wieder Cassius an. »Warum willst du sie heiraten?«

»Ich werde demnächst dreiunddreißig, Servilia. Zeit für mich, eine Familie zu gründen. Ich weiß, Tertulla ist noch minderjährig, aber da wir nun schon einige Jahre verlobt sind, bin ich ja kein Unbekannter für sie.«

»Und erwachsen ist sie auch«, sagte Servilia.

Wie recht sie damit hatte, zeigte sich bereits im nächsten Augenblick, als Tertulla anklopfte und das Zimmer betrat.

Cassius riß verblüfft die Augen auf. Er hatte Tertulla seit fast drei Jahren nicht gesehen — drei Jahre, die entscheidende Veränderungen an ihr bewirkt hatten. Aus dem dreizehnjährigen Mädchen war eine junge Frau geworden. Und wie schön sie war!

Caesars verstorbener Tochter Julia wie aus dem Gesicht geschnitten, auch wenn sie weder deren kühle Schönheit noch deren zierliche Statur besaß. Ihre großen Augen, die weder zu eng nebeneinander noch zu weit auseinander standen, waren von einem ins Grau gehenden Gelbton, ihre dichten Haare waren dunkelblond, und ihr Mund war so verführerisch, daß es einen regelrecht zum Wahnsinn treiben konnte. Goldene, makellose Haut. Köstliche Brüste. O Tertulla!

Bei Cassius’ Anblick lächelte Tertulla erfreut und streckte ihm die Hände entgegen. »Gaius Cassius«, sagte sie mit der rauhen Stimme Julias.

Cassius ging gleichfalls lächelnd auf sie zu und umfing ihre Hände. »Tertulla.« Dann wandte er sich an Servilia. »Darf ich sie fragen?«

»Natürlich«, sagte Servilia, erfreut, daß die beiden einander so offensichtlich mochten.

Cassius nahm Tertullas Hände fester in die seinen. »Tertulla, ich habe um die Erlaubnis gebeten, dich zu heiraten. Deine Mutter« — Brutus hatte er abgeschrieben — »sagt, die Entscheidung liege bei dir. Willst du mich heiraten?«

Ihr Lächeln veränderte sich, wurde verführerisch. Plötzlich war deutlich zu erkennen, daß sie auch die Tochter Servilias war, einer überaus verführerischen Frau. »Sehr gern, Gaius Cassius«, sagte sie.

»Gut!« meinte Servilia knapp. »Cassius, geh mit ihr irgendwo hin, wo ihr euch küssen könnt, ohne daß das halbe Haus und alle Mitglieder der Familie dabei zuschauen. Brutus, du kümmerst dich um die Hochzeitsvorbereitungen. Die Jahreszeit ist dafür günstig, aber wähle den Tag trotzdem sorgfältig aus.« Mit einem grimmigen Stirnrunzeln wandte sie sich wieder an das glückliche Paar. »Raus mit euch, husch!«

Hand in Hand eilten die beiden hinaus, und Servilia blieb mit ihrem Sohn allein. Jetzt endlich sah sie ihn an. Sein Gesicht war pickelig wie immer und von Stoppeln übersät, weil er sich nicht rasieren konnte, seine Augen blickten traurig wie die eines Windhundes, die Lippen waren schlaff und willenlos.

»Ich wußte gar nicht, daß Cassius bei dir ist«, sagte sie.

»Er ist gerade erst gekommen, Mama. Ich hätte dich rufen lassen.«

»Ich muß mit dir sprechen.«

»Worüber?«

»Es geht um gewisse Behauptungen über dich, die in der ganzen Stadt kursieren und über die Atticus zutiefst besorgt ist.«

Brutus’ Gesicht verzerrte sich, was ihm schlagartig ein wesentlich beeindruckenderes Aussehen verlieh und vielleicht Ausdruck dessen war, was in Abwesenheit seiner Mutter tatsächlich in ihm vorging. »Cicero!« stieß er zwischen den Zähnen hervor.

»Genau. Das alte Lästermaul persönlich. Er regt sich über deine Geschäfte als Geldverleiher in seinen Provinzen Kappadokien und Galatien auf, von Zypern ganz zu schweigen.«

»Er kann nicht das Geringste beweisen. Das Geld wurde von zwei meiner Klienten verliehen, Matinius und Scaptius. Ich habe mich lediglich bemüht, die Interessen meiner Klienten zu schützen, Mama.«

»Mein lieber Brutus, du scheinst zu vergessen, daß es mich schon gab, als du für solche Geschäfte noch viel zu klein warst! Matinius und Scaptius sind deine Angestellten! Mein Vater hat das Geschäft aufgebaut, zusammen mit vielen anderen. Es ist gut getarnt, das schon, aber du darfst jemandem mit dem Verstand und Scharfsinn eines Cicero nicht die geringste Munition liefern.«

»Mit Cicero werde ich schon fertig«, sagte Brutus selbstsicher.

»Hoffentlich besser als dein verehrter Herr Schwiegervater mit seinen Problemen!« sagte Servilia barsch. »Er hat während seiner Zeit als Statthalter von Kilikien eine so deutliche Spur seiner Unterschlagungen hinterlassen, daß ihr ein Blinder folgen könnte. Mit dem Ergebnis, daß er wegen Wucher angeklagt wurde. Und du, Brutus, warst sein Komplize. Glaubst du, man wüßte in Rom nichts von deinen Gaunereien?« Sie verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln und entblößte dabei eine Reihe kleiner, weißer Zähne. »Appius Claudius drohte einfach einer Stadt mit Einquartierung seiner Armee, und dann kamst du, gabst zu verstehen, daß sich dieses Schicksal durch eine kleine Spende in Höhe von hundert Talenten an den Statthalter abwenden ließe, woraufhin die Firma von Matinius und Scaptius sich erbot, der Stadt das Geld zu leihen. Appius Claudius strich das Geld ein, und du konntest es durch den Leihzins sogar noch vermehren.«

»Appius Claudius wird freigesprochen werden, Mama.«

»Zweifellos, mein Sohn. Aber deiner politischen Laufbahn nützen solche Gerüchte nicht. Das sagt jedenfalls Pontius Aquila.«

Brutus’ unglückliches Gesicht verzerrte sich noch mehr, und die schwarzen Augen begannen gefährlich zu funkeln. »Pontius Aquila!« schnaubte er verächtlich. »Mit Caesar konnte ich mich ja noch abfinden, Mama, aber ein ehrgeiziger Niemand wie Pontius Aquila! Das ist unter deiner Würde!«

»Wie kannst du es wagen!« rief Servilia. Sie sprang auf und trat drohend vor ihn.

»Ja, Mama, ich habe Angst vor dir«, sagte Brutus leise, »aber ich bin kein zwanzigjähriger Junge mehr, und bei bestimmten Dingen habe ich ein Mitspracherecht, bei Dingen etwa, die der Familienehre schaden. Wie zum Beispiel Pontius Aquila.«

Servilia machte kehrt und ging aus dem Zimmer, wobei sie die Tür betont leise hinter sich schloß. Zitternd und mit geballten Fäusten stand sie in der den Garten säumenden Kolonnade. Wie konnte er es wagen! Hatte er denn nie nachts vor brennender Leidenschaft wach gelegen, lautlos geweint, verzehrt von Lust, Einsamkeit und Verlangen? Nein, Brutus nicht. Er war ohne Leidenschaft, impotent. Glaubte er vielleicht, sie wüßte das nicht, wo doch seine Frau unter ihrem Dach lebte? Eine Frau, mit der er nie geschlafen hatte, er hatte nicht einmal neben ihr gelegen. Er hatte auch keine Geliebte. Woraus immer ihr Sohn gemacht war — Feuer, Donner, Vulkan und Erdbeben gehörten jedenfalls nicht dazu.

Wie viele Jahre waren vergangen, seit Caesar nach Gallien aufgebrochen war, Jahre, in denen sie einsam und zähneknirschend im Bett gelegen und mit den Fäusten aufs Kissen getrommelt hatte. Ach, wie sie ihn liebte, ihn begehrte, ihn brauchte! Schwach vor Liebe, naß vor Begehren, schmachtend vor Verlangen. Ihr leidenschaftliches Ringen, ihr geistiges und körperliches Kräftemessen, ihre Machtkämpfe. Und die köstliche Befriedigung, bezwungen zu werden, von einem Mann niedergeworfen, beherrscht, bestraft und zur Sklavin gemacht zu werden. Was konnte eine Frau, die sich ihrer Fähigkeiten bewußt war, mehr verlangen als einen solchen Mann? Der ihr überlegen war und zugleich an sie gefesselt nur deshalb, weil sie eine Frau war? Ach Caesar, Caesar...

»Du siehst wütend aus.«

Sie fuhr herum und sah ihn, Lucius Pontius Aquila, ihren Geliebten. Mit seinen dreißig Jahren jünger als ihr Sohn und gerade als Stadtquästor in den Senat aufgenommen. Er stammte nicht aus einer alten Familie, war von weit geringerer Herkunft als sie. Doch das war egal, wenn sie ihn sah wie jetzt. Wie schön er war! Hochgewachsen, ebenmäßige Gestalt, kurze, kastanienbraune Locken, tiefgrüne Augen, ein edles, markantes Gesicht und ein energischer, aber sinnlicher Mund. Und das Beste an ihm war, daß er sie nicht an Caesar erinnerte.

»Meine Gedanken machten mich wütend«, sagte sie und ging ihm voraus zu ihren Zimmern.

»Wütend aus Liebe oder aus Haß?«

»Aus Haß. Haß, Haß, Haß!«

»Dann kannst du nicht an mich gedacht haben.«

»Nein. Ich habe an meinen Sohn gedacht.«

»Wodurch hat er dich so erzürnt?«

»Er behauptet, du seist unter meiner Würde.«

Pontius Aquila schloß die Tür, zog die Fensterläden zu und drehte sich dann mit einem Lächeln zu ihr um, bei dem ihr die Knie weich wurden. »Brutus kommt aus einer alten Familie«, sagte er ruhig. »Ich verstehe seine Mißbilligung.«

»Er hat keine Ahnung«, sagte Servilia, nahm ihm die weiße Toga ab und hängte sie über einen Stuhl. »Gib mir deinen Fuß.« Sie schnürte den Senatorenschuh aus kastanienbraunem Leder auf. »Jetzt den anderen.« Auch der andere Schuh wurde ausgezogen. »Die Arme hoch.« Sie zog ihm die weiße Tunika mit dem breiten Purpurstreifen auf der rechten Schulter aus.

Er war nackt. Servilia trat ein paar Schritte zurück, um ihn in voller Größe zu betrachten und Augen und Sinne an seinem Anblick zu weiden. Das spärliche dunkelrote Haar auf der Brust verengte sich abwärts zu einem schmalen Streifen und mündete in ein Büschel hellroter Schamhaare, aus deren Mitte über dem prall gefüllten Hodensack dunkel der bereits anschwellende Penis ragte. Rundum vollkommen, die Schenkel schlank, die Waden kräftig und wohlgeformt, der Bauch flach und die Brust muskulös, dazu breite Schultern und lange, sehnige Arme.

Langsam umkreiste sie ihn, ließ den Blick wollüstig über seine runden, festen Hinterbacken, die schmalen Hüften, den breiten Rücken, den athletischen Nacken und den stolz erhobenen Kopf wandern. Herrlich! Was für ein Mann! Wie ertrug sie es nur, solche Vollkommenheit zu berühren? Er war das Werk von Phidias und Praxiteles — in Marmor gemeißelte Unsterblickeit.

»Du bist dran«, sagte er, als sie sich sattgesehen hatte.

Das volle, bis auf zwei weiße Strähnen an den Schläfen noch immer schwarze Haar fiel herab, ebenso die scharlachroten und gelben Gewänder. Trotz ihrer fünfundvierzig Jahre fühlte sich die nackte Servilia ihrem Geliebten keineswegs unterlegen. Ihre elfenbeinfarbene Haut war weich und glatt, und ihre Brüste reckten sich noch immer stolz nach oben. Nur ihr Gesäß war schlaffer und ihre Taille fülliger geworden. Doch das war unwichtig. In ihrem Verhältnis zu Pontius Aquila zählte einzig und allein das Vergnügen, das gegenseitige Gefallen, nicht das Alter.

Sie legte sich aufs Bett, legte die Hände auf ihre schwarzen Schamhaare und zog die Lippen ihrer Vulva auseinander, so daß Pontius Aquila die glatten, pflaumenähnlichen Konturen glänzen sah. Hatte Caesar nicht gesagt, es sei die schönste Blume, die er je gesehen habe? Und eben darauf, auf dem Triumph, Caesar zu ihrem Sklaven machen zu können, beruhte ihr Selbstvertrauen.

Wie sie erbebte bei der Berührung des jungen, sanften, kraftstrotzenden Mannes! So drängend und doch so sanft genommen zu werden, und schamlos und zugleich beherrscht alles hingeben zu können. Sie saugte an seiner Zunge, seinen Brustwarzen, seinem Penis, kämpfte voll gieriger Kraft, schrie in Ekstase auf, als sie zum Höhepunkt kam. Da, mein Sohn! Ich hoffe, du hast das gehört. Und ich hoffe, auch deine Frau hat es gehört. Ich habe gerade ein Erdbeben erlebt, wie ihr es euch nicht annähernd vorstellen könnt, mit einem Mann, der mir in anderer Hinsicht völlig gleichgültig ist.

Danach saßen sie, immer noch nackt, nebeneinander, tranken Wein und unterhielten sich mit jener ungezwungenen Vertrautheit, die nur durch körperliche Intimität ausgelöst wird.

»Wie ich höre, hat Curio beantragt, eine Kommission zur Überwachung der Straßen Italias zu bilden und den Leiter der Kommission mit einem prokonsularischen Imperium auszustatten«, sagte Servilia, während ihre Zehen im Schoß Pontius Aquilas mit dessen leuchtend rotem Schamhaar spielten.

»Stimmt, aber Gaius Marcellus der Ältere wird das ablehnen«, erwiderte Pontius Aquila.

»Ein merkwürdiger Antrag.«

»Das finden alle.«

»Glaubst du, Curio ist Caesars Mann?«

»Ich bezweifle es.«

»Aber nur Caesar würde von dem Antrag profitieren«, sagte Servilia nachdenklich. »Wenn er seine Provinzen und sein Imperium Anfang März verliert, hätte er aufgrund von Curios Antrag ein neues Prokonsulat und sein Imperium bliebe in Kraft, oder nicht?«

»Doch.«

»Dann ist Curio Caesars Mann.«

»Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen.«

»Er hat plötzlich keine Schulden mehr.«

Pontius Aquila warf den Kopf zurück und lachte laut. »Er hat ja auch Fulvia geheiratet, und das keinen Moment zu früh, wenn man dem Klatsch trauen darf. Für eine frisch verheiratete Frau soll sie nämlich einen ganz schönen Bauch haben.«

»Die arme Sempronia! Eine Tochter, die von einem Demagogen zum nächsten geht.«

»Es gibt keine Beweise, daß Curio ein Demagoge ist.«

»Du wirst schon sehen«, sagte Servilia dunkel.

Seit über zwei Jahren war der Senat nun schon seines alten Sitzungsortes beraubt, der Curia Hostilia, doch hatte niemand angeboten, sie wieder aufzubauen, und das Schatzamt war so sparsam, daß es die Kosten nicht übernehmen würde. Nach der Tradition hätte ein bedeutender Römer diese Aufgabe übernehmen müssen, aber bisher hatte sich noch keiner dazu bereit erklärt, auch nicht Pompeius der Große, dem die Notlage des Senats offenbar gleichgültig war.

»Ihr könnt jederzeit die Curia Pompeia benützen«, sagte er.

»Das ist mal wieder typisch für ihn!« ärgerte sich Gaius Marcellus der Ältere, als er an den Kalenden des März zum steinernen Theater des Pompeius auf dem Marsfeld stapfte. »Er will den Senat dazu zwingen, alle gut besuchten Sitzungen in einem Haus abzuhalten, das er gebaut hat, als wir es nicht brauchten. Typisch!«

Cato neben ihm ging so schnell, daß Gaius Marcellus der Ältere nur mit Mühe folgen konnte.

»Warum diese Eile, Cato? Im März hat Paullus die fasces, und er wird sich Zeit lassen.«

»Weil er ein Schlappschwanz ist.«

Die Anlage, die Pompeius vor fünf Jahren auf dem Gelände des Marsfeldes unweit des Circus Flaminius gebaut hatte, war außerordentlich beeindruckend. Die vereinzelten, hier schon seit ewigen Zeiten stehenden Gebäude wurden von einem gewaltigen, aus Stein erbauten Theater überragt, das fünftausend Menschen Platz bot. Pompeius hatte klugerweise auch einen Tempel für Venus Victrix in die oberste Reihe der cavae integriert und dadurch ein ansonsten gottloses Bauwerk in Einklang mit dem mos maiorum gebracht. Nach der herrschenden römischen Auffassung übte Theater nämlich einen verderblichen Einfluß auf die Moral des Volkes aus, weshalb die bei Spielen und öffentlichen Festen üblichen Theatervorführungen bis vor fünf Jahren in provisorisch errichteten Holzgebäuden hatten stattfinden müssen. Was den Besuch von Pompeius’ Theater statthaft machte, war allein der Tempel der Venus Victrix.

Hinter dem Auditorium hatte Pompeius einen großen Garten angelegt, der von einer aus genau hundert Säulen bestehenden Kolonnade gesäumt war; die Säulen waren kanneliert, mit den verspielten korinthischen Kapitellen verziert, die Sulla aus Griechenland mitgebracht hatte, und in Blautönen bemalt und verschwenderisch vergoldet. Die roten Wände hinter den Säulen waren verschwenderisch mit Wandgemälden geschmückt, die leider seltsam blutrünstige Themen hatten. Daß Pompeius viel mehr Geld als Geschmack hatte, zeigte sich nirgends deutlicher als bei dieser Kolonnade und in dem mit Brunnen, Fischbecken und vielerlei Verzierungen überladenen Garten.

Am anderen Ende des Säulengartens hatte Pompeius eine Curia errichten lassen und durch deren religiöse Weihung dafür gesorgt, daß dort Versammlungen des Senats stattfinden konnten. Von der Größe her mehr als ausreichend, ähnelte sie im Grundriß der zerstörten Curia Hostilia, einem rechteckigen Sitzungssaal mit jeweils drei Sitzreihen zu beiden Seiten eines breiten Mittelganges, der vor dem Podium endete, auf dem die kurulischen Magistraten saßen. Die ansteigenden Ränge waren breit genug, daß jeder Senator bequem seinen Stuhl aufstellen konnte. In der obersten Reihe saßen die pedarii, die Senatoren, denen aufgrund ihres niedrigen Ranges — sie hatten weder ein öffentliches Amt bekleidet noch einen Kranz aus Gras oder Eichenlaub für Tapferkeit errungen — kein Rederecht bei Debatten zustand. Die beiden mittleren Reihen waren für Senatoren bestimmt, die untergeordnete Beamte wie Volkstribunen, Quästoren oder plebejische Ädilen gewesen waren oder militärische Ehren errungen hatten, und die beiden untersten Reihen waren für ehemalige kurulische Ädilen, Prätoren, Konsuln oder Zensoren reserviert; die in den unteren oder mittleren Rängen Sitzenden hatten deshalb mehr Platz als die pedarii in der obersten Reihe.

Die alte Curia Hostilia war innen recht kahl gewesen; Ränge und Podium hatten aus rohen Tuffblöcken bestanden, die hellbraunen Wände waren eintönig mit einigen Kringeln und Strichen bemalt gewesen, und die schwarzen und weißen Marmorfliesen im breiten Mittelgang waren so abgewetzt gewesen, daß sie nach nicht mehr viel aussahen. In krassem Gegensatz zu dieser altehrwürdigen Schlichtheit war die Curia des Pompeius ganz und gar in buntem Marmor ausgeführt. Die Wände waren mit purpurroten und rosa Marmortäfelchen verkleidet, die zwischen vergoldeten Pilastern verschlungene Muster bildeten; die obersten Sitzreihen waren in braunem, die mittleren in gelbem und die untersten in cremefarbenem Marmor gehalten. Das kurulische Podium leuchtete in blauweißem Marmor, der eigens aus dem fernen Numidien herbeigeschafft worden war, und der Mittelgang war in Purpur und Weiß gefliest. Das Licht fiel durch meterhohe Fenster, die mit vergoldeten Gittern versehen waren und draußen auf der säulenlosen Seite durch ein breites Vordach beschattet wurden.

Zwar rief bereits das protzige Innere der Curia Pompeia einiges Naserümpfen hervor, doch der eigentliche Stein des Anstoßes war die Statue des Pompeius, die dieser an der Rückwand des kurulischen Podiums aufgestellt hatte. Sie zeigte ihn in Lebensgröße (weshalb sie keine Beleidigung der Götter darstellte), so, wie er zur Zeit seines ersten Konsulats vor zwanzig Jahren ausgesehen hatte: ein gut gebauter Mann von sechsunddreißig Jahren mit leuchtendem Goldschopf, glänzend blauen Augen und einem ernsten, runden und eindeutig unrömischen Gesicht. Der Bildhauer war der Beste seiner Zunft gewesen, ebenso der Maler, der Pompeius’ Haut, Haare, Augen und kastanienbraune Senatorenschuhe mit der halbmondförmigen Schnalle des Konsuls originalgetreu gemalt hatte. Nur die Toga und das, was von der Tunika zu sehen war, war im neuen Stil gehalten: nicht bemalt, sondern aus glänzend poliertem Marmor, weißem Marmor für den Stoff von Toga und Tunika, purpurrotem für den Saum der Toga und den Streifen an der Tunika. Da die Statue auf Veranlassung des Bauherrn auf einen vier Fuß hohen Sockel gestellt worden war, überragte Pompeius Magnus sämtliche Anwesenden und führte unbestritten den Vorsitz über jede in seinem Haus tagende Senatsversammlung. Welche Arroganz! Welch unerträgliche Hybris!

Fast alle vierhundert in Rom anwesenden Senatoren strömten an den Kalenden des März zu der lang erwarteten Sitzung in die Curia Pompeia. Gaius Marcellus der Ältere hatte nicht unrecht, wenn er glaubte, Pompeius wolle den Senat zu Sitzungen in seiner Curia zwingen, weil der Senat deren Existenz ignoriert hatte, bis die Curia Hostilia abgebrannt war. Doch dachte Marcellus nicht daran, daß Sitzungen außerhalb der heiligen Stadtgrenze Pompeius auch ermöglichten, persönlich an ihnen teilzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, sein Imperium als Statthalter der spanischen Provinzen zu verlieren. Weil Pompeius’ Armee in Spanien stationiert war und er außerdem das Amt eines Verwalters der römischen Kornspeicher bekleidete, durfte er unmittelbar außerhalb von Rom wohnen und nach Belieben durch Italia reisen, was Statthaltern von Provinzen gewöhnlich auch verboten war.

Die Morgendämmerung ließ den nächtlichen Himmel über dem Esquilin bereits verblassen, als die Senatoren nach und nach im Säulengarten eintrafen. Die meisten zogen es vor, hier bis zum Erscheinen des die Sitzung eröffnenden Konsuls Lucius Aemilius Lepidus Paullus zu verweilen. Je nach politischer Zugehörigkeit standen sie in kleinen Gruppen zusammen, in denen lebhafter als sonst zu dieser frühen Tageszeit diskutiert wurde; an diesem Tag sollten wichtige Beschlüsse gefaßt werden, und entsprechend hoch waren die Erwartungen. Jeder wollte dabeisein, wenn Caesar gestürzt wurde, und davon, daß Caesar, der Held des Volkes, heute stürzen würde, waren alle überzeugt.

In der rückwärtigen Kolonnade unmittelbar vor dem Eingangsportal der Curia Pompeia standen die Anführer der boni: Cato, Ahenobarbus, Metellus Scipio, Marcus Marcellus (der zweite Konsul des vergangenen Jahres), Appius Claudius, Lentulus Spinther, Gaius Marcellus der Ältere (der zweite Konsul dieses Jahres), Gaius Marcellus der Jüngere (der voraussichtliche Konsul des nächsten Jahres), Faustus Sulla, Brutus sowie zwei Volkstribunen.

»Ein großer, wichtiger Tag!« bellte Cato.

»Der Anfang vom Ende Caesars«, fügte Lucius Domitius strahlend hinzu.

»Aber er hat Anhänger«, wagte Brutus schüchtern einzuwenden. »Dort drüben stecken Lucius Piso, Philippus, Lepidus, Vatia Isauricus, Messalla Rufus und Rabirius Postumus die Köpfe zusammen. Sie wirken recht zuversichtlich.«

»Pöbel!« schnaubte Marcus Marcellus verächtlich.

»Aber wie werden die Hinterbänkler abstimmen?« gab Appius Claudius zu bedenken, der aufgrund des gegen ihn laufenden Prozesses angespannt wirkte.

»Für uns werden mehr stimmen als für Caesar«, sagte Metellus Scipio siegesgewiß.

In diesem Moment erschien der erste Konsul Paullus hinter seinen Liktoren und betrat die Curia Pompeia. Die Senatoren folgten ihm in Begleitung ihrer Diener, die ihre Klappstühle trugen; einige hatten auch Schreiber mitgebracht, um die historische Sitzung für sich zu protokollieren.

Die Gebete wurden gesprochen, das Opfer gebracht, die Vorzeichen für günstig erachtet. Die Mitglieder des Hohen Hauses ließen sich auf ihren Stühlen nieder, die kurulischen Magistrate auf ihren elfenbeinernen Stühlen auf dem von der Statue Pompeius’ des Großen überragten blauweißen Marmorpodium.

Pompeius selbst saß in seiner purpurgesäumten Toga in der untersten linken Reihe und blickte direkt aufs Podium. Seine Augen verweilten auf dem Gesicht der Statue, und um seine Lippen spielte ein leises Lächeln. Was für ein wunderbarer Tag war heute! Der einzige Mensch, der drohte, ihn in den Schatten zu stellen, würde entmachtet werden, und das ohne ein einziges Wort von ihm, Gnaeus Pompeius Magnus. Niemand würde mit dem Finger auf ihn zeigen und sagen können, er habe sich gegen Caesar verschworen. Er brauchte nichts zu tun, als anwesend zu sein. Natürlich würde er dafür stimmen, daß Caesar die Provinzen aberkannt würden, aber das würden die meisten Senatoren tun. Zur Sache selbst würde er sich nicht äußern, auch wenn er gefragt wurde. Die boni würden schon für ihn reden.

Paullus, der im März die fasces hatte, saß ein Stück vor Gaius Marcellus dem Älteren; hinter den beiden Konsuln saßen die acht Prätoren und die beiden kurulischen Ädilen.

Vor dem Podium stand eine lange, klobige, glänzend polierte Holzbank, auf der die zehn Volkstribunen saßen, Männer, die von der Plebs gewählt wurden, um deren Interessen zu wahren und die Patrizier in ihre Schranken zu weisen. Zumindest in den Anfangszeiten der Republik war das notwendig gewesen, als die Patrizier den Senat, das Konsulat, die Gerichte, die Zenturiatkomitien und sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens kontrolliert hatten. Aber dieser Zustand hatte, nachdem die römischen Könige erst abgesetzt waren, nicht lange angedauert. Plebejer waren aufgestiegen und immer reicher geworden und hatten mehr Mitspracherecht in der Regierung verlangt. Hundert Jahre hatte das Kräftemessen zwischen Patriziat und Plebs gedauert, und die Patrizier hatten auf verlorenem Posten gekämpft. Am Ende hatten die Plebejer das Recht bekommen, mindestens einen Konsul zu stellen und die Hälfte der Sitze im obersten Priesterkollegium zu besetzen. Plebejische Familien gehörten von nun an zum Adel, sobald ein Mitglied Prätor war, und das Kollegium der Volkstribunen war gegründet worden, dessen Mitglieder schwören mußten, plebejische Interessen selbst um den Preis von Menschenleben zu schützen.

In den folgenden Jahrhunderten hatte sich die Rolle der Volkstribunen gewandelt. Nach und nach hatten sie sich von dem Ziel, die Macht des Patriziats zu beschneiden, entfernt und in eine Interessenvertretung geschäftstüchtiger Ritter verwandelt, die den Kern der plebejischen Versammlung bildeten und die Politik des Senats diktierten.

Dann hatte sich ein besonderer Typ von Volkstribun herausgebildet, am reinsten verkörpert durch zwei große plebejische Adlige — die Brüder Tiberius und Gaius Sempronius Gracchus. Sie nutzten ihr Amt und die Versammlung der Plebs, um sowohl der Plebs als auch dem Patriziat einen Teil der Macht zu entreißen und ein wenig davon den armen unteren Klassen zu geben. Die beiden hatten für ihre Mühen mit einem grausamen Tod bezahlen müssen, doch die Erinnerung an sie lebte weiter. Andere große Männer mit verschiedenen Zielen und Idealen waren ihnen im Amt gefolgt, darunter Gaius Marius, Saturnius, Marcus Livius Drusus, Sulpicius, Aulus Gabinius, Titus Labienus, Publius Vatinius, Publius Clodius und Gaius Trebonius. Mit Gabinius, Labienus, Vatinius und Trebonius tauchte ein neues Phänomen auf: Sie dienten einer bestimmten Person; im Fall von Gabinius und Labienus war dies Pompeius, bei Vatinius und Trebonius war es Caesar.

Die zehn Männer, die an diesem ersten Tag des März in weißen Togen auf der Bank saßen, verkörperten eine Tradition von fast fünfhundert Jahren. Anspruch auf Liktoren hatten sie nicht, und im Unterschied zu allen anderen römischen Amtsinhabern waren sie auch nicht an religiöse Gebote gebunden. Acht von ihnen waren zwei oder drei Jahre im Senat gewesen, bevor sie für das Volkstribunat kandidiert hatten, zwei waren bei ihrer Wahl zum Volkstribun in den Senat gekommen. Neun von ihnen waren völlig unbedeutend, Männer, deren Namen und Gesichter nach Ablauf ihrer Amtszeit sofort vergessen würden.

Die Ausnahme war Gaius Scribonius Curio, der als Vorsitzender des Kollegiums in der Mitte der Bank saß. Mit seinem von Sommersprossen übersäten Koboldgesicht, dem widerspenstigen, hellroten Haarschopf und der Ausstrahlung von geballter Energie und leidenschaftlichem Einsatz war er der Inbegriff des Volkstribuns. Als glänzender, für seine konservative Haltung bekannter Redner war Curio, dessen Vater sowohl Zensor als auch Konsul gewesen war, einer der wichtigsten Gegner Caesars während dessen Konsulatsjahres gewesen, und das, obwohl er damals noch zu jung gewesen war, um in den Senat einzutreten.

Einige der Gesetze, die er seit seinem Amtsantritt am zehnten Tag des vergangenen Dezember eingebracht hatte, waren schlicht unbegreiflich und erweckten den Eindruck, als sei er ungewöhnlich stark vom Bazillus extremer tribunizischer Gedanken infiziert. Zunächst hatte er erfolglos versucht, eine Gesetzesvorlage einzubringen, nach der ein neu zu ernennender Verwalter der Straßen mit einem fünfjährigen prokonsularischen Imperium ausgestattet werden sollte, was viele mißtrauische boni für einen Trick hielten, um Caesar ein neues, wenn auch nichtmilitärisches Kommando zu übertragen. Danach hatte er als Pontifex versucht, das Priesterkollegium zu überreden, Ende Februar zusätzliche zweiundzwanzig Tage einzuschieben, was die Kalenden des März — und damit die Debatte über Caesars Provinzen — um zweiundzwanzig wertvolle Tage verschoben hätte. Wieder wurde er überstimmt. Die Ablehnung des Straßengesetzes hatte er mit einem Achselzucken abgetan, aber die Einschiebung eines MercedoniusMonats betrachtete er ohne Frage als überaus ernste Angelegenheit, denn als das Priesterkollegium hartnäckig auf seiner Weigerung bestand, wurde Curio wütend und beschimpfte dessen Mitglieder. Diese Reaktion wiederum veranlaßte Ciceros Busenfreund Caelius, Cicero in Kilikien mitzuteilen, er halte Curio für einen Anhänger Caesars.

Glücklicherweise war dieses hellsichtige Urteil an kein anderes einflußreiches Ohr gedrungen, so daß Curio gelassen auf seiner Bank saß und den Eindruck erweckte, als sehe er der Tagesordnung nicht mit übermäßigem Interesse entgegen; schließlich hatte man den Volkstribunen die Hände gefesselt, indem man ihnen widerrechtlich und unter Androhung einer schweren Strafe verboten hatte, bei der Debatte über Caesars Provinzen von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen.

Paullus erklärte die Sitzung des Hauses für eröffnet und erteilte Gaius Claudius Marcellus dem Älteren das Wort, woraufhin dieser aufstand.

»Verehrter erster Konsul, verehrte Zensoren, Konsulare, Prätoren, Ädilen, Volkstribunen, Quästoren und Senatoren«, begann er. »Diese Sitzung wurde einberufen, um in Übereinstimmung mit der von den Konsuln Gnaeus Pompeius Magnus und Marcus Licinius Crassus vor fünf Jahren in der Volksversammlung verabschiedeten lex Pompeia Licinia über das Prokonsulat von Gaius Julius Caesar zu verhandeln, der Statthalter der drei gallischen Provinzen und von Illyricum ist. Vor fünf Jahren hätten wir noch darüber debattiert, wer von den gegenwärtig amtierenden Magistraten Gaius Caesar ab März nächsten Jahres — dem spätesten von der lex Pompeia Licinia vorgesehenen Termin — als Statthalter nachfolgen soll. Doch unter dem alleinigen Konsulat von Gnaeus Pompeius Magnus vor zwei Jahren wurde das Gesetz geändert. Unter uns sitzt eine kleine Gruppe von Männern, die zwar das Amt eines Konsuls oder Prätors bekleidet, es aber abgelehnt haben, nach Ablauf ihrer Amtszeit eine Provinz zu verwalten. Der Senat kann nun beschließen, diese Reservekräfte einzusetzen und auf der Stelle einen oder mehrere neue Statthalter für Illyricum und die drei gallischen Provinzen zu ernennen. Die gegenwärtig amtierenden Konsuln und Prätoren dürfen erst in fünf Jahren eine Provinz verwalten, aber wir können es Caesar unmöglich erlauben, weitere fünf Jahre Statthalter zu bleiben.«

Gaius Marcellus hielt inne; sein dunkles, nicht unattraktives Gesicht leuchtete siegessicher. Da niemand sprach, fuhr er fort.

»Wie die hier Anwesenden alle wissen, hat Caesar in seinen Provinzen wahre Wunder vollbracht. Vor acht Jahren hat er mit zwei Legionen angefangen, von denen eine in Gallia Cisalpina und die andere in Gallia Narbonensis stationiert war. Vor acht Jahren zog er aus, um drei seit langer Zeit friedliche Provinzen zu verwalten. Noch im ersten Jahr hat der Senat Maßnahmen gebilligt, mit denen Caesar den wandernden Stamm der Helvetier daran hindern wollte, unsere Provinz zu betreten. Doch der Senat hat Caesar nicht dazu ermächtigt, in das als Gallia Comata bekannte Gebiet einzufallen und gegen König Ariovistus und die Sueben Krieg zu führen, Germanen, die den Status eines Freundes und Verbündeten Roms hatten. Der Senat hat ihm auch nicht erlaubt, weitere Legionen zu rekrutieren, nach dem Sieg über König Ariovistus weiter ins Reich der langhaarigen Gallier vorzudringen und Krieg gegen nicht mit Rom verbündete Stämme zu führen. Er hat ihm nicht erlaubt, im italischen Gallien Kolonien sogenannter römischer Bürger zu gründen, aus Nichtbürgern dieser Provinz Legionen zu rekrutieren und sie zu numerieren, als seien es richtige römische Legionen, und im Land der langhaarigen Gallier Kriege zu führen, Frieden oder Verträge zu schließen oder sonstige Vereinbarungen zu treffen. Er hat ihm nicht erlaubt, angesehene Botschafter bestimmter germanischer Stämme zu mißhandeln.«

»Hört, hört!« rief Cato.

Die Senatoren murmelten und rutschten unbehaglich auf ihren Sitzen hin und her, Curio auf der Tribunenbank sah in die Ferne, Pompeius starrte immer noch auf seine Statue, und der kahlköpfige Lucius Ahenobarbus verzog sein rohes Gesicht zu einem grimmigen Grinsen.

»Weder das Schatzamt noch der Senat haben Einspruch gegen eine dieser unbefugten Handlungen erhoben. Denn was Gaius Caesar tat, brachte Rom, seinen Legionären und ihm selbst großen Gewinn. Es machte ihn zum Helden der unteren Klassen und ermöglichte ihm, zu kaufen, was er freiwillig nie bekommen hätte — Anhänger im Senat, gefügige Volkstribunen, zahlreiche Anhänger in den Tributkomitien und Tausende ihm treue Soldaten unter den Wählern der Zenturien auf dem Marsfeld. Sein Reichtum ermöglichte ihm auch, sich über Roms heiligen mos maiorum hinwegzusetzen, nach dem einem römischen Statthalter nicht erlaubt ist, mit dem ausschließlichen Ziel der Vermehrung seines persönlichen Ruhms in nichtrömisches Gebiet vorzudringen und es zu erobern. Denn was hatte Rom bei der Eroberung von Gallia Comata zu gewinnen, verglichen mit dem, was es zu verlieren hatte? Römische Bürger mußten sterben, Völker hassen uns, die bisher wenig von Rom wußten und nichts mit ihm zu tun haben wollten und die, bis Caesar sie dazu zwang, keinerlei — ich wiederhole, keinerlei! — Versuch unternommen hatten, in römisches Territorium einzudringen und sich römischen Eigentums zu bemächtigen. Mit Caesar und seiner gewaltigen, illegal rekrutierten Armee marschierte Rom in die Länder friedlicher Völker ein und verwüstete sie. Und was war der wahre Grund hierfür? Caesar wollte sich am Verkauf von Millionen gallischer Sklaven bereichern — so vieler Sklaven, daß er es sich sogar leisten konnte, hin und wieder einige seinen Legionären zu schenken. Auch Rom wurde reicher, ja, aber Rom ist bereits reich, und zwar dank streng gesetzlicher Abwehrkriege unter der Führung von Männern, von denen viele bereits tot sind und einige heute hier sitzen, wie der verehrte Konsulat Gnaeus Pompeius Magnus. Und was kam dann? Der ungebildete Mob erzwang, daß Caesars Tochter auf unserem geheiligten Forum Romanum verbrannt und auf dem Marsfeld inmitten der Helden Roms bestattet wurde. Ich will damit nicht Gnaeus Pompeius Magnus, dessen geliebte Frau sie war, in irgendeiner Weise beleidigen, aber Tatsache ist, daß Gaius Caesar diese Reaktion des Volkes provoziert hat.«

Pompeius hatte sich aufgerichtet, neigte königlich das Haupt zu Gaius Marcellus und sah aus, als empfinde er schmerzlichen Kummer, gepaart mit größter Verlegenheit.

Curio saß mit unbewegter Miene da und hörte zu, doch sein Mut sank. Die Rede war gut, vernünftig und darauf berechnet, den Mitgliedern dieses ehrwürdigen, sich seiner Überlegenheit bewußten Gremiums zu gefallen. Sie klang überzeugend, richtig, verfassungsgemäß. Sie fand großen Anklang bei den Hinterbänklern und in den mittleren Reihen, deren Loyalität wie ein Rohr im Wind hin und her schwankte. Für einige von ihnen stand bereits unwiderlegbar fest — Caesar maßte sich Dinge an, die er nicht tun durfte. Wie konnte man nach dieser Rede noch damit kontern, daß Caesar keineswegs der erste oder einzige römische Statthalter und Feldherr war, der neue Gebiete erobert hatte? Wie diese Kleingeister davon überzeugen, daß Caesar wußte, was er tat, und daß sein Tun nur dazu diente, Rom, Italia und die römischen Provinzen vor einem Einfall der Germanen zu schützen? Curio seufzte innerlich, zog den Kopf zwischen die Schultern, streckte die Beine aus und lehnte sich mit dem Rücken an den kalten, blauweißen Marmor des kurulischen Podiums.

»Ich meine, es ist höchste Zeit, daß der Senat einen Schlußstrich unter die Karriere dieses Gaius Julius Caesar zieht«, fuhr Gaius Marcellus fort. »Seine Familie ist so vornehm, daß er sich allen Ernstes über Recht und Gesetz, über die Grundsätze des mos maiorum erhaben dünkt. Dieser Mann ist ein zweiter Lucius Cornelius Sulla. Kraft seiner Geburt, seiner Intelligenz und seiner Fähigkeiten kann er sein, was er will. Nun, wir alle wissen, was mit Sulla geschah und was unter Sulla mit Rom geschah. Es dauerte über zwei Dekaden, bis der Schaden behoben war. Man denke nur an die Menschenleben, die er auf dem Gewissen hat, die Demütigungen, die er uns zufügte, die unumschränkte Macht, die er an sich riß und schamlos ausnutzte. Ich behaupte nicht, Caesar habe sich bewußt Lucius Cornelius Sulla zum Vorbild genommen, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß die Männer dieser alten Patrizierfamilie so denken. Vielmehr habe ich den Eindruck, die Julier glauben, sie seien den von ihnen aufrichtig verehrten Göttern beinahe ebenbürtig, und ihrer Frechheit oder ihrem Einfallsreichtum bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche seien keine Grenzen gesetzt.«

Er holte tief Luft und starrte Caesars jüngsten Onkel Lucius Aurelius Cotta an, der während der Jahre von Caesars Prokonsulat stets unparteiisch geblieben war.

»Wie ihr alle wißt, will Caesar für das nächste Konsulat kandidieren. Wie ihr alle wißt, hat dieses Haus Caesar die Erlaubnis verweigert, dies in absentia zu tun. Um seine Kandidatur anzumelden, muß er also das pomerium überschreiten, muß er die Stadt betreten, und sobald er das tut, verliert er sein Imperium. Dann aber wird er von mir und einigen anderen heute hier Anwesenden sofort wegen zahlreicher widerrechtlicher Handlungen angeklagt. Denn es geht um Hochverrat, eingeschriebene Väter! Unrechtmäßige Rekrutierung von Legionen, Einmarsch in nichtkriegführende Länder, Verleihung des Bürgerrechts an Unberechtigte und Gründung sogenannter römischer Kolonien mit ihnen, Ermordung von Botschaftern, die in gutem Glauben kamen — das alles ist Hochverrat! Caesar wird sich also wegen vieler Anklagen vor Gericht verantworten müssen, und er wird verurteilt werden. Auf dem Forum Romanum werden mehr Soldaten sein, als Gnaeus Pompeius dort beim Prozeß gegen Milo hat aufmarschieren lassen. Caesar wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen. Das wißt ihr alle. Deshalb überlegt genau, wie ihr euch entscheidet. Ich werde beantragen, Gaius Julius Caesar sein Imperium, seine Provinzen und seine Armee wegzunehmen. Der Senat soll darüber per discessionem — durch Hammelsprung — abstimmen. Ferner beantrage ich, Caesar die prokonsularische Macht, das prokonsularische Imperium und sämtliche Titel vom heutigen Tag an, den Kalenden des März im Jahr des Konsulats von Lucius Aemilius Lepidus Paullus und Gaius Claudius Marcellus, zu entziehen.«

Curio rührte sich nicht, sondern saß weiter zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen auf seinem Platz. »Ich lege ein Veto gegen deinen Antrag ein, Gaius Marcellus«, sagte er.

Fast vierhundert Senatoren holten zur gleichen Zeit entsetzt Luft, und unmittelbar darauf begann ein Rascheln, Murmeln und Stühlescharren. Ein oder zwei Senatoren klatschten Beifall.

Pompeius hatte die Augen aufgerissen, Ahenobarbus war ein erstaunter Schrei entfahren, und Cato war sprachlos. Als erster erholte sich Gaius Marcellus.

»Ich beantrage, Gaius Julius Caesar sein Imperium, seine Provinzen und seine Armee am heutigen Tag, den Kalenden des März im Jahr des Konsulats von Lucius Aemilius Lepidus Paullus und Gaius Claudius Marcellus, abzuerkennen«, sagte er laut.

»Veto«, wiederholte Curio.

Eine Pause trat ein, in der alle wie erstarrt auf ihren Plätzen saßen. Sämtliche Augen waren auf Curio gerichtet, dessen Gesicht nur vom kurulischen Podium aus nicht zu sehen war.

Dann sprang Cato auf. »Verräter!« brüllte er. »Verräter, Verräter, Verräter! Verhaftet ihn!«

»Unsinn!« rigf Curio. Er stand auf, trat einige Schritte vor und blieb breitbeinig und erhobenen Kopfes stehen. »Das ist doch Unsinn, Cato, und das weißt du selbst! Was du mit deinen Kumpanen verabschiedet hast, war nicht rechtskräftig und entsprach in keiner Weise der Verfassung! Solange nicht Kriegsrecht herrscht, kann kein Senatsbeschluß einen ordnungsgemäß gewählten Volkstribunen seines Vetorechts berauben! Ich lege ein Veto gegen den Antrag des zweiten Konsuls ein und bleibe dabei! Das ist mein Recht! Erzähle mir nicht, du könntest mich vor ein Schnellgericht stellen und anschließend vom Tarpejischen Felsen stürzen lassen! Das würde sich die Plebs niemals gefallen lassen! Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ein Patrizier aus der Zeit, als die Plebs die Patrizier noch nicht in die Schranken gewiesen hatte? Du redest unablässig von der Arroganz und Gesetzlosigkeit der Patrizier, Cato, dabei benimmst du dich selbst wie einer! Setz dich also hin und halte den Mund! Ich lege ein Veto gegen den Antrag des Konsuls ein!«

»Wunderbar!« kam ein Schrei durch das offene Portal. »Curio, ich bewundere dich! Ich bete dich an!«

In der Tür stand, vom Licht draußen wie von einem Heiligenschein umgeben, Fulvia. Die Wölbung ihres Bauches unter dem orangeroten und safrangelben Gewand war deutlich zu sehen, ihr liebliches Gesicht strahlte.

Gaius Marcellus schluckte, am ganzen Leib bebend, dann verlor er die Fassung. »Liktoren, schafft diese Frau fort!« schrie er. »Werft sie auf die Straße, wo sie hingehört!«

»Wehe dem, der sie anrührt!« rief Curio warnend. »Wo steht geschrieben, daß ein römischer Bürger, egal welchen Geschlechts, nicht vor der offenen Tür des Senats stehen und zuhören darf? Wenn du es wagst, die Enkelin des Gaius Sempronius Gracchus anzurühren, Marcellus, wird der Mob, den du so verachtest, dich lynchen!«

Die Liktoren zögerten, und Curio nutzte die Gelegenheit. Er schritt den Gang entlang, nahm seine Frau an den Schultern und küßte sie leidenschaftlich. »Danke, Fulvia. Geh jetzt nach Hause.«

Fulvia lächelte benommen und verschwand. Curio kehrte zurück und grinste Marcellus höhnisch an.

»Liktoren, verhaftet den Mann!« schrie dieser mit sich überschlagender Stimme, so außer sich vor Wut, daß sich Schaumblasen in seinen Mundwinkeln gebildet hatten. Er zitterte am ganzen Leib. »Verhaftet ihn! Ich klage ihn des Hochverrats an und erkläre ihn hiermit für unwert, in Freiheit zu leben! Werft ihn in die Lautumiae!«

»Liktoren, ich befehle euch zu bleiben, wo ihr seid!« sagte Curio schneidend. »Ich bin ein Volkstribun, der an der Ausübung seiner Rechte gehindert wird! Ich habe in einer Sitzung des Senats von meinem Veto Gebrauch gemacht, was mein gutes Recht ist, und es ist kein Ausnahmerecht in Kraft, das mich daran hindern könnte! Ich befehle euch, den zweiten Konsul wegen versuchter Behinderung eines Volkstribunen festzunehmen! Verhaftet ihn!«

Paullus, der das Geschehen bisher wie gelähmt verfolgt hatte, stand schwerfällig auf und gab durch ein Zeichen dem ersten Liktor, der die fasces hielt, zu verstehen, er solle mit dem Rutenbündel auf den Boden klopfen. »Ruhe!« brüllte Paullus. »Ich verlange, daß sofort Ruhe herrscht! Ich rufe die Versammlung zur Ordnung!«

»Das ist meine Sitzung, nicht deine!« schrie Marcellus. »Halte dich raus, Paullus, ich warne dich!«

»Ich bin der Konsul mit den fasces«, donnerte Paullus, den sonst nichts aus der Ruhe brachte, »und das heißt, daß ich die Versammlung leite, zweiter Konsul! Setz dich hin! Alles hinsetzen! Entweder es herrscht sofort Ruhe, oder ich lasse die Versammlung von meinen Liktoren auflösen — notfalls mit Gewalt!

Cato, halte den Mund! Ahenobarbus, untersteh dich! Ich verlange, daß sofort Ruhe herrscht!« Er funkelte Curio an, der keinerlei Reue zeigte und in seiner aufreizenden Art einem kleinen Hund ähnelte, der furchtlos einem Rudel Wölfe gegenübersteht. »Gaius Scribonius Curio, ich respektiere dein Vetorecht und stimme dir zu, daß es gegen die Verfassung verstößt, dich an seiner Ausübung zu hindern. Aber ich meine, der Senat verdient zu hören, warum du dein Veto eingelegt hast. Du hast das Wort.«

Curio nickte, strich sich mit der Hand über den roten Schopf und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sei er hungrig. Was hätte er für einen Schluck Wasser gegeben! Aber eine solche Bitte wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen.

»Meinen Dank, erster Konsul. Es ist unnötig, näher darauf einzugehen, mit was für rechtlichen Schritten gewisse Männer hier gegen den Prokonsul Gaius Julius Caesar vorgehen wollen. Das ist hier nicht relevant, und es war ungehörig, daß der zweite Konsul sie in seiner Rede erwähnt hat. Er hätte sich darauf beschränken müssen, die Gründe für seinen Antrag zu nennen, warum Gaius Caesar das Prokonsulat und die Provinzen aberkannt werden sollen.«

Curio ging zum Ende des Gangs und stellte sich mit dem Rücken zur inzwischen geschlossenen Tür. Von hier aus konnte er alle Gesichter sehen, auch die auf dem Podium und das der Statue des Pompeius.

»Der zweite Konsul hat behauptet, Caesar wäre in friedliches, nichtrömisches Gebiet eingedrungen, um seinen persönlichen Ruhm zu mehren. Doch das stimmt nicht. König Ariovistus von den Sueben hatte mit dem keltischen Stamm der Sequaner einen Vertrag abgeschlossen, der ihm erlaubte, ein Drittel des Gebiets der Sequaner mit seinen Sueben zu besiedeln. Um die Germanen freundlich zu stimmen, verlieh Gaius Caesar König Ariovistus den Titel eines Freundes und Verbündeten des römischen Volkes. König Ariovistus brach jedoch den Vertrag, indem er erheblich mehr Sueben als vereinbart über den Rhenus führte und den Sequanern alles nahm. Diese wiederum bedrohten nun ihrerseits die Haeduer, die bereits seit langer Zeit Freunde und Verbündete des römischen Volkes waren. Gaius Caesar griff ein, um die Haeduer zu schützen; dazu war er nach dem Vertrag, den die Haeduer mit uns geschlossen haben, verpflichtet. Nachdem er persönlich die Macht der Germanen kennengelernt hatte, beschloß er, Freundschaftsverträge zwischen Rom und den keltischen und belgischen Völkern von Gallia Comata zu schließen, und aus diesem Grund — und nicht um Krieg zu führen — hat er ihre Länder betreten.«

»Ach Curio«, rief Marcus Marcellus. »Ich hätte nie gedacht, daß der Sohn deines Vaters vor meinen Augen einen solchen Unsinn äußert! Gerrae! Ein Mann, der Verträge schließen will, rückt nicht an der Spitze eines Heeres ein, und genau das hat Caesar getan!«

»Ruhe«, polterte Paullus.

Curio schüttelte den Kopf, als bedauerte er die Dummheit von Marcus Marcellus. »Er kam mit dem Heer, weil er vernünftig ist und nicht so ein Dummkopf wie du. Kein römischer Speer wurde ohne Grund geworfen, kein Gebiet grundlos verwüstet. Caesar schloß Freundschaftsverträge, rechtlich bindende Verträge, die im Tempel des Jupiter Feretrius hängen — geh hin und lies sie, wenn du mir nicht glaubst! Erst als diese Verträge von den Galliern unter Einsatz von Gewalt gebrochen wurden, wurden Speere geworfen und Schwerter gezogen. Lies die sieben Bücher von Gaius Caesar, du kannst sie in jedem Buchgeschäft kaufen! Denn anscheinend hast du nie zugehört, wenn Caesars offizielle Schreiben an den Senat vor diesem ehrwürdigen Gremium verlesen wurden.«

»Du bist es nicht wert, ein Scribonius Curio zu sein!« sagte Cato bitter. »Verräter!«

»Immerhin bin ich soviel wert, daß ich darauf bestehe, daß beide Seiten dieser Angelegenheit gehört werden, Marcus Cato!« herrschte Curio ihn an. »Der einzige Grund für mein Veto ist der, daß mir plötzlich klar wurde, daß der zweite Konsul und die anderen boni keinerlei Verteidigung eines Mannes zulassen wollen, der nicht hier ist, um sich selbst zu verteidigen! Es gefällt mir nicht, wenn ein Mann bestraft wird, ohne daß er die Möglichkeit zur Verteidigung erhält. Als Volkstribun ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß Gerechtigkeit geübt wird. Ich wiederhole, Gaius Caesar hat Gallia Comata nicht aus Eigennutz überfallen. Und was die Behauptungen betrifft, er hätte unbefugt Legionen angeworben, so möchte ich euch daran erinnern, daß ihr selbst jede einzelne dieser Legionen gebilligt habt und damit einverstanden wart, sie zu bezahlen, als der Ernst der Lage in Gallien immer offensichtlicher wurde.«

»Aber erst nachträglich!« schrie Ahenobarbus. »Nachträglich! Das ist rechtlich keine Ermächtigung!«

»Ich erlaube mir, anderer Meinung zu sein, Lucius Domitius. Was ist mit den vielen Dankfesten, die dieses Haus Caesar bewilligt hat? Und hat das Schatzamt jemals beanstandet, daß die Reichtümer, die es von Caesar bekommen hat, nicht legal erworben und Rom daher nicht willkommen seien? Regierungen haben nie genug Geld, denn sie verdienen selbst keines, sondern geben es nur aus.«

Curio drehte sich um und sah Brutus scharf an, der sofort sichtlich zusammenschrumpfte. »Die boni scheinen das Treiben ihrer eigenen Anhänger nicht verwerflich zu finden, aber ich frage euch trotzdem, was euch lieber ist — der direkte, nicht beschönigte, aber in jeder Beziehung legale Vergeltungskrieg Caesars in Gallien oder die grausamen, ganz und gar illegalen Vergeltungsmaßnahmen, die Marcus Brutus heimlich über die Ältesten der Stadt Salamis in Zypern verhängte, als sie die Zinseszinsen in Höhe von achtundvierzig Prozent, die Brutus’ Günstlinge verlangten, nicht zahlen konnten? Ich weiß, daß Gaius Caesar einzelne gallische Stammesführer verurteilt und hingerichtet hat, daß er viele Häuptlinge auf dem Schlachtfeld getötet hat und daß er viertausend Galliern, die bei Alesia und Uxellodunum erbittert gegen die Römer kämpften, die Hände abhacken ließ. Aber mir ist nicht bekannt, daß er Nichtbürgern Geld geliehen und sie in ihrer eigenen Versammlungshalle eingeschlossen hätte, bis sie verhungert sind! Aber genau das hat Marcus Brutus getan, dieser Inbegriff eines jungen römischen Senators!«

»Das ist unverschämt, Gaius Curio«, stieß Brutus zwischen den Zähnen hervor. »Die Ältesten von Salamis starben nicht auf meine Veranlassung.«

»Aber du wußtest davon, oder nicht?«

»Aufgrund der gehässigen Briefe Ciceros, ja!«

»Was die Behauptung betrifft, Caesar hätte unrechtmäßig das römische Bürgerrecht verliehen — man zeige mir doch bitte, wo er sich anders verhalten hat als unser Held Gnaeus Pompeius Magnus hier, der sich so oft über die Verfassung hinweggesetzt hat«, fuhr Curio fort. »Oder als Gaius Marius oder irgendeiner der unzähligen Provinzstatthalter, die ebenfalls Kolonien gegründet haben. Haben sie nicht viele Männer rekrutiert, die statt der vollen Bürgerrechte nur das latinische besaßen? Man kann wirklich nicht sagen, eingeschriebene Väter, Caesar habe mit dieser Praxis angefangen. Es gehört mittlerweile zum mos maiorum, daß Männer mit latinischem Bürgerrecht mit dem vollen Bürgerrecht belohnt werden, wenn sie treu und — was sehr oft der Fall ist — heldenhaft in der römischen Armee gekämpft haben. Auch kann keine von Caesars Legionen als bloße Hilfslegion aus Nichtbürgern gelten! In jeder Legion dienen auch römische Bürger.«

Gaius Marcellus grinste höhnisch. »Für jemanden, der behauptet, es sei nicht der rechte Augenblick oder Ort, um über die Anklagen zu sprechen, die gegen Caesar erhoben werden, sobald er sein Imperium niederlegt, redest du schon verdächtig lange so, als wärst du Caesars Verteidiger!«

»Möglich, daß dieser Eindruck entstanden ist«, meinte Curio kurz.

»Wie dem auch sei, Gaius Marcellus, ich komme jetzt zum Kern der Sache. Er steht in dem Brief, den der Senat Anfang letzten Jahres an Gaius Caesar geschickt hat. Caesar hatte den Senat schriftlich gebeten, ihn genauso wie Gnaeus Pompeius Magnus zu behandeln, der in absentia für sein Konsulat sine collega kandidiert hat, weil er damals sowohl die beiden spanischen Provinzen als auch die römischen Kornspeicher verwaltete. Nur allzu willig hatten die Senatoren damals einem eklatanten Verstoß gegen die Verfassung zugestimmt und ihn mit ungebührlicher Eile in einer spärlich besuchten Versammlung der Tribus durchgepeitscht! Den Pompeius Magnus in jeder Hinsicht ebenbürtigen Gaius Caesar dagegen will der Senat unbedingt in die Knie zwingen!«

Curio kam zum Schluß seiner Rede. »Ich sage euch, was ich vorhabe, eingeschriebene Väter. Ich werde mein Veto so lange aufrechterhalten, bis der Senat von Rom bereit ist, Gaius Caesar genau so zu behandeln, wie er Gnaeus Pompeius Magnus zu behandeln beliebt. Ich ziehe mein Veto nur unter einer Bedingung zurück: daß nämlich alles, was für Gaius Caesar gelten soll, gleichzeitig auch für Gnaeus Pompeius gilt! Wenn dieses Haus Caesar Imperium, Provinzen und Armee aberkennt, muß es genauso mit Gnaeus Pompeius verfahren!«

Schlagartig saßen alle kerzengerade auf ihren Plätzen! Sogar Pompeius starrte jetzt Curio und nicht mehr seine Statue an, und die kleine Schar von Konsularen, die als Anhänger Caesars galten, grinste von einem Ohr zum anderen.

»Gut gemacht, Curio!« rief Lucius Piso beifällig.

»Tace!« brüllte Appius Claudius, der Lucius Piso nicht ausstehen konnte.

»Ich beantrage, daß Gaius Julius Caesar heute Imperium, Provinzen und Armee aberkannt werden!« schrie Gaius Marcellus noch einmal.

»Ich lege so lange mein Veto gegen diesen Antrag ein, zweiter Konsul, bis du dasselbe auch für Gnaeus Pompeius forderst!«

»Der Senat hat verfügt, daß jedes Veto in dieser Sache Hochverrat ist. Du bist ein Verräter, Curio, und dafür mußt du sterben!«

»Auch dagegen lege ich mein Veto ein, Marcellus!«

Paullus stand schwerfällig auf. »Die Sitzung ist geschlossen!« brüllte er. »Raus mit euch, mit euch allen!«

Obwohl Pompeius keine Freude mehr daran hatte, auf die Statue auf dem Podium zu starren, blieb er regungslos auf seinem Klappstuhl sitzen, während die Senatoren den Saal verließen. Bezeichnenderweise waren auch weder Cato, Ahenobarbus oder Brutus noch einer der anderen boni in seine Nähe gekommen, um ihm zu verstehen zu geben, daß sie Wert auf seine Gesellschaft legten. Nur Metellus Scipio war bei ihm geblieben, und als der prachtvolle Saal leer war, gingen sie gemeinsam.

»Ich bin fassungslos«, sagte Pompeius.

»Ich ebenfalls.«

»Was habe ich Curio denn getan?«

»Nichts.«

»Warum stürzt er sich dann auf mich?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er ist Caesars Mann.«

»Das steht jetzt fest.«

»Aber er mochte mich noch nie. Schon als Caesar Konsul war, hat er mich beschimpft, und als Caesar nach Gallien ging, blieb das so.«

»Bevor er sich an Caesar verkaufte, gehörte er, wie wir alle wissen, zu Publius Clodius. Und Clodius haßte dich damals.«

»Aber warum hat er sich ausgerechnet heute auf mich gestürzt?«

»Weil du Caesars Feind bist, Pompeius.«

Die hellblauen Augen in Pompeius’ aufgedunsenem Gesicht weiteten sich. »Das bin ich nicht!« empörte er sich.

»Rede keinen Unsinn. Natürlich bist du das.«

»Wie kannst du so etwas behaupten, Scipio? Du bist nicht gerade für deinen Scharfsinn bekannt.«

»Mag sein«, sagte Metellus Scipio gelassen. »Aber einiges reime ich mir auch zusammen. Mir ist nämlich eingefallen, daß Cato und Bibulus immer gesagt haben, du seist neidisch auf Caesar und würdest im Grunde deines Herzens fürchten, daß er besser ist als du.«

Sie hatten die Curia nicht durch das große Portal verlassen, sondern durch eine kleine Tür im Innern. Durch diese gelangten sie in den Säulengarten der Villa, die Pompeius an das Theater angebaut hatte.

Der Erste Mann von Rom biß sich heftig auf die Lippen und rang um seine Fassung. Metellus Scipio sprach immer offen aus, was er dachte; was andere von ihm hielten, war ihm egal. Einen geborenen Cornelius Scipio, in dessen Adern noch dazu das Blut des Aemilius Paullus floß, brauchte die Meinung anderer nicht zu interessieren, nicht einmal die des Ersten Mannes von Rom. Metellus Scipio hatte nicht nur eine untadelige Ahnenreihe, er besaß überdies ein riesiges Vermögen, das ihm zugefallen war, als die plebejischen Caecilii Metelli ihn adoptiert hatten.

Hm, ja, was Metellus Scipio sagte, stimmte, auch wenn Pompeius es nicht laut zugegeben hätte. Schon in den ersten Jahren von Caesars Statthalterschaft in Gallien hatte er gewisse Ängste gehabt, und der Erfolg Caesars gegen Vercingetorix hatte diese Ängste bestätigt. Gierig hatte Pompeius Caesars Depeschen an den Senat gelesen, die in aller Ausführlichkeit die Heldentaten des Jahres schilderten — jenes Jahres, in dem er selbst zum dritten Mal Konsul gewesen war, die Hälfte der Zeit ohne Kollegen. Ausgestochen! Nicht ein einziger militärischer Fehltritt war Caesar unterlaufen. Wie unübertrefflich geschickt dieser Mann war! Wie unglaublich schnell und entschlossen er handelte und wie flexibel er zugleich war. Und seine Armee! Wie schaffte er es, daß die Legionäre ihn wie einen Gott verehrten? Denn das taten sie, kein Zweifel. Obwohl Caesar sie durch sechs Fuß hohen Schnee marschieren ließ, sie bis zur Erschöpfung triezte, von ihnen verlangte, für ihn zu hungern, und sie aus ihren Winterquartieren holte. Dummköpfe waren es, die das alles nur seiner Großzügigkeit zuschrieben! Soldaten, die nur für Geld kämpften, wären nie bereit, das Leben für ihren Feldherrn zu geben, aber Caesars Soldaten würden tausendmal für ihn sterben.

Ich habe diese Gabe nie besessen, obwohl ich es mir eingebildet habe, damals, als ich meine picenischen Klienten mobilisierte, um für Sulla zu kämpfen. Damals glaubte ich an mich und war überzeugt, daß meine Legionäre mich liebten. Vielleicht haben Spanien und Sertorius mir diesen Glauben ausgetrieben. Ich mußte mich durch diesen furchtbaren Feldzug quälen und mitansehen, wie meine Soldaten aufgrund meiner stümperhaften militärischen Fehler sterben mußten. Fehler, die er nie gemacht hat. Spanien und Sertorius haben mich gelehrt, daß es auf die Menge ankommt, daß es klug ist, ein größeres Heer zu haben als der Gegner. Seitdem habe ich nie mehr mit einem kleinen Heer gekämpft. Aber er tut es. Er glaubt an sich, er wird nie von Zweifeln geplagt. Er zieht mit einem so kleinen Heer in die Schlacht, daß es geradezu lächerlich ist. Zugleich verschwendet er keinen Mann, noch sucht er den Kampf. Wenn er kann, wählt er die friedliche Lösung. Aber dann wiederum bringt er es fertig, viertausend Galliern die Hände abzuhacken und das Ganze eine Maßnahme zur Sicherung des Friedens zu nennen. Vermutlich hat er sogar recht. Wie viele Männer hat er bei Gergovia verloren? Siebenhundert? Und er hat um sie geweint! In Spanien habe ich in einer einzigen Schlacht fast zehnmal so viel verloren, aber ich konnte nicht weinen. Vielleicht fürchte ich am meisten seine erschreckende Geistesgegenwart. Selbst wenn man ihn zur Weißglut treibt, kann er noch klar denken und die Dinge zu seinen Gunsten wenden. Ja, Scipio hat recht. Im Grunde meines Herzens fürchte ich, daß Caesar besser ist als ich...

Im Atrium begrüßte sie Pompeius’ Frau. Sie bot ihm ihre kalte Wange zum Kuß und strahlte dann ihren idiotischen Vater an. Ach Julia, wo bist du? Warum mußtest du mich verlassen? Warum kann diese Frau nicht sein wie du? Warum ist sie so kalt?

»Ich hatte nicht damit gerechnet, daß die Versammlung vor Sonnenuntergang enden würde«, sagte Cornelia Metella und führte sie ins Eßzimmer. »Aber ich habe natürlich genug zu essen vorbereiten lassen.«

Sie sah nicht übel aus, insofern war es keine Schande, daß er sie geheiratet hatte. Ihre glänzenden, dichten, braunen Haare waren zu Schnecken zusammengerollt, die teilweise die Ohren bedeckten; ihre vollen Lippen waren verlockend genug, ihre Brüste beträchtlich praller als die Julias. Ihre grauen Augen standen weit auseinander, auch wenn die Lider ein wenig zu schwer darüberhingen, und im ehelichen Bett zeigte sie immerhin eine lobenswerte Ergebenheit. Sie war als Witwe von Publius Crassus keine Jungfrau mehr gewesen, aber leider trotzdem, wie er feststellen mußte, weder erfahren noch leidenschaftlich genug, um sich mit Lust von ihm verführen zu lassen. Pompeius war stolz auf seine Künste als Liebhaber, aber Cornelia Metella hatte ihn besiegt. Sie bekundete zwar weder Ekel noch Mißfallen, aber sechs Jahre Ehe mit der wunderbar empfänglichen und so leicht erregbaren Julia hatten Pompeius’ Wahrnehmung auf eigentümliche Weise geschärft. So spürte er Cornelia Metellas Ratlosigkeit, wenn er sich an sie preßte oder ihre Brüste küßte. Und als er einmal ihre Schamlippen geküßt hatte, um die Leidenschaft in ihr zu wecken, hatte sie sich entrüstet und voller Abscheu weggedreht.

»Laß das!« hatte sie gefaucht. »Das ist ekelhaft!«

Vielleicht, dachte Pompeius, hatte die stets so beherrschte Cornelia Metella nur Angst davor, ihrer Lust zu erliegen.

Cato ging allein nach Hause. Er sehnte sich nach Bibulus; mit ihm fehlte der fähigste der boni. Zwar waren die drei Claudii Marcelli auch tüchtige Männer, und der mittlere berechtigte zu den besten Hoffnungen, aber ihnen fehlte der jahrelange leidenschaftliche Haß auf Caesar, den Bibulus hegte und nährte. Außerdem kannten sie Caesar längst nicht so gut wie Bibulus. Cato hatte den wahren Grund für das Fünfjahresgesetz für Provinzstatthalter zwar erkannt, aber weder ihm noch Bibulus war klar gewesen, daß das erste Opfer dieses Gesetzes Bibulus sein würde. Deshalb war Bibulus jetzt in Syrien, wo er ausgerechnet mit diesem aufgeblasenen Dummkopf Cicero im benachbarten Kilikien zu tun hatte, mit dem er jetzt auch noch einen gemeinsamen Feldzug unternehmen sollte. Wie konnte der Senat erwarten, daß Mars’ Streitwagen von einem Gespann aus Reitpferd und Packesel vernünftig gezogen wurde? Während Bibulus dank eines gekauften Günstlings, des parthischen Adligen Ornadapates, die Parther im Griff hatte, belagerte Cicero siebenundfünfzig Tage lang Pindenissus im Osten Kappadokiens. Siebenundfünfzig Tage! Für einen vollkommen unbedeutenden Ort! Caesar hatte im selben Jahr innerhalb von dreißig Tagen fünfundzwanzig Meilen lange Befestigungsanlagen gebaut und Alesia erobert. Der Kontrast war himmelschreiend, und es war kein Wunder, daß die Senatoren lachten, als Ciceros Brief eintraf. Nach fünfundvierzig Tagen! Ein Brief von Ostkappadokien nach Rom brauchte zwölf Tage weniger, als die Belagerung von Pindenissus gedauert hatte!

Cato betrat sein Haus. Seit der Scheidung von Marcia brauchte er nur noch wenige Diener, und nachdem Porcia Bibulus geheiratet hatte und ausgezogen war, hatte er die meisten von ihnen verkauft. Da weder er noch die beiden in seinem Haus wohnenden Philosophen Athenodorus Cordylion und Statyllus im Essen mehr als eine Notwendigkeit sahen, waren in der Küche nur ein Mann, der sich Koch nannte, und sein junger Gehilfe beschäftigt. Ein Verwalter wäre Verschwendung gewesen. Ein weiterer Diener putzte und erledigte Einkäufe (Cato überprüfte alle Ausgaben und teilte das Geld selbst aus), die wenige Wäsche wurde außer Haus gewaschen. Aufgrund der Sparmaßnahmen hatten sich die Haushaltskosten auf zehntausend Sesterze im Jahr reduziert. Rechnete man den Wein hinzu, verdreifachte sich diese Summe allerdings, obwohl es sich um Wein aus zweiter Pressung handelte, der nach Essig schmeckte. Doch das spielte keine Rolle, denn Cato und seine beiden Philosophen tranken der Wirkung und nicht des Geschmacks wegen. Geschmack war ein Luxus für Reiche wie Quintus Hortensius, dem neuen Mann von Marcia.

Der Gedanke an Marcia versetzte ihm einen Stich. Marcia ging ihm an diesem so enttäuschenden Tag nicht aus dem Kopf. Er wußte immer noch, wie sie damals, vor fast sieben Jahren, ausgesehen hatte, als er sie beim Essen im Haus von Lucius Marcius Philippus zum erstenmal gesehen hatte. Er war stolz über seinen Erfolg in Zypern gewesen. Publius Clodius hatte ihn gezwungen, den Sonderauftrag zu übernehmen — die Angliederung Zyperns —, und er hatte sie erfolgreich durchgeführt. Und mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen, daß Zyperns ägyptischer Regent Ptolemaios Selbstmord begangen hatte. Anschließend hatte Cato sämtliche Schätze und Kunstwerke der Insel für bares Geld verkauft und dieses in zweitausend Kisten gepackt — insgesamt siebentausend Talente. Er hatte über alles doppelt Buch geführt; eine Ausfertigung hatte er selbst in seine Obhut genommen, die andere seinem freigelassenen Sklaven Philargyrus anvertraut. Kein Senator sollte ihm unterstellen können, er habe Geld veruntreut! Sicher würde wenigstens eine der beiden Ausfertigungen unversehrt nach Rom gelangen.

Für den Transport der zweitausend Kisten hatte er die königliche Flotte beschlagnahmt — wozu Geld für das Anheuern einer Flotte ausgeben, wenn eine zur Verfügung stand? Dann ersann er eine Methode, um die Kisten zu bergen, falls ein Schiff während der Reise sank. Er band an jede Kiste ein hundert Fuß langes Seil, an dessen Ende er ein dickes Stück Kork befestigte; wenn ein Schiff sank, würden sich die Seile aufwickeln und die Korkstücke an der Wasseroberfläche treiben, so daß man die Kisten daran hochziehen konnte. Philargyrus fuhr sicherheitshalber auf einem anderen Schiff, das gebührenden Abstand zu dem Catos hielt.

Die Schiffe der zypriotischen Königsflotte sahen zwar sehr schön aus, waren aber nicht dafür gedacht, die Gewässer des mare nostrum zu befahren, etwa am Kap Taenarum am unteren Ende des Peloponnes. Die offenen Galeeren lagen flach im Wasser, zwei Männer bedienten ein Ruder, und jedes Schiff hatte ein armseliges Segel. Der Vorteil eines offenen Schiffes war freilich, daß die Seile mit den Korken sich im Fall eines Schiffbruchs ungehindert aufrollen konnten. Und noch war das Wetter gut. Erst als die Flotte den Peloponnes umschiffte, kam ein schwerer Sturm auf. Trotzdem sank nur ein Schiff: die Galeere mit Philargyrus und der zweiten Ausgabe des Kassenberichts. Als später bei ruhiger See die Suche nach den Kisten begann, zeigte sich zu Catos Leidwesen jedoch kein einziger Korken an der Oberfläche. Er hatte die Tiefe des Wassers gründlich unterschätzt.

Doch der Verlust eines einzigen Schiffes ließ sich verkraften. Als sich der nächste Sturm ankündigte, suchten Cato und seine Männer im Hafen von Kerkyra Schutz. Leider konnte die schöne Insel nicht so viele unerwartete Besucher unterbringen, so daß diese sich gezwungen sahen, auf dem Marktplatz der kleinen Hafenstadt Zelte aufzuschlagen. Cato als überzeugter Stoiker verzichtete darauf, sich im Haus des reichsten Bürgers einzuquartieren, und entschied sich statt dessen gleichfalls für ein Zelt. Da es bitter kalt war, zündeten die zypriotischen Seeleute ein gewaltiges Lagerfeuer an. Dann brach der Sturm los, und die Funken des Feuers stoben in alle Richtungen. Catos Zelt brannte restlos nieder, und mit ihm verbrannten die Kassenbücher.

Cato war über den Verlust untröstlich. Nie würde er beweisen können, daß er von dem Profit aus der Annexion Zyperns nichts für sich behalten hatte. Vielleicht deshalb beschloß er, das Geld nicht auf der riskanten Via Appia nach Rom zu befördern. Statt dessen segelte er mit seiner Flotte um die Stiefelspitze Italias und an der Westküste entlang nach Ostia. Dank des geringen Tiefgangs der Schiffe konnte er den Tiber bis an die Hafenkais von Rom hinaufsegeln.

Der Anblick der Flotte war so ungewöhnlich, daß fast ganz Rom sich zu Catos Begrüßung versammelte. Zum Empfangskomitee gehörte auch der zweite Konsul jenes Jahres, Lucius Marcius Philippus. Als Genußmensch und Epikureer verkörperte er all die Eigenschaften, die Cato am meisten verachtete. Trotzdem nahm Cato, nachdem er persönlich den Transport der zweitausend Kisten ins Schatzamt neben dem Saturntempel überwacht hatte, Philippus’ Einladung zum Essen an.

»Die Senatoren bewundern dich, mein lieber Cato«, begrüßte Philippus ihn an der Tür. »Sie wollen ein offizielles Dankfest feiern und dir alle möglichen Ehrungen zuteil werden lassen. So sollst du unter anderem das Recht bekommen, bei öffentlichen Anlässen die toga praetexta zu tragen.«

»Nein!« entgegnete Cato barsch. »Ich nehme keine Ehrungen dafür an, daß ich nur meine Pflicht erfüllt habe, also mache dir bitte nicht die Mühe, irgendwelche Ehrungen zu beantragen oder darüber abstimmen zu lassen. Das einzige, worum ich bitte, ist, dem Sklaven Nicias, der Verwalter bei Ptolemaios von Zypern war, die Freiheit zu schenken und das römische Bürgerrecht zu gewähren, denn ohne seine Hilfe hätte ich meine Aufgabe nicht erfolgreich durchführen können.«

Philippus, ein schöner, dunkelhaariger Mann, sah ihn überrascht an, machte jedoch keine Einwände. Er führte Cato in sein geschmackvoll eingerichtetes Eßzimmer, wo er ihm den Ehrenplatz auf seinem Sofa anbot und seine beiden Söhne vorstellte. Der junge Lucius war sechsundzwanzig, genauso dunkel wie sein Vater und noch schöner, der dreiundzwanzigjährige Quintus dagegen war weniger attraktiv.

Dem Sofa, auf dem Philippus und Cato lagen, gegenüber und von ihm durch den niedrigen, für die Speisen bestimmten Tisch getrennt, standen zwei Stühle.

»Vielleicht weißt du noch nicht, daß ich vor kurzem wieder geheiratet habe«, sagte Philippus.

»Tatsächlich?« fragte Cato schlechtgelaunt. Er haßte gesellschaftliche Pflichtessen, an denen stets nur Leute teilzunehmen schienen, mit denen er politisch und philosophisch nicht das geringste gemein hatte.

»Ja, Atia, die Witwe meines lieben Freundes Gaius Octavius.«

»Atia... Wer ist denn das?«

Philippus lachte herzhaft, und seine beiden Söhne grinsten. »Also wirklich, Cato. Wenn eine Frau weder eine Porcia noch eine Domitia ist, kennst du sie nicht! Atia ist die Tochter des Marcus Atius Balbus aus Aricia und der jüngeren der beiden Schwestern des Gaius Caesar.«

Cato spürte, wie sich die Haut an seinem Kinn spannte, und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Also Caesars Nichte.«

»Genau, Caesars Nichte.«

Cato bemühte sich, höflich zu bleiben. »Und für wen ist der andere Stuhl bestimmt?«

»Für meine einzige Tochter Marcia, mein jüngstes Kind.«

»Die offenbar noch nicht im heiratsfähigen Alter ist.«

»Doch, sie ist sogar schon achtzehn. Sie war mit Publius Cornelius Lentulus verlobt, aber er ist gestorben. Ich habe mich noch nicht für einen anderen Mann entschieden.«

»Hat Ada von Gaius Octavius Kinder?«

»Ja, zwei, ein Mädchen und einen Jungen, und noch eine Stieftochter, das Kind von Octavius und einer Ancharia.«

In diesem Augenblick erschienen die beiden Frauen, beide schön, wenn auch in gegensätzlicher Weise. Atia war eine typische Julia mit goldblonden Haaren und blauen Augen. Sie hatte große Ähnlichkeit mit der Frau des Gaius Marius und bewegte sich mit auffallender Anmut. Marcia dagegen war schwarzhaarig und dunkeläugig und ähnelte sehr ihrem älteren Bruder, der die Frau seines Vaters unverwandt ansah, was Cato allerdings nicht bemerkte.

Er bemerkte es nicht, weil er seinerseits den Blick nicht von Philippus’ Tochter abwenden konnte, die ihm gegenüber auf einem ungepolsterten Stuhl saß, die Hände im Schoß gefaltet, und seinen Blick mit derselben Intensität erwiderte.

Sie sahen sich an und verliebten sich, was beide nicht für möglich gehalten hätten. Marcia erkannte, was passiert war, Cato nicht.

Sie lächelte ihn an, wobei sie eine Reihe blendend weißer Zähne entblößte. »Was für eine großartige Leistung du vollbracht hast, Marcus Cato«, sagte sie, als der erste Gang aufgetragen wurde.

Unter normalen Umständen hätte Cato die Speisen verschmäht, auf die Marcias Vater beträchtliche Aufmerksamkeit verwandt hatte: gefüllte Babytintenfische, Wachteleier, große, aus dem fernen Spanien importierte Oliven, geräucherte Babyaale, lebende Austern, die in Wasserkarren aus Baiae geliefert worden waren, Krebse ebenfalls aus Baiae, kleine Garnelen in einer sahnigen Knoblauchsoße, feinstes Olivenöl aus erster Pressung und knuspriges, ofenwarmes Brot.

»Ich habe nur meine Pflicht getan«, erwiderte Cato mit einer ihm unbekannten sanften, fast liebkosenden Stimme. »Rom hat mich beauftragt, Zypern zu annektieren, und das habe ich getan.«

»Aber du warst so ehrlich«, sagte sie. Ihre Augen glänzten.

Er wurde tiefrot und senkte den Kopf, um sich den Austern und Krebsen zu widmen, die, wie er zugeben mußte, köstlich schmeckten.

»Du mußt unbedingt die Garnelen probieren.« Marcia nahm seine Hand und führte sie zur Platte.

Die Berührung entzückte ihn, um so mehr, als er unfähig war, der Stimme der Vernunft zu folgen, die ihm zuschrie, er müsse ihr die Hand sofort entreißen. Statt dessen verlängerte er den Kontakt, indem er vorgab, die Platte zu übersehen, und er lächelte Marcia sogar an.

Wie ungeheuer attraktiv er ist, dachte Marcia. Diese edle Nase! Was für schöne graue Augen, so streng und doch so leuchtend. Welch ein Mund! Und das sorgfältig gestutzte, leicht gewellte, rotgoldene Haar... Breite Schultern, ein langer, anmutiger Hals, keine Unze überflüssigen Fleisches, lange, muskulöse Beine. Den Göttern sei Dank, daß die Toga zu schwer war, um sie beim Essen zu tragen, und die Männer nur mit der Tunika bekleidet auf dem Sofa lagen!

Cato verschlang eine Garnele nach der anderen; am liebsten hätte er Marcia eine zwischen die wundervollen Lippen geschoben und immer wieder seine Hand von ihr zur Platte führen lassen.

Währenddessen tauschten die übrigen Familienmitglieder überraschte und belustigte Blicke aus und unterdrückten ein Lächeln. Nicht Marcias wegen, deren Tugend und Gehorsam über jeden Zweifel erhaben waren. Nein, sie waren von Catos Benehmen fasziniert. Wer hätte sich träumen lassen, daß ausgerechnet Cato mit sanfter Stimme sprechen konnte und über die Berührung einer Frau entzückt war? Von den Anwesenden war nur Philippus alt genug, um sich an die Zeit lange vor dem Krieg gegen Spartacus zu erinnern, als sich Cato, damals ein junger Mann von zwanzig Jahren, unsterblich in Aemilia Lepida verliebt hatte, Mamercus’ Tochter, die dann jedoch Metellus Scipio geheiratet hatte. Damals, so hatte man in Rom seinerzeit vermutet, war in Cato etwas zerbrochen. Mit zweiundzwanzig hatte er eine Attilia geheiratet, die er mit kalter, schroffer Gleichgültigkeit behandelte. Nachdem Caesar sie verführt hatte, ließ er sich von ihr scheiden und verbot ihr jeden Kontakt zu ihrer Tochter und ihrem Sohn, die Cato seitdem in einem frauenlosen Haushalt aufzog.

»Laß mich deine Hände waschen«, sagte Marcia zu Cato, als der erste Gang abgeräumt und der zweite hereingebracht wurde: gebratenes Babylamm, gebratene Küken, zahllose Gemüsesorten, gekocht mit Pinienkernen, geschältem Knoblauch oder zerkrümeltem Käse, Schweinebraten in Pfeffersoße und Schweinswürste, die mit Honig eingepinselt worden waren, damit sie nicht anbrannten. Für Philippus, der wußte, daß sein Gast einfaches Essen vorzog, war es ein bescheidenes Mahl, für Cato dagegen ein üppiges und schwerverdauliches Essen. Doch Marcia zuliebe aß er von diesem und naschte von jenem.

»Wie ich gehört habe, hast du noch zwei Stiefschwestern und einen Stiefbruder«, sagte Cato.

Ihr Gesicht fing an zu strahlen. »Ja, bin ich nicht ein Glückspilz?«

»Demnach magst du sie gern.«

»Man muß sie mögen«, sagte sie treuherzig.

»Und wen magst du am liebsten?«

»Ach, das ist leicht«, sagte sie liebevoll. »Den kleinen Gaius Octavius.«

»Wie alt ist er?«

»Sechs, aber vom Verstand her eher sechzig.«

Jetzt lachte Cato sogar, und es war nicht sein übliches Wiehern, sondern ein sympathisches Glucksen. »Dann muß er ja ein ganz süßer Junge sein.«

Stirnrunzelnd dachte sie über seine Bemerkung nach. »Nein, süß nicht. Er ist — faszinierend. Zumindest ist das das Wort, das mein Vater benutzt. Er ist sehr kalt und verschlossen und hört nie auf nachzudenken. Alles wird auseinandergenommen, analysiert und gewogen.« Sie hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Er ist sehr schön.«

»Dann gerät er nach seinem Großonkel Gaius Caesar«, sagte Cato. Seine Stimme hatte zum ersten Mal einen barschen Unterton.

Das entging Marcia nicht. »In gewisser Weise ja. Er hat einen scharfen Verstand, aber er ist nicht so vielseitig begabt, und was das Lernen betrifft, faul. Er haßt Griechisch und gibt sich nicht die geringste Mühe, es zu lernen.«

»Willst du damit sagen, Caesar sei vielseitig begabt?«

»So sagt man zumindest«, meinte sie versöhnlich.

»Und was sind die Talente des jungen Gaius Octavius?«

»Seine Vernunft«, sagte sie, »seine Tapferkeit, sein Selbstbewußtsein und sein Wagemut.«

»Dann ist er wirklich ganz der Großonkel.«

Marcia kicherte. »Nein, er ist er selbst.«

Der zweite Gang wurde abgeräumt, und in Philippus regte sich der Feinschmecker. »Marcus Cato«, sagte er, »ich habe ein neues Dessert zubereiten lassen, das du unbedingt probieren mußt!« Er ließ den Blick suchend über Obstsalate, Rosinengebäck, in Honig getränkte Kuchen und zahllose Käsesorten schweifen. »Aha!« rief er dann, als ein Sklave mit dem Dessert erschien, einem hellgelben Klumpen, der als Käse hätte durchgehen können, wäre er nicht auf einem Teller hereingebracht worden, der auf einer mit — Schnee? — beladenen Platte stand.

»Es wurde auf dem Mons Fiscellus hergestellt, und in keinem anderen Monat hättest du es kosten können. Honig, Eier und der von der Milch eines zweijährigen Mutterschafs abgeschöpfte Rahm werden in einem Faß, das in einem Faß mit gesalzenem Schnee steht, verquirlt und dann, in Schnee verpackt, im Galopp nach Rom gebracht. Ich nenne das Gericht Mons-Fiscellus-Götterspeise.«

Vielleicht hatte die Unterhaltung über Caesars Großneffen einen bitteren Geschmack in Catos Mund hinterlassen, jedenfalls lehnte er höflich ab, und nicht einmal Marcia konnte ihn überreden, das Dessert zu probieren.

Kurz darauf zogen sich die beiden Frauen zurück. Schlagartig war Catos Vergnügen an dem Besuch in der Höhle der Epikureer beendet. Ihm wurde so schlecht, daß er zuletzt die Latrine aufsuchen mußte, um sich unauffällig zu übergeben. Wie konnte man nur so viel essen? Sogar die Latrine war luxuriös ausgestattet! Obwohl es, wie er zugeben mußte, sehr angenehm war, sich den Mund mit einem dünnen Wasserstrahl auszuspülen und dann darunter die Hände zu waschen.

Auf dem Rückweg durch die Kolonnade kam er an einer offenen Tür vorbei.

»Marcus Cato!«

Er blieb stehen, spähte ins Zimmer und begegnete Marcias erwartungsvollem Blick.

»Komm doch einen Moment herein.«

Obwohl es gegen alle gesellschaftlichen Regeln Roms verstieß, trat Cato ein.

»Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich deine Gesellschaft genossen habe«, sagte Marcia. Sie sah dabei nicht auf seine Augen, sondern auf seinen Mund.

Nein! Das war unerträglich!! Sieh mir in die Augen, Marcia, nicht auf den Mund, sonst muß ich dich küssen! Tu mir das nicht an!

Bevor er wußte, wie ihm geschah, lag sie in seinen Armen, und der Kuß war Wirklichkeit — wirklicher als jeder Kuß, den er je erlebt hatte, was angesichts seiner selbstauferlegten Askese allerdings nicht viel hieß. Cato hatte in seinem Leben nur zwei Frauen geküßt, Aemilia Lepida und Attilia, und Attilia nur selten und ohne tiefere Gefühle. Jetzt dagegen spürte er weiche und dennoch kräftige Lippen, die sich lustvoll auf die seinen preßten. Marcia schmiegte sich an ihn, seufzte, schlang ihre Zunge um seine und führte seine Hand an ihre Brüste.

Keuchend entwand Cato sich ihren Armen und floh.

Seine Verwirrung war so groß, daß er auf dem Heimweg nicht mehr wußte, welche von den hundert Türen in der engen Gasse auf dem Palatin seine war. Sein leerer Magen rebellierte, und ihr Kuß spukte in seinem Kopf herum, bis er an nichts anderes mehr denken konnte als an das unbeschreibliche Gefühl ihres Körpers in seinen Armen.

Im Atrium wurde er bereits von Athenodorus Cordylion und Statyllus erwartet, die alles über das Essen, die Speisefolge, die Gesellschaft und die Unterhaltung im Hause Philippus wissen wollten.

»Verschwindet!« schrie er und schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein, wo er bis zur Morgendämmerung ohne einen Schluck Wein auf und ab ging. Er wollte nicht, daß sich jemand in sein Herz schlich, er wollte nicht lieben. Die Liebe war eine Falle, eine Qual, eine Katastrophe, ein Schrecken ohne Ende. All die Jahre, die er Aemilia Lepida geliebt hatte, und was war daraus geworden? Sie hatte den Schwachkopf Metellus Scipio vorgezogen. Aber die sinnliche Liebe zu Aemilia Lepida war nichts verglichen mit der Liebe, die er für seinen Bruder Caepio empfunden hatte. Caepio war einsam gestorben, während er auf Cato gewartet hatte, ohne eine Hand, an der er sich hätte festhalten können, ohne einen Freund, der ihn getröstet hätte. Es war eine Qual gewesen, ohne Caepio weiterleben zu müssen — Cato hatte eine entsetzliche Leere und Trostlosigkeit empfunden, die nicht von ihm gewichen war, bis heute nicht, elf lange Jahre später. Liebe war immer auch Verrat — am Verstand, an der Selbstbeherrschung, an der Fähigkeit, sich über Schwächen zu erheben und ein selbstloses Leben zu führen. Und sie mündete in eine Trauer, die noch einmal zu ertragen er zu alt war.

Trotzdem schlüpfte er, als die Sonne hoch genug stand, in eine frische, mit Kreide geweißte Toga und kehrte zum Haus des Lucius Marcius Philippus zurück, um dort um die Hand von Philippus’ Tochter anzuhalten — zwischen Bangen und Hoffen, daß Philippus nein sagen würde.

Aber Philippus sagte ja.

»Das verschafft mir ein Standbein in beiden Lagern«, frohlockte er und drückte Catos Hand. »Mit Caesars Nichte verheiratet, Vormund seines Großneffen und außerdem Schwiegervater von Cato, besser könnte es nicht sein.«

Auch die Ehe hätte besser nicht sein können, obwohl Cato angesichts des reinen Glücks, das er erlebte, unablässig von bohrenden Zweifeln geplagt wurde. Wie hatte er das verdient? Es konnte doch nicht recht sein, so im Genuß zu schwelgen. In der Hochzeitsnacht hatte er den sicheren Beweis erhalten, daß Philippus’ Tochter noch Jungfrau war; aber woher hatte sie dann diese Leidenschaft, dieses Wissen? Denn Cato wußte ja nichts von Frauen, hatte keine Ahnung, was kleine Mädchen aus Unterhaltungen, erotischen Wandgemälden, phallischen Gegenständen, Geräuschen hinter verschlossenen Türen, flüchtigen Blicken oder von erfahrenen älteren Brüdern lernten. Es beunruhigte ihn, daß er ihrem Charme hilflos erlag und so ausschließlich von seinen heftigen Gefühlen für sie beherrscht wurde. Venus selbst hatte ihm diese Braut zugeführt, während er ein Geschöpf des eisernen Dis war.

Deshalb nahm er, als zwei Jahre nach der Hochzeit der senile, alte Hortensius zu ihm kam und seine Tochter oder eine seiner Nichten heiraten wollte, keinen Anstoß an dessen ungeheuerlicher letzter Bitte — daß Cato ihm erlauben sollte, seine Frau zu heiraten. Schlagartig erkannte Cato den einzigen Weg, der ihn von seiner Pein erlösen und ihm beweisen würde, daß er noch sich selbst gehörte. Er würde Marcia Quintus Hortensius überlassen, dem zahnlosen, haarlosen und kraftlosen alten Lüstling; Hortensius würde in unaussprechlicher Weise ihr Fleisch beflecken, sie furzend und sabbernd zur Fellatio zwingen und sie mit Abscheu erfüllen, sie, seine geliebte Marcia, angesichts von deren zukünftigem Leid ihm das Herz blutete. Wie konnte er sie zu einem solchen Schicksal verurteilen? Doch er mußte es, wollte er nicht verrückt werden.

Und so geschah es, und entgegen den Gerüchten nahm er keinen einzigen Sesterz von Hortensius, obgleich Philippus damals natürlich Millionen genommen hatte.

»Ich lasse mich von dir scheiden«, hatte er ihr mit seiner lautesten, barschesten Stimme mitgeteilt, »und dann verheirate ich dich mit Quintus Hortensius. Ich erwarte, daß du ihm eine gute Frau bist. Dein Vater hat bereits zugestimmt.«

Sie hatte aufrecht vor ihm gestanden, die großen Augen voller ungeweinter Tränen, und dann hatte sie die Hand ausgestreckt und ganz leicht, voller Liebe, seine Wange berührt.

»Ich verstehe, Marcus«, sagte sie. »Ja, ich verstehe. Ich liebe dich. Ich werde dich über den Tod hinaus lieben.«

»Ich will nicht, daß du mich liebst!« hatte er aufgeheult. »Ich will meinen Frieden, ich will in Ruhe gelassen werden, ich will nicht, daß mich irgend jemand liebt, schon gar nicht über den Tod hinaus! Geh zu Hortensius, und lerne mich zu hassen!«

Sie hatte nur gelächelt.