Seitdem waren fast vier Jahre vergangen, vier Jahre, in denen der Schmerz nie von ihm gewichen war, nie auch nur um ein Jota nachgelassen hätte. Er vermißte Marcia noch genauso schmerzlich wie damals in ihrer Hochzeitsnacht bei Hortensius, und immer noch quälte ihn die Vorstellung dessen, was Hortensius ihr alles angetan oder von ihr verlangt haben mochte. Noch immer hatte er den Klang ihrer Stimme im Ohr, als sie gesagt hatte, sie verstehe ihn und sie würde ihn über den Tod hinaus lieben. Sie liebte ihn so sehr, daß sie eine Bestrafung auf sich nahm, die sie nicht verdient hatte, nie und nimmer verdient haben konnte. Und er hatte das alles nur getan, um sich zu beweisen, daß er ohne sie leben, daß er der Ekstase entsagen konnte.

Warum dachte er ausgerechnet an diesem Tag an sie, an dem er eigentlich an Curio und an Caesars verabscheuungswürdigen Sieg hätte denken sollen? Warum verzehrte er sich vor Sehnsucht nach ihr und danach, sein Gesicht an ihrer Brust zu bergen und sie zu lieben, wenigstens für eine halbe Nacht? Warum ging er Athenodorus Cordylion und Statyllus aus dem Weg? Er goß unverdünnten Wein in einen großen Becher und trank ihn in einem Zug. Das Schlimmste war, daß er seit der Trennung von Marcia so viel trank und daß der Wein nie schnell genug wirkte, um den Schmerz zu betäuben.

Polternd schlug jemand gegen die Haustür. Cato zog den Kopf zwischen die Schultern und versuchte, es zu überhören. Sollten doch Athenodorus Cordylion oder Statyllus oder einer der drei Diener aufmachen. Aber die Diener waren vermutlich in der Küche am hinteren Ende des Säulengartens, und die beiden Philosophen schmollten anscheinend, weil er vorhin gleich in sein Arbeitszimmer gegangen war und hinter sich abgeschlossen hatte. Cato stellte den Becher auf den Tisch und stand auf, um dem hartnäckigen Trommeln ein Ende zu machen.

»Ach du bist es, Brutus«, sagte er und hielt die Tür auf. »Ich nehme an, du willst zu mir.«

»Sonst wäre ich nicht hier, Onkel Cato.«

»Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«

»Es muß ein tolles Gefühl sein, als rücksichtsloser Grobian zu gelten«, sagte Brutus, während er das Arbeitszimmer betrat. »Was gäbe ich doch dafür, es dir gleichzutun.«

Cato grinste säuerlich. »Das würdest du bei deiner Mutter nicht wagen. Sie würde dir den Kopf abreißen.«

»Das hat sie schon vor Jahren getan.« Brutus goß sich Wein ein. Er sah sich vergeblich nach Wasser um, trank achselzuckend einen Schluck und v«rzog angewidert das Gesicht. »Du solltest wirklich den einen oder anderen Sesterz für anständigen Wein ausgeben.«

»Ich trinke nicht, um meinem Gaumen zu schmeicheln, ich will mich betrinken.« »Das ist ja der reinste Essig. Dein Magen muß ein faulender Käse sein.«

»Mein Magen ist in einem besseren Zustand als deiner, Brutus. Ich hatte mit dreiunddreißig keine Pickel. Mit achtzehn übrigens auch nicht.«

Brutus zuckte zusammen. »Kein Wunder, daß du die Wahlen zum Konsulat verloren hast.«

»Die Leute hören eben nicht gern die Wahrheit, was mich allerdings nicht davon abhalten kann, sie auch weiterhin zu sagen.«

»Das merke ich, Onkel Cato.«

»Was führt dich überhaupt hierher?«

»Das heutige Debakel in der Curia Pompeia.«

Cato grinste höhnisch. »Pah! Curio wird untergehen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil er sein Veto begründet hat.«

»Jedes Veto läßt sich begründen. Curio war gekauft.«

Kein Wunder, dachte Brutus, daß ihnen ohne Bibulus nichts gelang. Zwar versuchte er, Bibulus zu vertreten, aber er scheiterte immer wieder kläglich, wie bei den meisten Dingen außer beim Geldverdienen. Und warum er ausgerechnet darin gut war, hätte er nicht sagen können.

Er versuchte es noch einmal. »Aber damit ist die Sache doch nicht erledigt. Ob Curio gekauft wurde oder nicht, ist unwichtig. Entscheidend ist der Grund seines Vetos. Wir haben Caesars Bitte um Gleichbehandlung mit Pompeius abgelehnt und Curio damit Munition verschafft.«

»Wir können Caesar doch nicht genauso behandeln wie Pompeius. Ich hasse Pompeius zwar, aber er ist unendlich fähiger als Caesar. Er spielt seit der Zeit Sullas eine wichtige Rolle in Rom, seine Karriere ist mit Ehrungen, Sondervollmachten und höchst einträglichen Kriegen nur so gespickt, und er hat unser Einkommen verdoppelt.«

»Das liegt über zehn Jahre zurück. In den letzten zehn Jahren hat Caesar ihn in den Augen der Plebs und des ganzen römischen Volkes in den Schatten gestellt. Mag sein, daß der Senat die Außenpolitik bestimmt und bei militärischen Entscheidungen das letzte Wort hat, aber auch die Plebs und das römische Volk sind wichtig. Sie mögen Caesar — nein, sie beten ihn regelrecht an.«

»Für ihre Dummheit bin ich nicht verantwortlich!« sagte Cato bissig.

»Ich auch nicht. Aber es bleibt die Tatsache, daß Curio mit der Ankündigung, sein Veto erst aufzuheben, wenn der Senat der Gleichbehandlung Caesars mit Pompeius zustimmt, einen gewaltigen Sieg errungen hat. Dadurch hat er die Gegner Caesars ins Unrecht gesetzt. Jetzt sieht es aus, als handelten wir nur aus Neid und Mißgunst.«

»Was aber nicht stimmt, Brutus.«

»Was ist dann das Motiv der boni?«

»Caesar hat mich in den vierzehn Jahren, die ich im Senat bin, nie täuschen können, Brutus«, sagte Cato ernst. »Er ist wie Sulla! Er will König von Rom werden. Und ich habe mir vor vierzehn Jahren geschworen, alles zu tun, um zu verhindern, daß er seine ehrgeizigen Pläne verwirklicht. Caesar eine Armee zur Verfügung zu stellen ist Selbstmord. Dank Publius Vatinius haben wir ihm sogar drei Legionen gegeben. Und was tat Caesar? Er rekrutierte ohne unsere Zustimmung noch mehr Legionen und bezahlte sie sogar, bis der Senat einlenkte.«

»Wie ich gehört habe, soll er als Konsul eine gewaltige Bestechungssumme von Ptolemaios Auletes angenommen und im Gegenzug für ein Dekret gesorgt haben, das Auletes’ Anspruch auf den ägyptischen Thron bestätigt.«

»Das stimmt«, sagte Cato bitter. »Ich habe selbst mit Ptolemaios Auletes gesprochen, als er nach seinem Sturz nach Rhodos kam — du konntest mir damals ja leider nicht helfen, weil du dich in Pamphylien erholen mußtest.«

»Nein, Onkel Cato, ich habe damals doch schon in deinem Auftrag Gelder des zypriotischen Königs Ptolemaios beschlagnahmt. Du hast meine Krankheit doch selbst für beendet erklärt, weißt du das nicht mehr?«

»Egal.« Cato zuckte die Achseln. »Ptolemaios Auletes kam jedenfalls zu mir nach Lindos, und ich riet ihm, nach Alexandria zurückzukehren und mit seinem Volk Frieden zu schließen. Ich warnte ihn davor, nach Rom zu gehen, weil er dort nur viel Geld für nutzlose Bestechungsversuche ausgeben würde. Aber er wollte ja nicht hören, ging nach Rom, verschwendete ein Vermögen für Bestechungsgelder, und was hat er erreicht? Überhaupt nichts. Eines hat er mir immerhin verraten — daß er Caesar mit sechstausend Goldtalenten bestochen hat. Davon hat Caesar viertausend behalten, und Marcus Crassus und Pompeius bekamen jeweils tausend. Von diesen viertausend Goldtalenten hat Caesar Ausrüstung und Sold seiner illegal rekrutierten Legionen bezahlt.«

»Worauf willst du hinaus?« fragte Brutus.

»Ich hatte mir geschworen, niemals zuzulassen, daß Caesar eine Armee befehligt, doch konnte ich es nicht verhindern, weil Caesar den Senat einfach ignorierte und von seinem Geld selber eine Armee aufstellte. Mit dem Ergebnis, daß er heute elf Legionen hat und alle an Italia angrenzenden Provinzen kontrolliert — Illyricum, das italische Gallien, Gallia Narbonensis und die neue Provinz Gallia Comata. Wenn wir ihn jetzt nicht aufhalten, Brutus, wird er die Republik stürzen, ohne daß wir es verhindern können!«

»Ich wünschte, ich könnte dir recht geben, Onkel Cato, aber ich kann es nicht. Du siehst rot, sobald der Name Caesar fällt. Curio hat den Hebel an genau der richtigen Stelle angesetzt, indem er sich nämlich verpflichtet hat, sein Veto unter bestimmten, den meisten Römern und mindestens der Hälfte der Senatoren völlig einleuchtenden Bedingungen zurückzuziehen. Pompeius muß gleichzeitig mit Caesar zurücktreten.«

»Aber dazu darf es nicht kommen!« kreischte Cato. »Pompeius ist ein Einfaltspinsel aus Picenum. Er will zwar auch der Erste sein, was ich nicht billigen kann, aber bei seiner Herkunft kann er gar nicht König von Rom werden. Deshalb sind er und seine Armee unser einziger Schutz gegen Caesar. Wir dürfen Curios Bedingungen nicht akzeptieren und auch nicht zulassen, daß der Senat sie akzeptiert.«

»Das leuchtet mir ja ein, Onkel. Aber wenn wir es verhindern, wird man uns für neidisch und rachsüchtig halten, und außerdem ist damit noch lange nicht gesagt, daß wir unser Ziel auch erreichen.«

Cato verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Wir werden unser Ziel erreichen!«

»Und wenn Caesar verspricht, daß er im selben Moment wie Pompeius zurücktritt?«

»Wahrscheinlich wird er genau das tun, was aber auch nichts hilft, denn Pompeius wird nie und nimmer bereit sein, zurückzutreten.«

Cato goß sich noch einen Becher Wein ein und stürzte ihn hinunter. Brutus, der seinen Wein nicht anrührte, runzelte die Stirn.

»Sage jetzt ja nicht, ich würde zuviel trinken«, schimpfte Cato, dem das Stirnrunzeln nicht entgangen war.

»Das wollte ich auch gar nicht«, sagte Brutus würdevoll.

»Weshalb dann dieser mißbilligende Blick?«

»Ich habe nachgedacht.« Brutus hielt inne und sah seinen Onkel an. »Hortensius ist schwer krank.«

Cato sog hörbar die Luft ein. »Was geht mich das an?«

»Er fragt nach dir.«

»Und?«

»Ich finde, du solltest ihn besuchen.«

»Er ist nicht mit mir verwandt.«

Brutus nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Aber du hast ihm vor vier Jahren einen großen Gefallen getan.«

»Ich gab ihm Marcia nicht, um ihm einen Gefallen zu tun.«

»Aber er glaubt es. Ich komme gerade von seinem Krankenbett.«

»Also meinetwegen, dann gehe ich zu ihm. Du kannst mich ja begleiten.« Cato stand auf.

»Eigentlich müßte ich nach Hause«, meinte Brutus zaghaft. »Mutter will bestimmt, daß ich ihr von der Sitzung erzähle.«

Die blutunterlaufenen und verquollenen grauen Augen funkelten. »Begleite mich ruhig. Meine Halbschwester versteht nichts von Politik. Erzähle ihr nicht Dinge, die sie unweigerlich falsch auslegen und wahrscheinlich sofort haarklein ihrem Liebhaber Caesar schreiben wird.«

Brutus gab einen eigentümlichen Laut von sich. »Caesar ist schon viele Jahre fort, Onkel Cato.«

Cato sah ihn an. »Verstehe ich dich richtig, Brutus?«

»Ja. Sie hat ein Verhältnis mit Lucius Pontius Aquila.«

»Mit wem?«

»Du hast richtig gehört.«

»Aber er könnte ihr Sohn sein!«

»Allerdings«, sagte Brutus trocken, »er ist drei Jahre jünger als ich. Aber das schreckt sie nicht ab. Es ist ein unglaublicher Skandal — zumindest, wenn es sich herumspricht.«

»Dann wollen wir hoffen, daß es sich nicht herumspricht.« Cato öffnete die Haustür. »Immerhin hat sie es geschafft, daß Caesar jahrelang ein gut gehütetes Geheimnis blieb.«

Das Haus des Quintus Hortensius Hortalus war eines der schönsten und größten auf dem Palatin. Es stand auf der früher weniger gefragten Seite des Hügels mit Blick auf Vallis Murcia, Circus Maximus und Aventin und verfügte neben dem Säulengarten über weitere Gärten, geschmückt mit großen Marmorbecken, in denen sich Hortensius’ geliebte Fische tummelten.

Cato hatte Hortensius’ Haus seit dessen Hochzeit mit Marcia nicht mehr betreten; die ständigen Essenseinladungen schlug er ebenso aus wie die Aufforderungen zu einem Besuch, um den Wein eines besonders guten Jahrgangs zu kosten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn er bei einem dieser Besuche Marcia zu Gesicht bekäme!

Nun allerdings ließ es sich nicht vermeiden. Hortensius mußte mittlerweile mindestens Anfang siebzig sein. Er hatte es aufgrund des jahrelangen Krieges zwischen Sulla und Carbo und der anschließenden Diktatur Sullas erst sehr spät zum Prätor und Konsul gebracht, und vielleicht lag es an dieser ärgerlichen Unterbrechung seiner politischen Laufbahn, daß er sich zunehmend dem Vergnügen hingegeben hatte. So hatte sein einst sprühender Geist schließlich in ständiger Umnebelung geendet.

Als Cato und Brutus allerdings jetzt das große Atrium betraten, machte es bis auf ein paar Diener einen ausgestorbenen Eindruck. Auch als sie zum »Ruhegemach« geführt wurden, wie Hortensius sein Zimmer zu nennen pflegte, das wenig Ähnlichkeit mit einem Arbeitszimmer hatte, war nirgends eine Spur von Marcia zu sehen. Die Wände des Zimmers waren mit auffallenden Fresken geschmückt, Kopien von Wandgemälden aus dem zerstörten Palast König Minos’ in Kreta. Kurzberockte Männer mit Wespentaillen und Frauen mit langen, schwarzen Locken sprangen erstaunlich friedlichen Stieren auf den Rücken und turnten akrobatisch auf deren gebogenen Hörnern. Alles war in Blau-, Braun-, Weiß-, Schwarz-- und Gelbtönen gehalten. Hortensius’ Geschmack war in jeder Hinsicht erlesen. Was für einen Genuß mußte ihm Marcia bereitet haben!

Das Zimmer stank nach Alter, Exkrementen und jenem undefinierbaren Geruch, der den bevorstehenden Tod ankündigt. Auf einem großen Bett, das im ägyptischen Stil in den Blau-- und Gelbtönen der Wandgemälde lackiert war, lag Quintus Hortensius Hortalus, einstmals unumstrittener Herr der Gerichte.

Die eingeschrumpfte Gestalt glich einer ägyptischen Mumie, wie Herodot sie beschrieben hatte: haarlos, ausgetrocknet, die Haut wie Pergament. Die wäßrigen Augen erkannten Cato freilich sofort. Hortensius streckte eine mit Leberflecken übersäte Hand aus und umklammerte Catos Hand mit erstaunlicher Kraft.

»Ich sterbe«, sagte er kläglich.

»Das müssen wir alle«, entgegnete der Meister des Taktgefühls.

»Ich habe solche Angst!«

»Warum?« fragte Cato verständnislos.

»Wenn die Griechen nun recht haben und mich schreckliche Qualen erwarten?«

»Du meinst, das Schicksal von Sisyphus oder Ixion?«

Hortensius entblößte sein zahnloses Zahnfleisch. »Ich tauge nicht dazu, Felsbrocken einen Berg hinauf zu wälzen.« Seinen Humor hatte er offenbar noch nicht ganz verloren.

»Sisyphus und Ixion haben die Götter beleidigt, Hortensius, du hast nur Menschen beleidigt. Dafür kommt man nicht in den Tartarus.«

»Nein? Meinst du nicht, die Götter erwarten, daß wir die Menschen genauso behandeln wie sie?«

»Menschen sind keine Götter, deshalb heißt die Antwort darauf nein.«

»Der Wagen der Seele wird bei allen Menschen von einem schwarzen und einem weißen Pferd gezogen«, fügte Brutus tröstend hinzu.

Hortensius kicherte. »Meine Pferde waren beide schwarz, Brutus.« Er sah wieder Cato an, der sich vom Bett entfernt hatte. »Ich wollte dich sehen, um dir zu danken.«

»Mir danken? Wofür?«

»Für Marcia, die mir mehr Glück geschenkt hat, als ein alter, sündiger Mensch verdient. Sie war die pflichtbewußteste und aufmerksamste Ehefrau, die man sich wünschen kann... « Seine Augen wanderten unstet durch das Zimmer. »Ich war mit Lutatia verheiratet, Catulus’ Schwester, du weißt schon. Oder weißt du es nicht? Die Mutter meiner Kinder... Sie war sehr energisch, sehr starrsinnig, geradezu gefühllos. Meine Fische... Sie konnte meine schönen Fische nicht leiden... Ich konnte ihr nie die Freude vermitteln, die ich beim Anblick dieser so friedlich und elegant durchs Wasser gleitenden Tiere empfand... Marcia hingegen hat meine Fische auch gerne angesehen. Wahrscheinlich tut sie es immer noch. Gestern hat sie mir in einem Glas Paris gebracht, meinen Lieblingsfisch... «

Doch Cato hatte jetzt genug. Anstandshalber beugte er sich noch zu Hortensius und küßte dessen dürre Lippen. »Ich muß gehen, Quintus Hortensius.« Er richtete sich wieder auf. »Du brauchst den Tod nicht zu fürchten, er ist eine Gnade. Manchmal ist er dem Leben vorzuziehen. Er ist angenehm, davon bin ich überzeugt, auch wenn sein Eintreten qualvoll sein kann. Wir tun, was von uns verlangt wird, und dann finden wir unseren Frieden. Aber sorge dafür, daß dein Sohn bei dir ist und dir die Hand hält. Niemand sollte allein sterben.«

»Ich würde lieber deine Hand halten«, sagte Hortensius. »Du bist der größte aller Römer.«

»Dann werde ich deine Hand halten, wenn es soweit ist.«

Curios Beliebtheit auf dem Forum wuchs in dem Maße, wie seine Beliebtheit im Senat zurückging. Er zog sein Veto nicht zurück, erst recht nicht, nachdem er den Senatoren einen Brief Caesars vorgelesen hatte, in dem dieser sich bereit erklärte, auf sein Imperium, seine Provinzen und seine Armee zu verzichten, vorausgesetzt, Pompeius der Große verzichtete ebenfalls auf sein Imperium, seine Provinzen und seine Armee. Pompeius blieb daraufhin nichts anderes übrig, als zu erklären, Caesars Forderung sei unzumutbar und er könne unmöglich einem Mann, der sich dem Senat und dem Volk von Rom widersetze, Zugeständnisse machen.

Daraufhin konnte Curio behaupten, daß in Wirklichkeit Pompeius den Umsturz plane — Caesar seinerseits sei ja bereit, sich wie ein treuer Diener des Staates zu verhalten. Überhaupt, was für Pläne hätte Caesar denn haben sollen?

»Caesar will die Republik stürzen und König von Rom werden!« schrie Cato, über die Maßen gereizt. »Er wird mit seiner Armee nach Rom marschieren!«

»Quatsch!« spottete Curio. »Du solltest dir wegen Pompeius Sorgen machen, nicht wegen Caesar. Caesar ist bereit zurückzutreten, Pompeius nicht. Wer plant also einen Staatsstreich? Na also, Pompeius natürlich!«

So verging eine Senatssitzung nach der anderen. Der März neigte sich dem Ende zu, der April verstrich, und Curio blieb bei seinem Veto, ohne sich von wütenden Prozeß- oder Morddrohungen einschüchtern zu lassen. Überall wurde ihm begeistert zugejubelt, so daß niemand wagte, ihn festzunehmen, geschweige denn ihn wegen Hochverrats anzuklagen. Er war ein Held geworden. Pompeius galt zunehmend als Schurke und die boni als Haufen scheinheiliger Neider, Caesar dagegen als Opfer einer Verschwörung der boni, die Pompeius zum Diktator Roms machen wollten.

Voller Zorn über diesen Wandel der öffentlichen Meinung schrieb Cato fast täglich ratsuchend an Bibulus in Syrien, doch erst am letzten Tag des April erhielt er Antwort.

Cato, mein lieber Schwiegervater und noch lieberer Freund, ich werde mir den Kopf zerbrechen und versuchen, einen Ausweg aus Deinem Dilemma zu finden, aber noch stehe ich unter dem Schock dessen, was hier geschehen ist. Meine Augen sind voller Tränen, und meine Gedanken kehren ständig zum Verlust meiner beiden Söhne zurück. Sie sind tot, Cato, ermordet in Alexandria.

Wie Du sicher weißt, starb letztes Jahr im Mai, eine ganze Weile vor meiner Ankunft in Syrien, Ptolemaios Auletes. Seine älteste noch lebende Tochter Kleopatra bestieg mit siebzehn Jahren den Thron. Da der Thron zwar in weiblicher Linie vererbt wird, jedoch nicht von einer Frau allein besetzt werden kann, mußte sie ein Mitglied der engeren Familie heiraten — einen Bruder, Vetter ersten Grades oder Onkel. Dadurch bleibt das königliche Blut rein, obwohl nicht der geringste Zweifel daran bestehen kann, daß Kleopatras Blut nicht rein ist. Ihre Mutter war die Tochter König Mithridates’ von Pontus, die Mutter ihrer jüngeren Schwester und ihrer beidenjüngeren Brüder dagegen war die Halbschwester des Ptolemaios Auletes.

Ach, ich muß mich zwingen, bei der Sache zu bleiben! Vielleicht sollte ich mir einfach alles von der Seele reden, denn hier habe ich keinen Ansprechpartner von geeignetem Rang oder einen Anhänger der boni, der mir zuhören könnte. Du dagegen bist der Vater meiner geliebten Frau, mein Freund seit ewigen Zeiten und der erste, dem ich diese schreckliche Nachricht mitteile.

Als ich in Antiochia eintraf, jagte ich als erstes den jungen Gaius Cassius Longinus weg — einen äußerst arroganten und eingebildeten jungen Schnösel. Kannst Du Dir vorstellen, daß er doch glatt die Frechheit hatte, dasselbe zu tun wie Lucius Piso am Ende seiner Statthalterschaft in Makedonien? Er hat seine Armee ausbezahlt! Und zwar mit der Begründung, daß der Senat ihn als Statthalter bestätigt habe, indem er keinen Ersatz für Marcus Crassus geschickt hätte, und er, Cassius, demzufolge mit sämtlichen Rechten, Vorrechten und Vergünstigungen eines Statthalters ausgestattet sei! Jawohl, Cassius hat die Männer seiner beiden Legionen ausbezahlt und entlassen und ist dann mit der gesamten Beute von Marcus Crassus getürmt — einschließlich des Goldes aus dem großen Tempel von Jerusalem und der Statue aus massivem Gold der Atargatis aus deren Tempel in Bambyce.

Trotz der wachsenden Bedrohung durch die Parther (Cassius hat zwar Pacorus, den Sohn des parthischen Königs Orodes, in einen Hinterhalt gelockt und besiegt, doch die Parther zogen sich nur für kurze Zeit zurück) hatte ich nur die eine Legion, die ich aus Italia mitbrachte, und was das für ein jämmerlicher Haufen ist, weißt Du selbst. Dank Pompeius’ Gesetz, demzufolge alle Männer zwischen siebzehn und vierzig eine Zeitlang in der Armee dienen müssen, konnte Caesar wie verrückt rekrutieren, und aus Gründen, die ich absolut nicht nachvollziehen kann, zogen sämtliche Zwangsverpflichteten den Dienst unter Caesar dem unter Bibulus vor. Ich mußte einigen Druck ausüben, um überhaupt eine Legion zusammenzubringen, und entsprechend gering ist die Lust der Soldaten, gegen die Parther zu kämpfen.

Ich beschloß deshalb, daß die vorläufig beste Taktik darin bestünde, das Partherreich von innen zu unterminieren. Also kaufte ich einen parthischen Adligen namens Ornadapates und veranlagte ihn, gegenüber König Orodes anzudeuten, daß sich dessen geliebter Sohn des Thrones bemächtigen wolle. Wie ich kürzlich erfuhr, ging mein Plan tatsächlich auf. Orodes ließ Pacorus hinrichten. Auf Umsturzversuche von Familienangehörigen reagieren die Könige des Ostens sehr empfindlich.

Doch solange ich nicht wußte, ob meine List gelingen würde, verursachte mir der Umstand, daß ich über keine vernünftige Armee zum Schutz meiner Provinz verfügte, unausgesetzt rasende Kopfschmerzen, Schließlich machte der idumäische Prinz Antipater, ein Mann von hohem Rang und Ansehen amjüdischen Hof von Hyrcanus, den Vorschlag ich solle jene Legion zurückrufen, die Aulus Gabinius nach der Wiedereinsetzung des Ptolemaios Auletes in Ägypten zurückgelassen habe; die Legionäre seien seinerzeit mit Flaccus und Pimbria nach Osten gezogen, um im Auftrag Carbos und Cinnas gegen Mithridates zu kämpfen. Die damals Siebzehnjährigen hätten vierunddreißig Jahre lang unter Fimbria, Sulla, Murena, Lucullus, Pompeius und Gabinius gedient und seien mit ihren einundfünfzig Jahren keineswegs zu alt zum Kämpfen, zumal angesichts ihrer großen Kriegserfahrung. Sie lebten in geregelten Verhältnissen außerhalb Alexandrias, wären jedoch nicht Eigentum Ägyptens, sondern nach wie vor Römer und noch immer dem römischen Adler unterstellt.

Ich verlieh also im Februar diesen Jahres meinen Söhnen Marcus und Gnaeus ein proprätorisches Imperium und schickte sie nach Alexandria, wo sie von Königin Kleopatra, deren Mann und Bruder Ptolemaios XIII. erst neun Jahre alt ist, die sofortige Freigabe der römischen Legionäre verlangen sollten. Ich dachte, meine Söhne könnten dabei Erfahrung sammeln, da es sich um eine eher kleine Mission handelte, die diplomatisch allerdings einige Bedeutung hatte. Bisher war es noch zu keinem offiziellen Treffen zwischen Rom und der neuen Herrscherin Ägyptens gekommen; somit würden meine Söhne als erste den Kontakt aufnehmen.

Da keiner der beiden besonders seefest ist, reisten sie auf dem Landweg nach Ägypten. Jeder wurde von sechs Liktoren und einer Schwadron galatischer Reiter begleitet, die Cassius versehentlich nicht entlassen hatte. In der Nähe des Sees Genezareth stieß Antipater zu ihnen und eskortierte sie persönlich durch das jüdische Königreich bis zur Grenze bei Gaza, wo er zurückblieb. Anfang März trafen sie in Alexandria ein.

Königin Kleopatra empfing sie sehr freundlich. Ich bekam einen Brief von Marcus, der mich jedoch erst erreichte, nachdem ich von seinem Tod erfahren hatte — welch ein Alptraum, Cato, die Worte eines geliebten Kindes zu lesen, das tot ist! Er war sehr beeindruckt von der mädchenhaften Königin, einer schmächtigen Person mit einem Gesicht, das seine Anziehungskraft nur der Jugend verdankte, denn Kleopatra hat, wie Marcus schrieb, eine Nase, die mit der Deinen konkurrieren könnte — und was bei einem Mann durchaus stattlich sein mag, ist bei einer Frau nicht gerade eine Zier. Wie er schrieb, sprach sie ein vollendetes attisches Griechisch, und sie war wie ein Pharao gekleidet — mit einer hohen, zweiteiligen, außen weißen und innen roten Krone, einem kunstvoll gefältelten Gewand aus durchscheinendem weißem Leinen und einem fast dreißig Zentimeter breiten, edelsteinbesetzten Halsband. Sie trug sogar einen falschen, goldblau emaillierten Bart. In der einen Hand hielt sie ein Zepter, ähnlich einem kurzen, gekrümmten Schäferstab, in der anderen einen Fliegenwedel aus Leinenbändern mit perlenbesetztem Griff. Die Fliegen sind in Syrien und Ägypten eine ständige Plage.

Die Königin erklärte sich sofort bereit, die Legionäre aus dem Garnisonsdienst in Alexandria zu entlassen, da ihre Anwesenheit dort längst nicht mehr nötig sei. Also ritten meine Söhne zum römischen Lager vor dem östlichen oder kanopischen Stadttor, einer eigenen kleinen Stadt. Die Legionäre hatten Mädchen aus der Umgebung geheiratet und betätigten sich als Schmiede, Zimmerleute und Steinmetze. Vom militärischen Geist war nichts geblieben.

Als Marcus, der als Sprecher auftrat, ihnen mitteilte, sie würden vom syrischen Statthalter zum Dienst in Syrien abkommandiert, weigerten sie sich! Davon wollte wiederum Marcus nichts wissen. Man habe Schiffe gemietet, sagte er, die abfahrbereit im Hafen Eunostus bei Alexandria lägen; nach römischem Recht und mit Genehmigung der ägyptischen Königin hätten sie auf der Stelle ihre Sachen zu packen und an Bord zu gehen. Daraufhin trat der ranghöchste Zenturio vor, ein niederträchtiger Kerl, und erklärte, sie dächten gar nicht daran, wieder in einer römischen Armee zu dienen; Aulus Gabinius hätte sie nach dreißig Jahren Dienst entlassen, damit sie an Ort und Stelle ihren Ruhestand genießen könnten. Außerdem hätten sie Frauen, Kinder und Arbeit.

Marcus wurde wütend, Gnaeus ebenfalls. Gnaeus befahl seinen Liktoren, den Zenturio zu verhaften, worauf weitere Zenturionen vortraten und sich schützend um ihn stellten. Sie würden Ägypten keinesfalls verlassen, beharrten sie. Daraufhin befahl Gnaeus seinen Liktoren, zusammen mit den Liktoren seines Bruders die Aufrührer festzunehmen. Doch als die Liktoren versuchten, Hand an die Männer zu legen, zogen diese ihre Schwerter. Es kam zum Kampf. Außer den in die fasces gebundenen Äxten trugen freilich weder meine Söhne noch ihre Liktoren Waffen, und die galatischen Reiter waren für ein paar Tage Urlaub in Alexandria geblieben.

Deshalb mußten meine Söhne und ihre Liktoren sterben. Königin Kleopatra handelte sofort. Sie befahl ihrem Feldherrn Achillas, die römischen Legionäre einzuschließen und die Zenturionen in Ketten zu legen. Meine Söhne erhielten ein Staatsbegräbnis, ihre Asche wurde in kostbare kleine Urnen gefüllt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Kleopatra schickte mir die Asche meiner Söhne und die gabinianischen Aufrührer nach Antiochia, zusammen mit einem Brief, in dem sie die volle Verantwortung für den tragischen Vorfall übernahm. Sie erwarte meine Entscheidung, schrieb sie, wie mit Ägypten zu verfahren sei. Was immer ich wünsche, werde geschehen, auch wenn dies ihre eigene Verhaftung einschließe. Zum Schluß schrieb sie noch, die Legionäre seien auf Schiffe verladen worden und würden bald in Antiochia eintreffen.

Ich schickte der Königin die Zenturionen zurück, mit der Begründung, sie könne in diesem fall im Unterschied zu mir ein unvoreingenommenes Urteil fällen. Sie selbst sprach ich von jeder bösen Absicht frei. Ich glaube, sie ließ die beiden ranghöchsten Zenturionen hinrichten, und Achillas steckte die übrigen heimlich zur Verstärkung in die ägyptische Armee. Die Legionäre trafen wie versprochen in Antiochia ein, wo ich sie strenger römischer Militärdisziplin unterwarf. Königin Kleopatra hatte auf eigene Kosten zusätzliche Schiffe angeheuert und Frauen, Kinder und Besitz der Männer nachgeschickt, und nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluß, daß es klug sei, den Legionären zu gestatten, mit ihren ägyptischen Familien zusammenzuleben. Nicht daß ich Mitleid mit ihnen hätte, aber meine Söhne sind tot, und ich bin kein Lucullus.

Was Rom betrifft, Cato, halte ich es für nutzlos, im Senat weiterhin gegen Curio anzukämpfen. Je länger die Schlacht dort dauert, desto besser wird sein Ruf außerhalb des Senats und bei den Rittern, auf deren Unterstützung wir dringend angewiesen sind. Deshalb halte ich es für klüger, wenn die boni eine Vertagung der Debatte über Caesars Provinzen beschließen, und zwar so lange, bis Plebs und Volk Curios heldenhaftes Auftreten vergessen haben. Verschiebt also die Debatte über Caesars Provinzen auf die Iden des November. Zwar wird Curio auch dann gegen Euch stimmen und sein Veto einlegen, aber einen Monat später scheidet er aus dem Amt, und Caesar wird nie wieder einen Volkstribunen bekommen, der Gaius Scribonius Curio ebenbürtig wäre. Im Dezember verliert Caesar dann sein Imperium, und wir können ihn umgehend durch Lucius Ahenobarbus ablösen lassen. Alles, was Curio dann für ihn erreicht hätte, wäre ein Aufschub des Unvermeidlichen. Ich habe keine Angst vor Caesar. Er ist ein durch und durch verfassungstreuer Mann, kein notorischer Gesetzesbrecher wie Sulla. Ich weiß, daß Du darüber anderer Meinung bist, doch ich war als Ädil, Prätor und Konsul Caesars Kollege, und er ist ein sehr mutiger Mann, aber zugleich muß für ihn alles seine Ordnung haben.

Jetzt geht es mir schon besser. Ein Problem zu haben, über das man nachdenken kann, ist eine Art Schmerzmittel gegen den Kummer. Wenn ich Dir schreibe und Dich im Geist vor mir sehe, fühle ich mich schon getröstet. Aber ich muß noch dieses Jahr nach Hause zurückkehren, Cato! Beim Gedanken, der Senat könnte meine Statthalterschaft verlängern, packt mich das kalte Grausen. Syrien bringt mir kein Glück, und mir schwant Schlimmes. Meinen Spionen zufolge werden die Parther im Sommer wiederkommen, aber wenn ich abgelöst werde, bin ich noch vorher weg. Ich muß weg sein!

Obwohl ich Cicero weder mag noch schätze, fühle ich doch mit ihm, der dieselbe Tortur durchmacht. Zwei widerwilligere Statthalter als Cicero und mich lassen sich schwerlich denken. Obwohl er wenigstens einen Feldzug führen konnte, an dem er durch den Verkauf von Sklaven zwölf Millionen verdient hat. Mir dagegen trug unser gemeinsamer Feldzug im Amanus-Gebirge sechs Ziegen, zehn Schafe und so fürchterliche Kopfschmerzen ein, daß ich weder aus noch ein wußte. Cicero hat Pomptinus heimkehren lassen, und wenn seine Statthalterschaft nicht schriftlich verlängert wird, will er am letzten Tag des Quinctilis ebenfalls abreisen, egal, ob er einen Nachfolger hat oder nicht. Gut möglich, daß ich seinem Beispiel folge. Ich fürchte zwar nicht, daß Caesar die Monarchie anstrebt, aber ich will im Senat sicherstellen, daß ihm verboten wird, nächstes Jahr in absentia für das Konsulat zu kandidieren. Und ich werde ihn wegen maiestas anklagen, darauf kannst Du Dich verlassen.

Als Brutus’ Onkel und Servilias Bruder — ja, ich weiß, Halbbruder! — solltest Du meiner Meinung nach eine der Geschichten erfahren, von denen Cicero in seinen Briefen nach Hause an Atticus, Caelius und weiß der Himmel wen so eifrig berichtet. Du kennst bestimmt diesen widerwärtigen Publius Vedius, einen Ritter, der so vulgär wie reich ist. Jedenfalls begegnete Cicero ihm auf einer Straße in Kilikien an der Spitze eines absonderlichen, geschmacklosen Zuges, zu dem unter anderem zwei von Wildeseln gezogene Streitwagen gehörten; in dem einen saß ein hundsgesichtiger Pavian, den man mit festlicher Frauenkleidung herausgeputzt hatte — welch ungeheure Schande für Rom. Kurz und gut, aufgrund einer Reihe von Vorfällen, mit denen ich Dich nicht weiter langweilen will, wurde Vedius ’ Gepäck durchsucht, und dabei kamen Bilder von fünf in ganz Rom bekannten jungen, adligen Damen zutage, alle mit überaus blasierten Kerlen verheiratet; unter ihnen waren auch die Frau des Manius Lepidus und eine von Brutus ’ Schwestern. Ich vermute, Cicero meint Junia Prima, die Frau des Vatia Isauricus, denn Junia Secunda ist ja mit Marcus Lepidus verheiratet. Es sei denn — was natürlich ebensogut möglich ist —, Vedius wollte Lepidus Hörner aufsetzen. Ich überlasse es Dir, was Du in dieser Sache unternimmst, aber ich gebe zu bedenken, daß sie schon bald in ganz Rom bekannt sein dürfte. Vielleicht sprichst Du mit Brutus, und er könnte mit Servilia sprechen. Sie sollte davon wissen.

Es geht mir jetzt wirklich besser. Zum ersten Mal habe ich ein paar Stunden nicht geweint. Benachrichtige bitte alle Betroffenen vom Tod meiner Söhne, vor allem ihre Mutter Domitia, es wird ihr das Herz brechen. Sage es auch den beiden Porcias, Ahenobarbus’ Frau und meiner eigenen, und Brutus.

Paß auf Dich auf, Cato. Ich kann es kaum erwarten, wieder Dein liebes Gesicht zu sehen.

Als Cato etwa die Hälfte von Bibulus’ Brief gelesen hatte, beschlich ihn eine seltsame Angst, deren Ursache er jedoch nur so weit bestimmen konnte, als daß sie etwas mit Caesar zu tun hatte. Caesar, Caesar, immer wieder Caesar! Ein Mann, dessen Glück geradezu sprichwörtlich war, der nie einen Fehler machte. Was hatte Catulus einmal gesagt? Daß Caesar wie Odysseus war, daß er so hell leuchtete, daß sich alle, die mit ihm in Berührung kämen, verbrannten. Man rang ihn nieder, und im nächsten Augenblick wuchs er wieder aus dem Boden wie der auf dem Feld des Todes ausgesäte Zahn eines Drachens. Jetzt hatte Bibulus also seine beiden ältesten Söhne verloren. Syrien brachte ihm, wie er sagte, kein Glück. Konnte das sein? Nein!

Cato rollte den Brief zusammen, verscheuchte seine unguten Gedanken und ließ Brutus rufen. Sollte doch Brutus sehen, wie er mit der Treulosigkeit seiner Schwester, dem Zorn seiner Mutter und dem Kummer von Catos Tochter fertig wurde. Ihm lagen solche Dinge. Man sah ihn auf jeder Beerdigung; er hatte ein Händchen für Beileidsbekundungen.

Also ging Brutus, sich seiner Rolle als Überbringer schlechter Nachrichten kläglich bewußt, zum Haus des Marcus Calpurnius Bibulus. Zuvor hatte er noch mit seiner Mutter gesprochen. Als Servilia erfahren hatte, was für ein ungezogenes Mädchen Junia war, hatte sie nur mit den Achseln gezuckt und gesagt, Junia sei alt genug, um ihr eigenes Leben zu führen. Als sie jedoch erfuhr, wer der Mann war, mit dem Junia herumschäkerte, machte sie einen Satz höher als der Ararat. Ein Wurm wie Publius Vedius? Sie brüllte und kreischte, trommelte mit den Absätzen auf den Boden, knirschte mit den Zähnen und fluchte schlimmer als der niedrigste Hafenarbeiter Roms! So ungeheuer war ihre Empörung, daß Brutus die Flucht ergriff und es Servilia überließ, ihre Tochter im Haus des Vatia Isauricus zur Rede zu stellen. Denn in Servilias Augen bestand das Verbrechen nicht im Ehebruch, sondern im Verlust von dignitas. Junia war immerhin von vornehmster Abstammung, da ließ man sich doch nicht mit einer Kröte wie Vedius ein.

Brutus klopfte an die Tür und wurde von Bibulus’ Verwalter eingelassen, dessen Hochnäsigkeit noch die seines Herrn übertraf. Als Brutus nach der Hausherrin Porcia fragte, musterte der Verwalter ihn herablassend und zeigte stumm Richtung Säulengarten. Dann schritt er davon, wie um zu sagen, daß er mit der ganzen Sache nichts zu tun haben wolle.

Brutus hatte Porcia seit ihrer Hochzeit zwei Jahre zuvor nicht mehr gesehen. Zwar hatte er Bibulus oft besucht, doch war dessen Frau ihm dabei nie begegnet. Die Ehen mit zwei Domitias, Frauen, die Caesar verführt hatte, weil er Bibulus haßte, hatten es Bibulus ausgetrieben, seine Frau zum Essen einzuladen, wenn er männliche Gäste hatte, auch wenn es sich dabei um einen Vetter ersten Grades seiner Frau handelte oder der Besucher einen so untadeligen Ruf wie Brutus hatte.

Als Brutus sich dem Säulengarten näherte, hörte er Porcias lautes, wieherndes Lachen und das helle Lachen eines Kindes. Die beiden rannten hintereinander durch den Garten, Porcia mit verbundenen Augen. Ihr zehnjähriger Stiefsohn tollte um sie herum, zupfte an ihrem Kleid, um schon im nächsten Moment wie erstarrt stehenzubleiben, während sie tastend und kichernd nur wenige Schritte entfernt an ihm vorbeiging. Dann lachte er und stürzte davon, und sie nahm erneut seine Verfolgung auf.

Brutus’ Herz verkrampfte sich. Warum hatte er nicht eine große Schwester wie Porcia haben können? Jemanden zum Spielen, Herumalbern und Lachen? Oder so eine Mutter? Er kannte einige Männer, die solche Mütter hatten und heute noch mit ihnen herumtobten, wenn sich die Gelegenheit ergab. Wie wunderbar es für den kleinen Lucius Bibulus sein mußte, eine Stiefmutter wie Porcia zu haben, ein so liebenswertes Trampeltier.

»Ist jemand zu Hause?« rief er.

Die beiden blieben stehen und drehten sich um. Porcia riß sich die Augenbinde herunter und quietschte vor Vernügen. Gefolgt von dem kleinen Lucius eilte sie zu Brutus und umarmte ihn so stürmisch, daß er vom Boden abhob.

»Brutus!« rief sie und setzte ihn wieder ab. »Lucius, das ist mein Vetter Brutus. Kennst du ihn?«

Lucius nickte, sichtlich weniger begeistert von Brutus’ Auftauchen als seine Stiefmutter.

»Ave, Lucius«, sagte Brutus und lächelte, um zu zeigen, daß er schöne Zähne hatte und sein Lächeln in einem weniger abstoßenden Gesicht einen gewissen Charme gehabt hätte. »Tut mir leid, wenn ich dir den Spaß verderbe, aber ich muß unter vier Augen mit Porcia sprechen.«

Lucius nickte betrübt und ging.

»Ist er nicht ein lieber Kerl?« fragte Porcia. Sie führte Brutus in ihr Wohnzimmer. »Und ist es nicht schön hier? Ich habe so viel Platz, Brutus!«

»Es heißt doch, daß Pflanzen und Lebewesen die Leere verabscheuen, und wie ich sehe, stimmt das genau. Hier ist jedenfalls kein leerer Fleck mehr.«

»Ich weiß, ich weiß! Bibulus liegt mir ständig in den Ohren, ich solle ordentlicher werden, aber ich fürchte, das liegt mir einfach nicht.«

Sie setzte sich auf einen Stuhl, und er folgte ihrem Beispiel. Wenigstens beschäftigte Bibulus genügend Personal, um dafür zu sorgen, daß das Chaos seiner Frau abgestaubt wurde und nichts auf den Stühlen lag, dachte er.

Wie er feststellte, hatte sich ihr Geschmack in Sachen Kleider nicht gebessert. Sie trug eines ihrer sackartigen, schmutzigbraunen Gewänder, das die Breite ihrer Schultern betonte und sie wie eine kriegerische Amazone aussehen ließ. Doch ihre feuerrote Mähne war beträchtlich länger und noch viel schöner geworden, und die großen grauen Augen leuchteten genauso ernst, wie er sie in Erinnerung hatte.

»Schön, daß du da bist«, sagte sie lächelnd.

»Das ist es, Porcia.«

»Warum hast du mich nicht schon früher besucht? Bibulus ist mittlerweile fast ein Jahr fort.«

»Es schickt sich nicht, eine Frau in Abwesenheit ihres Mannes zu besuchen.«

Sie runzelte die Stirn. »Das ist doch lächerlich!«

»Immerhin sind seine beiden ersten Frauen ihm untreu gewesen.«

»Was hat das mit mir zu tun, Brutus? Wäre Lucius nicht gewesen, ich wäre vor Einsamkeit gestorben.«

»Immerhin hast du Lucius.«

»Ich habe seinen Lehrer entlassen — einen völligen Schwachkopf! Jetzt unterrichte ich Lucius selbst, und er macht unglaubliche Fortschritte. Wissen läßt sich nicht einprügeln, man muß Begeisterung dafür wecken.«

»Man sieht, daß er dich liebt.«

»Und ich liebe ihn.«

Zwar war Brutus aus einem anderen Anlaß gekommen, aber da er noch mehr über die verheiratete Porcia erfahren wollte und wußte, daß er dazu keine Gelegenheit mehr haben würde, sobald er die Nachricht vom Tod der beiden Söhne des Bibulus überbrachte, fragte er: »Wie gefällt dir das Leben als Ehefrau?«

»Sehr gut.«

»Und was gefällt dir daran am besten?«

»Die Freiheit.« Sie lachte übermütig. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie herrlich es ist, in einem Haus ohne Athenodorus Cordylion und Statyllus zu leben! Ich weiß, daß Papa die beiden überaus schätzt, aber ich konnte das nie. Du kannst dir nicht vorstellen, wie eifersüchtig sie waren! Jedesmal, wenn es so aussah, als könnte ich einen kurzen Moment mit ihm allein verbringen, kamen sie angerannt und verdarben alles. In all den Jahren, in denen ich mit Papa unter einem Dach lebte, war ich nie mit ihm allein — nie ohne seine griechischen Schmarotzer. Wie ich sie haßte, diese Kleingeister! Und sie haben ihn zum Trinken angestachelt.«

Das meiste von dem, was sie sagt, stimmt, dachte Brutus, aber nicht alles; Cato trinkt, weil er es selbst will, und das liegt zum großen Teil an seiner feindseligen Einstellung gegenüber all denen, die er des mos maiorum für unwürdig hält, und an Marcia. Doch auch Brutus ahnte nichts von Catos streng gehütetem Geheimnis: seiner Einsamkeit ohne seinen Bruder Caepio und seiner panischen Angst davor, einen anderen Menschen so sehr zu lieben, daß das Leben ohne ihn zur Qual wurde.

»Bist du gern mit Bibulus verheiratet?« »Ja«, sagte sie kurz.

»War es sehr schwer?«

Porcia war nie von Frauen erzogen worden, sie verstand die Frage deshalb so, wie ein Mann sie verstanden hätte. »Du meinst, mit ihm zu schlafen?«

Er errötete, was bei seinem dunklen, stoppligen Gesicht jedoch nicht auffiel. »Ja.«

Seufzend beugte sie sich vor, die Hände zwischen den weit geöffneten Knien gefaltet. Offenbar hatte Bibulus ihr die männlichen Angewohnheiten nicht austreiben können. »Ach weißt du, Brutus, man findet sich mit dem Unvermeidlichen ab. Die Götter tun es auch, wenn man den Griechen glauben darf. Außerdem habe ich in den Schriften der Philosophen keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, daß Frauen Spaß daran haben sollten. Für Männer ist es schön, und wenn Männer nicht danach verlangen würden, würde man es nicht tun. Ich kann nichts Schlimmeres und Besseres darüber sagen, als daß ich es ertrage und mich nicht davor ekle.« Sie zuckte die Achseln. »Schließlich dauert es ja nur kurz und ist nicht wirklich schwer, sobald die Schmerzen nachlassen.«

»Nach dem ersten Mal sollte es eigentlich nicht mehr weh tun, Porcia«, sagte Brutus.

»Ja wirklich?« sagte sie gleichgültig. »Bei mir ist das anders.« Und sie fügte hinzu, ohne gekränkt zu klingen: »Bibulus sagt, ich sei ausgetrocknet.«

Brutus errötete noch tiefer, während sich gleichzeitig sein Herz erneut zusammenkrampfte. »Ach Porcia! Vielleicht wird es ja anders, wenn Bibulus zurückkommt. Vermißt du ihn denn?«

»Man muß seinen Mann doch vermissen.«

»Du liebst ihn also immer noch nicht.«

»Ich liebe meinen Vater, ich liebe den kleinen Lucius, und ich liebe auch dich, Brutus. Bibulus achte ich.«

»Wußtest du eigentlich, daß dein Vater wollte, daß ich dich heirate?«

Erstaunt riß sie die Augen auf. »Nein.«

»Er wollte es, aber ich nicht.«

»Warum nicht?« fragte sie, sichtlich verletzt.

»Es hatte nichts mit dir zu tun, Porcia. Der Grund war, daß ich mich in eine Frau verliebt hatte, die mich nicht liebte.«

»Julia.«

»Ja, Julia.« Er verzog das Gesicht. »Und als sie starb, wollte ich nur eine Frau heiraten, die mir nichts bedeutete. Deshalb habe ich Claudia geheiratet.«

»Brutus, du Armer!«

Er räusperte sich. »Bist du denn nicht neugierig auf den Grund meines Besuches?«

»Ich muß gestehen, daß ich noch nicht weiter darüber nachgedacht habe. Ich habe mich einfach über dein Kommen gefreut.«

Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, dann sah er sie fest an. »Ich muß dir eine schlechte Nachricht überbringen, Porcia.«

Sie erbleichte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Bibulus ist tot.«

»Nein, Bibulus geht es gut. Aber Marcus und Gnaeus wurden in Alexandria ermordet.«

Tränen schossen ihr aus den Augen und strömten über ihr Gesicht, aber sie sagte kein einziges Wort. Brutus zog sein Taschentuch heraus und gab es ihr. Er ließ sie eine Weile weinen, dann stand er verlegen auf.

»Ich muß gehen, Porcia. Darf ich wiederkommen? Soll ich dem kleinen Lucius vom Tod seiner Brüder erzählen?«

»Nein«, murmelte sie durch das Taschentuch. »Ich sage es ihm selbst, Brutus. Aber komme bitte wieder.«

Traurig ging Brutus hinaus, doch trauerte er nicht um die Söhne des Marcus Bibulus, sondern um die so lebensfrohe, blühende Porcia, deren Mann nichts Besseres über sie zu sagen wußte, als daß sie — welch grauenvolles Wort! — ausgetrocknet sei.

Cato war damit beschäftigt, möglichst viele boni für die Vertagung der Debatte über Caesars Provinzen auf die Iden des November zu gewinnen, als ihn die Nachricht erreichte, Hortensius liege im Sterben und wünsche ihn zu sehen.

Im Atrium drängten sich bereits die Angehörigen, doch geleitete ein Diener Cato unverzüglich ins »Ruhegemach«. Hortensius lag in Decken gehüllt auf seinem prächtigen Bett. Er zitterte heftig, aus seinem linken, schlaff herunterhängenden Mundwinkel tropfte Speichel, und die rechte Hand bewegte sich unruhig zwischen den Decken, doch er erkannte Cato sofort. Der junge Quintus Hortensius, genauso alt wie Brutus und im Senat bereits fest etabliert, erhob sich und bot Cato mit wahrer hortensianischer Höflichkeit seinen Stuhl an.

»Es dauert nicht mehr lange«, sagte Hortensius mit belegter Stimme. »Heute morgen hatte ich einen Schlaganfall, jetzt kann ich die linke Seite nicht mehr bewegen. Ich kann zwar noch sprechen, aber die Zunge ist schwer. Was für ein Schicksal für mich, wie? Es dauert nicht mehr lange. Bald kommt der nächste Schlag.«

Cato schlug die Decken ein Stück zurück und nahm tröstend die unruhig zupfende Rechte von Hortensius in seine Hand. Mitleiderregend klammerte sich Hortensius fest.

»Ich habe dich in meinem Testament bedacht, Cato.«

»Du weißt, daß ich keine Erbschaften annehme, Quintus Hortensius.«

»Kein Geld, nein.« Der Sterbende kicherte. »Ich wußte, daß du kein Geld nehmen würdest. Aber das wirst du annehmen.« Er schloß die Augen und schien einzudösen.

Während Cato die Hand des Alten hielt, hatte er Zeit, sich im Zimmer umzusehen, was er mit eiserner Entschlossenheit tat. Ja, Marcia war da, zusammen mit drei anderen Frauen.

Hortensia kannte er gut. Sie war die Witwe seines Bruders Caepio, die nie wieder geheiratet hatte. Neben ihr stand ihre gemeinsame Tochter Servilia; sie war, wie Cato entsetzt feststellte, bereits im heiratsfähigen Alter — wie hatte die Zeit so schnell vergehen können? War es denn schon so lange her, daß Caepio gestorben war? Kein sympathisches Mädchen, die junge Servilia. Ob es am Namen lag, daß alle Servilias ähnlich veranlagt waren? Die dritte Frau, Lutatia, war die Gattin des jungen Quintus Hortensius. Als Tochter des Catulus war sie eine Cousine ersten Grades ihres Mannes. Sie war ungemein stolz und auf eine kalte Art schön.

Marcia hielt die Augen auf einen Leuchter in der entferntesten Zimmerecke gerichtet, so daß Cato sie ansehen konnte, ohne fürchten zu müssen, ihrem Blick zu begegnen. Er war nicht imstande, die Gesichtszüge eines geliebten Menschen aus dem Gedächtnis heraufzubeschwören, was ihm besonders seit dem Tod seines Bruders Caepio zu schaffen machte, und jetzt starrte er Marcia erstaunt an. Hatte sie tatsächlich so ausgesehen?

Er begann mit lauter, barscher Stimme zu sprechen. Hortensius fuhr zusammen, öffnete die Augen und lächelte Cato demütig an.

»Quintus Hortensius liegt im Sterben«, sagte Cato zu den Frauen. »Holt euch Stühle und setzt euch so, daß er euch sehen kann, Marcia und Servilia hier neben mich, Hortensia und Lutatia auf die andere Seite des Bettes. Es ist dem Sterbenden ein Trost, seine Angehörigen um sich versammelt zu sehen.«

Der junge Quintus Hortensius, der jetzt zwischen seiner Frau und seiner Schwester saß, hatte die gelähmte Linke seines Vaters in die Hände genommen. Für den Nachkommen eines ausgesprochen unmilitärischen Mannes war er ein recht soldatischer Bursche. Dasselbe ließ sich auch von Ciceros Sohn sagen; Söhne schienen ihren Vätern nicht nachzuschlagen. Catos Sohn war weder soldatisch noch tapfer oder politisch interessiert. Seltsam, daß sowohl er, Cato, als auch Hortensius Töchter gezeugt hatten, die bedeutend besser geeignet waren, in die Fußstapfen der Familie zu treten. Hortensia las viel, kannte sich in juristischen Belangen glänzend aus und war eine gute Rednerin. Und Porcia hätte Catos Platz im Senat und in der Öffentlichkeit übernehmen können.

Cato hatte die Familie so um das Bett herum gruppiert, daß er Marcia nicht anschauen mußte, obwohl er sich ihrer körperlichen Nähe — nur eine Handbreit trennte sie voneinander — nur zu bewußt war.

So saßen sie stundenlang, merkten kaum, daß bei Einbruch der Dunkelheit Diener hereinkamen, um die Lampen anzuzünden, und verließen das Bett höchstens, um kurz die Latrine aufzusuchen. Alle blickten auf den Sterbenden, dessen Augen bei Sonnenuntergang wieder zugefallen waren. Um Mitternacht erlitt Hortensius, ohne daß jemand es bemerkte, einen zweiten Schlaganfall, der die lebenswichtigen Teile seines Gehirns abtötete. Nur die sinkende Temperatur seiner Hand verriet Cato, was geschehen war. Cato atmete tief ein, dann wand er seine tauben Finger vorsichtig aus der starren Umklammerung und stand auf.

»Quintus Hortensius ist tot«, sagte er. Er langte über das Bett, um Hortensius’ schlaffe Linke aus der Hand seines Sohnes zu lösen und die Hände des Toten über der Brust zu falten. »Steck ihm die Münze in den Mund, Quintus.«

»Wie friedlich er gestorben ist!« staunte Hortensia.

»Warum nicht?« fragte Cato und verließ das Zimmer, um sich in die Einsamkeit des winterlichen Gartens zurückzuziehen.

Nachdem er eine Weile die Wege entlanggeschritten war, hatten sich seine Augen an die Dunkelheit der mondlosen, bewölkten Nacht gewöhnt. Er wollte so lange draußen bleiben, bis das Totenbett den Leichenbestattern übergeben worden war, und dann, ohne noch einmal ins Haus zurückzukehren, durchs Gartentor auf die Straße schlüpfen. Er dachte nicht an Quintus Hortensius Hortalus, er dachte an Marcia.

Sie nahm so unvermutet Gestalt vor ihm an, daß er nach Luft schnappte. Und dann zählte nichts mehr, nicht die vergangenen Jahre, nicht der betagte Ehemann, nicht die Einsamkeit. Marcia drängte sich in seine Arme, nahm sein Gesicht in die Hände und lächelte zu ihm auf.

»Mein Exil ist vorbei«, sagte sie und bot ihm den Mund zum Kuß.

Er küßte sie, von Schuldgefühlen gepeinigt. All die Leidenschaft und die aufgestauten Gefühle brachen aus ihm heraus und übermannten ihn mit einer solchen Heftigkeit, wie er es seit jenen längst vergessenen Tagen vor Caepios Tod nicht mehr erlebt hatte. Tränen strömten ihm über das Gesicht, und Marcia leckte sie mit der Zunge ab; er riß an ihrem schwarzen Kleid und sie an seinem, und selbstvergessen sanken sie auf den gefrorenen Boden. Nicht ein einziges Mal in den beiden Jahren, die sie bei ihm gewesen war, hatte er sie so leidenschaftlich, so rückhaltlos geliebt wie jetzt, überwältigt von der Macht seiner Gefühle. Der Damm war gebrochen, und die ganze strenge Disziplin seiner selbstauferlegten Moral konnte ihn nicht daran hindern, sich einem Glück hinzugeben, von dessen Existenz er nichts geahnt hatte, hier mit ihr und in ihr, immer und immer wieder.

Es dämmerte bereits, als sie sich trennten. Die ganze Zeit hatten sie kein Wort gesprochen, und auch jetzt schwiegen sie, als er sich losriß und durch den Garten auf die belebte Straße trat, während sie ihre Kleider irgendwie ordnete und unbemerkt in ihre Zimmer eilte. Ein Gefühl unaussprechlichen Triumphes erfüllte sie. Vielleicht, dachte sie, war ihr Exil für Cato der einzige Weg gewesen, mit seinen Gefühlen für sie zurechtzukommen. Lächelnd begab sie sich ins Bad.

Philippus, der Cato an diesem Morgen besuchte, rieb sich verwundert die müden Augenlider, als er Roms berühmtesten Stoiker vor Leben sprühend und noch dazu lächelnd antraf.

»Biete mir bloß nichts von dieser gräßlichen Pisse an, die du Wein nennst«, sagte er, als er auf einem Stuhl Platz nahm.

Cato setzte sich an seinen schäbigen Schreibtisch und wartete.

»Ich bin der Testamentsvollstrecker von Quintus Hortensius«, erklärte sein sichtlich gereizter Besucher.

»Richtig, Quintus Hortensius sprach von einer Hinterlassenschaft.«

»Hinterlassenschaft? Ich würde es eher ein Geschenk der Götter nennen!«

Cato zog fragend die hellroten Augenbrauen in die Höhe. »Ich bin ganz Ohr, Lucius Marcius«, sagte er. Seine Augen funkelten.

»Was ist eigentlich heute morgen mit dir los, Cato?«

»Nichts.«

»Den Eindruck habe ich nicht, aber du bist ein seltsamer Kauz.«

»Stimmt, das war ich schon immer.«

Philippus holte tief Luft. »Hortensius hat dir den gesamten Inhalt seines Weinkellers hinterlassen.«

»Wie reizend von ihm. Kein Wunder, daß er meinte, ich würde annehmen.« »Aber im Grunde ist es dir egal, oder?«

»Da irrst du dich gewaltig, Lucius Marcius. Ich freue mich sehr darüber.«

»Weißt du eigentlich, was Quintus Hortensius in seinem Keller hat?«

»Ein paar exzellente Weine, könnte ich mir vorstellen.«

»Ja, die hat er in der Tat! Aber weißt du, wie viele Amphoren?«

»Nein, woher auch.«

»Zehntausend!« Philippus’ Stimme überschlug sich. »Zehntausend Amphoren mit den besten Weinen der Welt, und wem hinterläßt er sie — ausgerechnet dir! Dem größten Kostverächter von ganz Rom!«

»Ich verstehe, wie dir zumute sein muß, Philippus.« Cato beugte sich vor und legte Philippus die Hand aufs Knie — eine Geste, die Philippus an Cato so überraschte, daß er sein Bein beinahe weggezogen hätte. »Hör zu, Philippus, ich schlage dir ein Geschäft vor.«

»Ein Geschäft?«

»Ja, ein Geschäft. Ich kann unmöglich zehntausend Amphoren in meinem Haus unterbringen, und wenn ich den Wein in Tusculum einlagere, würde ich ihn bald an Diebe verlieren. Deshalb nehme ich mir die fünfhundert schlechtesten Amphoren aus dem Keller des armen Hortensius und überlasse dir die anderen neuntausendfünfhundert.«

»Du bist verrückt, Cato! Miete ein einbruchssicheres Lagerhaus für den Wein oder verkaufe ihn! Ich werde so viel kaufen, wie ich mir leisten kann, dann habe ich auch etwas davon. Du kannst ihn doch nicht einfach verschenken!«

»Von verschenken war nicht die Rede. Ich habe von einem Geschäft gesprochen. Ich will ihn eintauschen.«

»Was um alles in der Welt sollte ich besitzen, was so wertvoll wäre?«

»Deine Tochter.«

Philippus fiel die Kinnlade herunter. »Was?«

»Ich tausche den Wein gegen deine Tochter.«

»Aber du hast dich doch von ihr scheiden lassen!«

»Dann heirate ich sie jetzt eben wieder.«

»Du bist wirklich verrückt! Wozu willst du sie zurückhaben?«

»Das ist meine Sache«, sagte Cato und strahlte. »Ich werde sie heiraten, sobald Quintus Hortensius zu Asche geworden ist.«

Die Kinnlade schnappte wieder zu, der Mund arbeitete, Philippus schluckte. »Mein lieber Cato, das ist unmöglich! Die offizielle Trauerzeit dauert volle zehn Monate! Selbst wenn ich zustimmen würde.«

Das Strahlen in Catos Augen erlosch, und Catos Gesicht bekam wieder seinen gewohnten strengen Ausdruck. Er preßte die Lippen zusammen. »In zehn Monaten ist vielleicht schon die Welt untergegangen«, sagte er schroff. »Oder Caesar ist in Rom einmarschiert, oder ich bin in ein Dorf am Schwarzen Meer verbannt. Zehn Monate sind eine wertvolle Zeit. Deshalb heirate ich Marcia sofort nach der Bestattung von Quintus Hortensius.«

»Das geht nicht! Ich werde niemals zustimmen! Rom würde wahnsinnig werden!«

»Das ist es doch schon.«

»Nein, ich kann nicht zustimmen!«

Seufzend drehte Cato sich um und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. »Neuntausendfünfhundert große, runde Amphoren, gefüllt mit erlesenen Weinen«, sagte er. »Wieviel paßt in eine Amphore? Fünfundzwanzig Krüge? Multipliziert man neuntausendfünfhundert mit fünfundzwanzig, dann sind das zweihundertsiebenunddreißigtausendfünfhundert Krüge unvergleichlicher Weine, Falerner, Fuciner, Weine aus Chios, aus Samos...« Er richtete sich so plötzlich auf, daß Philippus zusammenfuhr. »Ich glaube sogar, Quintus Hortensius besaß einige Amphoren jenes Weines, den König Tigranes, König Mithridates und der Partherkönig immer bei Publius Servilius gekauft haben!«

Philippus riß seine Augen auf, und auf seinem schönen Gesicht malte sich Bestürzung. Er schlug die Hände zusammen und streckte sie Cato flehend entgegen. »Ich kann nicht! Es gäbe einen noch größeren Skandal als deine Scheidung und Marcias Hochzeit mit dem alten Hortensius! Bitte, Cato! Warte ein paar Monate!«

»Dann eben keinen Wein!« erklärte Cato. »Statt dessen kannst du mir dabei zusehen, wie ich eine Wagenladung nach der anderen zum Mons Testaceus im Hafen von Rom bringe und die Amphoren eigenhändig mit dem Hammer zerschlage.«

Philippus wurde leichenblaß. »Das würdest du nie tun!«

»Doch, das würde ich. Schließlich bin ich, wie du selbst gesagt hast, der größte Kostverächter Roms. Den Wein aber zu verkaufen wäre dasselbe, wie Geld von Quintus Hortensius zu nehmen, und ich akzeptiere nun einmal keine finanziellen Hinterlassenschaften.« Cato lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah Philippus ironisch lächelnd an. »Entscheide dich! Entweder du führst deine verwitwete Tochter in fünf Tagen zur Hochzeit mit ihrem früheren Mann und trinkst dich durch zweihundertsiebenunddreißigtausendfünfhundert Krüge mit den besten Weinen der Welt — oder du wirst Zeuge, wie ich die Amphoren auf dem Mons Testaceus in Scherben schlage. Und danach heirate ich Marcia trotzdem. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt und kann schon seit sechs Jahren selbst entscheiden, was sie will. Du kannst uns nicht aufhalten. Das einzige, was du tun kannst, ist, unserer zweiten Verbindung zu ein wenig Achtbarkeit zu verhelfen. Du weißt, daß ich persönlich darauf keinen Wert lege, aber ich möchte, daß Marcia aus dem Haus gehen kann, ohne angepöbelt zu werden.«

Stirnrunzelnd musterte Philippus Cato, der ihn unverwandt anstarrte. Vielleicht war er tatsächlich verrückt, ja, er mußte verrückt sein. Im Grunde war das bekannt. Sich mit einer solchen Hingabe einem bestimmten Ziel zu widmen! Man brauchte nur an die Verbissenheit zu denken, mit der er Caesar verfolgte. Er würde nie lockerlassen. Die heutige Begegnung hatte jedoch erheblich mehr Seiten von Catos Wahnsinn enthüllt, als Philippus bis dahin vermutet hatte.

Seufzend zuckte er mit den Achseln. »Na schön, wenn es denn unbedingt sein muß. Aber auf eure Verantwortung, deine und Marcias.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Daß Hortensius sie nicht angerührt hat, weißt du ja. Oder zumindest nehme ich an, daß du es weißt, weil du sie heiraten willst.«

»Ich wußte es nicht. Ich nahm das Gegenteil an.«

»Er war zu alt, zu krank und zu verwirrt. Er verehrte sie einfach als Catos Frau.«

»Dann hat sie nie aufgehört, Catos Frau zu sein. Danke für den Hinweis, Philippus. Sie hätte es mir bestimmt selbst gesagt, aber ich hätte ihr vermutlich nicht ohne weiteres geglaubt.«

»Denkst du so schlecht von meiner Marcia? Nachdem du mit ihr verheiratet warst?«

»Ich war auch mit einer Frau verheiratet, die mich mit Caesar betrogen hat.«

Philippus stand auf. »Stimmt, aber Frauen unterscheiden sich ebensosehr wie Männer.« Er ging zur Tür, drehte sich jedoch noch einmal um. »Ist dir eigentlich klar, Cato, daß ich bis heute nicht wußte, daß du Humor hast?«

Cato machte ein verdutztes Gesicht. »Ich habe keinen Humor«, sagte er.

Und so kam es kurz nach der Beerdigung des Quintus Hortensius Hortalus zum pikantesten und aufregendsten Skandal in der Geschichte Roms. Marcus Porcius Cato heiratete zum zweiten Mal Marcia, die Tochter des Lucius Marcius Philippus.

Mitte Mai stimmte der Senat dafür, die Debatte über Caesars Provinzen auf die Iden des November zu vertagen. Catos Bemühen war erfolgreich gewesen, auch wenn sich — nicht weiter verwunderlich — die Überredung seiner treuesten Anhänger als besonders schwer erwiesen hatte. Lucius Domitius Ahenobarbus weinte, Marcus Favonius heulte. Erst nachdem beide Briefe von Bibulus erhalten hatten, fanden sie sich schließlich mit der Verlegung ab.

»Wunderbar!« frohlockte Curio nach der Abstimmung im Senat. »Jetzt nehme ich mir ein paar Monate frei. Aber glaubt bloß nicht, daß ich an den Iden des November kein Veto einlege, denn genau das werde ich tun.«

»Tu das ruhig, Gaius Curio!« rief Cato, dem seine skandalöse Wiedervermählung eine nicht unbeträchtliche Faszination verlieh. »Kurz danach scheidest du ohnehin aus dem Amt, und dann stürzt Caesar.«

»Jemand anders wird meinen Platz einnehmen«, erwiderte Curio unbekümmert.

»Aber keiner wie du«, sagte Cato. »Einen wie dich findet Caesar nicht mehr.«

Vielleicht hatte er damit recht, aber der von Caesar vorgesehene Nachfolger Curios war bereits auf dem Weg von Gallien nach Rom. Mit Hortensius war nicht nur ein großer Anwalt gestorben, sondern auch ein Augur, was bedeutete, daß im Augurenkollegium ein Nachfolger gewählt werden mußte. Einer der Anwärter war Ahenobarbus, fest entschlossen, seiner Familie wieder Zugang zur exklusiven Priesterelite Roms zu verschaffen. Ob er Priester oder Augur wurde, war ihm egal, auch wenn das Priesteramt für den Enkel eines ehemaligen Pontifex Maximus angemessener gewesen wäre.

Nur die Bewerber für das Amt des Konsuls oder Prätors mußten ihre Kandidatur persönlich innerhalb der heiligen Stadtgrenze anmelden; für alle anderen Ämter einschließlich der religiösen Ämter konnte man in absentia kandidieren. Deshalb schickte der aus Gallien herbeieilende, von Caesar zum Nachfolger Curios bestimmte Mann einen Boten voraus und ließ sich als Kandidat für die vakante Augurenstelle von Quintus Hortensius eintragen. Die Wahl fand statt, bevor er Rom erreichte — und er gewann, sehr zum Ärger des Ahenobarbus.

»Marcus Antonius!« schluchzte Ahenobarbus und grub die Fingernägel in seinen glänzenden, kahlen Schädel. Seine Wut war einer tiefen Verzweiflung gewichen; schon bei der letzten Augurenwahl war er unterlegen, damals Cicero. »Ausgerechnet Marcus Antonius! Dieser Einfaltspinsel, diese Ratte, dieser hirnlose Schläger! In Rom wimmelt es von seinen Bastarden! Ein Kretin, der sich öffentlich übergibt, dessen Vater lieber Selbstmord beging, als sich dem Gericht zu stellen, dessen Onkel freie griechische Männer, Frauen und Kinder gefoltert hat, dessen Schwester so häßlich war, daß sie mit einem Krüppel verheiratet werden mußte, dessen Mutter zwar eine Julia ist, aber trotzdem das dümmste aller Weiber, und dessen Brüder sich nur darin von ihm unterscheiden, daß sie noch dümmer sind!«

Ahenobarbus’ einziger Zuhörer war Marcus Favonius. Cato schien jede freie Minute zu Hause mit Marcia zu verbringen, Metellus Scipio hielt sich in Kampanien auf, wo er um Pompeius herumschwänzelte, und die weniger bedeutenden boni scharten sich bewundernd um die Marceller.

»Kopf hoch, Lucius Domitius«, tröstete Favonius. »Jeder weiß, weshalb du verloren hast. Caesar hat Antonius den Posten gekauft.«

»Caesar hat nicht halb so viel an Bestechungsgeldern ausgegeben wie ich«, jammerte Ahenobarbus. Zu allem Übel plagte ihn jetzt auch noch ein Schluckauf. Dann brach es aus ihm heraus: »Ich habe wegen meiner Glatze verloren, Favonius! Hätte ich auf meinem Kopf auch nur eine einzige Haarsträhne, wäre alles gut gegangen, aber sieh mich an, einen Siebenundvierzigjährigen, der kahl wie ein Pavianarsch ist, seit er die Fünfundzwanzig überschritten hat. Kinder zeigen kichernd mit dem Finger auf mich und nennen mich Eierkopf, Frauen verziehen verächtlich die Lippen, und die römischen Männer halten mich für zu altersschwach für ein Amt!«

»Ach was«, versuchte Favonius ihn zu beruhigen. Dann fiel ihm etwas ein. »Caesar hat auch eine Glatze, aber er hat keine Probleme.«

»Er hat keine Glatze!« schrie Ahenobarbus. »Er hat immer noch genug Haare, um sie nach vorn zu kämmen und seine Kopfhaut zu bedecken. Also kann er nicht kahl sein!« Erbittert knirschte er mit den Zähnen. »Außerdem muß er ja laut Gesetz bei allen offiziellen Anlässen seinen Eichenkranz tragen, was verhindert, daß die Haare nach hinten geweht werden.«

Ahenobarbus’ Frau Porcia trat ein, Catos ältere Schwester — eine kleine, pummelige Person mit rotblonden Haaren und Sommersprossen. Sie und Ahenobarbus hatten früh geheiratet und waren sehr glücklich miteinander. In regelmäßigen Abständen hatten sie Kinder bekommen, zwei Söhne und vier Töchter, und Lucius Ahenobarbus war zum Glück so reich, daß die Zahl der Söhne, deren Karriere er finanzieren mußte, und der Töchter, für deren Mitgift er zu sorgen hatte, keine Rolle spielte. Einen Sohn hatten sie einem gewissen Attilius Serranus zur Adoption gegeben.

Porcia sah die Männer an, begann leise zu summen, warf Favonius einen wohlwollenden Blick zu und zog den Kopf ihres verschmähten Ahenobarbus auf ihren Bauch und klopfte ihm auf den Rücken. »Sei nicht traurig, mein Lieber. Ich weiß nicht, warum du nicht in ein Priesterkollegium gewählt wirst. Mit deinen fehlenden Haaren hat es jedenfalls nichts zu tun, denn dann wärst du doch auch nicht Konsul geworden. Konzentriere deine Kraft lieber darauf, daß unser Sohn Gnaeus zum Priester gewählt wird. Er ist ein netter Kerl, und die Wähler mögen ihn. — Ist ja gut, so beruhige dich doch.«

»Ausgerechnet Marcus Antonius!« stöhnte Ahenobarbus.

»Marcus Antonius ist eben beim Volk beliebt, wie ein Gladiator.« Sie ließ ihre Hand über den Rücken ihres Mannes kreisen wie eine Mutter bei einem Baby, das Bauchweh hat. »Zwar kann er sich mit Caesar nicht messen, aber wenn es darum geht, die Massen in den Bann zu ziehen, ist er ihm ebenbürtig. Die Menschen wählen ihn eben gern, das ist alles.«

»Porcia hat recht, Lucius Domitius«, sagte Favonius.

»Natürlich habe ich recht.«

»Dann erkläre mir bitte, warum Antonius eigens nach Rom gekommen ist? Er wurde doch in absentia gewählt.«

Ahenobarbus’ mit wehleidiger Stimme gestellte Frage wurde wenige Tage später beantwortet, als Marcus Antonius, frischgebackener Augur, seine Kandidatur für das Amt eines Volkstribuns ankündigte.

»Die boni sind nicht beeindruckt«, grinste Curio.

Für jemanden, der schon immer gut ausgesehen hatte, sah Antonius jetzt noch besser aus, dachte Curio. Das Leben mit Caesar hatte ihm sichtlich gutgetan, nicht zuletzt Caesars Weinverbot. Selten hatte Rom einen so stattlichen Mann hervorgebracht, einen Mann von seiner Größe, seiner kraftvollen, männlichen Statur, seinen gewaltigen Geschlechtsorganen und seinem unverwüstlichen Optimismus. Die Menschen sahen ihn an und hatten ihn auf ganz andere Weise gern als Caesar, vielleicht deshalb, dachte Curio zynisch, weil Antonius Männlichkeit ausstrahlte, ohne ein schönes Gesicht zu haben. Caesar dagegen übte ähnlich wie Sulla Anziehungskraft auf beide Geschlechter aus; nur deshalb hatte sich die alte Anekdote von Caesars Affäre mit König Nicomedes halten können, obwohl es seitdem keinerlei Anhaltspunkte für ähnliche Affären mehr gegeben hatte und die Geschichte mit König Nicomedes nur durch die Aussagen zweier Männer bezeugt wurde, die Caesar haßten: die des toten Lucullus und die des sehr lebendigen Bibulus. Antonius dagegen, der sich nicht scheute, Curio in aller Öffentlichkeit laszive Küsse zu geben, wäre nie auch nur eine Sekunde lang für homosexuell gehalten worden.

»Ich habe nicht erwartet, daß die boni beeindruckt sind«, erwiderte Antonius. »Aber Caesar meint, ich könnte einen guten Volkstribunen abgeben, auch wenn das heißt, daß ich deinen Anweisungen folgen muß.«

»Da gebe ich Caesar recht. Und ob es dir gefällt oder nicht, mein lieber Marcus Antonius, du wirst in den nächsten Monaten schön aufpassen und lernen. Ich bringe dir bei, wie man mit den boni fertig wird.«

Neben Curio lag auf dem Sofa die hochschwangere Fulvia. Antonius, seinen Freunden gegenüber stets treu, kannte sie seit vielen Jahren und schätzte sie sehr. Sie war leidenschaftlich, hingebungsvoll, intelligent, verläßlich. Obwohl ihre Jugendliebe Publius Clodius gewesen war, hatte sie es offenbar geschafft, ihre Gefühle auf den ganz anderen Curio zu übertragen. Anders als die meisten Frauen, die Antonius kannte, verschenkte Fulvia ihre Liebe nicht, um versorgt zu werden. Nur wer tapfer und klug war und auf der politischen Bühne etwas darstellte, konnte ihre Liebe gewinnen, wie Clodius oder jetzt Curio. Bei einer Enkelin des Gaius Gracchus und einer so temperamentvollen Frau war das auch gar nicht verwunderlich. Obwohl sie inzwischen die Dreißig überschritten hatte, war sie noch immer sehr schön und so fruchtbar wie eh und je. Vier Kinder hatte sie Clodius geboren, und nun bekam sie eines von Curio. Wie brachte sie es nur fertig, in einer Stadt, deren adlige Frauen so häufig im Kindbett starben, ein Kind nach dem anderen in die Welt zu setzen — obwohl ihr Stammbaum so alt war und ihre vornehmen Ahnen so oft untereinander geheiratet hatten?

»Wann ist es denn soweit?« fragte Antonius.

»Bald«, antwortete Fulvia. Sie streckte den Arm aus und zauste Curio das Haar. Dann lächelte sie Antonius an. »Wir — äh — haben unserer rechtlichen Verbindung vorgegriffen.«

»Warum habt ihr nicht früher geheiratet?«

»Frag Curio.« Sie gähnte.

»Ich wollte erst meine Schulden loswerden, bevor ich eine steinreiche Frau heirate.«

Antonius sah ihn entgeistert an. »Ich werde einfach nicht schlau aus dir, Curio. Was kümmern dich Schulden?«

»Weil Curio eben nicht so ist wie wir anderen armen Schlucker«, ertönte eine vergnügte Stimme.

»Dolabella! Komm rein!« rief Curio. »Mach Platz, Antonius.«

Publius Cornelius Dolabella, ein verarmter Patrizier, machte es sich neben Antonius auf dem Sofa bequem und nahm dankend einen Becher mit Wasser verdünntem Wein in Empfang, den Curio eingegossen hatte.

»Gratuliere, Antonius«, sagte er.

Sie verkörperten beide den gleichen Typus Mann, dachte Curio, zumindest von der Figur her. Dolabella war wie Antonius hochgewachsen und von prachtvoller Statur sowie beherrschender Männlichkeit, auch wenn Curio ihn für geistig überlegen hielt, und sei es nur deshalb, weil ihm Antonius’ Maßlosigkeit fehlte. Außerdem hatte er ein erheblich schöneres Gesicht als Antonius; daß er und Fulvia Blutsverwandte waren, zeigte sich deutlich an ihren Gesichtszügen und den hellbraunen Haaren, den schwarzen Augenbrauen und Wimpern und den dunkelblauen Augen.

Dolabellas finanzielle Situation war derart prekär, daß er nur dank einer Zufallsheirat vor zwei Jahren in den Senat gelangt war. Auf Clodius’ Betreiben hatte er Fabia, die frühere Erste Vestalin und Halbschwester von Ciceros Frau Terentia, umworben und schließlich erobert. Zwar hatte die Ehe nicht lange gehalten, aber Dolabella war als Eigentümer von Fabias riesiger Mitgift aus ihr hervorgegangen und erfreute sich obendrein der Zuneigung von Ciceros Frau, die Fabia die Schuld an der Auflösung der Ehe gab.

»Du sollst ein Auge auf Ciceros Tochter geworfen haben, Dolabella. Habe ich da richtig gehört?« fragte Fulvia, einen Apfel kauend.

Dolabella sah sie zerknirscht an. »Wie ich sehe, funktioniert die Gerüchteküche wieder einmal bestens.«

»Du machst Tullia also den Hof?«

»Eigentlich versuche ich, es nicht zu tun. Das Dumme ist nur, daß ich mich in sie verliebt habe.«

»In Tullia?«

»Das kann ich gut verstehen«, mischte sich Antonius ein. »Klar, wir alle lachen über Ciceros Mätzchen, aber auch sein größter Feind kann nicht bestreiten, daß er Geist und Verstand besitzt. Und Tullia ist mir bereits vor Jahren aufgefallen, als sie mit ihrem ersten Mann verheiratet wurde — mit Piso Frugi. Ausgesprochen hübsch und temperamentvoll. Ich könnte mir vorstellen, daß man mit ihr einigen Spaß hat.«

»Ganz sicher«, sagte Dolabella.

»Bloß mit Terentia als Mutter, wie sehen da wohl Tullias Kinder aus?« fragte Curio in gespieltem Ernst.

Alle brüllten vor Lachen, aber Dolabella schien tatsächlich verliebt.

»Paß bloß auf, daß Cicero eine anständige Mitgift herausrückt«, riet Antonius ihm. »Kann sein, daß er jammert, er sei ein armer Mann, aber unter Geldmangel leidet er ganz bestimmt nicht. Ihm gehören einige der besten Ländereien Italias, und Terentia besitzt sogar noch mehr.«