Anfang März trafen mehr als hunderttausend Gallier aus zahlreichen Stämmen in Carnutum ein, wo Vercingetorix in aller Schnelligkeit seine Anordnungen traf.
»Ich möchte nicht, daß der Proviant erschöpft ist, bevor es losgeht«, sagte er zu den Stammesführern, mit denen er sich im geheizten Haus des Cathbad beriet. »Caesar ist immer noch in Ravenna und interessiert sich offenbar mehr für das, was in Rom passiert, als für Gallien. Die Alpenpässe sind bereits zugeschneit, das heißt, er wird trotz seiner berühmten Schnelligkeit eine Weile brauchen, bis er hier sein kann. Und wann immer er kommt, wir werden dasein und ihn von seinen Legionen abschneiden.«
Rechts von Vercingetorix saß Cathbad. Er wirkte müde und ein wenig niedergeschlagen. Vor ihm auf dem Tisch stapelten sich zahlreiche Schriftrollen. Immer wenn sich aller Augen auf Vercingetorix richteten, ließ er den Blick zu seiner Frau schweifen, die im Hintergrund Bier und Wein verteilte. Warum fühlte er sich so niedergeschlagen, so unnütz? Wie die meisten offiziellen Priester auch in anderen Ländern verfügte er nicht über die Gabe der Weissagung, jenen zweiten Blick, mit dem nur Ausgestoßene oder Fremde bedacht wurden, die wie Kassandra auf ewig dazu verdammt waren, daß niemand ihnen Glauben schenkte. Die Opfer hatten Gutes verheißen. Vielleicht fühlte er sich ja nur in den Schatten gestellt, dachte er, bemüht, gerecht und unvoreingenommen zu bleiben. Vercingetorix hatte einiges mit Caesar gemein, Cathbad spürte die Ähnlichkeit. Doch der eine war ein ungeheuer erfahrener Römer, der auf die Fünfzig zuging, und der andere ein dreißigjähriger Gallier, der noch nie ein Heer geführt hatte.
»Cathbad«, sagte Vercingetorix und riß ihn aus seinen quälenden Gedanken. »Die Biturigen sind also gegen uns, wie?«
»Sie nannten uns Narren«, erwiderte Cathbad. »Ihre Druiden haben sich zwar für uns eingesetzt, aber der Stamm lehnt unser Vorhaben geschlossen ab. Sie sind bereit, uns Eisen oder sogar Stahl zu verkaufen, wollen aber auf keinen Fall mit uns in den Krieg ziehen.«
»Dann ziehen wir gegen sie in den Krieg«, sagte Vercingetorix, ohne zu zögern, »denn sie haben Eisen. Auf ihren Stahl und ihre Schmiede sind wir nicht angewiesen.« Er lächelte, und seine Augen leuchteten. »Eigentlich ist es sogar ganz gut so. Wenn sie nicht bei uns mitmachen, brauchen wir auch nichts für das Eisen zu bezahlen. Dann nehmen wir es uns einfach. Ich habe heute zwar niemanden sagen hören, daß wir zu wenig Eisen hätten, aber wir werden bald erheblich mehr davon brauchen. Gleich morgen rücken wir gegen die Biturigen aus.«
»So bald?« japste Gutruatus.
»Der schlimmste Winter steht uns noch bevor, Gutruatus, und wir müssen ihn nützen, um abtrünnige keltische Völker davon zu überzeugen, daß sie sich uns anschließen. Im Sommer darf Gallien nicht mehr gespalten sein, sondern muß vereint gegen Rom stehen. Dann werden wir gegen Caesar kämpfen, und Caesar wird, wenn mein Plan aufgeht, nie alle Legionen einsetzen können.«
»Ich wüßte gern mehr über deinen Plan, bevor ich in den Krieg ziehe«, sagte Sedulius von den Lemovicern stirnrunzelnd.
»Deshalb sind wir ja heute hier, Sedulius!« Vercingetorix lachte. »Ich möchte mit euch besprechen, wer jetzt hier ist und wer noch kommt. Ich habe vor, einige von euch bis zum Frühjahr wieder nach Hause zu schicken. Außerdem will ich eine gerechte Kriegssteuer erheben und das Prägen unseres ersten Geldes organisieren. Ich will sicherstellen, daß die Männer, die morgen zu den Biturigen abmarschieren, richtig bewaffnet und ausgerüstet sind. Im April soll das Heer antreten, und ein Teil der Truppen soll Lucterius in die römische Provinz begleiten. Das sind nur einige der Dinge, die wir heute noch besprechen müssen!«
Vercingetorix veränderte sich sichtlich, während er sprach. Plötzlich sprühte er vor Entschlossenheit und Leidenschaft, wirkte rastlos und doch beharrlich. Hätte man die zwanzig Männer in Cathbads Haus um eine Beschreibung gebeten, wie der erste König der Gallier aussehen sollte, hätten sie ohne Ausnahme das Bild eines Riesen mit nackter, muskulöser Brust gezeichnet, bekleidet mit einem Umhang in den Farben aller Stämme, mit einem wilden Haarschopf und einem bis auf die Schultern herabhängenden Schnurrbart, einen Fleisch gewordenen Dagda. Trotzdem waren sie von dem dünnen, leidenschaftlichen Mann, der jetzt vor ihnen stand, gefesselt. Die großen Führer des keltischen Gallien begannen zu verstehen, daß das, was im Innern eines Menschen vor sich ging, wichtiger als sein Äußeres war.
»Soll das heißen, ich bekomme eine eigene Armee?« fragte Lucterius überrascht.
»Hast du nicht selbst gesagt, wir müssen uns um die römische Provinz kümmern? Und wer wäre dafür besser geeignet als du, Lucterius? Du brauchst fünfzigtausend Mann, und am besten suchst du Männer aus, die du kennst — deine Cadurcer, die Petrocorier, die Santonen, die Pictonen und die Anden.« Vercingetorix schnippte mit dem Finger gegen den Stapel von Schriftrollen und sah dabei Cathbad an. »Sind die Rutener dort eingetragen, Cathbad?«
»Nein«, antwortete Cathbad, ohne nachschauen zu müssen. »Sie haben sich für die Römer entschieden.«
»Dann wirst du als erstes die Rutener unterwerfen, Lucterius. Überzeuge sie davon, daß Recht und Macht auf unserer und nicht auf der Seite der Römer sind. Von den Rutenern zu den Volkern ist es nur ein kleiner Sprung. Wir werden dein Vorgehen noch ausführlicher besprechen, aber früher oder später wirst du deine Truppen teilen und in zwei verschiedene Richtungen vorrücken müssen — nach Narbo und Tolosa und außerdem zu den Helviern und zum Rhodanus. Die Aquitaner sehnen sich nach einer Gelegenheit zu rebellieren, du wirst also so viel Zulauf haben, daß du gar nicht alle nehmen kannst.«
»Soll ich auch schon morgen aufbrechen?«
»Ja, gleich morgen. Bei einem Gegner wie Caesar ist jeder Aufschub verhängnisvoll.« Vercingetorix wandte sich an den einzigen anwesenden Haeduer. »Litaviccus, du kehrst nach Hause zurück. Die Biturigen werden euch um Hilfe bitten.«
»Auf die sie lange warten können.« Litaviccus grinste.
»Nein, du mußt es viel raffinierter anstellen! Jammere Caesars Legaten etwas vor, frage sie um Rat, schicke ruhig sogar eine Armee los! Ich bin sicher, daß dir triftige Gründe einfallen, warum die Armee nie ankommt.« Der neue König der Gallier, der sich noch nicht König nennen ließ, musterte Litaviccus unter seinen schwarzen Augenbrauen. »Eine Angelegenheit müssen wir allerdings noch klären.«
»Das mit den Boiern«, warf Litaviccus sofort ein.
»Genau. Als Caesar die Helvetier vor sechs Jahren wieder in ihre alte Heimat zurückschickte, erlaubte er dem helvetischen Stamm der Boier, in Gallien zu bleiben, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch der Haeduer, die die Boier als Puffer zwischen sich und den Arvernern haben wollten. Die Boier wurden in einem Gebiet angesiedelt, das wir Arverner für uns beanspruchen, das ihr Haeduer Caesar gegenüber jedoch als euer Land ausgegeben habt. Die Boier müssen verschwinden und jenes Gebiet muß an uns zurückgegeben werden, Litaviccus. Haeduer und Arverner kämpfen jetzt auf derselben Seite, folglich brauchen wir keinen Puffer mehr. Ich will von deinen Vergobreten die Zusage, daß die Boier abziehen und wir das Land zurückerhalten. Abgemacht?«
»Abgemacht«, sagte Litaviccus und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Das Land ist ohnehin zweitrangig. Nach diesem Krieg werden wir Haeduer uns zum Ausgleich das Land der Remer nehmen. Und die Arverner können sich im Gebiet der Lingonen breitmachen, die ebenfalls Verräter sind. Gilt das auch als abgemacht?« »Jawohl!« Vercingetorix grinste.
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Cathbad zu, der alles andere als zufrieden schien. »Weshalb ist König Commius nicht gekommen?« fragte er.
»Er kommt erst im Sommer. Bis dahin will er Anführer aller Westbelgen sein.«
»Caesar hat uns mit seinem Verrat einen guten Dienst erwiesen.«
»Das war nicht Caesar«, sagte Cathbad verächtlich. »Für mich war die Verschwörung einzig und allein das Werk von Labienus.«
»Höre ich da etwa eine gewisse Sympathie für Caesar heraus?«
»Ganz und gar nicht, Vercingetorix. Aber Blindheit ist keine Tugend! Wenn du Caesar besiegen willst, mußt du versuchen, ihn zu verstehen. Einen Gallier anzuklagen und hinrichten zu lassen, wie er es bei Acco getan hat, das tut er, doch einen Verrat, wie er an Commius begangen wurde, betrachtet er als unehrenhaft.«
»Accos Prozeß war manipuliert!« rief Vercingetorix erbost aus.
»Zweifellos, aber er war trotzdem rechtmäßig!« beharrte Cathbad. »Begreife doch endlich, daß bei den Römern immer alles legal aussehen muß. Und das gilt für keinen Römer mehr als für Caesar.«
Vom Feldzug gegen die Biturigen erfuhr Gaius Trebonius in Agedincum erst, als Litaviccus aus Bibracte herbeigeeilt kam und keuchend Alarm schlug.
»Zwischen den Stämmen herrscht Krieg!« sagte er zu Trebonius.
»Der Krieg gilt nicht uns?« fragte Trebonius.
»Nein. Arverner und Biturigen kämpfen gegeneinander.«
»Und?«
»Die Biturigen haben die Haeduer um Hilfe gebeten. Wir sind an alte Freundschaftsverträge gebunden, die noch aus der Zeit stammen, als wir uns ständig mit den Arvernern bekriegt haben. Das Land der Arverner liegt zwischen unserem und dem der Biturigen, sie waren durch unser Bündnis also von zwei Seiten eingeschlossen.«
»Was wollen die Haeduer jetzt tun?«
»Wir finden, wir sollten den Biturigen helfen.«
»Und warum kommst du damit zu mir?«
In gespielter Unschuld riß Litaviccus die blauen Augen auf. »Du weißt genau, weshalb, Gaius Trebonius! Die Haeduer sind Freunde und Verbündete Roms! Wenn du erfährst, daß die Haeduer zu den Waffen gegriffen haben und nach Westen marschiert sind, was würdest du dann glauben? Convictolavus und Cotus haben mich geschickt, damit ich dich über das Geschehen informiere und um Rat frage.«
»Wenn das so ist, danke ich ihnen.« Trebonius kaute auf seiner Unterlippe und sah noch bekümmerter drein als sonst. »Hm, wenn es sich um einen Streit zwischen euren Völkern handelt, der nichts mit Rom zu tun hat, solltet ihr den alten Vertrag einhalten, Litaviccus. Schickt den Biturigen Hilfe.«
»Aber du scheinst beunruhigt.«
»Mehr überrascht als beunruhigt. Was ist mit den Arvernern los? Ich dachte, Gobannitio und seine Ältesten seien gegen jede Art von Krieg.«
Da machte Litaviccus seinen ersten Fehler: Er tat zu gleichgültig, und seine Antwort kam zu schnell. »Gobannitio hat doch nichts mehr zu sagen!« rief er. »Bei den Arvernern herrscht jetzt Vercingetorix.«
»>Herrscht?«
»Na ja, vielleicht ist das übertrieben.« Litaviccus zögerte. »Er ist Vergobret ohne einen Amtskollegen.«
Trebonius brach in schallendes Gelächter aus. Immer noch glucksend verabschiedete er sich von Litaviccus. Doch sobald Litaviccus verschwunden war, machte Trebonius sich auf die Suche nach Quintus Cicero, Gaius Fabius und Titus Sextius.
Die von Quintus Cicero und Sextius kommandierten Legionen gehörten zu den insgesamt sechs, die ihr Lager um Agedincum herum aufgeschlagen hatten, während Fabius die beiden bei den Lingonen einquartierten Legionen befehligte, die fünfzig Meilen näher an den Haeduern lagen. Daß sich Fabius gerade in Agedincum aufhielt, war Zufall. Er habe die Langeweile nicht mehr ausgehalten, sagte er.
»Ich schätze, die wird dir vergehen«, sagte Trebonius noch kummervoller als sonst. »Irgend etwas geht vor, und wir erfahren so gut wie nichts davon.«
»Aber sie bekriegen sich doch nur gegenseitig«, gab Quintus Cicero zu bedenken.
»Im Winter?« Trebonius begann auf und ab zu gehen. »Was mich stutzig macht, Quintus, ist das mit Vercingetorix. Bei den Arvernern zählt offenbar nicht mehr die Weisheit des Alters, sondern die ungestüme Begeisterung der Jugend. Ich verstehe nicht, was das bedeutet. Ihr erinnert euch doch an Vercingetorix — glaubt ihr, er würde Krieg gegen andere Gallier anfangen?«
»Offensichtlich tut er es ja bereits«, sagte Sextius.
Fabius kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Zweifellos kommt das alles sehr plötzlich, und du hast völlig recht, Trebonius — warum ausgerechnet im Winter?«
»Gibt es sonst noch irgendwelche Meldungen?«
Die anderen drei Legaten schüttelten verneinend die Köpfe.
»Das ist ebenfalls merkwürdig, wenn man bedenkt, daß sie uns sonst ständig mit irgendwelchen Klagen oder Beschwerden in den Ohren liegen«, sagte Trebonius. »Von wieviel Verschwörungen hören wir denn sonst im Winterlager?«
»Von Dutzenden.« Fabius grinste.
»Und in diesem Jahr noch kein einziges Mal. Da ist doch etwas faul, ich könnte es schwören. Ich wünschte, Rhiannon wäre hier! Oder Hirtius käme zurück.«
»Ich finde, wir sollten Caesar benachrichtigen«, sagte Quintus Cicero. Er lächelte. »Und zwar heimlich. Die Botschaft braucht nicht unter dem Gewebe eines Speers versteckt sein, aber andere dürfen sie auf keinen Fall lesen.«
»Und sie darf nicht über das Gebiet der Haeduer befördert werden«, sagte Trebonius mit überraschendem Nachdruck. »Irgend etwas an Litaviccus’ Benehmen macht mich nervös.«
»Wir dürfen die Haeduer allerdings nicht vor den Kopf stoßen«, wandte Sextius ein.
»Das werden wir auch nicht. Solange sie nicht wissen, daß wir Caesar benachrichtigen, können sie sich auch nicht gekränkt fühlen.«
»Wie sollen wir Caesar die Nachricht also schicken?« fragte Fabius.
»Wir schicken die Boten zunächst nach Norden«, sagte Trebonius entschieden, »durch das Gebiet der Sequaner nach Vesontio, von dort nach Genava und weiter nach Vienna. Leider ist der Paß der Via Domitia geschlossen, deshalb kommt nur der längere Weg an der Küste in Frage.«
»Siebenhundert Meilen«, meinte Quintus Cicero düster.
»Wir stellen den Boten alle erforderlichen offiziellen Papiere aus und ermächtigen sie, die besten Pferde zu beschlagnahmen, so daß wir damit rechnen können, daß sie gut hundert Meilen am Tag zurücklegen. Zwei Männer, mehr nicht, und auf keinen Fall Gallier. Außerhalb dieser vier Wände erfahren nur die Boten selbst von dem Unternehmen. Zwei kräftige junge Legionäre, die so gut wie Caesar reiten.« Trebonius sah die anderen fragend an. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Warum nicht zwei Zenturionen?« fragte Quintus Cicero.
Die anderen sahen ihn entsetzt an. »Caesar würde uns umbringen, Quintus! Seinen Männern die Zenturionen wegnehmen? Inzwischen müßtest du eigentlich wissen, daß er lieber uns als einen seiner Zenturionen verlieren würde.«
»Ja doch, natürlich!« sagte Quintus Cicero schnell. Sein Zusammenstoß mit den Sugambrern war ihm wieder eingefallen.
»Überlaßt das mir«, sagte Fabius entschlossen. »Schreibe deine Nachricht, Trebonius. Ich finde in meiner Legion schon zwei Männer, die sie zu Caesar bringen. Und ich muß ja ohnehin zurück.«
»Inzwischen sollten wir versuchen, noch mehr herauszubekommen«, meinte Sextius. »Trebonius, schreibe Caesar, daß ihn in Nicaea an der Küstenstraße weitere Informationen erwarten.«
Da sich Caesar gerade in Placentia aufhielt, erreichte ihn die Nachricht bereits sechs Tage später. Seit der Ankunft von Lucius Caesar und Decimus Brutus in Ravenna war Caesar angesichts seiner Untätigkeit immer mißgelaunter geworden. In Rom schien sich die Lage unter dem Konsul sine collega zu stabilisieren, und es war Caesar sinnlos erschienen, nur deshalb noch länger in Ravenna zu bleiben, um zu erfahren, was mit Milo passieren würde, der mit einem Prozeß und einer Strafe rechnen mußte. Wenn ihn etwas daran wurmte, dann das Verhalten seines neuen Quästors Marcus Antonius, der ihm in einem brüsken Schreiben mitgeteilt hatte, daß er als einer der Anklagevertreter bis zum Ende des Prozesses in Rom bleiben würde. Unerhört!
»Tja, Gaius, du hast dich erweichen lassen und ihn angefordert«, meinte Lucius Caesar, der Onkel des Antonius. »Zu mir wollte er ja nicht.«
»Ich habe mich nur deshalb rumkriegen lassen, weil ich einen Brief von Aulus Gabinius bekam, unter dem Antonius, wie dir ja bekannt sein dürfte, am Feldzug in Syrien teilnahm. Gabinius schrieb, daß er Antonius jederzeit wieder mitnehmen würde. Er trinkt zwar zuviel und hurt herum, ist nachlässig und verschwendet einen Großteil seiner Energie darauf, Flöhe zu knacken, während er beim Kriegsrat einschläft, aber trotzdem ist er laut Gabinius ein fähiger Mann. Sobald er auf dem Schlachtfeld ist, wird er zum Löwen — zu einem Löwen, der auch denken kann. Na, wir werden sehen. Wenn er mir zur Last fällt, schicke ich ihn zu Labienus. Das wäre bestimmt lustig! Ein Löwe und ein Schwein.«
Lucius Caesar zuckte zusammen und schwieg. Sein Vater und Caesars Vater waren Vettern gewesen, die erste Generation des alten Geschlechts, die nach langer Zeit wieder das Konsulat bekleidet hatte — dank der Ehe zwischen Julia, der Tante Caesars, und dem ungeheuer reichen Emporkömmling aus Arpinum, Gaius Marius, der sich als größter Feldherr der römischen Geschichte entpuppt hatte. Durch die Hochzeit war wieder Geld in die Schatulle der Julier geflossen. Geld — das einzige, woran es der Familie so lange gemangelt hatte. Glücklicherweise empfand der vier Jahre ältere Lucius Caesar keinen Neid, sondern freute sich über den Erfolg von Gaius, dem Sproß des jüngeren Zweiges der Familie, der ein noch größerer Feldherr als Gaius Marius zu werden versprach. Lucius Caesar hatte sich sogar aus Neugier auf seinen berühmten Vetter diesem als Legat angeboten. Er war stolz auf ihn, und seine Arbeit in Rom kam ihm plötzlich ganz langweilig vor. Obwohl ein vornehmer Konsular, angesehenes Gerichtsmitglied und langjähriges Mitglied im Rat der Auguren, beschloß Lucius Caesar im Alter von zweiundfünfzig Jahren, wieder in den Krieg zu ziehen — unter dem Kommando seines Verwandten Gaius.
Die Reise von Ravenna nach Placentia war nicht weiter beschwerlich, da Caesar in allen größeren Städten entlang der Via Aemilia, in Bononia, Mutina, Regium Lepidum, Parma und Fidentia, absitzen ließ, um Gerichtstag zu halten. An einem Tag schaffte er ein Pensum, für das andere Statthalter eine ganze Woche brauchten, und schon ging es weiter zur nächsten Stadt. In den meisten Streitfällen ging es um Geld, von der Sache her also eine zivilrechtliche Angelegenheit, für die es sich in der Regel nicht lohnte, Geschworene einzuberufen. Caesar hörte sich alles aufmerksam an, rechnete im Kopf, klopfte mit seinem elfenbeinernen Amtsstab auf den Tisch, hinter dem er Platz genommen hatte, und verkündete das Urteil. Der Nächste bitte, nicht trödeln! Nie schien jemand etwas an seiner Entscheidung auszusetzen zu haben. Aber das war wohl eher so, weil Caesars Tüchtigkeit sie einschüchterte, dachte Lucius Caesar belustigt, und nicht, weil sie sich gerecht behandelt fühlten, denn Gerechtigkeit widerfuhr nur dem Sieger, niemals dem Verlierer.
Wenigstens in Placentia würde die Pause etwas länger dauern, denn hier hatte Caesar die Fünfzehnte Legion für die Dauer seines Aufenthalts in Illyricum und Gallia Cisalpina in einem Ausbildungslager untergebracht und wollte sich nun mit eigenen Augen von den Fortschritten der Legionäre überzeugen. Sein Befehl hatte knapp und klar gelautet: Drillt sie bis zum Umfallen, und dann drillt sie weiter, bis sie nicht mehr umfallen. Als Ausbilder hatte er fünfzig Zenturionen aus Capua kommen lassen — ergraute Veteranen, die danach dürsteten, das Leben von Siebzehnjährigen in eine wohldosierte Mischung aus Qual und Elend zu verwandeln.
Den Zenturionen der Fünfzehnten sollten die Ausbilder sich in deren Freizeit widmen, vorausgesetzt, es blieb überhaupt freie Zeit. Nun war der Augenblick gekommen, um festzustellen, was bei der über drei Monate langen Ausbildung in Placentia herausgekommen war, und so ließ Caesar den Legionären ausrichten, daß er sie im Morgengrauen des folgenden Tages auf dem Exerzierplatz inspizieren wolle.
»Wenn sie bestehen, Decimus, kannst du mit ihnen gleich auf der Küstenstraße nach Gallia Transalpina marschieren«, sagte Caesar nachmittags beim Essen.
Decimus Brutus, der sich gerade eine lokale Spezialität aus in Öl gebratenem Gemüse schmecken ließ, nickte gelassen. »Soviel ich gehört habe, muß das eine phantastische Legion sein«, sagte er und tauchte die Hände in eine Wasserschale.
»Von wem hast du diese Information?« Caesar stocherte lustlos an einem Stück Schweinefleisch herum, das so lange in Schafmilch gebraten worden war, bis es braun und knusprig und die Milch verkocht war.
»Von einem Lebensmittelhändler, der die Armee beliefert.«
»Woher will der das wissen?«
»Wer sollte es besser wissen? Die Männer der Fünfzehnten Legion haben bei der Schwerstarbeit, die sie hier geleistet haben, alles aufgegessen, was in Placentia geschnattert, gegrunzt, geblökt und gegackert hat, und die hiesigen Bäcker arbeiten mittlerweile sogar in zwei Schichten täglich. Mein lieber Caesar, in Placentia liebt man dich.«
»Das höre ich gerne, Decimus!« lachte Caesar.
»Ich habe gehört, daß Mamurra und Ventidius uns hier besuchen wollen«, sagte Lucius Caesar, der vom Tranchieren erheblich mehr verstand als sein Verwandter und die nördliche Küche, in der nicht so scharf wie im nach Pfeffer verrückten Rom gewürzt wurde, sehr genoß.
»Sie kommen übermorgen aus Cremona.«
Hirtius, der zu beschäftigt war, um an dem Essen teilzunehmen, trat ein. »Caesar, ein dringender Brief von Gaius Trebonius.«
Caesar setzte sich sofort auf, schwang die Beine vom Sofa, das er sich mit Lucius teilte, und streckte die Hand nach der Schriftrolle aus. Er brach das Siegel auf, entrollte das Schreiben und überflog es mit einem Blick.
»Wir müssen umplanen«, sagte er dann ruhig. »Wie kam der Brief hierher, und wie lange war er unterwegs?«
»Nur sechs Tage, obwohl er über die Küstenstraße kam. Fabius hat zwei Legionäre, die gut reiten können, mit Geld und offiziellen Papieren ausgestattet und losgeschickt. Sie haben ihre Sache gut gemacht.«
»Das haben sie wirklich.«
Caesar war wie verwandelt — eine Verwandlung, die Decimus Brutus und Hirtius seit langem vertraut, Lucius Caesar dagegen noch unbekannt war. Der weltgewandte Konsulat war verschwunden und an seine Stelle ein Mann getreten, der wie Gaius Marius knapp und konzentriert Befehle erteilte.
»Ich muß noch Briefe an Mamurra und Ventidius schreiben, deshalb ziehe ich mich jetzt zurück. Decimus, richte der Fünfzehnten Legion aus, sie soll bei Tagesanbruch abmarschbereit sein. Hirtius, du kümmerst dich um den Troß. Keine Ochsenwagen, wir laden alles auf Maultierwagen und Packesel. Bis Ligurien muß der Troß uns eingeholt haben, denn dort werden wir nicht genug zu essen finden. Wir benötigen Proviant für zehn Tage, auch wenn wir für die Strecke nach Nicaea keine zehn Tage brauchen. In zehn Tagen — und wenn die Fünfzehnte nur halb so gut wie die Zehnte ist, in weniger — sind wir bereits in Aquae Sextiae in Gallia Narbonensis.« Er wandte sich an Lucius. »Lucius, ich muß abrücken und bin in Eile. Du kannst, wenn du willst, in Ruhe weiterreisen. Ansonsten heißt es auch für dich: Abmarsch morgen früh bei Tagesanbruch.«
»Also morgen früh bei Tagesanbruch«, wiederholte Lucius Caesar und schlüpfte in seine Schuhe. »Ich gedenke keineswegs, mir dieses Abenteuer entgehen zu lassen, Gaius.«
Doch da war Gaius bereits verschwunden. Mit hochgezogenen Brauen sah Lucius Hirtius und Decimus Brutus an. »Sagt er euch nie, was er vorhat?«
»Das wird er schon noch.« Decimus Brutus stand auf und schlenderte hinaus.
»Sowie es nötig ist, informiert er uns«, sagte Hirtius, hakte sich bei Lucius Caesar ein und schob ihn sanft aus dem Eßzimmer. »Caesar verschwendet niemals Zeit. Heute wird er besonders schnell arbeiten, damit er alles in bester Ordnung hinterläßt, denn ich habe das Gefühl, daß wir nicht mehr nach Gallia Cisalpina zurückkehren. Morgen abend im Lager wird er uns aufklären.«
»Werden seine Liktoren den Marsch denn schaffen? Mir ist aufgefallen, daß schon die Reise auf der Via Aemilia sie völlig erschöpft hat, obwohl sie sich immerhin jeden zweiten Tag ausruhen konnten.«
»Ich habe schon oft gedacht, daß wir die Liktoren eigentlich zusammen mit den Legionären ins Ausbildungslager schicken sollten. Aber Spaß beiseite. Wenn Caesar es eilig hat, läßt er seine Liktoren zurück, ob er damit nun gegen die Verfassung verstößt oder nicht. Sie folgen in ihrem Tempo nach, und er hinterläßt ihnen Nachrichten, wo sie ihn finden können.«
»Und wie willst du in so kurzer Zeit genügend Maultiere auftreiben?«
Hirtius grinste. »Auch das gehört zu den Dingen in Caesars Armee, die du noch kennenlernen wirst, Lucius. Sämtliche Maultiere, die die Fünfzehnte Legion braucht, werden morgen früh an Ort und Stelle sein, und zwar ebenso frisch und erholt wie die Männer. Caesar erwartet, daß seine Legionen jederzeit abmarschbereit sind.«
Als Caesar, Lucius Caesar, Aulus Hirtius und Decimus Brutus am nächsten Morgen bei Tagesanbruch ins Lager ritten, hatte sich die Fünfzehnte Legion bereits in Kolonnen aufgestellt. Welche Bestürzung der Abmarschbefehl am Vorabend bei den Legionären auch ausgelöst haben mochte, jetzt, bei Marschbeginn, war davon nichts mehr zu spüren. Fast im selben Moment, in dem die Erste Kohorte hinter dem Feldherrn und seinen drei Legaten zu marschieren begann, setzte sich auch die Zehnte Kohorte am Zugende in Bewegung.
Die Legionäre marschierten zu acht nebeneinander, und die acht Legionäre einer Reihe belegten auch gemeinsam ein Zelt. Die für die angekündigte und dann ausgefallene Parade auf Hochglanz polierten Kettenhemden glänzten im Licht der Morgensonne. Jeder der barhäuptigen Männer hatte Schwert und Dolch umgeschnallt und trug in der rechten Hand den Wurfspieß. Sein Marschgepäck hing an einem T-- oder Y-förmigen Stock über der linken Schulter, zuunterst der in ein Fell eingeschlagene Schild, oben drauf der Helm. Jeder Legionär schleppte eine Fünftagesration Weizen, Kichererbsen oder andere Hülsenfrüchte und Speck mit, dazu ein Fläschchen Öl, Schüssel und Becher aus Bronze, Rasierzeug, Ersatztuniken, Halstücher und Wäsche, den Helmbusch aus gefärbtem Roßhaar, den runden sagum aus fetthaltiger, wasserabweisender ligurischer Wolle (mit einem Loch in der Mitte für den Kopf), Socken und Felle, die er bei Kälte in seine caligae legen konnte, eine knielange Wollhose für kalte Tage, ferner einen flachen Korb für die Erde bei Schanzarbeiten und persönliche Dinge wie Glücksbringer oder eine Haarlocke der Liebsten. Einige Dinge des täglichen Bedarfs wurden aufgeteilt, so daß der eine den Feuerstein dabei hatte, ein anderer das gemeinsame Salz und wieder ein anderer das kostbare Stückchen Hefe für das Brot, verschiedene Kräuter, die Lampe, das Fläschchen mit Lampenöl oder Reisig zum Feuermachen. Zusätzlich dazu hatte jeder noch einen Spaten und zwei Pfähle für die Palisaden des Nachtlagers an den Stock auf seiner Schulter geschnallt.
Die acht Legionäre einer Reihe hatten zusammen ein Maultier. Es war mit einer kleinen Getreidemühle, einem kleinen Backofen aus Ton, bronzenen Kochtöpfen, weiteren Wurfspießen, Wasserschläuchen und einem zusammengefalteten Lederzelt mit dazugehörigen Schnüren und Stangen beladen. Die insgesamt zehn Maultiere einer Zenturie trotteten hinter der Zenturie her, und jedes Maultier wurde von zwei Dienern betreut, die selbst nicht kämpften und unter anderem die wichtige Aufgabe hatten, ihre Zeltmannschaft unterwegs mit Wasser zu versorgen. Da diesmal aufgrund des eiligen Aufbruchs nicht der übliche Troß mitgeführt wurde, folgte jeder Zenturie ein von sechs Maultieren gezogener Wagen mit Werkzeug, Nägeln, weiterer persönlicher Ausrüstung, Wasserfässern, einem größeren Mühlstein, zusätzlichen Lebensmitteln sowie dem Zelt und der Habe des Zenturios, der als einziger sein Gepäck nicht selbst trug.
Insgesamt bestand die Fünfzehnte Legion aus viertausendachthundert Soldaten, sechzig Zenturionen, dreihundert Artilleristen, einem Trupp von hundert Ingenieuren und Handwerkern sowie sechzehnhundert Nichtkombattanten; sie war somit vollzählig. Die dreißig Wurfgeschütze der Legion — zehn Steinschleudern und zwanzig Bolzenschuß-Katapulte unterschiedlicher Größe — sowie die mit Ersatzteilen und Munition beladenen Wagen wurden von Maultieren gezogen. Die Artilleristen ließen ihre Geräte keine Sekunde aus den Augen, schmierten immer wieder deren Achsen ein und überprüften sie mit liebevollen Blicken. Sie waren hervorragende Leute, was zur Folge hatte, daß ihre Treffer nicht vom Zufall abhingen; dank exakter Flugbahnberechnung konnten sie mit ihren Katapulten Gegner von einer Ramme oder einem Belagerungsturm herunterschießen. Bolzen wurden gegen menschliche Ziele, Steine oder Felsbrocken gegen feindliches Kriegsgerät eingesetzt oder einfach nur, um eine große Menschenmenge in Angst und Schrecken zu versetzen.
Sie machen einen guten Eindruck, dachte Caesar befriedigt und zügelte sein Pferd. Nacheinander zogen die sechzig Zenturien an ihm vorbei, und sechzigmal sprach er den Männern Mut zu und erklärte ihnen, was ihr Ziel war und was er von ihnen erwartete. Die Länge des Zuges betrug von der ersten Reihe der Ersten bis zur letzten Reihe der Zehnten Kohorte einschließlich der Artilleristen und Techniker in der Mitte alles in allem anderthalb Meilen, und erst nachdem Caesar mit allen durch war, saß er ab und ging zu Fuß weiter.
»Marschiert vierzig Meilen am Tag, und ihr könnt in Nicaea zwei Tage freinehmen!« rief er und grinste breit. »Wenn ihr nur dreißig Meilen schafft, könnt ihr euch bis zum Ende dieses Krieges auf eine Scheißplackerei gefaßt machen! Von Placentia nach Nicaea sind es zweihundert Meilen, und ich muß in spätestens fünf Tagen dort sein! Mehr Proviant wurde nicht eingepackt, und mehr zu essen gibt es auch nicht! Die Männer auf der anderen Seite der Alpen brauchen uns, und wir werden bei ihnen sein, bevor diese cunni von Galliern überhaupt ahnen, daß wir unterwegs sind! Also nehmt die Beine in die Hand, Männer, und zeigt Caesar, was in euch steckt!«
Und sie zeigten Caesar, was in ihnen steckte, und das war weit mehr als vor wenigen Monaten, als es den Sugambrern gelungen war, sie zu überrumpeln. Die Straße, die Marcus Aemilius Scaurus zwischen Dertona und dem am tuscischen Meer gelegenen Genua gebaut hatte, war ein technisches Meisterwerk. Ohne nennenswertes Gefälle wand sie sich über zahlreiche Viadukte an den steil aufragenden Bergen entlang. Die Küstenstraße von Genua nach Nicaea war zwar in einem nicht annähernd so guten Zustand, aber immer noch erheblich besser als zu der Zeit, da Gaius Marius seine dreißigtausend Soldaten hier entlang geführt hatte. Sobald die Männer ihren Marschrhythmus gefunden und sich an die langen Märsche gewöhnt hatten, bekam Caesar trotz der kurzen Wintertage seine täglichen vierzig Meilen. Die Füße waren im Ausbildungslager abgehärtet worden, und darüber hinaus gab es Tricks, wie man sich das Laufen leichter machen konnte. Die Legionäre waren sich ihres schlechten Rufes durchaus bewußt und fest entschlossen, ihn ein für allemal vergessen zu machen.
In Nicaea erhielten sie die beiden versprochenen Ruhetage, während Caesar und seine Legaten überlegten, wie sie aufgrund eines Briefes von Gaius Trebonius, den sie dort vorfanden, weiter vorgehen sollten.
Caesar, folgende Informationen erhielten wir von einem arvernischen Druiden, den wir entführten und von Labienus verhören ließen. Warum ausgerechnet einen Druiden, fragst Du? Fabius, Sextus, Quintus Cicero und ich waren nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen, daß ein Leibeigener vermutlich nichts Genaues wüßte, während ein Krieger möglicherweise lieber sterben würde als etwas Wichtiges zu verraten. Wohingegen die Druiden bekanntlich aus weicherem Holz geschnitzt sind. Wenn unsere Volkstribunen auch nur halb so unantastbar wie die untersten Druiden wären, würden sie Rom sicher sehr viel skrupelloser regieren, als sie es ohnehin schon tun. Labienus wurde mit dem Verhör betraut, weil er — na, das kannst du dir ja denken. Obwohl ich mir gut vorstellen kann, daß der Druide schon lange bevor Labienus die Eisen zum Glühen brachte, ausgeplaudert hatte, was er wußte.
Anfang Februar wurden in Cenabum Gaius Fufius Cita, seine Kommissionäre, die restliche römische Zivilbevölkerung und ein paar griechische Händler, die ebenfalls dort wohnten, umgebracht. Da es keine Augenzeugen gab, erfuhren wir zunächst nichts davon. Die Nachricht davon traf noch am Tag des Überfalls in Gergovia ein. Vercingetorix war zwar aus dem oppidum verbannt worden, doch als er erfuhr, was in Cenabum geschehen war, stürmte er in die arvernische Ratsversammlung und ermordete Gobannitio. Dann ernannte er sich zum König, und die arvernischen Hitzköpfe ließen ihn hochleben.
Danach traf er sich offenbar sofort mit dem Carnuten Gutruatus und Deinem alten Freund, dem Oberdruiden Cathbad, zu einer Beratung in Carnutum. Unser Informant wußte zwar nicht, wer sonst noch daran teilgenommen hat, glaubte allerdings, daß auch Lucterius, der Vergobret der Cadurcer, dabei war. Und Commius! Im Anschluß an die Beratung erging der Ruf zu den Waffen.
Dieser Krieg ist wahrhaftig keine lustige Angelegenheit, Caesar. Von der Mündung der Mosa bis nach Aquitanien und von Westen nach Osten, quer durch das ganze Land, schließen sich die Gallier zusammen. Weil Vercingetorix davon überzeugt ist, daß nur ein vereintes Gallien stark genug ist, uns zu vertreiben, will er Gallien vereinigen. Unter seiner Führung natürlich.
Anfang März haben die Gallier sich vor Carnutum zu einem Winterfeldzug versammelt. Gegen uns, fragst Du? Nein, das zwar nicht, aber gegen alle Stämme, die sich nicht an ihrem Kampf beteiligen wollen.
Lucterius ist mit fünfzigtausend Cadurcern, Pictonen, Anden, Petrocoriern und Santonern in den Krieg gegen die Rutener und Gabaler gezogen. Sobald sich auch diese beiden Stämme den Galliern angeschlossen haben, will Lucterius mit seiner Armee in die römische Provinz einrücken, und zwar in die Gegend von Narbo und Tolosa, um unsere Verbindung zu den Spaniern zu unterbrechen. Darüber hinaus soll Zwietracht zwischen Volkern und Helviern gesät werden.
Vercingetorix persönlich führt etwa achtzigtausend Senonen, Carnuten, Arverner, Suessionen, Parisier und Mandubier gegen die Biturigen, die nichts vom Plan eines vereinigten Gallien wissen wollen. Da den Biturigen die Eisenminen gehören, liegt auf der Hand, warum Vercingetorix sie eines Besseren belehren muß.
Während ich diese Zeilen schreibe, ist Vercingetorix mit seiner Armee bereits auf dem Weg ins Land der Biturigen. Unserem druidischen Informanten zufolge plant Vercingetorix, im Frühjahr gegen uns zu Felde zu ziehen. Seine Strategie ist nicht dumm. In der Annahme, wir würden uns ohne Dich nicht aus unseren Lagern herauswagen, will er Dich von uns isolieren und uns belagern.
Zweifellos brennst Du darauf zu erfahren, wie wir überhaupt dazu kamen, einen arvernischen Druiden zu entführen, anstatt uns — wie Vercingetorix annimmt — gemütlich zurückzulehnen und die Winterruhe zu genießen? Daran, Caesar, ist einzig und allein der Haeduer Litaviccus schuld. Er besuchte mich seit Anfang Februar mehrmals; immer war er rein zufällig gerade in der Gegend und schaute auf dem Rückweg etwa von einer Hochzeit mal eben herein. Ich dachte mir nichts dabei, bis er eines Tages zu mir sagte, Vercingetorix würde jetzt in Gergovia »herrschen«. Als ich ihn auf dieses Wort festnageln wollte, machte er zwar prompt einen Rückzieher, für meinen Geschmack allerdings zu hastig. S S obald ich ihn verabschiedet hatte, schrieb ich den ersten Brief an Dich.
Auch wenn ich keinen konkreten Beweis dafür habe, daß die Haeduer Vercingetorix’ Plan eines vereinigten Gallien unterstützen wollen, solltest Du auf der Hut sein, Caesar. Mein Gefühl sagt mir, daß die Haeduer irgendwie mit drinhängen, vielleicht nicht die Vergobreten, aber zumindestens die Jüngeren wie Litaviccus. Die Biturigen haben die Haeduer um Hilfe gegen Vercingetorix gebeten, und die Haeduer haben Litaviccus zu mir geschickt, damit er mir das sagt und anfragt, ob ich etwas dagegen habe, wenn sie der Bitte nachkommen. Ich sagte ihm, daß sie das, solange es nur um interne Querelen ginge, von mir aus ruhig tun könnten.
Doch jetzt, in diesem Moment, erfahre ich, was es mit dieser Armee in Wirklichkeit auf sich hatte. Die Haeduer hatten sich stark bewaffnet zu den Biturigen in Marsch gesetzt, als sie aber das Ostufer des Liger erreichten, hielten sie an und machten keine Anstalten, den Fluß zu überqueren. Nachdem sie einige Tage abgewartet hatten, marschierten sie wieder zurück. Gerade war Litaviccus hier. Er hat mir erklärt, warum die Haeduer den Biturigen angeblich nicht helfen konnten. Cathbad soll davor gewarnt haben; das Ganze sei eine Verschwörung zwischen Biturigen und Arvernern, die Haeduer hätten in dem Moment, in dem sie den Liger überquerten, überfallen werden sollen.
Wenn Du mich fragst, Caesar, klingt das alles viel zu plausibel, um wahr zu sein, obwohl ich selbst nicht weiß, warum ich das denke. Meine Kollegen sind derselben Meinung, allen voran Quintus Cicero, der einen siebten Sinn für so etwas zu haben scheint.
Du wirst schon wissen, was zu tun ist, und vielleicht werden wir erst erfahren, was Du planst, wenn Du vor uns stehst. Ich kann nicht glauben, daß eine Horde Gallier, ob mit oder ohne Haeduer, Dich davon abhalten könnte, nach Belieben mit uns zusammenzutreffen. Jedenfalls versichere ich Dir, daß wir von heute bis zum Sommer in ständiger Alarmbereitschaft sein werden. Unter dem Vorwand, die sanitären Zustände im Lager seien plötzlich unerträglich geworden, ist Fabius mit seinen beiden Legionen zu einem neuen Lagerplatz in der Nähe von Bibracte am Oberlauf der Icauna gezogen, in die Nähe der Quelle, wenn Du das wissen mußt. Die Haeduer scheinen sich über den Umzug gefreut zu haben, aber wer weiß? Ich bin ihnen gegenüber jedenfalls mißtrauisch geworden.
Falls Du Nachrichten oder Truppen nach Agedincum schicken oder selbst kommen willst, raten wir Dir alle, einen großen Bogen um das Gebiet der Haeduer zu machen und statt dessen von Genava nach Vesontio und von dort durch lingonisches Gebiet nach Agedincum zu marschieren. Ich bin wirklich froh, daß wir Quintus Cicero haben. Aufgrund seiner Erfahrungen mit den Nerviern ist er für uns von unschätzbarem Wert.
Wie Labienus uns wissen ließ, bleibt er, solange er nichts von Dir hört, mit seinen beiden Legionen dort, wo er jetzt ist. Auch er hat die Truppen verlegt und vor Bibrax, dem oppidum der Remer, Quartier bezogen. Da hinter dem Aufstand zweifellos in erster Linie die Kelten Zentral-Galliens stecken, hielten wir es für das beste, die Lager an einer Stelle aufzuschlagen, von der aus wir sie jederzeit angreifen können. Auf die Belgen, ob mit oder ohne Commius, können wir nicht mehr zählen.
Nachdem Caesar den Brief laut vorgelesen hatte, herrschte Schweigen. Zwar hatte Trebonius bereits in seinem ersten Brief Andeutungen gemacht, aber erst jetzt hatten sie Gewißheit.
»Als erstes kümmern wir uns um die römische Provinz«, entschied Caesar. »Die Fünfzehnte soll ihre zwei freien Tage haben, aber danach marschiert sie ohne Pause nach Narbo. Ich reite schon voraus, denn wahrscheinlich ist überall Panik ausgebrochen und niemand kümmert sich um die Organisation des Widerstandes. Von Nicaea nach Narbo sind es zwar dreihundert Meilen, aber ich will, daß die Fünfzehnte acht Tage nach ihrem Abmarsch dort ist, Decimus. Du übernimmst das Kommando. Und du, Hirtius, kommst mit mir. Sorge dafür, daß wir genügend Kuriere haben, denn ich muß ständig in Kontakt mit Mamurra und Ventidius sein.«
»Willst du auch Faberius mitnehmen?« fragte Hirtius.
»Ja, und Trogus. Procillus soll mit einer Nachricht für Trebonius nach Agedincum aufbrechen und zwar, wie empfohlen, den Rhodanus hinauf und dann weiter über Genava und Vesontio. Wenn er durch Arausio kommt, soll er zu Rhiannon gehen und ihr sagen, daß sie dieses Jahr zu Hause bleiben muß.«
»Demnach glaubst du, daß die Gallier uns das ganze Jahr beschäftigen werden?« fragte Decimus Brutus angespannt.
»Wenn wir es mit einem vereinigten Gallien zu tun bekommen, allerdings.«
»Und was soll ich tun?« erkundigte sich Lucius Caesar.
»Du begleitest Decimus und die Fünfzehnte Legion. Ich ernenne dich hiermit zum befehlshabenden Legaten der Provinz; damit ist es deine Aufgabe, sie zu verteidigen. Du machst Narbo zu deinem Hauptquartier. Bleib in ständigem Kontakt mit Afranius und Petreius in den spanischen Provinzen, und sondiere die Stimmung unter den Aquitanern. Die Stämme bei Tolosa werden kaum Ärger machen, aber die weiter im Westen und bei Burdigala wahrscheinlich schon.« Caesar bedachte Lucius mit einem herzlichen Lächeln. »Ich vertraue dir die Provinz an, weil du die nötige Erfahrung, den Status eines Konsulars und das Können mitbringst, mich während meiner Abwesenheit zu vertreten. Sobald ich Narbo verlasse, will ich keine Sekunde mehr an die Provinz denken müssen. Ich weiß, daß du mein Vertrauen nicht enttäuschen wirst.«
Genau das, Lucius, ist Caesars Art, dachte Hirtius im stillen. Mit seinem Charme überzeugt er dich davon, daß du dieser Aufgabe als einziger gewachsen bist, worauf du dich selbst übertriffst, um ihn nicht zu enttäuschen. Und es wird kommen, wie er gesagt hat — sobald er Narbo verlassen hat, wird er sich nicht einmal mehr an deinen Namen erinnern.
»Decimus«, sagte Caesar, »bestelle die Zenturionen für morgen zu einer Besprechung ein. Und sorge dafür, daß die Männer warme Wintersachen einpacken. Falls etwas fehlt, schicke mir einen Boten mit einer Liste der Dinge, die ich in Narbo anfordern muß.«
»Ich glaube kaum, daß etwas fehlt«, meinte Decimus Brutus. Seine Anspannung hatte sich wieder gelegt. »Eines muß man Mamurra wirklich lassen — er ist ein ausgezeichneter praefectus fabrum. Zwar sind seine Rechnungen immer maßlos übertrieben, aber er spart nie an der Menge oder der Qualität.«
»Da fällt mir ein, daß ich zusätzliche Geschütze bei ihm anfordern muß«, sagte Caesar. »Meiner Meinung nach sollte jede Legion über mindestens fünfzig Stück verfügen. Mir sind da ein paar Ideen gekommen, wie sich deren Einsatz auf dem Schlachtfeld verbessern ließe. Wir müssen den Gegner stärker bedrängen, ehe wir zum eigentlichen Angriff übergehen.«
Lucius Caesar sah ihn erstaunt an. »Aber die Artillerie wird doch zur Belagerung gebraucht!«
»Völlig richtig. Aber warum nicht auch auf dem Schlachtfeld?«
Als der nächste Tag anbrach, hatte Caesar Nicaea in seinem offenen, von vier Maultieren gezogenen Wagen bereits verlassen. Faberius leistete ihm Gesellschaft, Hirtius folgte mit Gnaeus Pompeius Trogus, Caesars oberstem Dolmetscher und Experten für alles, was mit Gallien zu tun hatte, in einem zweiten Wagen.
Unterwegs hielt Caesar in allen größeren Orten kurz an und suchte deren Oberhaupt auf — den Ethnarchen oder die duumviri, je nachdem, ob es sich um griechisch oder römisch verwaltete Städte handelte. Mit knappen Worten schilderte er die Lage in Gallia Comata, beauftragte die Männer, Milizen zusammenzustellen, und bevollmächtigte sie, sich Waffen und sonstige Kriegsausrüstung aus den umliegenden Arsenalen zu verschaffen. Sobald er wieder aufbrach, beeilten sich die Einwohner, seinen Anordnungen Folge zu leisten, und harrten bang der Ankunft Lucius Caesars.
Da die Via Domitia nach Spanien stets in hervorragendem Zustand gehalten wurde, kamen die beiden Wagen zügig voran. Von Arelate nach Nemausus fuhren sie über den von Gaius Marius gebauten Damm durch die ausgedehnten Moore und grasbewachsenen Sümpfe des Rhodanus-Deltas. Ab Nemausus unterbrach Caesar die Fahrt häufiger und länger, denn nun befanden sie sich auf dem Gebiet der Arecomicer, einem Stamm der Volcer, denen Gerüchte über einen Krieg zwischen ihren nördlichen Nachbarn, den Cadurcern und Rutenern, zu Ohren gekommen waren. An der Romtreue der Arecomicer und ihrem unbedingten Gehorsam gegenüber Caesar bestand nicht der leiseste Zweifel.
In Ambrussum stießen sie auf einen Trupp Helvier vom Westufer des Rhodanus. Die Helvier waren auf dem Weg nach Narbo, wo sie einen Römer zu finden hofften, der ihnen einen Rat geben konnte. Sie wurden von ihren Duumvirn angeführt — Vater und Sohn, denen Gaius Valerius das römische Bürgerrecht verliehen hatte. Außer ihren gallischen Namen Caburus und Donnotaurus trugen deshalb beide den Namen Valerius.
»Vercingetorix hat bereits Gesandte zu uns geschickt«, sagte Donnotaurus, der Sohn, besorgt. »Er hat wohl erwartet, daß wir uns seinem Völkerbund sofort anschließen würden. Als wir jedoch ablehnten, erklärten seine Gesandten, wir würden früher oder später noch auf Knien darum bitten, beitreten zu dürfen.«
»Danach erfuhren wir, daß Lucterius die Rutener angegriffen hat und Vercingetorix persönlich gegen die Biturigen gezogen ist«, fügte der Vater hinzu. »Da verstanden wir plötzlich: Wenn wir uns nicht anschließen, werden wir dafür büßen müssen.«
»Das werdet ihr zweifelsohne«, sagte Caesar. »Es wäre Unsinn, euch etwas anderes erzählen zu wollen. Werdet ihr im Falle eines Angriffs eure Meinung ändern?«
»Nein«, erklärten Vater und Sohn einstimmig.
»Dann geht nach Hause und bewaffnet euch. Bereitet euch auf alles vor. Seid versichert, daß ich helfen werde. Allerdings kann es sein, daß all meine verfügbaren Truppen gerade in einer größeren Schlacht gebraucht werden, so daß es möglicherweise einige Zeit dauert, bis Hilfe kommt. Aber sie kommt auf alle Fälle, deshalb müßt ihr standhalten. Vor vielen Jahren habe ich die Einwohner der Provinz Asia bewaffnet und zum Kampf gegen Mithridates aufgefordert, weil keine römische Armee in der Nähe war. Die Asiaten schlugen die Feldherrn von König Mithridates auch ohne Hilfe. Genauso könnt ihr die Gallier schlagen.«
»Wir werden standhalten«, versicherte Caburus grimmig.
Plötzlich lächelte Caesar. »Ihr seid ja gar nicht ohne jede Hilfe! Ihr habt in römischen Hilfsiegionen gedient und beherrscht die römische Kriegskunst. Und was ihr an Waffen und sonstiger Kriegsausrüstung braucht, steht euch zur Verfügung. Mein Stellvertreter Lucius Caesar folgt mir in nicht allzu großem Abstand. Überschlagt, was ihr braucht, und fordert es in meinem Namen von ihm. Befestigt eure Städte, und bereitet euch darauf vor, auch die Dörfler aufzunehmen. Setzt keinesfalls unnötig Menschenleben aufs Spiel.«
»Wie wir noch gehört haben, versucht Vercingetorix, seine Pläne den Allobrogern schmackhaft zu machen.«
»Sieh an!« Caesar runzelte die Stirn. »Zuzutrauen wäre es ihnen, daß sie darauf eingehen. Es ist noch nicht lange her, daß sie uns aufs heftigste bekämpft haben.«
»Wahrscheinlich werden die Allobroger zwar aufmerksam zuhören, sich anschließend jedoch unter dem Vorwand, über das Angebot gründlich beraten zu müssen, monatelang zurückziehen«, meinte Caburus. »Je mehr Vercingetorix sie drängt, desto mehr Ausflüchte werden sie gebrauchen. Sie werden bestimmt nicht mit Vercingetorix zusammengehen, glaube uns.«
»Warum nicht?«
»Wegen dir«, erwiderte Donnotaurus, einigermaßen verwundert über die Frage. »Seitdem du die Helvetier in ihr Land zurückgeschickt hast, fühlen sich die Allobroger viel sicherer. Außerdem haben sie ungestört das Land um Genava besetzen können. Sie wissen genau, welche Seite siegen wird.«
In Narbo herrschte bei Caesars Ankunft bereits helle Panik, die jedoch wieder zurückging, als er begann, Vorkehrungen zur Verteidigung zu treffen. Er ließ die Miliz antreten, ließ den ebenfalls zu den Volcern gehörenden Tectosagen bei Tolosa ausrichten, sie sollten dasselbe tun, und zeigte den Duumvirn, die die Stadt regierten, wo sie die Befestigungen verstärken mußten. In der gewaltigen Festung Carcasso befand sich das größte Waffenarsenal im Westen der Provinz. Sobald damit begonnen wurde, die Waffen und anderes Kriegsgerät an die Bevölkerung zu verteilen, beruhigten sich die Menschen und schöpften wieder Hoffnung.
Zuvor hatte Caesar bereits Kuriere zu Pompeius’ Legaten in die spanischen Provinzen geschickt, nach Tarraco, dem Hauptqartier von Lucius Afranius, und nach Corduba zu Marcus Petreius. Die Antworten der beiden Männer waren schon vor Caesar in Narbo eingetroffen, und so erfuhr er nun, daß sie bereits zusätzliche Truppen aushoben, die an der Grenze aufmarschieren und im Bedarfsfall zur Rettung von Narbo und Tolosa anrücken sollten. Niemand verstand besser als diese beiden erfahrenen Soldaten, daß Rom — und Pompeius — keinen unabhängigen gallischen Staat auf der anderen Seite der Pyrenäen wollten.
Lucius Caesar traf mit Decimus Brutus und der Fünfzehnten Legion am vorgesehenen Tag in Narbo ein. Nachdem Caesar der Legion gedankt hatte, wies er Lucius Caesar sofort in seine Aufgaben ein.
»Seit die Bewohner Narbos wissen, daß ich einen Konsular deines Ranges zur Verwaltung der Provinz hierlasse, haben sie sich auffallend beruhigt.« Er zog eine Braue in die Höhe. »Du brauchst im Grunde nur dafür zu sorgen, daß Volcer und Helvier gut ausgerüstet werden. Afranius und Petreius warten für den Fall, daß sie gebraucht werden, auf der anderen Seite der Grenze, deshalb mache ich mir um Narbo eigentlich keine besonderen Sorgen. Ich fürchte mehr Überfälle auf die umliegenden Stämme.« Er wandte sich an Decimus Brutus. »Decimus, ist die Fünfzehnte für einen Winterfeldzug bereit?«
»Ja.«
»Sind die Füße versorgt?«
»Sicherheitshalber habe ich veranlaßt, daß die Legionäre ihre Ausrüstung zur Inspektion auf dem Boden ausbreiten. Die Zenturionen werden mir bei Tagesanbruch Bericht erstatten.«
»Letztes Jahr haben die Zenturionen nichts getaugt. Bist du sicher, daß du dich auf ihr Urteil verlassen kannst? Solltest du die Ausrüstung nicht besser persönlich inspizieren?«
»Ich glaube, das wäre falsch«, sagte Decimus Brutus ruhig. Er fürchtete sich nicht vor Caesar und hielt mit seiner Meinung nie hinter dem Berg. »Ich verlasse mich auf sie, Caesar, denn wenn ich mich auf sie schon nicht verlassen kann, dann auf die Legionäre erst recht nicht. Aber sie wissen, worauf es ankommt.«
»Du hast völlig recht. Übrigens habe ich sämtliche Kaninchen-, Wiesel-- und Frettchenfelle, die ich auftreiben konnte, für uns beschlagnahmt, denn dort, wo ich mit den Männern hin will, sind Socken kein ausreichender Schutz für die Füße. Außerdem habe ich sämtliche Frauen in Narbo und Umgebung angewiesen, für die Männer Schals und Handschuhe zu weben und zu stricken.«
»Bei den Göttern!« rief Lucius Caesar. »Wo willst du mit ihnen hin? Doch nicht zu den Hyperboreern ans Ende der Welt?« »Später«, sagte Caesar im Weggehen.
»Verstehe«, seufzte Lucius Caesar und sah Hirtius niedergeschlagen an. »Sowie es nötig ist, werde ich es erfahren.«
»Spione«, sagte Hirtius kurz und folgte Caesar hinaus.
»Spione? In Narbo?«
Decimus Brutus grinste. »Vermutlich nicht, aber weshalb sollte man etwas riskieren? Es gibt überall Leute, die uns hassen.«
»Wie lange bleibt Caesar hier?«
»Bis Anfang April.«
»Also noch sechs Tage.«
»Das einzige, was ihn aufhalten könnte, wären die Schals und Handschuhe, was ich mir allerdings kaum vorstellen kann. Vermutlich hat er nicht übertrieben, als er gesagt hat, sämtliche Frauen der Stadt würden für ihn weben und stricken.«
»Wird er den Soldaten sagen, was er mit ihnen vorhat?«
»Nein. Er erwartet, daß sie ihm folgen. Nachrichten, die wie bei den Galliern einfach weitergerufen werden, verbreiten sich in Windeseile. Wenn Caesar vor den versammelten Legionären seine Absichten verkünden würde, wüßte sofort ganz Narbo Bescheid und kurz darauf auch Lucterius.«
Trotzdem klärte Caesar seine Legaten beim Essen auf — allerdings erst, nachdem die Diener hinausgeschickt und Wachen im Gang aufgestellt worden waren.
»Ich bin nicht immer so vorsichtig«, sagte er und lehnte sich zurück. »Aber in einem hat Vercingetorix recht. Gallia Comata hat genügend Menschen, um uns zu vertreiben. Allerdings nur, wenn wir Vercingetorix die Zeit und die Gelegenheit geben, gleich jetzt sämtliche Männer zu mobilisieren, die er für seinen Sommerfeldzug braucht. Gegenwärtig hat er ungefähr achtzigbis hunderttausend Mann. Aber wenn er im Sextilis alle Gallier antreten läßt, wird diese Zahl auf eine Viertelmillion oder noch mehr anwachsen. Folglich muß ich ihn bis dahin besiegt haben.«
Lucius Caesar atmete hörbar ein, sagte aber nichts.
»Vercingetorix rechnet nicht damit, daß es vor Sextilis oder wenigstens Ende des Frühjahrs zu Auseinandersetzungen mit den Römern kommt. Deshalb hat er jetzt nicht mehr Männer unter Waffen. Im Winter will er nur die aufsässigen Stämme unterwerfen. Da er mich zur Zeit noch weit weg auf der anderen Seite der Alpen wähnt und sich einbildet, mir, wenn ich komme, den Weg zu meinen Truppen abschneiden zu können, geht er davon aus, daß er in Ruhe nach Carnutum zurückkehren und das Heer für den Sommer einberufen kann. Wir müssen ihn also so beschäftigen, daß er dazu vor dem Sextilis keine Zeit hat. Und ich muß innerhalb der nächsten sechzehn Tage zu meinen Legionen stoßen. Allerdings kann ich nicht den Rhodanus aufwärts ziehen, weil Vercingetorix dann wüßte, daß ich komme, bevor ich die halbe Strecke nach Valentia zurückgelegt hätte, und mich bei Vienna oder Lugdunum abfangen könnte. Mit nur einer Legion wäre ich ihm nicht gewachsen.«
»Aber einen anderen Weg gibt es nicht!« sagte Hirtius ratlos.
»Es gibt einen anderen Weg. Wenn ich Narbo morgen bei Tagesanbruch verlasse, werde ich geradewegs nach Norden marschieren. Wie meine Kundschafter mir berichtet haben, steht die Armee des Lucterius weiter westlich und belagert die Rutener in deren oppidum Carantomagus. Die Gabaler wiederum haben angesichts eines Krieges dieser Größenordnung beschlossen, sich mit Vercingetorix zu vereinigen, was in Anbetracht ihrer Nachbarschaft zu den Arvernern durchaus vernünftig ist. Deshalb sind sie jetzt eifrig dabei, sich zu bewaffnen und für ihren geplanten Einsatz im Frühling zu üben — die Unterwerfung der Helvier.«
Caesar machte eine Pause, um die Spannung auf den Höhepunkt zu treiben. Dann sagte er: »Ich habe vor, Lucterius und die oppida der Gabaler östlich zu passieren und mitten durch das Cebenna-Gebirge zu ziehen.«
»Im Winter?« Selbst Decimus Brutus war entsetzt.
»Jawohl, im Winter. Es ist möglich. Als ich damals von Rom nach Genava eilte, um die Helvetier aufzuhalten, habe ich die Alpen in über zehntausend Fuß Höhe überquert. Obwohl alle es für unmöglich hielten, habe ich es geschafft. Zugegeben, das war im Herbst, aber in einer Höhe von zehntausend Fuß herrscht immer Winter. Mit einer Armee hätte ich es nicht geschafft, denn nach Octodorum führte lediglich ein Ziegenpfad hinunter. Aber das Gebirge der Cebenna ist längst nicht so gefährlich, Decimus. Von den Pässen liegt keiner höher als dreibis viertausend Fuß, und die Wege sind einigermaßen ausgebaut. Die Gallier durchqueren das Gebirge scharenweise — warum also nicht auch ich?«
»Warum also nicht«, wiederholte Decimus mit Grabesstimme.
»Wir müssen zwar durch Tiefschnee, aber wir können uns den Weg freischaufeln.«
»Du willst also bei den Quellen des Oltis aufsteigen und irgendwo in der Gegend von Alba Helviorum am Westufer des Rhodanus wieder herunterkommen?« fragte Lucius Caesar, der sich, seit Caesar ihm die Befehlsgewalt über die Provinz übertragen hatte, bei jeder Gelegenheit mit Galliern unterhielt, um möglichst viel über sie und ihr Land in Erfahrung zu bringen.
»Nein, ich will noch ein Stück weiter durch die Berge marschieren«, sagte Caesar. »Ich möchte sie möglichst erst in der Nähe von Vienna verlassen. Je länger wir unsichtbar bleiben, desto weniger Zeit hat Vercingetorix. Ich will, daß er meine Verfolgung aufnehmen muß, bevor er die Gelegenheit hat, sein Heer zu versammeln. Nach Vienna muß ich ohnehin, weil ich hoffe, dort Verstärkung durch vierhundert germanische Reiter zu bekommen. Wenn Arminius von den Ubiern Wort gehalten hat, müßten sie jetzt eigentlich dort sein und sich an den Umgang mit ihren neuen Pferden gewöhnen.«
»Du willst also innerhalb von sechzehn Tagen die winterliche Cebenna überwinden und bei Agedincum zu deinen Legionen stoßen«, überlegte Lucius Caesar. »Das sind mindestens vierhundert Meilen — eine weite Strecke durch tief verschneites Gelände.«
»Allerdings. Ich habe vor, im Schnitt fünfundzwanzig Meilen am Tag zurückzulegen. Zwischen Narbo und dem Oltis werden wir erheblich mehr schaffen, ebenso später beim Abstieg nach Vienna. Selbst wenn wir zwischendurch auf der schlimmsten Strecke nur noch fünfzehn Meilen täglich schaffen, sind wir immer noch rechtzeitig in Agedincum.« Caesar sah Lucius ernst an. »Ich will, daß Vercingetorix nie weiß, wo wir gerade sind, Lucius. Das heißt, ich muß schneller vorrücken, als er mir zutraut. Ich will ihn verwirren. Und sobald er es einmal weiß, wird er feststellen müssen, daß er vier oder fünf Tage zu spät dran ist.«
»Er ist ehrgeizig, aber unerfahren«, meinte Decimus Brutus nachdenklich.
»Genau, Ich würde nicht sagen, daß es ihm an Mut oder militärischem Können fehlt, aber ich bin eindeutig im Vorteil. Ich habe viel Erfahrung — und mehr Ehrgeiz, als er sich vorstellen kann. Aber wenn ich ihn besiegen will, muß ich ihn ständig zwingen, die falschen Entscheidungen zu treffen.«
»Ich hoffe, du hast nicht vergessen, deinen warmen Mantel einzupacken«, sagte Lucius schmunzelnd.
»Um nichts in der Welt würde ich mich von ihm trennen! Früher hat er einmal Gaius Marius gehört. Als Burgundus in meine Dienste trat, brachte er ihn mit. Mittlerweile ist das gute Stück neunzig Jahre alt, stinkt zum Himmel, auch wenn ich ihn zusammen mit duftenden Kräutern aufbewahre, und ich verfluche jeden Tag, an dem ich ihn tragen muß. Aber glaub mir, so einen Mantel bekommst du heutzutage nicht mehr, nicht einmal in Ligurien. Der Regen perlt ab, der Wind bläst nicht hindurch, und er leuchtet heute noch so scharlachrot wie an dem Tag, an dem er gewebt wurde.«
Die Legionäre der Fünfzehnten verließen Narbo ohne Wagen. Die Zelte der Zenturionen waren auf Maultiere gepackt worden, ebenso die zusätzlichen pila, das Werkzeug und große Schaufeln. Auch die Wurfgeschütze, die Caesar so wichtig waren, hatten sie dabei. So traten sie ihre lange Reise an — eine Reise mit ungewissem Ausgang.
Jeder Legionär hatte Proviant für fünf Tage im Gepäck. Proviant für weitere elf Tage sowie schwerere Ausrüstungsgegenstände schleppte ein zweites Maultier, das jeder achtköpfigen Gruppe von Legionären zusätzlich zur Verfügung gestellt worden war. Dadurch um einige Kilo erleichtert, schritten die Soldaten eifrig aus.
Caesars legendäres Glück ließ ihn diesmal nicht im Stich. Die lange Kolonne zog durch Nebel, der die Sichtweite auf ein Minimum reduzierte. Von Lucterius und den Gabalern unentdeckt, erreichten sie die Cebenna und machten sich unverzüglich an den Aufstieg. Ein leichtes Schneetreiben hatte eingesetzt. Caesar wollte möglichst schnell die Wasserscheide überqueren und dann, solange es die Bodenverhältnisse zuließen, zwischen den Bergen marschieren.
Schon bald lag der Schnee sechs Fuß hoch, doch dafür hatte es aufgehört zu schneien. Jede Zenturie mußte abwechselnd die Spitze der Kolonne übernehmen und den Schnee beiseite räumen. Aus Sicherheitsgründen marschierten die Männer in Viererstatt Achterreihen, während die Maultiere einzeln hintereinander über den verschneiten Boden geführt wurden. Hin und wieder kam es zu Unfällen, etwa wenn sich auf dem Weg plötzlich ein Spalt auftat oder einer der Männer von einem Bergrutsch mitgerissen wurde; da jedoch der tiefe Schnee die Stürze abpolsterte, konnten die meisten gerettet werden, und die Verluste blieben insgesamt gering.
Caesar marschierte die ganze Zeit mit den Legionären und machte auch regelmäßig beim Schneeschippen mit, in erster Linie, um die Männer bei Laune zu halten und sie über das Marschziel und das, was sie dort erwartete, aufzuklären. Seine Anwesenheit wirkte beruhigend. Die meisten Soldaten waren zwar schon über achtzehn, doch was sagt das Alter schon aus über das, was im Kopf oder Herzen eines Mannes vorgeht, jedenfalls litten sie noch immer unter Heimweh. Sie sahen in Caesar zwar keinen Vater, denn selbst in ihren kühnsten Träumen hätten sie sich nicht vorstellen können, einen Vater wie Caesar zu haben, aber er strahlte ein solches Selbstvertrauen aus, ohne dabei arrogant zu sein, daß sie sich in seiner Gegenwart geborgen fühlten.
»Ihr werdet allmählich eine richtig brauchbare Legion«, bescheinigte er ihnen häufig mit breitem Grinsen. »Ich bezweifle, daß die Zehnte viel schneller wäre als ihr, und die steht schon seit neun Jahren im Feld. Dagegen seid ihr noch kleine Kinder! Also gebt die Hoffnung nicht auf, Männer!«
Das Glück blieb ihm weiter treu. Sie wurden nicht durch Schneestürme aufgehalten, begegneten keinen Galliern, und die ganze Zeit hing ein dünner Nebel in der Luft, der sie schützend umhüllte, so daß sie von weiter weg nicht zu sehen waren. Hatte sich Caesar anfangs noch wegen der Arverner gesorgt, deren Gebiet westlich der Wasserscheide begann, so wuchs mit der Zeit seine Überzeugung, daß er Vienna erreichen würde, ohne daß Vercingetorix davon erfahren würde.
Erleichtert machten sich die Legionäre schließlich an den Abstieg und zogen in Vienna ein. Drei Männer waren unterwegs umgekommen, ein paar mehr hatten sich Knochenbrüche zugezogen, und vier in Panik geratene Maultiere waren in den Abgrund gestürzt, doch kein einziger Soldat hatte Erfrierungen erlitten, und alle waren imstande, weiter nach Agedincum zu marschieren.
Die germanischen Ubier waren bereits seit fast vier Monaten in Vienna, Sie waren von ihren remischen Pferden so begeistert, daß sie, wie ihr Anführer in gebrochenem Latein beteuerte, alles tun würden, was Caesar von ihnen verlangte.
»Führe die Fünfzehnte ohne mich nach Agedincum, Decimus«, sagte Caesar und zog sich den stinkenden, alten Mantel über den Kopf. Darunter trug er Reitkleidung. »Ich nehme die Germanen mit an die Icauna, hole dort Fabius und seine beiden Legionen ab und treffe dich dann in Agedincum.«
Neunzigtausend Gallier waren unter Vercingetorix von Carnutum aufgebrochen, um ins Land der Biturigen einzufallen. Sie kamen nur langsam voran, denn Vercingetorix wußte, daß er nicht in der Lage sein würde, Avaricum, die Hauptfestung der Biturigen, erfolgreich zu belagern, und versuchte statt dessen nach Kräften, die Bevölkerung durch Plünderungen und Niederbrennen ihrer Gehöfte und ganzer Dörfer in Angst und Schrecken zu versetzen. Was ihm auch gelang, allerdings erst einige Zeit nachdem die Haeduer wieder abgezogen waren, ohne den Liger zu überqueren. Schon bald begriffen die Biturigen die bittere Wahrheit: Von den Römern, die sicher und wohlbehalten in ihren befestigten Lagern saßen, würde keinerlei Hilfe kommen. Mitte April schickten die Biturigen eine Gesandtschaft zu Vercingetorix und ergaben sich.
»Wir kämpfen für dich bis zum letzten Atemzug«, versprach ihr König Biturgo. »Wir tun alles, was du willst. Wir haben uns stets bemüht, unsere Verträge mit den Römern zu erfüllen, aber sie haben sich nicht an die Abmachungen gehalten und nichts zu unserem Schutz unternommen. Deshalb stehen wir jetzt auf deiner Seite.«
Was für eine Genugtuung! Befriedigt führte Vercingetorix seine Armee an Avaricum vorbei und rückte in Richtung Gorgobina vor, einem ehemaligen oppidum der Arverner, das inzwischen den Boiern gehörte, den helvetischen Eindringlingen.
Noch ehe Vercingetorix Gorgobina erreichte, stieß Litaviccus zu ihm, nachdem er von einem Hügelkamm aus staunend auf das gewaltige Heer herabgeblickt hatte. So viele Menschen! Wie wollten die Römer sie je besiegen? Auch wenn sich die Größe eines römischen Heeres schwer abschätzen ließ, da sich die Kolonne von Soldaten wie eine lange Schlange über eine Meile hinzog, bevor sich am Ende des Zuges noch die Legion mit dem Troß und der Artillerie anschloß, wirkte es weniger bedrohlich und längst nicht so furchteinflößend wie der überwältigende Anblick, der sich Litaviccus bot. Unaufhaltsam rückten hunderttausend schwerbewaffnete gallische Krieger in Kettenhemden auf einer fünf Meilen breiten und hundert Mann tiefen Front vor, gefolgt von einem eher kümmerlichen Troß. Rund zwanzigtausend Krieger waren beritten, aufgeteilt in jeweils zehntausend auf den Seiten. Allen voran ritten die Anführer, an der Spitze Vercingetorix, dahinter die anderen: die beiden Senonen Drappes und Cavarinus, der Carnute Gutruatus und der Mandubier Daderax. Und Cathbad, leicht zu erkennen an seinem schneeweißen Gewand und seinem schneeweißen Pferd. Also handelte es sich um einen religiösen Krieg. Sogar die Druiden bekundeten öffentlich ihre Unterstützung für ein vereinigtes Gallien.
Vercingetorix ritt einen prächtigen Falben, der eine Decke mit dem Karomuster der Arverner trug. Die Hose des Vercingetorix war an den Beinen mit dunkelgrünen Riemen umwickelt, seinen Umhang hatte er über das Kettenhemd gezogen. Obwohl er darauf bestanden hatte, daß seine Männer Helme trugen, war er selbst barhäuptig, und er funkelte am ganzen Leib vor Saphiren und Gold, jeder Zoll ein König.
Biturgo gehörte zwar nicht zu den privilegierten Anführern gleich hinter Vercingetorix, aber er folgte in nicht allzu großer Entfernung an der Spitze seiner Männer. Als er sah, daß Litaviccus näherkam, zog er sein Schwert.
»Verräter!« brüllte er. »Römerschwein!«
Vercingetorix und Drappes ritten mit ihren Pferden zwischen die beiden.
»Steck dein Schwert ein, Biturgo!« herrschte Vercingetorix ihn an.
»Er ist ein Haeduer! Ein elender Verräter! Die Haeduer haben uns verraten!«
»Nicht die Haeduer haben euch verraten, Biturgo, sondern die Römer. Was glaubst du, warum die Haeduer wieder abgezogen sind? Nicht weil sie das wollten, es war ein Befehl von Trebonius.«
Drappes beruhigte den aufgebrachten Biturgo und führte ihn wieder zu seinen Männern zurück. Litaviccus lenkte sein Pferd neben das des Vercingetorix, und Cathbad ritt hinter die beiden.
»Es gibt Neuigkeiten«, sagte Litaviccus.
»Nun?«
»Caesar ist aus dem Nichts mit der Fünfzehnten Legion in Vienna aufgetaucht und von dort gleich wieder Richtung Norden aufgebrochen.«
Der Falbe scheute, und Vercingetorix sah Litaviccus entsetzt an. »In Vienna? Und schon wieder fort? Wieso habe ich davon nichts erfahren? Du hast doch gesagt, ihr hättet Spione von Arausio bis zu den Toren von Matisco!«
»Hatten wir auch«, erwiderte Litaviccus ratlos. »Aber er muß einen anderen Weg genommen haben, Vercingetorix, ich schwöre es!«
»Es gibt keinen anderen Weg.«
»In Vienna wird behauptet, er und die Fünfzehnte seien durch die Cebenna marschiert. Sie sollen den Oltis hinaufgezogen sein, irgendwo die Wasserscheide überquert haben und erst heruntergekommen sein, als sie schon fast auf der Höhe von Vienna waren.«
»Und das im Winter«, sagte Cathbad langsam.
»Er hat vor, sich mit Trebonius und dessen Legionen zu vereinen«, berichtete Litaviccus weiter.
»Wo ist er jetzt?«
»Um ehrlich zu sein, Vercingetorix, ich habe keine Ahnung. Die Fünfzehnte marschiert unter dem Kommando von Decimus Brutus geradewegs nach Agedincum, aber bei ihr ist Caesar nicht. Das ist auch der Grund, weshalb ich gekommen bin. Sollen die Haeduer die Fünfzehnte angreifen? Wir könnten es gerade noch schaffen, bevor sie unser Gebiet verläßt.«
Vercingetorix wirkte plötzlich kleiner. Seine erste Strategie war zum Scheitern verurteilt, und er wußte es. Energisch straffte er die Schultern und holte tief Luft. »Nein, Litaviccus. Du mußt Caesar davon überzeugen, daß ihr auf seiner Seite steht.« Er blickte zum düsteren Winterhimmel auf. »Wohin ist er unterwegs? Wo ist er jetzt?«
»Vielleicht sollten wir nach Agedincum ziehen«, schlug Cathbad vor.
»Von hier aus, kurz vor Gorgobina? Agedincum liegt über hundert Meilen nördlich von hier, Cathbad, und wir sind so viele, daß wir für diese Strecke acht bis zehn Tage brauchten. Caesar ist viel schneller, weil er ein ausgebildetes Heer hat. Seine Männer kennen den Exerzierplatz in-- und auswendig, bevor sie den ersten Feind sehen. Unser Vorteil liegt in unserer Zahl, nicht in unserer Schnelligkeit. Nein, wir ziehen wie geplant nach Gorgobina. Wir werden Caesar zwingen, zu uns zu kommen.« Wieder holte er tief Luft. »Ich schwöre bei Dagda, daß ich ihn schlagen werde! Aber nicht auf einem Schlachtfeld seiner Wahl. Von uns bekommt er kein zweites Aquae Sextiae.«
»Also sollen Convictolavus und Cotus weiterhin so tun, als unterstützten sie Caesar?«
»Auf alle Fälle. Nur sorgt dafür, daß eure Hilfe ihn nicht erreicht.«
Litaviccus wendete sein Pferd und ritt davon. Vercingetorix stieß seinem Falben die Fersen in die Flanken, während Cathbad seinen Schimmel zugehe, um den anderen die von Litaviccus überbrachte Nachricht mitzuteilen. Sein schönes, sanftes Gesicht hatte einen grimmigen Ausdruck angenommen, denn das soeben Gehörte gefiel ihm ganz und gar nicht. Vercingetorix war allerdings viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, um es zu bemerken.
Wo war Caesar? Was hatte er vor? Ausgerechnet auf dem Gebiet der Haeduer hatte Litaviccus ihn aus den Augen verloren. Das Bild Caesars tauchte vor Vercingetorix’ starrem Blick auf, doch gelang es ihm nicht, das Geheimnis hinter dessen kalten Augen zu ergründen, die einen so verunsichern konnten. Ein gutaussehender Mann, der fast wie ein Gallier aussah, von Mund und Nase einmal abgesehen. Gewandt, vornehm und stark. Ein Mann, in dessen Adern das Blut von Königen floß, die geherrscht hatten, als es die Gallier noch gar nicht gab, ein Mann, der — auch wenn er es abstritt — wie ein König dachte, der nicht erwartete, sondern wußte, daß seine Befehle befolgt wurden. Der niemals aus politischen Gründen einen Rückzieher machte, sondern stets alles riskierte. Nur ein anderer König konnte diesen Mann aufhalten. Oh Esus, dachte Vercingetorix, gib mir die Kraft, ihn zu besiegen! Ich bin zwar jung und unerfahren, aber ich führe ein großes Volk, und wenn die letzten Jahre uns etwas gelehrt haben, dann den Haß.