Am nächsten Tag kam Nachricht von Labienus. Ambiorix’ Werben bei den germanischen Sueben hatte allmählich Erfolg, und unter den noch keineswegs unterworfenen Treverern brodelte es.

»Hirtius, übernimm du zusammen mit Trogus die Leitung der Konferenz«, sagte Caesar. Er übergab das Kästchen mit der Feldherrnschärpe Thrasyllus, der für ihn packte. »Meine vier neuen Legionen sind bei den Haeduern eingetroffen und werden zu den Senonen weitermarschieren, die ich das Fürchten lehren will. Ich stoße mit der Zehnten und def Zwölften zu ihnen.«

»Was wird aus Samarobriva?« fragte Hirtius.

»Trebonius bleibt mit der Achten hier, aber ich halte es für klug, die Konferenz an einen Ort zu verlagern, der für unsere abwesenden Freunde, die Carnuten, keine so große Versuchung darstellt. Die Delegierten sollen nach Lutetia im Gebiet der Parisier umziehen. Lutetia liegt auf einer Insel und ist deshalb leicht zu verteidigen. Versucht weiter, die Gallier zur Vernunft zu überreden — und nimm die Fünfte Alauda mit und dazu Silanus und Antistius.«

»Ist das jetzt ein großer Krieg?«

»Hoffentlich noch nicht. Zuerst würde ich in den neuen Legionen gerne noch ein paar Rekrutenkohorten durch meine Veteranen ersetzen.« Caesar grinste. »Man könnte in den Worten des jungen Vercingetorix sagen, daß ich einen gigantischen Bluff vorbereite. Obwohl ich nicht glaube, daß die Gallier das so sehen werden.«

Die Zeit drängte, aber er mußte sich noch von Rhiannon verabschieden. Er fand sie im Wohnzimmer — allerdings nicht allein! Vercingetorix war bei ihr. Göttin Fortuna, du bringst mir immer Glück!

Er blieb unbemerkt an der Tür stehen. Es war die erste Gelegenheit, Vercingetorix aus der Nähe zu beobachten. Sein Rang war erkenntlich an der Zahl der massivgoldenen Arm-- und Halsreifen, die er trug, an dem saphirbesetzten Gürtel und Wehrgehenk und an der Größe des in die Spange seines Umhanges eingelassenen Saphirs. Daß er glattrasiert war, fesselte Caesars Aufmerksamkeit, denn es war unter den Kelten sehr selten. Seine mit Kalk gewaschenen Haare waren fast weiß und zu einer Art Löwenmähne aufgekämmt, sein unbehaartes Gesicht war ausgezehrt und bestand fast nur aus Knochen. Schwarze Brauen und Wimpern — ja, er war anders! Auch sein Körper war ausgemergelt. Ein Mensch mit dünnen Nerven, dachte Caesar und trat ins Zimmer. Und sehr gefährlich.

Rhiannons Augen leuchteten auf und wurden wieder stumpf, als sie sah, daß Caesar reisefertig gekleidet war. »Caesar! Wohin gehst du?«

»Zu meinen neuen Legionen.« Er streckte Vercingetorix, der aufgestanden war, die rechte Hand hin. Vercingetorix war wie die meisten Kelten groß, ungefähr ein Meter achtzig. Seine Augen waren dunkelblau, und er musterte die Hand mißtrauisch.

»Los!« sagte Caesar freundlich. »Du vergiftest dich nicht, wenn du sie anfaßt!«

Veringetorix zog eine lange, schmale Hand aus seinem Umhang. Dann vollzogen die beiden Männer das universale Begrüßungsritual, beide klug genug, kein Kräftemessen daraus zu machen. Fest, kurz, nicht zu lang.

Caesar sah Rhiannon mit erhobenen Augenbrauen an. »Ihr kennt euch?« fragte er, ohne sich zu setzen.

»Vercingetorix ist mein Vetter ersten Grades«, sagte sie atemlos. »Seine und meine Mutter waren Schwestern, Arverner. Habe ich dir das nicht erzählt? Ich wollte es, Caesar. Sie haben beide Könige geheiratet — meine Mutter König Orgetorix und seine Mutter König Celtillus.«

»Ach so«, sagte Caesar kühl. »Celtillus. Ich würde eher sagen, er versuchte, König zu sein, allerdings erfolglos. Haben die Arverner ihn nicht deswegen umgebracht, Vercingetorix?«

»Das stimmt. Du sprichst gut Arvernisch, Caesar.«

»Meine Amme Cardixa war Arvernerin und mein Lehrer Marcus Antonius Gnipho zur Hälfe Salluvier. Und im Haus meiner Mutter wohnten im oberen Stockwerk Haeduer zur Miete. Man könnte sagen, ich bin unter gallisch sprechenden Menschen aufgewachsen.«

»Aber in den ersten beiden Jahren in Gallien hast du die ganze Zeit einen Dolmetscher verwendet. Damit hast du uns schön reingelegt.«

»Sei nicht ungerecht! Ich spreche keine germanischen Sprachen, und im ersten Jahr hatte ich viel mit Ariovistus zu tun. Auch die Sequaner habe ich nicht gut verstanden. Es braucht Zeit, bis man die Sprachen der Belgen versteht, obwohl Druidisch leicht war.«

»Du bist nicht, der du scheinst«, sagte Vercingetorix und setzte sich wieder.

»Wer ist das schon?« Caesar beschloß, sich auch zu setzen. Ein paar Minuten mit Vercingetorix zu sprechen konnte sich lohnen.

»Wahrscheinlich niemand, Caesar. Für wen hältst du mich?«

»Für einen jungen Hitzkopf mit viel Mut und einigem Verstand. Dir fehlt das taktische Geschick. Es war nicht klug, die Älteren in einer wichtigen Versammlung vor den Kopf zu stoßen.«

»Jemand mußte reden! Sonst wären alle nur stumm dagesessen und hätten dir zugehört wie Schüler einem berühmten Druiden. Ich habe bei vielen einen Nerv getroffen.« Vercingetorix klang zufrieden.

Caesar schüttelte langsam den Kopf. »Das hast du«, sagte er, »aber es war nicht weise. Eins meiner Ziele ist, Blutvergießen zu vermeiden — ich habe kein Vergnügen daran, wenn es in Strömen fließt. Du mußt eure Lage bis zum Ende durchdenken, Vercingetorix. Am Ende steht die römische Herrschaft, sei dir darüber im klaren. Warum sich also dagegen sträuben? Du bist ein Mensch, kein unvernünftiges Tier! Du hast die Fähigkeit, Menschen zu führen, dir eine große Gefolgschaft aufzubauen. Aber führe dein Volk weise. Zwinge mich nicht zu Maßnahmen, die ich nicht will.«

»Ich soll mein Volk in die ewige Knechtschaft führen, das ist es doch, was du damit sagen willst, Caesar.«

»Nein, das sage ich nicht. Führe sie zu Frieden und Wohlstand.«

Vercingetorix beugte sich vor, und seine Augen sprühten wie der Saphir seiner Spange. »Ich werde sie führen, Caesar! Aber nicht in die Knechtschaft, sondern in die Freiheit. Zurück zu den alten Sitten, zu den Königen und Helden. Auf euch können wir verzichten! Obwohl einiges von dem, was du gestern gesagt hast, stimmt. Wir Gallier müssen zu einem Volk zusammenwachsen. Ich kann das erreichen, und ich werde es erreichen! Wir werden dich überdauern, Caesar, und dich und alle deine Nachfolger hinauswerfen. Auch was ich gesagt habe, stimmt. Ich sagte, Rom würde dich durch einen Narren ersetzen. So ist es eben in Demokratien, in denen jeder Idiot wählen darf und wo man sich dann wundert, warum Narren gewählt werden. Ein Volk braucht einen König, nicht Anführer, die fortwährend durch andere ersetzt werden. Davon profitiert immer nur eine kleine Gruppe, nie das ganze Volk. Die einzige Lösung ist ein König.«

»Ein König ist nie eine Lösung.«

Vercingetorix lachte, doch es war ein schrilles, erregtes Lachen. »Aber du bist doch selbst ein König, Caesar! Ich sehe das in deinen Bewegungen, deinem Aussehen, der Art, wie du andere behandelst. Du bist ein Alexander der Große, der zufällig von den Wählern an die Macht gebracht worden ist. Nach dir wird alles zusammenbrechen.«

Caesar lächelte freundlich. »Nein, ich bin kein Alexander der Große, ich bin lediglich ein Teil der glorreichen Geschichte Roms, obwohl ein wichtiger Teil, zugegeben; ich hoffe, daß man in Zukunft sagen wird, der wichtigste. Aber doch nur ein Teil. Als Alexander der Große starb, starb mit ihm Macedon. Sein Land ging mit ihm unter. Er schwor seiner griechischen Herkunft ab und verlegte den Mittelpunkt seines Reiches an einen anderen Ort, weil er wie ein König dachte. Sein Land war groß allein durch ihn. Er tat, was er wollte, und ging, wohin er wollte. Er dachte wie ein König, Vercingetorix !Er verwechselte sich mit einer Idee. Um den Bestand seines Reiches zu sichern, hätte er ewig leben müssen.

Während ich meinem Land nur diene. Rom ist größer als jeder Römer. Wenn ich tot bin, wird Rom andere große Männer hervorbringen. Ich werde Rom stärker, reicher und mächtiger machen, aber die, die mir nachfolgen, werden mein Werk fortführen. Unter ihnen halten sich Narren und Weise in etwa die Waage, was man von einem Geschlecht von Königen nicht sagen kann. Denn auf jeden großen König kommen ein Dutzend Nullen.«

Vercingetorix schwieg, lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Ich bin anderer Meinung«, sagte er schließlich.

Caesar stand auf. »Dann laß uns hoffen, Vercingetorix, daß wir nicht auf dem Schlachtfeld entscheiden müssen, wer recht hat. Denn dort wirst du verlieren.« Und eindringlich fügte er hinzu: »Arbeite mit mir zusammen, nicht gegen mich!«

»Nein«, sagte Vercingetorix, die Augen immer noch geschlossen.

Caesar verließ das Zimmer und suchte Aulus Hirtius auf.

»Rhiannon wird immer interessanter«, sagte er zu ihm. »Der junge Heißsporn Vercingetorix ist ihr Vetter ersten Grades. Darin unterscheiden sich die gallischen Adligen nicht von den römischen. Sie sind alle miteinander verwandt. Hab für mich ein Auge auf sie, Hirtius.«

»Heißt das, sie soll mit mir nach Lutetia?«

»Genau das. Wir müssen ihr soviel wie möglich Gelegenheit geben, mit ihrem Vetter Vercingetorix zu verkehren.«

Hirtius’ rundes, sympathisches Gesicht verzog sich, und seine braunen Augen blickten flehend. »Wirklich, Caesar, ich glaube nicht, daß sie dich verraten würde, egal wer ihre Verwandten sind. Sie ist über beide Ohren in dich verliebt.«

»Ich weiß, aber sie ist eine Frau. Sie plappert und macht dumme Sachen wie Servilia einen Brief zu schreiben — wie kann man so etwas Dämliches tun! Sorge während meiner Abwesenheit dafür, daß sie nichts Wichtiges erfährt.«

Wie alle anderen, die von dem Brief wußten, hätte auch Hirtius zu gern gewußt, was Servilia geschrieben hatte, aber Caesar hatte den Brief persönlich geöffnet und ihn mit Quintus Ciceros Ring wieder versiegelt, bevor ihn jemand anders hatte lesen können.

Als Caesar mit sechs Legionen aufmarschierte, fiel der Widerstand der Senonen in sich zusammen, und sie ergaben sich kampflos. Sie stellten Geiseln, baten um Verzeihung und entsandten eilends Delegierte nach Lutetia, wo die anderen Gallier sich zankten und rauften, tranken und Feste feierten. So entsetzt waren sie über das schnelle Auftauchen der vier neuen Legionen, ihr professionelles Auftreten, ihre blitzenden Waffen und die modernen Wurfmaschinen, daß sie auch hysterische Warnungen an die Carnuten schickten. Die Haeduer hatten Caesar um Nachsicht für die Senonen gebeten, die Remer taten jetzt dasselbe für die Carnuten.

»Also gut«, sagte Caesar zu dem Haeduer Cotus und zu dem Remer Dorix, »ich lasse Gnade walten. Was soll ich sonst tun? Niemand hat das Schwert erhoben. Ich würde ja gerne glauben, daß es ihnen ernst mit dem Frieden ist. Aber das kann ich nicht.«

»Sie brauchen Zeit, Caesar«, sagte Dorix eindringlich. »Sie sind wie Kinder, denen man nie etwas verboten hat, und plötzlich haben sie einen Stiefvater, der auf Gehorsam besteht.«

»Kinder, ja, das sind sie.« Caesar sah Dorix mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ich meinte es bildlich«, erwiderte Dorix würdevoll.

»Und jetzt ist keine Zeit für Scherze. Ich verstehe, was du meinst. Aber ob sie es nun ernst meinen oder nicht, meine Freunde, ihr künftiges Wohl hängt davon ab, ob sie die Verträge halten, die sie unterschrieben haben. Das gilt besonders für die Senonen und die Carnuten. Die Treverer sind für mich ein hoffnungsloser Fall, sie müssen mit Gewalt unterworfen werden. Aber die Kelten Zentralgalliens sind gebildet genug, um die Bedeutung von Verträgen und ihren Klauseln zu kennen. Ich würde Leute wie Acco von den Senonen oder Gutruatus von den Carnuten nur ungern hinrichten — aber wenn sie mich verraten, tue ich es, das muß klar sein!«

»Sie werden dich nicht verraten, Caesar«, sagte Cotus beschwichtigend. »Wie du sagst, sie sind Kelten, keine Belgen.«

Caesar hob die Hand, um sich in einer Geste der Verzweiflung und des Überdrusses durch die Haare zu fahren, doch hielt er noch vorher inne und fuhr sich statt dessen mit der Hand übers Gesicht. Nichts durfte die Ordnung der sorgfältig gekämmten, schütteren Haare gefährden. Seufzend lehnte er sich zurück und sah die beiden Gallier an.

»Glaubt ihr, ich weiß nicht, daß jeder Vergeltungsschlag, zu dem sie mich zwingen, in ihren Augen aussieht, als trete Rom ihre Rechte mit Füßen? Ich tue ihnen beinahe jeden Gefallen, und im Gegenzug werde ich hinters Licht geführt, betrogen und mit Verachtung behandelt! Der Vergleich mit Kindern ist keineswegs unpassend, Dorix.« Er holte Luft. »Ich warne euch beide, weil ihr euch für andere Stämme stark macht: Wer die neuen Vereinbarungen nicht einhält, den werde ich hart bestrafen. Es ist Verrat, durch Eid beschworene Verträge zu brechen. Und wenn römische Zivilisten ermordet werden, lasse ich die Schuldigen so hinrichten, wie Rom Verräter und Mörder hinrichtet, die keine römischen Bürger sind — ich lasse sie auspeitschen und köpfen. Und ich spreche nicht von Helfershelfern, sondern von den Stammesführern, egal ob es Verrat oder Mord ist. Ist das klar?«

Seine Stimme war ruhig geblieben, aber es war in dem Zimmer auf einmal sehr kalt geworden. Cotus und Dorix hatten die Köpfe eingezogen und sahen sich an. »Jawohl, Caesar.«

»Dann sorgt dafür, daß alle wissen, was ich gesagt habe, vor allem die Anführer der Senonen und Carnuten.« Er stand auf. »Und jetzt«, sagte er lächelnd, »werde ich meine ganze Kraft und Energie dem Krieg gegen die Treverer und Ambiorix widmen.«

Noch bevor Caesar sein Hauptquartier verließ, wußte er, daß Acco, der Anführer der Senonen, den Vertrag, den er nur wenige Tage zuvor geschlossen hatte, gebrochen hatte. Wie sollte man mit Adligen verfahren, die ein so wenig standesgemäßes Benehmen zeigten? Die andere bei Caesar um Gnade für sich bitten ließen, den neuen Vertrag dann aber sofort brachen, als bedeute er rein gar nichts? Was genau bedeutete einem Gallier Ehre? Warum verbürgten sich die Haeduer für Acco, wenn Cotus doch gewußt haben mußte, daß Acco keine Ehre besaß? Und Gutruatus von den Carnuten? Galt für ihn dasselbe?

Doch zuerst die Belgen. Caesar marschierte mit sieben Legionen und seinem Troß nach Nemetocenna im Gebiet von Commius’ Atrebaten. Dort schickte er den Troß und zwei Legionen zu Labienus an die Mosa. Commius und die anderen fünf Legionen begleiteten ihn entlang des Scaldis ins Gebiet der Menapier, die kampflos in die Salzmarschen an der Küste des germanischen Ozeans flohen. Die Vergeltung erfolgte indirekt, war aber schrecklich. Auf einer breiten Schneise fielen menapische Eichen, und sämtliche Häuser der Menapier gingen in Flammen auf. Das frisch gesäte Getreide wurde aus der Erde gekratzt, Rinder, Schafe und Schweine geschlachtet und Hühner, Gänse und Enten erwürgt. Die Legionäre hatten Essen im Überfluß, die Menapier hungerten.

Schließlich baten sie um Frieden und stellten Geiseln. Caesar ließ König Commius und seine atrebatischen Reiter als Garnison zurück, was mehr oder weniger bedeutete, daß Commius das Land der Menapier zu seinem eigenen Land dazugeschenkt bekam.

Labienus hatte mit anderen Problemen zu kämpfen, aber als Caesar mit seinen fünf Legionen eintraf, hatte er gegen die Treverer einen großen Sieg errungen.

»Ohne die beiden Legionen, die du mir geschickt hast, hätte ich es nicht geschafft«, sagte er aufgeräumt zu Caesar, wohl wissend, daß die Legionen sein eigenes Verdienst nicht schmälerten. »Ambiorix, inzwischen der Anführer der Treverer, war zum Angriff entschlossen, als die beiden Legionen eintrafen. Er zog sich zurück und wartete darauf, daß seine germanischen Verbündeten über den Rhenus kamen.«

»Und taten sie das?«

»Wenn sie es taten, machten sie auf dem Absatz kehrt und kehrten nach Hause zurück. Ich habe natürlich nicht auf sie gewartet.«

»Natürlich nicht«, sagte Caesar mit dem entfernten Anflug eines Lächelns.

»Ich habe sie überlistet. Es erstaunt mich immer wieder, wie sie ständig auf dieselbe List hereinfallen. Ich ließ die Spione der Treverer unter meinen Reitern wissen, ich hätte Angst und würde mich zurückziehen.« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich marschierte also los, und sie griffen wie gewohnt in ungeordneten Haufen an — meine Leute schwenkten herum, schleuderten ihre Speere und griffen dann an. Wir haben Tausende von ihnen getötet, so viele, daß ich bezweifle, ob sie uns je wieder Schwierigkeiten machen werden. Die übrigen Treverer werden im Norden genug damit zu tun haben, die Germanen abzuwehren.«

»Und Ambiorix?«

»Entkam mit einigen engen Verwandten des Indutiomarus über den Rhenus. Jetzt hat bei den Treverern wieder Cingetorix das Sagen.«

»Hmmm«, sagte Caesar nachdenklich. »Vielleicht sollten wir, während die Treverer ihre Wunden lecken, eine zweite Brücke über den Rhenus bauen. Wie wäre es mit einer Reise nach Germanien, Labienus?«

»Nach so vielen Monaten in diesem stinkenden Lager wäre mir sogar eine Reise in den Hades willkommen, Caesar!«

»Der Geruch steigt einem wirklich in die Nase, Titus, aber der Boden ist jetzt so gut gedüngt, daß in den nächsten zehn Jahren das Vierhundertfache an Getreide wachsen müßte. Ich sage Dorix, er soll sich das Gelände schnappen, bevor es die Treverer tun.«

Glücklich wie immer, wenn er vor einer technischen Herausforderung stand, begann Caesar mit dem Bau der Brücke über den Rhenus eine kleine Strecke stromaufwärts der Stelle, an der er ihn zwei Jahre zuvor überbrückt hatte. Die Holzbalken der ersten, wieder abgebrochenen Brücke waren immer noch am gallischen Ufer aufgestapelt, und da es sich um Eichenbalken handelte, waren sie nicht verfault, sondern lediglich gut abgelagert.

Schon die erste Brücke war eine massive Konstruktion gewesen, und die zweite wurde noch massiver, da Caesar sie auf dem Rückweg nicht mehr vollständig abreißen wollte. Acht Tage lang schufteten die Legionäre, trieben Pfähle in das Flußbett, errichteten Träger für die Straße und setzten davor stromaufwärts als Schutz vor der schnellen, mächtigen Strömung gewaltige, spitz zulaufende Strebepfeiler, die das Wasser teilen und die Brücke von dessen Druck entlasten sollten.

»Gibt es eigentlich auch Dinge, die er nicht kann?« Quintus Cicero sah Gaius Trebonius fragend an.

»Nicht daß ich wüßte. Er spannt dir sogar die Frau aus, wenn er will. Aber technische Herausforderungen bedeuten ihm meines Wissens am meisten. Zu seinen großen Enttäuschungen gehört, daß die Gallier ihn bisher noch nicht vor eine Herausforderung gestellt haben, der gegenüber die Belagerung von Numantia aussähe wie eine unterhaltsame Nacht im Bordell. Wenn du ihn zum Reden bringen willst, frage ihn nach Scipio Aemilianus’ Belagerung von Karthago — er wird dir haarklein auseinandersetzen, was Aemilianus falsch gemacht hat.«

»Dabei kommt er richtig in Fahrt«, stimmte Fabius grinsend zu.

»Glaubt ihr, er würde mir Pomponia ausspannen, wenn ich sie schön herrichten und zu ihm bringen lasse?« fragte Quintus Cicero sehnsüchtig.

Trebonius und Fabius brüllten vor Lachen.

Marcus Junius Silanus beäugte sie säuerlich. »Wenn ihr mich fragt«, sagte er, »ist das alles komplette Zeitverschwendung. Wir sollten mit Schiffen rüberfahren. Die Brücke dient nur seinem persönlichen Ruhm.«

Die beiden altgedienten Soldaten sahen ihn verächtlich an. Silanus war einer von denen, die nicht zum Bleiben aufgefordert werden würden.

»Stimmt, wir könnten mit Schiffen rüberfahren«, sagte Trebonius langsam. »Aber dann müßten wir auch wieder mit Schiffen zurückfahren. Aber was ist, wenn plötzlich ein paar Millionen Sueben — oder auch Ubier — aus dem Wald brechen und uns angreifen? Caesar ist nicht so dumm, ein solches Risiko einzugehen, Silanus. Hast du gesehen, wie er die Wurfmaschinen am gallischen Ufer ausgerichtet hat? Wenn wir uns schnell zurückziehen müssen, schießt er die Brücke in Stücke, bevor auch nur ein Germane sie überqueren kann. Eins von Caesars Geheimnissen ist Geschwindigkeit, ein anderes, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.«

Labienus hob den Kopf und schnüffelte, und seine Adlernase leuchtete in der Sonne auf. »Ich rieche sie, diese cunni!« sagte er übermütig. »Es gibt doch nichts Schöneres, als einem Germanen so zuzusetzen, daß er es vorziehen würde, in einem Weidenkäfig zu verbrennen!«

Bevor den anderen eine passende Antwort darauf einfiel, kam Caesar auf sie zu. Er grinste über beide Ohren. »Laßt die Soldaten antreten, Männer! Zeit, die Sueben in ihre Wälder zu jagen.«

»Was soll das heißen, jagen?« wollte Labienus wissen.

Caesar lachte. »Wenn mich mein Gefühl nicht trügt, Titus, läuft es auf genau das hinaus.«

Die Legionen marschierten in Marschordnung in einer acht Mann breiten Kolonne über die große Brücke, und das rhythmische Stampfen ihrer Füße auf den vibrierenden Planken vervielfältigte sich durch das Echo, das vom Wasser zurückkam, zu einem rollenden Trommelwirbel. Daß ihre Ankunft viele Meilen weit zu hören war, wurde klar, als die Legionen am anderen Ufer ankamen. Dort erwarteten sie die Häuptlinge der Ubier, die ohne Krieger gekommen waren.

»Wir waren es nicht!« rief ihr Anführer, der, wie konnte es anders sein, Hermann hieß. »Das schwören wir, Caesar! Die Sueben haben den Treverern Verstärkung geschickt, aber wir nicht! Kein einziger Ubier hat den Fluß überquert, um den Treverern zu helfen, wir schwören es!«

»Beruhige dich, Arminius«, sagte Caesar über seinen Dolmetscher; er redete den erregten Sprecher mit der lateinischen Version seines Namens an. »Wenn das so ist, habt ihr nichts zu befürchten.«

Unter den Ubiern stand auch ein Häuptling, dessen schwarze Kleidung ihn als Mitglied der Cherusker auswies, eines mächtigen Stammes, der zwischen dem Stammesgebiet der Sugambrer und dem Fluß Albis lebte. Caesar Blick kehrte immer wieder fasziniert zu ihm zurück. Weiße Haut, rotgoldene Locken und ein Aussehen, das ganz entschieden an Lucius Cornelius Sulla erinnerte, der, wie Caesar einfiel, für Gaius Marius unter den Germanen spioniert hatte, zusammen mit Quintus Sertorius. Wie alt war dieser Mann? Schwer zu sagen bei den Germanen, deren Haut aufgrund des milden Klimas jung blieb. Er konnte sechzig sein. Ja, durchaus wahrscheinlich.

»Wie heißt du?« ließ er seinen Dolmetscher fragen.

»Cornel«, erwiderte der Cherusker.

»Hast du einen Zwillingsbruder?«

Die hellen Augen, die Caesars eigenen Augen ähnelten, weiteten sich und füllten sich mit Respekt. »Ich hatte einen. Mein Bruder kam in einem Krieg gegen die Sueben ums Leben.«

»Und dein Vater?«

»Ein großer Häuptling, sagte meine Mutter. Er war Kelte.«

»Wie hieß er?«

»Auch Cornel.«

»Und jetzt bist du der Anführer der Cherusker.«

»Das bin ich.«

»Und willst du gegen Rom Krieg führen?«

»Nein, nie.«

Caesar lächelte und wandte sich wieder Hermann zu. »Beruhige dich, Arminius!« wiederholte er. »Ich glaube dir. Versorgt euch mit Proviant, zieht euch hinter eure Wälle zurück und wartet ab. Ich will Ambiorix, nicht Krieg.«

»Die Nachricht davon wanderte den Fluß entlang, während du noch deine Brücke gebaut hast, Caesar. Ambiorix ist zu seinem Volk zurückgekehrt, den Eburonen. Das haben die Sueben lautstark verkündet.«

»Sehr nett von ihnen, aber ich sehe lieber selbst nach.« Caesar lächelte. »Aber da du schon hier bist, Arminius, ich habe dir einen Vorschlag zu machen. Die Ubier sind doch Reiter, die besten Germaniens, wie sie sagen, und viel bessere als sämtliche Belgen. Irre ich mich?«

Hermann straffte sich stolz. »Nein, das ist vollkommen richtig.«

»Und ihr habt Schwierigkeiten, Pferde zu bekommen?«

»Große Schwierigkeiten, Caesar. Einige bekommen wir von der kimbrischen Chersonesos, wo die alten Kimbern gewaltige Rösser gezüchtet haben. Und bei unseren Überfällen auf Belgica geht es uns selten um Land, sondern um italische und spanische Pferde.«

»Dann kann ich dir vielleicht helfen, Arminius«, sagte Caesar liebenswürdig.

»Mir helfen?«

»Ja. Wenn der nächste Winter kommt, schicke vierhundert deiner besten Reiter zu einem Ort namens Vienne in der römischen Provinz Gallia Narbonensis. Sie brauchen nicht gut ausgerüstet zu sein. In Vienne warten achthundert erstklassige remische Pferde auf sie, und wenn sie rechtzeitig da sind, können sie die Tiere auch noch einreiten. Als Geschenk schicke ich dir außerdem weitere tausend remische Pferde, darunter gute Zuchthengste. Die Remer bezahle ich mit meinem eigenen Geld. Interessiert?«

»Ja, sehr!«

»Ausgezeichnet! Wie sprechen noch darüber, bevor ich weiterziehe.«

Caesar ging zu Cornel, der außer Hörweite bei den anderen Häuptlingen und Caesars Aufseher, dem Dolmetscher Gnaeus Pompeius Trogus, gewartet hatte.

»Noch etwas, Cornel«, sagte er. »Hast du Söhne?«

»Dreiundzwanzig, von elf Frauen.«

»Und deine Söhne haben auch wieder Söhne?«

»Die, die alt genug sind, ja.«

»Wie das Sulla gefreut hätte!« sagte Caesar lachend. »Und hast du Töchter?«

»Ich habe sechs am Leben gelassen, die schönsten. Deshalb bin ich hier, denn eine von ihnen soll Hermanns ältesten Sohn heiraten.«

»Du hast recht.« Caesar nickte zustimmend. »Sechs sind für nützliche Heiraten mehr als genug. Du bist ein weitblickender Bursche!« Er wurde wieder ernst. »Bleib hier, Cornel. Auf dem Rückweg nach Gallia Comata werde ich mit den Ubiern Friedensund Freundschaftsverträge schließen. Und es würde einen schon lange toten großen Römer zutiefst befriedigen, wenn ich auch mit den Cheruskern einen solchen Vertrag schließen würde.«

»Wir haben doch schon einen geschlossen, Caesar«, sagte Cornel.

»Wirklich? Wann?«

»Um die Zeit meiner Geburt. Ich besitze ihn noch.«

»Dann habe ich meine Hausaufgaben nicht gemacht. Zweifellos hängt er bei uns im Tempel des Jupiter Feretrius, dort, wo Sulla ihn hat hinnageln lassen. Wenn er nicht beim Brand vernichtet wurde.«

Sullas germanischer Sohn sah ihn ratlos an, aber Caesar gedachte keineswegs, ihn aufzuklären. Statt dessen sah er sich in gespielter Verwirrung um. »Aber ich sehe ja gar keine Sugambrer! Wo sind sie?«

Hermann schluckte. »Sie werden hier sein, wenn du zurückkommst, Caesar.«

Die Sueben hatten sich in den Schutz des Bacenis zurückgezogen, eines weiten, mit Buchen, Eichen und Birken bestandenen Waldgebietes, das schließlich in einen noch größeren Wald überging, das hercynische Waldgebirge, und sich über tausend Meilen bis in das ferne Dakien und zu den Quellen jener sagenhaften Flüsse erstreckte, die in das Schwarze Meer mündeten. Sechzig Tage lang könne man gehen, hieß es, ohne die Mitte des Waldes zu erreichen.

Wo Eiche und Ahorn wuchsen, fehlten auch Schweine nicht, und so war jene undurchdringliche Wildnis von mächtigen Wildschweinen mit gewaltigen Hauern bevölkert. Durch das Dickicht schlichen Wölfe, die in Rudeln jagten und vor nichts zurückschreckten. Auch in den Wäldern Galliens, besonders denen der Arduenna, gab es noch viele Wildschweine und Wölfe, doch um die unerschlossenen Wälder Germaniens rankten sich zahllose Mythen und Sagen. Furchtbare Tiere lebten dort! Gewaltige Elche, die sich, wenn sie schlafen wollten, auf Bäume aufstützen mußten, so schwer waren ihre Geweihe, Auerochsen so groß wie kleine Elefanten und riesige Bären mit Klauen so lang wie menschliche Finger und Zähnen größer als die eines Löwen, Bären, die Menschen überragten, wenn sie aufrecht standen. Als Nahrung dienten ihnen Rehe, wilde Rinder und Schafe, und sie verschmähten auch Menschen nicht. Die Germanen jagten sie wegen ihrer Pelze, die nachts wärmten und teuer gehandelt wurden.

Kein Wunder also, daß die Legionäre erschauerten, als sie vor dem Bacenis standen, und den Göttern Sol Indiges und Tellus reiche Opfer versprachen, wenn sie Caesar vom Betreten des Waldes abhielten. Sie wären ihm zwar gefolgt, aber nur mit Zittern und Zagen.

»Hm, die Germanen sind keine Druiden, deshalb bringt es nichts, ihre Bäume zu fällen«, sagte Caesar zu seinen ebenfalls besorgten Legaten. »Ich will meinen Soldaten diesen schrecklichen Wald auch gar nicht zumuten. Wir haben unsere Zähne gezeigt, und mehr können wir, denke ich, nicht tun. Also zurück nach Gallia Comata.«

Diesmal wurde die Brücke nur auf den letzten zweihundert Metern am germanischen Ufer eingerissen, der Rest blieb stehen. Caesar errichtete ein stark befestigtes Lager mit einem hohen Turm, von dem man tief nach Germanien hineinsehen konnte, und ließ dort die Fünfte Alauda unter dem Befehl von Gaius Volcatius Tullus als Besatzung zurück.

Es war Ende September, von den Jahreszeiten her noch Hochsommer. Die Belgen waren bereits geschlagen, aber noch ein Feldzug war notwendig, um ihren Widerstand dauerhaft zu brechen. Caesar marschierte von der Rhenus-Brücke nach Westen ins Land der bereits vernichteten Eburonen. Die Eburonen waren Ambiorix’ Volk, aber kein König konnte ein Volk regieren, das es gar nicht mehr gab. Die Eburonen würden von der Liste der Druiden verschwinden, eine Aussicht, über die König Commius von den Atrebaten nur frohlocken konnte. Sein Gebiet wuchs dramatisch, und er hatte genug Leute, es zu besiedeln. Der Titel eines Hochkönigs der Belgen war in greifbare Nähe gerückt.

Quintus Cicero hatte weniger Glück. Weil er geschickt mit Soldaten umgehen konnte, hatte Caesar ihm das Kommando der fünfzehnten Legion gegeben, der einzigen, die noch ganz aus Rekruten ohne Kampferfahrung bestand. Die Nachricht vom Untergang der Eburonen war über den Fluß nach Germanien gedrungen, und die Sugambrer hatten daraufhin beschlossen, Caesar ungebeten zu helfen. Sie setzten über den Fluß und trugen auf der anderen Seite ihr Teil zum Elend der Belgen bei. Der Anblick der ungelenk operierenden Rekrutenkolonne war dann eine zu große Herausforderung; die Sugambrer fielen übermütig über die Fünfzehnte her, und die Legionäre gerieten in solche Panik, daß Quintus Cicero und seine Tribunen dagegen machtlos waren.

Zwei Kohorten mußten in dem ausbrechenden Tumult unnötig sterben, dann traf, bevor die Sugambrer noch größeres Unheil anrichten konnten, Caesar mit der Zehnten ein. Freudenschreie mischten sich mit Angstschreien, dann machten die Sugambrer sich davon, während Caesar und Quintus Cicero versuchten, die Ordnung unter den Rekruten wiederherzustellen. Sie brauchten den ganzen Tag dazu.

»Ich habe dich enttäuscht«, sagte Quintus Cicero, Tränen in den Augen.

Caesar schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Deine Leute haben keine Kampferfahrung und sind nervös. Das machen die vielen germanischen Wälder. So was passiert, Quintus. Ich glaube, mir an deiner Stelle wäre es nicht besser ergangen. Schuld sind ihre schlechten Zenturionen, nicht mein Legat.«

»Wenn du sie geführt hättest, hättest du das erkannt und rechtzeitig für Ordnung gesorgt«, sagte Quintus Cicero untröstlich.

Caesar legte ihm den Arm um die Schulter und rüttelte ihn sanft. »Vielleicht«, sagte er, »aber sicher ist das nicht. Wir werden sehen. Du kannst die Zehnte haben. Die Fünfzehnte wird in den nächsten Monaten unter meinem Kommando stehen. Ich muß im Herbst über die Alpen ins italische Gallien, und ich nehme die Fünfzehnte mit. Ich lasse die Männer marschieren, daß ihnen Hören und Sehen vergeht, und exerziere mit ihnen, bis sie funktionieren wie Marionetten, auch die trägen Zenturionen.«

»Heißt das, daß ich wie Silanus meine Koffer packen muß?« fragte Quintus Cicero.

»Ich hoffe aufrichtig, daß du das nicht tust, Quintus! Du bleibst bei mir, bis du selbst gehen willst.« Er zog ihn mit dem Arm an sich und drückte mit der Hand seine Schulter. »Du bist für mich inzwischen der große Bruder des großen Cicero. Er mag mit Worten auf dem Forum glänzen, aber auf dem Schlachtfeld wäre er verloren. Jedem das Seine. Du bist der Cicero, den ich allemal bevorzuge.«

Diese Worte sollten Quintus Cicero über die Jahre begleiten, und sie sorgten für schmerzhafte, bittere Auseinandersetzungen und tiefen Zwist in der Familie Tullius Cicero. Denn Quintus Cicero konnte sie nicht vergessen und es auch nicht über sich bringen, den Mann zu hassen, der sie gesagt hatte. Natürlich, die verwandtschaftlichen Bande gingen vor, aber das Herz konnte einem darüber trotzdem weh tun. Ach, vielleicht hätte er nie unter Caesar dienen sollen! Doch hätte er es nicht getan, der große Cicero hätte jeden seiner Gedanken diktiert, und Quintus wäre nie aus seinem Schatten getreten.

Für Caesar ging ein von Kampflärm erfülltes Jahr zu Ende. Er entließ die Legionen frühzeitig ins Winterlager, zwei unter Labienus in ein neues Lager bei den Treverern, zwei im Gebiet der stets treuen Ligonen am Sequana und sechs um Agedincum, das wichtigste oppidum der Senonen.

Zugleich bereitete er seine Abreise ins italische Gallien vor. Er wollte Rhiannon und seinen Sohn bis zu Rhiannons Villa bei Arausio begleiten und außerdem für den Jungen einen Lehrer finden. Warum interessierte sich der Knabe eigentlich nicht für die Griechen, die zehn lange Jahre am Strand vor Ilium gelegen hatten, für den Streit zwischen Achilles und Hector, den Wahnsinn des Ajax oder den Verrat des Thersites? Hätte er das Rhiannon gefragt, sie hätte womöglich empört geantwortet, Orgetorix sei doch noch nicht einmal vier Jahre alt; aber er fragte sie nicht und verglich den Jungen weiterhin mit dem Kind, das er im selben Alter gewesen war. Er vergaß dabei, daß das Kind eines Genies ein ganz normaler kleiner Junge sein kann.

Ende November berief er eine zweite pangallische Konferenz ein, diesmal in dem remischen oppidum Durocortorum. Der Grund waren diesmal nicht Verhandlungen. Caesar klagte den Anführer der Senonen Acco aufrührerischer Umtriebe an und hatte deshalb einen förmlichen römischen Prozeß angesetzt, allerdings mit nur einem Verhandlungstag, einen Prozeß mit Zeugen, Kreuzverhör der Zeugen, sechsundzwanzig Römern und fünfundzwanzig Galliern als Geschworenen und Anwälten der Anklage und Verteidigung. Er selbst saß dem Gericht vor, rechts neben ihm saß der Haeduer Cotus, der sich für die Senonen verwendet hatte.

Alle Kelten und einige Belgen kamen, obwohl die Remer zahlenmäßig am stärksten vertreten waren und sechs der fünfundzwanzig gallischen Geschworenen stellten. Die Arverner wurden von ihren Vergobreten Gobannitio und Critognatus angeführt, doch gehörte ihrer Delegation auch — natürlich, dachte Caesar mit einem innerlichen Seufzer — Vercingetorix an, der das Gericht sofort mit Vorwürfen überhäufte.

»Wenn das ein gerechter Prozeß sein soll«, wollte er von Caesar wissen, »warum gibt es dann einen römischen Geschworenen mehr?«

Caesar machte die Augen weit auf. »Es gibt immer eine ungerade Anzahl von Geschworenen, um Stimmengleichheit zu vermeiden«, sagte er freundlich. »Die Geschworenen wurden ausgelost, wie du selbst gesehen hast, Vercingetorix. Außerdem müssen für die Zwecke dieses Prozesses alle Geschworenen als Römer gelten — jede Stimme hat das gleiche Gewicht.«

»Wie kann das Gewicht gleich sein, wenn es sechsundzwanzig Römer, aber nur fünfundzwanzig Gallier gibt?«

»Wäre es dir lieber, wenn ich noch einen Gallier in die Reihe der Geschworenen aufnehmen würde?« fragte Caesar geduldig.

»Natürlich!« rief Vercingetorix. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, da er merkte, daß die römischen Legaten sich das Lachen kaum verkneifen konnten.

»Dann mache ich das. Setz dich, Vercingetorix.«

Gobannitio stand auf.

»Ja?« fragte Caesar. Er wußte, daß Gobannitio ihm treu ergeben war.

»Ich muß mich für das Benehmen meines Neffen entschuldigen, Caesar. Es soll nicht wieder vorkommen.«

»Das freut mich, Gobannitio. Können wir jetzt fortfahren?«

Zeugen wurden vernommen und die Anwälte gehört (mit einer zu Caesars Freude wunderbaren Verteidigungsrede für Acco von Quintus Cicero — sollte sich Vercingetorix doch darüber beklagen!). Dann, gegen Ende des Tages, wurde das Urteil gefällt.

Dreiunddreißig Geschworene sprachen Acco schuldig, neunzehn nicht schuldig. Schuldig gesprochen hatten ihn die römischen Geschworenen, sechs Remer und ein Lingone. Neunzehn Gallier dagegen, darunter die drei Haeduer, wollten seine Freilassung.

»Damit steht die Strafe fest«, sagte Caesar unbewegt. »Acco wird ausgepeitscht und geköpft, und zwar sofort. Wer der Hinrichtung zusehen will, mag das tun. Ich hoffe aufrichtig, ihr nehmt euch diese Lektion zu Herzen. Ich werde nicht zulassen, daß noch mehr Verträge gebrochen wenden.«

Da die Verhandlung ausschließlich auf Lateinisch geführt worden war, merkte Acco erst, zu was er verurteilt worden war, als die römischen Wachen ihn in die Mitte nahmen.

»Ich bin ein freier Mensch in einem freien Land!« rief er, straffte sich und ging zwischen den Soldaten aus dem Saal.

Vercingetorix begann zu klatschen, doch Gobannitio schlug ihm hart übers Gesicht.

»Sei still, du Narr!« sagte er. »Ist es jetzt nicht genug?«

Vercingetorix verließ den Saal und ging so weit weg, daß er weder sehen noch hören konnte, was mit Acco geschah.

»Dumnorix soll genau dasselbe gesagt haben, bevor ihn Labienus niederstach«, sagte der Carnute Gutruatus.

»Was?« fragte Vercingetorix. Ihn fröstelte auf einmal, und sein Gesicht war mit kaltem Schweiß bedeckt. »Was?«

»>Ich bin ein freier Mensch in einem freien Land!< Das soll Dumnorix gerufen haben, bevor Labienus ihn niederstach. Und jetzt ist seine Frau die Geliebte Caesars. Das hier ist kein freies Land, und wir sind keine freien Menschen.«

»Das brauchst du mir nicht zu sagen, Gutruatus. Mein eigener Onkel schlägt mir vor Caesar ins Gesicht! Warum tut Caesar das? Sollen wir denn vor Angst zittern und ihn auf Knien um Verzeihung bitten?«

»Caesar will uns damit sagen, daß wir eben keine freien Menschen in einem freien Land sind.«

»Ich schwöre bei Dagda, Taranis und Esus, daß ich mir dafür Caesars Kopf an den Türpfosten hänge!« rief Vercingetorix. »Wie kann er es wagen, uns ein so lächerliches Theater vorzuführen?«

»Er kann es, weil er ein glänzender Feldherr ist, der eine glänzende Armee befehligt!« sagte Gutruatus mit zusammengebissenen Zähnen. »Seit fünf Jahren ist er jetzt bei uns, Vercingetorix, und wir haben nichts gegen ihn ausrichten können! Statt dessen hat er die Belgen unterworfen, und bei den Kelten hat er das nur deshalb noch nicht geschafft, weil wir nicht wie die Belgen gegen ihn Krieg geführt haben. Mit Ausnahme der armen Armoricer — und sieh sie dir an! Die Veneter in die Sklaverei verkauft, die Esubier ausgelöscht.«

Litaviccus und der Haeduer Cotus traten mit grimmigen Gesichtern zu ihnen, gefolgt von Lucterius von den Cadurcern und dem Vergobreten der Lemovicen Sedulius.

»Das ist es ja!« rief Vercingetorix, an alle gewandt. »Seht euch die Belgen an — Caesar hat sie einen Stamm nach dem anderen erledigt. Nie alle zusammen. Ein Feldzug gegen die Eburonen — einen gegen die Moriner — die Nervier — die Bellovacer — die Atuatucer — die Menapier — und sogar die Treverer. Einen Stamm nach dem anderen! Aber was wäre geschehen, wenn Nervier, Bellovacer, Eburonen und Treverer sich zusammengetan hätten und Caesar zusammen angegriffen hätten? Stimmt, er ist ein glänzender Feldherr mit einer glänzenden Armee. Aber Dagda ist er nicht! Er wäre geschlagen worden — und hätte sich von seiner Niederlage nie wieder erholt.«

»Du meinst also«, sagte Lucterius langsam, »wir Kelten müssen uns zusammenschließen.«

»Genau das.«

Cotus machte ein finsteres Gesicht. »Und unter wessen Führung?« wollte er kampflustig wissen. »Glaubst du, die Haeduer zum Beispiel würden unter einem Arverner als Anführer kämpfen, etwa unter dir selber, Vercingetorix?«

»Wenn die Haeduer dem neuen Staat Gallien angehören wollen, ja, Cotus, dann erwarte ich, daß sie unter dem kämpfen, den wir zum Anführer machen.« Die dunkelblauen Augen unter den buschigen, schwarzen Brauen in dem totenkopfähnlichen Gesicht glühten. »Das könnte ich sein, ein Arverner und damit traditioneller Feind der Haeduer. Es könnte aber auch ein Haeduer sein, und dann würde ich von allen Arvernern erwarten, daß sie unter ihm kämpfen, wie ich es selbst auch tun würde. Mach doch die Augen auf, Cotus! Begreifst du denn nicht? Es ist der Zwist unter uns, die alten Fehden, die unseren Untergang besiegeln! Dabei sind wir ihnen doch zahlenmäßig überlegen! Sind sie tapferer? Nein! Sie sind nur besser organisiert, mehr nicht. Sie arbeiten zusammen wie eine große Maschine, greifen wie Rädchen ineinander. Das können wir zwar nicht ändern, denn um das nachzumachen, fehlt uns die Zeit. Aber wenn wir vereint zuschlagen, können wir gar nicht verlieren!«

Lucterius holte tief Luft, dann sagte er plötzlich: »Ich mache mit, Vercingetorix!«

»Ich auch«, sagte Gutruatus. Er lächelte. »Und ich weiß noch jemanden, der mitmacht. Cathbad von den Druiden.«

Vercingetorix sah ihn überrascht an. »Cathbad? Dann sprich sofort mit ihm, wenn du nach Hause kommst, Gutruatus! Wenn Cathbad bereit wäre, die Druiden aller Stämme durch Zureden und Schmeicheln zu gewinnen, wäre die Hälfte unserer Arbeit schon getan.«

Doch Cotus sah immer ängstlicher aus, Litaviccus schien hin und her gerissen und Sedulius vorsichtig.

»Die Worte der Druiden werden nicht ausreichen, die Haeduer zu überzeugen«, sagte Cotus und schluckte. »Wir nehmen unseren Status als Freunde und Verbündete des römischen Volkes sehr ernst.«

Vercingetorix schnaubte verächtlich. »Ha!« rief er. »Dann seid ihr Narren! Es ist noch gar nicht so viele Jahre her, Cotus, daß derselbe Caesar den Germanen Ariovistus, dieses Schwein, mit teuren Geschenken überhäufte und ihm den Titel Freund und Verbündeter des römischen Volkes zuerkannte! Obwohl er wußte, daß Ariovistus die Haeduer überfiel, die ebenfalls Freunde und Verbündete waren, und ihnen ihre Rinder, ihre Schafe, ihre Frauen und ihr Land wegnahm! Lag ihm etwas an den Haeduern? Nein! Er wollte nur Frieden in der Provinz!« Er ballte die Fäuste und reckte sie zum Himmel. »Daran denke ich jedes Mal, wenn er wieder das scheinheilige Versprechen von sich gibt, er würde uns vor den Germanen beschützen. Und wenn die Haeduer noch bei Trost wären, würden sie auch daran denken.«

Litaviccus, der die Augen aufgerissen hatte, nickte. »Also gut, ich mache mit«, sagte er. »Ich kann nicht für Cotus sprechen — er ist älter als ich und überdies nächstes Jahr zusammen mit Convictolavus Vergobret. Aber ich mache mit, Vercingetorix.«

»Ich kann nichts versprechen«, sagte Cotus, »aber ich werde nichts gegen dich unternehmen und auch den Römern nichts sagen.«

»Mehr verlange ich vorerst auch gar nicht, Cotus«, sagte Vercingetorix. »Aber denke darüber nach.« Er lächelte kalt. »Man kann auf ganz verschiedene Weise Widerstand gegen Caesar leisten, nicht nur mit dem Schwert in der Hand. Er vertraut den Haeduern blind. Er erwartet, daß sie sofort angekrochen kommen, wenn er nur mit dem Finger schnackelt — ich brauche mehr Weizen, ich brauche mehr Reiter, ich brauche mehr von allem! Ich verstehe ja, wenn ein alter Mann wie du nicht das Schwert ziehen will, Cotus. Aber wenn du ein freier Mensch in einem freien Land bleiben willst, mußt du überlegen, wie du Gaius Julius Caesar auf andere Weise bekämpfen kannst.«

»Ich mache auch mit«, sagte Sedulius als letzter.

Vercingetorix streckte seine schmale Hand mit der Handfläche nach oben aus; Gutruatus legte seine Hand darauf, ebenfalls mit der Handfläche nach oben, gefolgt von Litaviccus, Sedulius, Lucterius und zuletzt Cotus.

»Für freie Menschen in einem freien Land«, sagte Vercingetorix. »Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagten sie.