II. Das Land der langhaarigen Gallier (Gallia Comata)
Dezember 54 v. Chr. bis November 53 v. Chr.
Wenn wir mit allen acht Legionen in Portus Itius bleiben, geht uns noch vor Jahresende das Getreide aus«, sagte Titus Labienus. »Unsere Kommissare haben nicht viel auftreiben können. Wir haben zwar genügend gepökeltes Schweinefleisch, Speck, Öl, süßen Rübensirup und Dörrobst, aber kaum Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Kichererbsen.«
»Und wir können nicht erwarten, daß die Soldaten ohne Brot kämpfen.« Caesar seufzte. »Das Problem einer Dürre ist, daß sie meist überall zugleich herrscht. Ich bekomme auch in den spanischen Provinzen oder im italischen Gallien kein Getreide oder Erbsen oder Bohnen, weil dort auch nichts wächst.« Er zuckte die Schultern. »Hm, bleibt nur ein Ausweg: die Legionen für den Winter zu verteilen und für eine gute Ernte im nächsten Jahr zu beten.«
»Jammerschade, daß die Flotte teilweise zerstört wurde«, sagte Quintus Titurius Sabinus taktlos. »Ich weiß, wir sind in Britannien vor Hitze fast umgekommen, aber die Ernte war dort gut. Wenn wir alle Schiffe gehabt hätten, hätten wir jede Menge Weizen mitbringen können.«
Die anderen Legaten hielten den Atem an. Die Flotte vor Schaden zu bewahren war Caesars Aufgabe, und auch wenn in diesem Fall Wind, Meer und Gezeiten den Schaden verursacht hatten, war es doch keineswegs ratsam, Äußerungen zu machen, die Caesar als Vorwurf oder Kritik auffassen konnte. Sabinus hatte allerdings Glück, wahrscheinlich weil Caesar ihn von Anfang an für einen Schwätzer gehalten hatte; jetzt strafte Caesar ihn nur mit einem verächtlichen Blick.
»Wir stationieren in jedem Gebiet also nur eine Legion«, fuhr der Feldherr fort.
»Außer bei den Atrebaten«, meldete Commius sich eifrig zu Wort. »Wir sind weniger stark betroffen als die meisten anderen Gegenden. Wir können zwei Legionen ernähren, wenn du uns zu den Soldaten einige zusätzliche Männer schickst, die uns im Frühjahr beim Pflügen und Säen helfen.«
»Wenn«, fiel Sabinus ein, und seine Stimme triefte vor Spott, »wenn ihr freien Gallier es nicht für unter eurer Würde halten würdet, hinter einem Pflug zu stehen, könntet ihr jederzeit mehr Getreide anbauen. Könnte man nicht einige dieser vielen unnützen Druiden damit beschäftigen?«
»Ich habe schon lange kein Mitglied der römischen Oberschicht mehr hinter einem Pflug gesehen, Sabinus«, sagte Caesar ruhig, dann lächelte er Commius an. »Gut! Das heißt, Samarobriva wird diesen Winter unser Hauptquartier. Aber du bekommst nicht Sabinus als Gesellschaft. Sabinus geht... er geht zu den Eburonen — zusammen mit Cotta als gleichberechtigtem Befehlshaber. Er kann sich mit der Dreizehnten in Atuatuca einrichten. Dort muß zwar einiges repariert werden, aber ich bin sicher, Sabinus kann das machen.«
Die Legaten senkten die Köpfe und hielten sich die Hand vor den Mund, um ein Lächeln zu verbergen. Caesar hatte Sabinus soeben in das schlechteste Quartier von ganz Gallien verbannt, und das in Gesellschaft eines Mannes, den Sabinus verabscheute und mit dem er »gleichberechtigt« eine Legion unausgebildeter Rekruten befehligen sollte, die auch noch eine notorische Unglückszahl trug. Zwar war das ein hartes Los für den armen Cotta, aber irgend jemand mußte es mit Sabinus aushalten, und die anderen waren erleichtert, daß Caesars Wahl nicht auf sie gefallen war.
Die Anwesenheit König Commius’ mußte einen Legaten wie Sabinus natürlich kränken. Er konnte nicht begreifen, wie Caesar einen Gallier, mochte er noch so unterwürfig oder vertrauenswürdig sein, zu irgendwelchen Beratungen hinzuziehen konnte, auch wenn diese sich nur um Versorgung und Quartier drehten. Vielleicht wäre Commius bei den Legaten auf mehr Gegenliebe gestoßen, wenn er ein gefälligeres Wesen oder Äußeres gehabt hätte; leider hatte er keins von beiden. Er war für einen belgischen Gallier klein, hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht und ein seltsam verstohlenes Benehmen. Seine rotblonden Haare, die steif waren wie die Borsten eines Besens, weil er sie wie alle gallischen Krieger mit in Wasser gelöstem Kalk wusch, hatte er zu einer Art Pferdeschwanz gebunden, der senkrecht in die Luft stand; ihre Farbe biß sich mit dem leuchtenden Scharlachrot seines grellbunt karierten Umhangs. Für Caesars Legaten gehörte er zu jenen Kriechern, wie sie immer im Dunstkreis der Mächtigen anzutreffen sind. Sie vergaßen darüber allerdings, daß er der König eines sehr mächtigen und kriegerischen belgischen Stammes war. Die Belgen des Nordwestens hatten ihre Könige noch nicht zugunsten jährlich gewählter Vergobreten abgeschafft, doch konnten belgische Könige von jedem Adligen ihres Volkes herausgefordert werden. Sie verdankten ihr Königtum ihrer Stärke, nicht der Geburt. Und Commius war schon sehr lange König der Atrebaten.
»Trebonius«, sagte Caesar, »du überwinterst mit der Zehnten und Zwölften in Samarobriva und nimmst auch den Troß in deine Obhut. Marcus Crassus, du gehst in der Nähe von Samarobriva ins Lager — ungefähr fünfundzwanzig Meilen von der Grenze zwischen Bellovacern und Ambianern entfernt; nimm die Achte mit. Fabius, du bleibst mit der Siebten hier in Portus Itius, und Quintus Cicero, du gehst mit der Neunten zu den Nerviern. Du, Roscius, kannst dir etwas Ruhe gönnen — ich schicke dich mit der Fünften zu den Esubiern, nur damit die Kelten wissen, daß ich sie nicht vergessen habe.«
»Du rechnest also mit Unruhen unter den Belgen«, überlegte Labienus stirnrunzelnd. »Ich stimme dir zu, sie waren verdächtig ruhig. Soll ich wie immer zu den Treverern?«
»Nicht ganz bis Treves. Zu den Treverern, aber mehr in die Nähe der Remer. Nimm die Reiterei und die Elfte.«
»Dann ziehe ich zur Mosa, in die Nähe von Virodunum. Solange der Schnee dort nicht zehn Fuß tief liegt, gibt es genügend Weideland.«
Caesar stand auf, die Besprechung war beendet. Er hatte seine Legaten gleich nach der Landung zusammengerufen, was bedeutete, daß die acht Legionen, die augenblicklich in Portus Itius lagerten, unverzüglich in ihre endgültigen Winterquartiere abrücken sollten. Inzwischen wußten alle Legaten, daß Julia gestorben war. Die Nachricht hatte in vielen Briefen an auf dem Festland zurückgebliebene Soldaten gestanden. Doch niemand verlor ein Wort darüber.
»Du kannst eine ruhige Kugel schieben«, sagte Labienus im Gehen zu Trebonius. Die großen Pferdezähne erschienen. »Sabinus’ Blödheit erstaunt mich! Wenn er den Mund gehalten hätte, hätte er es ruhig haben können. Stell dir den Winter dort vor, unweit der Mündung der Mosa, wo der Wind heult und die Gezeiten sich schon bemerkbar machen, inmitten von steinigen Hügeln, salzigen Marschen und Torfmooren. Und ständig schnüffeln irgendwelche Germanen hinter dir her oder Eburonen oder Nervier.«
»Sie können am Meer Fische und Aale fangen und Vogeleier sammeln«, sagte Trebonius.
»Danke bestens, ich bin mit Süßwasserfischen vollauf zufrieden, und meine Diener können Hühner halten.«
»Caesar ist überzeugt, daß es Unruhen geben wird.«
»Entweder das, oder er braucht eine Entschuldigung dafür, daß er diesen Winter nicht ins italische Gallien zurückkehrt.«
»Wie?«
»Er will nicht all den Römern begegnen, Trebonius! Von Salona bis Ocelum würde man ihm das Beileid aussprechen, und er müßte den ganzen Winter in Panik davor verbringen, daß er zusammenbricht und die Fassung verliert.«
Trebonius blieb stehen und starrte Labienus mit seinen traurigen grauen Augen verblüfft an. »Ich wußte gar nicht, daß du ihn so gut kennst, Labienus.«
»Ich bin bei ihm, seit er in Gallien ist.«
»Aber die Römer finden es nicht unmännlich, wenn jemand weint!«
»Als junger Mann hatte Caesar auch keine Angst vor Tränen.
Aber damals war er nur dem Namen nach ein Caesar.«
»Wie?«
»Jetzt ist das kein Name mehr«, sagte Labienus geduldig, »sondern ein Symbol.«
»Ach so!« Trebonius ging weiter. »Ich vermisse Decimus Brutus!« sagte er plötzlich. »Sabinus ist kein Ersatz.«
»Der kommt schon wieder. Ihr sehnt euch doch alle gelegentlich nach Rom zurück.«
»Außer dir.«
Caesars erster Legat grunzte. »Ich weiß, wo es mir gut geht.«
»Ich auch. Samarobriva! Stell dir vor, Labienus, ich werde in einem richtigen Haus mit Fußbodenheizung und Badewanne wohnen!«
»Weichling«, knurrte Labienus.
Vom Senat war eine umfangreiche Korrespondenz eingegangen. Sie hatte vor allem anderen Vorrang und hielt Caesar drei Tage beschäftigt. Vor dem Holzhaus des Feldherrn vollzog sich der Abmarsch der Legionen in ihre Winterquartiere, doch entstand dabei kaum Unruhe oder Lärm; die Schreibarbeit konnte ungestört abgewickelt werden. Sogar dem trägen Gaius Trebatius wurde dabei heiß, denn Caesar hatte die Gewohnheit, gleich drei Schreibern zugleich zu diktieren. Er ging zwischen den über ihre Wachstafeln gebeugten Männern hin und her, diktierte jedem einige schnell hingeworfene Sätze und ging dann zum nächsten weiter, ohne je Themen und Gedanken durcheinanderzubringen. Es war diese ungeheure Leistungsfähigkeit, die ihm Trebatius’ Herz gewonnen hatte. Wie hätte man einen Mann hassen können, der so viele Dinge zugleich betreiben konnte.
Zuletzt mußte auch die persönliche Post erledigt werden, denn von Rom trafen täglich neue Briefe ein. Von Portus Itius nach Rom waren es achthundert Meilen über Straßen, die sich in Gallia Comata bei Regen oft in Flüsse verwandelten und erst tief im Süden der römischen Provinz in die Via Domitia und die Via Aemilia übergingen. Caesar beschäftigte eine Gruppe von Kurieren, die ständig zu Pferd oder mit dem Schiff zwischen Rom und seinem jeweiligen Aufenthaltsort unterwegs waren; er erwartete von ihnen ein Pensum von mindestens fünfzig Meilen am Tag. Die neuesten Nachrichten aus Rom bekam er also schon rund zwei Wochen später, und er stellte dadurch sicher, daß die räumliche Entfernung seinem Einfluß nicht schadete. Tatsächlich wuchs sein Einfluß mit derselben Geschwindigkeit wie sein stetig zunehmender Reichtum. In Britannien mochte nicht viel zu holen gewesen sein, in Gallien dafür um so mehr.
Caesar hatte einen freigelassenen germanischen Sklaven namens Burgundus, den er von Gaius Marius geerbt hatte, als dieser in Caesars dreizehntem Lebensjahr gestorben war. Es war ein Glücksfall gewesen; Burgundus war zum unverzichtbaren Begleiter des Jünglings und dann Mannes geworden. Bis vor einem Jahr hatte er Caesar noch begleitet, doch dann hatte Caesar ihn nach Rom geschickt, wo er sich um die Ländereien, die Mutter und die Frau seines Herrn kümmerte. Burgundus stammte von den Kimbern ab und kannte die Geschichte seines Volkes, obwohl er noch ein Kind gewesen war, als Marius die Kimbern und Teutonen vernichtet hatte. Burgundus zufolge hatten die beiden Stämme den Stammesschatz bei ihren Verwandten, den Atuatucern, zur Aufbewahrung gegeben, bei denen sie den Winter vor ihrer Invasion in Italia verbracht hatten. Nur sechstausend von insgesamt über einer Dreiviertel Million Männer, Frauen und Kindern hatten Marius’ Gemetzel überlebt, waren ins Land der Atuatucer zurückgekehrt und in diesem Stamm aufgegangen. Und bei den Atuatucern war auch der Schatz der Kimbern und Teutonen geblieben.
In seinem zweiten Jahr in Gallien war Caesar ins Gebiet der Nervier gezogen, die zu Fuß kämpften und entlang der Mosa siedelten, unterhalb der Eburonen, zu denen gegenwärtig ein unglücklicher Sabinus und ein noch unglücklicherer Lucius Aurunculeius Cotta mit der Dreizehnten Legion marschierten. Es war zu jener berühmten Schlacht gekommen, in der die Nervier tot auf dem Schlachtfeld blieben, weil sie nicht als Besiegte weiterleben wollten. Caesar hatte sich allerdings gnädig gezeigt und Frauen, Kinder und Alte in ihre unzerstörten Häuser zurückkehren lassen.
Die unmittelbaren Nachbarn der Nervier stromaufwärts waren die Atuatucer. Obwohl Caesar selbst schwere Verluste erlitten hatte, zog er gleich weiter gegen die Atuatucer, die in ihr oppidum Atuatuca flohen, eine Festung auf einer Anhöhe, von der man das riesige Waldgebirge der Arduenna überblickte. Caesar hatte Atuatuca belagert und erobert, die Atuatucer waren allerdings weniger glimpflich davongekommen als die Nervier. Weil sie ihn angelogen hatten und versucht hatten, ihn zu überlisten, ließ Caesar den ganzen Stamm auf einem Acker neben der geschleiften Festung zusammentreiben, rief die Sklavenhändler, die sich immer in der Nähe des Trosses herumtrieben, und verkaufte den Stamm komplett an den Meistbietenden. Dreiundfünfzigtausend Atuatucer wurden auf einmal versteigert, und eine schier endlose Schlange verstörter, weinender Menschen wurde anschließend durch die Gebiete anderer Stämme zum großen Sklavenmarkt in Massilia getrieben, wo man sie aufteilte, sortierte und erneut verkaufte.
Es war ein kluger Schachzug gewesen. Die anderen Stämme hatten kurz vor der Revolte gestanden, in der festen Annahme, daß die vielen tausend Nervier und Atuatucer die Römer vernichten würden. Doch der lange Zug von Gefangenen belehrte sie eines Besseren, und die Revolte fand nicht statt. Verwirrt überlegten die Gallier, wer diese Römer sein mochten, die mit ihren kleinen, aber hervorragend ausgerüsteten Heeren wie ein Mann agierten, statt sich in ein Delirium hineinzusteigern und als undisziplinierter, schreiender Haufen über den Gegner herzufallen. Die Gallier fürchteten die Römer seit Generationen, aber ohne konkrete Vorstellung von ihnen; vor Caesars Ankunft waren sie eine Art Kinderschreck gewesen.
Im oppidum der Atuatucer waren Caesar die Schätze der Kimbern und Teutonen in die Hände gefallen, eine Unmenge goldener Gegenstände und Barren, Smaragde und Saphire, die diese Stämme bei der Auswanderung aus dem Land der Skythen Jahrhunderte zuvor mitgebracht hatten. Während der Gewinn aus dem Verkauf der Sklaven allein dem Feldberrn zustand, mußte die sonstige Beute zwischen dem römischen Fiskus und der gesamten Armee vom Feldherrn bis hinunter zum einfachen Soldaten auf geteilt werden. Als die Beute in Listen erfaßt und in einem langen, schwerbewachten Wagenzug nach Rom unterwegs war, wo sie bis zum Triumph des Feldherrn aufbewahrt werden würde, wußte Caesar, daß er sich sein Leben lang nicht mehr um Geld sorgen mußte. Der Verkauf der Atuatucer in die Sklaverei hatte ihm einen Reingewinn von zweitausend Talenten eingebracht, und sein Anteil an der Beute würde noch höher sein. Seine Legionäre würden reich sein, seinen Legaten eröffnete das Geld den Weg zum Konsulat.
Und das war nur der Anfang gewesen. Die Römer bauten in Gallien Silber ab und wuschen Gold aus Flüssen aus, die vom Cebenna-Gebirge herabkamen. Sie waren gute Handwerker und wußten auch Stahl geschickt zu bearbeiten; sogar eine beschlagnahmte Ladung eisenbereifter Räder oder Fässer bedeutete Geld. Und jeder Sesterz, den Caesar nach Rom schickte, vermehrte sein öffentliches Ansehen — seine dignitas.
Der Schmerz über den Verlust Julias war freilich ständig gegenwärtig, und Caesar war nicht Crassus. Geld war ihm kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Steigerung seiner dignitas, ein lebloser Artikel, allerdings, wie die Jahre gewaltiger Schulden während seines Aufstiegs in der Ämterlaufbahn ihn gelehrt hatten, im Leben von allergrößter Bedeutung. Und was seine dignitas steigerte, steigerte auch die seiner toten Tochter. Das war ein Trost. Durch seine Bemühungen und durch die Liebe, die Julia in anderen geweckt hatte, würde sie um ihrer selbst willen im Gedächtnis bleiben, nicht nur als Tochter Caesars und Frau Pompeius’ des Großen. Und wenn er einst triumphierend nach Rom zurückkehrte, würde er die Spiele anläßlich ihrer Beerdigung nachholen, die der Senat ihr verweigert hatte. Auch wenn er, wie er den eingeschriebenen Vätern des Senats bei anderer Gelegenheit gedroht hatte, ihnen dazu mit dem Stiefel zwischen die Lenden treten mußte.
Seine persönliche Post war ebenfalls umfangreich. Einige Briefe betrafen vor allem geschäftliche Dinge, wie die seines treuen Anhängers Balbus, des spanischen Bankiers aus Gades, und seines römischen Bankiers Gaius Oppius. Mit seinem Reichtum hatte Caesar auch einen noch gewiefteren Geldmakler an sich binden können, Gaius Rabirius Postumus, der als Finanzminister von König Ptolemaios Auletes in Alexandria Ordnung in das chaotische ägyptische Finanzwesen gebracht hatte und zum Dank dafür vom König und seinen Lakaien nackt und ohne einen Sesterz auf ein Schiff nach Rom gesetzt worden war. Caesar hatte ihm Geld für einen neuen Anfang geliehen und gelobt, daß er das Geld, das Ägypten Rabirius Postumus schuldete, eines Tages einfordern würde — und zwar persönlich.
Auch Cicero hatte geschrieben, wie eine Gluckhenne besorgt um das Wohl seines jüngeren Bruders Quintus. Er zeigte sich auch tief betroffen über Caesars Verlust, denn er war bei aller Eitelkeit und Angeberei im Grunde seines Herzens ein mitfühlender und liebevoller Mensch.
Ah! Eine Rolle von Brutus! Er wurde im nächsten Jahr dreißig und würde als Quästor in den Senat eintreten. Caesar hatte ihm kurz vor seiner Abreise nach Britannien geschrieben und ihn gefragt, ob er nicht als sein persönlicher Quästor zu ihm stoßen wolle. Crassus’ älterer Sohn Publius hatte einige Jahre als Quästor für ihn gedient, und dieses Jahr war dessen jüngerer Bruder Marcus Crassus ihm nachgefolgt. Beides prächtige Burschen, aber die Hauptaufgabe eines Quästors war die Verwaltung der Finanzen; Caesar hatte geglaubt, Söhne eines Crassus müßten buchhalterisches Talent haben, doch hatte er sich geirrt. Als Führer einer Legion waren sie erstklassig, doch konnten sie nicht zwei und zwei zusammenzählen. Wohingegen Brutus ein Plutokrat im Senatorengewand war, ein Genie im Verdienen und Verwalten von Geld. Gegenwärtig erledigte der dicke Trebatius das Rechnen, aber es war strenggenommen nicht seine Aufgabe.
Brutus... Sogar jetzt noch, nach so langer Zeit, verspürte Caesar jedesmal, wenn er an ihn dachte, Gewissensbisse. Brutus hatte Julia innig geliebt, hatte geduldig über zehn Jahre als ihr Verlobter darauf gewartet, daß sie das heiratsfähige Alter erreichen würde. Doch dann war Caesar ein Geschenk der Götter in den Schoß gefallen: Julia hatte sich über beide Ohren in Pompeius verliebt und Pompeius in sie, was bedeutete, daß Caesar Pompeius mit der zartesten aller Fesseln, seiner Tochter, an sich binden konnte. Also hatte er die Verlobung mit Brutus (damals mit seinem Adoptivnamen Servilius Caepio genannt) abgebrochen und Julia mit Pompeius verheiratet. Keine leichte Situation, von dem völlig gebrochenen Brutus ganz zu schweigen. Brutus’ Mutter Servilia war seit Jahren Caesars Geliebte. Sie mit der Kränkung zu versöhnen, hatte Caesar eine Perle im Wert von sechs Millionen Sesterzen gekostet.
Ich danke Dir für Dein Angebot, Caesar. Es ist sehr freundlich von Dir, an mich zu denken und Dich zu erinnern, daß ich dieses Jahr zur Wahl als Quästor anstehe. Leider habe ich meine Quästur noch nicht ganz sicher, da die Wahlen noch nicht durchgeführt wurden. Wir hoffen, noch im Dezember mehr zu wissen, denn es heißt, daß die Tributkomitien in diesem Monat ganz bestimmt Quästoren und Soldatentribunen wählen werden. Daß die Wahlen für die höheren Magistraten stattfinden werden, bezweifle ich dagegen. Memmius weigert sich, als Kandidat für das Konsulat zurückzutreten, und Onkel Cato hat geschworen, daß er die kurulischen Wahlen blockiert, bis Memmius zurücktritt. Übrigens, schenke den unflätigen Gerüchten über Onkel Catos Scheidung von Marcia bitte keine Beachtung. Onkel Cato läßt sich nicht kaufen!
Ich gehe nächstes Jahr als persönlicher Quästor des neuen Statthalters von Kilikien Appius Claudius Pulcher nach Kilikien. Er ist jetzt mein Schwiegervater Vor einem Monat habe ich seine älteste Tochter Claudia geheiratet, ein sehr nettes Mädchen.
Noch einmal vielen Dank für Dein freundliches Angebot. Meiner Mutter geht es gut. Soviel ich weiß, schreibt sie Dir selbst.
Donnerwetter! Caesar ließ die Rolle sinken und zwinkerte heftig, nicht weil er weinen mußte, sondern vor Überraschung.
Sechs lange Jahre hat Brutus nicht geheiratet. Dann stirbt meine Tochter, und bereits wenige Wochen später ist er verheiratet. Offenbar hat er weiter gehofft und gewartet, überzeugt, daß Julia den alten Mann, für den nichts sprach außer seinem Soldatenruhm und seinem Geld, eines Tages leid sein würde. Keine vornehme Geburt, keine nennenswerten Vorfahren. Wie lange hätte Brutus noch gewartet? Doch Julia hatte mit Pompeius die Liebe ihres Lebens gefunden, und auch er wurde ihrer nicht überdrüssig. Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht, daß ich Brutus so verletzt habe, obwohl ich erst danach merkte, was Julia ihm bedeutete. Doch ich mußte es tun, egal wen ich damit kränkte und wie sehr. Fortuna gab mir eine Tochter, deren Schönheit und sprühendes Leben ausgerechnet den Mann bezauberten, den ich unbedingt als Bundesgenossen brauchte. Aber wie kann ich Pompeius Magnus jetzt halten?
Servilia hatte wie Brutus nur einmal geschrieben und nur kurz, während Cicero im selben Zeitraum vierzehn episch lange Briefe geschickt hatte. Doch empfand er ein merkwürdiges Gefühl, als er das Papier berührte, das sie berührt hatte. Als ob es mit einem Gift getränkt wäre, das durch die Fingerspitzen aufgenommen wurde. Er schloß die Augen und versuchte sie sich vorzustellen, wie sie aussah und wie sie sich anfühlte, jene kluge Frau mit ihrer zerstörerischen Leidenschaft. Was würde er empfinden, wenn er sie wiedersah? Fast fünf Jahre. Sie würde jetzt, da er sechsundvierzig war, fünfzig sein, aber wahrscheinlich immer noch sehr attraktiv. Sie pflegte sich, ihr Haar war so unergründlich dunkel wie ihr Herz. Nicht er, Caesar, war für die katastrophale Entwicklung des Brutus verantwortlich, sondern ganz allein dessen Mutter.
Wahrscheinlich hast du Brutus’ Ablehnung schon gelesen. Alles immer genau der Reihe nach, das ist typisch für dich, deshalb liest du die Briefe der Männer zuerst. Wenigstens habe ich eine patrizische Schwiegertochter, obwohl es nicht leicht ist, das Haus mit einer anderen Frau zu teilen, die nicht meine leibliche Tochter ist und deshalb auch an meine Autorität und meine Art, die Dinge zu tun, nicht gewöhnt ist. Zum Glück für den häuslichen Frieden ist Claudia eine Maus. Ich glaube nicht, daß Julia bei all ihrer Zartheit eine gewesen wäre. Schade, daß sie nicht Deine Kraft und Härte hatte, denn natürlich mußte sie deshalb sterben.
Brutus hat Claudia nur aus einem einzigen Grund geheiratet. Der Emporkömmling aus Picenum, Pompeius Magnus, verhandelte mit Appius Claudius, um das Mädchen für seinen eigenen Sohn Gnaeus zu bekommen. Gnaeus ist ja zur Hälfte ein Mucius Scaevola, doch zeigt sich das weder an seinem Gesicht noch in seinem Wesen. Er ist ein Pompeius Magnus ohne dessen Verstand. Reißt wahrscheinlich Mücken die Flügel aus. Es reizte Brutus, dem Mann eine Braut wegzuschnappen, der ihm die Braut weggeschnappt hatte. Und das tat er auch, denn Appius Claudius ist nicht Caesar. Ein protziger Konsul und nächstes Jahr zweifellos ein besonders korrupter Statthalter des armen Kilikien. Er wog das Vermögen und die makellosen Vorfahren meines Brutus gegen Pompeius’ Einfluß ab und den Umstand, daß Pompeius jüngerer Sohn Sextus es wahrscheinlich weiter bringen wird als sein Bruder, und die Waage neigte sich zugunsten meines Brutus. Worauf Pompeius Magnus einen seiner berühmten Wutanfälle bekam. Wie ist Julia bloß damit zurechtgekommen? Sein Gezeter und Geschrei war in ganz Rom zu hören. Dann tat Appius etwas sehr Kluges. Er bot Pompeius Magnus seine nächste Tochter Claudilla für Gnaeus an. Sie ist noch keine siebzehn, aber Pompeius’ Familie hatte ja noch nie Skrupel, sich an Kindern zu vergreifen. Ende gut, alles gut. Appius bekam zwei Schwiegersöhne, die so viel wert sind wie der ganze Staatsschatz, zwei schrecklich naive und farblose Mädchen bekamen zwei prominente Ehemänner, und Brutus gewann seine kleine Privatfehde gegen den Ersten Mann von Rom.
Jetzt will er mit seinem Schwiegervater nach Kilikien, noch in diesem Jahr, wie sie hoffen, obwohl der Senat sich dagegen sperrt, Appius Claudius frühzeitig in seine Provinz ziehen zu lassen. Appius Claudius teilte den eingeschriebenen Vätern daraufhin mit, daß er auf jeden Fall gehen würde, notfalls auch ohne lex curiata. Die endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen, doch mein schrecklicher Halbbruder Cato jammert von Sonderprivilegien, die Patriziern gewährt würden. Du hast mir keinen Gefallen getan, Caesar, als Du meinem Sohn Julia weggenommen hast. Seitdem sieht es so aus, als seien er und Onkel Cato die dicksten Freunde. Die Schadenfreude Catos mir gegenüber, weil mein Sohn dieser Tage mehr auf ihn hört als auf mich, ist kaum zu ertragen.
Cato ist ein solcher Heuchler. Redet immer von der Republik und dem mos maiorum und der Degeneration der herrschenden Klasse und findet zugleich immer einen Grund, warum das, was er will, richtig ist. Ich glaube, das Schönste an einer Lebensphilosophie ist, daß sie den, der sie hat, in die Lage versetzt, für sein eigenes Benehmen in jeder Situation mildernde Umstände zu finden. Sieh Dir doch seine Scheidung von Marcia an. Es heißt, jeder Mann habe seinen Preis. Ich glaube das. Ich glaube auch, daß der alte Narr Hortensius Catos Preis ausspuckte. Und Philippus — na ja, der ist Epikureer, und der Preis endloser Vergnügungen ist hoch.
Da ich schon von Philippus rede: Ich war vor ein paar Tagen bei ihm zum Essen. Was für ein Glück, daß deine Nichte Atia moralisch so gefestigt ist. Ihr Stiefsohn, der junge Philippus — ein sehr attraktiver und vermögender Bursche —, starrte sie das ganze Essen über an wie ein Stier die Kuh auf der anderen Seite des Zaunes. Sie merkte es natürlich, tat aber, als merke sie es nicht. Sie wird den jungen Mann nicht ermutigen. Ich hoffe nur, daß der alte Philippus nichts merkt. Sonst geht das gemütliche Nest, das Atia sich eingerichtet hat, in Flammen auf. Nach dem Essen präsentierte sie mir ihren Sohn Gaius Octavius, dem ihre ganze Liebe gilt. Er muß Dein Großneffe sein, genau neun Jahre alt — es war sein Geburtstag. Ein erstaunliches Kind, zugegeben. Wenn mein Brutus so ausgesehen hätte, hätte Julia nie eingewilligt, Pompeius Magnus zu heiraten! Die Schönheit des Jungen verschlug mir den Atem. Und jeder Zoll ein Julier! Wenn Du sagen würdest, er wäre Dein Sohn, würden es alle glauben. Nicht daß er Dir vom Gesicht her wirklich ähnlich sieht, aber er hat etwas — ich weiß wirklich nicht, wie ich es beschreiben soll. Er hat etwas von Dir, aber mehr innerlich als äußerlich. Zu meiner Freude ist allerdings auch der kleine Gaius Octavius nicht vollkommen. Er hat abstehende Ohren. Ich sagte Atia, sie solle ihm die Haare nicht zu kurz schneiden.
Das ist alles. Ich kondoliere Dir nicht zum Tod Julias. Man kann mit minderwertigen Männern keine guten Kinder zeugen. Zwei Versuche, keiner erfolgreich, und der zweite kostete sie das Leben. Du hast sie dem Tölpel aus Picenum gegeben statt einem Mann, der ihr von Geburt ebenbürtig war. Die Folgen hast Du Dir selbst zuzuschreiben.
Vielleicht war Caesar über die Jahre immun gegen Servilias Gift geworden. Er legte ihren Brief hin, stand auf und wusch sich die Hände, mehr nicht.
Ich glaube, ich hasse sie noch mehr als ihren entsetzlichen Halbbruder Cato. Sie ist die skrupelloseste, grausamste und bitterste Frau, die ich kenne. Doch wenn ich ihr morgen begegnen würde, würde unsere Affäre wahrscheinlich weitergehen. Julia nannte sie eine Schlange, das weiß ich noch gut. Eine zutreffende Beschreibung. Ihr jämmerlicher Waschlappen von Sohn ist jetzt ein jämmerlicher Waschlappen von Mann. Das Gesicht von eiternden Pickeln entstellt, die Seele von einer einzigen großen Eiterbeule namens Servilia. Brutus hat die Quästur bei mir nicht aufgrund von Prinzipien oder wegen Julia oder Onkel Cato abgelehnt; dazu ist ihm Geld viel zu wichtig, und meine Legaten verdienen davon eine Menge. Nein, er lehnte ab, weil er nicht in eine von Kriegen zerrissene Provinz will. Er könnte plötzlich kämpfen müssen. In Kilikien herrscht dagegen Frieden. Dort kann er ungestört seinen illegalen Geschäften als Geldverleiher nachgehen; der nächste Speer oder Pfeil fliegt erst am Euphrat.
Noch zwei Briefe, dann würde er für heute Schluß machen und seinen Dienern befehlen, zu packen. Es war Zeit, nach Samarobriva umzuziehen.
Faß Mut und bringe es hinter dich, Caesar! Lies den Brief von deiner Frau und den von deiner Mutter. Sie werden dir mit ihren liebevollen Worten viel mehr weh tun, als Servilia es mit ihrer scharfen Zunge je könnte.
Also setzte er sich in der Stille seines privaten Zimmers, in dem niemand ihm zusah, wieder hin, legte den Brief seiner Mutter auf den Tisch und öffnete den von seiner Frau Calpurnia, die er kaum kannte. Er hatte in Rom nur wenige Monate mit dem unreifen, sehr schüchternen Mädchen verbracht, dem das orangefarbene Kätzchen, das er ihr geschenkt hatte, genausoviel bedeutete wie Servilia die sechs Millionen Sesterzen teure Perle.
Caesar, alle sagen, es sei meine Aufgabe, Dir zu schreiben und die Nachricht mitzuteilen. Ach, wäre es doch nicht so. Ich habe weder die Weisheit noch das Alter, zu wissen, wie man so etwas am besten anfängt, deshalb verzeih mir bitte, wenn ich Dir in meiner Unwissenheit alles noch schwerer erträglich mache, als es, wie ich weiß, sowieso schon ist.
Julias Tod brach Deiner Mutter das Herz. Aurelia war so sehr Julias Mutter; sie zog sie groß, und sie freute sich so sehr über ihre Hochzeit, ihr Glück und ihr schönes Leben.
Wir führen hier in der Domus Publica ein sehr behütetes Leben, wie es sich für das Haus der vestalischen Jungfrauen ziemt. Obwohl wir mitten auf dem Forum wohnen, berührt uns das Leben draußen mit all seinen Aufregungen nur am Rand. Es war mir und Aurelia immer recht so; wir lebten in einer friedlichen Enklave von Frauen, ohne Skandale, Verdächtigungen und Anschuldigungen. Aber Julia, die uns oft besuchte, wenn sie in Rom war, brachte immer einen Hauch der weiten Welt mit, Tratsch, Lachen und Scherze.
Als sie starb, brach Deiner Mutter das Herz. Ich stand an Julias Bett und erlebte, wie stark Aurelia war, Pompeius zuliebe und Julia. Sie war so freundlich, so vernünftig in allem, was sie sagte. Lächelte, wenn sie das Gefühl hatte, daß es richtig war, hielt Julias Hand, während Pompeius die andere hielt. Sie war es, die die Ärzte wegschickte, als sie erkannte, daß nichts und niemand Julia retten konnte. Sie war es, die dafür sorgte, daß wir die verbleibenden Stunden in Ruhe und unter uns verbringen konnten. Und als Julia von uns gegangen war, trat sie ihren Platz an Pompeius ab, ließ ihn mit Julia allein. Sie schob mich aus dem Zimmer und brachte mich nach Hause, zur Domus Publica.
Es ist kein langer Weg, wie Du weißt. Sie sagte kein Wort. Dann, als wir die Tür hinter uns zugemacht hatten, stieß sie einen furchtbaren Schrei aus und begann zu heulen. Ich könnte nicht sagen, sie weinte. Sie heulte auf den Knien, Bäche von Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie schlug sich an die Brust und raufte sich die Haare. Heulte. Kratzte sich blutige Striemen ins Gesicht und in den Hals. Die erwachsenen Vestalinnen eilten herbei, und wir weinten alle; wir versuchten Aurelia aufzurichten und sie zu beruhigen, ohne selbst mit Weinen aufhören zu können. Ich glaube, zuletzt knieten wir alle neben ihr auf dem Boden, legten die Arme um sie und um uns und verharrten so den größten Teil der Nacht, während Aurelia in der schrecklichsten Verzweiflung schrie und schluchzte.
Dann war es vorbei. Am Morgen konnte sie sich ankleiden und zu Pompeius’ Haus zurückkehren, um ihm bei den Dingen zu helfen, die jetzt erledigt werden mußten. Und dann starb das arme kleine Baby, aber Pompeius weigerte sich, es zu sehen und zu küssen, und so war es wieder Aurelia, die das Begräbnis des Kindes vorbereitete. Es wurde noch am selben Tag begraben, und sie und ich und die erwachsenen Vestalinnen waren die einzigen Trauergäste. Es hatte keinen Namen, und keiner von uns wußte, wie das dritte praenomen dieses Zweiges der Familie Pompeius lautet. Wir kannten nur Gnaeus und Sextus, die beide schon besetzt waren. Also nannten wir ihn Quintus, was für uns richtig klang. Auf seinem Grab wird deshalb Quintus Pompeius Magnus stehen. Vorläufig bewahre ich die Asche auf. Mein Vater kümmert sich um das Grab, da Pompeius es nicht tut.
Über Julias Beerdigung brauche ich nichts zu sagen, ich weiß, daß Pompeius Dir davon geschrieben hat.
Doch das Herz Deiner Mutter war gebrochen. Sie war wie abwesend, ließ sich treiben — Du weißt, wie lebhaft und energisch sie war, aber jetzt trieb sie einfach dahin. Es war schrecklich! Sobald sie jemand von uns sah — egal ob das Mädchen für die Wäsche, Eutychus, Burgundus, Cardixa, eine Vestalin oder mich —, blieb sie stehen und rief: »Warum nicht ich? Warum mußte es sie treffen? Ich bin doch niemandem mehr nütze! Warum nicht ich?« Und was konnten wir darauf antworten? Wie hätten wir nicht weinen sollen? Dann schluchzte sie wieder auf und fragte wieder: »Warum nicht ich?«
Das ging so zwei Monate lang, aber nur in unserer Gegenwart. Wenn Leute uns besuchten, um zu kondolieren, riß sie sich zusammen und benahm sich, wie die Besucher es von ihr erwarteten. Ihr Aussehen erschreckte freilich alle.
Dann ging sie in ihr Zimmer, setzte sich auf den Boden und schaukelte summend hin und her. Gelegentlich schrie sie auf, und dann begann wieder das Geheul. Wir mußten sie waschen und ihr die Kleider wechseln, und wir versuchten mit allen Mitteln, sie zu überreden, ins Bett zu gehen, aber sie wollte nicht. Sie wollte auch nichts essen. Burgundus hielt ihr die Nase zu, während Cardixa ihr durch den Mund Wein mit Wasser verdünnt einflößte, aber wir hatten das Gefühl, daß wir damit zu weit gingen. Schon der bloße Gedanke, sie festzuhalten und zwangsweise zu ernähren, war uns allen zuwider. Wir berieten, Burgundus, Cardixa, Eutychus und die Vestalinnen, und beschlossen, daß es nicht in Deinem Sinne wäre, sie mit Gewalt zu ernähren. Wenn das falsch war, so bitten wir Dich, verzeih uns. Wir haben es mit den besten Absichten getan.
Heute morgen starb sie. Sie starb leicht und ohne Schmerzen. Die oberste Vestalin Popillia sagt, es sei eine Erlösung gewesen. Aurelia hatte seit Tagen nicht mehr verständlich mit uns kommuniziert, aber kurz vor ihrem Tod kam sie noch einmal zu sich und sprach klar, zumeist über Julia. Sie bat uns alle — auch die erwachsenen Vestalinnen waren anwesend —, für Julia der Magna Mater, der Juno Sospita und der Bona Dea zu opfern. Vor allem die Bona Dea schien ihr furchtbar wichtig, sie nahm uns das Versprechen ab, daß wir an sie denken würden. Ich mußte schwören, daß ich der Bona Dea das ganze Jahr über Schlangeneier und Milch darbringen würde, Jahr für Jahr. Aurelia schien zu fürchten, daß sonst Dir etwas Schreckliches passieren könnte. Von Dir sprach sie erst kurz vor ihrem Tod. Die letzten Worte, die sie sprach, waren: »Sagt Caesar, sein Ruhm wird um so heller strahlen.« Dann schloß sie die Augen und hörte auf zu atmen.
Weiter gibt es nichts zu berichten. Mein Vater richtet das Begräbnis aus, und er schreibt Dir natürlich auch, aber er wollte unbedingt, daß ich Dir zuerst schreibe. Es tut mir so leid. Ich vermisse Aurelia mit jedem Schlag meines Herzens.
Bitte paß gut auf Dich auf, Caesar. Ich weiß, was für ein Schlag ihr Tod für Dich ist, so kurz nach dem Julias. Ich wünschte, ich könnte verstehen, warum so etwas passiert, aber ich verstehe es nicht. Doch weiß ich, was Aurelia mit ihren letzten Worten an Dich meinte. Die Götter quälen den, den sie am meisten lieben. Dein Ruhm wird um so heller strahlen.
Auch auf diese Nachricht kamen keine Tränen.
Vielleicht wußte ich, daß es so enden mußte. Daß Mutter ohne Julia weiterlebt? Unmöglich. Warum müssen Frauen so unerträgliche Schmerzen leiden? Sie lenken nicht die Geschicke der Welt, sie tragen keine Schuld. Warum müssen sie dann so leiden?
Sie leben so abgeschlossen, so auf den Herd konzentriert, auf ihre Kinder, das Haus und ihre Männer, in dieser Reihenfolge. Es liegt in ihrer Natur. Und nichts ist für sie grausamer, als ihre Kinder zu überleben. Aber dieser Teil meines Lebens ist für immer abgeschlossen, und ich werde nicht mehr daran rühren. Ich habe niemanden mehr, der mich liebt wie eine Frau ihren Sohn oder ihren Vater, und meine kleine Frau ist eine Fremde, die ihre Katzen mehr liebt als mich. Und warum auch nicht? Die Katzen leisten ihr Gesellschaft, geben ihr so etwas wie Liebe, während ich nie da bin. Ich verstehe nichts von Liebe, außer daß sie verdient werden muß. Und obwohl ich jetzt ganz leer bin, spüre ich, wie in mir Kraft wächst. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ihr Tod hat mich befreit. Ich werde tun, was ich tun muß. Es ist niemand mehr da, der mir das verbieten könnte.
Caesar sammelte die drei Rollen von Servilia, Calpurnia und Aurelia ein.
Die vielen mit Sack und Pack abziehenden Soldaten draußen ließen jede Menge Abfälle zurück, die in zahlreichen Feuern verbrannt wurden. Caesar war froh darüber. Das letzte Mal hatte er die glühende Kohle, die er brauchte, durch Zufall gefunden, denn bei warmem Wetter waren Feuer selten. Natürlich gab es die ewige Flamme, aber sie gehörte Vesta, und sie für gewöhnliche Zwecke zu benutzen, erforderte vorbereitende Rituale und Gebete. Caesar aber wollte jenes Mysterium als Pontifex Maximus nicht entweihen.
Aber er hatte ja, wie bei Pompeius’ Brief, Feuer zur Hand. Er warf den Brief Servilias hinein und sah ihn mit boshafter Freude verbrennen. Dann folgte, mit unbewegtem Gesicht, der Brief Calpurnias. Als letzter kam der Brief Aurelias an die Reihe, ungeöffnet, doch ohne zu zögern. Was immer sie gesagt hatte, wann immer sie ihm geschrieben hatte, es war nicht mehr wichtig. Ascheflocken tanzten durch die Luft, als Caesar sein Haupt mit den Falten seiner purpurgeränderten Toga verhüllte und die reinigenden Worte sprach.
Von Portus Itius nach Samarobriva waren es achtzig Meilen leichten Marsches, am ersten Tag auf einer ausgefahrenen Wagenspur durch einen großen Eichenwald, am zweiten durch weite, frisch umgegrabene Felder und saftige Weiden, auf denen die geschorenen Schafe und zotteligen Rinder der Gallier weideten. Trebonius war mit der Zwölften bereits einige Zeit zuvor aufgebrochen, Caesar ging als letzter. In Portus Itius blieb Fabius mit der Siebten zurück; er hatte die Verteidigungsanlagen des ursprünglichen, für acht Legionen erbauten Lagers bereits eingerissen und an ihrer Stelle ein kleineres Lager errichtet, das bequem von einer Legion gehalten werden konnte. Caesar hatte sich von der Verteidigungsbereitschaft des Außenpostens überzeugt und war dann mit der Zehnten nach Samarobriva aufgebrochen.
Die Zehnte war seine Lieblingslegion, mit der er am liebsten arbeitete, und sie war trotz ihrer relativ hohen Zahl die erste römische Legion im Gallien jenseits der Alpen gewesen. Als er damals im März vor fast fünf Jahren von Rom nach Gallien geeilt war — siebenhundert Meilen hatte er in acht Tagen zurückgelegt, auf einem Ziegenpfad die Alpen durchquert —, hatte er in Genava bei Pomptinus die Zehnte vorgefunden. Als später noch die Fünfte Alauda und die Siebte eingetroffen waren, die unter Labienus den längeren Weg genommen hatten, hatte er mit der Zehnten schon Bekanntschaft geschlossen, allerdings, typisch für ihn, nicht in der Schlacht. Ein beliebter Witz der Legionäre über Caesar war, daß man unter ihm für jede Schlacht zuerst zehntausend Wagenladungen Erde und Felsen bewegen mußte. Das war auch in Genava so gewesen. Dort hatte die Zehnte, später mit Hilfe der Fünften Alauda und der Siebten, einen sechzehn Fuß hohen und neunzehn Meilen langen Wall errichtet, um die aus ihrem Land auswandernden Helvetier am Betreten der Provinz Gallia Narbonensis zu hindern. Schlachten, so hieß es in der Armee, waren Caesars Belohnung für das viele Schaufeln, Bauen und Bäumefällen. Und keine Legion hatte davon mehr geleistet als die Zehnte, noch in den Schlachten tapferer und besonnener gekämpft. Viele Schlachten waren es allerdings nicht gewesen; Caesar kämpfte nur, wenn er mußte.
Marschlieder singend und im Gleichschritt marschierend zog die lange Kolonne der Zehnten durch das Gebiet der Moriner um Portus Itius. Auch hier hatte Caesars Armee bereits Spuren hinterlassen; die ausgetretene Spur durch den Eichenwald war befestigt. Auf beiden Seiten ragte in hundert Schritt Entfernung ein hoher Wall gefällter Eichen auf, und die zweihundert Schritt breite Schneise war mit Baumstümpfen übersät.
Vor zwei Jahren hatte Caesar drei Legionen und einige Kohorten gegen die Moriner geführt, um den Weg für die geplante Expedition nach Britannien zu ebnen. Er brauchte einen Hafen an der Küste der Moriner, in der Nähe der geheimnisvollen Insel. Doch obwohl er Boten ausgeschickt hatte, um einen Vertrag zu schließen, hatten die Moriner nicht reagiert.
Statt dessen hatten sie ihn mitten beim Bau eines Lagers überfallen. Hätten sie bessere Feldherrn gehabt, der Krieg in Gallien wäre damals zu Ende gewesen und Caesar und seine Soldaten tot. Doch statt zum entscheidenden Schlag auszuholen, wie Caesar es getan hätte, zogen die Moriner sich in ihre Eichenwälder zurück. Und als Caesar seine Wunden geleckt und die Toten verbrannt hatte, hatte ihn auf die kalte und leidenschaftslose Art, die er sich zu eigen gemacht hatte, eine schreckliche Wut erfaßt. Wie konnte man die Moriner lehren, daß Caesar immer siegte? Daß jeder tote Legionär mit schrecklichen Leiden bezahlt werden mußte?
Er beschloß, nicht zurückzuweichen, sondern bis zu den Salzmarschen an der Küste weiterzuziehen, allerdings nicht auf einem schmalen, von alten Eichen überhangenen Weg, an dem sich die belgischen Horden wunderbar verstecken konnten. Nein, er würde mit seinen Truppen auf einer breiten, sicheren Straße in hellem Sonnenschein vorrücken.
»Die Moriner sind Druiden, Männer!« rief er vor den angetretenen Soldaten. »Sie glauben, daß jeder Baum einen animus hat — einen Geist, eine Seele! Und der Geist welchen Baumes ist der heiligste? Nemer! Die Eiche! Welcher Baum wächst in ihren Tempelhainen, den nemeton? Nemer! Die Eiche! Auf welchen Baum klettert weißgewandet der Hohepriester der Druiden, um mit seiner goldenen Sichel Mistelzweige zu ernten? Nemer! Die Eiche! An welchem Baum hängen im Wind klappernd die Skelette derer, die sie ihrem Kriegsgott Esus opfern? Nemer! Die Eiche! Unter welchem Baum errichtet der Druide seinen Altar, auf den er mit dem Gesicht nach unten sein menschliches Opfer legt, dem er dann mit einem Schwert das Rückgrat spaltet, um aus seinen Zuckungen die Zukunft zu lesen? Nemer! Die Eiche! Unter welchem Baum flechten die Druiden ihre Weidenkäfige, um sie dann mit Gefangenen vollzustopfen, die sie zu Ehren ihres Donnergottes Taranis verbrennen? Nemer! Die Eiche!«
Er schwieg. Hoch zu Roß saß er da, den scharlachroten Feldherrnmantel in geordneten Falten über die Flanken seines Pferdes drapiert. Dann lächelte er strahlend, und seine erschöpften Soldaten lächelten zurück und spürten, wie neue Kraft in ihre Glieder strömte.
»Glauben wir Römer an Geister in Bäumen?«
»NEIN!« brüllten die Soldaten.
»Glauben wir, daß Eichen magische Eigenschaften haben?«
»NEIN!« brüllten die Soldaten.
»Glauben wir an Menschenopfer?«
»NEIN!« brüllten die Soldaten.
»Mögen wir diese Leute?«
»NEIN!« brüllten die Soldaten.
»Dann rauben wir ihnen jetzt den Verstand und ihren Lebenswillen, indem wir ihnen zeigen, daß Rom mächtiger ist als die mächtigste Eiche, daß Rom ewig ist, die Eiche aber nicht! Wir werden die Geister ihrer Eichen befreien, auf daß sie die Moriner heimsuchen bis ans Ende der Zeiten!«
»JA!« brüllten die Soldaten.
»An die Äxte!«
Meile für Meile fraßen Caesar und seine Männer sich durch den Eichenwald und drängten die Moriner in ihre Marschen zurück. Auf einer tausend Fuß breiten Schneise fällten sie Eichen und schichteten die rohen Stämme und Äste auf beiden Seiten zu großen Wällen auf; mit Strichlisten begleiteten sie das Ächzen, mit dem die gewaltigen alten Bäume sich neigten, und benommen vor Entsetzen wichen die Moriner zurück, bis die Marschen sie verschluckten; dort trauerten sie fassungslos.
Auch der Himmel trauerte. Am Rand der Salzmarschen begann es zu regnen, und es regnete, bis die Zelte der Römer durchweicht und die Soldaten naß waren und vor Kälte zitterten. Doch das Werk war getan. Zufrieden hatte Caesar sich mit seinen Männern in ein komfortables Winterlager zurückgezogen. Die Kunde seiner Tat breitete sich rasch aus; Belgen und Kelten trauerten, fassungslos angesichts von Menschen, die Bäume mordeten und trotzdem noch nachts schlafen und tagsüber lachen konnten.
Doch für die Legionäre existierten nur die römischen Götter, und ihr Denken wurde nicht durch exotische Geister beeinträchtigt. Deshalb schritten sie auf dem Marsch von Portus Itius nach Samarobriva trotz der am Wegrand liegenden stummen, gefallenen Giganten unbeschwert aus und sangen ihre Lieder.
Caesar, der unter ihnen marschierte, blickte lächelnd auf den Eichenwall. Er war dabei, neue Methoden der Kriegsführung zu lernen. Die Vorstellung, den Gegner in dessen Kopf bekriegen zu können, faszinierte ihn. Sein Glaube an sich und seine Soldaten war zwar grenzenlos, aber viel besser war noch, wenn der Sieg im Kopf des Gegners stattfand. Wer so besiegt wurde, konnte sein Joch nie abwerfen. Das Land der langhaarigen Gallier würde sich ihm beugen müssen. Er, Caesar, beugte sich nicht.
Der bekannte Spruch der Griechen, nichts auf der Welt sei häßlicher als ein gallisches oppidum, traf leider auch auf Samarobriva zu. Die Festung lag an dem Fluß Samara inmitten eines üppigen Tales, das zwar jetzt auch braun und verdorrt war, aber immer noch fruchtbarer als die meisten anderen Täler. Samarobriva war das Hauptoppidum des belgischen Stammes der Ambianer, die enge Verbindungen zu ihren Nachbarn und Verwandten im Norden hielten, zu Commius und den Atrebaten. Im Süden und Osten grenzte ihr Land an das der Bellovacer, eines wilden und kriegerischen Stammes, der sich zwar unterworfen hatte, in dem es aber bedrohlich gärte.
Schönheit hatte für Caesar auf einem Feldzug allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung, und Samarobriva entsprach seinen Wünschen vollkommen. Obwohl das belgische Gallien keine großen Steinvorkommen hatte und die Gallier nie gute Steinmetzen gewesen waren, bestanden die hohen Mauern der Festung aus Stein, und es war nicht schwer gewesen, die Mauern römischer Vorstellung entsprechend zu verstärken. Jetzt starrten sie vor Türmen, von denen man ein feindliches Heer bereits auf viele Meilen erkennen konnte. Vor den Toren waren zusätzliche Wälle aufgeworfen worden, und hinter der Festung kam noch ein mit gewaltigen Verteidigungsanlagen versehenes Heerlager.
Der Platz innerhalb der Mauern war geräumig, wenngleich wenig attraktiv. Normalerweise wohnte hier niemand, die Festung diente lediglich der Lagerung von Nahrungsmitteln und der Aufbewahrung des Stammesschatzes. Es gab keine Straßen, sondern nur willkürlich über das Gelände verstreute fensterlose Lagerhallen und große Getreidespeicher. Das einzige Haus war aus Holz erbaut und zwei Stockwerke hoch; in Kriegszeiten wohnten dort der Stammeshäuptling und die Würdenträger, sonst diente es als Versammlungsort des Stammes. Hier war im zweiten Stock Caesar untergebracht, auf sehr viel weniger komfortable Weise als Trebonius, der sich während eines früheren Aufenthaltes ein Haus aus Stein erbaut hatte; dort heizte ein Kohleofen den Fußboden und das große Bad, das Trebonius sich zusammen mit einer ambianischen Geliebten eingerichtet hatte.
Keine der beiden Unterkünfte besaß eine richtige Latrine über einem Bach, dessen Wasser die Exkremente zu einem Abwasserkanal oder Fluß hätte befördern können. In dieser Hinsicht ging es den Soldaten besser; jedes Winterlager Caesars verfügte über solche Einrichtungen. Einfache Latrinengruben waren für Feldlager zwar auch eine annehmbare Lösung, vorausgesetzt, sie waren tief genug und ihr Boden wurde täglich mit einer dünnen Schicht Erde und Kalk bedeckt; wenn man sie allerdings über einen längeren Zeitraum benützte, konnten sie sogar im Winter Krankheiten verursachen, weil sie das Grundwasser verseuchten. Und Soldaten durften nicht krank sein. Die Gallier kannten dieses Problem nicht, da sie nicht in Städten lebten, sondern in kleinen Dörfern oder einzelnen Gehöften. Sie zogen jeweils einige Tage am Stück in den Krieg und nahmen dann Frauen und Knechte mit, um allen körperlichen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Nur die Sklaven und die im Wald hausenden Druiden blieben daheim.
Die aus Holzdielen gezimmerte Treppe zum Versammlungssaal im Oberstock führte an der Außenseite des Gebäudes hinauf und war vor den Elementen durch den überhängenden Dachtrauf ein wenig geschützt. Unter der Treppe ließ Caesar eine Latrine graben, die mehr aussah wie ein Brunnen und tief unten auf einen unterirdischen Bach stieß, den er durch einen Tunnel bis zum Fluß führen ließ. Es war keine optimale Konstruktion, aber unter den Umständen die beste. Auch Trebonius benutzte die Latrine, als gerechten Ausgleich dafür, wie Caesar meinte, daß er Trebonius’ Bad benutzte.
Das Dach war mit Stroh gedeckt gewesen, wie es die Gallier bei Gebäuden jeder Größe zu tun pflegten, doch Caesar hatte die Angst des Römers vor Feuer und dazu noch eine persönliche Abscheu vor Ratten und Läusen, die Strohdächer in so großer Zahl bevölkerten, daß man hätte annehmen können, sie seien nur für sie erfunden worden. Das Stroh kam also herunter und wurde durch Dachziegel aus Schiefer ersetzt, die Caesar von den Ausläufern der Pyrenäen mitgebracht hatte. Im Haus war es kalt, feucht und muffig, da vor den kleinen Fenstern Fensterläden aus massivem Holz hingen, nicht die durchbrochenen italischen Läden, die immer für frische Luft sorgten. Caesar hatte sich bisher damit abgefunden, weil er nur den kleinsten Teil des sechsmonatigen Urlaubs, den die Jahreszeiten seinen Soldaten gaben, in Gallien zu verbringen pflegte. Unter normalen Umständen blieb er nur einige Tage in dem als Winterquartier erwählten oppidum und begab sich dann ins italische Gallien und nach Illyricum, zwei durch und durch römische Provinzen, wo er sich vom jeweils reichsten Mann der Stadt, die er besuchte, erlesen bewirten und unterbringen ließ.
Diesen Winter würde es allerdings anders sein. Er würde nicht ins italische Gallien und nach Illyricum reisen, sondern in Samarobriva bleiben. Keine Beileidsbekundungen, erst recht nicht jetzt, da er wußte, daß auch seine Mutter tot war. Wer würde als dritter sterben? Obwohl in seinem Leben die Todesfälle immer paarweise auftraten, nicht dreifach. Gaius Marius und sein Vater, Cinnilla und Tante Julia und jetzt Julia und Mutter, immer zu zweit. Wer wäre auch noch übrig gewesen?
Sein Freigelassener Gaius Julius Thrasyllus erwartete ihn lächelnd und sich verbeugend an der Tür am oberen Ende der Treppe.
»Ich bleibe den ganzen Winter hier, Thrasyllus. Wie können wir diesen Ort etwas wohnlicher gestalten?« Caesar gab ihm seinen scharlachroten Mantel. Zwei Diener warteten darauf, ihm den Lederpanzer und den äußeren Rock aus Lederstreifen abzuschnallen, aber zuerst mußte er noch die scharlachrote Schärpe abnehmen, das Abzeichen seines hohen Imperiums, das niemand außer ihm berühren durfte. Er knotete sie auf, faltete sie sorgfältig zusammen und legte sie in das edelsteinbesetzte Kästchen, das Thrasyllus ihm entgegenhielt. Sein Unterkleid aus scharlachrotem Leinen war mit dicker Wolle wattiert, die den Schweiß aufsaugte und im Winter genügend wärmte (viele Feldherrn trugen auf dem Marsch lieber eine Tunika, auch wenn sie im offenen Einspänner reisten, aber da die Soldaten im zehn Kilo schweren Kettenpanzer marschieren mußten, trug Caesar auch seinen Panzer). Die Diener zogen ihm die Stiefel aus und streiften leichte Schuhe aus ligurischem Filz über seine Füße, dann entfernten sie sich mit seiner Rüstung.
»Ich schlage vor, du baust wie Gaius Trebonius ein richtiges Haus, Caesar«, sagte Thrasyllus.
»Du hast recht, das mache ich. Morgen sehe ich mich nach einem geeigneten Platz um.«
Caesar lächelte kurz, dann verschwand er in dem großen Zimmer, in dem verstreut Liegen und andere römische Möbel standen.
Sie war nicht da, aber er hörte sie im Nachbarzimmer mit Orgetorix reden. Um so besser, wenn sie beschäftigt war, konnte sie ihn nicht mit ihrer Liebe erdrücken. Manchmal mochte er das, aber nicht heute abend. Er war in niedergedrückter Stimmung.
Da stand sie, über das Kinderbettchen gebeugt. Ihre prachtvollen, feuerroten Haare waren nach vorn gefallen, so daß er von seinem Sohn lediglich die purpurroten Socken sah. Warum beharrte sie darauf, das Kind purpurrot zu kleiden? Er hatte sein Mißfallen schon viele Male geäußert, aber sie hatte ihn nicht verstanden. Schließlich war sie die Tochter eines Königs. Für sie war das Kind der künftige König der Helvetier, deshalb stand ihm Purpur zu.
Sie spürte ihn mehr, als daß sie ihn sah, fuhr hoch und strahlte ihn überglücklich an. Doch als sie den Bart sah, runzelte sie die Stirn.
»Tata!« krähte der kleine Junge und streckte die Arme aus.
Er ähnelte mehr Tante Julia als Caesar, und schon das reichte, um Caesars Herz zu schmelzen. Dieselben großen, grauen Augen, dieselbe Form des Gesichts und zum Glück dieselbe bräunliche Haut und nicht die rosige, sommersprossige Haut der Gallier. Die Haare des Jungen dagegen waren ganz die Caesars, von derselben Farbe, die Sullas Haare gehabt hatten, zwischen rot und goldblond. Sie versprachen auch, dem Beinamen Caesar gerecht zu werden, der soviel wie üppiges Haupthaar bedeutete. Wie seine Feinde ihn wegen seiner schütter werdenden Haare verspottet hatten! Schade, daß der kleine Junge nie den Namen Caesar tragen würde. Seine Mutter hatte ihn nach ihrem Vater, dem ehemaligen König der Helvetier, Orgetorix genannt.
Sie war die Hauptfrau von Dumnorix gewesen, als dieser noch im Schatten seines verhaßten Bruders gestanden hatte, des ersten Vergobreten der Haeduer.
Caesar war, nachdem die überlebenden Helvetier in ihr Herkunftsland in den Alpen zurückgedrängt worden waren und er König Ariovistus von den germanischen Sueben geschlagen hatte, durch das Land der Haeduer gereist, um dieses Volk besser kennenzulernen, das in seinen Plänen eine immer größere Rolle spielte. Die Haeduer waren romanisierte Kelten und das größte und reichste Volk Galliens. Sie trugen den Titel Freund und Verbündeter des römischen Volkes, und ihre adligen Anführer sprachen Latein. Außerdem versorgten sie Rom mit tüchtigen Reitern.
Als Caesar so schnell nach Genava geeilt war, war seine ursprüngliche Absicht gewesen, die Wanderung der Helvetier und die Übergriffe der Germanen über den Rhenus zu beenden. Danach wollte er die Eroberung des Danubius von der Quelle bis zur Mündung in Angriff nehmen. Doch nach jenem ersten Feldzug im Land der langhaarigen Gallier hatten seine Pläne sich geändert. Der Danubius konnte warten. Zuerst wollte er im Westen Italias für Sicherheit sorgen, indem er das ganze Gallien jenseits der Alpen befriedete und zu einem romtreuen Puffer zwischen Mittelmeer und Germanen machte. Verursacht hatte diesen radikalen Wandel seiner Pläne der Germane Ariovistus; wenn Rom nicht alle gallischen Stämme besiegen und romanisieren konnte, würde Gallien den Germanen in die Hände fallen. Anschließend würden die Germanen in Italia einfallen.
Dumnorix hatte seinen Bruder stürzen und ihm als mächtigster Mann der Haeduer nachfolgen wollen, doch nach der Niederlage seiner helvetischen Bundesgenossen — das Bündnis war durch Heirat besiegelt worden — hatte er sich auf sein Anwesen in der Nähe von Matisco zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken. Caesar hatte ihn auf dem Rückweg ins italische Gallien, wo er seine Pläne überdenken und seine Armee neu organisieren wollte, dort aufgespürt. Der Verwalter hatte ihn willkommen geheißen, ihm einige Räume zugewiesen und dann sich selbst überlassen, bis er Dumnorix im Empfangsraum aufzusuchen wünschte.
Caesar war dann allerdings im denkbar schlechtesten Moment dort aufgetaucht. Eine stattliche Frau hatte unter wilden Flüchen mit ihrem mächtigen weißen Arm ausgeholt und Dumnorix einen solchen Kinnhaken versetzt, daß Caesar seine Zähne aufeinanderschlagen hörte. Der Gallier ging zu Boden, und die Frau begann, von einer gewaltigen Mähne roter Haare umwallt wie von einem Feldherrnmantel, auf ihn einzutreten. Dumnorix kam torkelnd wieder hoch und wurde ein zweites Mal niedergeschlagen und wieder schonungslos getreten. Eine zweite, nicht minder große, doch jüngere Frau eilte herein, doch erging es ihr nicht besser. Die Rothaarige stellte sich ihr in den Weg und versetzte ihr einen solchen Aufwärtshaken, daß sie ohnmächtig zu Boden stürzte.
Höchst amüsiert lehnte Caesar sich an eine Wand und sah zu.
Dumnorix kroch auf allen Vieren aus der Reichweite der schrecklichen Füße, stützte sich mit haßerfülltem Blick auf ein Knie und bemerkte dann den Besucher.
»Laßt euch nicht stören«, sagte Caesar.
Doch war damit wenn nicht der Kampf, so doch die Runde beendet. Die Rothaarige versetzte ihrem leblos vor ihr liegenden Opfer noch einen letzten Stoß und trat dann mit heftig wogenden Brüsten und blitzenden Augen zurück und starrte die merkwürdige Erscheinung vor ihr an: einen Römer in purpurgeränderter Toga als Zeichen seines hohen Ranges.
»Ich habe — dich nicht — so früh erwartet!« keuchte Dumnorix.
»Das habe ich bereits vermutet. Die Dame boxt besser als die Athleten bei den Spielen. Wenn du willst, kehre ich in meine Zimmer zurück und lasse dich den häuslichen Streit in Frieden regeln. Wenn Frieden das richtige Wort ist.«
»Nein, nein!« Dumnorix strich sein Hemd glatt und hob seinen Umhang auf. Er war so heftig weggezogen worden, daß die Brosche, mit der er an seiner linken Schulter befestigt gewesen war, den am Hemd angenähten Ärmel abgerissen hatte. Finster starrte er die Rothaarige an und hob die Faust. »Ich bring’ dich um, Weib!«
Sie kräuselte nur verächtlich die Oberlippe und sagte nichts.
»Darf ich vermitteln?« Caesar drückte sich von der Wand ab und trat zwischen Dumnorix und die Rothaarige.
»Danke, nicht nötig, Caesar. Ich habe mich von dieser Wölfin gerade scheiden lassen.«
»Wölfin. Romulus und Remus wurden von einer Wölfin gesäugt. Ich schlage vor, du schickst sie ins Feld. Sie wird die Germanen mühelos bezwingen.«
Die Frau hatte mit aufgerissenen Augen zugehört. Jetzt trat sie dicht an Caesar heran und schob das Kinn vor. »Er hat mir Unrecht getan!« sagte sie laut. »Meine Angehörigen nützen ihm nach ihrer Niederlage und Rückkehr in ihr Land nichts mehr, deshalb hat er sich von mir getrennt! Aus purem Egoismus! Ich war ihm nicht untreu, ich bin nicht arm, und ich bin nicht seine Sklavin! Er hat keinen Grund, sich von mir scheiden zu lassen! Er hat mir Unrecht getan.«
»Ist sie deine Rivalin?« Caesar zeigte auf die am Boden liegende junge Frau.
Die Oberlippe kräuselte sich wieder. »Bah!« fauchte die Rothaarige.
»Hast du mit dieser Frau Kinder, Dumnorix?«
»Nein, sie ist unfruchtbar!« rief Dumnorix, seine Chance witternd.
»Ich bin nicht unfruchtbar! Glaubst du denn, Babies tauchen aus dem Nichts auf einem Druidenaltar auf? Du hast doch neben deinen Huren und dem Wein gar keine Kraft mehr für deine Frauen, Dumnorix!« Sie hob die Faust.
Dumnorix wich zurück. »Rühr mich an, Weib, und ich schneide dir die Kehle durch!« Er zückte ein Messer.
»Na, na«, sagte Caesar vorwurfsvoll. »Das ist Mord, und der wird besser nicht in Gegenwart eines römischen Prokonsuls verübt. Wenn ihr euch allerdings weiter schlagen wollt, bin ich bereit, den Schiedsrichter zu machen. Gleiche Waffen für beide, Dumnorix. Es sei denn, die Dame will auch ein Messer?«
»Ja!« zischte die Rothaarige.
Zu weiteren Worten oder Taten kam es nicht, da in diesem Augenblick das Mädchen auf dem Boden zu stöhnen begann. Dumnorix, ganz offensichtlich in sie verknallt, stürzte zu ihr und kniete sich hin.
Die Rothaarige beobachtete die Szene, und Caesar beobachtete die Rothaarige. Sie war eine Frau, wie er sie noch nie gesehen hatte! Groß und kräftig und zugleich schlank und weiblich, zwischen mächtigen Brüsten und Hüften eine schmale, mit einem goldenen Gürtel gegürtete Taille und lange Beine. Doch am meisten faszinierten ihn ihre Haare. Sie ergossen sich in feurigen Strömen über die Schultern und den Rücken hinab bis unter die Knie, dick und reich und von einem eigenen Leben beseelt. Die meisten Gallierinnen hatten schöne Haare, doch nicht entfernt so dicke und glänzende wie diese Frau.
»Du bist Helvetierin?« fragte er.
Sie fuhr herum und schien plötzlich mehr zu sehen als eine purpurgeränderte Toga. »Du bist Caesar?«
»Ja. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Mein Vater war König Orgetorix.«
»Ach so. Er brachte sich um, bevor die Helvetier loszogen.«
»Man zwang ihn dazu.«
»Heißt das, du wirst zu deinem Volk zurückkehren?«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich bin eine geschiedene Frau. Niemand will mich haben.«
»Das erklärt die Schläge.«
»Er hat mir Unrecht getan! Ich habe das nicht verdient!«
Dumnorix hatte der jungen Frau inzwischen aufgeholfen und den Arm um ihre Hüfte gelegt. »Verschwinde aus meinem Haus!« brüllte er die Rothaarige an.
»Erst, wenn du mir meine Mitgift zurückgibst!«
»Ich habe mich von dir scheiden lassen, deshalb darf ich sie behalten!«
»Dumnorix«, drängte Caesar freundlich, »du bist doch reich, du brauchst ihre Mitgift nicht. Die Dame sagt, sie könne nicht zu ihrem Volk zurück, deshalb mußt du ihr wenigstens ermöglichen, daß sie anderswo standesgemäß leben kann.« Er wandte sich an die Rothaarige. »Wieviel schuldet er dir?«
»Zweihundert Kühe, zwei Bullen, fünfhundert Schafe, mein Bett samt Bettzeug, meinen Tisch, meinen Stuhl, meinen Schmuck, mein Pferd, meine Diener und eintausend Goldstücke«, zählte sie auf.
»Du gibst ihr die Mitgift zurück, Dumnorix«, sagte Caesar in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. »Ich begleite sie nach Gallia Narbonensis und bringe sie irgendwo unter, wo sie weit von den Haeduern entfernt ist.«
Dumnorix schien unschlüssig. »Ich möchte dir keine Umstände machen, Caesar!«
»Das machst du nicht, bestimmt nicht. Ich war sowieso auf dem Weg dorthin.«
Und so wurde es beschlossen. Caesar verließ das Land der Haeduer in Begleitung von zweihundert Kühen, zwei Bullen, fünfhundert Schafen, einer Wagenladung Möbel und Kisten, einer kleinen Schar Sklaven und der Rothaarigen auf ihrem feurigen italischen Roß.
Was Caesars Gefolgsmänner von diesem Aufzug hielten, sagten sie nicht, dankbar dafür, daß der Feldherr wenigstens diesmal nicht bei vollem Galopp von einem schwankenden Einspänner aus zwei Sekretären Briefe diktierte. Statt dessen trabte er gemächlich neben der Dame her und unterhielt sich den ganzen Weg von Matisco bis Arausio mit ihr. Dort ließ er Land kaufen, auf dem zweihundert Kühe, zwei Bullen und fünfhundert Schafe weiden konnten, und brachte die Rothaarige samt ihrer Dienerschaft in dem dazugehörigen, geräumigen Haus unter.
»Aber ich habe keinen Ehemann, der mich beschützen kann!« sagte sie.
»Brauchst du auch nicht!« sagte er lachend. »Dies ist eine römische Provinz, sie gehört Rom. Glaubst du nicht, daß hier alle wissen, wer dich hergebracht hat? Ich bin hier Statthalter. Niemand wird dich belästigen, im Gegenteil, alle werden dir ihre Hilfe andienen. Du wirst mit Hilfsangeboten geradezu überschwemmt werden.«
»Ich gehöre dir.«
»Das werden sie glauben, sicher.«
Unterwegs hatte die Rothaarige noch mehr gezürnt und gewütet als gelächelt, doch jetzt lächelte sie, und ihr breiter Mund zeigte makellose Zähne. »Und was glaubst du?«
»Ich würde deine Haare gern als Toga verwenden.«
»Ich kämme sie.«
»Nein, wasche sie.« Er bestieg sein Pferd. »Deshalb habe ich dafür gesorgt, daß dein Haus eine richtige Badewanne hat. Lerne sie täglich zu gebrauchen. Dann bis Frühjahr, Rhiannon.«
Sie runzelte die Stirn. »Rhiannon? So heiße ich nicht, Caesar. Du weißt doch, wie ich heiße.«
»Zu viele x für meine Zunge. Rhiannon.«
»Was bedeutet das?«
»Betrogene Frau. Also.«
Er gab seinem Pferd die Sporen und trabte weg, doch im Frühjahr kam er wieder, wie er versprochen hatte.
Was Dumnorix empfand, als seine Frau in Caesars Gefolge ins Land der Haeduer zurückkehrte, sagte er nicht, aber es fraß in ihm, zumal als die Haeduer anfingen, darüber Witze zu machen. Die betrogene Frau war schon bald schwanger und gebar Caesar im folgenden Winter in ihrem Haus bei Arausio einen Jungen. Das hielt sie freilich nicht davon ab, bereits im Frühjahr und Sommer wieder im Troß mitzureisen. Wo immer das Hauptquartier aufgeschlagen wurde, richtete sie sich mit ihrem Baby ein und wartete auf Caesar. Das Arrangement erfüllte seinen Zweck. Caesar sah sie nur so oft, daß er fasziniert blieb, und sie hatte seinen Wink verstanden und hielt sich und ihr Kind so sauber, daß beide glänzten.
Vorsichtig nahm er das Kind aus seinem Bettchen, küßte es, hielt das kleine, runde Gesicht an seine kratzige Wange und hob die kleine Hand, um die Grübchen an den Knöcheln zu küssen.
»Er hat mich trotz des Bartes erkannt.«
»Ich glaube, er würde dich auch erkennen, wenn deine Haut eine andere Farbe hätte.«
»Meine Tochter und meine Mutter sind tot.«
»Ja, Trebonius hat es mir gesagt.«
»Wir werden nicht darüber sprechen.«
»Trebonius meinte, du würdest den ganzen Winter über hierbleiben.«
»Willst du lieber in den Süden zurückkehren? Ich kann dich hinschicken, aber nicht begleiten.«
»Nein.«
»Wir bauen ein besseres Haus, bevor es schneit.«
»Das wäre schön.«
So redeten sie leise weiter, während er mit dem Kind in der Armbeuge auf und ab ging und über die rotgoldenen Locken, die makellose Haut und die über die rosigen Wangen gesenkten langen Wimpern strich.
»Jetzt schläft er, Caesar.«
»Dann lege ich ihn besser ab.«
Er legte das dick in weiche, purpurfarbene Wolle eingewickelte Kind in das Bettchen zurück, auf ein purpurfarbenes Kissen. Einen Augenblick verharrte er noch, dann legte er den Arm um Rhiannon und ging mit ihr aus dem Zimmer.
»Es ist schon spät, aber ich habe etwas zu essen, wenn du Hunger hast.«
Er hob eine ihrer Locken an. »Nach dir habe ich immer Hunger.«
»Zuerst das Essen. Du bist kein guter Esser, also muß ich zusehen, daß ich soviel wie möglich in dich hineinbringe. Gebratenes Wild, knuspriges, ofenwarmes Brot und sechs verschiedene Gemüse aus meinem Garten.«
Sie war eine wunderbare Hauswirtschafterin, auf eine von einer Römerin ganz verschiedene Art. Obwohl von königlichem Blut, kniete sie in ihrem Gemüsegarten, machte selbst Käse oder wendete die Matratze in ihrem Bett, das sie wie ihr Tisch und ihr Stuhl immer begleitete.
Im Zimmer war es warm. Im Halbdunkel glühten verschiedene Kohlenpfannen, und an den Wänden hingen dort, wo die Bretter geschrumpft waren und der Wind durchpfiff, Felle von Bären und Wölfen. Außerdem war es noch nicht Winter. Sie aßen aneinandergelehnt auf derselben Liege, eine mehr freundschaftliche als sinnliche Berührung, und dann holte sie ihre Harfe, stützte sie aufs Knie und spielte.
Vielleicht war auch das ein Grund, warum sie ihn immer noch so entzückte, dachte er. Sie machten auf ihren Zupfinstrumenten, die viel mehr Saiten als eine Lyra hatten, so wunderbare Musik, die langhaarigen Gallier, Musik, die zur gleichen Zeit wild und zart, leidenschaftlich und bewegend war. Und erst ihr Gesang! Sie begann leise, eine klagende Melodie zu singen, mehr Klang und Emotion als Worte. Italische Musik war melodischer, kannte jedoch nicht die ungebändigte Improvisation; griechische Musik war mathematisch vollkommener, hatte jedoch weniger Gewalt und Leidenschaft. Dies war eine Musik, in der nicht Worte zählten, sondern die Stimme. Caesar, der die Musik noch mehr liebte als die Literatur oder die bildende Kunst, lauschte hingerissen.
Danach mit ihr zu schlafen war wie die Fortsetzung der Musik. Caesar war der über den Himmel stürmende Wind, der Reisende auf einem Meer von Sternen. Im Lied ihres Körpers fand seine Seele Trost.
Zuerst sah es so aus, als sollte der Sturm im keltischen Westen losbrechen. Caesar wohnte seit einem Monat behaglich in seinem neuen steinernen Hans, als ihn die Nachricht erreichte, die Ältesten der Carnuten hätten, von den Druiden angestachelt, ihren König Tasgetius umgebracht. Das war an sich nicht weiter besorgniserregend, wenn es nicht die Carnuten gewesen wären. Tasgetius war mit Caesars Hilfe König geworden, und die Carnuten waren über ihre Größe und ihren Reichtum hinaus wichtig, da der Mittelpunkt jenes druidischen Netzes, das sich durch ganz Gallien spannte, im Land der Carnuten lag, an einem Ort mit Namen Carnutum, dem Nabel der druidischen Welt. Carnutum war weder ein oppidum noch eine Stadt, sondern mehr ein planvoll angelegter Komplex kleiner Eichen-, Ebereschen-- und Haselnußhaine, zwischen denen kleine Dörfer mit den Behausungen der Druiden lagen.
Die Druiden waren unversöhnliche Gegner Roms. Rom stand für eine neue, verlockend andere Geisteshaltung, die mit Moral und Denken der Druiden zusammenstoßen und beides zerstören mußte. Der Grund dafür war nicht die Ankunft Caesars. Die Feindschaft war damals bereits tief verwurzelt als Ergebnis zweihundertjährigen Mitansehenmüssens, wie die gallischen Stämme des Südens allmählich dem römischen Einfluß erlagen. Die Griechen lebten zwar schon viel länger in der römischen Provinz, waren aber in der Küstenregion um Massilia geblieben und hatten die Barbaren mit Gleichgültigkeit behandelt. Die Römer dagegen waren unverbesserliche Welterneuerer. Wohin sie kamen, brachten sie ihre Werte und ihren Lebensstil mit, und sie pflegten denen, die mit ihnen zusammenarbeiteten und ihnen gute Dienste leisteten, ihre vielgepriesene Staatsbürgerschaft zu verleihen. Sie kämpften tapfer ihre Kriege, um unliebsame Praktiken wie das Köpfen, eine Lieblingsbeschäftigung der zwischen Massilia und Ligurien lebenden Salluvier, auszurotten; zudem waren sie immer bereit, erneut in den Krieg zu ziehen, wenn der letzte nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Während die Griechen dem Süden Galliens Weinstock und Olivenbaum gebracht hatten, hatten die Römer den dort ansässigen Völkern das römische Denken gebracht; jetzt hörten die Menschen nicht mehr auf die Druiden und schickten adlige Söhne zur Ausbildung nach Rom statt nach Carnutum.
Caesars Ankunft in Gallien war der Höhepunkt, nicht die Ursache dieser Entwicklung. Weil er Pontifex Maximus und damit Oberhaupt der römischen Religion war, hatte der Oberdruide ihn auf seinem Besuch im Land der Carnuten in jenem ersten Jahr, in dem Rhiannon ihn begleitet hatte, um ein Gespräch gebeten.
»Wenn dir Arvernisch recht ist, kannst du den Dolmetscher wegschicken«, sagte Caesar.
»Ich habe gehört, daß du einige unserer Sprachen sprichst, aber warum Arvemisch?« fragte der Oberdruide.
»Eine Dienerin meiner Mutter, Cardixa, war Arvernerin.«
Die Stirn des Druiden bewölkte sich. »Eine Sklavin.«
»Ursprünglich, aber nur wenige Jahre.«
Caesar musterte den obersten Druiden eingehend, einen schönen, gelbhaarigen Mann Ende vierzig in einer einfachen, langen Tunika aus weißem Leinen; er war glattrasiert und trug keinerlei Schmuck.
»Hast du einen Namen, Oberdruide?«
»Cathbad.«
»Ich hatte einen älteren Mann erwartet, Cathbad.«
»Ich könnte dasselbe sagen, Caesar.« Cathbad musterte Caesar seinerseits. »Du bist blond wie ein Gallier. Ist das ungewöhnlich?«
»Eigentlich nicht. Ganz schwarze Haare sind im Grunde ungewöhnlicher. Man kann das an unseren dritten Namen ablesen, die sich oft auf ein körperliches Merkmal beziehen. Rufus, ein häufiger Beiname, weist auf rote Haare hin, Flavus und Albinus auf blonde. Jemand mit ganz schwarzen Haaren und Augen heißt Niger.«
»Und du bist der Hohepriester?«
»Ja.«
»Du hast den Titel geerbt?«
»Nein, ich wurde zum Pontifex Maximus gewählt. Es ist ein Amt auf Lebenszeit wie bei allen unseren Priestern und Auguren, die auch alle gewählt werden. Unsere Staatsbeamten werden dagegen nur für eine einjährige Amtszeit gewählt.«
Cathbad sah ihn erstaunt an. »Auch ich wurde gewählt. Und du bist wirklich für die religiösen Rituale deines Volkes zuständig?«
»Wenn ich in Rom bin, ja.«
»Das erstaunt mich. Du warst der oberste Magistrat deines Volkes und jetzt führst du eine Armee an. Trotzdem bist du der Hohepriester. Für uns ist das ein Widerspruch.«
»Für den Senat und das römische Volk paßt das durchaus zusammen«, erwiderte Caesar freundlich. »Ich wiederum habe von den Druiden gehört, daß sie eine gesonderte Gruppe innerhalb des Stammes bilden, daß man sie Intellektuelle nennen könnte.«
»Wir sind Priester, Ärzte, Anwälte und Dichter in einem«, sagte Cathbad angestrengt freundlich.
»Aha, die Experten! Spezialisiert ihr euch?«
»Ein wenig, besonders die, die als Ärzte tätig sein wollen. Aber wir kennen alle die Gesetze, die Rituale, die Geschichte und die Lieder unseres Volkes, sonst wären wir keine Druiden. Um das zu lernen, braucht man zwanzig Jahre.«
Sie unterhielten sich im Hauptraum des öffentlichen Gebäudes von Cenabum und waren jetzt, nachdem der Dolmetscher gegangen war, ganz allein. Caesar hatte beschlossen, Toga und Tunika des Pontifex Maximus zu tragen, prächtige Gewänder mit breiten Streifen in Scharlach und Purpur.
»Wie ich höre, schreibt ihr nichts auf«, sagte Caesar. »Wenn also alle Druiden Galliens am selben Tag getötet würden, würde ihr Wissen mit ihnen sterben. Aber ihr habt eure Lehre doch sicher irgendwo auf Bronze, Stein oder Papier festgehalten! Schreiben ist hier doch nicht unbekannt.«
»Unter den Druiden schon, obwohl wir alle lesen und schreiben können. Aber wir schreiben nichts auf, was mit unserem Beruf zu tun hat. Wir lernen alles auswendig, und dazu brauchen wir zwanzig Jahre.«
Caesar nickte zustimmend. »Wirklich geschickt!«
Cathbad runzelte die Stirn. »Geschickt?«
»Das ist der beste Schutz für Leib und Leben. Niemand würde wagen, euch etwas zuleide zu tun. Kein Wunder, daß ein Druide furchtlos über ein Schlachtfeld schreiten und den Kampf beenden kann.«
»Aber das ist nicht der Grund!« rief Cathbad.
»Ich weiß, aber klug ist es trotzdem.« Caesar wechselte zu einem anderen heiklen Thema. »Stimmt es, daß Druiden keinerlei Steuern zahlen?«
»Das stimmt, wir zahlen keine Steuern«, sagte Cathbad, das Gesicht eine steinerne Maske.
»Und nicht als Soldaten dienen?«
»Auch das stimmt.«
»Und keine niedrigen Arbeiten verrichten?«
»Du bist es, der geschickt argumentiert, Caesar. Deine Worte setzen uns ins Unrecht. Aber wir dienen, wir verdienen uns unseren Lohn. Wie ich schon sagte, wir sind Priester, Ärzte, Anwälte und Dichter.«
»Heiratet ihr?«
»Ja.«
»Und die Bevölkerung arbeitet für euch.«
Cathbad blieb eisern ruhig. »Als Gegenleistung für unsere Dienste, die unersetzlich sind.«
»Ja, verstehe. Wirklich geschickt!«
»Ich hatte dich für taktvoller gehalten, Caesar. Warum willst du uns unbedingt kränken?«
»Ich will euch nicht kränken, Cathbad, mich interessieren nur die Fakten. Wir wissen in Rom sehr wenig über das Leben der gallischen Stämme, die mit uns bisher nicht in Kontakt gekommen sind. Polybios hat einige Worte über euch Druiden geschrieben, und auch einige andere, weniger bedeutende Historiker erwähnen euch. Aber ich muß dem Senat berichten, und man informiert sich am besten durch Fragen.« Caesar lächelte, doch es war kein freundliches Lächeln. Cathbad blieb unbewegt. »Erzähle mir von den Frauen.«
»Frauen?«
»Ja. Ich habe festgestellt, daß man bei euch Frauen wie Sklaven foltern darf, aber keinen freien Mann, auch nicht den geringsten. Und offenbar ist auch die Polygamie erlaubt.«
Cathbad straffte sich. »Wir kennen zehn verschiedene Stufen der Ehe, Caesar«, sagte er würdevoll. »Dies ermöglicht, daß ein Mann mehrere Frauen ehelicht. Wir Gallier sind ein kriegerisches Volk. Die Männer sterben in der Schlacht, was bedeutet, daß es bei uns mehr Frauen gibt als Männer. Unsere Gesetze und Sitten wurden für uns geschaffen, nicht für Römer.«
»Vollkommen richtig.«
Cathbad sog den Atem hörbar ein. »Frauen haben ihren Platz. Sie haben wie Männer eine Seele, sie wechseln zwischen dieser Welt und der anderen. Und es gibt Priesterinnen.«
»Weibliche Druiden?«
»Nein, das nicht.«
»Auf jeden Unterschied kommt eine Gemeinsamkeit«, sagte Caesar, und diesmal erreichte das Lächeln seine Augen. »Gemeinsam ist uns, daß auch wir unsere Priester wählen und Frauen nicht in Priesterämter zulassen, die den Männern wichtig sind. Die Unterschiede betreffen unseren Status als Männer — den Militärdienst, öffentliche Ämter, das Zahlen von Steuern.« Das Lächeln verschwand. »Cathbad, es ist nicht Ziel der Römer, die Götter und religiösen Praktiken anderer Völker zu stören. Du und deinesgleichen, ihr habt von mir oder Rom nichts zu befürchten, mit einer Ausnahme. Die Menschenopfer müssen aufhören. Die Menschen töten einander überall und in allen Völkern, aber kein Volk an der Küste unseres Meeres tötet Männer — oder Frauen —, um die Götter gnädig zu stimmen. Die Götter verlangen keine Menschenopfer, und Priester, die das glauben, irren.«
»Die Menschen, die wir opfern, sind entweder Kriegsgefangene oder eigens zu diesem Zweck gekaufte Sklaven!« brauste Cathbad auf.
»Trotzdem muß das aufhören.«
»Du lügst, Caesar! Du und Rom, ihr seid eine Bedrohung für Sitten und Bräuche der Gallier! Ihr bedroht die Seele unseres Volkes.«
»Keine Menschenopfer«, wiederholte Caesar unbewegt und unerbittlich.
So sprachen sie noch Stunden und lernten kennen, was der andere dachte. Als die Begegnung endete, war Cathbad zutiefst besorgt. Wenn Rom weiter nach Gallien vordrang, würde alles anders werden, und das Druidentum würde verkümmern und verschwinden. Deshalb mußte man die Römer vertreiben.