IV. Gallia Cisalpina, Gallia Narbonensis und das Land der langhaarigen Galier

Januar bis Dezember 52 v. Chr.

Nach Ablauf ihres zweiten gemeinsamen Amtsjahres als Konsuln hatten Gnaeus Pompeius Magnus und Marcus Licinius Crassus mit der Verleihung außerordentlicher prokonsularischer Statthalterschaften rechnen können. Noch während ihres Konsulats hatte Caesars Legat Gaius Trebonius, damals Volkstribun, ein Gesetz durchgebracht, das ihnen auf volle fünf Jahre die Verwaltung besonders begehrter Provinzen übertrug. Angespornt durch das Beispiel Caesars, der in Gallien gerade zeigte, wie gut sich eine solche Zeitspanne nutzen ließ, übernahm Pompeius Syrien und Crassus die beiden spanischen Provinzen.

Doch dann verschlechterte sich zusehends der Gesundheitszustand von Julia, die sich nie ganz von ihrer Fehlgeburt erholt hatte. Da es Pompeius aufgrund herrschender Sitte verwehrt war, seine geliebte junge Frau nach Syrien mitzunehmen, änderte er kurzentschlossen seine Pläne. Er bekleidete nach wie vor das Amt des Verwalters der römischen Kornspeicher, und das lieferte ihm den exzellenten Vorwand, in unmittelbarer Nähe Roms zu bleiben — solange in der von ihm verwalteten Provinz Ruhe und Ordnung herrschten. Dies freilich ließ sich von Syrien nicht behaupten; die von den Römern zuletzt eroberten Gebiete grenzten nämlich an das Königreich der Parther, ein mächtiges Imperium unter König Orodes, der die römische Präsenz in Syrien voller Argwohn verfolgte; besonders mißtrauisch machte ihn, daß der berühmte Eroberer Pompeius der Große zum syrischen Statthalter ernannt werden sollte. Gerüchten zufolge spielte Rom mit dem Gedanken, das Partherreich dem eigenen Imperium einzuverleiben — eine Aussicht, die König Orodes, einen besonnenen und wachsamen Mann, mit einiger Sorge erfüllte.

Um bei Julia bleiben zu können, bat Pompeius Crassus um einen Tausch der Provinzen: Er wollte die beiden spanischen Provinzen übernehmen, Crassus sollte dafür Syrien erhalten — ein Vorschlag, dem Crassus gern zustimmte, und so wurde man sich schnell einig. Da Pompeius seine Legaten Afranius und Petreius mit der Verwaltung der spanischen Provinzen betraute, konnte er bei Julia in der Nähe Roms bleiben, während Crassus, fest entschlossen, die Parther zu bezwingen, nach Syrien übersetzte.

Die Nachricht von seiner Niederlage und seinem Tod schlug in Rom hohe Wellen, nicht zuletzt deshalb, weil sie vom einzigen adligen Überlebenden kam, von Crassus’ Quästor, einem bemerkenswerten jungen Mann namens Gaius Cassius Longinus.

Dieser hatte dem Senat zwar eine offizielle Depesche gesandt, gleichzeitig aber seiner Freundin und zukünftigen Schwiegermutter Servilia eine ungeschminkte Schilderung der Ereignisse zukommen lassen. Da Servilia genau wußte, welche Pein Caesar dieser schonungslose Bericht verursachen würde, hatte sie ihn nach Gallien weitergeschickt. Caesar sollte ruhig leiden! Nach allem, was er ihr angetan hatte!

Ich traf in Antiochia ein, unmittelbar bevor KönigArtavasdes dem dortigen Statthalter Marcus Crassus einen Staatsbesuch abstattete. Die Vorbereitungen für den bevorstehenden Feldzug gegen die Parther waren in vollem Gang — das schien Crassus zumindest zu glauben; eine Ansicht, die ich, wie ich gestehen muß, allerdings nicht teilen konnte, nachdem ich mit eigenen Augen gesehen hatte, was Crassus da zusammengetrommelt hatte. Sieben Legionen, die mit jeweils acht Kohorten deutlich unter der Sollstärke von zehn Kohorten je Legion blieben, und ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Reitern, die nicht den Eindruck erweckten, als wären sie jemals imstande, auch nur halbwegs vernünftig zu kooperieren. Publius Crassus hatte zur Unterstützung tausend berittene Haeduer aus Gallien mitgebracht — ein Geschenk Caesars an seinen Busenfreund Crassus, das Caesar allerdings besser behalten hätte, denn die Haeduer vertrugen sich nicht mit den galatischen Reitern und litten obendrein unter heftigem Heimweh.

Und dann dieser Abgarus, König der Skeniten. Ich weiß nicht warum, aber vom ersten Moment an fand ich ihn unsympathisch und traute ihm nicht über den Weg. Crassus war von ihm jedoch geradezu begeistert und ließ nicht das geringste auf ihn kommen. Wie es scheint, ist Abgarus ein Klient von Artavasdes, dem König von Armenien, und er wurde Crassus als Führer und Ratgeber für den Feldzug angedient, zusammen mit viertausend leichtbewaffneten Skeniten.

Crassus plante, nach Mesopotamien vorzurücken, wobei er zunächst das am Tigris gelegene Seleukeia angreifen wollte, wo sich die Winterresidenz des parthischen Hofes befand. Da der Feldzug im Winter stattfinden sollte, rechnete Crassus damit, König Orodes dort anzutreffen und ihn zusammen mit all seinen Söhnen gefangenzunehmen, bevor sie fliehen und den Widerstand im Partherreich organisieren könnten.

Doch König Artavasdes von Armenien und sein Klient, der Skenitenherrscher Abgarus, verwarfen Crassus ’ Strategie. Niemand, so wandten sie ein, könne auf offenem Feld ein parthisches Heer aus Kataphrakten und berittenen Bogenschützen schlagen. Dagegen seien die schwer gepanzerten Krieger auf ihren gewaltigen, ebenfalls mit Eisenpanzern geschützten medischen Pferden einem Kampf in den Bergen nicht gewachsen. Und auch die berittenen Bogenschützen, auf ebenes Gelände angewiesen, um im gestreckten Galopp jene treffsicheren Schüsse abzugeben, für die sie so berühmt seien, kämen mit zerklüftetem Gelände nicht zurecht und hätten rasch ihre Pfeile verschossen. Deshalb solle Crassus nicht nach Mesopotamien, sondern in die medischen Berge marschieren. Wenn er im Verein mit dem armenischen Heer das südöstlich des Kaspischen Meeres gelegene Herzland Parthiens mit der Sommerhauptstadt Ekbatana angreife, sei ihm der Sieg gewiß.

Der Plan überzeugte mich, was ich auch kundtat, doch Crassus wollte nicht darauf eingehen. Er sah keine Schwierigkeiten darin, die Kataphrakten und berittenen Bogenschützen in offener Feldschlacht zu besiegen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Crassus nur deshalb kein Bündnis mit Artavasdes schließen wollte, weil er dann die Beute hätte teilen müssen. Du kennst ja Marcus Crassus, Servilia — nicht alle Schätze der Welt könnten seine Geldgier befriedigen. Abgarus war ihm egal, da dieser als relativ unbedeutender König keinen Anspruch auf einen größeren Anteil der Beute gehabt hätte. König Artavasdes hingegen hätte von allem die Hälfte beanspruchen können.

Nun, wie dem auch sei, Crassus sprach ein entschiedenes Nein. Er behauptete, die Ebene von Mesopotamien sei für die Manöver des römischen Heeres besser geeignet. Außerdem wollte er keine Meuterei unter seinen Männern, wie sie etwa in der Armee des Lucullus ausgebrochen ist, als den Soldaten beim Anblick des fernen Ararat plötzlich klar wurde, daß ihr Feldherr sie dort hinaufschicken wollte. Im übrigen hätte ein Gebirgsfeldzug im fernen Medien im Sommer stattfinden müssen, sein Heer war jedoch Anfang April marschbereit, also Anfang Winter. Crassus meinte, ein Aufschub bis zum Sextilis würde die Begeisterung der Soldaten dämpfen — meiner Ansicht nach nur ein vorgeschobener Grund, denn zu keiner Zeit konnte ich bei den Legionären das geringste Anzeichen von Begeisterung entdecken.

Zutiefst verstimmt verließ König Artavasdes daraufhin Antiochia und machte sich auf den Heimweg. Zweifellos hatte er gehofft, daß ihm ein Bündnis mit Rom zum Thron des Partherreiches verhelfen würde. Nach seiner Zurückweisung beschloß er jedoch, künftig mit den Parthern gemeinsame Sache zu machen. Abgarus ließ er als Spion in Antiochia zurück, und von da an war der Feind über jeden Zug des Crassus unterrichtet.

Im März traf schließlich eine Gesandtschaft des Partherkönigs Orodes ein. Ihr Anführer war ein hochbetagter Mann namens Vagises. Wahrlich ein wunderlicher Anblick, diese partbischen Adligen, mit ihren vom Kinn bis zu den Schultern in spiralförmige Goldmanschetten gezwängten Hälsen, ihren runden, randlosen, mit Perlen übersäten Hüten, die sie wie umgestülpte Schüsseln auf dem Kopf tragen, ihren falschen Bärten, die an um die Ohren gewickelten Golddrähten hängen, und ihren prachtvollen, über und über mit funkelnden Juwelen und Perlen besetzten, goldgewirkten Gewändern. Ich glaube, Crassus hatte in diesem Moment nur Augen für das Gold und die Edelsteine und Perlen. Was für Schätze mußte es erst in Babylonien geben!

Vagises forderte Crassus auf, sich an die zwischen Sulla beziehungsweise Pompeius Magnus und den Parthern ausgehandelten Verträge zu halten, laut denen das westlich des Euphrat gelegene Land römischer, das östlich gelegene parthischer Herrschaft zufiel.

Stell Dir vor, Crassus lachte den Gesandten daraufhin einfach ins Gesicht! »Mein lieber Vagises«, sagte er dann, mühsam das Lachen unterdrückend, »richte König Orodes aus, daß ich in der Tat über die Verträge nachdenken werde, aber erst, wenn ich Seleukeia am Tigris und Babylonien erobert habe!«

Vagises schwieg einen Moment lang. Dann hob er die rechte Hand und streckte Crassus die Handfläche entgegen. »Eher werden hier Haare wachsen, als daß du, Marcus Crassus, einen Fuß nach Seleukeia setzt!« rief er schneidend. Mir standen die Haare zu Berge. Seine Worte klangen wie eine grausige Prophezeiung.

Wie Du siehst, hat sich Crassus bei keinem dieser überaus empfindlichen östlichen Könige beliebt gemacht. Wenn er nicht römischer Prokonsul gewesen wäre, hätte man ihm für sein Lachen sofort den Kopf abgeschlagen. Einige von uns versuchten zwar noch ihn umzustimmen, doch dummerweise war sein Sohn Publius zugegen, der ihn vergötterte und überzeugt war, daß sein Vater gar nichts falsch machen könne. Publius plapperte Crassus also alles nach, und statt auf die Stimme der Vernunft hörte Crassus lieber auf seinen Sohn.

Anfang April verließen wir Antiochia und marschierten nach Nordosten. Die Soldaten waren mißmutig und dementsprechend langsam. Bereits das fruchtbare Tal des Orontes hatte den haeduischen Reitern erheblich zu schaffen gemacht, doch kaum hatten wir die Steppe von Cyrrhus erreicht, führten sie sich auf, als hätte ihnen jemand ein Betäubungsmittel verabreicht. Auch die dreitausend Galater waren alles andere als zuversichtlich. Tatsächlich ähnelte unser Vorrücken eher einer Trauerprozession als einem glorreichen Vormarsch. Da der Weg für die Fahrt im Wagen zu uneben war, reiste Crassus abseits des Heeres in einer Sänfte. Der Gerechtigkeit halber sei allerdings gesagt, daß er gesundheitlich offenbar nicht aufder Höhe war. Publius Crassus ließ ihn keinen Augenblick allein. Ein Feldzug ist für einen Dreiundsechzigjährigen ja auch kein Kinderspiel, vor allem dann nicht, wenn er seit fast zwanzig Jahren nicht mehr in den Krieg gezogen ist.

Abgarus, der König der Skeniter, marschierte nicht mit uns, sondern war bereits einen Monat früher aufgebrochen. Wir sollten ihn in Zeugma am Ostufer des Euphrat treffen, das wir erst Ende des Monats erreichten. Wie gesagt, wir marschierten nicht besonders schnell. Zu Beginn des Winters hat der Euphrat seinen niedrigsten Wasserstand und fließt ruhig dahin. Noch nie habe ich einen solchen Strom gesehen! So breit und tief und mächtig! Jedenfalls hätten wir ihn aufder Pontonbrücke, die von den — ich betone es ausdrücklich — tüchtigen Ingenieuren rasch zusammengebaut wurde, problemlos überqueren müssen.

Doch es sollte nicht sein — wie so vieles auf diesem zum Scheitern verurteilten Kriegszug. Plötzlich brauten sich aus dem Nichts heftige Stürme zusammen. Aus Angst, der Fluß könnte ansteigen, ließ Crassus die Überquerung sofort in Angriff nehmen. Also krochen die Soldaten auf allen vieren über die auf dem Wasser schaukelnden und tanzenden Pontons, während Blitze an vielen Stellen gleichzeitig einschlugen und der Donner die laut wiehernden Pferde durchgehen ließ. Die Luft war von schwefelgelbem Glühen und einem seltsam süßlichen Geruch durchdrungen, der mich ans Meer erinnerte. Es war entsetzlich. Und die Stürme ließen überhaupt nicht mehr nach. Tagelang jagte einer den anderen. Dabei regnete es so heftig, daß sich der Boden in Matsch verwandelte, während der Fluß immer weiter anstieg und die Überquerung trotz allem fortgesetzt wurde.

Ein größeres Chaos als in unserer Armee, nachdem Mann und Maus schließlich das Ostufer erreicht hatten, hast Du noch nicht gesehen. Alles war restlos durchnäßt, einschließlich des Weizens und der anderen Lebensmittelvorräte im Troß. Die Seile waren aufgequollen, die Sprungfedern der Wurfgeschütze hatten ihre Spannung verloren, die Holzkohle der Schmiede war unbrauchbar, die Zelte durchlässig wie Brautschleier. Und die wertvollen Befestigungspfähle zersplittert oder gesprungen. Falls es Deine Einbildungskraft nicht übersteigt, versuche Dir viertausend Pferde, zweitausend Maultiere und ein paar tausend Ochsen vorzustellen, die nur noch von panischer Angst regiert werden. Wir brauchten zwei nundinae, um sie wieder zu beruhigen — sechzehn kostbare Tage, die uns ein gutes Stück weiter nach Mesopotamien hätten bringen sollen. Die Legionäre waren in kaum besserer Verfassung als die Tiere. Der Feldzug, so sagten sie unter sich, stehe unter einem Fluch, und Crassus sei auch verflucht. Sie würden alle sterben müssen.

Doch dann kam Abgarus mit seinen viertausend leichtbewaffneten Fußsoldaten und Reitern. Wir hielten Kriegsrat ab. Censorinus, Vargunteius, Megabocchus und Octavius, vier der fünf Legaten von Crassus, wollten entlang des Euphrat weitermarschieren. Das sei sicherer, die Tiere könnten unterwegs grasen und wir unsere Essensvorräte aufstocken. Ich pflichtete ihnen bei, worauf ich mir zu meinem Leidwesen sagen lassen mußte, daß es einem einfachen Quästor nicht zustehe, seinen Vorgesetzten Ratschläge zu erteilen.

Abgarus war dagegen, daß wir uns dicht am Ufer des Euphrat hielten. Der Strom macht nämlich, falls Du es nicht weißt, unterhalb Zeugmas eine große Biegung Richtung Westen, was zugegebenermaßen den Marsch um etliche Meilen verlängert hätte. Erst nach der Einmündung des Bilechas fließt der Euphrat mehr oder weniger gerade in südöstlicher Richtung nach Mesopotamien.

Abgarus zufolge konnten wir daher mindestens vier oder fünf Tagesmärsche einsparen, wenn wir uns von Zeugma aus direkt nach Osten wandten und durch die Wüste bis zum Bilechas marschierten. Dem Bilechas brauchten wir nach einer scharfen Südkehre nur noch flußabwärts zum Euphrat zu folgen, und schon seien wir dort, wo wir hinwollten — in Nicephorium. Mit ihm als Führer, sagte Abgarus, könnten wir uns nicht verirren; außerdem sei der Marsch durch die Wüste nur kurz und gut zu überstehen.

Crassus stimmte Abgarus zu, und Publius Crassus stimmte wie immer seinem Vater zu. Wir würden also die Abkürzung durch die Wüste nehmen. Die vier Legaten versuchten zwar noch einmal, Crassus davon abzubringen, doch erfolglos. Schließlich habe er Carrhae und Sinnaca befestigen lassen, und diese Festungen seien zu unserem Schutz völlig ausreichend — abgesehen davon halte er sowiesojegliche Schutzmaßnahmen für überflüssig. Freund Abgarus konnte dem nur zustimmen. So hoch im Norden gebe es bekanntlich keine Parther.

Und ob es sie gab! Dafür hatte Abgarus gesorgt. Seleukeia wußte über jeden unserer Schritte Bescheid, und König Orodes war ein bei weitem besserer Stratege als der arme, geldgierige Marcus Crassus.

Da ich mir denken kann, daß Du, liebe Servilia, im fernen Rom höchstens eine vage Vorstellung vom Reich der Parther hast, sollte ich Dir zunächst erklären, daß es aus sehr vielen verschiedenen Regionen besteht. Das eigentliche Parthien liegt östlich des Kaspischen Meeres, weshalb wir nicht vom König von Parthien, sondern vom König der Parther sprechen. Orodes, der König der Parther, herrscht über Medien, Medien Atropatene, Persien, Gedrosien, Carmanien, Baktrien, Margiana, Sogdiana, Susiana, Elymais und Mesopotamien — ein größeres Gebiet als alle römischen Provinzen zusammen.

Jede dieser Regionen wird von einem Satrapen regiert, der den Titel eines Surenas trägt. Die meisten sind Söhne, Neffen, Vettern, Brüder oder Onkel des Königs. Im eigentlichen Parthien läßt sich der König nie blicken; im Sommer regiert er in Ekbatana, einer Stadt in der sanften Hügellandschaft Mediens, im Winter in Seleukeia am Tigris in Mesopotamien; im Frühling und Herbst weilt er in Susa. Daß er sich fast nur in den westlichen Kegionen seines riesigen Reichs aufhält, liegt vermutlich an Rom. Uns fürchtet er nämlich, während er die Inder oder die Sericaner, zwei große Völker, offenbar für keine besondere Bedrohung hält.

Zufällig ist der von Orodes mit dem Feldzug gegen Crassus betraute Surenas von Mesopotamien ein äußerst fähiger Satrap. Während der König in Begleitung seines Sohnes Pacorus zu einem Treffen mit König Artavasdes nach Norden in die armenische Hauptstadt Artaxata reiste — begleitet von ausreichend Soldaten, um sofort willkommen geheißen zu werden — , blieb der Pahlawi Surenas in Mesopotamien, wo er ein Heer gegen uns aufstellte. Das Heer bestand aus zehntausend Bogenschützen und zweitausend Kataphrakten — alle zu Pferd.

Ein interessanter Mann, dieser Pahlawi Surenas. Knapp dreißig Jahre alt — genau wie ich — und ein Neffe des Königs. Er soll ungewöhnlich schön sein — auf eine sehr feminine Weise. Statt sich mit Frauen abzugeben, bevorzugt er dreizehnbis fünfzehnjährige Knaben, denen er, sobald sie für seinen Geschmack zu alt sind, hohe Posten in Heer oder. Verwaltung verschafft, woran bei den Parthern allerdings niemand Anstoß nimmt.

Was dem Pahlawi Surenas allerdings Sorgen bereitete — ein Umstand übrigens, der Crassus und uns anderen wohlbekannt war und der uns, wie Abgarus uns versicherte, den Sieggarantierte —, war die Tatsache, daß den berittenen Bogenschützen der Parther sehr schnell die Pfeile ausgehen. Deshalb nützt ihnen ihr ganzes Geschick, mit dem sie noch auf der Flucht rückwärts auf ihre Verfolger schießen, schon nach kurzer Zeit nichts mehr.

Um diese Scharte auszuwetzen, hatte sich der Pahlawi Surenas etwas einfallen lassen. Zunächst stellte er gewaltige Kamelzüge auf und ließ die Tragkörbe der Tiere mit Ersatzpfeilen füllen. Dann trommelte er einige tausend Sklaven zusammen und brachte ihnen bei, die Bogenschützen während der Schlacht mit neuen Pfeilen zu versorgen. Als er sich von Seleukeia aus Richtung Norden in Bewegung setzte, um uns mit seinen berittenen Bogenschützen und Kataphrakten abzufangen, folgten ihm also Tausende von mit Ersatzpfeilen beladenen Kamelen sowie Tausende von Sklaven.

Woher ich das alles wisse, höre ich Dich fragen. Ich werde es Dir zu gegebener Zeit erklären. Hier will ich nur soviel verraten, daß ich es von Antipater erfuhr, einem sehr interessanten Prinzen am jüdischen Hof, dessen Spione und Informanten überall sind.

Am Bilechas gibt es eine Weggabelung, wo die Karawanenstraße von Palmyra und Nicephorium auf die Straße nach Samosata am Oberlauf des Euphrat und die Straße über Carrhae nach Edessa und Amida trifft. Genau diese Stelle sollte Ziel unseres Marsches durch die Wüste sein.

Unser Heer bestand aus fünfunddreißigtausend römischen Fußsoldaten, tausend haeduischen und dreitausend galatischen Reitern. Die Soldaten hatten sich schon vor unserem Aufbruch in die Wildnis schrecklich gefürchtet, und ihre Angst wuchs mit jedem Tag. Um das zu merken, brauchte ich nur durch ihre Reihen zu reiten und sie reden zu hören. Nicht, daß eine Meuterei gedroht hätte. Meuternde Soldaten haben zumindest irgendein Ziel, unsere Männer dagegen hatten jede Hoffnung verloren. Sie schleppten sich nur ihrem Untergang entgegen, als wären sie Gefangene auf dem Weg zum Sklavenmarkt. Am schlimmsten erging es den Haeduern. Nie zuvor hatten sie eine wasserlose Wüste, eine solche graubraune Ödnis ohne Schatten und bar jeder Schönheit gesehen. Sie kehrten den Blick nach innen und wurden stumpf und apathisch.

Zwei Tage nach unserem Abmarsch sahen wir die ersten kleineren Trupps von Parthern, zumeist Bogenschützen, hin und wieder auch Kataphrakten. Nicht, daß sie uns behelligt hätten; sie ritten zwar recht nah an uns heran, sprengten aber sogleich wieder davon. Heute weiß ich, daß sie Verbündete von Abgarus waren und dem Pahlawi Surenas, der sein Lager vor Nicephorium am Zusammenfluß von Bilechas und Euphrat aufgeschlagen hatte, Bericht über uns erstatteten.

Vier Tage vor den Iden des Juni erreichten wir den Bilechas, wo ich Marcus Crassus beschwor, ein gut befestigtes Lager zu errichten und die Truppen so lange dort zu lassen, bis Legaten und Tribunen sie wieder halbwegs aufgerichtet hätten. Doch Crassus wollte davon nichts wissen. Er war gereizt, weil wir bereits erheblich in Verzug waren, und wollte unbedingt noch vor Anfang des heißen Sommers die Kanäle erreichen, wo Euphrat und Tigris fast ineinanderfließen, obwohl er sich selbst schon fragte, wie ihm das überhaupt noch gelingen sollte. Daher befahl er den Soldaten, nach einer kurzen Pause sofort flußabwärts weiterzumarschieren. Es war noch früh am Nachmittag.

Plötzlich merkte ich, daß König Abgarus und seine viertausend Mann im wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwunden waren. Auf und davon! Schreiend kamen ein paar galatische Späher herbeigaloppiert, doch noch ehe sie sich mit ihrer Warnung, daß es in der ganzen Gegend von Parthern nur so wimmele, richtig Gehör verschaffen konnten, prasselte auch schon aus allen Richtungen ein Hagel von Pfeilen nieder, und die Soldaten begannen zu fallen wie Laub, wie Steine. Glaub mir, dieser Pfeilhagel war grauenvoller als alles, was ich bis dahin gesehen hatte.

Und Crassus tat nichts. Er ließ es einfach geschehen.

»Es ist gleich vorüber«, brüllte er hinter einer schützenden Wand aus Schilden hervor. »Die Pfeile werden ihnen ausgehen.«

Aber die Pfeile gingen ihnen nicht aus. Überall sah man römische Soldaten davonrennen — und umfallen. Schließlich ließ Crassus die Trompeter zum Sammeln blasen, doch da war es bereits viel zu spät. Schon rückten die Kataphrakten an, um uns den Todesstoß zu versetzen — riesige Männer auf gewaltigen gepanzerten Schlachtrössern. Als sie sich im Trab näherten — sie waren zu groß und zu schwer, um zu galoppieren — klang es, als klimperten Millionen von Münzen in Tausenden von Geldbeuteln, und ich überlegte unwillkürlich, ob das wohl Musik in Crassus’ Ohren war. Die Erde zitterte, als sie auf uns zustampften. Eine gewaltige Staubwolke stieg um sie auf, in deren Mitte sie als drohende Schatten zu sehen waren.

Publius Crassus scharte die haeduischen Reiter um sich, die anscheinend plötzlich wieder zur Besinnung kamen, vielleicht weil eine Schlacht das einzig Vertraute war, an das sie sich klammern konnten. Die Galater folgten ihnen, und so stürmten viertausend unserer Reiter wie wildgewordene Stiere auf die Kataphrakten zu. Als sie deren Reihen durchbrachen, wandten sich die Kataphrakten zur Flucht. Publius Crassus und seine Reiter setzten ihnen nach, und sofort hatte der dichte Staub alle verschluckt. Während dieser kurzen Pause gelang es Crassus, seine Truppen in einem Viereck aufzustellen. Dann wartete er unter Stoßgebeten an sämtliche Götter darauf, daß die Haeduer und Galater wieder auftauchten. Doch es waren die Kataphrakten, die zurückkehrten. Den Kopf von Publius Crassus hatten sie auf eine Lanze gespießt. Anstatt unser Viereck anzugreifen, trabten sie an dessen Seiten auf und ab und schwenkten den grauenvollen Kopf. Die glänzenden Augen in dem fast unversehrten Gesicht von Publius Crassus schienen uns geradezu anzusehen.

Wie erschüttert sein Vater war, läßt sich nicht in Worte fassen. Doch schien der Schock etwas in ihm zu wecken, das ich seit Beginn des Feldzuges nicht an ihm bemerkt hatte. Er lief an den Reihen seiner Soldaten auf und ab, feuerte die Männer an, ermutigte sie durchzuhalten und rief, sein Sohn habe mit seinem Leben den von allen so dringend benötigten Aufschub erkauft.

»Haltet aus!« schrie er immer wieder. »Weicht nicht zurück!«

Und obwohl der nicht enden wollende Pfeilhagel auffurchtbare Weise unsere Reihen lichtete, hielten wir durch, bis sich mit Einbruch der Dunkelheit die Parther zurückzogen. Sie scheinen nachts nicht zu kämpfen.

Da wir kein Lager aufgeschlagen hatten, hielt uns nichts an diesem Ort. Crassus entschied sich für den sofortigen Rückzug ins ungefähr vierzig Meilen nördlich gelegene Carrhae, wo wir im Morgengrauen in versprengten Gruppen eintrafen — insgesamt vielleicht die Hälfte der Legionäre und eine Handvoll Reiter. Doch was erwartete uns dort? Es war einfach nicht zu fassen, aber Carrhae mit seiner kleinen Festung konnte so vielen Männern, die ungeordnet hereinströmten, keinerlei Schutz bieten.

Carrhae steht wahrscheinlich schon seit zweitausend Jahren an der Kreuzung der Handelsstraßen nach Edessa und Amida, und ich wage zu behaupten, daß es sich in diesen zweitausend Jahren kein bißchen verändert hat. Ein paar erbärmliche, bienenkorbartige Lehmziegelhäuser inmitten einer steinigen, trostlosen Wildnis. Schafe, Ziegen, Frauen, Kinder, der Fluß — alles starrt vor Schmutz. Die einzige Wärmequelle in der bitteren Kälte ist getrockneter Mist, der einzige Glanz kommt vom nächtlichen Himmel.

Befehlshaber der dortigen Garnison, einer jämmerlichen Kohorte, war der Präfekt Coponius, der aus seinem Entsetzen keinen Hehl machte, als nach und nach immer mehr von uns eintrudelten. Wir besaßen nichts Eßbares mehr, weil die Parther unseren Proviant erbeutet hatten, und die meisten unserer Männer und Pferde waren verwundet.. Wir konnten nicht in Carrhae bleiben, soviel war klar.

Crassus beriet mit uns, und es wurde beschlossen, bei Einbruch der Dunkelheit den Rückzug nach Sinnaca anzutreten — noch einmal genausoweit nach Nordosten, in Richtung Amida. Sinnaca war eine wesentlich besser befestigte Stadt und hatte immerhin ein paar Kornspeicher. Aber das ist doch die völlig falsche Richtung! hätte ich am liebsten gebrüllt. Doch Coponius war in Begleitung des Andromachus, eines Mannes aus Carrhae, im Rat erschienen, und Andromachus schwor Stein und Bein, daß die Parther zwischen Carrhae und Edessa, Carrhae und Samosata und überhaupt zwischen Carrhae und jedem Ort am Euphrat auf der Lauer lägen. Er bot an, uns erst nach Sinnaca und von dort nach Amida zu führen. Gramgebeugt wegen des Todes von Publius nahm Crassus das Angebot an. Ein Fluch lastete auf ihm, wirklich! Welche Entscheidung er auch traf, sie erwies sich als falsch. Andromachus war ein Spion der Parther.

Ich wußte es. Im Lauf des Tages wuchs meine Überzeugung, daß der Marsch nach Sinnaca unter der Führung von Andromachus unser Todesurteil bedeuten würde. Also berief ich selbst einen Rat ein, zu dem ich auch Crassus einlud. Er kam nicht. Dafür kamen die anderen — Censorinus, Megabocchus, Octavius, Vargunteius, Coponius und Egnatius, außerdem ein widerlich schmutziger und zerlumpter Haufen von Wahrsagern und Zauberern. Coponius war schon so lange an diesem unsäglichen Ende der Welt, daß er sie anzog wie ein verwesender Kadaver die Fliegen. Ich erklärte allen Anwesenden, daß ich für meinen Teil bei Einbruch der Dunkelheit nicht nach Nordosten in Richtung Sinnaca, sondern in südwestlicher Richtung nach Syrien reiten würde. Falls die Parther auf der Lauer lägen — was ich mir im übrigen nicht vorstellen könne —, würde ich es eben darauf ankommen lassen. Skenitischen Führern würde ich mich jedenfalls nicht mehr anvertrauen!

Coponius war dagegen, die anderen auch. Soweit käme es noch, daß Legaten, Tribunen und Präfekten ihren Feldherrn im Stich ließen! Auch der Quästor dürfe das nicht. Der einzige, der mir zustimmte, war der Präfekt Egnatius. Die anderen wollten Marcus Crassus die Treue halten.

Ich verlor die Beherrschung, eine, wie ich zugeben muß, Schwäche meiner Familie. »Dann rennt doch in euer Verderben!« rief ich. »Und wer am Leben bleiben will, sucht sich am besten schleunigst ein Pferd, denn ich reite nach Syrien und traue niemandem außer mir selbst!«

Die Wahrsager fingen aufgeregt an zu kreischen. »Nein, Gaius Cassius!« krächzte der älteste von ihnen, der mit Amuletten, Rattenknochen und gräßlichen Achataugen behängt war. »Du kannst gehen, aber nicht schon jetzt! Der Mond steht noch im Skorpion. Warte, bis er in das Zeichen des Schützen eintritt!«

Ich sah sie an und mußte lachen. »Danke bestens«, sagte ich, »aber wir sind hier in der Wüste, und da ist mir der Skorpion weitaus lieber als der Bogenschütze!«

Ungefähr fünfhundert von uns machten sich auf den Weg. Die Nacht über ritten wir abwechselnd im Schritt, Trab oder Galopp. Bei Tagesanbruch erreichten wir Europus, das die Einheimischen Karkemisch nennen. Kein einziger Parther lauerte uns auf, und der Euphrat floß so ruhig dahin, daß wir mit Pferden und allem anderen übersetzen konnten. Wir ritten ohne Pause weiter bis Antiochia.

Später erfuhr ich, daß alle, die bei Crassus geblieben waren, dem Pahlawi Surenas in die Hände gefallen waren. Im Morgengrauen des zweiten Tages vor den Iden — als wir gerade in Europus einritten — marschierten sie dank Andromachus noch immer im Kreis herum, ohne Sinnaca auch nur eine Meile näherzukommen. Dann griffen die Parther erneut an. Die unsrigen versuchten abwechselnd, die Stellung zu halten und sich zurückzuziehen, doch wurden sie von den Parthern niedergemetzelt. Crassus’ Legaten fielen alle.

Der Pahlawi Surenas hatte den Befehl, Marcus Crassus nicht zu töten, sondern nur gefangenzunehmen, denn dieser sollte lebend vor König Orodes treten. Was genau geschah, weiß keiner, nicht einmal Antipater, doch kurz nachdem Crassus gefangengenommen worden war, brach ein Kampf aus, bei dem Marcus Crassus starb.

Sieben Silberadler fielen dem Pahlawi Surenas in Carrhae in die Hände. Wir werden sie niemals wiedersehen. Sie sind mit König Orodes nach Ekbatana verschwunden.

Somit war plötzlich ich ranghöchster Römer in Syrien und für eine am Rande der Panik stehende Provinz verantwortlich. Jeder rechnete mit einem Einmarsch der Parther, und wir hatten nicht einmal eine Armee. Die nächsten beiden Monate verbrachte ich damit, aus Antiochia eine Festung zu machen, die jedem nur denkbaren Angriff standhalten würde, und organisierte ein System von Wachen, Beobachtungsposten und Leuchtfeuern, das es der gesamten Bevölkerung des Orontes-Tales im Notfall ermöglichen sollte, sich rechtzeitig in der Stadt in Sicherheit zu bringen. Dann tauchten plötzlich, ob Du es glaubst oder nicht, versprengte Legionäre auf. Nicht alle waren bei Carrhae gefallen. Alles in allem sammelte ich ungefähr zehntausend Mann ein; das reichte für zwei anständige Legionen. Und meinem unschätzbaren Informanten Antipater zufolge hatte der Pahlawi Surenas zehntausend weitere Legionäre, die die erste Schlacht am Bilechas überlebt hatten, zusammengetrieben und an die Grenze von Baktrien jenseits des Kaspischen Meeres geschickt, wo sie die Massageten von Überfällen abhalten sollten. Pfeile verwunden zwar, sind aber nur selten tödlich.

Im November hielt ich es für sicher genug, eine Reise durch meine Provinz zu wagen. Jawohl, meine. Der Senat hat keinerlei Anstalten gemacht, mich abzulösen. Mit dreißig Jahren ist Gaius Cassius Longinus also Statthalter von Syrien geworden. Eine außerordentliche Verantwortung, allerdings keine, der ich nicht gewachsen wäre.

Als erstes besuchte ich Damaskus und anschließend Tyrus. Weil der Purpur aus Tyrus so schön ist, neigen wir dazu, uns Tyrus ebenfalls schön vorzustellen. In Wirklichkeit ist es ein gräßlicher Ort. Es stinkt dermaßen nach toten Schalentieren, daß einem dauernd schlecht wird. Auf der gesamten Länge der ans Landesinnere grenzenden Seite von Tyrus türmen sich riesige Haufen aus Überresten gekochter Purpurschnecken; sie überragen sogar noch die ohnehin schon himmelhohen Gebäude. Wie es die Tyrer auf dieser Insel der Fäulnis und des sagenhaften Reichtums aushalten, ist mir ein Rätsel. Aber egal, als Statthalter von Syrien habe ich das Glück, in der Villa des obersten Ethnarchen Demetrius einquartiert zu sein, einer luxuriösen Residenz an der Seeseite der Stadt, wo ständig eine frische Brise weht, die den Gestank vergessen läßt.

Hier lernte ich jenen Mann kennen, dessen Namen ich bereits erwähnt habe — Antipater. Er ist etwa achtundvierzig Jahre alt und übt erheblichen Einfluß im jüdischen Reich aus. Religiös zählt er sich zu den Juden, obwohl er eigentlich idumäischer Herkunft ist, was offenbar nicht dasselbe ist. Durch seine Heirat mit einer nabatäischen Prinzessin namens Cypros hat er sich mit der Synode, dem obersten religiösen Gremium, überwarfen. Da bei den Juden die Staatsangehörigkeit in der mütterlichen Linie vererbt wird, sind die Tochter und die drei Söhne Antipaters keine Juden, was letzten Endes bedeutet, daß weder der sehr ehrgeizige Antipater noch seine Söhne König der Juden werden können. Trotzdem würde sich Antipater um nichts in der Welt von Cypros trennen und läßt sich von ihr überallhin begleiten. Das nenne ich Liebe. Ihre drei Söhne — alle noch in jugendlichem Alter — sind für ihr Alter erstaunlich entwickelt. Der schon ungemein beeindruckende älteste Sohn Phasael wird von Herodes, dem Zweitältesten, sogar noch in den Schatten gestellt. Ihn könnte man als perfekte Mischung aus Verschlagenheit und vollkommener Skrupellosigkeit bezeichnen. Ich würde Syrien gern in zehn Jahren noch einmal regieren, nur um zu sehen, was aus Herodes geworden ist.

Antipater unterbreitete mir die parthische Version vom verhängnisvollen Feldzug des armen Marcus Crassus sowie einige noch interessantere Neuigkeiten. Und zwar wurde der Pahlawi Surenas von Mesopotamien, der sich am Bilechas so glänzend bewährt hatte, vor den Hof in Ekbatana zitiert. Als Untertan eines parthischen Königs sollte man eben nie versuchen, seinen König zu übertrumpfen. Denn auch wenn Orodes vom Sieg über Crassus begeistert war — über das Feldherrngeschick des Pahlawi Surenas, seines leiblichen Neffen, war er alles andere als erbaut. Also ließ Orodes ihn kurzerhand hinrichten. In Rom feiert man nach einem Sieg Triumphe, in Ekbatana wird man, wie Du siehst, geköpft.

Zu der Zeit, als ich Antipater in Tyrus kennenlernte, verfügte ich zwar über zwei gute, einsatztaugliche Legionen, aber ein Feldzug, bei dem sie sich hätten bewähren können, war nicht in Sicht. Das sollte sich jedoch sehr schnell ändern. Nun, da die Parther keine Bedrohung mehr darstellten, sorgten die Juden für Unruhe. Obwohl Aristobulus und sein Sohn Antigonus nach dem von ihnen angezettelten Aufstand von Gabinius nach Rom ausgeliefert worden waren, hielt ein anderer Sohn des Aristobulos namens Alexander den Zeitpunkt für gekommen, den von Gabinius mit — wie ich ausdrücklich hinzufügen möchte — tatkräftiger Unterstützung des Antipater als Herrscher eingesetzten Hyrcanus vom jüdischen Thron zu stürzen. Na ja, ganz Syrien wußte, daß der Statthalter nur ein einfacher Quästor war; das war natürlich eine einmalige Gelegenheit. Mit Malichus und Peitholaus waren zwei weitere hochrangige Juden an Alexanders Verschwörung beteiligt.

Ich marschierte also in Richtung Hierosolyma, oder auch Jerusalem, wenn Dir dieser Name eher zusagt. Schon bald stieß ich auf die aufständische, über dreißigtausend Mann starke jüdische Armee. Die Schlacht fand an der Stelle statt, wo der Jordan aus dem See Genezareth Hießt. Ja, wir waren zahlenmäßig weit unterlegen, aber Peitholaus, der jüdische Oberbefehlshaber, hatte einfach einen militärisch völlig unerfahrenen Haufen aus dem Landesinnern Galiläas zusammengetrieben, den Männern Töpfe auf die Köpfe und Schwerter in die Hände gedrückt und ihnen befohlen, ins Feld zu ziehen und zwei gut ausgebildete und disziplinierte römische Legionen zu schlagen. Ich besiegte sie haushoch, wodurch meine Legionäre einen Großteil ihres Selbstvertrauens zurückgewannen. Noch auf dem Schlachtfeld feierten sie mich als Imperator, obwohl ich bezweifle, daß der Senat einem einfachen Quästor einen Triumph bewilligt. Antipater riet mir, Peitholaus hinzurichten, und ich zögerte nicht, seinen Rat zu befolgen. Antipater ist kein skenitischer Verräter, obwohl anscheinend viele Juden meine Einschätzung nicht teilen. Sie wollen ihr Land natürlich regieren, ohne daß Rom ihnen dabei ständig über die Schulter guckt. Antipater scheint der einzige Realist unter ihnen zu sein, denn Rom wird bleiben.

Bei der Schlacht waren nicht viele Galiläer ums Leben gekommen. Ich schickte dreißigtausend von ihnen zu den Sklavenmärkten in Antiochia, wodurch ich zum ersten Mal persönlich vom Oberbefehl über eine Armee profitieren konnte. Tertulla wird also einen wesentlich reicheren Mann heiraten!

Antipater ist ein guter Mann. Vernünftig, scharfsinnig und ungeheuer bemüht, Rom zu gefallen und die Juden davon abzuhalten, sich gegenseitig umzubringen. Sie scheinen nicht miteinander auszukommen, wenn kein Außenstehender wie die Römer oder früher die Ägypter sie von ihren Problemen ablenkt.

Hyrcanus sitzt also nach wie vor auf seinem Thron und bekleidet das Amt des Hobepriesters. Und Malichus und Alexander, die überlebenden Rebellen, kuschen mittlerweile, ohne zu murren.

Und nun komme ich zum letzten Abschnitt der ungewöhnlichen Karriere des Marcus Crassus. Obwohl er nach der Schlacht von Carrhae dort gestorben war, stand ihm noch eine letzte Reise bevor. Der Pahlawi Surenas ließ ihm nämlich Kopf und rechte Hand abhacken und schickte beides in einem makabren Umzug von Carrhae in die armenische Hauptstadt Artaxata hoch im Norden, inmitten eines gewaltigen Schneegebirges, von dem der Araxes ins Kaspische Meer hinabfließt. Dort hatten König Orodes und König Artavasdes gerade beschlossen, künftig nicht mehr Feinde, sondern Brüder zu sein und diesen Pakt mit einer Hochzeit zu besiegeln. Pacorus, der Sohn des Orodes, bekam Laodice, die Tochter von Artavasdes, zur Frau. Wie Du siehst, ist dort nicht alles anders als in Rom.

Während also in Artaxata die Hochzeitsfeierlichkeiten begannen, begab sich der schauerliche Umzug auf seinen Weg nach Norden. Die Parther hatten einen Zenturio namens Gaius Paccianus in ihre Gewalt gebracht, den sie aufgrund seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit Marcus Crassus am Leben ließen — beide waren groß, dabei aber so untersetzt, daß sie schon wieder klein wirkten, und von einer gewissen Schwerfälligkeit. Sie zogen ihm die toga praetexta des Crassus über und ließen als Liktoren verkleidete Spaßmacher vor ihm herumspringen; sie schwenkten Rutenbündel, die mit römischen Eingeweiden zusammengebunden und mit Geldbeuteln sowie den Köpfen von Crassus’ Legaten verziert waren. Hinter dem falschen Marcus Crassus stolzierten Huren und Tänzerinnen. Musikanten gaben unflätige Lieder zum besten, und Pornohefte, die man im Gepäck des Tribunen Roscius gefunden hatte, wurden herumgezeigt. Als nächstes folgten Kopf und Hand des Crassus’ und als Nachhut schließlich unsere sieben Adler.

König Artavasdes von Armenien scheint ein fanatischer Liebhaber des griechischen Dramas zu sein, und da auch Orodes Griechisch spricht, wurden bei der Hochzeit von Pacorus und Laodice unter anderem einige berühmte griechische Stücke aufgeführt. An jenem Abend, an dem der Umzug in Artaxata eintraf, fand eine Aufführung der Bakchen des Euripides statt. Du kennst das Stück ja. Die Rolle der Königin Agaue wurde von Jason von Tralles gespielt, einem berühmten Schauspieler der Stadt. Noch berühmter als für seine glänzende Darstellung weiblicher Rollen ist Jason von Tralles jedoch für seinen Haß auf die Römer.

Bekanntlich trägt Agaue bei ihrem Auftritt in der letzten Szene einen Teller mit dem Kopf ihres Sohnes König Pentheus, den sie bei einer bacchantischen Orgie eigenhändig enthauptet hat. Als es soweit war, erschien Königin Agaue auf der Bühne. Auf dem Teller, den sie in Händen hielt, lag der Kopf von Marcus Crassus. Jason von Tralles stellte den Teller hin, riß sich die Maske vom Gesicht und hob Crassus’ Kopf hoch, was nicht schwierig war, da Crassus sich wie viele kahlköpfige Männer die Haare am Hinterkopf hatte lang wachsen lassen, damit er sie nach vorn kämmen konnte. Mit triumphierendem Grinsen ließ der Schauspieler nun den Kopf wie eine Lampe hin-- und herschwingen.

»Gesegnet das Opfer, das ich bringe, frisch vom Rumpf getrennt!« rief er.

»Wer erschlug ihn?« fragte der Chor im Sprechgesang.

»Mein ist der Ruhm!« schrie mit gellender Stimme Pomaxarthres, ein hoher Offizier aus dem Heer des Pahlawi Surenas.

Wie es heißt, fand die Szene großen Anklang.

Anschließend wurden Kopf und rechte Hand des Crassus auf den Zinnen der Mauern von Artaxata zur Schau gestellt, wo sie, soviel ich weiß, heute noch zu sehen sind, während sein Körper an der Stelle bei Carrhae, wo Crassus den Tod fand, den Geiern zum Fraß überlassen wurde.

Ach Marcus! Daß es dazu kommen mußte. Konntest du nicht voraussehen, wie das alles enden würde? Ateius Capito hat dich verflucht, die Juden haben dich verflucht, dein eigenes Heer schenkte diesen Flüchen Glauben, und du tatest nichts, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Fünfzehntausend brave römische Soldaten tot, zehntausend weitere auf Lebenszeit an eine fremde Grenze verbannt und meine haeduischen Reiter und der größte Teil der Galater verloren! Und Syrien wird von einem unternehmungslustigen, unerträglich arroganten jungen Mann regiert, dessen geringschätziges Urteil dir für alle Zeiten anhängen wird. Die Parther mögen dich umgebracht haben, aber Gaius Cassius hat deinen Ruf ruiniert. Ich wüßte, welches Schicksal ich vorziehen würde.

Auch dein tüchtiger ältester Sohn ist tot, wie du ein Opfer der Geier. In der Wüste erübrigen sich Leichenverbrennung und Begräbnis. Der alte König Mithridates ließ Manius Aquillius rückwärts auf einen Esel binden und ihm geschmolzenes Gold in die Kehle gießen, um seine Habgier zu kurieren. War es das, was Orodes und Artavasdes mit dir vorhatten? Aber du hast ihnen ein Schnippchen geschlagen und bist gestorben, bevor sie dazu kamen. Vermutlich erlitt statt deiner ein bedauernswerter Zenturio namens Paccanius dieses Schicksal. Und jetzt starren deine Augenhöhlen blind über die kalten Berge in die eisige Unendlichkeit des Kaukasus.

Caesar blieb lange auf seinem Stuhl sitzen und erinnerte sich. Wie Crassus sich gefreut hatte, als der Pontifex Maximus eine Klingel installieren ließ, für die er selbst aus Geiz kein Geld hatte ausgeben wollen. Welcher Überredungskünste es bedurft hatte, damit er und Pompeius sich nach Ablauf ihres ersten gemeinsamen Konsulats auf der Rednerbühne vor aller Öffentlichkeit umarmten. Wie er ohne zu zaudern die nötigen Anweisungen erteilt hatte, um Caesar aus den Händen der Geldverleiher und vor dem ewigen Exil zu retten. Wie wohltuend die vielen, vielen Stunden gewesen waren, die sie im Laufe der Jahre zwischen den Kämpfen gegen Spartacus und später gegen die Gallier gemeinsam verbracht hatten. Wie verzweifelt Crassus sich einen militärischen Erfolg und anschließenden Triumph in Rom gewünscht hatte.

Das alles war für immer vorbei. Säuberlich abgenagt von den Geiern, weder verbrannt noch begraben. Wer hätte das gedacht? Caesar nahm ein Blatt Papier, tauchte die Feder aus Schilfrohr in das im Tisch eingelassene Tintenfaß und schrieb an seinen Freund Messalla Rufus in Rom, damit dieser für die Schatten der Enthaupteten die Gebühr für die Reise ins Totenreich entrichten konnte.

Ich werde noch zu einem Fachmann für abgeschlagene Köpfe, dachte er mit zusammengekniffenen Augen.

Glücklicherweise war Lucius Cornelius Balbus gerade bei Caesar, als Pompeius’ Antwort auf seinen Brief mit den beiden Heiratsvorschlägen und der Bitte um eine Gesetzesänderung, die eine Kandidatur in absentia für das Konsulat ermöglichte, eintraf.

»Ich fühle mich sehr einsam«, sagte Caesar ohne Selbstmitleid zu Balbus. Er zuckte die Schultern. »So ist das eben, wenn man älter wird.«

»Bis man sich aus dem aktiven Leben zurückzieht«, sagte Balbus freundlich, »die Früchte seiner Arbeit genießt und im Kreis der Freunde ausspannt.«

Caesars Augen begannen zu funkeln, und seine Mundwinkel zuckten. »Was für eine gräßliche Vorstellung! Ich habe keineswegs vor, mich zurückzuziehen, Balbus.«

»Meinst du nicht, daß irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem alles getan ist?«

»Wenn ja, dann bestimmt nicht für den, der vor dir steht. Wenn der Krieg in Gallien vorbei und mein zweites Konsulat abgelaufen ist, muß ich Marcus Crassus rächen. Ich stehe immer noch unter Schock, von dem hier ganz zu schweigen.« Caesar tippte auf Pompeius’ Brief.

»Und der Tod von Publius Clodius?«

Das Funkeln in Caesars Augen erlosch, sein Mund erstarrte. »Der Tod von Publius Clodius war unvermeidlich. Seine Versuche, den mos maiorum zu manipulieren, mußten unterbunden werden. Der junge Curio hat es in seinem Brief an mich auf den Punkt gebracht: Es sei geradezu verblüffend, wie Clodius es geschafft habe, die unterschiedlichsten Leute für eine gemeinsame Sache zu gewinnen. Wie Curio schrieb, war Clodius drauf und dran, die römische Volksversammlung einem Haufen von Nichtrömern zu überlassen.«

Balbus, zwar Bürger Roms, aber kein Römer, zuckte mit keiner Wimper. »Wie es heißt, steckt der junge Curio in ganz beträchtlichen Geldnöten.«

»Ach ja?« Caesar sah Balbus nachdenklich an. »Brauchen wir ihn?«

»Im Moment nicht. Aber das könnte sich ändern.«

»Wie beurteilst du Pompeius nach diesem Brief?«

»Was sagst du, Caesar?«

»Ich weiß nicht recht. Allerdings war es sicher falsch, ihn mit einer neuen Ehefrau gewinnen zu wollen. Er ist in der Wahl seiner Frau sehr anspruchsvoll geworden. Die Tochter eines Octavius und einer Ancharia ist ihm nicht gut genug, das lese ich zumindest zwischen den Zeilen des Briefes. Ich hätte zwar gedacht, er würde selbst daraufkommen, aber vielleicht hätte ich ganz offen sagen sollen, daß ich ihm, sobald die jüngere Octavia ins heiratsfähige Alter gekommen wäre, die erste Octavia gern wieder abgenommen und durch die zweite ersetzt hätte. Obwohl die erste sehr gut zu ihm gepaßt hätte. Sie ist zwar keine Julierin, wurde aber immerhin von einem Julier erzogen. Und das merkt man, Balbus.«

»Ich bezweifle, daß aristokratisches Auftreten Pompeius auch nur annähernd so beeindruckt wie aristokratische Vorfahren«, sagte Balbus mit einem kaum merklichen Lächeln.

»Ich wüßte zu gern, an wen er denkt.«

»Genau deshalb bin ich eigentlich nach Ravenna gekommen, Caesar. Auf meiner Schulter landete nämlich ein Vögelchen und zwitscherte mir zu, daß die boni ihn mit der Witwe des Publius Crassus ködern wollen.«

Caesar fuhr hoch. »Cacat!« Er entspannte sich wieder und schüttelte den Kopf. »Das würde Metellus Scipio niemals zulassen, Balbus. Außerdem kenne ich die junge Dame. Sie ist keine Julia. Ich bezweifle, daß sie Leuten wie Pompeius gestatten würde, auch nur den Saum ihres Gewandes zu berühren, geschweige denn, ihn anzuheben.«

Balbus hob eine Hand. »Die boni sind angesichts deines kometenhaften Aufstiegs, den sie beim besten Willen nicht verhindern konnten, mittlerweile so verzweifelt, daß sie erwägen, sich Pompeius auf genau dieselbe Weise dienstbar zu machen, wie du es tust. Und womit könnten sie ihn sich besser verpflichten als durch eine Heirat, die so erstklassig ist, daß er nicht wagen würde, abzulehnen? Ihm eine Cornelia Metella zur Frau zu geben hieße, ihn in ihre Reihen aufzunehmen. Für Pompeius wäre Cornelia Metella die Bestätigung, daß er tatsächlich der Erste Mann Roms ist.«

»Du hältst es also für möglich?«

»Allerdings. Die junge Dame ist eine kaltblütige Person. Wenn sie die Notwendigkeit ihres Opfers einsieht, wird sie es ebenso bereitwillig bringen wie Iphigenie in Aulis.«

»Wenn auch aus völlig anderen Gründen.«

»Ja und nein. Ich bezweifle, daß irgendein Mann Cornelia Metella jemals so befriedigen könnte, wie es ihr Vater tut, und Metellus Scipio hat ja in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit Agamemnon. Außerdem ist Cornelia Metella so sehr in ihren adligen Namen verliebt, daß sie die Vorstellung, ein Pompeius aus Picenum könnte ihn verdunkeln, weit von sich weisen würde.«

»Wenn das so ist«, sagte Caesar entschieden, »werde ich die Alpen noch nicht so schnell überqueren. Zuerst muß ich mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen, was in Rom passiert.« Er biß die Zähne zusammen. »Wo ist mein Glück geblieben? Warum kann eine Familie, die bekannt dafür ist, mehr weibliche als männliche Nachkommen in die Welt gesetzt zu haben, ausgerechnet dann kein Mädchen vorweisen, wenn ich eines brauche?«

»Du bist nicht auf Glück angewiesen, Caesar«, sagte Balbus fest. »Du wirst es auch so schaffen.«

Nachdem sich Balbus zurückgezogen hatte, dachte Caesar nicht mehr an Rom. Er ließ seine Gedanken nach Syrien schweifen, wo zweifellos in diesem Moment die sieben verlorenen Silberadler in den Sälen des parthischen Palastes von Ekbatana ausgestellt wurden. Man mußte sie Orodes wieder entreißen, aber das hieß Krieg mit Orodes und wahrscheinlich auch mit Artavasdes von Armenien. Seit Caesar den Brief von Gaius Cassius gelesen hatte, beschäftigte ihn der Osten, und er zermarterte sich das Hirn nach einer geeigneten Strategie, mit der sich ein mächtiges Reich und zwei schlagkräftige Armeen besiegen ließen. Daß es möglich war, hatte Lucullus in Tigranocerta bewiesen. Bevor er dann alles wieder zunichte gemacht oder vielmehr zugelassen hatte, daß Publius Clodius es zunichte machte. Wenigstens das war eine gute Nachricht — Clodius war tot. In keiner meiner Armeen wird es jemals einen Clodius geben. Ich brauche Männer wie Decimus Brutus, Gaius Trebonius, Gaius Fabius und Titus Sextius — alles hervorragende Leute. Sie kennen mich und sind in der Lage, zu führen und sich unterzuordnen. Aber Titus Labienus kann ich auf einem Feldzug gegen die Parther nicht gebrauchen. Von mir aus soll er seine Zeit in Gallien noch zu Ende bringen, aber dann bin ich mit ihm fertig.

Die Neuordnung Galliens hatte sich als äußerst schwierige Aufgabe herausgestellt, auch wenn Caesar wußte, was zu tun war. Entscheidend war unter anderem, zu möglichst vielen gallischen Anführern gute Beziehungen zu knüpfen, damit erstens die Gallier das Gefühl hatten, ihre Zukunft mitgestalten zu können, und zweitens ihre gewählten Führer Rom gegenüber absolut treu waren. Nicht wie Acco oder Vercingetorix, die überzeugt waren, die ständige innere Zerissenheit ihres Landes sei jeder Art von Einheit unter Fremdherrschaft vorzuziehen, sondern wie Commius und Vertico, die davon ausgingen, daß sich die gallischen Sitten und Bräuche am besten unter dem Schutz römischer Schilde bewahren ließen. Natürlich strebte Commius die Alleinherrschaft über die Belgen an, das war offensichtlich. Aber warum auch nicht, wenn das die Verschmelzung der belgischen Stämme zu einem Volk einleitete? Rom behandelte die von ihm abhängigen Könige gut; deshalb hatte sich auch bereits ein Dutzend in seinen Schoß begeben.

Doch Titus Labienus war weder ein großer Denker noch ein Politiker. Außerdem empfand er unversöhnlichen Haß auf Commius, seit Commius seine Dienste als Verbindungsmann zu Caesar zurückgewiesen hatte.

Weil Caesar das wußte, hatte er stets sorgfältig darauf geachtet, daß sich Labienus und der Atrebatenkönig Commius nicht zu nahe kamen. Trotzdem hatte er erst am Vortag, als Hirtius in großer Eile aus dem fernen Gallien eingetroffen war, erkannt, weshalb ihn Labienus gebeten hatte, ihm für den Winter den Militärtribunen Gaius Volusenus Quadratus zur Seite zu stellen.

»Volusenus haßt Commius auch«, sagte Hirtius, sichtlich erschöpft von den Strapazen seiner Reise. »Die beiden schmieden ein Komplott.«

»Warum haßt er ihn?« fragte Caesar stirnrunzelnd.

»Soviel ich gehört habe, geht das auf eine Geschichte während des zweiten Feldzuges gegen Britannien zurück. Das Übliche. Beide fanden Gefallen an derselben Frau.«

»Die dann Commius bevorzugte.«

»Richtig. Warum auch nicht? Als Britin stand sie ohnehin unter Commius’ Schntz. Ich kann mich noch an sie erinnern, ein hübsches Mädchen.«

»Manchmal wünschte ich wirklich, wir könnten uns ohne Frauen fortpflanzen«, sagte Caesar verdrossen. »Frauen machen uns das Leben nur unnötig schwer.«

»Wahrscheinlich denken Frauen dasselbe über Männer.« Hirtius lächelte.

»Was uns der Wahrheit über Volusenus und Labienus keinen Schritt näher bringt. Was für ein Komplott haben sie ausgeheckt?«

»Labienus hat mir geschrieben, Commius rufe zum Aufstand auf.«

»Nur das? Nannte er Einzelheiten?«

»Nur soviel, daß Commius versuche, Menapier, Nervier und Eburonen zu einem neuen Aufstand aufzuwiegeln.«

»Drei Stämme, die es kaum noch gibt?«

»Und daß er mit Ambiorix unter einer Decke stecken würde.«

»Da hätte er sich den Richtigen ausgesucht. Ich dachte immer, Commius halte Ambiorix für einen Rivalen, nicht für einen Verbündeten.«

»Ich stimme dir zu. Deshalb hatte ich auch den Eindruck, daß an der ganzen Sache etwas faul ist. Ich kenne Commius seit langem; er weiß genau, wer ihm zu seinem Thron verhelfen kann — nur du.«

»Sonst noch etwas?«

»Ich hätte mich nicht aus Samarobriva gerührt, wenn das alles gewesen wäre, was Labienus berichtet hätte«, sagte Hirtius. »Aber der letzte Teil seines wie üblich knapp gehaltenen Briefes bewog mich dazu, ihn persönlich nach weiteren Einzelheiten über die angebliche Verschwörung zu fragen.«

»Was schrieb er?«

»Daß ich mir keine Sorgen machen solle, er würde schon allein mit Commius fertig werden.«

»Aha!« Caesar beugte sich vor und steckte die Hände zwischen die Knie. »Du hast dich also mit Labienus getroffen?«

»Ja, aber zu spät, Caesar. Da war es bereits geschehen. Labienus hatte Commius zu einer Unterredung kommen lassen. Statt sich aber selbst mit ihm zu treffen, schickte er Volusenus als Vertreter, zusammen mit einer Wache handverlesener Zenturionen, die ihm blind gehorchten, Commius, der das abgekartete Spiel unmöglich wittern konnte, erschien ohne Soldaten, nur mit ein paar Freunden. Ich kann mir vorstellen, daß er nicht gerade erfreut war, Volusenus anzutreffen, obwohl ich nicht die leiseste Ahnung habe, was wirklich geschah. Ich weiß nur, was Labienus mir mit einer Mischung aus Stolz über die eigene Schlauheit und Verdruß über das schiefgegangene Komplott erzählt hat.«

»Willst du damit sagen, Labienus wollte Commius ermorden?« fragte Caesar ungläubig.

»Allerdings. Er hat ja kein Geheimnis daraus gemacht. Für ihn bist du ein Narr, weil du Commius vertraust, während er weiß, daß Commius ein Unruhestifter ist.«

»Ohne einen einzigen Beweis?«

»Jedenfalls konnte er mir keinen nennen, als ich nachhakte. Er beharrte einfach darauf, er hätte recht und du hättest unrecht. Du kennst ihn doch, Caesar. Er ist eine Naturgewalt!«

»Und was geschah?«

»Volusenus hatte einen der Zenturionen mit dem Mord beauftragt, während die anderen aufpassen sollten, daß keiner der Atrebaten entkam. Der Zenturio sollte in dem Moment zuschlagen, in dem Volusenus Commius die Hand zur Begrüßung entgegenstreckte.«

»Beim Jupiter! Wer sind wir denn, vielleicht Anhänger des Mithridates? Eine solche Tücke kennt man doch sonst nur von den Königen des Ostens! Nein... Sprich weiter.«

»Volusenus streckte also die Hand aus und Commius ebenso. In diesem Augenblick zog der Zenturio blitzschnell das Schwert hinter seinem Rücken hervor und schlug zu. Aber entweder war er blind oder die Aufgabe mißfiel ihm — auf alle Fälle streifte er Commius nur an der Augenbraue. Der Hieb war so schwach, daß Commius nicht einmal einen Knochenbruch erlitt oder das Bewußtsein verlor. Volusenus zog zwar auch noch sein Schwert, aber da war Commius — blutüberströmt — bereits verschwunden. Die Atrebaten hatten sich um ihren König geschart und entkamen unverletzt.«

»Hätte ich es nicht aus deinem Mund gehört, Hirtius, ich würde es nicht glauben«, sagte Caesar langsam.

»Es ist leider wahr, Caesar.«

»Folglich hat Rom einen besonders wertvollen Verbündeten verloren.«

»Ich denke ja.« Hirtius zog eine dünne Schriftrolle hervor. »Dieses Schreiben erhielt ich von Commius. Ich fand es bei meiner Rückkehr aus Samarobriva vor. Da es an dich gerichtet ist, wollte ich es nicht öffnen. Und anstatt dir zu schreiben, kam ich lieber persönlich.«

Caesar nahm den Brief, brach das Siegel auf und rollte ihn auf.

Ich wurde verraten und habe allen Grund anzunehmen, daß es Dein Werk war, Caesar. Du duldest keine Männer um Dich, die Deinen Befehlen nicht gehorchen oder aus eigener Initiative eine solche Tat begehen würden. Da ich Dich für einen Ehrenmann hielt, schreibe ich dies mit einer Enttäuschung, die mich genauso schmerzt wie mein verletzter Kopf. Ich will nicht mehr Hochkönig von Deinen Gnaden werden. Ich will an der Seite meines Volkes kämpfen, das über solche Meuchelmorde erhaben ist. Wir töten uns gegenseitig, ja, aber wir morden nicht ehrlos wie Du. Ich habe ein Gelübde abgelegt. Solange ich lebe, werde ich mich niemals wieder freiwillig in die Gegenwart eines Römers begeben.

»Man sieht zur Zeit überall nur noch abgehackte Köpfe«, sagte Caesar mit weißen Lippen. »Aber glaube mir, Aulus Hirtius, Labienus würde ich mit Vergnügen den Kopf abhacken! Ganz langsam und erst, nachdem ich ihn ausgepeitscht hätte.«

»Und was willst du in Wirklichkeit tun?«

»Überhaupt nichts.«

»Nichts?« Hirtius sah ihn verblüfft an.

»Nichts.«

»Aber — aber — du könntest wenigstens dem Senat in deiner nächsten Depesche davon berichten!« rief Hirtius. »Auch wenn das nicht die Strafe wäre, die Labienus verdient hätte, könnte er damit doch jede Hoffnung auf eine öffentliche Karriere begraben.«

Caesar sah Hirtius an, und ein spöttischer, beinahe belustigter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Das kann ich nicht, Hirtius! Würden der Senat und Cato auch nur ein Sterbenswörtchen davon erfahren, würden sie nicht über Labienus, sondern über mich herfallen.«

»Da hast du recht«, sagte Hirtius seufzend. »Das heißt also, Labienus kommt ungeschoren davon.«

»Vorläufig«, erwiderte Caesar ruhig. »Aber seine Zeit wird kommen, Hirtius. Wenn ich ihn das nächste Mal treffe, werde ich ihm ganz genau sagen, was ich von ihm halte. Und wohin seine Karriere führt, wenn ich dabei ein Wörtchen mitzureden habe. Sobald er in Gallien nicht mehr gebraucht wird, trenne ich mich von ihm unwiderruflicher als Sulla von seiner sterbenden Frau.«

»Und Commius? Vielleicht könnte ich ihn mit einiger Mühe dazu überreden, sich mit dir unter vier Augen zu treffen. Du könntest ihm deinen Standpunkt sicher schnell erklären.«

Caesar schüttelte den Kopf. »Nein, Hirtius, das würde nicht gelingen. Unsere Beziehung beruhte auf uneingeschränktem gegenseitigen Vertrauen, und das ist zerstört. Von jetzt an würde jeder dem anderen mißtrauen. Er hat geschworen, sich nie wieder freiwillig in die Gegenwart eines Römers zu begeben. Die Gallier nehmen solche Gelübde genauso ernst wie wir. Ich habe Commius verloren.«

Caesar brauchte in Ravenna auf keinen Luxus zu verzichten. Er besaß dort eine Villa, denn er unterhielt in der Stadt auch eine Gladiatorenschule. Das Klima war mild und galt als das beste von ganz Italia, was Ravenna zum idealen Ort für hartes körperliches Training machte.

Gladiatoren zu halten war ein einträgliches Hobby. Caesar war so angetan davon, daß er gleich mehrere tausend Gladiatoren besaß, von denen die meisten in einer Schule bei Capua einquartiert waren. Ravenna war für die Elite reserviert, für die, mit denen Caesar nach Beendigung ihrer Zeit in der Arena noch Pläne hatte.

Caesars Agenten hatten den Auftrag, bei den Militärgerichten nur die vielversprechendsten Burschen einzukaufen. Mit Caesar als Eigentümer waren die fünf oder sechs Jahre, die diese Männer anschließend mit Schaukämpfen verbrachten, eine gute Zeit. Die meisten waren desertierte Legionäre (und vor die Wahl zwischen Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und einem Leben als Gladiator gestellt worden), einige auch verurteilte Mörder, und einige wenige boten ihre Dienste freiwillig an. Letztere lehnte Caesar allerdings grundsätzlich ab, da ein freier, den Kampf liebender Römer seiner Meinung nach in die Legion gehörte.

Die Gladiatorenschulen hatten mit Gefängnissen wenig gemein; in den meisten Fällen wurden die Männer anständig untergebracht und verpflegt und brauchten auch nicht übermäßig viel zu arbeiten. Sie konnten nach Belieben kommen und gehen, es sei denn, sie wurden für einen Kampf engagiert. Dann erwartete man von ihnen, daß sie sich in der Schule aufhielten, nüchtern blieben und fleißig trainierten; schließlich wollte kein Gladiatorenbesitzer erleben, daß seine kostspielige Investition in der Arena getötet oder verstümmelt wurde.

Obwohl Gladiatorenkämpfe beim Publikum äußerst beliebt waren, fanden sie nicht etwa im Zirkus, sondern an kleineren Austragungsorten wie den städtischen Marktplätzen statt. Reiche Leute gedachten ihrer verstorbenen Angehörigen üblicherweise mit Trauerspielen, die nichts anderes als Gladiatorenkämpfe waren. Dafür heuerten sie für eine stattliche Summe in einer der zahlreichen Gladiatorenschulen Soldaten an, in der Regel vier bis vierzig Paare. Die Männer kamen dann in die Stadt, kämpften und kehrten in ihre Schule zurück. Nach sechs Jahren oder dreißig Kämpfen hatten sie ihre Strafe verbüßt und konnten die Schule verlassen. Sie waren römische Bürger, hatten etwas Geld gespart, und die wirklich guten unter ihnen waren in ganz Italia berühmt.

Einer der Gründe für Caesars Interesse an diesem Sport war das Schicksal der Männer, nachdem sie ihre Zeit abgedient hatten. Er betrachtete es als Verschwendung, wenn Männer mit solchen Fähigkeiten, wie sie diese Gladiatoren erworben hatten, sich anschließend in Rom oder anderen Städten als Leibwächter oder Rausschmeißer anheuern ließen. Lieber wollte er sie für seine Legionen gewinnen — allerdings nicht als einfache Soldaten. Hatte nämlich ein guter Gladiator nicht zu viele Schläge auf den Kopf einstecken müssen, gab er einen vortrefflichen militärischen Ausbilder ab, und nicht wenige von ihnen bildeten ganz hervorragende Zenturionen aus. Außerdem amüsierte es Caesar, wenn er ehemalige Deserteure als Offiziere zur Legion zurückschicken konnte.

Soviel also zur Schule von Ravenna, in der Caesar seine besten Männer unterbrachte. Die Schule von Capua hatte er seit seinem Amtsantritt als Statthalter nicht mehr zu Gesicht bekommen, denn der Statthalter einer Provinz durfte, solange er eine Armee befehligte, das eigentliche Italia nicht betreten.

Caesar hielt sich allerdings noch aus anderen Gründen besonders lange in Ravenna auf. Ravenna lag in der Nähe des Rubikon, des Grenzflusses zwischen Gallia Cisalpina und Italia, und die Straßen zum zweihundert Meilen entfernten Rom waren in ausgezeichnetem Zustand, so daß die ständig zwischen den beiden Städten hin-- und herreitenden Kuriere rasch vorankamen und die zahlreichen Besucher aus Rom eine bequeme Reise hatten.

Nach dem Tod des Clodius verfolgte Caesar das Geschehen in Rom mit einiger Sorge, denn er war überzeugt, daß Pompeius das Amt des Diktators anstrebte. Aus diesem Grund hatte er Pompeius ja den Brief mit seinen Heirats-- und anderen Vorschlägen geschrieben, obwohl er im nachhinein wünschte, er hätte es nicht getan. Die Zurückweisung hatte einen bitteren Beigeschmack hinterlassen. Pompeius war mittlerweile so mächtig, daß er es offenbar nicht mehr für nötig hielt, sich der Gunst anderer zu versichern, nicht einmal der Caesars, der für Pompeius’ Geschmack in letzter Zeit womöglich sogar eine Spur zu berühmt geworden war. Andererseits hatte Pompeius ihm durch sein Gesetz der zehn Volkstribunen gestattet, als Konsul in absentia zu kandidieren. Caesar fragte sich also, ob seine Zweifel an Pompeius nur die Einbildungen eines Mannes waren, der all seine Informationen gezwungenermaßen aus zweiter Hand bezog. Was hätte er nicht für die Gelegenheit gegeben, einen Monat in Rom zu verbringen! Doch als Statthalter, dem elf Legionen unterstanden, durfte Caesar den Rubikon nicht überschreiten.

Ob Pompeius es schaffen würde, sich zum Diktator ernennen zu lassen? Rom und der Senat in Gestalt von Männern wie Bibulus und Cato widersetzten sich dem zwar hartnäckig, doch hier in Ravenna, aus einem gewissen Abstand zu den Erschütterungen, die Rom täglich heimsuchten, war unschwer zu erkennen, wer hinter der ganzen Gewalt steckte: kein anderer als Pompeius. Er wollte unbedingt Diktator werden und versuchte, Druck auf den Senat auszuüben.

Als schließlich die Nachricht eintraf, daß Pompeius zum alleinigen Konsul ernannt worden war, brach Caesar in schallendes Gelächter aus. Ein ebenso glänzender wie verfassungswidriger Schachzug! Die boni hatten Pompeius mit der Übergabe der Regierungsgewalt gleichzeitig die Hände gebunden. Und Pompeius war so naiv, daß er darauf hereinfiel. Offenbar war ihm nicht klar gewesen, daß er damit nur allen Römern und insbesondere Caesar zeigte, daß er nicht die Stärke oder die Frechheit besaß, so lange zu kämpfen, bis man ihn ganz legal zum Diktator machte.

Du bist und bleibst ein Bauerntölpel, Pompeius Magnus! Du bist den Städtern einfach nicht gewachsen! Man hat dich so geschickt überlistet, daß du es gar nicht gemerkt hast. Jetzt sitzt du auf dem Marsfeld und gratulierst dir zu deinem Sieg, dabei hast du überhaupt nicht gesiegt. Die Sieger sind Bibulus und Cato. Sie haben deinen Bluff entlarvt, und du hast klein beigegeben. Sulla hätte sich totgelacht!

In Agedincum, dem am Ufer der Icauna gelegenen wichtigsten oppidum der Senonen, hatte Caesar sechs seiner Legionen für den Winter zusammengezogen. Er zweifelte noch immer an der Loyalität dieses mächtigen Stammes, zumal nachdem er dessen Anführer Acco hatte hinrichten müssen.

Gaius Trebonius, der im oppidum wohnte, hatte für die Dauer von Caesars Aufenthalt in Gallia Cisalpina das Oberkommando über die römischen Truppen im jenseitigen Gallien übernommen. Einen Krieg eröffnen konnte er allerdings nicht — die gallischen Stämme wußten das und setzten ganz bewußt darauf.

Im Januar mußte sich Trebonius mit allen Kräften jener Aufgabe widmen, die wohl für jeden Heerführer das größte Ärgernis darstellt: Er mußte genügend Getreide und Lebensmittelvorräte auftreiben, um sechsunddreißigtausend Mann zu ernähren. Die diesjährige Ernte war so reich, daß er bei einer geringeren Zahl von Legionen seine Soldaten mit dem Ertrag der umliegenden Felder hätte verpflegen können. Aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, mußte gekauft werden, was man kriegen konnte, auch in entfernteren Gegenden.

Für den eigentlichen Getreideeinkauf war der Ritter Gaius Fufius Cita zuständig, ein römischer Zivilist. Er wohnte schon lange in Gallien, beherrschte die verschiedenen Sprachen und unterhielt gute Beziehungen zu den Stämmen des Landesinneren. Mit einem Wagen voller Geld und einer drei Kohorten starken, schwerbewaffneten Wache zog er los, um gallische Häuptlinge ausfindig zu machen, die bereit waren, zumindest einen Teil ihrer Ernte zu verkaufen. Hinter ihm rumpelten die hohen Wagen, die von jeweils zehn paarweise an die Deichsel gespannten Ochsen gezogen wurden. Jedesmal, wenn ein Wagen mit dem kostbaren Weizen gefüllt war, scherte er aus der Kolonne aus und kehrte nach Agedincum zurück, wo er entladen und sofort wieder zu Fufius Cita geschickt wurde.

Nachdem Fufius Cita und seine Kommissionäre das Gebiet nördlich von Icauna und Sequana abgegrast hatten, verlegten sie ihre Geschäfte in die Länder der Mandubier, Lingonen und Senonen, wo sich die Wagen zunächst auch weiterhin ganz erfreulich füllten. Als die Römer allerdings senonischen Boden betraten, ging die angebotene Kornmenge auf einmal drastisch zurück — zweifellos eine Folge von Accos Hinrichtung. Fufius Cita hielt weitere Kaufversuche bei den Senonen für aussichtslos und zog nach Westen ins Land der Carnuten, wo die Käufe schlagartig wieder zunahmen.

Erfreut ließen sich Fufius Cita und seine Kommissionäre in der carnutischen Hauptstadt Cenabum nieder; hier war der inzwischen nur noch zur Hälfte gefüllte Geldwagen sicher. Da Fufius Cita keinen Bedarf mehr für die drei Begleitkohorten sah, schickte er sie nach Agedincum zurück. Er selbst würde bei seinen römischen Freunden in Cenabum bleiben, für ihn fast ein zweites Zuhause, und in Ruhe seine Einkäufe tätigen.

Cenabum war tatsächlich eine Art gallische Metropole. Einigen reichen Leuten — überwiegend Römern, aber auch ein paar Griechen — war es gestattet, innerhalb der Befestigungen zu wohnen, und vor den Mauern lag ein blühendes Viertel, in dem Metall verarbeitet wurde. Nur Avaricum war größer, und wenn Fufius Cita beim Gedanken an Avaricum auch seufzen mußte, war er doch ganz zufrieden mit seinem jetzigen Aufenthaltsort.

Der Pakt zwischen Vercingetorix, Lucterius, Litaviccus, Cotus, Gutruatus und Sedulius war zwar aus der Empörung über Accos Hinrichtung geboren worden, er war deshalb jedoch keineswegs in Vergessenheit geraten. Jeder der Männer kehrte anschließend zu seinem Volk zurück, um mit ihm darüber zu sprechen. Einige erwähnten die angestrebte Vereinigung Galliens unter einer Führung zwar mit keinem Wort, aber sie wurden nicht müde, über die Heimtücke und Arroganz der Römer, den ungerechten Tod Accos und den Verlust der Freiheit zu lamentieren. Was auf überaus fruchtbaren Boden fiel, denn die Gallier brannten nach wie vor darauf, das römische Joch abzuwerfen.

Damit sich der Carnute Gutruatus dem Pakt mit Vercingetorix anschloß, hatte es keiner großen Überredungskunst bedurft. Gutruatus wußte, daß Caesar ihn wie Acco für einen Verräter hielt und daß er der nächste sein würde, der ausgepeitscht und enthauptet würde. Doch sah er seinem Schicksal mit Gleichmut entgegen, vorausgesetzt, er konnte vorher noch Caesar übel mitspielen. Sobald er daher ins Land seines Volkes zurückgekehrt war, tat er, was er Vercingetorix versprochen hatte: Er ging nach Carnutum, wo die Druiden lebten, und suchte das Oberhaupt der Druiden Cathbad auf.

»Du hast recht«, sagte Cathbad, als er erfahren hatte, was mit Acco passiert war. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Auch Vercingetorix hat recht, Gutruatus. Wir müssen uns vereinigen und gemeinsam die Römer vertreiben. Anders schaffen wir es nicht. Ich werde die Druiden zu einer Ratsversammlung einberufen.«

»Und ich«, sagte Gutruatus begeistert, »werde durchs Land reisen und den Schlachtruf bei den Carnuten verbreiten!«

»Schlachtruf? Welchen Schlachtruf?«

»Die letzten Worte, die Dumnorix und Acco vor ihrem Tod riefen. >Ich bin ein freier Mensch in einem freien Land!<«

»Klingt ausgezeichnet!« sagte Cathbad. »Aber ich schlage vor: >Wir sind freie Menschen in einem freien Land!< Damit fängt die Vereinigung an, Gutruatus. Wenn man zuerst an alle und dann erst an den einzelnen denkt.«

Die Carnuten trafen sich in Gruppen, stets darauf bedacht, daß kein Römer in der Nähe war, und planten den Aufstand. Die Schmiede vor den Toren Cenabums stellten plötzlich nur noch Kettenhemden her, was Fufius Cita allerdings genausowenig auffiel wie den anderen ausländischen Einwohnern.

Mitte Februar war die Ernte eingebracht. Jedes Silo und jeder Kornspeicher im Land war randvoll, die Schinken waren geräuchert, Schweinefleisch und Wildbret eingesalzen, Eier, Rüben und Äpfel in Kellern eingelagert, Hühner, Enten und Gänse im Gehege und Rinder und Schafe aus der Nähe der Heerwege entfernt.

»Es ist soweit«, sagte Gutruatus zu seinen Gefolgsleuten. »Wir Carnuten werden vorangehen. Es steht uns als den Vordenkern Galliens zu, den ersten Schlag zu führen, und das muß geschehen, solange sich Caesar noch auf der anderen Seite der Alpen befindet. Alles deutet auf einen harten Winter hin, und Vercingetorix sagt, wir müssen unbedingt verhindern, daß Caesar zu seinen Legionen zurückkehrt. Ohne ihn werden sie sich nicht aus ihren Lagern herauswagen, schon gar nicht im Winter. Und im Frühjahr werden alle Stämme vereint sein.«

»Was hast du vor?« fragte Cathbad.

»Morgen früh bei Tagesanbruch greifen wir Cenabum an und töten alle im Schutz der Stadt lebenden Römer und Griechen.«

»Eine unmißverständliche Kriegserklärung.«

»Für die anderen Gallier ja, Cathbad, aber nicht für die Römer. Ich will nämlich nicht, daß Trebonius davon erfährt, weil er sonst unverzüglich Caesar benachrichtigen würde. Caesar soll auf der anderen Seite der Alpen bleiben, bis ganz Gallien unter Waffen steht.«

»Eine kluge Strategie, wenn sie gelingt«, sagte Cathbad. »Ich hoffe, du hast mehr Erfolg als die Nervier.«

»Wir sind Kelten, Cathbad, keine Belgen. Übrigens haben die Nervier immerhin einen Monat lang verhindert, daß Quintus Cicero Verbindung mit Caesar aufnehmen konnte. Das würde uns schon reichen. Dann ist es nämlich schon Winter.«

So bewahrheitete sich für Fufius Cita und die in Cenabum lebenden ausländischen Händler jener alte römische Spruch, daß Aufständen in den Provinzen stets die Ermordung römischer Zivilisten vorausgeht. Unter dem Kommando des Gutruatus überfiel eine Horde Carnuten die eigene Hauptstadt, besetzte sie und tötete jeden Ausländer, der sich dort aufhielt. Fufius Cita erlitt das gleiche Schicksal wie Acco; er wurde öffentlich ausgepeitscht und anschließend enthauptet. Er starb zwar schon unter den Peitschenhieben, doch störte das die den Auspeitscher lautstark anfeuernden Carnuten nicht im geringsten. Anschließend wurde sein Kopf feierlich zum Hain des Esus getragen, wo Cathbad ihn den Göttern darbrachte.

Neuigkeiten verbreiteten sich in Gallien mit Windeseile, wenn auch die Art ihrer Übertragung — durch Zuruf über die Felder — zwangsläufig dazu führte, daß sie sich mit zunehmender Entfernung vom Ursprungsort immer mehr veränderten.

Aus der Nachricht »Die Römer in Cenabum wurden niedergemetzelt!« wurde so hundertsechzig Meilen weiter »Die Carnuten befinden sich in offenem Aufruhr und haben alle Römer des Landes umgebracht!« Denn so weit hatte sie sich bis zum Abend desselben Tages herumgesprochen — bis nach Gergovia, dem wichtigsten oppidum der Arverner, wo Vercingetorix sie hörte.

Endlich! Endlich! Ein Aufstand nicht bei den Belgen oder den Kelten der Westküste, sondern mitten in Gallien! Die Stämme dort kannte er. Sie würden seine Stellvertreter stellen, wenn das große Heer aller Gallier sich formierte; sie kannten den Wert von Kettenhemden und Helmen und die römische Art der Kriegsführung. Wenn die Carnuten rebellierten, würden bald auch Senonen, Parisier, Suessionen, Biturigen und die anderen Völker Zentral-Galliens sich erheben. Und dann würde er, Vercingetorix, sie zum Heer aller Gallier zusammenschweißen!

Natürlich war er selbst auch nicht untätig geblieben, obwohl er, wie sich jetzt herausstellte, nicht annähernd so erfolgreich gewesen war wie Gutruatus. Die Arverner hatten nämlich den verheerenden Krieg, den sie vor fünfundsiebzig Jahren gegen den berühmten Feldherrn Ahenobarbus geführt hatten, nicht vergessen. Sie waren damals vernichtend geschlagen worden; fast alle Männer waren ums Leben gekommen, und zum erstenmal hatten Tausende gallischer Frauen und Kinder die Sklavenmärkte überschwemmt.

»Fünfundsiebzig Jahre haben wir gebraucht, um uns davon zu erholen, Vercingetorix«, sagte Gobannitio in der Ratsversammlung, sichtlich um Geduld bemüht. »Einst waren wir das mächtigste Volk Galliens. In unserem Stolz zogen wir gegen Rom zu Feld — und wurden ausgelöscht. Wir mußten die Vormachtstellung den Haeduern, Carnuten und Senonen überlassen — Völkern, die uns heute noch an Bedeutung übertreffen, obwohl wir stetig aufholen. Deshalb nein! Wir werden nicht noch einmal gegen Rom kämpfen.«

»Die Zeiten haben sich geändert, Onkel!« rief Vercingetorix. »Ja, wir wurden besiegt! Wir wurden vernichtet, gedemütigt und in die Sklaverei verkauft! Aber wir waren nur eines von vielen Völkern! Du unterscheidest zwischen Senonen und Haeduern, zwischen arvernischer Macht und der Macht der Haeduer oder Carnuten! Aber was heute geschieht, ist etwas völlig anderes! Wir werden uns zusammenschließen zu einem Volk mit einem Ziel — wir wollen freie Menschen in einem freien Land sein! Wir sind keine Arverner oder Haeduer oder Carnuten! Wir sind Gallier, eine einzige Bruderschaft! Das ist der Unterschied! Vereint werden wir Rom so endgültig besiegen, daß es nie mehr Soldaten zu uns schickt. Und eines Tages wird Gallien in Italia einmarschieren, eines Tages wird Gallien die Welt regieren!«

»Das sind doch Träume, Vercingetorix, absurde Träume«, winkte Gobannitio müde ab. »Zwischen den Völkern Galliens wird niemals Eintracht herrschen.«

Das Ergebnis dieser und zahlreicher weiterer Auseinandersetzungen in der arvernischen Ratsversammlung war, daß Vercingetorix Gergovia künftig nicht mehr betreten durfte. Trotzdem blieb er in seinem Haus am Rand von Gergovia wohnen und konzentrierte seine Bemühungen auf die jüngeren Arverner. Zusammen mit seinen Vettern Critognatus und Vercassivellaunus versuchte er fieberhaft, ihnen klarzumachen, daß ihr einziges Heil in der Vereinigung lag.

Er träumte nicht, er plante nüchtern. Und er wußte, daß die größte Schwierigkeit sein würde, die Führer der anderen Völker davon zu überzeugen, daß er, Vercingetorix, das große Heer aller Gallier anführen mußte.

Als die Nachricht vom Massaker in Cenabum in Gergovia eintraf, war dies für Vercingetorix das lang erwartete Zeichen. Er rief seine Anhänger zu den Waffen, marschierte in Gergovia ein und stürmte die Ratsversammlung. Gobannitio starb.

»Ich bin euer König«, verkündete er den arvernischen Adligen, die sich in dem brechend vollen Saal drängten. »Und bald werde ich König eines vereinten Gallien sein! Ich ziehe jetzt nach Carnutum, um mit den Führern der anderen Völker zu sprechen, und auf dem Weg dorthin werde ich alle Gallier zu den Waffen rufen.«

Die Stämme leisteten seinem Ruf Folge. Obwohl der Winter bevorstand, holten die Männer ihre Rüstungen hervor, schärften die Klingen ihrer Schwerter und trafen Vorkehrungen für eine längere Abwesenheit von der Heimat. Eine gewaltige Woge der Erregung erfaßte Zentral-Gallien, das Land der Belgen im Norden und das Land der an der Atlanticküste lebenden Kelten, der Aremoricer, im Westen und zuletzt auch Aquitanien im Südwesten. Gallien würde sich vereinigen, und das vereinte Gallien würde die Römer vertreiben!

Im Eichenhain von Camutum mußte Vercingetorix seine schwerste Schlacht schlagen, mußte er seinen ganzen Einfluß und seine ganze Überzeugungskraft aufbieten, um zum Anführer ernannt zu werden. Noch war es zu früh, darauf zu bestehen, daß man ihn König nannte — zunächst mußte er beweisen, daß er die von einem König erwarteten Eigenschaften besaß.

»Cathbad hat recht«, sagte er zu den versammelten Häuptlingen, wobei er absichtlich von Cathbad sprach und nicht von Gutruatus. »Wir müssen Caesar von seinen Legionen abschneiden, bis ganz Gallien unter Waffen steht.«

Viele waren gekommen, mit denen er nicht gerechnet hatte, etwa Commius von den Atrebaten. Auch die fünf Männer, mit denen er den ursprünglkhen Pakt geschlossen hatte, waren natürlich erschienen, und Lucterius brannte vor Ungeduld. Doch letztlich hatte Vercingetorix es Commius zu verdanken, daß sich das Blatt zu seinen Gunsten wandte.

»Ich habe den Römern vertraut«, sagte der König der Atrebaten und bleckte die Zähne. »Nicht, weil ich mein Volk verraten wollte, sondern aus eben den Gründen, die uns Vercingetorix vorhin genannt hat. Gallien darf nicht länger aus vielen Völkern bestehen, die Gallier müssen ein Volk werden. Ich glaubte, dazu brauchten wir die Hilfe der Römer. Nur ihnen mit ihrem ausgeprägten Zentralismus und ihrem Organisationstalent, so meinte ich, könnte gelingen, was die Gallier nie schaffen würden: uns zu einer Einheit zusammenzuschweißen, uns das Gefühl zu geben, ein Volk zu sein. Doch dieser Arverner hier, dieser Vercingetorix, ist ein Mann von unserem Blut, der die Stärke und Entschlossenheit hat, die wir brauchen! Ich bin kein Kelte, sondern Belge, aber in erster Linie bin ich ein Gallier aus Gallien. Und ich sage euch, ihr gallischen Könige und Prinzen, ich werde Vercingetorix folgen! Ich werde tun, was er verlangt. Ich werde mein Volk, die Atrebaten, seinem Befehl unterstellen und mich selbst mit der Rolle eines Stellvertreters begnügen!«

Cathbad nahm die Abstimmung vor und teilte den versammelten Kriegsherrn anschließend mit, daß Vercingetorix zum Anführer des gemeinsamen Unternehmens zur Vertreibung der Römer gewählt worden sei.

Daraufhin ergriff der schmächtige, vor Erregung glühende Vercingetorix wieder das Wort, um seinen Mitstreitern zu beweisen, daß er auch nüchtern rechnen konnte.

»Die Kosten dieses Krieges werden gewaltig sein«, sagte er, »deshalb müssen sich alle daran beteiligen. Je mehr wir teilen, desto stärker wird unser Gemeinschaftsgefühl. Jeder muß ordentlich bewaffnet und ausgerüstet zum Aufgebot kommen. Ich will keine tollkühnen Narren, die glauben, sie müßten ihren Heldenmut nackt beweisen, ich will, daß alle in Kettenhemd und Helm erscheinen, einen Schild tragen und genügend Speere, Pfeile oder andere Waffen ihrer Wahl dabeihaben. Jedes Volk muß ausrechnen, wieviel Proviant seine Männer brauchen, und sicherstellen, daß sie nicht vorzeitig zurückkehren müssen, weil sie nichts mehr zu essen haben. Wir werden keine große Beute machen, wir dürfen nicht einmal hoffen, so viel zu erbeuten, daß wir damit den Krieg bezahlen könnten. Auf keinen Fall werden wir die Germanen um Hilfe bitten, denn das hieße, durch die Hintertür die Wölfe hereinzulassen, während wir vorne die wilden Keiler hinausdrängen. Und wir dürfen unseren gallischen Mitbrüdern nichts wegnehmen — es sei denn, sie ziehen es vor, Rom zu unterstützen. Ich warne euch, jedes Volk, das sich nicht an unserem Krieg beteiligt, gilt als Verräter am vereinten Gallien! Weder Remer noch Lingonen sind gekommen, sie müssen sich künftig in acht nehmen!« Er stieß ein kurzes, verächtliches Lachen aus. »Mit den Pferden der Remer sind wir bessere Reiter als die Germanen!«

»Die Biturigen sind auch nicht da«, stellte Sedulius von den Lemovicern fest. »Man munkelt, sie würden zu den Römern halten.«

»Ihre Abwesenheit ist mir nicht entgangen«, sagte Vercingetorix. »Hat jemand handfestere Beweise als Gerüchte?«

Die Abwesenheit der Biturigen war eine ernstzunehmende Sache, da sich auf ihrem Gebiet die gallischen Eisenminen befanden, und ausreichend Eisen, das zu Stahl verarbeitet werden konnte, war die Voraussetzung für die Herstellung von Kettenhemden, Helmen, Schwertern und Speerspitzen.

»Ich werde persönlich nach Avaricum gehen, um dem Gerücht nachzugehen«, sagte Cathbad.

»Und was ist mit uns Haeduern?« fragte Litaviccus, der in Begleitung von Cotus, einem der beiden diesjährigen Vergobreten, erschienen war. »Wir stehen auf deiner Seite, Vercingetorix.«

»Den Haeduern fällt die wichtigste Aufgabe von allen zu, Litaviccus. Sie müssen vortäuschen, ein Freund und Verbündeter Roms zu sein.«

»Aha!« rief Litaviccus lächelnd.

»Denn warum sollten wir all unsere Trümpfe auf einmal ausspielen?« fragte Vercingetorix. »Solange Caesar auf die Loyalität der Haeduer vertraut, wird er glauben, daß er uns besiegen kann. Er wird, wie es seine Art ist, großartig anordnen, daß die Haeduer ihm zusätzliche Reiter und Fußsoldaten sowie zusätzliches Getreide, Fleisch und was er sonst noch braucht zur Verfügung stellen. Die Haeduer müssen sich mit allem einverstanden erklären und sich vor Hilfsbereitschaft überschlagen — nur daß nichts von dem, was sie Caesar versprechen, bei ihm eintreffen darf.«

»Wofür wir uns natürlich immer wieder vielmals entschuldigen«, fügte Cotus hinzu.

»Selbstverständlich«, sagte Vercingetorix ernst.

»Wir dürfen aber keinesfalls unterschätzen, welche Gefahr von der römischen Provinz Gallia Narbonensis droht«, gab der Cadurcer Lucterius stirnrunzelnd zu bedenken. »Ihre Einwohner wurden von den Römern hervorragend ausgebildet — sie beherrschen die römische Kampftechnik und können als Hilfstruppen eingesetzt werden, sie sind gute Reiter, und sie haben ganze Arsenale voller Waffen. Die werden sich nie gegen die Römer wenden, fürchte ich.«

»Für solche pessimistischen Äußerungen ist es entschieden zu früh! Trotzdem müssen wir natürlich verhindern, daß die Gallier dieser Provinz Caesar helfen. Als Angehöriger eines benachbarten Volkes wird es deine Aufgabe sein, Lucterius, dafür zu sorgen. In zwei Monaten, mitten im Winter, wird unser Heer sich hier auf der Ebene vor Carnutum versammeln. Und dann heißt es — Krieg!!«

»Krieg! Krieg! Krieg!« fiel Sedulius in den Schlachtruf ein.

Unterdessen bemerkte Trebonius in Agedincum, daß irgend etwas nicht stimmte, obwohl er nicht wußte, was. Von Fufius Cita in Cenabum hatte er nichts gehört, auch nichts von dessen Tod. Kein römischer oder griechischer Augenzeuge, der ihn hätte aufklären können, hatte überlebt, und die Gallier schwiegen. Die Kornspeicher in Agedincum waren zwar fast voll, aber seit mehr als zwei nundinae waren nun schon keine Wagen mehr eingetroffen. Da besuchte ihn eines Tages der Haeduer Litaviccus auf dem Rückweg nach Bibracte.

»Hast du etwas gesehen oder gehört?« fragte Trebonius. Er wirkte noch kummervoller als sonst.

Es faszinierte Litaviccus immer wieder, was für einen unkriegerischen Eindruck die Römer oft machten. Das beste Beispiel dafür war Gaius Trebonius, ein unscheinbarer, kleiner Mann mit großen, traurigen grauen Augen und einem hervorstehenden Kehlkopfknorpel, der bei jedem nervösen Schlucken ruckartig auf und ab rutschte. Dabei war Trebonius ein hervorragender, überaus intelligenter und loyaler Soldat, der zu Recht Caesars ganzes Vertrauen besaß. Was ihm auch aufgetragen wurde, er tat es. Ein römischer Senator, der seinerzeit ein ausgezeichneter Volkstribun gewesen war.

»Nicht das geringste«, sagte Litaviccus vergnügt.

»Warst du in der Nähe von Cenabum?«

»Nicht direkt«, antwortete Litaviccus ausweichend. Solange die Römer nicht wußten, auf wessen Seite die Haeduer in Wirklichkeit standen, durfte er nicht riskieren, einer Lüge überführt zu werden. »Ich war auf der Hochzeit meines Vetters in Metiosedum und kam nicht in die Gegend südlich der Sequana. Aber alles scheint ruhig zu sein. Jedenfalls habe ich nichts anderes gehört.«

»Die Getreidewagen sind in letzter Zeit ausgeblieben.«

»Das ist in der Tat merkwürdig.« Litaviccus schien zu überlegen. »Es hat sich allerdings herumgesprochen, daß die Senonen und Carnuten über Accos Hinrichtung aufgebracht sind. Vielleicht weigern sie sich, Getreide zu verkaufen. Hast du nicht mehr genug?«

»Doch, ich hatte nur mit mehr gerechnet.«

»Ich bezweifle, daß du jetzt noch welches bekommst«, sagte Litaviccus gutgelaunt. »Der Winter kann jeden Tag da sein.«

»Ich wünschte, alle Gallier könnten Latein!« Trebonius seufzte.

»Na ja, wir Haeduer sind schließlich schon lange mit Rom verbündet, und ich bin zwei Jahre dort zur Schule gegangen. Hast du etwas von Caesar gehört?«

»Er ist in Ravenna.«

»Ravenna... Wo genau liegt das? Hilf meinem Gedächtnis nach.«

»An der Adria, unweit von Ariminum, wenn dir das etwas sagt.«

»Auf jeden Fall.« Litaviccus stand auf. »Ich muß weiter.«

»Willst du nicht wenigstens zum Essen bleiben?«

»Lieber nicht. Ich habe weder Winterumhang noch warme Hose mitgenommen.«

»Du mit deiner Hose. Hast du in Rom denn überhaupt nichts gelernt?«

»In Italia wärmt die Luft, Trebonius, aber in der gallischen Winterluft können sogar Felsen gefrieren.«