Die dritte Nilschwelle während Kleopatras Herrschaft war die niedrigste seit Beginn der Aufzeichnung der Pegelstände vor zweitausend Jahren. Das Wasser erreichte acht Fuß, einen neuen Tiefstand für den Pegel des Todes.
Kleopatra wußte, daß es im kommenden Jahr keine Ernte geben würde, nicht einmal auf den Feldern der To-she-Oase und am Moeris-See. Sie tat, was sie konnte, um die Katastrophe abzuwenden. So erließ sie im Februar zusammen mit dem kleinen König ein Edikt, dem zufolge sämtliches Getreide, das in Mittelägypten geerntet oder gespeichert wurde, nach Alexandria geschickt werden mußte. Die Menschen in Mittel-- und Oberägypten sollten sich selbst ernähren, indem sie das enge Niltal zwischen dem Ersten Katarakt und Theben bewässerten. Da alles Getreide in Ägypten Eigentum der Krone war, konnte Kleopatra über Getreidehändler oder Beamten, die dieses Gesetz übertraten, die Todesstrafe verhängen und ihren Besitz beschlagnahmen. Wer eine solche Straftat anzeigte, wurde mit Geld belohnt, Sklaven wurde zusätzlich die Freiheit geschenkt.
Das Edikt löste einen Sturm des Protests aus, doch im März erließ die Königin ein zweites Edikt, durch das alle, die von der Steuer oder dem Militärdienst befreit waren, diese Privilegien bestätigt bekamen unter der Bedingung, daß sie in der Landwirtschaft tätig wurden. Angesichts des ausbleibenden Nilschlammes sollte das ganze Land gezwungen werden, die Felder mühsam von Hand zu bewässern. Als daraufhin zahlreiche Bestellungen von Saatgut und Bitten um Steuernachlaß eingingen, sah sich die Krone zu beidem außerstande.
Noch schlimmer war, daß es in Alexandria gärte. Die Lebensmittelpreise schossen in die Höhe; die Armen mußten ihre wenigen Habseligkeiten verkaufen, um Geld für Lebensmittel zu haben, während die Reichen anfingen, Geld und unverderbliche Lebensmittel zu horten. Der kleine König und seine Schwester Arsinoe machten kein Geheimnis aus ihrer Schadenfreude, und Potheinus und Theodotus verbreiteten mit Unterstützung des Generals Achillas überall in Alexandria, die Lebensmittelknappheit sei eine List Kleopatras, um aufständische Elemente der Einwohnerschaft auszuhungern und aus der Stadt zu treiben.
Im Juni schlug das Trio zu, und in Alexandria brach das Chaos aus. Die aufgewiegelten Massen zogen von der Agora zum Palast, wo ihnen Potheinus und Theodotus die Tore öffneten. Als der Mob aber unter Führung von Achillas in den Palast eindrang, war Kleopatra verschwunden. Sofort wurde Arsinoe dem Volk als neue Königin präsentiert, der kleine König versprach Reformen, und das Volk ging wieder nach Hause. Potheinus, Theodotus und Achillas waren zufrieden. Allerdings standen sie vor gewaltigen Schwierigkeiten. Auch sie konnten keine zusätzlichen Lebensmittel beschaffen, und die Macht, die sie an sich gerissen hatten, mußte verteidigt und gehalten werden. Überzeugt, daß der Krieg zwischen Pompeius und Caesar alle Aufmerksamkeit auf sich zog und ein paar Überfälle der Ägypter auf Nachbarländer wenn nicht unbemerkt, so doch bestimmt ungestraft durchgehen würden, schickte Potheinus eine Flotte aus, um die Kornspeicher von Judäa und Phönizien zu plündern.
Ein anderes großes Problem war Kleopatras Verschwinden. Solange sie frei war, würde sie unermüdlich daran arbeiten, die Verschwörer zu stürzen. Wohin aber war sie gegangen? Frühere Ptolemäer, die gestürzt worden waren, hatten das Land mit dem Schiff verlassen, doch die Spione der Verschwörer konnten im Hafen nirgends eine Spur der Königin entdecken.
Kleopatra war auch nicht weggefahren. Sie hatte in Begleitung Charmians, Iras’ und eines großen schwarzen Eunuchen namens Apollodorus den Palast auf dem Rücken eines Esels verlassen, gekleidet wie eine reiche Alexandrinerin. Wenige Stunden bevor der Mob den Palast stürmte, hatten sie das kanopische Tor passiert und sich in Schedia, wo der Kanal des südlich von Alexandria gelegenen Mareotis-Sees in den kanopischen Nilarm des Deltas mündete, an Bord eines kleinen Schiffes begeben, das nach Memphis fuhr. Memphis, das am Beginn des Nildeltas gelegene religiöse Zentrum des Landes, war nur achthundert griechische Stadien von Alexandria entfernt, hundert römische Meilen.
Kleopatra ging am westlichen Nilufer an Land und ritt zum Westtor einer Tempelanlage, die sich über eine halbe Quadratmeile erstreckte. Sie beherbergte den Tempel des Ptah, das Balsamierungshaus des Apis-Stiers, verschiedene Gebäude, die den Priestern und ihren Kulthandlungen dienten, und eine Anzahl kleinerer Tempel zu Ehren der toten Pharaonen. Unter der Anlage erstreckte sich ein ausgedehntes Labyrinth von Räumen, Kammern und unterirdischen Gängen, die bis zu den einige Meilen entfernten Pyramiden führten. Der Teil des Labyrinths, der vom Balsamierungshaus des Apis aus zugänglich war, beherbergte die Mumien sämtlicher Apis-Stiere, die es je gegeben hatte, außerdem mumifizierte Katzen und Ibisse; ein anderer Teil, zugänglich von einem geheimen Raum im Tempel des Ptah aus, beherbergte die Schatzkammer.
Der Hohepriester des Ptah empfing die Königin zusammen mit dem chereb, dem Vorlesepriester, mit seinen Kämmerern und Offizialen und den mete-en-sa, den gewöhnlichen Priestern. Mit unbewegtem Gesicht nahm Kleopatra, kaum fünf römische Fuß groß und nicht schwerer als eineinhalb Talente, die Huldigung entgegen. Zweihundert Männer mit kahlrasiertem Schädel warfen sich vor ihr auf den Boden und preßten die Stirn an die glattpolierten, roten Granitplatten.
»Göttin auf Erden, Tochter des Ra, Inkarnation der Isis, Königin der Könige«, sagte der Hohepriester und erhob sich unter ständigen Verbeugungen. Die anderen Priester blieben auf dem Boden liegen.
»Priester des Ptah, Diener Gottes, Größter der Schauenden und Auge der Königin«, sagte die Pharaonin lächelnd. »Mein lieber Cha’em, ich freue mich, dich zu sehen!«
Cha’em unterschied sich von den anderen Priestern nur durch seinen Halsschmuck. Auch er hatte einen kahlrasierten Kopf und war lediglich mit einem dicken, weißen Leinenrock bekleidet, der knapp unterhalb der Brust begann und weich bis auf die Waden hinabfiel. Der Halsschmuck, schon seit dem ersten Pharao das Rangabzeichen des Hohenpriesters, bestand aus einer breiten, vom Hals bis zur Brust und von Schulter zu Schulter reichenden Goldplatte. Umrandet war die Platte von einem gedrehten, ebenfalls goldenen Band, das auf der linken Seite wie ein Schakal geformt war, rechts wie zwei Füße und eine Löwenpranke, besetzt mit Lapislazuli, Karneol, Beryll und Onyx. Darüber hingen zahlreiche Goldketten, die in karneolbesetzten Scheiben und quadratischen, juwelenbesetzten Kreuzen endeten.
»Du bist verkleidet«, sagte er auf Altägyptisch.
»Die Alexandriner haben mich gestürzt.«
»Ah!«
Cha’em führte sie zu seinem Palast, einem kleinen quadratischen Bau aus Kalkstein, bemalt mit Hieroglyphen und den Namen aller Hohenpriester des Ptah. Verschiedene Götterstatuen flankierten das Portal: Ptah selbst, eine aufrecht stehende, barhäuptige Figur in Menschengestalt und Mumienform, seine Gemahlin, die Löwengöttin Sachmet, und der Gott der Lotusblume Nefertem, gekrönt mit weißen Straußenfedern und der heiligen blauen Lotusblüte.
Im Inneren des Gebäudes war es kühl und hell. Die Wände waren mit lebendigen Malereien geschmückt, das Mobiliar bestand aus Stühlen und Tischen aus Elfenbein, Ebenholz und Gold. Angezogen vom Klang der Stimmen, betrat eine Ägypterin den Raum, die aufjene ausdruckslose Art schön war, welche die Kaste der ägyptischen Priester über Jahrtausende hin zur Vollendung gebracht hatte. Sie trug eine schwarze Perücke, ein schlauchförmiges Unterkleid aus weißem Leinen und ein weitärmeliges Oberkleid aus durchscheinendem, gefälteltem Leinen, wie nur die Ägypter es herstellen konnten.
Auch sie verbeugte sich tief.
»Tach’a!« sagte Kleopatra und umarmte sie. »Meine Mutter.«
»Ja, das war ich drei Jahre lang«, sagte Cha’ems Frau. »Hast du Hunger?«
»Habt ihr denn genug zu essen?«
»Wir kommen zurecht, Tochter des Ra, auch in diesen harten Zeiten. Mein Garten hat einen Kanal zum Nil. Meine Diener bestellen ihn.«
»Kannst du meinen Leuten zu essen geben? Es sind zwar nur drei, aber der arme Apollodorus ißt eine Menge.«
»Wir haben schon genug! Setzt euch, setzt euch!«
Bei einem einfachen Mahl aus Fladenbrot, kleinen gebratenen Fischen, Datteln und Gerstenbier erzählte Kleopatra, was passiert war.
»Was willst du tun?« fragte Cha’em.
»Du mußt mir Geld geben, damit ich mir in Judäa und Nabatäa eine Armee kaufen kann. Und in Phönizien. Potheinus wollte dort die Getreidespeicher plündern, ich werde also sicher ausreichend Soldaten finden. Syrien ist sich selbst überlassen, nachdem Metellus Scipio dort letztes Jahr abgezogen ist. Solange ich die Küste meide, werde ich wohl keine Schwierigkeiten bekommen.«
Tach’a räusperte sich. »Cha’em, du mußt mit der Pharaonin noch etwas anderes besprechen.«
»Geduld, Frau! Erst müssen wir dieses Thema beenden.« Er sah wieder Kleopatra an. »Wie können wir mit Alexandria fertigwerden? Ich gebe zu, es ist gut, einen geschützteren und weniger sumpfigen Mittelmeerhafen zu haben als das alte Pelusium, aber Alexandria ist ein Schmarotzer! Es nimmt Ägypten alles weg und gibt nichts zurück.«
»Das weiß ich. Du hast es mir erklärt, als ich hier lebte, und ich werde Abhilfe schaffen. Aber zuerst muß ich wieder sicher auf dem Thron sitzen. Und du weißt, daß Alexandria untrennbar mit Ägypten verbunden ist. Ich kann Ägypten nicht von Memphis aus regieren, Cha’em, weil Alexandria sofort eine Armee kaufen und uns zermalmen würde. Denn Ägypten ist der Nil — wir könnten nirgendwohin fliehen. Du weißt, wie einfach es zu erobern wäre. Der Wind bläst die Kriegsgaleeren vom Delta nach Süden zum Ersten Katarakt, die Strömung trägt sie wieder zurück. Das eigentliche Ägypten würde ein Sklave der Makedonier und der Römer werden, denn die römische Armee würde bei uns einmarschieren.«
»Das führt mich zu einem heiklen Thema, Göttin auf Erden.«
Kleopatras goldgrüne Augen verengten sich, sie runzelte die Stirn. »Den Pegel des Todes.«
»Zweimal hintereinander. Und dieses Jahr war er nur acht Fuß hoch! Das hat es noch nie gegeben! Das Volk am Nil ist beunruhigt.«
»Wegen der Hungersnot? Natürlich.«
»Nein, wegen seiner Pharaonin.«
»Erkläre!«
»Es heißt, der Nil wird den Pegel des Todes so lange nicht überschreiten, Tochter des Ra, bis die Pharaonin schwanger ist und ein männliches Kind gebiert. Es ist die Pflicht einer Pharaonin, fruchtbar zu sein und Krokodil und Nilpferd gnädig zu stimmen, damit sie das Wasser nicht selbst trinken.«
»Das weiß ich genauso wie du, Cha’em!« sagte Kleopatra scharf. »Warum erzählst du mir Dinge, die du mich schon gelehrt hast, als ich ein kleines Mädchen war? Tag und Nacht zerbreche ich mir den Kopf, aber was soll ich tun? Mein Brudergemahl ist noch ein Kind; außerdem bevorzugt er seine Schwester Arsinoe, denn ich bin ihm nicht ptolemäisch genug; mein Blut ist vom Geschlecht des Mithridates verseucht.«
»Du brauchst einen anderen Gemahl, Göttin auf Erden.«
»Es gibt keinen! Keinen! Glaube mir, Cha’em, ich würde die kleine Schlange sofort töten, wenn ich könnte! Und seinen kleinen Bruder und Arsinoe auch! Doch gibt es nur noch vier Ptolemäer, zwei Jungen und zwei Mädchen. Es gibt keinen anderen Mann, dem ich meine Jungfräulichkeit schenken könnte. Ich werde mich im Namen Ägyptens nur mit einem Gott vermählen!« Sie knirschte mit den Zähnen. »Meine Schwester Berenike hat es mit einem anderen Mann versucht! Aber dann hat dieser Aulus Gabinius ihre Pläne durchkreuzt und lieber meinen Vater wieder auf den Thron gesetzt. Berenike ist von ihrem eigenen Vater getötet worden.
Wenn ich nicht aufpasse, wird man mich auch töten!«
Durch eine Wandöffnung drang ein dünner Lichtstrahl, in dem Staubkörnchen tanzten. Cha’em streckte seine schmalen, braunen Hände aus und spreizte die Finger, um Schatten auf die Fliesen des Bodens zu werfen. Zuerst legte er beide Hände zu einer strahlenden Sonne übereinander, dann nahm er eine Hand weg und bog die andere in die Form der heiligen Schlange Uräus. »Die Vorzeichen sagen immer wieder dasselbe, so merkwürdig es ist«, sagte er gedankenverloren. »Sie sprechen immer wieder von einem Gott, der aus dem Westen kommt... einem Gott aus dem Westen, würdig, der Gemahl der Pharaonin zu sein.«
»Aus dem Westen?« fragte die Königin gespannt. »Dem Reich der Toten? Du meinst, Osiris kehrt aus dem Reich der Toten zurück, um Isis-Hathor-Mut zu begatten?«
»Und um ein männliches Kind zu zeugen«, sagte Tach’a.
»Aber wie ist das möglich?«
»Er wird kommen«, sagte Cha’em und erhob sich unter Verbeugungen. »In der Zwischenzeit, Königin der Könige, müssen wir versuchen, eine gute Armee zu kaufen.«
Zwei Monate lang reiste Kleopatra durch Syrien und kaufte bei den Idumäern und Nabatäern Söldner ein. Söldner aus Syrien galten als die besten der Welt, und die syrischen Königreiche hatten daraus inzwischen einen gewinnbringenden Wirtschaftszweig gemacht. Die allerbesten Söldner aber waren die Juden. Also begab sich Kleopatra nach Jerusalem, wo sie mit dem berühmten Antipater zusammentraf. Kleopatra mochte ihn, weit mehr als seinen zweitältesten Sohn Herodes, einen arroganten und häßlichen jungen Mann.
Beide, Vater und Sohn, waren sehr intelligent und sehr habgierig. Sie gaben Kleopatra zu verstehen, daß sie mit ihrem Gold Soldaten und andere Dienste kaufen konnte.
»Ich bezweifle«, sagte Antipater, fasziniert, daß die schmächtige Königin fließend Aramäisch sprach, »ich bezweifle, daß Pompeius Magnus den geheimnisvollen Mann aus dem Westen bezwingen kann, diesen Gaius Julius Caesar.«
»Den Mann aus dem Westen?« wiederholte Kleopatra langsam und biß in einen Granatapfel.
»So nennen Herodes und ich ihn, denn er hat alle seine Eroberungen im Westen gemacht. Jetzt werden wir sehen, wie er sich im Osten schlägt.«
»Gaius Julius Caesar. . . Ich weiß nur wenig über ihn. Er hat meinen Vater gegen Geld zum Freund und Verbündeten Roms gemacht und ihn als König bestätigt — auch das natürlich nicht umsonst. Wer ist dieser Caesar?«
»Wer ist Caesar?« Antipater beugte sich vor, um die Hände in einem goldenen Becken zu waschen. »Überall außer in Rom wäre er ein König. Seine Familie ist alt und ehrwürdig. Man sagt, er stamme über Aeneas und Romulus von Aphrodite und Ares ab.«
Erschrocken riß Kleopatra ihre großen Augen auf, bedeckte sie aber sogleich wieder mit ihren langen Wimpern. »Dann ist er ein Gott.«
»Für uns in Judäa nicht«, mischte sich Herodes ein, »aber ja, man könnte das in gewisser Weise sagen.« Er wühlte mit seinen dicken, hennagefärbten Fingern in einer Schale mit Nüssen.
Wie eingebildet die Herrscher dieser syrischen Kleinkönigreiche sind, dachte Kleopatra. Sie führten sich auf, als sei Jerusalem, Petra oder Tyrus der Nabel der Welt. Aber der Nabel der Welt war Rom, auch wenn ihr Memphis lieber gewesen wäre! Oder sogar Alexandria.
Die Königin von Alexandria und Ägypten marschierte mit ihrer Armee von zwanzigtausend Mann — noch verstärkt durch Freiwillige aus dem Land des Onias — von Raphia auf der Küstenstraße nach Süden, vorbei an den großen Salzfeldern des SirbonisSees. An der syrischen Flanke des Kasion, eines nur zehn Meilen von Pelusium entfernten Sandberges, ging sie in Stellung. Hier wollte sie die Entscheidung im ägyptischen Thronstreit herbeiführen. Sie hatte Trinkwasser und wurde für teures Geld, was sie aber nicht kümmerte, von Antipater und seinem Sohn Herodes mit Lebensmitteln beliefert.
Achillas zog ihr mit der ägyptischen Armee entgegen. Mitte September ging er an der Pelusium zugewandten Seite des Kasion in Stellung. Er wollte Kleopatra zermürben, bevor er zuschlug und sie zermalmte. Im Hochsommer, wenn die Hitze unerträglich war und ihre Söldner in ihre kühlen Häuser zurückkehren wollten.
Hochsommer, die Zeit der nächsten Nilschwelle! Ungeduldig ging Kleopatra in ihrem Haus aus Lehmziegeln auf und ab. Sie wollte endlich eine Entscheidung. Die Welt war am Zerfallen! Der Mann aus dem Westen hatte Gnaeus Pompeius Magnus bei Pharsalus besiegt! Aber wie konnte sie ihn dazu bewegen, Ägypten zu besuchen? Erst mußte sie sicher auf dem Thron sitzen, dann konnte sie ihn zu einem Staatsbesuch einladen. Die Römer kamen gern nach Ägypten; sie wollten Krokodile und Nilpferde sehen und die mächtigen Tempel mit ihren Schätzen besichtigen. Der Nil würde auch in diesem Jahr nur den Pegel des Todes erreichen, damit mußte sie sich abfinden; Cha’ems Deutung der Vorzeichen war immer richtig. Aber dann würde Gaius Julius Caesar, der Gott aus dem Westen, kommen.
Pompeius traf zwei Tage vor seinem achtundfünfzigsten Geburtstag mit dem Schiff vor Pelusium ein. Der alte, heruntergekommene Hafen war so voller ägyptischer Kriegsgaleeren und Transportschiffe, daß sie keinen Ankerplatz fanden. Sextus und Pompeius lehnten an der Reling und betrachteten das Durcheinander fasziniert.
»Es herrscht wirklich Bürgerkrieg«, sagte Sextus.
»Aber sicher nicht meinetwegen.« Pompeius grinste. »Wir sollten einen Kundschafter ausschicken, bevor wir entscheiden, was wir tun.«
»Du meinst, wir sollten nach Alexandria weiterfahren?«
»Das wäre eine Möglichkeit. Aber meine drei Kapitäne sagen, daß wir kaum noch Proviant und Wasser haben. Wir müssen also so lange hier bleiben, bis wir uns mit beidem versorgt haben.«
»Ich gehe«, bot sich Sextus an.
»Nein, ich schicke Philippus.«
Sextus war beleidigt. Sein Vater gab ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Geschieht dir ganz recht, Sextus! Du hättest sehon lange Griechisch lernen sollen. Philippus kann sich verständigen, er ist ein Grieche aus Syrien. Hier kommt man nur mit bestem Griechisch durch.«
Gnaeus Pompeius Philippus, ein Freigelassener des Pompeius und ein blonder Hüne, erschien, um seine Anweisungen entgegenzunehmen. Er hörte aufmerksam zu, nickte, ohne weitere Fragen zu stellen, und kletterte über die Reling der Trireme ins Beiboot.
Zwei Stunden später kehrte er zurück. »Eine Schlacht steht bevor, Gnaeus Pompeius«, sagte er. »Halb Ägypten ist in der näheren Umgebung versammelt. Die Armee der Königin lagert auf der anderen Seite des Kasion, die Armee des Königs auf der uns zugewandten Seite. In Pelusium sagt man, es werde in den nächsten Tagen zum Kampf kommen.«
»Woher weiß man das in Pelusium?« fragte Pompeius.
»Der kleine König ist hier — ein seltenes Ereignis. Er ist zu jung, um den Krieg zu führen — das macht Achillas —, aber anwesend muß er offenbar sein.«
Pompeius schrieb einen Brief an König Ptolemaios und bat ihn unverzüglich um eine Audienz.
Den ganzen Tag über traf keine Antwort ein; das gab Pompeius zu denken. Vor zwei Jahren wären auf seine Bitte hin sogar die Götter schleunigst vom Olymp herabgestiegen, doch jetzt konnte sich ein Kindkönig so viel Zeit lassen, wie er wollte.
»Wie lange wohl Caesar auf eine Antwort warten müßte?« sagte er bitter zu Cornelia Metella.
Sie drückte seine Hand. »Es lohnt sich nicht, sich darüber zu ärgern. Das hier sind seltsame Menschen mit seltsamen Sitten. Vielleicht weiß man hier noch gar nichts von Pharsalus.«
»Das glaube ich nicht, Cornelia. Inzwischen weiß das wahrscheinlich sogar der Partherkönig.«
»Laß uns jetzt schlafen! Die Antwort kommt bestimmt morgen.«
Da Philippus den Brief einem niederen Beamten ausgehändigt hatte, brauchte das Schreiben viele Stunden, um zu seinem Adressaten zu gelangen. Bekanntlich konnte Ägypten ja selbst den asiatischen Griechen noch eine Lektion in Bürokratie erteilen. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte der Brief schließlich den Sekretär des Sekretärs von Potheinus. Neugierig betrachtete der Sekretär das Siegel — und erstarrte: ein Löwenkopf mit den Buchstaben CN POMP MAG als Mähne. »Beim Serapis!« rief er und eilte zu Potheinus’ Sekretär, der seinerseits zu Potheinus eilte.
»Exzellenz!« keuchte der Mann und hielt ihm die kleine Papierrolle entgegen. »Ein Brief von Gnaeus Pompeius Magnus!«
Potheinus, der Haushofmeister, nur mit einem Gewand aus hauchdünnem, purpurfarbenem Leinen bekleidet, denn er hatte seine Arbeit für den Tag beendet, sprang mit einem Satz von seiner Liege, entriß dem Sekretär die Rolle und starrte ungläubig auf das Siegel. Es war wirklich Pompeius’ Siegel!
»Hole Theodotus und Achillas!« befahl er seinem Sekretär. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und erbrach das rote Wachssiegel. Mit zitternden Händen entrollte er das Blatt aus feinstem Papyrus und versuchte, die ausladenden, krakeligen griechischen Buchstaben zu entziffern.
Als Theodotus und Achillas kamen, hatte er den Brief gelesen und starrte aus dem Fenster, das nach Westen auf den betriebsamen Hafen von Pelusium sah.
»Was ist los?« fragte Achillas, ein makedonisch-ägyptischer Mischling in den Dreißigern, groß wie ein Makedone und dunkel wie ein Ägypter. Er war sein ganzes Leben lang Soldat gewesen und wußte, daß er die Königin früher oder später bezwingen mußte, um nicht ins Exil und in den Ruin getrieben zu werden.
»Siehst du die drei Schiffe da?« Potheinus deutete auf drei Triremen, die vor dem Hafen ankerten.
»Dem Bug nach zu urteilen, in Pamphylien gebaut.«
»Weißt du, wer an Bord ist?«
»Keine Ahnung.« »Gnaeus Pompeius Magnus.«
Theodotus entfuhr ein Schrei, dann ließ er sich kraftlos auf einen Stuhl fallen.
Achillas spannte die Muskeln seiner nackten Unterarme an und legte die Hände auf seinen harten, ledernen Brustpanzer. »Beim Serapis!«
»Allerdings!« bestätigte der Haushofmeister.
»Was will er?«
»Eine Audienz beim König und freie Fahrt nach Alexandria.«
»Wir müssen mit dem König sprechen«, sagte Theodotus und stand auf. »Ich hole ihn.«
Weder Potheinus noch Achillas widersprachen. Was immer sie beschließen würden, sie würden es im Namen des Königs beschließen. Natürlich würden sie ihn nicht mitreden lassen, aber er hatte das Recht, bei Besprechungen seiner Berater anwesend zu sein.
Der dreizehnte Ptolemaios hatte zu viele Süßigkeiten gegessen, und ihm war übel. Doch als Theodotus ihm mitteilte, wer an Bord der Triremen sei, war seine Übelkeit wie weggeblasen, und er zeigte eifriges Interesse.
»Werde ich ihn kennenlernen, Theodotus?«
»Das bleibt abzuwarten«, sagte sein Erzieher. »Jetzt setzt Euch, hört gut zu und unterbrecht uns nicht — Hoheit«, fügte er hinzu.
Potheinus übernahm den Vorsitz. Er nickte Achillas zu. »Erst deine Meinung, Achillas. Was machen wir mit Gnaeus Pompeius?«
»Hm, sein Brief ist nicht besonders aufschlußreich, er bittet lediglich um eine Audienz und um freie Fahrt nach Alexandria. Er hat drei Kriegsschiffe und sicher auch eine Handvoll Soldaten dabei, aber das muß uns keine Sorgen machen. Ich finde, wir sollten ihm die Audienz gewähren und ihn nach Alexandria fahren lassen. Wahrscheinlich ist er auf dem Weg zu seinen Freunden in der Provinz Africa.«
»Und wenn bekannt wird, daß er hier war?« sagte Theodotus erregt. »Daß er vom König empfangen wurde? Er hat die Schlacht von Pharsalus verloren! Können wir uns leisten, seinen Bezwinger, den mächtigen Gaius Julius Caesar, zu kränken?«
Potheinus hatte Theodotus genauso aufmerksam zugehört wie Achillas. Sein schönes Gesicht war unbewegt. Dann sagte er: »Theodotus’ Argument ist einleuchtender. Was ist Eure Meinung, Hoheit?«
Der zwölfjährige König von Ägypten runzelte die Stirn. »Ich stimme mit dir überein, Potheinus.«
»Gut. Theodotus, fahre fort!«
»Wir müssen folgendes in Betracht ziehen: Pompeius Magnus hat den Kampf um die Vorherrschaft im Römischen Reich verloren, dem mächtigsten Reich westlich der Parther. König Ptolemaios Alexander hat in seinem Testament Ägypten dem Römischen Reich vermacht. Wir Alexandriner haben entgegen diesem Testament den Vater des jetzigen Königs auf den Thron gesetzt. Dann hat Marcus Crassus versucht, in Ägypten einzumarschieren. Das haben wir verhindert und dann eben jenen Caesar dafür bezahlt, daß er Auletes’ Herrschaft bestätigt.« Theodotus’ geschminktes, schmales Gesicht glühte fiebrig. »Und jetzt ist dieser Caesar der Herrscher der Welt. Er braucht nur mit den Fingern zu schnippen, und wir verlieren wieder, was er uns einst gegeben hat, nämlich die Unabhängigkeit, die Freiheit, unser Schicksal selbst zu bestimmen. Wir können es uns keinesfalls leisten, Rom in der Person Caesars zu beleidigen!«
»Du hast recht, Theodotus«, sagte Achillas schroff. »Wir führen hier einen internen Krieg und dürfen damit auf keinen Fall die Aufmerksamkeit Roms erregen, damit man dort nicht glaubt, wir seien unfähig, unsere Angelegenheiten selbst zu regeln. Alexanders Testament liegt schließlich immer noch in Rom. Ich schlage vor, Gnaeus Pompeius morgen früh eine Nachricht zu schicken und ihm mitzuteilen, daß er verschwinden soll.«
»Was ist Eure Meinung, Hoheit?« fragte Potheinus.
»Achillas hat recht!« rief Ptolemaios. Dann seufzte er. »Aber ich hätte ihn so gerne gesehen!«
»Theodotus, hast du noch etwas zu sagen?«
»Ja, Potheinus.« Der Erzieher stand auf, ging um den Tisch und trat hinter den kleinen König. Seine Hand glitt liebkosend durch die dichten, goldblonden Haare des Jungen und hinunter zu seinem Hals. »Achillas’ Vorschlag geht nicht weit genug. Der mächtige Caesar wird nicht selbst hinter Pompeius herjagen, dafür hat er Flotten, Legionen und Hunderte von Legaten. Soweit wir wissen, bereist er zur Zeit wie ein König die römische Provinz Asia. Man sagt, er sei gerade im alten Troja, in Ilion, der Heimat seiner Vorfahren.«
Dem kleinen König fielen die Augen zu. Er lehnte sich an Theodotus und schlief ein.
»Warum schicken wir ihm nicht im Namen des Königs von Ägypten ein Geschenk?« Theodotus verzog die karmesinrot geschminkten Lippen. »Den Kopf seines Feindes?« Er klapperte mit seinen getuschten Wimpern. »Tote beißen nicht, wie man so schön sagt.«
Im Raum herrschte plötzlich Stille.
Potheinus verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch und betrachtete sie nachdenklich. Dann sah er auf. »Richtig, Theodotus, Tote beißen nicht. Wir schicken Caesar den Kopf seines Feindes.«
Theodotus war hocherfreut, daß sein Vorschlag angenommen worden war. »Aber wie bekommen wir seinen Kopf?« fragte er.
»Überlaß das mir«, sagte Achillas. »Potheinus, schreibe im Namen des Königs an Pompeius und gewähre ihm eine Audienz. Ich überbringe den Brief persönlich und locke Pompeius an Land.«
»Er wird nicht ohne Leibwache kommen«, gab Potheinus zu bedenken.
»Doch! Denn ich kenne zufällig einen Mann, einen Römer, den Pompeius auch kennt und dem er vertraut.«
Am Morgen saßen Pompeius, Sextus und Cornelia lustlos bei einem Mahl aus altbackenem Brot und abgestandenem Wasser.
»Hoffentlich bekommen wir in Pelusium wenigstens Proviant«, sagte Cornelia.
Da trat plötzlich Philippus ein. Er strahlte. »Gnaeus Pompeius, ein Brief des Königs von Ägypten! Was für ein wundervolles Papier!«
Pompeius erbrach das Siegel und rollte den Brief auf. Er las den kurzen griechischen Text murmelnd durch, dann sah er auf.
»Ich bekomme eine Audienz. In einer Stunde werde ich von einem Boot abgeholt.« Er erschrak. »Bei den Göttern, ich muß mich rasieren! Und wo ist meine toga praetexta! Philippus, schicke bitte meinen Diener zu mir!«
Angetan mit der Toga eines Prokonsuls des Senats und des Volkes von Rom, Cornelia Metella auf der einen, Sextus auf der anderen Seite, wartete Pompeius darauf, daß ihn eine prächtige, goldene Barke mit purpurnem Segel abholen würde.
»Sextus!« sagte er plötzlich.
»Ja, Vater?«
»Kannst du dich für eine Weile selbst beschäftigen?«
»Wie?«
»Tu irgendwas, Sextus, piß über die Reling oder bohre in der Nase, aber laß mich eine Weile mit deiner Stiefmutter allein!«
»Ach so!« Sextus grinste. »Natürlich, Vater!«
»Ein guter Junge!« sagte Pompeius. »Nur etwas dick.«
Vor drei Monaten hätte Cornelia Metella den Wortwechsel noch albern gefunden, jetzt lachte sie nur.
»Du hast mich gestern nacht sehr glücklich gemacht, Cornelia«, sagte Pompeius und trat so dicht neben sie, daß er sie berührte.
»Du mich auch, Magnus.«
»Vielleicht sollten wir öfter eine lange Seereise machen, Liebste. Ich weiß wirklich nicht, was ich seit Mytilene ohne dich getan hätte.«
»Und ohne Sextus!« sagte sie schnell. »Er ist ein lieber Junge!«
»Du bist ihm vom Alter her näher als mir«, neckte er. »Ich werde morgen achtundfünfzig.«
»Ich liebe ihn von ganzem Herzen, Magnus, aber er ist ein Kind. Ich mag ältere Männer. Du hast genau das richtige Alter für mich.«
»Wir werden es in Serica schön haben.«
»Bestimmt.«
Sie lehnten sich zärtlich aneinander, bis Sextus zurückkam. »Die Stunde ist um«, sagte er stirnrunzelnd, »und ich sehe keine königliche Barke, Vater, nur das kleine Boot da.«
Cornelia Metella sah auf. »Es hält auf uns zu.«
»Vielleicht werde ich damit abgeholt«, sagte Pompeius.
»Du, Pompeius Magnus? Niemals!«
»Du darfst nicht vergessen, daß ich nicht mehr der Erste Mann Roms bin. Ich bin nur noch ein müder, alter römischer Statthalter.«
»Für mich nicht!« rief Sextus.
Das Ruderboot ging längsseits. Ein Mann, der am Heck stand und einen Brustpanzer trug, rief: »Ich suche Gnaeus Pompeius Magnus!«
»Und wer sucht ihn?«
»General Achillas, Oberbefehlshaber der königlichen Armee.«
»Komm an Bord!« Pompeius deutete auf die Leiter, die von der Trireme herabhing.
Cornelia Metella hatte sich mit beiden Händen an Pompeius’ rechten Arm geklammert. Er sah sie überrascht an. »Was ist denn los?«
»Ich mag ihn nicht, Magnus. Schick den Mann weg — egal, was er will! Laß uns die Anker lichten und fahren! Bitte! Lieber esse ich bis Utica altes Brot, als daß ich noch eine Minute länger hier bleibe!«
»Pst! Ist ja gut!« Pompeius löste sich von seiner Frau, als Achillas über die Reling kletterte, und ging ihm lächelnd entgegen. »Willkommen, General Achillas! Ich bin Gnaeus Pompeius Magnus.«
»Das sehe ich, dein Gesicht kennt jeder. Statuen und Büsten von dir stehen überall auf der Welt, sogar in Ekbatana, sagt man.«
»Nicht mehr lange. Wahrscheinlich werden sie bald durch Statuen Caesars ersetzt.«
»Nicht in Ägypten, Gnaeus Pompeius. Du bist das große Vorbild unseres kleinen Königs. Er schwärmt leidenschaftlich für deine Heldentaten. Vor lauter Aufregung über das bevorstehende Treffen hat er heute nacht nicht geschlafen!«
»Und trotzdem schickt er nur ein Boot?« sagte Sextus empört.
»Daran ist das Chaos im Hafen schuld«, erwiderte Achillas liebenswürdig. »Er ist voller Kriegsschiffe, und eines hat die königliche Barke versehentlich gerammt. Jetzt hat sie ein Leck, tja, deshalb das Boot — leider!«
»Meine Toga wird doch nicht naß werden?« erkundigte Pompeius sich. »Schließlich kann ich dem König von Ägypten nicht mit schmutzigen Kleidern gegenübertreten!«
»In dem Boot ist es so trocken wie in der Wüste«, versicherte Achillas.
»Magnus, bitte geh nicht!« flüsterte Cornelia Metella.
»Das finde ich auch, Vater!« bekräftigte Sextus. »Nicht in diesem Boot!«
»Bitte, nur unglückliche Umstände sind daran schuld«, sagte Achillas mit einem Lächeln, das zeigte, daß er zwei seiner Schneidezähne verloren hatte. »Doch habe ich ein vertrautes Gesicht mitgebracht, um mögliche Befürchtungen zu zerstreuen. Siehst du den Mann in der Kleidung eines Zenturios?«
Pompeius’ Augen waren nicht mehr die besten. Er hatte aber herausgefunden, daß er mit einem Auge besser sah, wenn er das andere zu drei Vierteln schloß. Er kniff also ein Auge zu, und richtete das andere auf das Boot. Dann entfuhr ihm ein Freudenschrei. »Ich kann es nicht glauben!« Strahlend sah er Cornelia und Sextus an. »Wißt ihr, wer da unten in diesem Boot sitzt? Lucius Septimius! Ein primus pilus aus den alten Zeiten in Pontus und Armenien! Ich habe ihm schon mehrere Auszeichnungen verliehen. Lucius Septimius! Wie schön!«
Cornelia wollte ihm nicht die Freude verderben, deshalb begnügte sie sich damit, ihn zur Vorsicht zu mahnen. Sextus sprach mit den beiden Zenturionen der Ersten Legion, die Pompeius in Paphos begegnet waren und darauf bestanden hatten, ihn zu begleiten.
»Paßt auf ihn auf!« brummte er.
»Komm schon, Philippus, beeile dich!« rief Pompeius, während er trotz der purpurgesäumten Toga ohne Schwierigkeiten über die Reling kletterte.
Achillas war als erster ins Boot hinuntergestiegen. Er geleitete Pompeius zum Bug. »Dort ist es am trockensten.«
»Septimius, alter Gauner, setz dich hinter mich!« rief Pompeius und machte es sich selbst bequem. »Was für eine Freude, dich zu sehen! Was machst du denn in Pelusium?«
Philippus und ein Diener saßen mittschiffs zwischen den Ruderern, hinter sich die beiden Zenturionen des Pompeius. Achillas saß im Heck.
»Ich habe mich hierher zurückgezogen, nachdem Aulus Gabinius uns als Garnison in Alexandria zurückließ«, antwortete Septimius, ein eisgrauer Veteran, der auf einem Auge erblindet war. »Nach dem Unfall mit Bibulus’ Söhnen war die Ruhe dann vorbei — das weißt du ja sicher. Die Legionäre kamen wieder nach Antiochia, die Anführer wurden hingerichtet. Die anderen Zenturionen wollte General Achillas unbedingt behalten. Jetzt bin also primus pilus in einer Legion von Juden.«
Die Fahrt dauerte lange. Pompeius und Septimius plauderten eine Weile, dann fiel Pompeius die Rede ein, die er in mühevoller Arbeit ausgearbeitet hatte. Eine blumige Ansprache an einen zwölfjährigen Jungen zu halten, und das Ganze auch noch auf Griechisch, war nicht einfach. Er drehte sich um.
»Philippus, gib mir bitte meine Rede.«
Philippus reichte ihm die Rolle. Pompeius machte sie auf und beugte sich darüber.
Dann waren sie plötzlich, ohne daß er es bemerkt hatte, am Strand angekommen.
»Hoffentlich mache ich mir die Schuhe nicht schmutzig!« sagte er lachend zu Septimius.
Doch die Ruderer trieben das Boot geschickt über das schmutzige, verschlammte Wasser am Ufer, bis es knirschend mit dem Bug über den trockenen Sand fuhr.
»Wunderbar!« sagte er zu sich selbst, merkwürdig glücklich. Die Nacht mit Cornelia war von Lust erfüllt gewesen, es würden ihr noch viele lustvolle Nächte folgen, und er freute sich auf Serica, auf ein neues Leben, in dem er exotischen Menschen die Tricks alter römischer Soldaten beibringen würde. Er hatte gehört, daß es dort Menschen gab, denen der Kopf aus der Brust wuchs, Menschen mit zwei Köpfen, Menschen mit einem Auge und Seeschlangen.
Caesar sollte ruhig den Westen behalten! Er, Pompeius, zog nach Osten — nach Serica und in die Freiheit. Was wußte man in Serica schon von Piceruim oder Rom? Ein Mann aus Picenum galt dort genausoviel wie ein Julier oder Cornelier!
Etwas riß an ihm, knirschte und brach. Er war schon halb aus dem Boot gestiegen, als er sich umdrehte und Lucius Septimius direkt hinter sich sah. Eine warme Flüssigkeit lief an seinen Beinen hinunter, und für einen Augenblick glaubte er, er habe uriniert, doch dann drang ein unverwechselbarer Geruch in seine Nase: Blut. Sein Blut? Aber er spürte nichts! Seine Beine gaben nach, und er stürzte zu Boden. Was war mit ihm geschehen? Septimius drehte ihn auf den Rücken, Pompeius spürte ihn mehr, als daß er ihn sah, und dann sah er undeutlich ein Schwert über seiner Brust.
Er war ein adliger Römer! Sie durften sein Gesicht nicht sehen, wenn er starb. Sie durften auch jenen Teil seines Körpers nicht sehen, der ihn zum Mann machte. Er mußte wie ein adliger Römer sterben! Mit letzter Kraft zerrte Pompeius mit einer Hand seine Toga über die Hüfte, mit der anderen eine Falte des Stoffes über sein Gesicht. Mit einem kraftvollen Stoß drang die Klinge in seine Brust. Er bewegte sich nicht mehr.
Achillas hatte die beiden Zenturionen von hinten angegriffen, doch zwei Männer auf einmal zu töten, war schwierig. Es kam zum Kampf. Die Ruderer eilten ihm zu Hilfe. Philippus und der Sklave saßen wie erstarrt auf ihren Plätzen, doch als sie erkannten, daß auch sie sterben würden, fuhren sie hoch, sprangen aus dem Boot und rannten davon.
»Ich renne ihnen nach!« rief Septimius.
»Zwei blöden Griechen? Was können die ausrichten?« Achillas winkte ein paar Sklaven heran, die mit einem großen irdenen Topf in der Nähe warteten. Sie hoben den Topf, der sehr schwer zu sein schien, und kamen her.
Septimius hatte inzwischen die Toga von Pompeius’ Gesicht gezogen. Es war nicht verletzt und trug einen friedlichen Ausdruck. Er stach mit der Spitze seines blutigen Schwertes in den Kragen der Tunika mit dem breiten Purpurstreifen auf der rechten Schulter und schlitzte sie bis zur Hüfte auf. Der zweite Stoß war tödlich gewesen, er hatte Pompeius ins Herz getroffen.
»So, wie er daliegt, kann ich ihn nicht enthaupten«, sagte der Zenturio. »Ich brauche einen Holzklotz.«
Ein Holzklotz wurde beschafft, Septimius legte Pompeius darüber, hob das Schwert und ließ es auf Pompeius’ Nacken niedersausen. Es war ein glatter, sauberer Schnitt. Pompeius’ Kopf rollte ein Stück über den Boden, sein Körper glitt in den Schlamm.
»Daß ausgerechnet ich ihn einmal töten würde, komisch... Er war ein guter Feldherr, aber lebendig würde er mir auch nichts nützen. Soll ich seinen Kopf in den Topf legen?«
Achillas nickte, durch Pompeius’ Tod mehr erschüttert als der römische Zenturio. Als Septimius den Kopf an den silbergrauen Haaren packte, sah Achillas wie magisch angezogen hin.
Ein Sklave nahm den Holzdeckel ab. Der Topf war mit Natron gefüllt, in das Einbalsamierer die von den Eingeweiden befreiten Leichen monatelang einlegten. Septimius versenkte den Kopf im Topf und trat zurück.
Achillas nickte wieder. Die Sklaven nahmen den Topf auf und trugen ihn ihrem Herrn voran. Die Ruderer hatten das Boot inzwischen wieder ins Wasser geschoben und entfernten sich rasch. Lucius Septimius stieß sein Schwert in den trockenen Uferschlamm, um es zu reinigen. Dann steckte er es in die Scheide und folgte den anderen.
Stunden später kehrten Philippus und der Sklave heimlich an den verlassenen Strand zurück, dorthin, wo Pompeius’ enthauptete Leiche in der blutgetränkten Toga lag.
»Jetzt sitzen wir in Ägypten fest!« sagte der Sklave.
Teilnahmslos und erschöpft vom vielen Weinen sah Philippus von Pompeius’ Leiche auf. »Wir sitzen fest?«
»Ja, unsere Schiffe sind abgefahren. Ich habe sie gesehen.«
»Dann müssen wir uns um ihn kümmern.« Philippus sah sich um. »Kein Wunder, daß sie ihn hier umgebracht haben, so einsam, wie es hier ist.« Er nickte. »Wenigstens gibt es Treibholz.«
Die beiden Männer errichteten einen sechs Fuß hohen Scheiterhaufen. Die Leiche hinaufzuhieven war nicht einfach, aber sie schafften es.
»Wir haben kein Feuer«, bemerkte der Sklave.
»Dann suche jemanden, der welches hat!«
Es wurde bereits dunkel, als der Sklave mit einem kleinen Metalleimer zurückkehrte, aus dem Rauchwolken aufstiegen.
»Sie wollten mir den Eimer zuerst nicht geben«, sagte er. »Als ich aber sagte, daß wir Gnaeus Pompeius Magnus verbrennen wollen, durfte ich ihn mitnehmen.«
Philippus schattete die glühenden Kohlen über die vom Meerwasser und von der Sonne ausgebleichten Äste, überzeugte sich noch einmal, daß Pompeius’ Leiche fest in die Toga gewickelt war, und trat mit dem Sklaven zurück.
Es dauerte eine Weile, bis das Holz Feuer fing, doch dann schlugen die Flammen lodernd in die Höhe und trockneten auch Philippus’ erneute Tränenflut.
Erschöpft legten sie sich in einiger Entfernung vom Scheiterhaufen zum Schlafen hin. Am Morgen war von dem Scheiterhaufen nur noch schwarze Asche übrig. Mit dem Eimer gossen sie Meerwasser darüber, um die Glut zu kühlen, dann suchten sie nach Pompeius’ Überresten.
»Woher soll ich wissen, was er ist und was nicht?« fragte der Sklave.
»Holz zerfällt im Feuer zu Asche, Knochen nicht«, erklärte Philippus geduldig. »Frage mich, wenn du dir nicht sicher bist.«
Was sie fanden, füllten sie in den Eimer.
»Und jetzt?« fragte der Sklave.
»Jetzt gehen wir nach Alexandria«, sagte Philippus.
»Wir haben kein Geld.«
»Doch. Ich mußte Pompeius’ Börse tragen. Wir essen uns erst einmal satt.«
Philippus nahm den Eimer, faßte den Sklaven an der Hand und ging über den Strand, weg von dem erwachenden Pelusium.
FINIS