III. Rom
Januar bis April 52 v. Chr.
Der Neujahrstag brach an, ohne daß die Magistraten ihre Amtsgeschäfte aufnehmen konnten; Rom war den Launen des Senats und der zehn Volkstribunen ausgeliefert. Cato hatte Wort gehalten und die letztjährigen Wahlen so lange blockiert, bis Pompeius’ Neffe Gaius Memmius seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Erst im Quinctilis des vergangenen Jahres waren dann Gnaeus Domitius Calvinus und der Augur Messalla Rufus für die verbleibenden fünf Monate des Jahres zu Konsuln gewählt worden. Wegen der Bandenkämpfe zwischen Publius Clodius und Titus Annius Milo hatten sie allerdings keine Konsulatswahlen für das folgende Jahr anberaumt. Milo wollte Konsul werden, Clodius Prätor — aber beide wollten verhindern, daß der andere Erfolg hatte. Sie stellten also Banden auf und bekämpften einander unermüdlich. Zwar blieben die meisten Stadtteile davon unberührt, denn die Gewalttätigkeiten beschränkten sich auf das Forum Romanum und die umliegenden Straßen. Dort aber wurden die Straßenkämpfe so erbittert geführt, daß der Senat seine Sitzungen nicht mehr in der Curia Hostilia abhalten konnte und die Volksversammlung und die Tributkomitien überhaupt nicht mehr tagten.
Diese Lage der Dinge behinderte ernstlich die Karriere des Marcus Antonius, eines engen Freundes von Clodius. Mit seinen dreißig Jahren hätte er längst Quästor sein müssen — ein Amt, zu dessen Vorteilen die automatische Beförderung in den Senat gehörte und das einem rührigen Mann viele Möglichkeiten bot, sein Säckel zu füllen. Der Quästor einer Provinz kümmerte sich — normalerweise unbeaufsichtigt — um die Finanzen des Statthalters; er konnte also Bücher fälschen, Steuerbefreiungen verkaufen und Verträge manipulieren. Auch als einer der drei Quästoren der Stadt Rom konnte er profitieren; er verwaltete die Finanzen des Schatzamtes und konnte gegen eine entsprechende Summe Eintragungen ändern und Schulden streichen oder jemandem Beträge aus der Staatskasse zukommen lassen, die diesem eigentlich nicht zustanden. Der ewig verschuldete Marcus Antonius lechzte also danach, seine Quästur anzutreten.
Doch kein Statthalter hatte nach ihm verlangt, was ihn entschieden störte. Caesar, der großzügigste aller Statthalter, war sein Vetter ersten Grades und hätte ihn schon deshalb bitten müssen. Er hatte ja auch die Söhne von Marcus Crassus für sich arbeiten lassen, deren Anspruch nur auf der engen Freundschaft zwischen ihrem Vater und Caesar beruhte. Und in diesem Jahr hatte Caesar unbedingt Servilias Sohn Brutus gewollt — der aber zu seinem Leidwesen abgelehnt hatte. Brutus’ Onkel Cato hatte das natürlich in ganz Rom herumposaunt, während Brutus’ abscheuliche Mutter, die sich viel darauf einbildete, Caesars Geliebte zu sein, ihren Halbbruder quälte, indem sie die Klatschmäuler der Stadt mit delikaten Informationen über Catos Verkauf seiner Gattin an den senilen Hortensius versorgte.
Auch Antonius’ Onkel Lucius Caesar — in diesem Jahr einer der Legaten Caesars in Gallien — hatte Caesar nicht bitten wollen, Antonius als Quästor anzufordern, und so hatte schließlich Antonius’ Mutter, Lucius Caesars einzige Schwester, die Initiative ergriffen und Caesar geschrieben. Caesars Anwort war kurz und bündig ausgefallen: Es könne Marcus Antonius gewiß nicht schaden, auf das Los zu vertrauen, weshalb er davon Abstand nehme, ihn anzufordern.
»Dabei habe ich doch in Syrien unter Gabinius gute Arbeit geleistet!« beschwerte sich Antonius bei Clodius. »Ich habe seine Reiter geführt wie ein Fachmann! Gabinius hat keinen Schritt ohne mich getan!«
»Ein neuer Labienus, was?« Clodius grinste.
Clodius’ Zirkel gab es immer noch, trotz des abtrünnigen Marcus Caelius Rufus und der beiden fellatrices Sempronia Tuditani und Palla. Der Prozeß gegen Caelius wegen versuchten Giftmordes an Clodius’ Lieblingsschwester Clodia und Caelius’ Freispruch hatte die beiden Damen so sprunghaft altern lassen, daß sie es vorzogen, zu Hause zu bleiben und den Blick in den Spiegel zu meiden.
Die Mitglieder des Zirkels trafen sich in Clodius’ neuem Haus auf dem Palatin, einem geräumigen, erlesen eingerichteten Gebäude, das er für vierzehneinhalb Millionen Sesterze von Scaurus gekauft hatte. Die Wände des Eßzimmers, in dem sich Clodius’ Gäste auf Liegen aus feinstem tyrotischen Purpur räkelten, waren mit verträumten arkadischen Landschaften und dazwischen Feldern mit verblüffend dreidimensional wirkenden schwarzweißen Würfeln geschmückt. Jetzt, im Frühherbst, standen die großen Türen zum säulengesäumten Garten weit offen und gaben den Blick auf ein großes, rechteckiges Marmorbecken frei, das mit Tritonen und Delphinen geschmückt war; auf dem Springbrunnen in der Mitte des Beckens thronte auf einer von Pferden mit Fischschwänzen gezogenen Kammuschel die Meeresgöttin Amphitrite; die Skulptur war so geschickt bemalt, daß sie wie lebendig wirkte.
Anwesend waren Curio Minor und Pompeius Rufus, der Bruder von Caesars grenzenlos dummer Exgattin Pompeia Sulla, ferner Decimus Brutus, der Sohn Sempronia Tuditanis, Plancus Bursa, ein neues Mitglied, und natürlich die drei Frauen aus Clodius’ Familie — seine Schwestern Clodia und Clodilla und seine Gattin Fulvia, der Clodius so ergeben war, daß er keinen Schritt ohne sie tat.
»Caesar hat angefragt, ob ich nicht zu ihm nach Gallien zurückkehren will; ich glaube, das tue ich«, sagte Decimus Brutus, ohne zu wissen, daß er Salz in Antonius’ Wunden streute.
Antonius starrte ihn böse an. Abgesehen von einer gewissen skrupellosen Tüchtigkeit schien nicht viel an Decimus Brutus zu sein — er war dünn, durchschnittlich groß und hatte so helle Haare, daß er den Beinamen Albinus bekommen hatte. Aber Caesar mochte ihn, schätzte ihn so sehr, daß er ihm sogar Aufgaben übertragen hatte, für die sonst eigentlich Legaten zuständig waren. Was hatte Caesar nur gegen seinen Vetter Antonius?
Publius Clodius war der Mittelpunkt dieser Gesellschaft. Auch er war dünn und von durchschnittlicher Größe, dabei aber so schwarz wie Decimus Brutus blond. Er hatte ein spitzbübisches Gesicht, das immer etwas besorgt wirkte, wenn er nicht lächelte, und sein Leben war auf eine Weise bewegt gewesen, wie es wohl nur einem Mitglied der höchst unkonventionellen Patrizierfamilie der Claudii Pulchri möglich war. So hatte er in Syrien die Araber so lange geärgert, bis sie ihn beschnitten hatten; er hatte Cicero so lange provoziert, bis dieser ihn öffentlich lächerlich gemacht hatte; er hatte Caesar die Erlaubnis abgerungen, sich von einem Plebejer adoptieren zu lassen; Pompeius hatte seinetwegen Milo dafür engagiert, auf den Straßen Roms Bandenkämpfe anzuzetteln, und schließlich hatte Clodius den gesamten römischen Adel glauben gemacht, er habe inzestuöse Beziehungen mit seinen Schwestern Clodia und Clodilla.
Seine größte Schwäche jedoch war sein unstillbarer Rachedurst. Wenn jemand seine dignitas verletzte oder schmälerte, setzte er den Betreffenden auf seine schwarze Liste und wartete eine Gelegenheit ab, ihm die Kränkung in voller Höhe heimzuzahlen. Zu seinen Opfern gehörten Cicero, der auf Clodius’ Betreiben eine Zeitlang in die Verbannung hatte gehen müssen, Ptolemaios von Zypern, den er durch die Besetzung Zyperns in den Selbstmord getrieben hatte, Lucullus, sein verstorbener Schwager, dessen Karriere als einer der größten römischen Feldherrn Clodius durch Anzettelung einer Meuterei ruiniert hatte, und schließlich Caesars Mutter Aurelia, deren Fest der Bona Dea, der guten Göttin der Frauen, er entweiht und verdorben hatte. Diese letzte Tat verfolgte ihn gelegentlich freilich immer noch, denn er hatte damit einen schrecklichen Frevel an Bona Dea begangen. Er war deswegen vor Gericht gestellt, aber freigesprochen worden, nachdem Fulvia und andere Frauen die Geschworenen bestochen hatten. Fulvia hatte das natürlich aus Liebe getan, die anderen Frauen dagegen wollten ihn der Rache der Göttin überlassen. Sie würde eines Tages unweigerlich kommen... Diese Befürchtung ließ Clodius keine Ruhe.
Der Anlaß seines jüngsten Racheaktes lag bereits lange zurück. Vor mehr als zwanzig Jahren — er war damals gerade achtzehn gewesen — hatte er die schöne junge Vestalin Fabia der Unkeuschheit bezichtigt, eines Vergehens, das mit dem Tod bestraft wurde. Er hatte den Prozeß allerdings verloren, und Fabias Name kam sofort auf seine schwarze Liste (daß sie die Halbschwester von Ciceros Frau Terentia war, machte sie nur noch hassenswerter). Jahre vergingen, aber Clodius wartete geduldig, während andere Beteiligte wie Catilina das Zeitliche segneten. Dann endlich schied Fabia, mit siebenunddreißig immer noch eine schöne Frau, aus dem Vestalinnenorden aus, in dem sie dreißig Jahre gedient hatte, und zog aus der Domus Publica in ein gemütliches kleines Häuschen auf dem oberen Quirinal, wo sie den Rest ihres Lebens als geachtete ehemalige Oberpriesterin verbringen wollte. Ihr Vater war der Patrizier Fabius Maximus gewesen; er hatte ihr, als sie mit sieben Jahren in den Orden eingetreten war, eine reiche Mitgift mitgegeben. Die in Gelddingen überaus geschickte Terentia hatte Fabias Mitgift genauso gewinnbringend angelegt wie ihr eigenes großes Vermögen (Cicero sah davon nie auch nur einen Sesterz), so daß Fabia bei ihrem Austritt eine wohlhabende Frau war.
Dieser letzte Umstand ließ in Clodius’ fruchtbarem Gehirn die Saat der Vergeltung keimen. Je länger er wartete, desto süßer würde die Rache sein, und nach zwanzig Jahren wußte er endlich, wie er Fabias Leben zerstören konnte. Vestalinnen konnten nach ihrem Dienst zwar heiraten, doch taten dies nur wenige, denn es brachte Unglück, wie es hieß. Andererseits waren nur wenige ehemalige Vestalinnen so attraktiv oder wohlhabend wie Fabia. Clodius suchte also nach einem Mann, der wohlgeboren und gutaussehend war, aber arm. Endlich wurde er mit Publius Cornelius Dolabella fündig, einem gelegentlichen Mitglied seines Zirkels und einem Haudegen vom gleichen Schlag wie Marcus Antonius: groß, grob und gemein.
Dolabella war auch gleich begeistert von Clodius’ Vorschlag, um Fabia zu werben. Obwohl er ein Patrizier mit tadellosem Stammbaum war, versteckten sämtliche römischen Väter ihre Töchter vor Dolabella und lehnten Heiratsanträge kategorisch ab. Also mußte Dolabella ähnlich dem anderen patrizischen Cornelier Sulla andere Wege gehen. Ehemalige Vestalinnen waren sui iuris, das heißt, sie unterstanden keinem Mann, sondern führten ein völlig freies Leben. Fabia war für Dolabella deshalb ein Glücksfall: eine Braut von genauso vornehmer Abstammung wie er selbst, außerdem noch jung genug, um Kinder zu bekommen, dazu sehr reich — und ohne einen pater familias, der seine Pläne durchkreuzen konnte!
Im Gegensatz zu Antonius, der zwar nicht dumm war, aber keinerlei Charme besaß und dessen einzige Attraktion sein Körper war, hatte Dolabella eine fröhliche, umgängliche Art und war ein gewandter Gesprächspartner. Im Gegensatz zu Antonius’ plumpen Avancen — »Ich liebe dich, leg dich hin!« — verstand er es, seine Wünsche in poetischere Worte einzukleiden — »Laß mich in deinen schönen Augen ertrinken!«
Dolabella eroberte nicht nur Fabias Herz im Sturm, auch die weiblichen Angehörigen von Ciceros Haushalt waren von ihm hingerissen. Daß Ciceros Tochter Tullia, die mit Furius Crassipes unglücklich verheiratet war, ihn für einen Gott hielt, mochte nicht weiter verwunderlich sein, daß aber auch die sauertöpfische Terentia ihn anhimmelte, brachte Roms Gerüchteküche zum Kochen. Dolabella freite also mit Terentias Segen und unter Tullias Tränen. Dann heirateten sie.
Zu Clodius’ großer Freude war die Ehe vom ersten Tag an eine Katastrophe. Bei einer Jungfrau in Fabias Alter, die dreißig Jahre lang nur mit Frauen zusammen gewesen war, wäre ein sexuelles Einfühlungsvermögen vonnöten gewesen, das Dolabella nicht hatte oder das ihn nicht interessierte. Fabias Entjungferung mochte keine Vergewaltigung sein, eine besonders glückliche Erfahrung war sie aber auch nicht. Ärgerlich und gelangweilt wandte sich Dolabella wieder den Frauen zu, die wußten, wie man es machte, und gewillt waren, ihm Ekstase zumindest vorzuspielen. Wenigstens war ihm Fabias Geld sicher. Fabia saß inzwischen zu Hause und weinte verzweifelt, und Terentia schimpfte, sie sei dämlich und wisse nicht mit einem Mann umzugehen. Tullia dagegen lebte sichtlich auf und überlegte, wie sie sich von Furius Crassipes scheiden lassen konnte.
Inzwischen war Clodius’ Schadenfreude allerdings schon weitgehend verflogen, denn wieder nahm ihn die Politik ganz in Anspruch.
Er war entschlossen, der Erste Mann Roms zu werden, wollte dieses Ziel aber nicht auf dem üblichen Weg erreichen — über das höchste politische Amt und die Demonstration militärischer Fähigkeiten. Clodius’ Gaben waren nicht kriegerischer Natur, er war ein Demagoge. Er wollte durch die Volksversammlung regieren, die von den Rittern, den Geschäftsleuten Roms, beherrscht wurde. Auch andere hatten dies schon versucht, aber nicht auf Clodius’ Weise.
Clodius hatte nämlich eine großartige Strategie: Er warb nicht um die mächtigen und reichen Ritter — er schüchterte sie ein. Zu diesem Zweck setzte er einen Teil der römischen Gesellschaft ein, den andere vor ihm für völlig wertlos gehalten und ignoriert hatten: die proletarii, jene Besitzlosen, die der Bodensatz der römischen Gesellschaft waren. Die Stimmen dieser Besitzlosen waren das Wachs auf den Tafeln nicht wert, auf denen sie abgegeben wurden; sie hatten keinerlei Einfluß bei den Mächtigen, und sie hatten keine andere Existenzberechtigung, als Rom Kinder zu schenken, die als Soldaten in den römischen Legionen dienen konnten — und auch das erst, seit Gaius Marius die Legionen für die Besitzlosen geöffnet hatte; davor hatten sich die römischen Armeen nur aus den besitzenden Klassen rekrutiert. Die capite censi waren alles andere als politische Menschen. Wenn sie erst den Bauch voll hatten und sich regelmäßig umsonst bei den Spielen vergnügen durften, hatten sie kein Interesse mehr an den politischen Machenschaften der Mächtigen.
Clodius gedachte auch keineswegs, sie zu politischen Menschen zu machen, noch wollte er ihnen Flöhe ins Ohr setzen über ihren gesellschaftlichen Wert oder ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, welche Macht sie allein durch ihre Masse ausüben könnten, er brauchte lediglich ihre Stimmen. Sie waren seine Klienten, und als solche schuldeten sie ihm als ihrem Patron Treue, weil er für sie große Vorteile durchgesetzt hatte: monatlich eine kostenlose Getreidezuteilung, Versammlungsfreiheit in ihren Bruderschaften und anderen Vereinen und einmal im Jahr noch etwas zusätzliches Geld. Mit der Unterstützung von Decimus Brutus und einigen Helfern hatte Clodius Tausende von Männern der Unterschicht organisiert, die die überall in Rom verstreuten collegia besuchten. An Tagen, an denen er Banden zum Forum und in die angrenzenden Straßen schickte, brauchte er rund tausend Mann. Decimus Brutus hatte ihn mit Einsatzplänen und Namenslisten versehen, die ihm ermöglichten, die Massen einzuteilen und ihnen insgesamt fünfhundert Sesterze pro Einsatz auszubezahlen. Erst nach Monaten sollten wieder dieselben Männer geholt werden; auf diese Weise blieben die Bandenmitglieder unerkannt.
Als dann aber Milo von Pompeius Magnus beauftragt wurde, rivalisierende Banden aus ehemaligen Gladiatoren und professionellen Schlägern einzusetzen, wurde die Sache kompliziert. Clodius mußte sein Ziel im Auge behalten — Einschüchterung der Plebs —, und er mußte gegen Milo und seine Schläger kämpfen. Nachdem dann Caesar mit Pompeius und Crassus in Luca seinen Bund geschlossen hatte, wurde Clodius endlich zur Räson gebracht. Er wurde auf Mission nach Anatolien geschickt, wo er innerhalb eines Jahres sehr viel Geld verdiente. Auch nach seiner Rückkehr hielt er still, bis Calvinus und Messalla Rufus Ende Quinctilis zu Konsuln gewählt wurden. Damals war der Krieg zwischen Milo und Clodius erneut ausgebrochen.
Curios Augen hingen an Fulvia. Sie taten dies allerdings schon so viele Jahre, daß es niemandem mehr auffiel. Zugegebenermaßen war sie mit ihren hellbraunen Haaren, den ausgeprägten Augenbrauen, den schwarzen Wimpern und den großen, dunkelblauen Augen auch sehr sehenswert. Die Kinder, die sie geboren hatte, hatten ihre Reize nur vermehrt, desgleichen ihr sicheres Gefühl dafür, welche Kleider ihr standen. Die Enkelin des großen Demagogen Gaius Gracchus war sich ihres Platzes in der Gesellschaft so sicher, daß sie sich die Freiheit nahm, Versammlungen auf dem Forum zu besuchen und dort ihren angebeteten Clodius in sehr undamenhafter Manier anzufeuern.
»Wie ich höre«, sagte Curio und nahm den Blick von der Frau seines besten Freundes, »willst du die Freigelassenen von Rom nach deiner Wahl zum Prätor auf die fünfunddreißig Tribus verteilen. Stimmt das, Clodius?«
»Ja, natürlich«, antwortete Clodius selbstzufrieden.
Curio runzelte die Stirn, was ihm ganz und gar nicht gut zu Gesicht stand. Der Sproß der alten und vornehmen Plebejerfamilie Scribonius hatte mit seinen zweiunddreißig Jahren immer noch ein richtiges Lausbubengesicht. Seine braunen Augen funkelten schelmisch, seine Haut war mit Sommersprossen übersät, und seine roten Haare standen widerspenstig ab, egal mit welchen Mitteln sein Friseur sie zu glätten versuchte. Wenn er lachte, sah er noch mehr wie ein Lausbub aus, denn ihm fehlte ein Schneidezahn. Curios Äußeres stand freilich in keinem Verhältnis zu seinem Inneren. Er war in jeder Beziehung erwachsen, ausdauernd und manchmal geradezu schockierend mutig und besaß einen scharfen Verstand. Zehn Jahre zuvor hatte er zusammen mit seinem Kumpan Antonius seinen ultrakonservativen Vater, einen Konsular, fast zur Verzweiflung getrieben; die beiden hatten vorgegeben, ineinander verliebt zu sein, zugleich allerdings Gerüchten zufolge mehr vaterlose Kinder in die Welt gesetzt als je ein Römer vor ihnen.
Doch jetzt runzelte Curio die Stirn, deshalb sah man seine Zahnlücke nicht, und auch der Schalk war aus seinen Augen verschwunden. »Wenn du die Freigelassenen auf die fünfunddreißig Tribus verteilst, stellst du das gesamte Wahlsystem der Tribus auf den Kopf, Clodius«, sagte er langsam. »Wer ihre Stimmen hat — und das bist dann du —, wird unaufhaltsam aufsteigen. Um sicherzustellen, daß deine Leute gewählt werden, brauchst du nur die Wahl so lange aufzuschieben, bis keine Wähler aus den Landbezirken mehr in der Stadt sind. Gegenwärtig können die Freigelassenen nur in zwei Tribus wählen. Doch leben eine halbe Million von ihnen in Rom! Wenn man sie zu gleichen Teilen auf alle fünfunddreißig Tribus verteilt, haben sie genügend Stimmen, um die wenigen ständigen Einwohner Roms, die zu den einunddreißig Landbezirken gehören — die Senatoren und die Ritter der Ersten Klasse —, zu überstimmen. Du würdest die Kontrolle über die Tribuswahlen also in die Hände eines Haufens von Nichtrömern legen! Griechen, Gallier, Syrer, ehemalige Piraten, die ihr Leben lang Sklaven gewesen sind — der Abschaum der Welt! Ich mißgönne ihnen weder die Freiheit noch das Bürgerrecht, aber ich kann es nicht gutheißen, daß sie die Herrschaft über die echten Römer bekommen!« Finster schüttelte er den Kopf. »Nein, Clodius! Damit kommst du niemals durch. Auch bei mir nicht!«
»Weder du noch sonst jemand kann mich daran hindern«, entgegnete Clodius.
Plancus Bursa, ein wortkarger Sonderling, der erst vor kurzem sein Amt als Volkstribun angetreten hatte, sagte in seiner leidenschaftslosen Art: »Du spielst mit dem Feuer, Clodius.«
»Die gesamte Erste Klasse wird sich gegen dich verbünden«, fügte Pompeius Rufus düster hinzu, ebenfalls ein Volkstribun.
»Aber du willst es trotzdem tun«, stellte Decimus Brutus fest.
»Natürlich. Ich wäre ein Narr, wenn ich es nicht tun würde.«
»Und mein kleiner Bruder ist kein Narr«, murmelte Clodia und lutschte lasziv an ihren Fingern, während sie Antonius sehnsüchtig anblickte.
Antonius kratzte sich zwischen den Lenden, schob deren eindrucksvollen Inhalt mit der Hand auf die andere Seite und warf Clodia eine Kußhand zu; sie waren alte Bettgenossen. »Wenn du das durchbringst, gehören dir alle Freigelassenen Roms, Clodius«, sagte er nachdenklich. »Sie würden für alles stimmen, was du von ihnen verlangst. Allerdings hast du damit noch nicht die Konsuln, die in den Zenturiatswahlen gewählt werden.«
»Konsuln? Wer braucht denn Konsuln?« fragte Clodius hochmütig. »Ich brauche lediglich zehn Volkstribunen, und das jedes Jahr. Wenn die zehn Volkstribunen tun, was ich sage, dann sind die Konsuln so überflüssig wie ein Kröpf. Prätoren werden nur noch Richter sein, sie werden keine gesetzgeberische Gewalt mehr haben. Der Senat und die Erste Klasse bilden sich ein, Rom gehöre ihnen — in Wirklichkeit kann jeder Rom besitzen, solange er es wie Sulla richtig anstellt. Oder wie ich, Antonius.«
Curio starrte Clodius an, als hätte er ihn noch nie gesehen. »Ich habe immer schon gewußt, daß du nicht ganz richtig im Kopf bist, Clodius. Aber was du jetzt vorhast, ist der reinste Wahnsinn!«
Die Frauen, die vor Curios Meinung hohen Respekt hatten, wurden auf der Liege, die sie sich teilten, ganz klein, und Fulvias schöne, braune Haut wurde zusehends blasser. Sie schluckte und versuchte zu kichern, dann reckte sie kampflustig das Kinn vor.
»Clodius weiß, was er tut!« sagte sie. »Er hat alles genau überlegt!«
Curio zuckte mit den Achseln. »Mach was du willst, Clodius! Für mich bist du jedenfalls verrückt. Aber ich warne dich: Ich werde gegen dich sein.«
In Clodius kam auf einmal wieder der schrecklich verzogene Junge zum Vorschein, der er früher gewesen war. Er sah Curio verächtlich an, rümpfte spöttisch die Nase, rutschte von der Liege, die er mit Decimus geteilt hatte, und rauschte hinaus, Fulvia in wehenden Gewändern hinter ihm her.
»Sie haben ihre Schuhe vergessen«, sagte Pompeius Rufus, dessen Intelligenz in etwa der seiner Schwester entsprach.
»Ich kümmere mich um ihn«, sagte Plancus Bursa und wandte sich zum Gehen.
»Nimm wenigstens du deine Schuhe mit, Bursa!« rief Pompeius Rufus.
Curio, Antonius und Decimus Brutus fanden das außerordentlich komisch. Sie fielen auf ihre Liegen und brachen in schallendes Gelächter aus.
»Du darfst Publius nicht so ärgern«, sagte Clodilla zu Curio. »Jetzt schmollt er wieder tagelang.«
»Mir wäre lieber, er würde nachdenken!« brummte Decimus Brutus.
Clodia, die zwar nicht mehr jung, aber immer noch äußerst attraktiv war, sah die drei Männer mit ihren dunklen, weit geöffneten Augen an und sagte: »Ich weiß, daß ihr ihn alle mögt! Und daß ihr nur Angst um ihn habt! Aber das braucht ihr nicht — er hat sein Leben lang nur verrückte Sachen angestellt, und irgendwie gewinnt er immer.«
»Diesmal nicht!« seufzte Curio.
»Er ist wahnsinnig!« sagte Decimus Brutus.
Antonius hatte genug von diesem Thema. »Mir ist egal, ob er verrückt ist!« knurrte er. »Ich will Quästor werden! Ich kratze jeden Sesterz zusammen, den ich auftreiben kann, und werde trotzdem immer ärmer!«
»Hast du Fadias Geld etwa schon durchgebracht?« fragte Clodilla.
»Fadia ist seit vier Jahren tot!« erwiderte Antonius beleidigt.
»Aber Marcus!« rief Clodia und lutschte an ihren Fingern. »Rom ist voll von häßlichen Töchtern reicher Väter, die sich gesellschaftlich verbessern wollen.«
»So wie es jetzt aussieht, nehme ich wahrscheinlich meine Cousine Antonia Hybrida.«
Die anderen setzten sich auf und starrten ihn an, auch Pompeius Rufus.
»Geld hat sie!« Curio legte den Kopf schief.
»Deshalb werde ich sie ja wahrscheinlich heiraten. Onkel Hybrida kann mich zwar nicht leiden, aber es ist ihm lieber, Antonia heiratet mich als irgendeinen Waschlappen.« Er sah nachdenklich vor sich hin. »Angeblich quält sie ihre Sklaven, aber das gewöhne ich ihr schnell ab.«
»Wie der Vater, so die Tochter!« sagte Decimus Brutus grinsend.
»Wie wäre es mit Cornelia Metella?« schlug Clodilla vor. »Sie ist Witwe. Uralte Familie und Geld wie Heu.«
»Aber wenn sie wie ihr alter Vater Metellus Scipio ist?« Antonius zwinkerte. »Mit jemand, der Sklaven quält, kann man fertigwerden, aber mit einer Exhibitionistin?«
Wieder lachten alle, aber es klang künstlich, denn sie dachten an Publius Clodius. Wie konnten sie ihn vor sich selbst schützen, wenn er von seinem Vorhaben nicht abließ?
Pompeius’ geliebte Julia war nun schon seit sechzehn Monaten tot, und seine Trauer hatte sich so weit gelegt, daß er wenigstens wieder ihren Namen aussprechen konnte, ohne gleich in Tränen auszubrechen. Trotzdem dachte er nicht daran, sich wieder zu verheiraten. Im Grunde hinderte ihn also nichts daran, in seine spanischen Provinzen zu reisen, deren Statthalter er noch drei Jahre war und die seine Legaten Afranius und Petreius bisher für ihn verwalteten. Trotzdem hatte er seine Villa auf dem Marsfeld nicht verlassen. Er war schließlich auch noch Aufseher der römischen Getreidespeicher — eine Aufgabe, die ihm einen guten Vorwand lieferte, in der Nähe von Rom zu bleiben, auch wenn er trotz Clodius’ kostenloser Getreidezuteilungen und einer erst kurz zurückliegenden Dürre die Getreideversorgung so gut organisiert hatte, daß sie fast von selbst funktionierte und er kaum noch gebraucht wurde.
Denn er spürte, daß in Rom wichtige Entwicklungen in Gang waren, und er wollte auf keinen Fall die Stadt verlassen, ohne sich über seine eigenen Wünsche Klarheit verschafft zu haben. Sollte er sich zum Diktator ernennen lassen? Seit Caesars Weggang nach Gallien ging es auf dem Forum Romanum, der politischen Bühne Roms, immer chaotischer zu. Ob das etwas mit Caesar zu tun hatte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Die Ursache war Caesar bestimmt nicht. Manchmal ertappte er sich nachts bei der Frage, ob es so weit gekommen wäre, wenn Caesar in Rom geblieben wäre. Und dann machte er sich große Sorgen.
Als er Julia geheiratet hatte, hatte er wenig Gedanken an ihren Vater verschwendet, er hatte ihn lediglich für einen gewieften Politiker gehalten, der wußte, wie er seine Ziele erreichen konnte. Es gab viele Caesars, die öffentliche Ämter bekleideten, und sie waren alle wohlgeboren, intelligent, ehrgeizig und tüchtig. Wie Caesar sie überflügelt hatte, war ihm entgangen. Der Mann war ein Zauberer. Zuerst stand er noch neben einem, dann hatte er schon einen weiten Vorsprung. Es ging so schnell, daß man nicht sehen konnte, wie er es machte — auch nicht, wie er es anstellte, sich immer wieder wie ein Phönix aus der Asche zu erheben, wenn seine keineswegs unbedeutenden Feinde schon glaubten, ihn ein für allemal erledigt zu haben.
Da war zum Beispiel vor drei Jahren das Treffen in Luca gewesen, jener netten, kleinen Stadt am Auser in Gallia Cisalpina. Caesar, Marcus Crassus und er hatten dabei mehr oder weniger die Welt unter sich aufgeteilt. Warum hatte er mitgemacht? Damals schien alles dafür zu sprechen, aber im Rückblick schienen ihm die Gründe vollkommen unbedeutend. Was er, Pompeius Magnus, dabei gewonnen hatte, hätte er auch ohne Hilfe erreicht. Und Marcus Crassus? Schmachvoll getötet, nicht einmal begraben. Caesar dagegen war von Erfolg zu Erfolg geeilt. Solange sie zusammenarbeiteten, hatte es immer so ausgesehen, als sei Caesar sein Untergebener. Zugegeben, keiner, nicht einmal Cicero, hatte bessere Reden gehalten, und manchmal war Caesars Stimme die einzige gewesen, die für ihn gesprochen hatte. Aber Pompeius hatte nie gedacht, daß Caesar einmal sein Rivale werden könnte. Caesar hatte alles so gemacht, wie es üblich war, alles zu seiner Zeit. Er hatte, anders als Pompeius, nicht schon mit zweiundzwanzig Legionen nach Rom geführt und sich dem mächtigsten Mann als Partner aufgezwungen! Er hatte nicht beim Senat durchgesetzt, daß er Konsul werden konnte, noch bevor er Senator war! Er hatte nicht das Mittelmeer in einem einzigen Sommer von Piraten gesäubert! Er hatte nicht den Osten erobert und Roms Tribute verdoppelt!
Warum also die Gänsehaut, wenn er an Caesar dachte? Warum fühlte er Caesars Atem wie einen kalten Wind im Nacken? Wie hatte Caesar es geschafft, daß ganz Rom ihm zu Füßen lag? Caesar hatte ihm einmal Marktstände gezeigt, die kleine Gipsbüsten von ihm, Pompeius Magnus, verkauften — jetzt verkauften dieselben Stände Büsten von Caesar. Caesar war im Namen Roms zu neuen Ufern aufgebrochen, während er, Pompeius, im Osten nur eine neue Furche in den alten Acker gezogen hatte. Natürlich hatten Caesars bemerkenswerte Depeschen an den Senat ihm geholfen — sie waren kurz und spannend, eine Art Chronik der Ereignisse ohne ein überflüssiges Wort. Warum war ihm, Pompeius, nie so etwas eingefallen? Caesar entschuldigte sich nie, und er sprach immer wieder davon, was andere getan hatten, seine Zenturionen und Legaten. Seine Botschaften hatten den Senat belebt und ihm von allen Seiten Dankbarkeit eingebracht. Um Caesar rankten sich Mythen! Um die Geschwindigkeit, mit der er marschierte, um seine Methode, gleichzeitig mehreren Sekretären zu diktieren, um die Leichtigkeit, mit der er Brücken über große Flüsse schlug und glücklose Legaten den Klauen des Todes entriß.
Natürlich wollte Pompeius keinen Krieg, nur um Caesar in seine Schranken zu weisen. Das mußte er von Rom aus erledigen, und zwar bevor Caesars zweite fünfjährige Amtszeit als Statthalter von Gallien und Illyricum abgelaufen war. Er, Pompeius Magnus, war schließlich der Erste Mann in Rom und gedachte das für den Rest seines Lebens zu bleiben!
Seit Monaten flehte man ihn nun schon an, sich zum Diktator ernennen zu lassen. Niemand sonst konnte der allgegenwärtigen Gewalt und Anarchie Einhalt gebieten, an der nur dieser schreckliche Publius Clodius schuld war! Schlimmer als eine Laus im Pelz! Diktator von Rom! Er würde über den Gesetzen stehen, und niemand konnte ihn zur Verantwortung ziehen, wenn er eines Tages nicht mehr Diktator war.
Pompeius zweifelte nicht daran, daß er Roms Leiden kurieren konnte; es war alles nur eine Frage von richtiger Organisation, vernünftigen Maßnahmen und einer geschickten Hand in Staatsgeschäften. Vor der Ausübung diktatorischer Macht hatte Pompeius keine Angst, nur davor, daß dies seinen Ruhm als Volksheld schmälern könnte. Sulla war Diktator gewesen, und er wurde immer noch glühend gehaßt! Sulla war das egal gewesen, denn wie Caesar — schon wieder Caesar! — war er von so vornehmer Abstammung, daß ihn das nicht interessierte. Ein patrizischer Cornelier konnte tun, was ihm beliebte, ohne daß seine Bedeutung in den Geschichtsbüchern der Zukunft darunter litt.
Ein Pompeius aus Picenum dagegen, der mehr wie ein Gallier aussah als wie ein richtiger Römer, mußte da sehr viel vorsichtiger sein. Er hatte keinen erhabenen patrizischen Stammbaum, keinen Familiennamen, der ihn automatisch an die Spitze der Wählerliste beförderte. Alles, was Pompeius war, hatte er sich selbst erarbeiten müssen, und zwar gegen den Widerstand seines Vaters, der in Rom großen Einfluß gehabt hatte, doch von allen Römern gehaßt worden war. Pompeius war zwar kein homo novus, aber gewiß auch kein Julier oder Cornelier, auch wenn er fand, daß er nicht weniger geleistet hatte. Seine Gattinnen waren aus den besten Familien gekommen: die Patrizierin Aemilia Scaura, Mucia Scaevola aus einer alten plebejischen Familie und schließlich Julia Caesaris aus vornehmstem Patriziergeschlecht. Antistia zählte nicht; sie hatte er nur geheiratet, weil ihr Vater Richter in einem Prozeß gewesen war, den er hatte verhindern wollen.
Wie aber würde Rom reagieren, wenn er einwilligte, Diktator zu werden? Die Diktatur war ursprünglich eingerichtet worden, um die Konsuln für ein Jahr freizustellen, damit sie Krieg führen konnten, und die meisten Diktatoren der letzten Jahrhunderte waren Patrizier gewesen. Offiziell dauerte die Diktatur sechs Monate, so lange wie früher ein Feldzug gedauert hatte. Sulla aber war zweieinhalb Jahre Diktator gewesen, und er war auch nicht zum Diktator ernannt worden, um die Konsuln zu entlasten. Sulla hatte den Senat gezwungen, ihn statt der Konsuln zu ernennen, und hatte dann gefügige Konsuln wählen lassen.
Es war auch nicht üblich, daß der Senat einen Diktator einsetzte, um mit inneren Unruhen fertigzuwerden. Dafür hatte der Senat damals, als Gaius Gracchus versucht hatte, den Staat auf dem Forum statt auf dem Schlachtfeld zu beseitigen, das senatus consultum de re publica defenda eingeführt. Cicero hatte die Bezeichnung später zu senatus consultum ultimum vereinfacht. Dieser Senatsbeschluß war einer Diktatur weit vorzuziehen, da er — zumindest theoretisch — nicht einen einzelnen mit beliebigen Vollmachten ausstattete, ohne daß dieser sich für sein Tun zu verantworten hatte.
Warum bloß hatte man ihm vorgeschlagen, Diktator zu werden? Der Gedanke ging ihm jetzt schon seit einem Jahr nicht mehr aus dem Kopf. Bevor Calvinus und Messalla Rufus im vergangenen Quinctilis zu Konsuln gewählt worden waren, hatte er entschieden abgelehnt, aber er hatte nicht vergessen können, daß man ihm das Angebot gemacht hatte. Jetzt hatte man ihm die Diktatur erneut angeboten, und inzwischen fand er das Angebot sehr viel attraktiver. Er hatte schon viele Sondergewalten ausgeübt, alle gegen den erbitterten Widerstand der ultrakonservativen Senatoren. Warum nicht noch eine, und die wichtigste dazu? Doch er war Pompeius aus Picenum und sah eher wie ein Gallier als ein Römer aus.
Die hartnäckigen Verteidiger des mos maiorum waren unerbittliche Gegner der Diktatur — Cato, Bibulus, Ahenobarbus, Metellus Scipio, der alte Curio, Messalla Niger, die claudischen Marcelli und die Lentuli. Sie hatten viel Macht und Einfluß — aber keiner von ihnen konnte den Titel des Ersten Mannes von Rom für sich beanspruchen! Denn das war er, Pompeius aus Picenum!
Sollte er also annehmen? Konnte er annehmen? War es ein schlimmer Fehler oder die Krönung seiner bemerkenswerten Karriere?
Unschlüssig wanderte er in seinem riesigen Schlafgemach auf und ab. Nach Julias Tod hatte er sich einen großen, polierten Silberspiegel angeschafft in der Hoffnung, seine Frau auf dessen spiegelnder Oberfläche finden zu können, was ihm jedoch nie gelungen war. Als er jetzt auf-- und abging, sah er sich selbst. Er blieb stehen und betrachtete sich, und eine Träne rann seine Wange hinab. Er hatte immer darauf geachtet, für Julia der schlanke, wohlgestalte Pompeius ihrer Träume zu bleiben, doch seit ihrem Tod hatte er sich nicht mehr selbst im Spiegel angesehen.
Den Pompeius aus Julias Träumen gab es nicht mehr. An seine Stelle war ein übergewichtiger Mann in den Fünfzigern getreten, mit Doppelkinn, Bauch und Ringen um die Hüften. Die berühmten blauen Augen waren in dem aufgedunsenen Gesicht fast verschwunden, die Nase, die Pompeius vor einigen Monaten bei einem Sturz vom Pferd gebrochen hatte, hatte einen Knick. Nur die Haare waren noch so üppig wie früher, allerdings glänzten sie nicht mehr golden, sondern silbern.
Ein Diener hüstelte an der Tür.
»Ja?« fragte Pompeius und wischte sich die Augen trocken.
»Ein Besucher, Gnaeus Pompeius. Titus Munatius Plancus Bursa.«
»Meine Toga, schnell!«
Plancus Bursa wartete in Pompeius’ Arbeitszimmer.
»Einen schönen guten Abend!« rief Pompeius und eilte geschäftig durch das Zimmer. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch, faltete die Hände auf der Platte und sah Bursa mit jenem munter fragenden Blick an, der sich seit dreißig Jahren bewährt hatte. »Du kommst spät. Wie war es bei der Eröffnungssitzung des Senats?«
Plancus Bursa räusperte sich laut, er war kein großer Redner. »Es gab danach kein Fest. Da wir keine Konsuln haben, dachte niemand ans Feiern. Ich ging deshalb zu Clodius zum Abendessen.«
»Ja, gut, aber berichte zuerst vom Senat, Bursa!«
»Lollius schlug vor, dich zum Diktator zu ernennen. Die Senatoren wollten schon zustimmen, als Bibulus redete — sehr gut redete — und den Vorschlag mit flammenden Worten ablehnte. Danach sprachen Lentulus Spinther und Lucius Ahenobarbus. Nur über ihre Leiche könntest du Diktator werden, du kennst solche Reden. Cicero sprach für dich, auch in einer sehr guten Rede. Doch dann verhinderte Cato durch eine endlose Rede, daß andere zu Ciceros Unterstützung sprechen konnten. Messalla Rufus, der den Vorsitz führte, beendete die Sitzung.«
Pompeius runzelte die Stirn. »Wann ist die nächste?«
»Morgen vormittag. Messalla Rufus hat sie einberufen, um den ersten Interrex zu wählen.«
»Aha. Und beim Abendessen bei Clodius? Was spricht er?«
»Wenn er Prätor wird, will er die Freigelassenen auf alle fünfunddreißig Tribus verteilen«, antwortete Bursa.
»Er will Rom also durch die Volkstribunen regieren.«
»Ja.«
»Wer war sonst noch dabei? Wie haben sie reagiert?«
»Curio war entschieden dagegen, Marcus Antonius hat nicht viel gesagt, Decimus Brutus und Pompeius Rufus auch nicht.«
»Willst du damit sagen, daß alle außer Curio für Clodius waren?«
»Nein, keineswegs, alle waren dagegen. Curio hat unsere Einwände aber schon zusammengefaßt, wir anderen konnten nur noch hinzufügen, daß Clodius wahnsinnig sei.«
»Ahnt Clodius, daß du für mich arbeitest, Bursa?« »Keiner hat auch nur die leiseste Ahnung, Magnus. Sie vertrauen mir.«
Pompeius kaute auf seiner Unterlippe. »Hm... « Er seufzte tief. »Dann müssen wir dafür sorgen, daß Clodius auch nach der morgigen Senatssitzung keinen Verdacht schöpft. Du wirst Clodius bei dieser Sitzung gehörig zusetzen.«
Bursa wirkte nie neugierig, auch jetzt nicht. »Was soll ich tun, Magnus?«
»Sobald Messalla Rufus die Lose zur Wahl des Interrex bringen läßt, legst du dein Veto ein.«
»Gegen die Ernennung eines Interrex?« fragte Bursa verblüfft.
»Genau.«
»Darf ich fragen warum?«
Pompeius grinste. »Natürlich darfst du — aber ich sage es dir nicht!«
»Clodius wird außer sich sein. Er will unbedingt Wahlen.«
»Auch, wenn Milo für das Konsulat kandidiert?«
»Ja, denn er ist überzeugt, daß Milo nicht gewählt wird, Magnus. Er weiß, daß du Plautius unterstützt, und er weiß auch, wieviel Bestechungsgeld schon an Plautius bezahlt wurde. Metellus Scipio wiederum, der Milo finanziell hätte unterstützen können, weil er so eng mit Cato und Bibulus verbunden ist, kandidiert selbst und braucht sein Geld für seine eigene Kandidatur. Clodius geht also davon aus, daß Plautius Juniorkonsul wird und Metellus Scipio Seniorkonsul.«
»Dann schlage ich vor, daß du Clodius nach der Sitzung sagst, du hättest von deinem Vetorecht Gebrauch gemacht, weil du zweifelsfrei wüßtest, daß ich Milo unterstütze und nicht Plautius.«
Bursas Miene belebte sich plötzlich. »Wie raffiniert!« rief er. Er überlegte eine Weile, dann nickte er. »Clodius wird das glauben.«
»Ausgezeichnet!« Pompeius erhob sich zufrieden.
Auch Plancus Bursa erhob sich. Pompeius stand noch hinter seinem Schreibtisch, als der Diener anklopfte und eintrat.
»Ein Eilbrief, Gnaeus Pompeius«, sagte er mit einer Verbeugung.
Pompeius nahm den Brief, darauf bedacht, daß Bursa das Siegel nicht sehen konnte. Er nickte dem gefügigen Volkstribun abwesend zu und ging zu seinem Stuhl zurück.
Bursa räusperte sich erneut.
»Ja?« Pompeius sah auf.
»Ein kleines... finanzielles Problem, Magnus.«
»Morgen, nach der Sitzung.«
Zufrieden verließ Plancus Bursa hinter dem Diener das Zimmer, während Pompeius das Siegel von Caesars Brief erbrach.
Ich schreibe Dir aus Aquileia. Mit Illyricum bin ich fertig, und ich reise jetzt durch Gallia Cisalpina nach Westen. Bei den Regionalgerichten stapeln sich die Fälle, was nicht weiter verwunderlich ist, nachdem ich letzten Winter auf der anderen Seite der Alpen bleiben mußte.
Aber genug des Geplauders. Ich weiß, daß Du genausoviel zu tun hast wie ich.
Meine Informanten in Rom sagen, daß unser alter Freund Publius Clodius die Freigelassenen auf die fünfunddreißig römischen Tribus verteilen will, wenn er Prätor wird. Du stimmst sicher mit mir überein, daß das nicht sein darf. Clodius würde für den Rest seines Lebens über Rom herrschen. Weder Du noch ich noch sonst jemand von Cato bis Cicero könnte etwas gegen Clodius ausrichten, nur eine Revolution könnte ihn stürzen.
Und eine Revolution würde es geben. Clodius würde überwältigt und hingerichtet, die Freigelassenen würden dahin zurückgebracht werden, wo sie hingehören. Ich denkejedoch, daß Du diese Lösung genausowenig willst wie ich. Sehr viel besser und vor allem einfacher wäre es, wenn Clodius überhaupt nicht Prätor würde.
Ich maße mir nicht an, Dir zu sagen, was Du tun sollst. Sei aber versichert, daß ich genauso gegen Clodius’ Wahl zum Prätor bin wie Du und alle anderen Römer.
Ich sende Dir Grüße und meine besten Wünsche.
Pompeius ging sehr zufrieden ins Bett.
Am folgenden Morgen tat Plancus Bursa, wie Pompeius ihn geheißen hatte. Als Messalla Rufus durch das Los entscheiden lassen wollte, welcher der patrizischen Präfekten der aus jeweils zehn Senatoren bestehenden Dekurien des Senats erster Interrex werden sollte, legte Bursa sein Veto ein. Im Senat erhob sich empörtes Geschrei; am lautesten schrien Clodius und Milo, doch nichts konnte Bursa dazu bewegen, seinen Einspruch zurückzuziehen.
Cato tobte. »Wir brauchen unbedingt Wahlen! Wenn es am Neujahrstag keine Konsuln gibt, setzt der Senat für fünf Tage einen patrizischen Senator als Interrex ein. Nach dessen Amtszeit wird ein zweiter Patrizier für weitere fünf Tage bestimmt. Der zweite Interrex ist verpflichtet, Wahlen für die römischen Magistraten anzusetzen. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder beliebige Trottel von Volkstribun einen so wichtigen Vorgang wie die Ernennung eines Interrex blockiert? Ich bin gegen die Ernennung eines Diktators, aber das heißt noch lange nicht, daß ich es gutheiße, wenn jemand traditionelle staatliche Verfahrensweisen untergräbt!«
»Eben! Recht hat er!« brüllte Bibulus in den tosenden Beifall hinein.
Doch Bursa weigerte sich standhaft, seinen Einspruch zurückzuziehen.
»Warum denn, bitte?« fuhr Clodius ihn nach der Sitzung an.
Bursa sah sich vorsichtig um, um sicherzugehen, daß niemand zuhörte, dann blickte er Clodius verschwörerisch an. »Ich habe erst vorhin erfahren, daß Pompeius Magnus in Wirklichkeit Milos Kandidatur unterstützt«, flüsterte er.
Damit konnte er zwar Publius Clodius besänftigen, nicht aber Milo, der schließlich wußte, daß Pompeius ihn keineswegs unterstützte. Milo machte sich sofort auf den Weg zum Marsfeld, um Pompeius zur Rede zu stellen.
»Warum?« wollte er wissen.
»Wie warum?« fragte Pompeius mit Unschuldsmiene.
»Mich hältst du nicht zum Narren, Magnus! Ich weiß doch, daß
Bursa dein Agent ist! Und daß ihm dieses Veto nicht selber eingefallen ist! Er hat in deinem Auftrag gehandelt! Also, warum?«
»Mein lieber Milo, ich versichere dir, daß Bursa keineswegs in meinem Auftrag gehandelt hat«, entgegnete Pompeius scharf. »Frage doch den, für den Bursa arbeitet.«
»Meinst du etwa Clodius?« fragte Milo mißtrauisch.
»Könnte durchaus sein.«
Milo, ein großer, kräftiger Mann mit dem Gesicht eines ehemaligen Gladiators (obwohl er natürlich nie so etwas Unehrenhaftes wie Gladiator gewesen war), spannte die Muskeln an und reckte sich, eine unbewußte Drohgebärde, die freilich, wie Milo selbst wußte, auf Pompeius keinerlei Eindruck machte. »Unsinn!« schnaubte er. »Clodius glaubt, ich werde sowieso nicht gewählt, deshalb will er so schnell wie möglich kurulische Wahlen.«
»Ich bin es, der bezweifelt, daß du gewählt wirst, Milo. Vielleicht ist Clodius ja anderer Meinung. Du hast dich bei Cato, Bibulus und ihren Anhängern ganz schön eingeschmeichelt. Wie ich höre, hat sich Metellus Scipio bereits mit dem Gedanken abgefunden, daß er das Amt mit dir teilen wird, und er soll das auch schon seinen Anhängern mitgeteilt haben, unter anderem prominenten Rittern wie Atticus und Oppius.«
»Also steckt Clodius hinter Bursa?«
»Könnte sein«, sagte Pompeius vorsichtig. »Jedenfalls handelt Bursa nicht in meinem Auftrag, da kannst du sicher sein. Was sollte ich denn davon haben?«
Milo lachte höhnisch. »Vielleicht die Diktatur?«
»Ich habe die Diktatur bereits abgelehnt, Milo. Rom würde mich als Diktator nicht akzeptieren. Du bist zur Zeit doch so dick mit Cato und Bibulus befreundet, da weißt du das doch selbst!«
Milo ging durch Pompeius’ Arbeitszimmer, doch mußte er sich mit größter Vorsicht bewegen, so vollgestopft war das Zimmer mit allen möglichen Erinnerungen an Pompeius’ zahlreiche Feldzüge wie goldenen Kränzen, einer goldenen Rebe mit goldenen Trauben, goldenen Urnen und bemalten Schüsseln aus Porphyr. Er blieb stehen und sah Pompeius an, der noch immer hinter seinem Schreibtisch saß.
»Es heißt, Clodius wolle die Freigelassenen auf die fünfunddreißig Tribus verteilen«, sagte er.
»Ja, davon habe ich auch erfahren.«
»Dann würde Rom ihm gehören.«
»Stimmt.«
»Und wenn er nicht als Prätor kandidiert?«
»Das wäre auf jeden Fall besser für Rom.«
»Zum Teufel mit Rom! Die Frage ist, ob es für mich besser wäre!«
Pompeius lächelte freundlich und stand auf. »Es kann doch nur besser für dich sein, Milo.« Er ging zur Tür.
Milo verstand den Wink und ging auch zur Tür. »Darf ich das als Versprechen interpretieren, Magnus?«
»Das wäre zumindest eine naheliegende Interpretation.« Pompeius klatschte in die Hände, und der Diener erschien.
Kaum war Milo gegangen, kündigte der Diener einen weiteren Besuch an.
»Heute bin ich aber gefragt!« rief Pompeius. Er schüttelte Metellus Scipio herzlich die Hand und drückte ihn in seinen besten Sessel. Diesmal zog er sich nicht hinter seinen Schreibtisch zurück, schließlich war sein Gast kein Geringerer als Quintus Caecilius Metellus Pius Scipio Nasica! Er, schenkte Scipio Wein aus Chios ein — einen so köstlichen Wein, daß Hortensius vor Enttäuschung geheult hatte, als Pompeius ihm bei der Lieferung zuvorgekommen war —, dann setzte er sich in den zweitbesten Sessel.
Leider war der Mann mit dem erhabensten Namen Roms nicht mit einem entsprechenden Verstand gesegnet, auch wenn er aussah wie ein Patrizier aus dem Geschlecht Cornelius Scipio, durch Adoption in das plebejische Geschlecht der Caecilii Metelli aufgenommen. Kühl, hochnäsig und überheblich. Sein Adoptivvater Metellus Pius Pontifex Maximus hatte keine eigenen Söhne gehabt. Auch Scipio hatte keine Söhne, nur eine Tochter, die er drei Jahre zuvor mit Crassus’ Sohn Publius verheiratet hatte. Sie hieß eigentlich Caecilia Metella, wurde aber Cornelia Metella genannt. Pompeius konnte sich noch lebhaft an sie erinnern, denn er war mit Julia beim Empfang nach der Hochzeit gewesen. Er habe noch nie eine so eingebildete Frau gesehen, hatte er damals zu Julia gesagt, und Julia hatte kichernd gemeint, Cornelia Metella erinnere sie an ein Kamel; sie hätte eigentlich Marcus Brutus heiraten müssen, einen ähnlich prätentiösen Kleingeist.
Pompeius wußte nie, wie er sich Menschen wie Metellus Scipio gegenüber verhalten sollte, ob jovial, höflich distanziert oder forsch. Er hatte Metellus jovial begrüßt, also konnte er auch dabei bleiben.
»Kein schlechter Wein, wie?« Genießerisch fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen.
Metellus Scipio gab einen schwachen Laut von sich, von dem man nicht sagen konnte, ob er Gefallen oder Mißfallen ausdrückte. »Sehr gut«, sagte er dann.
»Was führt dich zu mir?«
»Publius Clodius.«
Pompeius nickte. »Eine leidige Angelegenheit, wenn wahr ist, was man hört.«
»Allerdings ist es wahr! Der junge Curio hat es von Clodius selbst gehört und zu Hause seinem Vater erzählt.«
»Es soll ihm nicht gut gehen, dem alten Curio«, bemerkte Pompeius.
»Krebs«, sagte Metellus Scipio kurz.
Pompeius schnalzte mit der Zunge und wartete.
Auch Metellus Scipio wartete.
»Warum bist du gekommen?« fragte Pompeius schließlich, des Wartens überdrüssig.
»Die anderen wollten nicht, daß ich komme.«
»Welche anderen?«
»Bibulus, Cato und Ahenobarbus.«
»Weil sie nicht wissen, wer der Erste Mann Roms ist.«
Metellus Scipios aristokratische Nase hob sich noch eine Spur höher. »Das weiß ich auch nicht, Pompeius.«
Pompeius zuckte zusammen. Wenn sie ihn doch auch einmal mit »Magnus« anreden würden! Wie schön das klang, »Pompeius Magnus«, Pompeius der Große. Caesar nannte ihn Magnus, Cato, Bibulus, Ahenobarbus und dieser Schwachkopf hier dagegen natürlich nicht; sie sagten immer nur Pompeius.
»So kommen wir nicht weiter, Metellus.« Er verwendete bewußt nur Metellus Scipios plebejischen Namen.
»Mir ist ein Gedanke gekommen.«
»Bestimmt ein hervorragender Gedanke, Metellus.«
Metellus Scipio musterte ihn argwöhnisch, aber Pompeius hatte sich in seinem Sessel zurückgelehnt und nippte an seinem Glas aus durchsichtigem Bergkristall.
»Ich bin sehr wohlhabend«, sagte Metellus Scipio, »wie du auch, Pompeius. Ich dachte, daß wir zu zweit Clodius kaufen könnten.«
Pompeius nickte. »Daran habe ich auch schon gedacht.« Er seufzte kummervoll. »Leider braucht Clodius kein Geld. Seine Gattin ist eine der reichsten Frauen Roms, und wenn ihre Mutter stirbt, wird sie noch reicher. Außerdem hat Clodius in Galatien viel verdient. Zur Zeit baut er die teuerste Villa, die die Welt je gesehen hat — in der Nähe meines kleinen Hauses in den Albaner Bergen, deshalb weiß ich das so genau. Herrliche Lage! Man hat von dort den schönsten Blick über den Nami-See und die Ebene von Latium bis zum Meer. Das Grundstück hat er fast umsonst bekommen. Clodius hat Cyrus mit dem Bau beauftragt, und jetzt ist die Villa schon fast fertig.« Pompeius schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Scipio, mit Geld kommen wir nicht weiter.«
»Was können wir dann tun?« fragte Metellus Scipio niedergeschlagen.
»Wir können nur allen Göttern opfern, die uns einfallen. Ich habe den Vestalinnen bereits eine anonyme Spende von einer halben Million zukommen lassen.« Pompeius grinste. »Für Bona Dea — diese Dame mag Clodius nämlich nicht!«
Metellus Scipio starrte Pompeius schockiert an. »Aber Pompeius, Bona Dea ist eine Göttin der Frauen! Männer dürfen ihr nicht opfern!«
»Es war ja auch kein Mann!« erwiderte Pompeius fröhlich. »Ich habe das Geld im Namen meiner Schwiegermutter Aurelia gespendet.«
Metellus Scipio leerte sein Glas und erhob sich. »Vielleicht hast du ja recht«, überlegte er. »Ich könnte im Namen meiner armen Tochter spenden.«
Sofort legte Pompeius das Gesicht in teilnahmsvolle Falten. »Wirklich eine schreckliche Geschichte, Scipio. So jung und schon Witwe! Wie geht es ihr denn?«
»Den Umständen entsprechend.« Metellus Scipio ging zur Tür. Dort wartete er, bis Pompeius sie öffnete. »Du bist doch auch seit kurzem Witwer«, sagte er, während Pompeius ihn nach draußen begleitete. »Besuche uns doch mal zu einem Essen zu dritt.«
Pompeius strahlte. Eine Einladung zum Essen bei Metellus Scipio! Natürlich war er schon zu offiziellen Essen in Scipios eher häßlichem und viel zu kleinem Haus gewesen, aber nie im Familienkreis! »Mit Freuden, jederzeit, Scipio!« Er hielt ihm die Vordertür auf.
Metellus Scipio ging freilich nicht nach Hause. Statt dessen lenkte er seine Schritte zu dem kleinen, düsteren Haus, in dem Marcus Porcius Cato lebte, der Feind jeglichen Luxus’. Bei Cato war Bibulus.
»Ich habe es getan«, sagte Metellus Scipio und sank auf einen Stuhl.
Cato und Bibulus sahen einander an.
»Hat er geglaubt, du wolltest mit ihm über Clodius sprechen?« fragte Bibulus.
»Ja.«
»Und hat er angebissen?«
»Ich glaube schon.«
Bibulus unterdrückte einen Seufzer, sah Metellus Scipio an und lehnte sich dann vor und tätschelte ihm die Schulter. »Gut gemacht, Scipio.«
»Es mußte getan werden«, sagte Cato und leerte seinen Tonbecher in einem Zug. Dann füllte er ihn wieder aus dem Tonkrug, der neben seinem Ellbogen auf dem Schreibtisch stand. »So wenig sympathisch wir diesen Menschen finden, wir müssen ihn so fest an uns binden, wie Caesar ihn an sich gebunden hat.«
»Aber muß es unbedingt meine Tochter sein?« fragte Metellus Scipio.
»Na ja, meine Tochter würde er nicht wollen.« Cato lachte wiehernd. »Pompeius mag nur Patrizierinnen. Da kommt er sich so schrecklich wichtig vor. Caesar wußte das.«
»Cornelia wird ihn verabscheuen!« sagte Metellus Scipio niedergeschlagen. »Publius Crassus war von edelster Herkunft, das gefiel ihr. Und sie mochte ihn, auch wenn sie nicht lange mit ihm zusammen war; nach der Hochzeit ging er ja gleich zu Caesar und dann mit seinem Vater nach Syrien. Ich weiß nicht, wie ich ihr beibringen soll, daß ich sie mit einem Pompeius aus Picenum verheiraten will. Ausgerechnet mit Strabos Sohn!« Er erschauerte.
»Sage ihr die Wahrheit«, riet Bibulus. »Wir brauchen sie für unsere Sache.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum, Bibulus«, sagte Metellus Scipio.
»Dann erkläre ich es dir noch einmal, Scipio. Wir müssen Pompeius auf unsere Seite bringen. Das begreifst du doch, oder?«
»Ich denke schon.«
»Gut. Angefangen hat doch alles damals im April vor vier Jahren, als Caesar sich in Luca mit Pompeius und Crassus traf. Da Pompeius Caesars Tochter hörig war, konnte Caesar Pompeius überreden, ihm zu einer zweiten fünfjährigen Statthalterschaft in Gallien zu verhelfen. Hätte Pompeius das nicht getan, säße Caesar jetzt ohne einen Sesterz im Exil und du, Metellus Scipio, wärst Pontifex Maximus, vergiß das nicht! Außerdem hat Caesar Pompeius überredet — Crassus natürlich auch, aber das ist nicht so wichtig —, ein Gesetz einzubringen, das es dem Senat verbietet, über Caesars zweite Statthalterschaft vor dem März in zwei Jahren zu debattieren, ganz zu schweigen davon, ihn seines Amtes zu entheben. Caesar hat Pompeius und Crassus mit einem zweiten Konsulat bestochen, aber Julias Hilfe war trotzdem notwendig. Denn was hätte Pompeius an einer zweiten Kandidatur hindern können?«
»Aber jetzt ist Julia tot!« wandte Metellus Scipio ein.
»Ja, aber Caesar hat Pompeius immer noch in der Hand. Und solange Caesar Pompeius in der Hand hat, kann er seine Statthalterschaft in Gallien verlängern. Um gleich anschließend zum zweiten Mal Konsul zu werden — was er nach dem Gesetz in weniger als vier Jahren tun kann.«
»Aber warum redet ihr immer von Caesar?« fragte Metellus Scipio. »Clodius ist doch im Moment die Gefahr!«
Cato knallte seinen leeren Becher so heftig auf den Tisch, daß Metellus zusammenfuhr. »Clodius!« schnaubte Cato verächtlich. »Clodius wird die Republik nicht zerstören, auch wenn er sich das so vorstellt! Jemand wird ihn aufhalten. Der wahre Feind der boni ist Caesar, und den können nur wir boni aufhalten!«
Bibulus versuchte es nochmal. »Scipio«, sagte er, »wenn es Caesar gelingt, ungehindert zum zweiten Mal Konsul zu werden, werden wir ihn nie zu Fall bringen! Dann wird er in den Komitien Gesetze durchsetzen, die es uns unmöglich machen, ihn irgendwo vor Gericht zu bringen! Caesar ist inzwischen nämlich populär und sagenhaft reich dazu! Als er zum ersten Mal Konsul war, hatte er nur seinen Namen. Zehn Jahre später kann er tun, was ihm beliebt, weil Rom voll von seinen Kreaturen ist und alle Römer ihn für den größten Römer halten, der je gelebt hat. Er wird mit allem durchkommen, was er tut, und sogar die Götter werden hören, wie er uns auslacht!«
»Ich verstehe das ja alles, Bibulus, aber ich kann mich noch daran erinnern, wie wir versuchten, ihn aufzuhalten, als er das erste Mal Konsul war«, sagte Metellus Scipio dickköpfig. »Wir dachten uns Pläne aus, die meist einen Haufen Geld kosteten, und dann hieß es immer wieder, das ist jetzt das Ende von Caesar. Aber das war es nie!«
»Weil wir nicht genug Macht und Einfluß hatten!« sagte Bibulus mit eiserner Geduld. »Weil wir Pompeius zu sehr verabscheuten, um ihn zu unserem Verbündeten zu machen. Caesar hat diesen Fehler nicht gemacht. Ich glaube nicht, daß er Pompeius jemals mochte — bei seinem Stammbaum kein Wunder —, aber er benutzt ihn, weil Pompeius eine Menge Einfluß hat. Er nennt sich doch sogar der Erste Mann von Rom! Pah! Caesar hat ihm seine Tochter gegeben, die mit ihren Vorfahren jeden hätte haben können — eine Julierin und eine Cornelierin zugleich! Sie war Brutus versprochen, der steinreich ist und die besten Verbindungen hat. Doch Caesar löste die Verlobung. Servilia tobte, alle waren entsetzt. Machte ihm das etwas aus? Mitnichten! Er fing Pompeius ein, wurde unschlagbar. Wenn wir Pompeius auf unsere Seite ziehen, sind wir unschlagbar! Deshalb bietest du ihm Cornelia Metella an!«
Cato hatte Bibulus aufmerksam zugehört. Bibulus war sein ältester, sein bester Freund, ein kleingewachsener Mann mit so hellen, silbernen Haaren, Brauen und Wimpern, daß er eigentümlich kahl aussah; auch seine Augen waren von einem dunklen Silbergrau. Seine Gesichtszüge waren so scharf wie sein Verstand, geschärft in der Auseinandersetzung mit Caesar.
»Also gut!« willigte Metellus Scipio seufzend ein. »Ich gehe jetzt nach Hause und rede mit Cornelia Metella. Ich kann nichts versprechen, aber sollte sie einwilligen, biete ich sie Pompeius an.«
»Das wäre geschafft!« sagte Bibulus, als Cato, der Metellus Scipio zur Tür begleitet hatte, zurückkehrte. Cato führte den Tonbecher erneut zum Mund und trank. Unglücklich sah Bibulus ihn an.
»Muß das sein, Cato? Früher dachte ich, der Wein stiege dir nicht in den Kopf, aber das stimmt nicht mehr. Du trinkst viel zuviel. Du bringst dich noch um.«
Cato sah in jenen Tagen tatsächlich nicht gut aus. Er war zwar immer noch groß, aufrecht und wohlgestalt wie früher, doch sein Gesicht, einst so strahlend und unschuldig, war schlaff und grau geworden und von feinen Fältchen durchzogen, obwohl er erst einundvierzig war. Seine Nase, die so groß war, daß sie selbst in Rom, der Stadt der langen Nasen, berühmt war, beherrschte sein Gesicht vollkommen; früher hatten das seine leuchtend grauen und immer weit geöffneten Augen getan. Die leicht gewellten, kurzgeschnittenen Haare waren nicht mehr hellbraun, sondern von einem gefleckten Beige.
Er trank unaufhörlich, vor allem nachdem er Marcia an Hortensius abgegeben hatte. Bibulus wußte das natürlich, auch wenn Cato nie darüber gesprochen hatte. Liebe war ein Gefühl, mit dem Cato nicht umgehen konnte, zumal er die glühende, leidenschaftliche Liebe für Marcia immer noch empfand. Sie quälte ihn und fraß in ihm. Er war Marcia hörig gewesen, hatte sich täglich gefragt, wie er weiterleben konnte, wenn sie sterben würde, wie sein geliebter Bruder Caepio gestorben war. Als dann der senile Hortensius um ihre Hand angehalten hatte, hatte er einen Ausweg gesehen. Er würde sie weggeben, sie loswerden und stark sein, wieder zu sich selbst finden.
Doch war seine Rechnung nicht aufgegangen. So vergrub er sich mit den beiden Philosophen Athenodorus und Statyllus, die er beherbergte, bei sich zu Hause, und zu dritt leerten sie Nacht für Nacht Krüge von Wein. Er weinte über den schwülstigen, manierierten Reden von Cato dem Zensor, als hätte Homer sie geschrieben, und fiel wie betäubt in den Schlaf, wenn andere Männer morgens aufstanden. Bibulus war kein Mensch von besonderem Einfühlungsvermögen und hatte von Catos inneren Qualen keine Ahnung, aber er verehrte Cato wegen dessen unerschütterlicher Stärke angesichts noch so großer Schwierigkeiten. Cato gab nie auf, und er gab nie nach.
»Porcia wird bald achtzehn«, sagte Cato plötzlich.
»Ich weiß«, sagte Bibulus überrascht.
»Ich habe noch keinen Mann für sie.«
»Tja, du hast auf ihren Vetter Brutus gehofft... «
»Er kommt Ende des Monats aus Kilikien zurück.«
»Willst du ihn noch einmal fragen? Er braucht Appius Claudius nicht, also kann er sich von Claudia scheiden lassen.«
Wieder ließ Cato sein wieherndes Lachen hören. »Ich frage ihn nicht! Brutus hatte seine Chance gehabt. Er hat Claudia geheiratet, jetzt soll er auch bei ihr bleiben.«
»Und Ahenobarbus’ Sohn?«
Der Krug neigte sich erneut, und der rote Wein floß in den Becher. Catos stets gerötete Augen sahen Bibulus über den Becherrand an. »Und du, alter Freund?«
Bibulus fuhr zusammen. »Ich?«
»Warum nicht? Domitia ist schließlich tot.«
»Ich... ich... ich hätte nie gedacht. . . Bei den Göttern, Cato! Ich?«
»Willst du sie nicht? Zugegeben, Porcia hat keine Mitgift von hundert Talenten, aber arm ist sie auch nicht. Sie ist wohlgeboren und sehr gebildet, und ich kann mich für ihre Treue verbürgen.« Er trank. »Schade nur, daß sie ein Mädchen ist und kein Junge — sie ist tausendmal mehr wert.«
Mit tränenerfülltem Blick streckte Bibulus die Hand über den Tisch. »Natürlich nehme ich sie, Marcus. Es ist mir eine Ehre.«
Aber Cato beachtete die Hand nicht. »Gut«, sagte er nur und trank, bis der Becher leer war.
Am siebzehnten Tag jenes Januar machte Publius Clodius sich zum Ausreiten fertig, schnallte das Schwert an den Gürtel und suchte seine Frau in ihrem Zimmer auf. Fulvia lag lustlos auf einem Sofa; sie fühlte sich nicht wohl. Ihre Haare waren ungekämmt, ihr wunderbarer Körper noch mit einem dünnen, safrangelben Nachthemd bekleidet. Als sie Clodius sah, setzte sie sich auf.
»Was ist los, Clodius?«
Er zog eine Grimasse, setzte sich auf den Rand des Sofas und küßte sie auf die Stirn. »Cyrus liegt im Sterben, Liebste.«
»Nein!« Fulvia vergrub das Gesicht in Clodius’ Leinenhemd, das einem Unterkleid für einen Brustpanzer ähnelte, nur daß es nicht gepolstert war. Dann hob sie den Kopf und starrte ihn verwirrt an. »Aber deinen Kleidern nach zu schließen, verläßt du Rom. Warum? Ist Cyrus nicht in der Stadt?«
»Doch, schon.« Der Gedanke an Cyrus’ nahen Tod setzte Clodius aufrichtig zu, aber nicht deshalb, weil er dann die Dienste von Roms bestem Architekten verlieren würde, sondern weil er ihn mochte. »Deshalb muß ich ja zur Baustelle raus. Cyrus glaubt, daß er in seinen Berechnungen einen Fehler gemacht hat, und er traut keinem anderen als mir zu, das zu überprüfen. Ich bin morgen wieder da.«
»Laß mich nicht allein zurück, Clodius!«
»Ich muß«, sagte Clodius unglücklich. »Du fühlst dich nicht wohl, und ich habe es schrecklich eilig. Die Ärzte sagen, Cyrus wird höchstens noch zwei oder drei Tage leben, und er soll in Ruhe sterben können.« Er küßte sie auf den Mund und stand auf.
»Paß auf dich auf!« rief Fulvia.
Clodius grinste. »Tue ich doch immer, das weißt du doch. Schola, Pomponius und mein Freigelassener Gaius Clodius begleiten mich, außerdem eine Eskorte von dreißig bewaffneten Sklaven.«
Die Pferde, gute Pferde, waren von den Ställen in der Vallis Camenarum außerhalb der Servianischen Mauer in die Stadt gebracht worden. Sie hatten in der engen Gasse, an der Clodius’ Haus stand, bereits eine Menge Schaulustiger angezogen, denn so viele Pferde innerhalb Roms waren ungewöhnlich. Doch gingen prominente Männer in jenen unruhigen Zeiten normalerweise nur mit einer Leibwache aus Sklaven oder einer gekauften Schlägertruppe aus dem Haus, und Clodius war da keine Ausnahme.
Er hatte den Ausritt kurzfristig geplant und wollte zurück sein, bevor seine Abwesenheit überhaupt bemerkt wurde. Die Sklaven waren jung und im Umgang mit dem Schwert geübt, das an ihrer Hüfte hing. Brustpanzer oder Helm trugen sie nicht.
»Wohin reitest du, Soldatenfreund?« rief ein Mann aus der Menge und grinste breit.
Clodius blieb stehen. »Tigranocerta? Lucullus?«
»Lucullus. Nisibis.«
»Das waren Zeiten, wie?«
»Fast zwanzig Jahre her, Soldatenfreund! Aber keiner von uns, die damals dabei waren, hat Publius Clodius vergessen.«
»Der alt und zahm geworden ist, Soldat.«
»Wohin reitest du?« wiederholte der Mann seine Frage.
Clodius schwang sich in den Sattel und gab Schola einen Wink, der bereits aufgesessen war. »In die Albaner Berge, aber nur für eine Nacht. Morgen bin ich wieder zurück.« Er wendete sein Pferd und ritt die Gasse in Richtung Clivus Palatinus hinunter, gefolgt von seinen drei Kameraden und den dreißig bewaffneten Sklaven.
»In die Albaner Berge, aber nur für eine Nacht«, wiederholte Titus Annius’ Milo nachdenklich. Über den Tisch schob er dem Mann, der Clodius aus der Menge heraus angesprochen hatte, einen kleinen Beutel voller Silberdenare zu. »Ich danke dir.« Er stand auf.
»Fausta!« rief er, als er einen Augenblick später ins Zimmer seiner Frau trat. »Ich weiß zwar, daß du keine Lust hast, aber du begleitest mich morgen früh nach Lanuvium. Pack deine Sachen und mach dich fertig! Das ist keine Bitte, sondern ein Befehl!«
Daß Milo Fausta bekommen hatte, war in seinen Augen ein wichtiger Sieg über Publius Clodius gewesen. Fausta war nämlich Sullas Tochter, und ihr Zwillingsbruder Faustus Sulla war wie Sullas verrufener Neffe Publius Sulla ein Vertrauter des Clodius. Auch wenn Fausta nie Mitglied von Clodius’ Zirkel gewesen war, gingen alle ihre Verbindungen in diese Richtung. Sie war die Frau von Pompeius’ Neffen Gaius Memmius gewesen, bis dieser sie in einer kompromittierenden Situation mit einem namenlosen jungen Muskelprotz erwischt hatte. Fausta mochte athletische Männer, Memmius dagegen war zwar auffallend schön, aber eher dünn und schmächtig.
Milo war auch athletisch gebaut, wenn auch nicht mehr so jugendlich, wie Fausta es gewöhnt war, und er hatte Fausta deshalb ohne Schwierigkeiten für sich gewinnen und heiraten können. Clodius hatte sich darüber noch lauter aufgeregt als Faustus Sulla und Publius Sulla! Von ihrer Vorliebe für sehr junge und sehr muskulöse namenlose Burschen war Fausta freilich keineswegs geheilt. Erst vor wenigen Monaten hatte Milo mit der Peitsche gegen einen gewissen Gaius Sallustius Crispus vorgehen müssen, der sich auf schamlose Weise mit Fausta vergnügt hatte. Daß Milo die Peitsche auch gegen Fausta erhoben hatte, hatte er dem über den Skandal entzückten Rom nicht mitgeteilt. Aber das hatte sie wieder zur Vernunft gebracht.
Leider schlug Fausta nicht nach Sulla, der in seiner Jugend ein außerordentlich gutaussehender Mann gewesen war, sondern nach ihrem Großonkel, dem berühmten Metellus Numidicus. Sie war wie er unförmig und ungepflegt. Da aber im Dunkeln alle Frauen gleich waren, genoß Milo das Eheleben mit ihr genauso wie mit den anderen Frauen, mit denen er herumschäkerte.
In Erinnerung an die Peitsche widersprach Fausta also lieber nicht. Sie sah Milo lediglich verärgert an und klatschte in die Hände, um die Dienerschaft antreten zu lassen.
Milo ließ seinen Freigelassenen Marcus Fustenus kommen. Fustenus war Römer, der wegen Mordes zu einer Existenz als Gladiator verurteilt worden und nach seiner Freilassung Milos Klient geworden war.
»Unsere Pläne haben sich ein wenig geändert«, sagte Milo kurz. »Aber wir fahren immer noch nach Lanuvium — wirklich ein glücklicher Zufall! Ich habe für die morgige Reise auf der Via Appia einwandfreie Gründe; ich kann beweisen, daß ich schon vor zwei Monaten geplant habe, in meine Heimatstadt zu fahren, um den neuen Priester zu ernennen. Niemand wird sagen können, daß ich kein Recht hatte, auf der Via Appia zu sein, niemand!«
Fustenus, der fast so groß war wie Milo, nickte nur schweigend.
»Fausta will mich begleiten, du mußt also ein sehr geräumiges carpentum mieten«, fuhr Milo fort.
Fustenus nickte wieder.
»Und eine Menge anderer Wagen für die Diener und das Gepäck. Wir werden einige Zeit dort bleiben.« Milo zückte einen versiegelten Brief. »Das muß sofort zu Quintus Fufius Calenus. Ich muß mit Fausta im selben Wagen sitzen und brauche deshalb noch eine angenehme Reisebegleitung. Calenus ist dafür genau richtig.«
Fustenus nickte.
»Die Leibwache muß vollzählig mit, weil wir so viele Wertsachen dabei haben.« Milo lächelte freudlos. »Fausta will bestimmt ihren ganzen Schmuck mitnehmen, ganz zu schweigen von ihren geliebten Zitronenholztischen. Wir brauchen hundertfünfzig Mann, mit Panzern und Helmen ausgerüstet und schwer bewaffnet.«
Fustenus nickte.
»Jetzt schicke unverzüglich Birria und Eudamas zu mir!«
Fustenus nickte noch einmal und verließ den Raum.
Obwohl es schon spät am Nachmittag war, schickte Milo unaufhörlich Diener aus, bis es dunkel wurde. Dann lehnte er sich zufrieden zurück, um mit großem Appetit ein spätes Abendessen einzunehmen. Alles war geregelt. Quintus Fufius Calenus hatte sich höchst erfreut gezeigt, seinen Freund Milo nach Lanuvium begleiten zu können, Marcus Fustenus hatte Pferde für die hundertfünfzig Leibwächter organisiert, dazu Karren und Wagen für das Gepäck und die Diener und natürlich ein sehr bequemes carpentum für die Herrschaft.
Am frühen Morgen kam Calenus zu Milos Haus, und gemeinsam gingen Fausta, Milo und Calenus zu Fuß zu einem Treffpunkt vor der Porta Capena, wo die Reisegesellschaft bereits versammelt war und das carpentum wartete.
»Sehr schön!« säuselte Fausta und ließ sich mit dem Rücken zu den Maultieren auf dem gut gepolsterten Sitz nieder. Den Sitz in Fahrtrichtung überließ sie wohlweislich Milo und Calenus. Die Männer entdeckten zu ihrer Freude, daß zwischen ihnen ein kleiner Tisch aufgestellt worden war, wo sie würfeln, essen und trinken konnten. Auf den vierten Platz neben Fausta quetschten sich zwei Bedienstete, eine Frau, um Fausta zu versorgen, und ein Mann für Milo und Calenus.
Wie alle Zweispänner hatte auch das carpentum keine Vorrichtung, um die Stöße der Straße zu dämpfen, aber die Via Appia zwischen Rom und Capua war in einem sehr guten Zustand. Der Straßenbelag war weich und glatt, denn man hatte eine neue Schicht festgestampften Kalkmörtels über die Steine gezogen, die zu Beginn jeden Sommers gewässert wurde. Die Unbequemlichkeit der Reise bestand also eher in einem ständigen Schütteln und Rütteln als in heftigen Stößen. Die Diener reisten natürlich weniger komfortabel, aber alle freuten sich über den Ausflug. Ein Zug von ungefähr dreihundert Menschen setzte sich auf der Straße in Bewegung, die sich eine halbe Meile nach der Porta Capena in die Via Appia und die Via Latina gabelte. Fausta hatte alle ihre Zofen, Friseusen, Kosmetikerinnen und Wäscherinnen sowie Musiker und ein Dutzend jugendlicher Tänzer mitgenommen; Calenus hatte seinen Kammerdiener, seinen Bibliothekar und ein Dutzend weitere Bedienstete dabei, Milo seinen Verwalter, seinen Mundschenk, seinen Kammerdiener, ein Dutzend weitere männliche Bedienstete, ein paar Köche und drei Bäcker; höherrangige Sklaven hatten eigene Sklaven dabei, die sie bedienten. Die Stimmung war fröhlich. Angesichts einer Reisegeschwindigkeit von fünf Meilen pro Stunde würden sie in gut sieben Stunden in Lanuvium sein.