Schuld an Litaviccus’ Sinneswandel war Cathbad. Litaviccus war zunächst zur gallischen Heeresversammlung nach Carnutum gegangen. Er wollte zuerst Vercingetorix helfen, die Römer aus Gallien zu vertreiben, um ihm danach den Thron streitig zu machen. Denn sollte ein Haeduer den Kopf vor einem Arverner beugen? Vor einem Bauerntölpel aus den Bergen, der weder Latein noch Griechisch sprach und sein Analphabetentum zu verbergen suchte, indem er sein Zeichen auf ein Blatt Papier setzte, das er nicht einmal lesen konnte? Der sich bei allen wichtigen Staatsangelegenheiten auf die Druiden stützen mußte? Ein schöner König für Gallien!

Trotzdem war er mit den Haeduern auf der Heeresversammlung erschienen, wo er Cotus, Eporedorix und Viridomarus mit weiteren Kriegern der Haeduer angetroffen hatte. Es dauerte lange, bis die Stämme sich versammelt hatten, und daran änderte sich auch nichts, als bekannt wurde, Vercingetorix sei in Alesia eingeschlossen. Gutruatus und Cathbad bemühten sich zwar nach Kräften, die Dinge zu beschleunigen, aber Commius und die Belgen waren noch nicht da, und auch andere fehlten noch... Dann tauchte Surus mit den Ambarrern auf.

Die Ambarrer gehörten zu den Haeduern, und Surus war ein mächtiger Stammesführer. Er war der einzige, dessen Begrüßung Litaviccus ertrug. Cotus war währenddessen damit beschäftigt, Eporedorix und Viridomarus, denen beim Gedanken an die römische Rache im Fall einer Niederlage noch immer eine Gänsehaut über den Rücken lief, Sinn und Zweck des Unternehmens klarzumachen.

»Ich frage dich, Surus, warum verschwendet ein Mann von Cotus’ Rang seine Zeit damit, einem Emporkömmling wie Viridomarus, der noch dazu Handlanger Caesars ist, Pfeffer in den Arsch zu blasen?«

Sie schlenderten unter den Bäumen von Carnutum entlang, in einigem Abstand zu der großen Freifläche, auf der das Heer sich versammelte.

»Cotus würde alles tun, um Convictolavus zu ärgern.«

»Der zu Hause im Warmen sitzt, soviel ich weiß!« höhnte Litaviccus.

»Convictolavus sagte, er müsse unser Land schützen, weil er der Älteste sei«, erklärte Surus.

»Weil er zu alt ist, würden manche sagen. Was im übrigen auch für Cotus gilt.«

»Unmittelbar bevor ich Cabillonum verließ, erfuhr ich, daß das Heer, das wir zur Unterwerfung der Allobroger losschicken mußten, zurückgeschlagen wurde.«

»Was ist mit meinem Bruder«, fragte Litaviccus unruhig.

»Soweit wir wissen, ist Valetiacus unverletzt. Auch seinen Soldaten ist nichts passiert. Die Allobroger haben sich nicht auf einen offenen Kampf eingelassen, sondern nur nach römischer Art ihre Grenzen verteidigt.« Surus strich sich über den buschigen, sandfarbenen Schnurrbart und räusperte sich. »Ich bin über unsere Situation nicht glücklich, Litaviccus«, sagte er schließlich.

»Nein?«

»Auch ich glaube, daß die Haeduer endlich aufhören müssen, Marionetten Roms zu sein, sonst wäre ich nicht hier, genausowenig wie du. Aber wie können wir bei all unserer Verschiedenheit jemals auf eine Einigung hoffen, wie sie unser neuer König Vercingetorix predigt? Wir sind nicht alle gleich! Zeig mir einen Kelten, der nicht auf die Belgen spuckt. Und wie können die aquitanischen Kelten, diese dunkelhaarigen Zwerge, verlangen, in einer Reihe neben den Haeduern zu stehen? Ich halte es zwar für eine überaus kluge Idee, das Land zu vereinigen, aber doch bitte im rechten Verhältnis. Wir sind alle Gallier, aber einige von uns sind bessere Gallier. Oder steht etwa ein parisischer Schiffer auf einer Stufe mit einem haeduischen Reiter?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Litaviccus. »Und deshalb wird es auch keinen König Vercingetorix geben, sondern einen König Litaviccus.«

»Oh, ich verstehe!« Surus lächelte. Dann verschwand das Lächeln. »Ich habe die schlimmsten Befürchtungen, was Alesia betrifft. Vercingetorix hat die ganze Zeit gewarnt, wir dürften uns ja nicht in unseren Festungen einschließen lassen, und jetzt sitzt er selber in Alesia fest. Er ist der falsche Mann, um ausgerechnet jetzt König zu sein.«

»Ja, ich weiß, was du meinst, Surus.«

»Die Haeduer haben sich entschieden, wir können nicht mehr zurück. Caesar weiß, daß wir zu Vercingetorix übergelaufen sind. Ich will nicht glauben, daß Caesar noch eine Chance gegen uns hat, wenn unsere Verstärkung in Alesia eintrifft. Trotzdem plagen mich schreckliche Zweifel! Was ist, wenn wir uns und unser Volk für nichts und wieder nichts zugrunde richten?«

Litaviccus erschauderte. »Das dürfen wir nicht zulassen, Surus, auf keinen Fall! Ich stehe bei den Galliern sowieso auf der schwarzen Liste. Der einzige Ausweg ist für mich, Vercingetorix den Thron zu entreißen, wenn Caesar besiegt ist. Wenn alle Stämme nach Carnutum kommen, werden über dreihunderttausend Mann nach Alesia marschieren. Also müssen wir davon ausgehen, daß Vercingetorix siegt — oder vielmehr als unangefochtener König aus Alesia abzieht. Allein das wäre schon eine Schande und gäbe mir allen Grund, ihn herauszufordern. Konzentrieren wir uns also ausschließlich darauf, wie wir diesen jämmerlichen, ungebildeten Arverner stürzen können!«

»Ja, darüber müssen wir nachdenken«, stimmte Surus zu, aber es klang alles andere als überzeugt.

Sie schwiegen. Lautlos schritten sie mit ihren Schuhen aus weichem Leder über den dicken Moosteppich, der über den alten, mit Steinen gepflasterten Weg zum Hain Dagdas gewachsen war. Zwischen den Bäumen standen hölzerne Statuen von Gottheiten, langgesichtige, grotesk gedrungene Gestalten mit zum Boden reichenden Penissen, und starrten sie an.

Unvermittelt drang eine Stimme an ihr Ohr. Sie schien aus der riesigen Eiche vor ihnen zu kommen, die so alt war, daß der erst später angelegte Weg sich teilte und rechts und links an ihr vorbei lief. Es war Cathbads Stimme.

»Nach unserem Sieg in Alesia wird sich Vercingetorix von uns nichts mehr sagen lassen«, hörten sie Cathbad sagen.

»Das ist mir schon seit einiger Zeit klar, Cathbad«, antwortete die Stimme von Gutruatus.

Litaviccus packte Surus am Arm und hielt ihn zurück. Die beiden Haeduer blieben hinter der Eiche stehen und lauschten.

»Er ist jung und ungestüm, zeigt aber auch schon selbstherrliche Züge. Ich fürchte, sobald er die Krone erst fest in der Hand hat, wird er den Druiden nicht mehr gehorchen, und dazu darf es auf keinen Fall kommen. Nur die Druiden können ein vereintes Gallien regieren. Sie sind die Hüter der Weisheit, sie machen die Gesetze und achten auf deren Einhaltung, sie sprechen Recht. Seitdem ich die Häuptlinge gezwungen habe, Vercingetorix zum König zu machen, habe ich viel nachgedacht. Es war richtig, einen König zu wählen, aber der König von Gallien sollte ein guter Krieger sein, nicht ein Autokrat, der nach und nach alle Macht an sich zieht. Doch genau das wird, so fürchte ich, nach Alesia passieren, Gutruatus.«

»Er ist kein Carnute, Cathbad.«

»Als erstes wird er die arvernischen Druiden in den Rat der Druiden berufen. Dadurch wird der Einfluß der carnutischen Druiden schwinden.«

»Früher oder später werden die Arverner in allem über uns Carnuten bestimmen«, sagte Gutruatus.

»Das darf auf keinen Fall geschehen.«

»Ich stimme dir zu, der König von Gallien muß vor allem ein guter Krieger sein und außerdem Carnute.«

»Litaviccus findet, der König von Gallien sollte Haeduer sein«, sagte Cathbad trocken.

Gutruatus schnaubte verächtlich. »Litaviccus, Litaviccus! Er ist eine Schlange. Ich werde ihm mit meinem Schwert die Haare scheiteln.«

»Alles zu seiner Zeit, Gutruatus. Das Wichtigste zuerst, und das Wichtigste ist der Sieg über Rom. Dann kommt Vercingetorix, der aus Alesia als Held hervorgehen wird. Deshalb muß er den Heldentod sterben, einen Tod, den die Arverner oder Haeduer nicht anderen Galliern in die Schuhe schieben können. Der Beltine ist vorbei, und der Lugnasad liegt vor uns. Bis Samhain ist es noch lang hin. Also — Samhain. Vielleicht fällt uns eine Rolle ein, die der neue König von Gallien zu Beginn der dunklen Monate spielen könnte, wenn die Ernte eingebracht ist und sich die Menschen versammeln, um den Segen für die Saat des nächsten Jahres zu erbitten. Ja — während des Samhain, hier in Carnutum... Vielleicht verschwindet der König von Gallien einfach im undurchdringlichen Nebel, oder er fährt in einem großen Schwanenboot auf dem Liger nach Westen davon. Vercingetorix muß ein Held bleiben, aber der Held einer Legende.«

»Wozu ich mit dem größten Vergnügen beitrage«, sagte Gutruatus.

»Davon bin ich überzeugt«, antwortete Cathbad. »Ich danke dir, Gutruatus.«

»Wirst du jetzt die Zeichen deuten?«

»Ja, zweimal. Einmal für das Heer und einmal nur für mich. Heute für mich, aber du kannst mitkommen.« Cathbads Stimme entfernte sich.

Die beiden Haeduer blieben noch eine Weile hinter der Eiche stehen und sahen einander an. Dann nickte Litaviccus, und sie gingen weiter, allerdings nicht auf dem Weg, sondern zwischen den Eichen hindurch, bis sich eine verwunschene Lichtung vor ihnen öffnete, Dagdas Hain. Im Hintergrund waren von üppigen Moosflechten überzogene Felsblöcke überelnandergetürmt, aus deren Mitte eine Quelle in einen tiefen, kleinen See sprudelte. Taranis liebte das Feuer, Esus die Luft und Dagda das Wasser. Die Erde gehörte der großen Mutter Dann. Da sich weder Feuer noch Luft mit der Erde vermischen konnten, hatte Dann sich mit Dagda, dem Wasser, vermählt.

An diesem Tag sollte das Opfer allerdings nicht ertränkt werden. Cathbad war gekommen, um die Zeichen zu deuten, nicht um zu opfern. Das Opfer, ein eigens zu diesem Zweck gekaufter germanischer Sklave, lag nackt und ungefesselt und mit dem Gesicht nach unten auf dem Altar, einer einfachen Steinplatte. Entsprechend einem uralten Ritual sang Cathbad mit seiner schönen, klaren Tenorstimme Gebete. Das Opfer zeigte keinerlei Reaktion, denn man hatte es unter starke Drogen gesetzt, damit seine Bewegungen, die gedeutet werden sollten, nicht auf Angst oder Schmerzen zurückgingen. Gutruatus kniete in einiger Entfernung nieder, während Cathbad ein langes, zweischneidiges Schwert ergriff. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, die unhandliche Waffe aufzunehmen, doch gelang es ihm schließlich mit fest in den Boden gestemmten Füßen und unter Aufbietung all seiner Kräfte. Mit beiden Händen hob er die Klinge über den Kopf, und mit vollendeter Präzision sauste sie nieder, fuhr dem Opfer unterhalb der Schulterblätter in den Rücken und durchtrennte die Wirbelsäule so glatt, daß sie fast im selben Moment auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kam.

Das Opfer begann zu zucken. Cathbad stand in seinem makellos weißen Gewand daneben und verfolgte jede Bewegung aufmerksam. Er beobachtete, wie die Glieder hin-- und herfuhren, wie Kopf, Arme, Schultern oder Beine von Krämpfen geschüttelt wurden, Finger und Zehen zuckten und das Gesäß ein letztes Mal erzitterte. Es dauerte lang, aber er bewegte sich nicht, nur seine Lippen formten sich jedesmal, wenn die Bewegungen des Opfers kurz aussetzten, zu stummen Worten. Als alles vorbei war, seufzte er, aus seiner Versenkung erwachend, und sah Gutruatus müde an. Der Carnute erhob sich schwerfällig, und aus den Bäumen traten zwei Diener und näherten sich dem Altar, um ihn abzuräumen und zu reinigen.

»Und?« fragte Gutruatus gespannt.

»Ich konnte nichts sehen. . . Die Bewegungen waren durcheinander, ich konnte kein Muster erkennen.«

»Überhaupt nichts?«

»Ein wenig. Auf meine Frage, ob Vercingetorix sterben würde, zuckte der Kopf sechsmal in gleicher Weise, was ich als sechs Jahre deute. Aber als ich fragte, ob Caesar besiegt werden würde, rührte sich überhaupt nichts — wie soll ich das verstehen? Ich fragte auch, ob Litaviccus König werden würde, und die Antwort lautete nein. Das wenigstens war eindeutig. Dann wollte ich wissen, ob du König wirst, und die Antwort lautete ebenfalls nein.

Die Füße des Opfers tanzten, was bedeutet, daß du schon bald sterben wirst. Sonst konnte ich nichts erkennen.«

Der Druide sank erschöpft gegen Gutruatus, der ihn zitternd und kreideweiß im Gesicht anstarrte.

Die beiden Haeduer stahlen sich fort.

Litaviccus wischte sich den Schweiß von der Stirn; seine Welt lag in Trümmern. »Ich werde nicht König von Gallien sein«, flüsterte er.

Surus fuhr sich mit zitternden Händen über die Augen. »Gutruatus auch nicht. Er wird bald sterben, was Cathbad von dir nicht gesagt hat.«

»Ich weiß die Antwort auf die Frage nach Caesars Niederlage, Surus. Daß sich nichts bewegt hat, heißt, daß Caesar siegen und in Gallien alles beim Alten bleiben wird. Cathbad weiß das, er konnte es Gutruatus aber nicht sagen. Wie hätte er sonst die Heeresversammlung rechtfertigen sollen?«

»Und was bedeuten die sechs Jahre für Vercingetorix?«

»Das weiß ich doch auch nicht!« rief Litaviccus. »Wenn Caesar siegt, ist auch sein Schicksal besiegelt. Er wird in Caesars Triumphzug mitmarschieren und anschließend erdrosselt.« Ein Schluchzer stieg ihm in die Kehle, aber er unterdrückte ihn. »Ich will es nicht glauben, aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Caesar wird siegen, und ich werde niemals König von Gallien sein.«

Sie gingen an dem Bach entlang, der aus Dagdas See floß, zwischen den am Ufer aufgestellten hölzernen Götterstatuen hindurch. Blütenstaub und in der Luft schwebende Samen flimmerten in den goldenen Lichtbahnen der untergehenden Sonne, die das Dämmerlicht der uralten Bäume durchstießen, das Grün zum Erglühen brachten und das Braun vergoldeten.

»Was willst du jetzt tun?« fragte Surus, als sie aus dem Wald traten und sahen, daß noch immer Menschen zum Versammlungsplatz strömten, auf dem Krieger und Pferde lagerten, soweit das Auge reichte.

»Ich gehe von hier weg.« Litaviccus wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Ich komme mit.«

»Das verlange ich nicht von dir, Surus. Rette, was du kannst. Caesar wird die Haeduer brauchen, um Galliens Wunden zu schließen. Wir werden nicht so leiden müssen wie die Belgen oder die keltischen Aremoricer.«

»Nein, das soll Convictolavus tun! Ich glaube, ich gehe zu den Treverern.«

»Mir ist jede Richtung recht, wenn du nichts gegen Gesellschaft hast.«

Die Treverer hatten sich trotz der Bedrängnis durch die Römer nicht gebeugt.

»Der schreckliche Labienus hat so viele unserer Krieger getötet, daß wir niemanden nach Alesia schicken konnten«, klagte Cingetorix, der noch immer bei den Treverern herrschte.

»Die Rettung von Alesia wird nicht gelingen«, sagte Surus.

»Daran habe ich sowieso nie geglaubt. All das Geschwätz von einem vereinigten Gallien! Als ob wir ein Volk wären. Das sind wir nicht. Für wen hält Vercingetorix sich eigentlich? Bildet er sich ernsthaft ein, ein Arverner könne sich König der Belgen nennen? Oder wir Belgen würden uns einem Kelten beugen? Die Treverer würden ohnehin Ambiorix wählen.«

»Nicht Commius?«

»Er hat sich an die Römer verkauft«, sagte Cingetorix abschätzig. »Er hat die Seiten nur wegen einer persönlichen Kränkung gewechselt, nicht wegen des Elends der Belgen.«

Wenn das oppidum Treves für die Zustände bei dem großen Volk der Belgen bezeichnend war, hatte Labienus in der Tat verheerende Zerstörungen angerichtet. Wenn auch das eigentliche oppidum nie als Wohnstätte gedient hatte, so war es doch einstmals — vor noch nicht allzu langer Zeit — von einer blühenden kleinen Stadt umgeben gewesen. Doch nur wenige Menschen waren übriggeblieben, um sie erneut zu besiedeln. Sämtliche Krieger, die Cingetorix noch zusammenbringen konnte, befanden sich nördlich von Treves und verteidigten dort die kostbaren Pferde gegen Raubüberfälle der Ubier vom anderen Ufer der Rhenus.

Seit Caesar begonnen hatte, die Germanen mit erstklassigen Pferden auszustatten, war das Verlangen der Ubier nach guten Pferden unersättlich geworden. Der ubische Herrscher Arminius sah plötzlich eine ganz neue Perspektive für sein Volk: Von jetzt an würden die Ubier Rom die benötigten berittenen Hilfstruppen zur Verfügung stellen. Die Germanen konnten die Lücke ausfüllen, die nach dem Bruch Caesars mit den Haeduern entstanden war. Arminius hatte deshalb auch prompt die angeforderten sechzehnhundert zusätzlichen Männer geschickt, und er plante, ihnen weitere folgen zu lassen. Reichtum zu erwerben war für ein Hirtenvolk, in dessen Gebiet es keinerlei Bodenschätze gab, sehr schwer, zu Pferd zu kämpfen dagegen ein Geschäft, auf das sich Arminius bestens verstand. Wenn er ein Wort mitzureden hatte, würden die Römer bald keine gallischen Reiter, sondern nur noch Germanen einsetzen.

Aus diesem Grund kämpften die Treverer und die Ubier in der grauen, trostlosen Weite der bewaldeten Ardennen mit ihren wenigen, in Flußtälern gelegenen Weiden und Feldern erbittert um die Vorherrschaft.

»Ich hasse diesen Ort«, sagte Litaviccus nach einigen Tagen.

»Ich finde ihn nicht so schlimm«, entgegnete Surus.

»Dann wünsche ich dir alles Gute.«

»Ich dir auch. Wohin willst du gehen?«

»Nach Galatien.«

Verblüfft riß Surus den Mund auf. »Galatien? Aber das ist ja am Ende der Welt!«

»Genau. Aber die Galater sind Gallier und reiten gute Pferde. König Deiotarus ist immer auf der Suche nach fähigen Befehlshabern.«

»Er ist Klient der Römer, Litaviccus.«

»Ich weiß. Aber ich trete dort nicht als Litaviccus auf, sondern als Cabachius von den Tectosagen. Ich komme nach Galatien, um Verwandte zu besuchen, verliebe mich in das Land und beantrage das Bleiberecht.«

»Wo willst du einen Mantel in den richtigen Farben auftreiben?«

»In der Gegend von Tolosa haben sie schon lange aufgehört, solche Mäntel zu tragen, Surus. Ich kleide mich wie ein Gallier aus Gallia Narbonensis.«

Zuerst wollte Litaviccus allerdings noch nach seinen Ländereien und seinem Haus in der Nähe von Matisco sehen. Offiziell war das gallische Land zwar Gemeineigentum des Volkes, aber in Wirklichkeit hatten einflußreiche Adlige wie Litaviccus große Gebiete in ihre »Obhut« genommen.

So ritt er die Mosella abwärts, bis er ins Land der Sequaner kam. Da sich die Sequaner, die nicht zur Heeresversammlung nach Carnutum gezogen waren, näher am Rhenus niedergelassen hatten, für den Fall, daß die germanischen Sueben versuchten, den Fluß zu überqueren, wurde er unterwegs weder behelligt noch von mißtrauischen Stammesführern gefragt, wie ein Haeduer mit einem Packpferd als einzigem Begleiter dazu kam, durch das Gebiet eines Volkes zu reiten, mit dem er eben noch verfeindet gewesen war.

Doch hörte Litaviccus, als er in weitem Bogen Vesontio umritt, das oppidum der Sequaner, wie über ein Feld gerufen wurde, Caesar habe vor Alesia gesiegt und Vercingetorix sich ergeben.

Hätte er nicht Cathbad und Gutruatus belauscht, wäre auch er als Befehlshaber der Haeduer dort gewesen. Dann wäre auch er jetzt Gefangener der Römer und auf dem Weg nach Rom, um in Caesars Triumphzug mitzumarschieren. Aber wie konnte der König von Gallien unter diesen Umständen noch sechs Jahre leben? Denn Vercingetorix mußte nach Caesars Triumphzug doch auf alle Fälle sterben. Hieß das vielleicht, daß Caesar weitere fünf Jahre Statthalter Galliens blieb und deshalb erst in sechs Jahren einen Triumph abhalten konnte? Aber es war doch vorbei! Eine dritte Statthalterschaft war nicht nötig. Im nächsten Jahr würde Caesar Gallien endgültig unterwerfen, und die, die ihm entkamen, würden sich in alle Winde zerstreuen. Nichts konnte mehr den Sieg Caesars aufhalten. Trotzdem war Litaviccus überzeugt, daß

Cathbad die Wahrheit gesehen hatte. Noch sechs Jahre also für Vercingetorix. Wie war das möglich?

Da Litaviccus’ Ländereien östlich und südlich von Matisco lagen, mied er auch dieses oppidum, obwohl es den Haeduern gehörte und obwohl, was noch wichtiger war, seine Frau und seine Kinder für die Dauer des Krieges dort lebten. Es war besser, sie nicht zu besuchen. Sie würden auch so überleben. Sein eigenes Überleben hatte für ihn jetzt Vorrang.

Obwohl aus Holz errichtet und mit Schiefer gedeckt, war sein großes und behagliches Haus im römischen Stil in zwei Stockwerken um einen riesigen Säulenhof gebaut. Seine Sklaven und Leibeigenen waren glücklich, ihn zu sehen, und schworen, seine Anwesenheit niemandem zu verraten. Eigentlich hatte er nur so lange bleiben wollen, wie er für das Ausräumen der Kammer brauchte, in der er seine Schätze aufbewahrte, aber der Sommer am träge dahinfließenden Arar war herrlich, und Caesar war weit weg und hatte keinen Grund, einen seiner berühmten Blitzmärsche in diese Gegend zu unternehmen. Was hatte Caesar einmal gesagt? Der Arar fließe so langsam, daß er in Wirklichkeit rückwärts fließe? Hier jedenfalls war er zu Hause, und plötzlich hatte es Litaviccus nicht mehr eilig, in die Ferne aufzubrechen. Seine Leute waren ihm vollkommen ergeben, und sonst hatte ihn niemand gesehen. Wie wunderbar, einen letzten Sommer in der Heimat zu verbringen! Zwar hieß es, Galatien sei ein schönes Land — Berge, weite Ebenen, wunderbar geeignet für Pferde. Aber es war nicht seine Heimat. Die Galater sprachen Griechisch, Pontisch und einen gallischen Dialekt, der in Gallien seit zweihundert Jahren nirgends mehr zu hören war. Na ja, wenigstens konnte er Griechisch, auch wenn er es wieder aufpolieren mußte.

Zu Beginn des Herbstes, als Litaviccus erneut daran dachte, abzureisen, und seine Sklaven und Leibeigenen eine reiche Ernte einbrachten, erschien unerwartet sein Bruder Valetiacus an der Spitze von hundert Reitern, die zu Litaviccus’ Gefolgschaft gehörten.

Die Brüder begrüßten sich freudig und konnten sich gar nicht aneinander sattsehen.

»Leider kann ich nicht bleiben«, sagte Valetiacus. »Aber was für eine Überraschung, dich hier anzutreffen! Eigentlich bin ich nur gekommen, um mich davon zu überzeugen, daß deine Leute die Ernte einbringen.«

»Was ist beim Kampf gegen die Allobroger passiert?« fragte Litaviccus und schenkte Wein ein.

»Nicht viel.« Valetiacus verzog das Gesicht. »Sie haben, ich zitiere Caesar, >besonnen und tüchtig< gekämpft.«

»Caesar?«

»Er ist in Bibracte.«

»Weiß er, daß ich hier bin?«

»Niemand weiß, wo du bist.«

»Was hat Caesar mit den Haeduern vor?«

»Wir werden wie die Arverner relativ ungeschoren davonkommen. Wir sollen den Kern eines neuen, durch und durch römischen Gallien bilden. Unseren Status als Freunde und Verbündete Roms werden wir behalten, vorausgesetzt allerdings, wir unterschreiben einen langen Vertrag mit Rom und nehmen eine große Zahl von Caesars Anhängern in unseren Senat auf. Viridomarus wurde verziehen, dir jedoch nicht. Auf deinen Kopf ist sogar eine Belohnung ausgesetzt, woraus ich schließe, daß dir im Fall deiner Gefangennahme dasselbe Schicksal droht wie Vercingetorix und Cotus. Biturgo und Eporedorix müssen auch im Triumphzug marschieren, können aber anschließend nach Hause zurückkehren.«

»Und du, Valetiacus?«

»Ich darf zwar meine Ländereien behalten, kann aber nie wieder im Rat sitzen oder Vergobret werden«, sagte Valetiacus bitter.

Beide Brüder waren große, gutaussehende Männer, typische Gallier, blond und blauäugig. Die Muskeln von Litaviccus’ braungebranntem Unterarm spannten sich, bis die goldenen Armreifen ins Fleisch schnitten.

»Bei Dagda und Dann, ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, wie wir uns rächen könnten!«

»Vielleicht gibt es sie ja.« Ein schwaches Lächeln spielte um Valetiacus’ Lippen.

»Wie? Welche denn?«

»Nicht weit von hier begegnete ich einer Gruppe Reisender, die auf dem Weg nach Bibracte zu Caesar waren. Er will dort überwintern. Drei Wagen, eine bequeme Kutsche und eine Frau auf einem feurigen Schimmel. Die Reisenden sahen aus wie Römer, bis auf die Frau, die rittlings auf dem Pferd saß. In der Kutsche saß ein kleiner Junge mit seiner Kinderfrau, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Caesar hatte. Na, brauchst du noch weitere Hinweise?«

Langsam schüttelte Litaviccus den Kopf. »Nein«, antwortete er und stieß zischend die Luft aus. »Caesars Frau! Die einmal Dumnorix gehörte.«

»Wie nennt er sie noch gleich?« fragte Valetiacus.

»Rhiannon.«

»Stimmt. Vercingetorix’ Cousine Rhiannon, die betrogene Ehefrau. Eine infame Lüge! Dumnorix war der Betrogene.«

»Und was hast du gemacht?«

»Ich habe sie gefangengenommen.« Valetiacus zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Ich werde ohnehin nie mehr die mir zustehende Stellung in unserem Volk einnehmen, was habe ich also zu verlieren?«

»Alles«, sagte Litaviccus knapp. Er stand auf und legte seinem Bruder den Arm um die Schultern. »Ich kann nicht hierbleiben, sie suchen mich. Aber du mußt bleiben! Jemand muß sich um meine Familie kümmern. Hab Geduld, warte den rechten Moment ab. Irgendwann wird Caesar gehen, andere Statthalter werden kommen. Du wirst deinen Platz im Senat und im Rat wieder einnehmen. Laß Caesars Frau hier bei mir. Ich werde mich an ihr rächen.«

»Und das Kind?«

Litaviccus ballte die Fäuste und schüttelte sie schadenfroh. »Er ist der einzige, der lebend hier rauskommt, denn du nimmst ihn mit. Bring ihn zu einem unserer Leibeigenen in einer abgelegenen Kate. Wenn er von seinen Eltern spricht, wird ihm kein Mensch glauben. Caesars Sohn soll als Leibeigener der Haeduer aufwachsen, bis an sein Lebensende zur Knechtschaft verdammt.«

Die Brüder gingen zur Tür und küßten sich zum Abschied. Draußen im Hof kauerten die Gefangenen. Aus angstvoll aufgerissenen Augen beobachteten sie, was um sie herum vorging. Nur Rhiannon, der man die Hände auf den Rücken gebunden und die Füße gefesselt hatte, stand stolz und aufrecht da. Der kleine Junge, inzwischen über fünf Jahre alt, versteckte sich mit tränennassem Gesicht und laufender Nase hinter dem Rock seiner Kinderfrau. Als Valetiacus im Sattel saß, hob Litaviccus das Kind hoch und reichte es seinem Bruder, der es vor sich auf das Pferd setzte. Zu müde und verwirrt, um zu protestieren, ließ der Junge alles mit sich geschehen. Er lehnte sich an Valetiacus und schloß erschöpft die Augen.

Rhiannon wollte zu ihm rennen und fiel der Länge nach hin. »Orgetorix!« schrie sie. »Orgetorix!«

Doch da waren Valetiacus und seine hundert Männer bereits verschwunden, und Caesars Sohn mit ihnen.

Litaviccus holte sein Schwert aus dem Haus und tötete die römischen Diener und die Kinderfrau, während Rhiannon zusammengekauert immer wieder den Namen ihres Sohnes rief.

Als das Gemetzel beendet war, trat Litaviccus zu Rhiannon, griff mit der Hand in die flammend rote Haarflut und riß sie mit einem Ruck nach oben. »Komm, meine Liebe«, sagte er lächelnd, »für dich habe ich etwas ganz Besonderes.«

Unsanft zog er sie ins Haus, in den großen Saal, in dem er zu tafeln pflegte; dort stieß er sie heftig zu Boden. Anschließend betrachtete er aufmerksam die Holzbalken an der niedrigen Decke, dann nickte er und verließ den Saal.

Er kehrte mit zwei Sklaven zurück, die ängstlich bestrebt waren, ihrem Herrn zu gehorchen, noch ganz unter dem Eindruck des furchtbaren Gemetzels im Hof.

»Tut das hier für mich, und ihr seid beide frei«, sagte Litaviccus. Er klatschte in die Hände. Eine Sklavin kam herein; bei Rhiannons Anblick schrak sie zusammen. »Bring mir einen Kamm«, befahl er.

Einer der Sklaven hielt einen Haken in der Hand, wie er normalerweise zum Aufhängen und Ausweiden von Wildschweinen benutzt wird, während der andere sich mit einem Bohrer an einem der Deckenbalken zu schaffen machte.

Der Kamm wurde gebracht.

»Setz dich, meine Liebe«, sagte Litaviccus. Er zog Rhiannon hoch und stieß sie auf einen Stuhl. Dann zerrte er an ihren Haaren, bis sie lose über ihren Rücken fielen, und begann sie zu kämmen, langsam und sorgfältig, doch erbarmungslos ziehend, wenn der Kamm an einem Knoten hängenblieb. Rhiannon schien keine Schmerzen zu spüren. Sie zuckte mit keiner Wimper, doch auch all die Leidenschaft und Stärke, die Caesar so an ihr bewundert hatte, war verschwunden.

»Orgetorix«, murmelte sie von Zeit zu Zeit, »Orgetorix.«

»Wie schön deine Haare sind, meine Liebe, und wie sauber gewaschen«, sagte Litaviccus und kämmte unermüdlich weiter. »Wolltest du Caesar in Bibracte überraschen, weil du ohne Begleitung von römischen Soldaten unterwegs warst? Ja, natürlich wolltest du das! Aber ihm wäre das gar nicht recht gewesen.«

Schließlich war er fertig. Auch die beiden Sklaven hatten ihre Arbeit beendet. Der Haken war an einem Balken befestigt, sechs Fuß über den Bodenfliesen.

»Hilf mir«, befahl Litaviccus der Sklavin barsch. »Ich will ihr Haar zu einem Zopf flechten. Zeig mir, wie das geht.«

Sie mußten es ohnehin zu zweit machen. Sobald Litaviccus begriffen hatte, wie die drei Haarsträhnen ineinandergeflochten wurden, stellte er sich sehr geschickt an. Die Sklavin hatte dafür zu sorgen, daß die Haarsträhnen unterhalb von Litaviccus’ emsig flechtenden Fingern nicht durcheinander kamen. Schließlich war das Werk vollbracht. An Rhiannons langem, weißem Hals war der Zopf so dick wie Litaviccus’ Arm, fünf Fuß weiter unten hatte er sich auf den Umfang eines Rattenschwanzes verjüngt und begann bereits, sich wieder aufzulösen.

»Steh auf.« Er zog Rhiannon hoch. »Helft mir«, befahl er den beiden Sklaven. Wie ein Bildhauer seine Statue stellte er Rhiannon neben den Haken, nahm den Zopf und wickelte ihn ihr zweimal um den Hals. »Da haben wir ja noch jede Menge übrig!« rief er und stieg auf einen Stuhl. »Hebt sie hoch.«

Einer der Sklaven schlang seine Arme um Rhiannons Hüften und hob sie hoch. Litaviccus steckte den Zopf durch den Haken und versuchte ihn festzubinden, was jedoch nicht gelang — der Zopf war nicht nur zu dick, die Haare waren auch so glatt, daß der Knoten sich sofort wieder löste. Also wurde Rhiannon wieder heruntergelassen, und einer der Sklaven ging hinaus, um einen weiteren Haken zu holen. Schließlich gelang es ihnen, den Zopf damit am Balken zu befestigen, und zum zweiten Mal schwebte Rhiannon in den Armen des Sklaven über dem Boden.

»Laß sie los, aber ganz vorsichtig!« sagte Litaviccus erregt. »Vorsicht, Vorsicht, wir wollen ihr doch nicht das Genick brechen, das würde ja den ganzen Spaß verderben! Vorsicht!«

Rhiannon kämpfte nicht, obwohl es sehr lang dauerte. Ihre weit aufgerissenen Augen waren blicklos auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, und weil sie nicht kämpfte, verfärbte sich nur ihre Haut von hellbraun über grau zu blau; weder die Zunge noch die blicklosen Augen traten hervor. Manchmal bewegten sich ihre Lippen und formten stumm den Namen »Orgetorix«.

Das Haar gab nach. Zuerst berührten ihre Zehen, dann die Fußsohlen den Boden. Die Männer ließen sie, die noch nicht tot war, wie einen Sandsack fallen und wiederholten die ganze Prozedur.

Als ihr Gesicht die Farbe von schwärzlichem Purpur angenommen hatte, ging Litaviccus hinaus und schrieb einen Brief. Als er fertig war, übergab er ihn seinem Verwalter.

»Reite damit nach Bibracte«, befahl er. »Richte Caesars Leuten aus, daß er von Litaviccus stammt. Caesar wird dich brauchen, damit du ihn hierherführst. Geh jetzt und sieh unter meinem Bett nach. Dort liegt ein Beutel mit Gold. Nimm ihn an dich. Sage meinen Leuten, sie sollen ihre Sachen packen und sofort verschwinden. Wenn sie zu meinem Bruder Valetiacus gehen, wird er sie aufnehmen. Die Leichen im Hof soll niemand anrühren. Ich will, daß sie so bleiben, wie sie sind.« Er zeigte auf die hängende Rhiannon. »Und sie bleibt so hängen. Caesar soll sie mit eigenen Augen so sehen.«

Kurz nachdem der Verwalter aufgebrochen war, machte sich auch Litaviccus auf den Weg. Er ritt sein bestes Pferd, trug seine besten Kleider — auf den Umhang hatte er allerdings verzichtet — und führte drei Packpferde am Zügel, auf denen sein Gold, seine anderen Schätze und sein Pelzmantel verstaut waren. Sein erstes Ziel war der Jura, wo er ins Gebiet der Helvetier kam. Er war überzeugt, daß man ihn als Feind Roms überall willkommen heißen würde, schließlich haßten doch alle Barbaren Rom. Er brauchte also nur zu sagen, daß Caesar eine Belohnung auf seinen Kopf ausgesetzt hatte, und man würde ihn von Gallien bis Galatien feiern und bewundern. Im Jura war das auch so, doch dann, bei den Quellen des Danubius, kam er ins Gebiet der Verbigener und wurde gefangengenommen. Die Verbigener scherten sich einen Dreck um Rom oder Caesar. Sie nahmen Litaviccus seine gesamte Habe ab und machten ihn einen Kopf kürzer.

»Wenigstens ist es Rhiannon und nicht meine Tochter oder meine Mutter, wenn ich schon eine der drei tot sehen muß«, sagte Caesar zu Trebonius.

Trebonius wußte nicht, was er sagen sollte, wie er ausdrücken konnte, was er angesichts dieser ungeheuren Greueltat empfand — Schmerz, Kummer, glühenden Zorn, all die Gefühle, die ihn beim Anblick des armen, schwarzgesichtigen Geschöpfes bewegten, das man mit seinen eigenen Haaren erdrosselt hatte. Das Haar hatte wieder nachgegeben, so daß sie nun mit leicht gebeugten Knien auf dem Boden stand. Ach, es gab keine Gerechtigkeit! Dieser Mensch Caesar war so einsam, so unnahbar, so erhaben über all die, denen er an jedem Tag seines außergewöhnlichen Lebens begegnete! Rhiannon war ihm eine angenehme Gesellschaft gewesen, hatte ihm die Zeit vertrieben, und er hatte hingerissen ihrem Gesang gelauscht. Nein, geliebt hatte er sie nicht, aber Liebe wäre ihm auch eine Last gewesen, so gut kannte Trebonius Caesar inzwischen. Was konnten Worte hier sagen? Wie sollten sie den Schock, diese tiefste Kränkung, diese sinnlose Wahnsinnstat lindern? Nein, es gab keine Gerechtigkeit!

Seit sie in den Hof geritten waren und dort das Gemetzel entdeckt hatten, hatte sich auf Caesars Gesicht keinerlei Gefühlsregung gezeigt. Dann hatten sie das Haus betreten und Rhiannon entdeckt.

»Hilf mir«, riß Caesar Trebonius aus seinen Gedanken.

Die Männer holten sie herunter, fanden ihre Kleider und Juwelen unberührt im Wagen und kleideten sie für das Begräbnis an. Einige germanische Soldaten ihrer Eskorte hoben ein Grab aus. Da die Kelten ihre Toten nicht verbrannten, würde Rhiannon in der Erde begraben werden, ihre ermordeten Sklaven zu Füßen, wie es sich für eine vornehme Dame und Tochter eines Königs ziemte.

Gotus, der Befehlshaber der ursprünglichen vierhundert Ubier Caesars, wartete draußen.

»Der Junge ist nicht hier«, berichtete er. »Wir haben im Umkreis von einer Meile die Umgebung abgesucht — alle Zimmer im Haus, alle anderen Gebäude, jeden Brunnen, jeden Stall — wir haben nichts ausgelassen, Caesar. Der Junge ist verschwunden.«

»Danke, Gotus«, sagte Caesar lächelnd.

Daß er sich so in der Gewalt hatte, wunderte sich Trebonius. Immer war er so beherrscht und freundlich. Aber was wird der Preis dafür sein?

Kein Wort fiel mehr bis zum Ende der Beerdigung. Da kein Druide zur Verfügung stand, übernahm Caesar dessen Amt.

»Wann soll die Suche nach Orgetorix beginnen?« fragte Trebonius, als sie Litaviccus’ verlassenes Anwesen auf ihren Pferden verließen.

»Überhaupt nicht.«

»Was?«

»Ich will keine Suche.«

»Warum nicht?«

»Die Sache ist erledigt«, sagte Caesar. Seine kalten, hellen Augen blickten fest in die Augen von Trebonius, nicht anders als sonst — mit nüchtern beherrschter Zuneigung und distanziertem Verständnis. Caesar sah weg. »Ihr Gesang wird mir fehlen«, sagte er. Dann sprach er nie wieder von Rhiannon oder seinem verschwundenen Sohn.