Anfang Juni versammelte sich der Senat in der Curia Pompeia, um über die Gefahr eines Überfalls der Parther auf Syrien zu sprechen, mit dem man im Sommer rechnete. Dabei stellte sich auch die leidige Frage nach den Nachfolgern für Cicero in Kilikien und Bibulus in Syrien. Beide Männer hatten ihre Anhänger beauftragt, darauf zu drängen, daß ihre Statthalterschaft nicht um ein Jahr verlängert wurde, ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen, weil nur wenige potentielle Statthalter zur Verfügung standen (die meisten übernahmen gleich nach Ablauf ihrer Amtszeit als Konsul oder Prätor eine Provinz — Fälle wie Cicero und Bibulus waren selten) und die wichtigsten von ihnen Caesar nachfolgen wollten, nicht Cicero oder Bibulus. Niemand wollte gegen die Parther Krieg führen, während Caesars Provinzen unleugbar für viele Jahre befriedet waren.

Pompeius saß unübersehbar in der unteren Sitzreihe links, Auge in Auge mit seiner Statue auf dem kurulischen Podium. In der unteren Reihe rechts saß mit entschlossenem, erheblich zuversichtlicherem Gesicht als früher Cato, neben sich Appius Claudius Pulcher, der von der Anklage gegen ihn freigesprochen und prompt zum Zensor gewählt worden war. Problematisch war dabei nur, daß der andere Zensor Lucius Calpurnius Piso war, Caesars Schwiegervater, mit dem Appius Claudius sich nicht verstand. Immerhin sprachen sie noch miteinander, vor allem deshalb, weil Appius Claudius eine Säuberungsaktion im Senat plante, und ein Zensor nach den neuen Gesetzen, die sein eigener Bruder Publius Clodius noch als Volkstribun durchgesetzt hätte, nicht eigenmächtig jemanden aus dem Senat ausschließen oder den Status eines Ritters in den Tribus oder Zenturien ändern durfte. Clodius hatte das Vetorecht bei den Zensoren eingeführt, was hieß, daß Appius Claudius für sein Vorhaben die Zustimmung Lucius Pisos brauchte.

Die Claudii Marcelli waren nach wie vor das Zentrum der Opposition im Senat gegen Caesar und seine Anhänger, deshalb leitete der zweite Konsul Gaius Marcellus der Ältere die Sitzung — er war im Juni Träger der fasces.

»Wie wir durch die Briefe von Marcus Bibulus wissen, ist die militärische Lage in Syrien kritisch«, begann Marcellus. »Bibulus verfügt über insgesamt siebenundzwanzig Kohorten, eine lächerlich geringe Zahl. Außerdem taugen die Soldaten nicht viel, nicht einmal die aus Alexandria zurückgeholten Legionäre, und Bibulus ist in der schwierigen Situation, Soldaten befehligen zu müssen, die seine Söhne ermordet haben. Wir müssen unbedingt zusätzliche Legionen nach Syrien schicken.«

»Woher sollen wir diese Legionen nehmen?« rief Cato. »Dank Caesars rücksichtsloser Rekrutierung — in diesem Jahr waren es weitere zweiundzwanzig Kohorten — gibt es in ganz Italia und Gallia Cisalpina keine Männer mehr.«

»Dessen bin ich mir durchaus bewußt, Marcus Cato«, sagte Marcellus steif. »Doch ändert das nichts daran, daß wir mindestens zwei zusätzliche Legionen nach Syrien schicken müssen.«

Pompeius zwinkerte Metellus Scipio zu, der ihm mit selbstgefälliger Miene gegenübersaß; dank Pompeius’ Nachsicht gegenüber der Vorliebe seines Schwiegervaters für Pornographie verstanden sich die beiden blendend. Dann meldete er sich zu Wort. »Zweiter Konsul, darf ich einen Vorschlag machen?«

»Nur zu, Gnaeus Pompeius.«

Mit einem süffisanten Grinsen stand Pompeius auf. »Wenn ein Mitglied dieses Hauses jetzt vorschlagen würde, unser Dilemma dadurch zu lösen, daß wir Gaius Caesar befehlen, eine seiner vielen Legionen aufzugeben, würde unser geschätzter Volkstribun Gaius Curio wahrscheinlich sofort sein Veto dagegen einlegen. Deshalb schlage ich vor, im Rahmen der von Gaius Curio geforderten Gleichbehandlung vorzugehen.«

Cato lächelte, Curio runzelte die Stirn.

»Wenn das möglich ist, wäre ich hocherfreut, Gnaeus Pompeius«, sagte Marcellus.

»Ganz einfach.« Pompeius strahlte. »Ich schlage vor, daß ich eine meiner Legionen für Syrien stifte und Caesar dasselbe tut. Auf diese Weise wird keiner von uns benachteiligt, denn wir verzichten beide auf denselben Anteil an Soldaten. Das ist doch richtig, Gaius Curio?«

»Ja«, sagte Curio kurz.

»Und du würdest dagegen kein Veto einlegen, Gaius Curio?«

»Nein, Gnaeus Pompeius.«

»Na, wunderbar!« rief Pompeius. »Dann gebe ich hiermit dem Haus bekannt, daß ich am heutigen Tag eine meiner Legionen für Syrien stifte.«

»Und welche, Gnaeus Pompeius?« fragte Metellus Scipio, den es vor lauter Begeisterung kaum auf seinem Stuhl hielt.

»Meine Sechste, Quintus Metellus Scipio«, antwortete Pompeius.

Schweigen senkte sich über den Raum. Auch Curio war sprachlos. Bravo, du Saukerl aus Picenum, fluchte er im Stillen. Damit hast du erreicht, daß Caesar gleich zwei Legionen verliert, ohne daß ich es verhindern kann. Denn die Sechste Legion dient seit Jahren unter Caesar, der sie einmal von Pompeius geborgt und bis heute behalten hat. Aber sie gehörte ihm nicht.

»Eine glänzende Idee!« grinste Marcellus. »Ich bitte um das Handzeichen. Alle, die damit einverstanden sind, daß Gnaeus Pompeius seine Sechste Legion für Syrien stiftet, heben bitte ihre Hand.«

Selbst Curio hob die Hand.

»Und jetzt heben bitte alle die Hand, die damit einverstanden sind, daß Gaius Caesar eine seiner Legionen für Syrien stiftet.«

Wieder hob Curio die Hand.

»Dann werde ich an Gaius Caesar in Gallia Transalpina schreiben und ihn vom Beschluß dieses Hauses in Kenntnis setzen.«

»Und wer soll neuer Statthalter von Syrien werden?« fragte Cato. »Ich nehme an, die Mehrheit der eingeschriebenen Väter ist ebenfalls der Meinung, daß wir Marcus Bibulus nach Hause holen sollten.«

Sofort meldete sich Curio zu Wort. »Ich beantrage, daß wir Lucius Domitius Ahenobarbus als Nachfolger von Marcus Bibulus nach Syrien schicken.«

Ahenobarbus stand auf und schüttelte traurig den Kopf. »Das würde ich ja gern tun, Gaius Curio«, sagte er, »aber meine Gesundheit läßt leider nicht zu, daß ich nach Syrien gehe.« Er senkte das Kinn auf die Brust und präsentierte dem Senat seinen kahlen Schädel. »Dort ist die Sonne zu stark, eingeschriebene Väter. Ich würde mir das Gehirn verbrennen.«

»Dann setz einen Hut auf, Lucius Domitius«, meinte Curio vergnügt. »Was für Sulla taugte, taugt mit Sicherheit auch für dich.«

»Aber das ist ja das andere Problem, Gaius Curio«, entgegnete Ahenobarbus. »Ich kann keinen Hut tragen. Ich ertrage noch nicht einmal einen Helm. Sobald ich einen aufsetze, bekomme ich fürchterliche Kopfschmerzen.«

»Du bereitest uns fürchterliche Kopfschmerzen!« herrschte ihn der Zensor Lucius Piso an.

»Und du bist ein ungebildeter Barbar!« knurrte Ahenobarbus.

»Ruhe!« brüllte Marcellus. »Ruhe!«

Pompeius stand erneut auf. »Darf ich einen anderen Vorschlag machen, Gaius Marcellus?« fragte er demütig.

»Du hast das Wort, Gnaeus Pompeius.«

»Wir könnten zwar auf verschiedene Prätoren zurückgreifen, aber ich denke, wir stimmen alle darin überein, daß es zu riskant wäre, Syrien einem Mann anzuvertrauen, der nicht Konsul war. Dürfte ich deshalb — da auch ich der Meinung bin, daß wir Marcus Bibulus hier brauchen — vorschlagen, daß wir einen ehemaligen Konsul entsenden, auch wenn seit dem Ende seiner Amtszeit noch nicht die in meiner lex Pompeia vorgeschriebenen fünf Jahre vergangen sind? Im Lauf der Zeit wird sich die Lage wieder beruhigen, und wir werden keine derartigen Probleme mehr haben, aber gegenwärtig sollten wir meiner Ansicht nach Vorsicht walten lassen. Wenn der Senat einverstanden ist, können wir ein Ausnahmegesetz für diese Person schaffen.«

»Nun mach schon, Pompeius!« seufzte Curio. »Nenn deinen Mann beim Namen, los!«

»Also gut. Ich schlage Quintus Caecilius Metellus Pius Scipio Nascia vor.«

»Deinen Schwiegervater«, sagte Curio. »Es lebe die Vetternwirtschaft.«

»Vetternwirtschaft ist weder unredlich noch verwerflich«, rief Cato.

»Vetternwirtschaft ist ein Fluch!« schrie Marcus Antonius von der hinteren Reihe.

»Ruhe! Ich verlange Ruhe!« donnerte Marcellus. »Marcus Antonius, du hast hier als pedarius kein Rederecht!«

»Gerrae! Blödsinn!« brüllte Antonius. »Mein Vater ist der beste Beweis dafür, daß Vetternwirtschaft ein Fluch ist!«

»Marcus Antonius, sei sofort still, oder ich lasse dich aus dem Saal werfen!«

»Du und wer sonst noch?« fragte Antonius verächtlich. Er hob die Fäuste. »Na los, wer wagt es?«

»Setz dich, Antonius!« sagte Curio erschöpft.

Grinsend nahm Antonius wieder Platz.

»Metellus Scipio«, sagte Vatia Isauricus, »der kann sich doch noch nicht einmal gegen Frauen wehren.«

»Ich schlage Publius Vatinius vor!« brüllte Marcus Antonius. »Und Gaius Trebonius! Und Gaius Fabius! Und Quintus Cicero! Und Lucius Caesar! Und Titus Labienus!«

Gaius Marcellus löste die Sitzung auf.

»Wenn du erst Volkstribun bist, wirst du die anderen mit deinen Reden schockieren«, sagte Curio zu Antonius, als sie zum Palatin zurückkehrten. »Aber reize Gaius Marcellus nicht zu sehr. Er ist genauso jähzornig wie der Rest dieser Sippe.«

»Diese Bastarde! Sie haben Caesar um zwei Legionen geprellt.«

»Das war schlau eingefädelt. Ich werde ihm unverzüglich schreiben.«

Anfang Quinctilis wußte ganz Rom, daß Caesar mit seiner gewohnten Schnelligkeit die Alpen überquert hatte und mit Titus Labienus und drei Legionen in Gallia Cisalpina eingetroffen war. Zwei Legionen, die Sechste des Pompeius und Caesars Fünfzehnte, waren für Syrien bestimmt; die Fünfzehnte war eine Legion von Rekruten, die soeben eine harte Ausbildung unter Gaius Trebonius absolviert, aber keinerlei Kampferfahrung hatten. Die dritte Legion, die Caesar gehörte, sollte in Gallia Cisalpina bleiben; es handelte sich um die Dreizehnte, bestehend aus altgedienten Legionären, die stolz auf ihre Unglückszahl waren. Die Legionäre waren Caesars persönliche Klienten, Männer mit latinischem Bürgerrecht aus dem italischen Gallien jenseits des Padus.

Rom reagierte zutiefst beunruhigt. Eben noch hatte keine einzige Legion in Gallia Cisalpina gestanden, jetzt waren es plötzlich drei. Mit einem Mat begannen sich die Menschen zu fragen, ob der Senat gut daran getan hatte, einen Mann zu provozieren, der allgemein als bester Feldherr seit Gaius Marius oder vielleicht sogar als bester Feldherr aller Zeiten galt. Zwischen Caesar und Italia, zwischen ihm und Rom gab es nicht einmal eine Grenze. Und er war allen ein Rätsel. Niemand kannte ihn wirklich, zu lange war er fort gewesen. Marcus Porcius Cato verbreitete auf dem Forum, Caesar sei zum Bürgerkrieg und zum Marsch auf Rom entschlossen, er werde sich niemals von einer seiner Legionen trennen und wolle die Republik stürzen. Die Menschen hörten ihm zu und bekamen Angst, eine Angst, für die es keinerlei greifbare Gründe gab außer die — durchaus üblichen — Truppenbewegungen eines Statthalters von einer seiner Provinzen zur anderen. Zugegeben, sonst führte Caesar nicht eine Legion in ständiger Bereitschaft mit sich, und diesmal klebte die Dreizehnte regelrecht an ihm. Aber was war schon eine Legion? Wären da nicht noch die anderen beiden Legionen gewesen, die Menschen hätten weniger Angst gehabt.

Dann kam die Nachricht, daß ein junger Mann namens Appius Claudius die Sechste und die Fünfzehnte Legion ins Lager nach Capua eskortierte, wo sie auf den Abtransport nach Osten warten sollten. Ein Seufzer der Erleichterung ging durch Rom — wie hatte man vergessen können, daß die beiden Legionen Caesar gar nicht mehr gehörten? Daß er sie nach Gallia Cisalpina hatte bringen müssen? Die Götter seien gepriesen! Und die Erleichterung wuchs, als der junge Appius Claudius mit der Sechsten und Fünfzehnten um Rom herum marschierte und dem Zensor, dem Oberhaupt seiner Familie, mitteilte, daß die Soldaten beider Legionen Caesar zutiefst haßten und — wie die anderen Legionen Caesars — sogar im Begriff gewesen seien zu meutern.

»Ist das nicht schlau von dem Alten?« fragte Antonius und sah Curio an.

»Schlau? Wem sagst du das, Antonius, falls du mit dem Alten Caesar meinst. Er wird übrigens in ein paar Tagen fünfzig, was ja nun nicht gerade alt ist.« »Ich meine das ganze Gerede, daß seine Legionäre fast gemeutert hätten. Caesars Legionäre und meutern? Nie im Leben, Curio, nie! Sie würden sich ihm zu Füßen werfen und sich von ihm vollscheißen lassen, sie würden für ihn sterben bis zum letzten Mann, auch die Männer aus Pompeius’ Sechster.«

»Warum dann das Gerede?«

»Er legt sie rein, Curio, der gerissene alte Fuchs. Ich habe zufällig erfahren, daß Caesar vor der Übergabe der Sechsten und Fünfzehnten die Soldaten versammelt und ihnen erklärt hat, wie leid es ihm tue, sie gehen lassen zu müssen. Dann gab er jedem Mann eine Prämie von tausend Sesterzen, versprach, daß sie ihren Anteil an der Beute noch erhalten würden und bedauerte sie, weil sie von nun an wieder nur den üblichen Sold bekommen würden.«

»Ein gerissener alter Fuchs, wahrhaftig!« rief Curio. Doch plötzlich fröstelte er und sah Antonius besorgt an. »Antonius, er würde doch nicht — oder etwa doch?«

»Was denn?« Antonius zwinkerte einem hübschen Mädchen zu.

»Nach Rom marschieren.«

»Doch, wir glauben alle, daß er es tun würde, wenn man ihn dazu zwingt«, sagte Antonius beiläufig.

»Wir alle?«

»Seine Legaten. Trebonius, Decimus Brutus, Fabius, Sextius, Sulpicius und Hirtius.«

Curio brach der kalte Schweiß aus. Zitternd fuhr er sich mit der Hand über die Stirn.

»Beim Jupiter! Antonius, hör sofort auf, den Frauen nachzustarren, und komm zu mir nach Hause!«

»Warum denn?«

»Damit ich endlich anfangen kann, dir ernsthaft etwas beizubringen, du Trottel! Es liegt an mir und dann an dir, zu verhindern, daß Caesar nach Rom marschieren muß.«

»Du hast recht, wir müssen erreichen, daß er in absentia für das Konsulat kandidieren kann. Ansonsten wird es von Rhegium bis Aquileia ein schönes Schlamassel gehen.«

»Wenn Cato und seine Parteigänger doch nur den Mund halten würden, dann hätten wir vielleicht eine Chance.« Curio rannte inzwischen fast.

»Dazu sind sie zu dumm«, sagte Antonius verächtlich.

Im Quinctilis wurden dreierlei Wahlen abgehalten. Marcus Antonius bekam bei der Wahl der Volkstribunen die meisten Stimmen, ein Ergebnis, das die boni allerdings nicht im geringsten beeindruckte. Curio hatte die ganzen Jahre hindurch stets hervorragendes Können bewiesen, während alles, was Marcus Antonius jemals gezeigt hatte, der Umriß seines gewaltigen Penis unter einer enganliegenden Tunika gewesen war. Wenn Caesar tatsächlich hoffte, Curio durch Antonius ersetzen zu können, mußte er, so das einhellige Urteil der boni, verrückt sein. Neben Marcus Antonius wurden Gaius Cassius Longinus, der sich nach wie vor im Ruhm seiner in Syrien vollbrachten Heldentaten sonnte, und sein jüngerer Bruder Quintus Cassius Longinus zu Volkstribunen gewählt. Während jedoch Gaius Cassius, wie es sich für den Mann von Brutus’ Schwester gehörte, ein überzeugter Anhänger der boni war, gehörte Quintus Cassius hundertprozentig zu Caesar. Die Konsuln für das kommende Jahr waren beide boni; Gaius Claudius Marcellus der Jüngere würde Erster, Lucius Cornelius Lentulus Crus Zweiter Konsul werden. Die Prätoren unterstützten größtenteils Caesar, mit Ausnahme von Catos Geschöpf Marcus Favonius, der die wenigsten Stimmen erhielt.

Metellus Scipio wurde zum Nachfolger Bibulus’ in Syrien ernannt, obwohl Curio und Antonius, der als gewählter Volkstribun mittlerweile Rederecht im Senat besaß, das zu verhindern suchten. Der ehemalige Prätor Publius Sestius ging als Nachfolger Ciceros nach Kilikien; er nahm als obersten Legaten Marcus Junius Brutus mit.

»Wie kannst du Rom nur in einer solchen Zeit verlassen?« wollte Cato mißmutig von Brutus wissen.

Brutus sah ihn wie gewöhnlich zerknirscht an, aber sogar Cato wußte inzwischen, daß Brutus sich nie von seinen Plänen abbringen ließ. »Ich muß gehen, Onkel Cato«, sagte er entschuldigend.

»Warum?«

»Weil Cicero als Statthalter von Kilikien fast alle meine finanziellen Beteiligungen in dieser Gegend ruiniert hat.«

»Brutus!« rief Cato aufgebracht. »Du hast mehr Geld als Pompeius und Caesar zusammen! Was sind schon ein oder zwei Außenstände, verglichen mit dem Schicksal Roms? Ich sage dir: Caesar will die Republik stürzen! Wir brauchen jeden Mann, um dem, was Caesar bis zu den Konsulatswahlen im nächsten Jahr tun wird, entgegenzutreten. Es ist deine Pflicht, in Rom zu bleiben, statt dich in Kilikien, Zypern, Kappadokien oder wo immer man dir Geld schuldet, herumzutreiben! Du bist ja noch schlimmer als Marcus Crassus!«

»Tut mir leid, Onkel, aber ich habe Klienten wie Matinius und Scaptius, die dadurch geschädigt wurden. Die oberste Pflicht eines Mannes ist die Sorge für seine Klienten.«

»Nein, die Sorge für sein Land.«

»Rom ist nicht in Gefahr.«

»Rom steht am Rande des Bürgerkriegs!«

»Das behauptest du schon die ganze Zeit«, seufzte Brutus. »Aber ich glaube dir nicht. Du bildest dir das ein, Onkel Cato, wirklich.«

Cato funkelte seinen Neffen zornig an. »Gerrae! In Wirklichkeit gehst du doch gar nicht wegen deiner Klienten oder wegen unbezahlter Schulden, Brutus. Du willst abhauen, um dich vor dem Militärdienst zu drücken, so wie du es dein Leben lang getan hast!«

Brutus erbleichte. »Das stimmt nicht!« keuchte er.

»Das glaube ich dir nicht. Du bist nie dort, wo die entfernte Möglichkeit besteht, daß ein Krieg ausbricht.«

»Wie kannst du das behaupten? Die Parther werden wahrscheinlich im Osten angreifen, noch bevor ich dort bin!«

»Die Parther werden in Syrien, nicht in Kilikien einfallen, genau wie im letzten Sommer, auch wenn Cicero in den Briefen, die er bergeweise nach Hause geschickt hat, immer etwas anderes behauptet hat! Solange wir Syrien nicht verlieren, und das glaube ich nicht, bist du in Tarsus genauso sicher wie in Rom. Nur daß Rom von Caesar bedroht wird.«

»Und das ist ebenfalls Quatsch, Onkel. Du erinnerst mich an die Frau von Scaptius, die ihre Kinder so sehr bemuttert und behütet hat, bis sie alle Hypochonder waren. Ein roter Fleck war sofort Krebs, Kopfschmerzen waren der Beweis einer furchtbaren Krankheit im Kopf, und Magenzwicken war der Beginn einer Lebensmittelvergiftung oder Sommergrippe. Bis sie mit ihrem Gegackere die Göttin des Schicksals herausforderte und einer ihrer Söhne starb. Aber nicht an einer Krankheit, sondern durch ihre Unachtsamkeit. Statt auf ihn achtzugeben, hatte sie nur Augen für die Marktstände, und er geriet unter die Räder eines Fuhrwerks.«

»Eine wirklich interessante Geschichte, Brutus«, sagte Cato aufgebracht. »Bist du sicher, daß Scaptius’ Frau nicht in Wirklichkeit deine Mutter ist, die ohne Frage aus dir einen Hypochonder gemacht hat?«

Brutus’ traurige braune Augen funkelten gefährlich. Wortlos drehte er sich um und ging weg, allerdings nicht nach Hause. Heute war der Tag, an dem er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, Porcia einen Besuch abzustatten.

Als Porcia von dem Streit hörte, stieß sie einen tiefen Seufzer aus und schlug die Hände zusammen. »Ach Brutus, tata ist manchmal so jähzornig. Nimm es ihm bitte nicht übel! Er wollte dich bestimmt nicht kränken. Er ist manchmal einfach so — so aggressiv. Wenn er sich einmal in etwas verbissen hat, kann er nicht mehr lockerlassen. Caesar ist seine Obsession.«

»Das könnte ich deinem Vater ja noch verzeihen, Porcia, aber nicht seinen Dogmatismus!« Brutus war noch immer verärgert. »Die Götter wissen, daß ich Caesar weder liebe noch schätze, aber er versucht doch nur, politisch zu überleben. Ich könnte ein halbes Dutzend anderer aufzählen, die genau dasselbe getan haben, ohne daß sie nach Rom marschiert sind. Denk doch nur an Lucius Piso, als der Senat ihm die Befehlsgewalt über Makedonien entzog.«

Porcia sah ihn überrascht an. »Aber Brutus, das kannst du doch nicht vergleichen! Du bist so begriffsstutzig, wenn es um Politik geht! Warum kannst du politische Zusammenhänge nicht ähnlich klar wie finanzielle durchschauen?«

Starr vor Ärger stand er auf. »Wenn jetzt auch du mich bekehren willst, Porcia, gehe ich!«

»Ach nein! Bitte!« Voller Reue ergriff sie seine Hand und drückte sie an ihre Wange. Tränen schimmerten in ihren weit aufgerissenen grauen Augen. »Verzeih mir! Geh nicht weg! Bitte!«

Besänftigt entzog er ihr die Hand und setzte sich wieder. »Na gut. Aber du mußt endlich einsehen, wie begriffsstutzig du bist, Porcia. Du willst nicht hören, daß Cato unrecht hat, dabei weiß ich, daß das öfters der Fall ist, zum Beispiel bei seiner gegenwärtigen Kampagne gegen Caesar auf dem Forum. Was glaubt er eigentlich, was er damit erreicht? Er bewirkt, daß die Leute Angst bekommen, obwohl Caesar ihnen dazu gar keinen Anlaß gibt. Denk doch nur an die Panik wegen der drei Legionen, mit denen Caesar über die Alpen kam. Er mußte sie mitbringen! Und zwei davon hat er sofort nach Capua geschickt. Während dein Vater laut verkündete, Caesar werde sie nie abgeben. Er hatte unrecht, Porcia! Er hatte unrecht! Caesar tat genau das, was der Senat angeordnet hatte.«

»Ja, ich gebe zu, daß tata dazu neigt, Dinge zu übertreiben«, sagte Porcia und schluckte. »Aber streite nicht mit ihm, Brutus.« Eine Träne tropfte auf ihre Hand. »Ich wünschte, du würdest nicht fortgehen!«

»Ich gehe ja noch nicht morgen«, sagte er sanft. »Und wenn ich aufbreche, ist Bibulus wieder zu Hause.«

»Ja, natürlich«, sagte sie dumpf. Dann begann sie plötzlich zu strahlen und klatschte sich mit den Händen auf die Knie. »Sieh dir das an, Brutus. Ich habe mich mit Fabius Pictor beschäftigt, und ich glaube, ich bin auf etwas sehr Merkwürdiges gestoßen. Und zwar in dem Abschnitt, wo er über den Auszug der Plebs auf den Aventin schreibt.«

Aha, das klang schon besser! Erleichtert wandte Brutus seine Aufmerksamkeit dem Buch zu, wobei sein Blick allerdings häufiger auf Porcias munterem Gesicht als auf dem Text von Fabius Pictor ruhte.

Die Gerüchte verstummten freilich nicht, sondern verstärkten sich noch. Glücklicherweise brachte der Frühling, der mit dem kalendarischen Sommer zusammenfiel, in diesem Jahr heitere Tage. Es fiel weder zu viel noch zu wenig Regen, die Sonne schien angenehm warm, und die Vorstellung, Caesar würde in Gallia Cisalpina wie eine Spinne darauf lauern, sich auf Rom zu stürzen, schien unwirklich. Das einfache Volk hatte sowieso keine derartigen Sorgen; es betete Caesar an, gab eher dem Senat die Schuld an Caesars Verstimmung und glaubte, daß alles schon wieder ins Lot kommen würde. Den mächtigen Rittern der achtzehn obersten Zenturien gingen die Gerüchte jedoch entschieden unter die Haut. Ihr Interesse galt nur dem Geld, und deshalb ließ der geringste Hinweis auf Bürgerkrieg ihnen die Haare zu Berge stehen.

Die Bankiers, die Caesar unterstützten — Balbus, Oppius und Rabirius Postumus — machten unermüdlich für ihn Stimmung, hielten Reden, beschwichtigten unterschwellige Ängste und versuchten Plutokraten wie Titus Pomponius Atticus davon zu überzeugen, daß Caesar unmöglich ein Interesse an einem Bürgerkrieg haben könne, daß Cato und die Marcelli unverantwortlich handelten, wenn sie Caesar Motive unterstellten, die seinem tatsächlichen Verhalten widersprachen, und daß Cato und die Marcelli Rom und seiner Wirtschaft mit ihren Verdächtigungen mehr schadeten als alles, was Caesar im Interesse seiner Karriere und seiner dignitas unternehmen würde. Er sei ein verfassungstreuer Mensch, sei es immer gewesen: Weshalb sollte er plötzlich die Verfassung brechen wollen? Hatten Cato und die Marcelli auch nur einen einzigen greifbaren Beweis dafür? Nein, denn es gab keinen. Benutzten Cato und die Marcelli Caesar nicht vielmehr als Mittel zum Zweck, um Pompeius zum Diktator zu machen? War es nicht Pompeius, der sich am Rande der Legalität bewegte? Strebte nicht Pompeius nach der Diktatur? Wer hatte denn in der Vergangenheit mehr Machtgier gezeigt, Caesar oder Pompeius? Wer stellte die wahre Gefahr für die Republik dar, Caesar oder Pompeius?

Indessen wurde Pompeius, der auf Urlaub in seiner Villa an der kampanischen Küste nahe Neapolis weilte, krank — sterbenskrank, wie es hieß. Zahlreiche Senatoren und Ritter pilgerten unverzüglich zu seiner Villa, wo sie von einer sehr gefaßten Cornelia Metella empfangen, mit präzisen Angaben zum Gesundheitszustand ihres Mannes versorgt und mit der entschiedenen Ablehnung eines Krankenbesuches abgefertigt wurden.

»Bedaure, Titus Pomponius«, sagte sie zu Atticus, der sich als einer der ersten einfand. »Die Ärzte haben jeglichen Besuch verboten. Mein Mann kämpft um sein Leben, und dazu braucht er jetzt all seine Kraft.«

»Das ist ja schrecklich«, keuchte Atticus entsetzt. »Der gute Gnaeus Pompeius ist für uns unersetzlich, Cornelia!«

Dabei hatte er eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen. Er hatte Pompeius fragen wollen, inwieweit er hinter der Hetzkampagne des Senats gegen Caesar steckte. Der steinreiche Atticus mußte Pompeius unbedingt erklären, welch fatale Auswirkung es auf das Geld hatte, wenn die Senatoren ihren politischen Gegner weiterhin mit Schmutz bewarfen. Pompeius, der selbst reich war, verstand nämlich nichts vom Umgang mit Geld. Sein Geld wurde für ihn verwaltet; es lag auf einer Bank oder war wie bei Senatoren üblich in Grundbesitz angelegt. Brutus an seiner Stelle hätte die reizbaren boni längst zum Schweigen gebracht, denn ihr Geschrei verschreckte das Geld. Und das war für Atticus ein Alptraum. Das Geld verschwand, wurde an unzugänglichen Orten in Sicherheit gebracht, war nicht mehr zu sehen und arbeitete nicht mehr. Irgend jemand mußte den boni klarmachen, daß sie mit Roms Lebenselixier spielten — mit dem Geld.

So aber blieb ihm nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge abzuziehen, wie alle anderen, die nach Neapolis gekommen waren.

Pompeius saß indessen unerreichbar für Augen und Ohren seiner Besucher in einem Zimmer seiner Villa und dachte nach. Je höher er in Rom aufstieg, desto weniger echte Freunde schien er zu haben. Gegenwärtig war sein einziger Trost sein Schwiegervater Metellus Scipio, mit dem er die List seiner schweren Krankheit ausgeheckt hatte.

»Ich muß herausfinden, was die Menschen von mir denken und was sie für mich empfinden«, hatte er zu Metellus Scipio gesagt.

»Werde ich gebraucht? Werde ich geliebt? Bin ich noch der Erste Mann? Cornelia macht eine Liste von allen Besuchern, die nach mir fragen, zusammen mit einem Bericht über das, was sie sagen. So erfahre ich, was ich wissen muß.«

Der Verstand von Metellus Scipio zeichnete sich bedauerlicherweise nicht durch besonderen Scharfsinn aus, so daß ihm nicht einfiel, Pompeius darauf hinzuweisen, daß natürlich alle Besucher überschwenglich von tiefer Zuneigung zu ihm sprechen würden, was aber nicht der Wahrheit entsprechen mußte. Genausowenig wäre ihm in den Sinn gekommen, daß mindestens die Hälfte der Besucher Pompeius den Tod wünschten.

So vergnügten sich die beiden damit, Cornelia Metellas Liste zu lesen, Würfel, Dame und Domino zu spielen und getrennt ihren verschiedenen Interessen nachzugehen. Pompeius las — nicht gerade mit Vergnügen — immer wieder Caesars Bücher über den gallischen Krieg. Dieser verdammte Kerl war nicht nur ein militärisches Genie, er verfügte auch über ein Selbstbewußtsein, wie Pompeius es nie besessen hatte. Caesar raufte sich bei einem Rückschlag nicht die Haare und zog sich verzweifelt in sein Feldherrnzelt zurück, er machte einfach weiter. Und warum hatte ausgerechnet er so hervorragende Legaten? Wären Afranius und Petreius in Spanien nur halb so fähige Männer wie Trebonius oder Fabius oder Decimus Brutus gewesen — Pompeius hätte hoffnungsfroher in die Zukunft geblickt. Metellus Scipio dagegen vertrieb sich seine Freizeit damit, ergötzliche kleine Stücke mit nackten Schauspielern und Schauspielerinnen zu verfassen, bei denen er dann selbst Regie führte.

Pompeius’ schwere Krankheit dauerte einen Monat. Dann, Mitte Sextilis, schlüpfte Pompeius in eine Sänfte und begab sich zu seiner Villa auf dem Marsfeld. Die Nachricht von seinem bedenklichen Zustand hatte sich herumgesprochen, und so wurde er überall von seinen Klienten begrüßt (da er nicht wirklich krank werden wollte, nahm er den gesünderen Weg über die Via Latina im Landesinnern). Sie strömten in Scharen herbei, um ihn zu begrüßen, und wenn er den Kopf durch den Vorhang seiner Sänfte steckte, matt lächelte und kraftlos winkte, ließen sie ihn hochleben. Da er ungern in einer Sänfte reiste, beschloß er, die Reise bei Nacht fortzusetzen, damit er einige der endlosen, langweiligen Stunden wenigstens schlafen konnte. Doch wie er glücklich überrascht feststellen mußte, kamen die Menschen weiterhin, um ihn zu begrüßen und hochleben zu lassen, und ihre Fackeln machten seine Reise zu einem Triumphzug.

»Wahrhaftig!« sagte er freudestrahlend zu Metellus Scipio, mit dem er die geräumige Sänfte teilte (Cornelia Metella, die keine Lust hatte, sich ständig Pompeius’ amouröser Annäherungsversuche erwehren zu müssen, hatte es vorgezogen, allein zu reisen). »Sie lieben mich, Scipio! Sie lieben mich wirklich! Es stimmt, was ich immer gesagt habe!«

»Und was hast du gesagt?« fragte Metellus Scipio gähnend.

»Daß ich, wenn ich in Italia Truppen aufstellen will, nichts weiter tun muß, als mit dem Fuß aufzustampfen.«

»Hm«, brummte Metellus Scipio und schlief ein.

Pompeius schlief nicht. Er zog die Vorhänge so weit zur Seite, daß man ihn sehen konnte, lehnte sich mit dem Rücken an einen Berg von Kissen und lächelte und winkte Meile für Meile. Es stimmte wahrhaftig! Das Volk von Italia liebte ihn. Weshalb also sollte er Caesar fürchten? Caesar hatte keine Chance, selbst wenn er so dumm war und nach Rom marschierte. Was er natürlich nicht tun würde. Tief im Innersten wußte Pompeius nur zu gut, daß solche Methoden nicht zu Caesar paßten. Statt dessen würde Caesar im Senat und auf dem Forum kämpfen — und, wenn die Zeit kam, vor Gericht. Denn Caesar mußte zu Fall gebracht werden. Darin stimmte Pompeius mit den boni überein; er wußte, daß Caesars Laufbahn als Feldherr noch keineswegs beendet war und daß Caesar, wenn man ihn nicht daran hinderte, ihn, Pompeius, weit hinter sich lassen und zuletzt Caesar der Große heißen würde — ohne daß er sich diesen Beinamen selbst geben mußte.

Woher er das wußte? Weil Titus Labienus, der in aller Bescheidenheit hoffte, daß sein Gönner Gnaeus Pompeius Magnus ihm den bedauerlichen Ausrutscher mit Murcia Tertia längst verziehen hatte, ihm geschrieben hatte. Caesar, schrieb er, habe sich inzwischen gegen ihn gestellt — aus Neid natürlich. Caesar ertrage nun einmal niemanden neben sich, der eigenverantwortlich handle und so erfolgreich wie Titus Labienus sei. Folglich würde es auch nicht zu dem versprochenen gemeinsamen Konsulat mit Caesar kommen. Caesar habe ihm bei der Überquerung der Alpen Richtung Gallia Cisalpina mitgeteilt, daß er ihn nach dem Ende seiner Statthalterschaft in Gallien sofort fallen lassen würde. Einen Marsch auf Rom habe Caesar allerdings nie ernstlich in Erwägung gezogen, das wisse er, Titus Labienus, genau. Caesar habe nie den Wunsch erkennen lassen, die Regierung zu stürzen, noch habe einer seiner Legaten von Trebonius bis Hirtius entsprechende Andeutungen gemacht. Nein — alles, was Caesar wolle, sei ein zweites Konsulat und anschließend im Osten einen erfolgreichen Feldzug gegen die Parther, um seinen toten Freund Marcus Licinius Crassus zu rächen.

Pompeius hatte während seiner selbstauferlegten Isolation, von der nur Metellus Scipio ausgenommen war, lange über dieses Schreiben nachgedacht. Seinem Schwiegervater hatte er nichts davon gesagt.

Verpa! Cunnus! Mentula! schimpfte Pompeius, während ein brutales Grinsen um seine Lippen spielte. Wie konnte Titus Labienus glauben, er wäre so wichtig, daß ihm verziehen würde? Nichts war ihm verziehen worden, und nichts würde ihm je verziehen werden, dem Ehebrecher! Andererseits könnte er sich noch als sehr nützlich erweisen. Afranius und Petreius wurden alt und waren ihren Aufgaben immer weniger gewachsen. Warum sollte er sie nicht einfach durch Titus Labienus ersetzen, der es genau wie sie niemals mit Pompeius dem Großen würde aufnehmen können und der sich nie würde Labienus der Große nennen dürfen?

Ein Feldzug im Osten gegen die Parther... Darauf also zielte Caesars Ehrgeiz! Klug, wirklich klug. Caesar wollte sich nicht in Rom aufreiben lassen, sondern statt dessen als Roms größter Feldherr aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Nach der Eroberung von Gallia Comata wollte er die Parther besiegen und den Provinzen des römischen Reichs riesige neue Gebiete hinzufügen. Wie konnte er, Pompeius, sich damit messen? Hatte er sich doch darauf beschränkt, über römisches oder römisch verwaltetes Gebiet zu marschieren und gegen alte Feinde Roms, Männer wie Mithridates und Tigranes, zu kämpfen. Dagegen war Caesar ein Neuerer. Er ging in Gegenden, die vor ihm noch kein Römer betreten hatte. Und mit Caesar als Oberbefehlshaber von elf — nein, neun ihm blind ergebenen Legionen würde es keine Niederlage wie bei Carrhae geben. Caesar würde die Parther haushoch schlagen. Er würde ins ferne Serica ziehen, von Indien ganz zu schweigen! Er würde Länder betreten und Völker zu Gesicht bekommen, deren Existenz nicht einmal Alexander der Große in seinen kühnsten Träumen geahnt hatte. Er würde König Orodes nach Rom bringen und in seinem Triumphzug mitführen. Und Rom würde ihn anbeten.

Nein, Caesar mußte verschwinden. Man mußte ihm seine Armee und seine Provinzen wegnehmen und ihn so oft vor Gericht verurteilen, daß er sich in Italia nie wieder blicken lassen konnte. Labienus, der ihn kannte und neun Jahre an seiner Seite gekämpft hatte, meinte, Caesar würde niemals nach Rom marschieren, eine Einschätzung, die sich mit Pompeius’ eigener deckte. Deshalb beschloß er, aufgerichtet durch den begeisterten Jubel der Menschen über seine Genesung, nichts zu unternehmen, um die boni in Gestalt von Cato und den Marcelli zurückzuhalten. Sollten sie ruhig weitermachen. Und überhaupt, warum sollte man ihnen nicht helfen, indem man sowohl unter den Reichen wie im Senat einige Gerüchte ausstreute? Etwa, daß Caesar seine anderen Legionen über die Alpen nach Gallia Cisalpina bringen wollte, um mit ihnen nach Rom zu marschieren! Von Panik erfaßt, würde Rom Caesar jede Bitte abschlagen! Und zuletzt würde der hochmütige Patrizier, dessen Stammbaum angeblich bis zur Göttin Venus zurückreichte, sich höchst würdevoll für immer ins Exil zurückziehen müssen.

In der Zwischenzeit, dachte Pompeius, würde er den Zensor Appius Claudius aufsuchen und ihm zu verstehen geben, daß es das sicherste wäre, die meisten von Caesars Anhängern aus dem Senat zu vertreiben. Appius Claudius würde sich das nicht zweimal sagen lassen — und zu weit gehen, denn zweifellos würde er auch versuchen, Curio auszuschließen. Dagegen würde der andere Zensor Lucius Piso sein Veto einlegen; gegen den Ausschluß der weniger wichtigen Senatoren würde der träge Piso dagegen kaum tätig werden.

Anfang Oktober schrieb Labienus, Caesar habe Gallia Cisalpina verlassen und sich mit der gewohnten Schnelligkeit auf den langen Weg zur Festung Nemetocenna im Land der belgischen Atrebaten gemacht, wo Trebonius mit der Fünften, Neunten, Zehnten und Elften Legion einquartiert sei. Trebonius habe Caesar durch einen Eilkurier mitgeteilt, daß die Belgen einen neuen Aufstand planten.

Pompeius rieb sich die Hände. Er würde, während Caesar tausend Meilen von Rom entfernt war, mit Hilfe seiner Handlanger unzählige Gerüchte in Rom verbreiten, je verrückter, desto besser. Und so hörten Atticus und andere plötzlich, Caesar werde an den Iden des Oktober vier Legionen über die Alpen nach Placentia führen und sie dort stationieren; er wolle Druck auf den Senat ausüben, damit dieser die Finger von seinen Provinzen ließ, wenn an den Iden des November erneut darüber verhandelt wurde.

Ganz Rom wisse, schrieb Atticus in einem Eilbrief an Cicero, der auf dem Rückweg von Kilikien in Ephesus eingetroffen war, daß Caesar sich weigern würde, seine Armee abzugeben.

In heller Panik eilte Cicero über das Ägäische Meer nach Athen, wo er an den Iden des Oktober eintraf. Von dort schrieb er Atticus, daß er lieber an Pompeius’ Seite untergehen wolle, als mit Caesar zu siegen.

Verwundert starrte Atticus Ciceros Brief an und lachte bitter. Was für eine seltsame Formulierung! Glaubte Cicero das wirklich? Glaubte er allen Ernstes, daß Pompeius und alle staatstreuen Römer in einem Bürgerkrieg keine Chance gegen Caesar hatten? Diese Meinung konnte er nur von seinem Bruder Quintus Cicero übernommen haben, der lange Jahre unter Caesar im Land der langhaarigen Gallier gedient hatte. Aber wenn Quintus Cicero das glaubte, wäre es dann nicht klüger, alles zu vermeiden, was Caesar auf den Gedanken bringen könnte, Atticus sei sein Gegner?

Die folgenden Tage verbrachte Atticus damit, seine Finanzen neu zu ordnen und seine Mitarbeiter zu instruieren. Anschließend reiste er nach Kampanien, um Pompeius aufzusuchen, der wieder in seiner neapolitanischen Villa weilte. Rom schwirrte noch immer vor Gerüchten über die vier in Placentia stationierten Veteranenlegionen — obwohl alle Römer, die Verwandte oder Bekannte in Placentia hatten, von diesen hörten, daß nirgendwo in der Nähe von Placentia Legionen zu sehen seien.

Pompeius äußerte sich zu Caesar nur sehr vage und wollte sich auf keine Meinung festlegen. Seufzend wechselte Atticus das Thema — nachdem er sich im Stillen vorgenommen hatte, weiterhin auf seinen gesunden Menschenverstand zu vertrauen und alles zu vermeiden, was Caesar reizen konnte — und erging sich statt dessen in Lobeshymnen über Ciceros Statthalterschaft in Kilikien. Wobei er nicht einmal übertrieb, denn der Stubenhocker Cicero hatte seine Sache in der Tat sehr gut gemacht, angefangen bei einer gerechten und vernünftigen Reform des kilikischen Finanzwesens bis hin zu einem profitablen kleinen Feldzug. Pompeius nickte zu allem; auf seinem runden, fleischigen Gesicht lag ein gnädiger Ausdruck. Was Pompeius wohl sagen würde, wenn er ihm erzählte, daß Cicero lieber mit ihm untergehen als mit Caesar siegen wollte, überlegte Atticus boshaft. Laut sprach er von Ciceros Anspruch auf einen Triumphzug für seine Siege in Kappadokien und im Amanus-Gebirge, worauf Pompeius in freundlichem Ton bekräftigte, daß Cicero sich den Triumphzug redlich verdient habe und er im Senat dafür stimmen werde.

Daß Pompeius an der entscheidenden Senatssitzung an den Iden des November nicht teilnahm, war bezeichnend für ihn; er rechnete nicht mit einem Sieg des Senats und ersparte sich lieber die persönliche Demütigung, wenn Curio wieder die Gleichbehandlung von Caesar und Pompeius forderte. Pompeius sollte recht behalten, der Senat kam keinen Schritt weiter, die Lage blieb weiter ungeklärt, und wenn Curios hartnäckiges Gekläff einmal verstummte, ertönte sofort das rechthaberische Gebell von Marcus Antonius.

Die Ritter und unter ihnen besonders die, die aufgrund ihres hohen Ranges zu einer der ersten achtzehn Zenturien gehörten, standen dem Hin und Her mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber, liefen sie doch Gefahr, im Falle eines Bürgerkriegs am meisten zu verlieren. Ihre Geschäfte würden zusammenbrechen, Schulden könnten nicht mehr eingetrieben werden, und Investitionen in Übersee wären früher oder später nicht mehr kontrollierbar. Das Schlimmste war die Ungewißheit: Wer hatte recht, wer sagte die Wahrheit? Standen wirklich vier Legionen in Gallia Cisalpina? Wenn ja, warum hatte sie dann niemand gesehen? Und wenn nein, warum wurde das nicht öffentlich klargestellt? Ging es Leuten wie Cato und den Marcelli einzig und allein darum, Caesar eine Lektion zu erteilen? Und was für eine Lektion überhaupt? Was genau hatte Caesar eigentlich verbrochen? Was geschah mit Rom, wenn man Caesar in absentia für das Konsulat kandidieren ließ und nicht des Hochverrats anklagte, wie die boni es unbedingt wollten? In Rom würde alles beim alten bleiben. Wohingegen ein Bürgerkrieg die größte Katastrophe wäre. Und wie es aussah, würde dieser Bürgerkrieg nur um eines Prinzips willen geführt werden. Für einen Geschäftsmann gab es aber nichts Unverständlicheres und Unwichtigeres als ein Prinzip. Deswegen einen Krieg führen? Wahnsinn! Also begannen die Ritter, Druck auf empfängliche Senatoren auszuüben; sie sollten Caesar entgegenkommen.

Aber auch wenn viele Senatoren geneigt waren, der finanzkräftigen Lobby Gehör zu schenken, die Hardliner unter den boni waren es nicht; Geld bedeutete für Cato oder die Marcelli nichts, verglichen mit dem schweren Verlust von Prestige und Einfluß, den sie in aller Augen erleiden würden, wenn Caesar den Kampf um Gleichbehandlung mit Pompeius gewann. Wo stand überhaupt Pompeius, der in Kampanien noch immer dem Müßiggang frönte? Alles deutete auf ein Bündnis mit den boni, aber nicht wenige glaubten, dieses Bündnis ließe sich sprengen, wenn man Pompeius lange genug bearbeitete.

Ende November verließ der neue Statthalter Kilikiens, Publius Sestius, gemeinsam mit seinem ersten Legaten Brutus Rom. Brutus’ Abreise hinterließ im Leben seiner Cousine Porcia eine trostlose Leere, was sich vom Leben seiner Frau Claudia, die ihn kaum zu Gesicht bekam, nicht behaupten ließ. Und Servilia war mit ihrem Schwiegersohn Gaius Cassius wesentlich enger befreundet, als sie es jemals mit ihrem Sohn gewesen war; Cassius entsprach ihrer Vorliebe für Tatmenschen, für Männer, die als Soldaten glänzten. Aus diesem Grund setzte sie auch die Liaison mit Lucius Pontius Aquila diskret fort.

»Ich bin sicher, daß ich Bibulus auf dem Weg nach Osten begegne«, sagte Brutus zu Porcia, als er sich von ihr verabschiedete. »Er ist in Ephesus und wird dort wahrscheinlich abwarten, was in Rom passiert — ich meine, was Caesar macht.«

Porcia weinte bitterlich, obwohl sie wußte, daß sich das nicht gehörte. »Ach Brutus, wie soll ich es hier aushalten, wenn ich dich nicht mehr zum Reden habe? Außer dir ist niemand nett zu mir! Immer wenn ich Tante Servilia begegne, nörgelt sie an meiner Kleidung und meinem Aussehen herum, und immer wenn ich Papa sehe, ist er zwar körperlich anwesend, aber in Gedanken bei Caesar, Caesar und noch einmal Caesar. Und Tante Porcia hat nie Zeit, weil sie zu beschäftigt mit ihren Kindern und Lucius Domitius ist. Du dagegen warst immer so nett, so liebevoll. Wie werde ich dich vermissen!«

»Aber Marcia ist doch jetzt wieder bei deinem Vater, Porcia. Das ändert bestimmt einiges. Sie ist kein herzloser Mensch.«

»Das weiß ich ja selbst«, heulte Porcia und zog trotz des Taschentuchs von Brutus, mit dem sie ständig herumfuchtelte, laut die Nase hoch. »Aber sie hat immer nur Augen für Papa, genau wie damals, als sie das erste Mal verheiratet waren. Ich existiere überhaupt nicht für sie. Niemand existiert für sie, außer Papa!« Sie schluchzte immer heftiger. »Brutus, ich will, daß mich auch jemand liebt! Aber keiner tut es! Keiner!«

»Was ist mit Lucius?« fragte er mit zugeschnürter Kehle. Wußte er nicht genau, wie ihr zumute war, er, der auch nie geliebt worden war? Die Mißgeburten und die Häßlichen wurden verachtet, auch von denen, die sie trotz ihrer Mängel hätten lieben müssen.

»Lucius wird älter, er entfernt sich von mir.« Porcia wischte sich die Tränen fort. »Ich verstehe das und würde es nie mißbilligen. Es ist völlig normal, daß er sich ändert. Seit einigen Monaten zieht er die Gesellschaft meines Vaters der meinen vor. Politik ist ihm wichtiger als Kinderspiele.«

»Aber bald ist Bibulus wieder zu Hause.«

»Wirklich? Glaubst du das wirklich, Brutus? Warum denke ich dann immer, ich sehe ihn nie wieder?«

Brutus stellte fest, daß auch er dieses Gefühl hatte. Warum, wußte er nicht. Außer, daß Rom plötzlich ein unerträglicher Ort schien, ein Ort, an dem etwas Schreckliches passieren würde. Die Menschen dachten nur noch an sich und ihre kleinlichen Ziele, nicht mehr an Rom. Das galt auch für Cato. Caesar zu stürzen war das einzige, was für ihn zählte.

Er nahm Porcias Hand, küßte sie und ging.

An den Kalenden des Dezember berief Gaius Scribonius Curio den Senat zu einer Sitzung ein. Gaius Marcellus der Ältere war in diesem Monat Inhaber der fasces, was, wie Curio wußte, von Nachteil war: Da Pompeius in seiner Villa auf dem Marsfeld weilte, wurde die Versammlung in seiner Curia abgehalten, einem Ort, der Curio überhaupt nicht zusagte. Hoffentlich gewinnt Caesar, dachte er, als die Sitzung eröffnet wurde; Caesar wäre wenigstens bereit, die Curia Hostilia wieder aufzubauen.

»Ich will es kurz machen«, sagte er zu den versammelten Senatoren. »Ich bin das ergebnislose Hin und Her genauso leid wie ihr. Aber solange ich im Amt bin, werde ich weiter jedesmal mein Veto einlegen, wenn der Senat Maßnahmen gegen Gaius Julius Caesar ergreifen will, die nicht gleichzeitig für Gnaeus Pompeius Magnus gelten. Deshalb werde ich jetzt einen Antrag stellen und darauf bestehen, daß darüber abgestimmt wird. Wenn Gaius Marcellus versucht, mich daran zu hindern, verfahre ich so mit ihm, wie es Volkstribunen tun, die an der Ausübung ihrer Pflichten gehindert werden — ich lasse ihn vom Tarpejischen Felsen stürzen. Und das meine ich ernst! Jedes Wort! Wenn ich zu meiner Hilfe die Hälfte der Plebs aufrufen muß — die sich übrigens draußen im Säulengarten versammelt hat, eingeschriebene Väter —, werde ich das tun! Laß dir das eine Warnung sein, Zweiter Konsul! Ich will, daß das Haus über meinen Antrag abstimmt.«

Marcellus saß mit zusammengepreßten Lippen auf seinem Amtsstuhl und schwieg. Curio machte nur von seinen Rechten Gebrauch. Die Abstimmung würde sich nicht verhindern lassen.

»Ich beantrage«, sagte Curio, »daß Gaius Julius Caesar und Gnaeus Pompeius Magnus ihre Imperien, Provinzen und Armeen genau zur selben Zeit abgeben. Alle, die dafür sind, gehen bitte auf die rechte Seite des Gangs, wer dagegen ist, geht nach links.«

Das Ergebnis war überwältigend. Dreihundertsiebzig Senatoren stellten sich auf die rechte Seite, nur zweiundzwanzig auf die linke. Zu ihnen gehörten Pompeius, Metellus Scipio, die drei Marcelli, der künftige Konsul Lentulus Crus (eine Überraschung), Ahenobarbus, Cato, Marcus Favonius, Varro, Pontius Aquila (eine weitere Überraschung, da nicht bekannt war, daß er Servilias Liebhaber war) und Gaius Cassius.

»Der Entschluß ist gefaßt, Zweiter Konsul«, rief Curio. »Sorge dafür, daß er ausgeführt wird!«

Marcellus stand auf und gab seinen Liktoren ein Zeichen. »Die Sitzung ist geschlossen«, sagte er knapp und verließ den Saal.

Der Entschluß sollte freilich nie ausgeführt werden. Während Curio auf dem Forum zu einer begeisterten Menge sprach, rief Gaius Marcellus den Senat zu einer Sitzung im Saturn-Tempel in unmittelbarer Nähe der rostra, auf der Curio stand.

Er hielt eine Schriftrolle in der Hand. »Ich habe hier eine Nachricht der Duumvirn von Placentia, eingeschriebene Väter«, verkündete er laut. »Sie teilen darin dem Senat und dem Volk von Rom mit, daß Gaius Julius Caesar soeben in Placentia eingetroffen ist und vier seiner Legionen mitgebracht hat. Er muß gestoppt werden! Er ist drauf und dran, nach Rom zu marschieren, die Duumvirn haben ihn das sagen hören! Er denkt nicht daran, seine Armee abzugeben, und er will mit dieser Armee Rom erobern! In genau diesem Moment bereitet er die vier Veteranenlegionen auf den Einmarsch nach Italia vor!«

Ungeheurer Tumult folgte auf seine Worte. Stühle kippten um, als die Männer aufsprangen. Einige der Hinterbänkler flohen überstürzt aus dem Tempel, andere wie Marcus Antonius fingen an zu brüllen, daß alles gelogen sei, zwei hochbetagte Senatoren fielen in Ohnmacht, und Cato schrie pausenlos, daß Caesar gestoppt werden müsse!

Mitten in dieses Chaos platzte Curio. Seine Brust hob und senkte sich vor Anstrengung, so schnell war er über das untere Forum und die vielen Stufen zum Tempel hinauf gerannt.

»Das ist eine Lüge!« brüllte er. »Senatoren, überlegt doch! Caesar ist in Gallia Transalpina, nicht in Placentia, und es sind auch keine Legionen in Placentia! Selbst die Dreizehnte ist nicht in Gallia Cisalpina, sondern bei Tergeste in Illyricum!« Er fuhr zu Marcellus herum. »Du gewissenloser, unverschämter Lügner, Gaius Marcellus! Du Abschaum auf Roms Tümpeln, du Dreck aus den römischen Kloaken! Lügner, Lügner, Lügner!«

»Die Sitzung ist geschlossen!« brüllte Marcellus. Er stieß Curio so heftig zur Seite, daß dieser taumelte, und stürmte aus dem Tempel.

»Lügen, nichts als Lügen!« schrie Curio weiter auf die noch Anwesenden ein. »Der Zweite Konsul hat gelogen, Pompeius zuliebe! Pompeius will weder seine Provinzen noch seine Armee verlieren! Pompeius, Pompeius, Pompeius! Macht die Augen auf! Nehmt euren Verstand zusammen! Marcellus hat gelogen! Er hat gelogen, um Pompeius zu schützen! Caesar ist nicht in Placentia! Es gibt keine vier Legionen in Placentia!«

Doch niemand hörte ihm zu, und die Senatoren eilten in Panik hinaus.

»Ach Antonius!« schluchzte Curio, als sie allein im SaturnTempel zurückblieben. »Ich hätte nie gedacht, daß Marcellus so weit gehen würde — bisher habe ich noch nie erlebt, daß er gelogen hat! Er hat alles kaputtgemacht! Was immer jetzt in Rom geschieht, beruht auf einer Lüge!«

»Und wer daran schuld ist, weißt du ja, Curio«, knurrte Antonius. »Es ist dieser Scheißkerl Pompeius! Marcellus ist ein Lügner, aber Pompeius ist ein Kriecher. Auch wenn er es nicht zugibt, er würde niemals seine Stellung als Erster Mann von Rom aufgeben.«

»Wo ist Caesar denn?« jammerte Curio. »Die Götter mögen verhüten, daß er immer noch in Nemetocenna weilt!«

»Wärst du heute morgen nicht so früh aus dem Haus gegangen, um im Forum herumzutönen, hättest du seinen Brief noch bekommen«, sagte Antonius. »Wir haben beide einen erhalten. Caesar ist nicht mehr in Nemetocenna. Er ist nur so lange dort geblieben, bis Trebonius und die vier Legionen an die Mosa zwischen Treverer und Remer verlegt waren. Dann reiste er zu Fabius, der mittlerweile mit den vier anderen Legionen in Bibracte ist. Jetzt ist er in Ravenna.«

Verblüfft riß Curio den Mund auf. »In Ravenna? Das kann nicht sein!«

»Hm!« brummte Antonius. »Er reist schnell wie der Wind und diesmal ohne eine Legion im Schlepptau. Die Legionen sind alle noch dort, wo sie sein sollten, nämlich jenseits der Alpen. Aber er ist in Ravenna.«

»Was tun wir jetzt? Was sagen wir ihm?«

»Die Wahrheit«, meinte Antonius gelassen. »Wir sind nur seine Helfer, Curio, vergiß das nicht. Die Entscheidungen trifft er.«

Gaius Claudius Marcellus der Ältere hatte eine Entscheidung getroffen. Sobald er den Senat entlassen hatte, machte er sich, begleitet von Cato, Ahenobarbus, Metellus Scipio und den beiden designierten Konsuln, seinem Vetter Gaius Marcellus dem Jüngeren und Lentulus Crus, auf den Weg zu Pompeius’ Villa auf dem Marsfeld. Auf halber Strecke holte sie der von Marcellus dem Älteren eilig zu seinem Haus auf dem Palatin geschickte Diener ein, das Schwert seines Herrn in Händen. Es handelte sich um das zwei Fuß lange, zweischneidige und sehr scharfe römische Schwert, wie es die meisten Adligen besaßen; von den Schwertern gewöhnlicher Soldaten unterschied es sich durch seine kostbar gearbeitete silberne Scheide und den zu einem römischen Adler geschnitzten Griff aus Elfenbein.

Pompeius erwartete sie persönlich an der Tür und führte sie in sein Arbeitszimmer, wo ein Diener ihnen Wasser und Wein einschenkte — allen bis auf Cato, der das Wasser angewidert ablehnte. Pompeius wartete inzwischen ungeduldig; er hatte der Delegation nichts anbieten wollen, doch hatten die Männer ausgesehen, als könnten sie dringend etwas zu trinken gebrauchen.

»Nun?« fragte er gebieterisch. »Was ist passiert?«

Als Antwort überreichte Marcellus der Ältere ihm schweigend sein in der Scheide steckendes Schwert. Pompeius nahm es bestürzt und starrte es an, als hätte er noch nie ein Schwert gesehen.

Er befeuchtete sich die Lippen. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er unruhig.

»Gnaeus Pompeius Magnus«, sagte Marcellus feierlich. »Hiermit ermächtige ich dich, Rom im Auftrag des Senats und des römischen Volkes gegen Gaius Julius Caesar zu verteidigen. Im Namen des Senats und des römischen Volkes übertrage ich dir offiziell die Verfügungsgewalt über die beiden von Caesar nach Capua geschickten Legionen, die Sechste und die Fünfzehnte, und beauftrage dich ferner, mit der Rekrutierung weiterer Legionen zu beginnen, bis du dein eigenes Heer aus Spanien zurückholen kannst. Es wird Bürgerkrieg geben.«

Die glänzenden blauen Augen weit aufgerissen, starrte Pompeius wieder auf das Schwert; abermals fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. »Es wird Bürgerkrieg geben«, wiederholte er langsam. »Ich hätte nicht gedacht, daß es dazu kommt. Ich hätte — wirklich — nicht...« Er straffte sich. »Wo ist Caesar? Wie viele Legionen hat er in Gallia Cisalpina? Wie weit ist er bis jetzt vorgerückt?«

»Er hat eine Legion und ist noch gar nicht vorgerückt«, sagte Cato.

»Noch nicht vorgerückt? Und — welche Legion?«

»Die Dreizehnte. Sie ist in Tergeste.«

»Dann — dann — was ist denn passiert? Warum seid ihr hier? Mit einer Legion marschiert Caesar nicht nach Rom!«

»Das glauben wir auch nicht«, sagte Cato. »Deshalb sind wir hier. Um ihn vom endgültigen Hochverrat abzuhalten, dem Marsch auf Rom. Unser Erster Konsul wird Caesar mitteilen, welche Schritte unternommen wurden, und das ist hoffentlich das Ende der ganzen Sache. Wir kommen ihm zuvor.«

»Aha, verstehe«, sagte Pompeius. Er gab Marcellus das Schwert zurück. »Ich danke dir und weiß die Bedeutung dieser Geste zu schätzen, aber ich habe mein eigenes Schwert, und es ist stets bereit, Rom zu verteidigen. Die beiden Legionen in Capua übernehme ich gern, aber ist es wirklich schon nötig, mit der Rekrutierung zu beginnen?«

»Auf jeden Fall«, sagte Marcellus entschieden. »Caesar muß merken, daß wir es ernst meinen.«

Pompeius schluckte. »Und der Senat?« fragte er.

»Der Senat tut, was ihm gesagt wird«, erklärte Ahenobarbus.

»Aber daß ihr zu mir kommt, hat er abgesegnet.«

»Selbstverständlich«, log Marcellus.

Es war der zweite Tag des Dezember.

Am dritten Tag des Dezember erfuhr Curio, was sich in Pompeius’ Villa abgespielt hatte, und kehrte empört in den Senat zurück. Mit Antonius’ tatkräftiger Unterstützung beschuldigte er Marcellus den Älteren des Hochverrats und appellierte an die eingeschriebenen Väter, sich hinter ihn, Curio, zu stellen und zur Kenntnis zu nehmen, daß Caesar kein Unrecht begangen hatte, daß mit Ausnahme der Dreizehnten in Gallia Cisalpina keine Legion in Italia stationiert war und daß die ganze Krise arglistig von höchstens sieben boni und Pompeius eingefädelt worden war.

Doch viele Senatoren waren der Sitzung ferngeblieben, und die wenigen, die gekommen waren, wirkten so verdattert und verwirrt, daß sie zu keinerlei Reaktion, geschweige denn einer vernünftigen Entscheidung imstande waren. Curio und Antonius kamen keinen Schritt weiter.

Am sechsten Tag des Dezember traf Aulus Hirtius in Rom ein. Caesar hatte ihn beauftragt festzustellen, ob noch etwas zu retten war. Doch als Curio und Antonius ihm von der Übergabe des Schwertes an Pompeius berichteten, gab Hirtius jede Hoffnung auf. Balbus hatte für den nächsten Morgen ein Treffen zwischen Hirtius und Pompeius arrangiert, doch Hirtius ging nicht mehr hin.

Wozu, fragte er sich, wenn Pompeius das Schwert bereits angenommen hatte? Er kehrte besser sofort nach Ravenna zurück und berichtete Caesar persönlich von den Ereignissen, über die dieser sonst nur aus Briefen erfuhr.

Pompeius wartete am Morgen des siebten Dezember nicht lange auf Hirtius; bereits am frühen Vormittag machte er sich auf den Weg nach Capua, um die Sechste und die Dreizehnte zu inspizieren.

Der letzte Tag von Curios denkwürdigem Volkstribunat war der neunte Dezember. Erschöpft sprach er noch einmal vor dem Senat — wieder vergeblich —, bevor er am Abend nach Ravenna zu Caesar aufbrach. Den Stab des Volkstribunen hatte er dem als wenig tüchtig geltenden Marcus Antonius übergeben.

Cicero war Ende November in Brundisium eingetroffen, wo ihn Terentia bereits erwartete. Ihr Kommen überraschte ihn nicht, hatte sie doch einiges gutzumachen. Tullia hatte mit ihrem Einverständnis Dolabella geheiratet, eine Heirat, der sich Cicero entschieden widersetzt hatte. Er wollte seine Tochter mit Tiberius Claudius Nero verheiraten, einem hochmütigen, jungen patrizischen Senator von beschränktem Verstand und ohne Charme.

Das Mißvergnügen des großen Anwalts wurde durch seine Sorge um Tiro noch vergrößert, seinen geliebten Sekretär, den er krank in Patrae hatte zurücklassen müssen. Zu allem Überfluß erfuhr er nun auch noch, daß Cato für Bibulus einen Triumphmarsch beantragt und anschließend dagegen gestimmt hatte, auch Cicero diese Ehre zuteil werden zu lassen.

»Wie konnte Cato das wagen!« sagte Cicero wutschnaubend zu seiner Frau. »Bibulus hat sein Haus in Antiochia nie verlassen, während ich Schlachten geschlagen habe!«

»Ja, Schatz«, sagte Terentia abwesend; sie hatte im Moment andere Sorgen. »Willst du nicht endlich Dolabella kennenlernen? Sobald du ihn siehst, wirst du verstehen, warum ich mich der Heirat nicht widersetzt habe.« Ihr häßliches Gesicht hellte sich auf. »Er ist so reizend, Marcus, wirklich! Witzig, intelligent — und Tullia so ergeben.«

»Ich hatte es verboten!« rief Cicero. »Ich hatte es verboten, Terentia! Du hattest kein Recht, es zuzulassen!«

»Jetzt höre mir mal zu«, fauchte Terentia. »Tullia ist siebenundzwanzig! Sie braucht deine Erlaubnis zum Heiraten nicht!«

»Aber ich muß die Mitgift stellen, also bin ich auch der, der ihren Ehemann aussucht!« brüllte Cicero, ermutigt durch die vielen, fern von Terentia verbrachten Monate, in denen er sich als vortrefflicher Statthalter erwiesen hatte. Höchste Zeit, daß er seine Autorität auch in der häuslichen Sphäre geltend machte.

Verblüfft, daß er es wagte, ihr zu widersprechen, kniff Terentia die Augen zusammen, gab aber nicht klein bei. »Zu spät!« brüllte sie noch lauter. »Tullia hat Dolabella geheiratet, und du zahlst die Mitgift, oder ich kastriere dich eigenhändig!«

Von Brundisium reiste Cicero in Begleitung seiner Xanthippe, die ihm seine unveräußerlichen Rechte als pater familias vorenthielt, die italische Halbinsel hinauf. Er fand sich damit ab, den verhaßten Dolabella kennenlernen zu müssen, was er in Beneventum auch tat, wobei er zu seiner Bestürzung feststellte, daß er Dolabellas Charme genauso erlag wie Terentia. Zur Krönung des Ganzen war Tullia auch noch schwanger, ein Schicksal, das ihr bei keinem ihrer beiden früheren Männer vergönnt gewesen war.

Dolabella berichtete seinem Schwiegervater von der Niedertracht, mit der in Rom Politik gemacht wurde, klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und ritt nach Rom zurück, um dort seinen Teil zur Schlägerei beizutragen, wie er es ausdrückte.

»Ich bin für Caesar!« brüllte er zum Abschied vom sicheren Pferderücken aus. »Feiner Kerl, dieser Caesar!«

Um schneller voranzukommen, verzichtete Cicero fortan auf Sänften und setzte die Reise ins westliche Kampanien mit einer in Beneventum gemieteten Kutsche fort.

In Pompeji, wo er eine gemütliche, kleine Villa besaß, traf er Pompeius. Von ihm hoffte er Genaueres über die undurchsichtige Lage in Rom zu erfahren.

»Ich habe gestern in Trebula zwei Briefe erhalten«, sagte er stirnrunzelnd zu Pompeius. »Einen von Balbus und einen von Caesar persönlich. Überaus nett und freundlich... wenn sie irgend etwas für mich tun könnten... es wäre ihnen eine Ehre, meinem wohlverdienten Triumphzug beizuwohnen, ob ich vielleicht ein kleines Darlehen brauchte? Wozu sollte Caesar das tun, wenn er vorhat, nach Rom zu marschieren? Weshalb umwirbt er mich? Er weiß genau, daß ich nie sein Parteigänger war.«

»Also in Wirklichkeit sind Gaius Marcellus die Nerven durchgegangen«, sagte Pompeius verlegen. »Er hat Dinge getan, zu denen er offiziell überhaupt nicht befugt war. Ich wußte das damals allerdings nicht, Cicero, ich schwöre es. Hast du gehört, daß er mir ein Schwert übergab und ich es annahm?«

»Ja, Dolabella hat es mir erzählt.«

»Das Problem ist, daß ich gedacht habe, der Senat hätte ihn geschickt, was aber nicht stimmte. Und da sitze ich nun zwischen Scylla und Charybdis — mehr oder weniger verpflichtet, Rom zu verteidigen, den Befehl über zwei Legionen zu übernehmen, die jahrelang für Caesar gekämpft haben, und in ganz Kampanien, Samnium, Lukanien und Apulien mit der Rekrutierung zu beginnen. Im Grunde verstößt das gegen das Gesetz, Cicero. Weder hat der Senat mich beauftragt, noch ist ein senatus consultum ultimum in Kraft. Trotzdem weiß ich, daß uns ein Bürgerkrieg bevorsteht.«

Ciceros Mut sank. »Bist du dir sicher, Gnaeus Pompeius? Ganz sicher? Hast du dich außer mit Fanatikern wie Cato und den Marcelli noch mit anderen beraten? Hast du mit Atticus oder anderen einflußreichen Rittern gesprochen? Hast du an den Senatssitzungen teilgenommen?«

»Wie kann ich an Senatssitzungen teilnehmen, wenn ich Truppen rekrutieren muß?« knurrte Pompeius. »Atticus habe ich vor ein paar Tagen getroffen. Na ja, eigentlich ist unsere Begegnung schon länger her, aber es kommt mir vor wie gestern.«

»Bist du absolut sicher, daß sich der Bürgerkrieg nicht mehr abwenden läßt?«

»Absolut«, sagte Pompeius entschieden. »Es wird Bürgerkrieg geben. Deshalb bin ich auch froh, eine Zeitlang nicht in Rom zu sein. Hier ist es einfacher, über alles nachzudenken. Denn wir dürfen nicht zulassen, daß Italia ein weiteres Mal bluten muß, Cicero. Der Krieg gegen Caesar darf nicht auf italischem Boden stattfinden, er muß im Ausland ausgetragen werden, in Griechenland zum Beispiel oder in Makedonien, jedenfalls irgendwo im Osten. Der gesamte Osten gehört zu meiner Klientel, und ich kann überall Hilfe bekommen, von Actium bis Antiochia. Außerdem kann ich meine spanischen Legionen direkt von Spanien dorthin verlegen, ohne daß sie italischen Boden betreten müßten. Caesar hat jetzt noch neun Legionen plus etwa zweiundzwanzig Kohorten mit neuen Rekruten von jenseits des Padus. Ich habe sieben Legionen in den spanischen Provinzen, zwei Legionen in Capua und so viele Kohorten, wie ich jetzt noch rekrutieren kann. Zwei Legionen stehen in Makedonien, drei in Syrien, eine in Kilikien und eine in der Provinz Asia. Außerdem kann ich bei Deiotarus von Galatien und bei Ariobarzanes von Kappadokien Truppen anfordern. Notfalls fordere ich auch eine Armee aus Ägypten an und lasse zusätzlich die afrikanische Legion herüberkommen. Insgesamt habe ich damit über sechzehn römische Legionen, zehntausend ausländische Soldaten und — na ja, sechs-- oder siebentausend Reiter.«

Cicero sah ihn bestürzt an. »Magnus, du kannst doch angesichts der Bedrohung durch die Parther keine Legionen aus Syrien abziehen!«

»Meinen Informanten zufolge stellen die Parther zur Zeit keine Gefahr dar, Cicero. Orodes hat selbst Probleme in seinem Land. Er hätte den Surenas und später Pacorus nicht hinrichten lassen dürfen. Pacorus war immerhin sein Sohn.«

»Aber — aber solltest du nicht zuerst versuchen, dich mit Caesar zu versöhnen? Aus Balbus’ Brief weiß ich, daß er verzweifelt versucht, eine militärische Auseinandersetzung abzuwenden.«

»Ach was!« sagte Pompeius höhnisch. »Du hast überhaupt keine Ahnung, Cicero! Balbus hat mich gebeten, doch ja nicht schon im Morgengrauen der Nonen nach Kampanien aufzubrechen, denn Aulus Hirtius, von Caesar geschickt, wolle mich sprechen. Also warte ich und warte, bis ich schließlich herausfinde, daß Hirtius schon wieder auf dem Weg nach Ravenna zu Caesar ist und gar nicht versucht hat, die Verabredung mit mir einzuhalten!

Daran sieht man, wieviel Caesar am Frieden liegt, Cicero! Was Balbus sagt, ist doch alles nur Fassade. Ich sage dir ganz offen, Caesar will den Bürgerkrieg, und nichts wird ihn davon abhalten. Ich aber habe einen Entschluß gefaßt. Ich werde den Bürgerkrieg nicht auf italischem Boden austragen, sondern in Griechenland oder Makedonien.«

Aber, dachte Cicero später, als er einen Brief an Atticus in Rom schrieb, nicht Caesar will den Bürgerkrieg — oder zumindest nicht er allein. Magnus ist ganz versessen darauf und glaubt, alles sei vergeben und vergessen, wenn er dafür sorgt, daß der Bürgerkrieg nicht auf italischem Boden ausgetragen wird. Das ist seine Lösung.

Ciceros Gespräch mit Pompeius fand am zehnten Tag des Dezember statt. Am selben Tag trat Marcus Antonius sein Amt als Volkstribun an und bewies sogleich, daß er schlagfertig und ein genauso fähiger Redner war wie sein Großvater, der Orator. Er hielt eine so gewaltige Rede darüber, wie der Zweite Konsul Pompeius widerrechtlich das Schwert angeboten hatte, daß sogar Cato verstummte.

»Ferner«, donnerte Marcus Antonius, »hat Gaius Julius Caesar mich ermächtigt, euch zu sagen, daß er jederzeit auf die beiden gallischen Provinzen jenseits der Alpen und sechs seiner Legionen verzichtet, wenn das Haus ihm gestattet, Gallia Cisalpina, Illyricum und zwei Legionen zu behalten.«

»Das sind insgesamt nur acht Legionen, Marcus Antonius«, sagte Marcellus der Ältere. »Was ist mit der Neunten und den zweiundzwanzig Rekrutenkohorten?«

»Die Neunte Legion, die jetzt noch die Vierzehnte ist, wird sich auflösen, Gaius Marcellus. Caesar übergibt keine unterbesetzten Legionen, und zur Zeit sind all seine Legionen deutlich unterbesetzt. Eine Legion und die zweiundzwanzig Kohorten werden in die acht anderen Legionen eingegliedert.«

Es war eine einleuchtende Antwort, aber eine Antwort auf eine irrelevante Frage, da Gaius Marcellus und die beiden designierten Konsuln gar nicht beabsichtigten, über Antonius’ Vorschlag abstimmen zu lassen. Außerdem war das Haus nicht beschlußfähig, weil so viele Senatoren fehlten; einige hatten Rom bereits in Richtung Kampanien verlassen, andere versuchten verzweifelt, ihr Vermögen beiseite zu schaffen oder noch schnell genügend Geld zusammenzukratzen, um für die Dauer des Bürgerkriegs ein angenehmes Leben im Exil führen zu können. Daß es zum Bürgerkrieg kommen würde, schien außer Frage zu stehen, auch wenn sich allmählich die Erkenntnis durchsetzte, daß überhaupt keine zusätzlichen Legionen in Gallia Cisalpina stationiert waren und Caesar friedlich in Ravenna saß, während die Legionäre der Dreizehnten Urlaub am nahegelegenen Strand machten.

Heldenhaft kämpften Antonius, Quintus Cicero, Caesars Bankiers und seine wichtigsten Anhänger in Rom dafür, Caesar alle Möglichkeiten offenzuhalten. Unentwegt versicherten sie jedem Senator und Ritter, der es hören wollte, daß Caesar bereit sei, sechs seiner Legionen sowie die beiden Provinzen in Gallia Transalpina abzugeben. Doch am Tag nach Curios Ankunft in Ravenna erhielten sowohl Antonius als auch Balbus von Caesar kurze Briefe mit der Mitteilung, er könne nicht länger ignorieren, daß er möglicherweise eine Armee brauche, um seine Person und seine dignitas vor den boni und Pompeius zu schützen. Er habe daher heimlich einen Boten zu Fabius nach Bibracte geschickt, damit dieser ihm zwei seiner vier Legionen schicke, und einen anderen Boten an die Mosa zu Trebonius. Trebonius sollte sofort drei seiner vier Legionen nach Narbo schicken, wo sie dem Befehl von Lucius Caesar unterstellt würden und Pompeius’ spanische Legionen am Marsch nach Italia hindern sollten.

»Er ist bereit«, sagte Antonius zufrieden zu Balbus.

Der kleine Balbus, aufgrund der Anstrengungen der vergangenen Zeit weniger rund als sonst, musterte Antonius besorgt mit seinen großen und traurigen braunen Augen und schürzte die vollen Lippen. »Wir werden stärker sein, Marcus Antonius«, sagte er. »Wir müssen stärker sein!«

»Solange die Marcelli an der Macht sind und Cato nicht mit seinem Gekeife aufhört, haben wir keine Chance. Der Senat — oder zumindest der Rest, der noch den Mut aufbringt, zu den Sitzungen zu erscheinen — wird nur wiederholen, daß Caesar der Diener Roms und nicht sein Herr sei.«

»Aber was ist dann Pompeius?«

»Eindeutig der Herr Roms«, sagte Antonius. »Aber wer, glaubst du, hat das Sagen? Pompeius oder die boni?«

»Jeder glaubt, er bestimme über die anderen.«