Tag für Tag griffen die Nervier an, füllten die Gräben und versuchten die Wälle zu ersteigen, und Tag für Tag wehrten die Römer sie ab, holten die Zweige wieder aus den Gräben und töteten die Nervier.
Allabendlich schrieb Quintus Cicero einen weiteren Brief auf Griechisch an Caesar, gab ihn einem Sklaven oder Gallier, der für viel Geld bereit war, ihn zu befördern, und schickte den Mann ins Dunkel hinaus.
Täglich führten die Nervier den Boten vom Vorabend auf eine Anhöhe, schwenkten triumphierend den Brief und tanzten heulend herum, bis der Bote erneut mit Zangen, Messern oder heißen Eisen gefoltert wurde. Dann wurden sie still, damit die entsetzten Römer die gellenden Schreie des Boten hören konnten.
»Wir ergeben uns nicht«, sagte Quintus Cicero auf seinen Rundgängen zu den Legionären. »Diese Genugtuung dürft ihr diesen mentulae nicht geben!«
Die Angesprochenen grinsten daraufhin, winkten ihm zu, erkundigten sich nach seinem Rücken, belegten die Nervier mit Schimpfworten, bei denen Quintus Ciceros großer Bruder in Ohnmacht gefallen wäre, und kämpften weiter.
Dann kam Titus Pullo mit grimmigem Gesicht. »Quintus Cicero, wir haben ein neues Problem«, sagte er heiser.
»Was denn?« fragte der Befehlshaber betont munter, während er versuchte, aufrecht zu stehen.
»Sie haben unser Wasser umgeleitet. Der Bach ist ausgetrocknet.«
»Du weißt, was zu tun ist, Pullo. Grabt Brunnen, oberhalb der Latrinen. Und grabt Jauchegruben.« Er kicherte. »Ich würde euch gern dabei helfen, aber Graben kommt für mich derzeit leider nicht in Frage.«
Pullos Miene entspannte sich. Wo hatte es je einen Kommandanten gegeben, der trotz seines Rückens und der anderen Probleme so heiter und unerschütterlich optimistisch war?
Zwanzig Tage nach ihrem ersten Angriff griffen die Nervier immer noch jeden Morgen an. Der Vorrat an Boten war zusammen mit dem Wasser ausgegangen, und Quintus Cicero mußte sich damit abfinden, daß keiner seiner Boten es durch die Linien der Nervier geschafft hatte. Gut, dann blieb keine Wahl, als sich weiter zu verteidigen, tagsüber gegen die verdammten Nervier zu kämpfen und nachts die Schäden zu reparieren und einen Vorrat von allem anzulegen, was bei Anbruch der Morgendämmerung von Nutzen sein konnte — und darüber nachzudenken, wann die Ruhr und andere Seuchen ausbrechen würden. Wie würde er sich an den Nerviern rächen, wenn er hier lebend herauskam! Die Männer der Neunten waren noch keineswegs am Ende, ihre Moral war ungebrochen, und wenn sie nicht wie besessen kämpften, arbeiteten sie wie besessen.
Ruhr und Fieber brachen aus, doch plötzlich drohten noch schlimmere Gefahren.
Die Nervier bauten einige Belagerungstürme — nicht zu vergleichen mit den römischen Türmen natürlich, aber doch bedrohliche Geräte, wenn sie den Wällen so nahe kamen, daß die Nervier von ihnen aus ihre Speere schleudern und das Lager mit Steinen bombardieren konnten.
»Wo haben sie denn ihre Geschütze her?« sagte der Kommandant empört zu Vorenus. »Wenn das keine echten römischen ballistae sind, dann bin ich nicht der kleine Bruder des großen Cicero!«
Vorenus wußte genausowenig wie Quintus Cicero, daß die Wurfmaschinen aus dem verlassenen Lager der Dreizehnten Legion kamen, und so war das Auftauchen der römischen ballistae lediglich eine zusätzliche Sorge. Bedeuteten sie, daß ganz Gallien sich erhoben hatte, daß andere Legionen angegriffen und besiegt worden waren, daß Botschaften vielleicht sogar durchgekommen waren, aber niemand mehr dagewesen war, sie zu empfangen und zu beantworten?
Mit den Steinen konnte man noch fertigwerden, doch wurden die Nervier immer erfinderischer. Als sie erneut angriffen, luden sie die Wurfmaschinen mit flammenden Bündeln trockenen Reisigs und schossen sie ins Lager. Da inzwischen sogar die Kranken die Wälle bemannten, gab es im Lager nur wenige, die das überall in der hölzernen Lagerstadt aufflackernde Feuer löschen und den in Panik geratenen Packtieren die Augen verbinden und sie ins Freie führen konnten. Sklaven, Nichtkombattanten und Verticos Leute versuchten, mit der neuen Gefahr fertig zu werden und zugleich die Legionäre mit dem zu versorgen, was sie auf den Wällen brauchten. Die Moral der Legionäre war freilich so stark, daß keiner sich auch nur ein einziges Mal umdrehte, um zu sehen, wie hinter ihm persönliche Habe und Proviant in Flammen aufgingen, die ein beißender, frühwinterlicher Wind hoch auflodern ließ. Sie harrten an ihrem Platz aus und kämpften, bis die Angriffsflut wieder einmal zurückgeschlagen war.
Mitten im Getümmel eines besonders heftigen Angriffs schlossen Pullo und Vorenus eine Wette ab, wer von ihnen der Tapferste sei; die Legionäre sollten die Schiedsrichter sein. Ein Belagerungsturm stand so nahe am Wall, daß er ihn berührte und die Nervier über ihn wie über eine Brücke zu den Verteidigern hinübersprangen. Pullo packte eine Fackel, ließ den Schild, mit dem er sich deckte, sinken, und schleuderte sie auf die Gegner; daraufhin packte auch Vorenus eine Fackel, senkte seinen Schild noch tiefer und schleuderte sie auf den Belagerungsturm. So ging es hin und her, hin und her, bis der Turm selber eine lodernde Fackel war und die Nervier mit brennenden Haaren flohen. Nun nahm Pullo einen Bogen und einen mit Pfeilen gefüllten Köcher zur Hand und zeigte, was er bei den kretischen Bogenschützen gelernt hatte; er legte in einer fließenden Bewegung an und schoß, und jeder Schuß traf. Vorenus tat es ihm gleich, indem er einen Stapel Speere holte und sie mit ähnlicher Geschwindigkeit und Eleganz warf — auch er trafjedesmal ins Ziel. Die beiden Männer blieben vollkommen unverletzt, und als der Angriff verebbte, schüttelten die Legionäre die Köpfe. Die Abstimmung endete mit einem Unentschieden.
»Heute, am dreißigsten Tag, ist ein Wendepunkt«, sagte Quintus Cicero bei Einbruch der Dunkelheit, als die Nervier sich in ungeordneten Haufen zurückzogen.
Er hatte einige Männer zur Beratung einberufen. Außer ihm waren nur Pullo, Vorenus und Vertico anwesend.
»Du meinst, wir siegen?« fragte Pullo erstaunt.
»Ich meine, wir verlieren, Titus Pullo. Der Nervier werden täglich geschickter, und sie haben von irgendwoher römische Ausrüstung bekommen.« Er stöhnte und schlug sich mit der Faust auf den Schenkel. »Ach ihr Götter, irgendwie müssen wir es doch schaffen, eine Botschaft durch ihre Linien zu schmuggeln!« Er sah Vertico an. »Ich bitte niemanden mehr zu gehen, aber jemand muß gehen. Und wir müssen hier und jetzt überlegen, wie wir verhindern können, daß der, den wir schicken, im Fall einer Festnahme und Leibesvisitation überführt wird. Vertico, du bist Nervier. Was tun wir?«
»Ich habe nachgedacht«, sagte Vertico in seinem stockenden Latein. »Zuerst einmal muß es jemand sein, der aussieht wie ein nervischer Krieger. Da draußen sind zwar inzwischen auch Menapier und Condruser, aber ich kann keine Umhänge mit den entsprechenden Mustern beschaffen. Sonst wäre es besser, den Boten als Menapier oder Condruser auszugeben.« Er hielt inne und seufzte. »Wieviel Proviant haben wir nach den Bränden im Lager noch?«
»Genug für sieben oder acht Tage«, sagte Vorenus, »obwohl den Männern so übel ist, daß sie nicht viel essen. Vielleicht also auch zehn Tage.«
Vertico nickte. »Dann machen wir es so. Wir schicken jemand, der als Nervier durchgehen kann, weil er selbst Nervier ist. Ich würde selbst gehen, aber man würde mich sofort erkennen. Einer meiner Leibeigenen ist dazu bereit, ein schlauer Bursche, der nachdenkt, ehe er etwas tut.«
»Alles schön und gut«, brummte Pullo, dessen Gesicht dreckverschmiert und dessen Tunika aus Metallschuppen vom Nacken bis zum Schwertgürtel aufgerissen war. »Das klingt einleuchtend. Aber mir macht vor allem die Leibesvisitation Sorgen. Die letzte Nachricht haben wir dem Boten in den Hintern gesteckt, aber diese Hunde haben sie trotzdem gefunden. Beim Jupiter! Vielleicht kommt dein Mann ja unbehelligt durch, aber wenn sie ihn erwischen, wird er auch durchsucht. Sie werden die Nachricht finden, egal wo sie ist, und wenn nicht, foltern sie ihn.«
»Seht hier«, sagte Vertico und zog einen nervischen Speer heraus, der neben ihm im Boden steckte.
Es war keine römische Waffe, aber der lange, hölzerne Schaft und die große, blattförmige Eisenspitze waren fachmännisch gefertigt. Da die langhaarigen Gallier Farbe und Ornament liebten, war er entsprechend geschmückt. Der Schaft war dort, wo man ihn hielt, mit einem Gewebe in den nervischen Farben Moosgrün und Orange-Braun bedeckt, und an dem Gewebe baumelten an Ösen drei in denselben Farben gefärbte Gänsefedern.
»Ich sehe ja ein, daß die Botschaft aufgeschrieben werden muß. Wenn sie nur aus dem Mund eines nervischen Kriegers kommt, glaubt Caesar ihr vielleicht nicht. Aber schreibe sie in deiner kleinsten Schrift auf das dünnste Papier, das du hast, Quintus Cicero. Solange du schreibst, werden meine Frauen die Umwicklung eines Speers aufdröseln, der gebraucht, aber echt aussieht. Dann wickeln wir den Brief um den Schaft und bedecken ihn mit dem Gewebe.« Vertico zuckte die Schultern. »Etwas Besseres fällt mir nicht ein. Sie durchsuchen jede Körperöffnung, jedes Kleidungsstück und jede Haarsträhne. Aber wenn die Umwicklung des Speeres nicht beschädigt ist, glaube ich nicht, daß sie sie abnehmen.«
Vorenus und Pullo nickten; Quintus Cicero nickte ebenfalls und verschwand hinkend in seinem hölzernen Haus, das noch nicht abgebrannt war. Dort setzte er sich hin, nahm das dünnste Blatt Papier, das er finden konnte, und begann in winzigen griechischen Buchstaben zu schreiben.
Ich schreibe auf Griechisch, weil sie Latein können. Dringend. Werden seit dreißig Tagen von Nerviern angegriffen. Wasser und Latrinen verseucht, Männer krank. Halten durch, ich weiß nicht wie, aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Nervier haben römische Ausrüstung, schießen Brandsätze ins Lager. Proviant großenteils verbrannt. Schicke Hilfe, sonst ist es mit uns zu Ende. Quintus Tullius Cicero Legatus.
Verticos Leibeigener sah in jeder Beziehung aus wie ein nervischer Krieger, der er unter anderen Umständen auch gewesen wäre. Doch Leibeigene waren lediglich bessere Sklaven; sie durften gefoltert werden, und es war undenkbar, daß sie für den Stamm kämpften. Ihre Aufgabe war aufgrund ihrer niedrigen Stellung die Feldarbeit. Doch dieser Mann wirkte ruhig und selbstbewußt. Ja, dachte Quintus Cicero, er wäre ein guter Krieger gewesen. Pech für die Nervier, wenn sie ihren Leibeigenen nicht erlauben zu kämpfen, und ein Glück für mich und die Neunte. Der Mann könnte es schaffen.
»Gut«, sagte er, »Caesar bekommt also vielleicht unsere Nachricht, aber wie verständigt er dann uns? Ich muß meinen Männern sagen können, daß Hilfe kommt, sonst geben sie aus lauter Verzweiflung auf. Caesar wird Zeit brauchen, um genügend Legionen zu sammeln, aber ich muß sagen können, daß Hilfe unterwegs ist.«
Vertico lächelte. »Eine Nachricht ins Lager zu schmuggeln ist weniger schwer als umgekehrt. Ich sage meinem Leibeigenen, er soll bei seiner Rückkehr an dem Speer mit Caesars Antwort eine gelbe Feder befestigen.«
»Aber das fällt doch auf!« rief Pullo entsetzt.
»Hoffentlich. Ich glaube aber nicht, daß jemand so genau hinsieht, wenn die Speere ins Lager fliegen.« Vertico grinste. »Keine Sorge, ich sage ihm, er soll die Feder erst dranmachen, wenn er wirft.«
Caesar bekam den Speer, zwei Tage nachdem der nervische Leibeigene die nervischen Linien passiert hatte.
Der Wald südlich von Quintus Ciceros Lager war so dicht, daß ein Bote mit dringender Mission nicht schnell genug vorankam; der Nervier hatte deshalb wohl oder übel die Straße nach Samarobriva benutzen müssen. Sie war so schwer bewacht, daß er früher oder später angehalten werden mußte, auch wenn er die ersten drei Posten geschickt umging. Der vierte hielt ihn an. Er wurde ausgezogen, und Körper, Haare und Kleider wurden gründlich untersucht. Die Umwicklung des Speers sah freilich unversehrt aus, und die Nachricht darunter blieb unentdeckt. Der Leibeigene hatte sich mit einem Stück rauher Rinde die Stirn blutig gekratzt, so daß es aussah, als habe ein Schlag seine Stirn getroffen. Er torkelte, murmelte, rollte mit den Augen, ließ die Suche unwillig über sich ergehen und versuchte, den Anführer der Wache zu küssen. Dieser hielt ihn für hoffnungslos verwirrt und ließ ihn schließlich lachend südwärts ziehen.
Am frühen Abend traf er erschöpft in Samarobriva ein. Im Lager brach sofort hektische Aktivität aus, ohne daß jedoch die Disziplin darunter gelitten hätte. Ein Bote galoppierte zu dem fünfundzwanzig Meilen entfernten Marcus Crassus; dieser sollte die Achte im Schnellschritt nach Samarobriva führen, um dort das Lager in Abwesenheit des Feldherrn zu halten. Ein zweiter Bote galoppierte nach Portus Itius zu Gaius Fabius, der mit der Siebten zum Gebiet der Atrebaten aufbrechen sollte; Caesar wollte ihn am Ufer des Scaldis treffen. Ein dritter Bote galoppierte zum Lager des Labienus an der Mosa, um ihn zu unterrichten. Caesar befahl seinem Stellvertreter nicht, sich der Expedition anzuschließen; er überließ die Entscheidung Labienus, der sich, wie er insgeheim befürchtete, in einer ähnlichen Situation wie Quintus Cicero befinden mochte.
Als der Morgen graute, sah man in Samarobriva in der Ferne die Kolonne der Achten von Marcus Crassus. Caesar brach daraufhin sofort mit der Zehnten auf.
Zwei Legionen, beide etwas unter Sollstärke: das war alles, was der Feldherr als Hilfe für Quintus Cicero aufbieten konnte. Neuntausend wertvolle Legionäre, erfahrene Veteranen. Dumme Fehler durften jetzt nicht mehr passieren. Wie viele Nervier? Fünfzigtausend waren einige Jahre zuvor auf dem Schlachtfeld geblieben, aber es war ein großer Stamm. Gut möglich, daß noch einmal fünfzigtausend das Lager der Neunten belagerten. Eine gute Legion, die Neunte. Und noch nicht vernichtet!
Fabius traf pünktlich am Scaldis ein. Es war, als handelte es sich um ein kompliziertes Manöver auf dem Marsfeld; nicht einmal eine Stunde mußten sie aufeinander warten. Noch siebzig Meilen. Aber wie viele Nervier? Neuntausend Männer, auch erfahrene Soldaten, hatten gegen sie in offener Feldschlacht keine Chance.
Caesar hatte den nervischen Leibeigenen, der nicht reiten konnte, in einem Einspänner vorausgeschickt, so weit er es wagte, und ihn angewiesen, den Speer mit seiner Antwort und einer gelben Feder in Quintus Ciceros Lager zu werfen. Doch der Nervier war Leibeigener, kein Krieger. Er warf zwar mit aller Kraft, in der Hoffnung, den Speer über die Brustwehr ins römische Lager zu bekommen, doch blieb der Speer dort, wo die Palisaden an die Brustwehr stießen, stecken und wurde erst zwei Tage später entdeckt.
Quintus Cicero bekam ihn, nur wenige Stunden bevor eine Rauchsäule über den Bäumen Caesars Ankunft ankündigte. Er hatte schon verzweifeln wollen, weil niemand einen Speer mit einer gelben Feder gesehen hatte, obwohl alle danach Ausschau gehalten hatten, bis ihnen das Wasser in die Augen trat und sie sich eingebildet hatten, überall etwas Gelbes zu sehen.
Bin unterwegs. Nur neuntausend Mann. Kann nicht gleich angreifen, muß erst Stelle finden, an der neuntausend viele Tausend besiegen können. Einen Ort wie Aquae Sextiae. Wie viele sind es? Bitte nähere Informationen. Dein Griechisch ist gut, überraschend flüssig. Gaius Julius Caesar Imperator.
Der Anblick der gelben Feder versetzte die erschöpfte Neunte in einen Taumel der Begeisterung, und Quintus Cicero bekam einen Heulanfall. Er vergaß seinen schmerzenden Rücken und das behinderte Bein, wischte mit einer unbeschreiblich schmutzigen Hand über sein ebenfalls schmutziges Gesicht, setzte sich und schrieb Caesar, während Vertico den nächsten Speer und Boten bereitmachte.
Schätze sie auf sechzigtausend, der gesamte Stamm ist aufgeboten. Nicht alle sind Nervier. Sehe auch viele Menapier und Condruser, deshalb so viele. Wir halten durch. Finde dein Aquae Sextiae. Die Gallier werden allmählich leichtsinnig, sie haben uns ja praktisch schon im Käfig, in dem sie uns bei lebendigem Leibe verbrennen. Sie trinken mehr, sind weniger kampflustig. Dein Griechisch ist auch nicht schlecht. Quintus Tullius Cicero Legatus Superstes.
Caesar bekam den Brief um Mitternacht. Die Nervier hatten sich zusammengezogen, um ihn anzugreifen, doch war die Dunkelheit dazwischengekommen, und in dieser Nacht waren keine Wachen unterwegs, um Boten abzufangen. Die Legionäre der Zehnten und Siebten brannten darauf zu kämpfen, doch Caesar wollte zuerst einen Platz finden, auf dem er ein Lager bauen konnte ähnlich dem, vor dem vor über fünf zig Jahren Gaius Marius und seine siebenunddreißigtausend Mannen hundertachtzigtausend Teutonen besiegt hatten.
Er brauchte noch zwei Tage, bis er sein Aquae Sextiae gefunden hatte, doch dann fielen die Zehnte und die Siebte über die Nervier her — und ließen keine Gnade walten. Quintus Cicero hatte recht gehabt. Die Dauer der Belagerung und ihre Erfolglosigkeit hatten Moral und Geduld der Nervier ausgehöhlt. Die Nervier tranken viel, ohne viel zu essen; den beiden verbündeten Stämmen, die erst später zu ihnen gestoßen waren, erging es in Caesars Aquae Sextiae dagegen besser.
Das Lager der Neunten war fast vollkommen zerstört. Die meisten Häuser waren zu Asche verbrannt, und Maultiere und Ochsen irrten hungrig umher und verstärkten mit ihrem Wiehern und Muhen das wilde Gebrüll, das Caesar und seine beiden Legionen beim Einmarsch ins Lager begrüßte. Nicht einmal einer von zehn war unverletzt, und alle waren krank.
Die Zehnte und die Siebte machten sich tatkräftig an die Arbeit, lenkten das saubere, klare Wasser des Baches wieder ins Lager zurück, rissen munter die Palisaden ein, um Feuer zu machen und Wasser für Bäder zu erhitzen, wuschen die dreckigen Kleider der Soldaten, versorgten die Tiere, so gut es ging, und suchten in der Umgebung nach Nahrungsmitteln. Der Troß brachte genug Proviant, um Männer und Tiere zu sättigen, und Caesar ließ die Soldaten der Neunten vor der Zehnten und der Siebten antreten. Er hatte keine Auszeichnungen dabei, verlieh sie aber trotzdem; Pullo und Vorenus, die bereits silberne Torques und phalerae hatten, bekamen beides in Gold.
»Wenn ich könnte, Quintus Cicero, würde ich dir für die Rettung deiner Legion die Krone aus Gras überreichen«, sagte Caesar.
Quintus Cicero nickte strahlend. »Das kannst du nicht, Caesar, ich weiß, Vorschrift ist Vorschrift. Die Neunte hat sich übrigens selbst gerettet, ich habe nur ein bißchen mitgeholfen. Sind es nicht prächtige Jungs?«
»Die allerbesten.«
Am folgenden Tag zogen die drei Legionen ab, die Zehnte und die Neunte in die Sicherheit und Geborgenheit von Samarobriva, die Siebte nach Portus Itius. Auch wenn Caesar gewollt hätte, das Lager bei den Nerviern war nicht zu halten. Das ganze Gebiet war, dort wo es nicht zu Matsch zertrampelt worden war, kahlgefressen, und die meisten Nervier waren tot auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben.
»Das Problem mit den Nerviern löse ich im Frühjahr, Vertico«, sagte Caesar zu seinem treuen Anhänger, »auf einer Versammlung aller gallischen Stäfnme. Du sollst keinen Nachteil davon haben, daß du mir und meinen Leuten hilfst, das verspreche ich dir. Nimm alles, was wir hier zurücklassen, das bringt dich über den Winter.«
Vertico und seine Leute kehrten also in ihr Dorf zurück, Vertico als nervischer Dorfhäuptling, sein Leibeigener wieder als Bauer. Denn es lag nicht in der Natur jenes Volkes, einen Menschen über den ihm von Geburt zustehenden Rang zu erheben, auch nicht zum Dank für große Dienste; zu stark waren Brauch und Herkommen. Der Leibeigene erwartete auch gar keine Belohnung. Er verrichtete die Arbeit, die er im Winter zu verrichten hatte, gehorchte Vertico wie zuvor und saß abends schweigend mit Frau und Kindern am Feuer. Was er fühlte und dachte, behielt er für sich.
Caesar überließ es seinen Legaten, die Legionen nach Hause zu führen, und ritt selbst in Begleitung einiger Reiter die Mosa aufwärts. Er mußte unbedingt mit Titus Labienus sprechen, der ihm durch einen Boten mitgeteilt hatte, die Treverer seien so unruhig, daß er ihm nicht zu Hilfe kommen könne; sie hätten allerdings noch nicht den Mut aufgebracht, ihn anzugreifen. Sein Lager grenzte an das Gebiet der Remer, was bedeutete, daß er Hilfe an der Hand hatte.
»Cingetorix fürchtet, daß sein Einfluß auf die Treverer schwindet«, sagte Labienus. »Ambiorix arbeitet mit aller Kraft daran, die Männer, die etwas zu sagen haben, auf Indutiomarus’ Seite zu bringen. Die Vernichtung der Dreizehnten hat Wunder bewirkt — Ambiorix ist jetzt ein Held.«
»Seit er die Dreizehnte abgeschlachtet hat, bilden sich die Kelten ein, sie könnten alles«, sagte Caesar. »Ich erfahre gerade von Roscius, daß die Armoricer sich zu sammeln begannen, sobald sie davon hörten. Zum Glück hatten sie noch acht Meilen zu marschieren, als die Nachricht von der Niederlage der Nervier eintraf.« Er grinste. »Roscius’ Lager war plötzlich überhaupt nicht mehr interessant, sie machten auf dem Absatz kehrt und zogen wieder heim. Aber sie kommen zurück.«
Labienus zog eine Grimasse. »Und der Winter hat noch kaum angefangen. Sobald das Frühjahr kommt, sitzen wir in der Scheiße, und das mit einer Legion weniger.«
Sie standen in der schwachen Sonne vor Labienus’ solide gezimmertem Holzhaus und sahen über die dichten Reihen von Gebäuden, die sich vor ihnen in drei Richtungen erstreckten. Das Haus des Kommandanten stand immer in der Mitte der Nordseite; dahinter kamen nur noch einige Lagerhäuser und Magazine.
Das Lager war ein Reiterlager und damit viel größer als eines, das nur Fußsoldaten Unterkunft und Schutz bieten mußte. Fußsoldaten brauchten für ein Winterlager über den Daumen geschätzt eine halbe Quadratmeile pro Legion (für kürzere Zeit nur ein Fünftel davon). Je zehn Männer belegten ein Haus — acht Soldaten und zwei Diener, die nicht kämpften. Jede Zenturie von achtzig Soldaten und zwanzig Dienern bewohnte eine eigene kleine Straße; am offenen Ende der Straße stand das Haus des Zenturios, das andere Ende wurde durch den Stall für die zehn Maultiere der Zenturie und die sechs Ochsen oder Maultiere, die deren Wagen zogen, geschlossen. Die Häuser für die Legaten und Militärtribunen und die Unterkunft des Quästors (die größer war, weil er für Nachschub, Rechnungsbücher, Bank und Beerdigungsverein der Legion zuständig war) standen an der Via Principalis rechts und links vom Gebäude des Kommandanten, umgeben von einem offenen Platz. Ein weiterer Platz gegenüber vom Haus des Kommandanten diente als Forum und Versammlungsplatz der Legionen. So mathematisch exakt waren die Maße, daß, wann immer ein neues Lager aufgeschlagen wurde, alle genau wußten, wohin sie gehen mußten, auch wenn es sich nur um ein Nachtlager an der Straße oder ein Feldlager unmittelbar vor der Schlacht handelte; sogar die Tiere wußten, wo ihr Platz war.
Labienus’ Lager dagegen erstreckte sich über zwei Quadratmeilen, denn er hatte zweitausend Reiter der Haeduer und die Elfte Legion unterzubringen. Jeder Reiter hatte zwei Pferde, einen Pferdeknecht und ein Lasttier, so daß in Labienus’ Lager viertausend Pferde und zweitausend Maultiere in festen Winterställen sowie deren zweitausend Besitzer in geräumigen Häusern untergebracht waren.
Labienus’ Lager waren stets dreckig und heruntergekommen, denn er herrschte mehr durch Angst als durch Ordnung und Disziplin, und es war ihm egal, ob die Ställe einmal am Tag ausgemistet wurden und ob die Straßen vor Abfall überquollen. Er ließ auch Frauen im Winterlager wohnen, was Caesar allerdings weniger mißfiel als die allgemeine Unordnung und der Gestank sechstausend verdreckter Tiere und zehntausend ungewaschener Männer. Da Rom keine eigenen Reiter ins Feld schicken konnte, mußte es auf Aushebungen unter Nichtbürgern zurückgreifen, und diese Ausländer hatten immer ihre eigenen Sitten und Gebräuche, die man ihnen auch lassen mußte. Was wiederum bedeutete, daß man auch den Fußsoldaten, die römische Bürger waren, Frauen erlauben mußte, sonst wäre es im Winterlager zu einem Aufstand unzufriedener Bürger gegen bevorzugte Nichtbürger gekommen.
Caesar sagte nichts. Schmutz und Terror waren die eine Seite von Titus Labienus, doch auf der anderen war er ein glänzender Soldat. Außer Caesar, dessen Pflichten als Feldherr ihm dazu keine Zeit ließen, führte niemand die Reiterei besser. Auch als Anführer von Legionären war Labienus ein tüchtiger Mann, und er war ein hervorragender Stellvertreter. Nur jammerschade, daß er den Wilden in sich nicht bändigen konnte. Seine Strafen waren so berüchtigt, daß Caesar ihm für einen längeren Lageraufenthalt nie dieselbe Legion anvertraute. Die Soldaten der Elften hatten gestöhnt, als sie gehört hatten, daß sie unter Labienus überwintern sollten, doch dann beschlossen, das Beste daraus zu machen, in der Hoffnung, den folgenden Winter unter Fabius oder Trebonius verbringen zu dürfen, gleichfalls strengen, doch weniger unbarmherzigen Kommandanten.
»Nach meiner Rückkehr nach Samarobriva muß ich als erstes Mamurra und Ventidius im italischen Gallien schreiben«, sagte Caesar. »Ich habe nur noch sieben Legionen, und die Fünfte Alauda ist weit unter ihrer Sollstärke, weil ich mit ihr die Verluste der anderen ausgeglichen habe. Wenn ein hartes Jahr im Feld auf uns zukommt, brauche ich elf Legionen und viertausend Reiter.«
Labienus verzog den Mund. »Vier Legionen unerfahrener Rekruten?« fragte er. »Das wäre über ein Drittel der gesamten Armee! Sie werden uns mehr behindern als nützen.«
»Nur drei mit Rekruten«, erwiderte Caesar freundlich. »In Placentia lagert gegenwärtig eine Legion mit gut ausgebildeten Soldaten. Zugegeben, sie haben noch keine Kampferfahrung, aber sie sind voll ausgebildet und dürsten danach, sich zu bewähren. Sie langweilen sich so, daß sie noch ganz unzufrieden werden.«
»Ach ja!« Labienus nickte. »Die Sechste, die Pompeius Magnus vor einem Jahr in Picenum ausgehoben hat und die immer noch darauf wartet, nach Spanien zu gehen. Mein Gott, ist er langsam! Du hast vollkommen recht mit der Langeweile, Caesar. Aber es sind Pompeius’ Soldaten.«
»Ich schreibe ihm und frage, ob er sie mir leiht.«
»Tut er das?«
»Ich glaube ja. Pompeius hat in Spanien nicht viel Sorgen — Afranius und Petreius verwalten die beiden Provinzen sehr gut für ihn. Die Lusitanier sind ruhig, dasselbe gilt für Cantabria. Ich sage ihm, daß die Sechste unter mir Kampferfahrung sammeln kann. Das wird ihm gefallen.«
»Mit Sicherheit. Bei Pompeius kann man sich auf zweierlei verlassen — er kämpft nur, wenn er viele Soldaten hat, und er kämpft nur mit Soldaten, die Kampferfahrung haben. So ein Schwindler! Ich habe ihn immer verachtet!« Eine kurze Pause entstand, dann fragte Labienus: »Willst du wieder eine Dreizehnte aufstellen oder lieber gleich eine Vierzehnte?«
»Noch einmal eine Dreizehnte. Ich bin abergläubisch wie alle Römer, aber es ist wichtig, daß die Männer sich an die Dreizehn als eine Zahl wie jede andere gewöhnen.« Er zuckte die Schultern. »Außerdem, wenn ich eine Vierzehnte habe, aber keine Dreizehnte, weiß die Vierzehnte, daß sie eigentlich die Dreizehnte ist. Ich behalte die neue Legion das ganze Jahr über bei mir. Danach, das verspreche ich dir, werden die Legionäre so stolz auf die Zahl Dreizehn sein wie auf einen glückbringenden Talisman.«
»Ich glaube dir.«
Caesar begann, die Via Praetoria entlangzugehen. »Du denkst also, daß unsere Beziehungen zu den Treverem bald ganz zusammenbrechen werden, Labienus«, sagte er.
»Ganz sicher. Die Treverer haben nie etwas anderes als Krieg gewollt, sie hatten aber bis jetzt zu große Angst vor mir. Ambiorix hat das geändert — er ist ein glänzender Redner, mußt du wissen. Mit dem Ergebnis, daß die Leute jetzt Indutiomarus zulaufen. Ich bezweifle, daß Cingetorix dagegen ankommt, wenn zwei so tatkräftige Männer die Adligen bearbeiten. Wir dürfen Ambiorix und Indutiomarus auf keinen Fall unterschätzen, Caesar.«
»Kannst du die Stellung hier den Winter über halten?«
Die Pferdezähne leuchteten auf. »Jawohl. Ich habe schon eine Idee, wie ich die Treverer in eine Schlacht locke, die sie nicht gewinnen können. Man muß sie zu überstürztem Handeln provozieren. Wenn man sie noch bis Sommer machen läßt, werden sie zu Tausenden sein. Ambiorix fährt regelmäßig über den Rhenus, um die Germanen als Verbündete zu gewinnen, und wenn das gelingt, werden die Nemeten glauben, daß ihr Land vor Überfällen der Germanen sicher ist, und sich dem Aufgebot der Treverer ebenfalls anschließen.«
Caesar seufzte. »Ich hatte gehofft, die Gallier würden endlich Vernunft annehmen. Die Götter wissen, daß ich in meinen ersten Jahren milde genug war! Ich glaubte, wenn ich sie gerecht behandelte und mit Verträgen festnagelte, würden sie sich der römischen Herrschaft beugen. Sie haben doch auch ein Vorbild. Die Gallier der Provinz Gallia Narbonensis haben sich hundert Jahre lang gesträubt, und sieh sie dir jetzt an. Sie sind unter Rom glücklicher und zufriedener als damals, als sie einander bekämpften.«
»Du klingst wie Cicero«, sagte Labienus. »Die Gallier sind zu dumm, um zu wissen, wann es ihnen gutgeht. Sie werden bis zum Umfallen gegen uns kämpfen.«
»Ich fürchte, du hast recht. Deshalb greife ich auch jedes Jahr härter durch.«
Sie hielten an, um einen langen Zug von Pferden, die von Knechten geführt wurden, die breite Straße in Richtung Exerzierplatz überqueren zu lassen.
»Wie willst du die Treverer aus der Reserve locken?« fragte Caesar.
»Ich brauche dazu deine Hilfe und die der Remer.«
»Frage mich, und du bekommst sie.«
»Ich will, daß allgemein bekannt wird, du würdest die Remer an der Grenze ihres Gebietes zu den Bellovacern zusammenziehen. Sag Dorix, es soll aussehen, als würde er jeden verfügbaren Reiter schnellstmöglich dorthin schicken. Ich brauche aber viertausend Reiter in einem Versteck in der Nähe des Lagers. Die schmuggle ich ins Lager — pro Nacht vierhundert, ich brauche also zehn Tage. Bevor ich das tue, werde ich Indutiomarus’ Spione wissen lassen, daß ich Angst habe und das Lager verlassen werde, weil die Remer abziehen. Keine Sorge, ich kenne seine Spione.« Das dunkle Gesicht verzog sich zu einer furchteinflößenden Grimasse. »Alles Frauen. Ich versichere dir, daß keine davon noch eine Botschaft aus dem Lager bringt, wenn die ersten Remer kommen. Sie werden nur noch schreien.«
»Und wenn die Remer im Lager sind?«
»Die Treverer werden kommen, um mich zu töten, bevor ich gehen kann. Sie brauchen zehn Tage, um alle Krieger zu sammeln, und zwei Tage, um hierherzukommen. Ich habe also genügend Zeit. Dann öffne ich die Tore, und die sechstausend Haeduer und Remer werden die Treverer aufschneiden wie Schweinefleisch für Würste. Die Elfte kann sie dann in die Pelle stopfen.«
Zufrieden machte Caesar sich auf den Rückweg nach Samarobriva.
»Niemand kann dich besiegen«, sagte Rhiannon zufrieden.
Caesar rollte auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und sah sie belustigt an. »Das gefällt dir wohl?«
»Natürlich. Du bist der Vater meines Sohnes.«
»Dumnorix hätte es auch sein können.«
Ihre Zähne blitzten im Dämmerlicht. »Nie!«
»Das ist ja interessant.«
Sie zog ihre Haare unter sich heraus, eine schwierige und schmerzhafte Prozedur, und legte sie zwischen sich und Caesar wie einen Fluß aus Feuer. »Hast du Dumnorix wegen mir umbringen lassen?« fragte sie.
»Nein. Er wollte während meiner Abwesenheit in Britannien Unruhe stiften, deshalb befahl ich ihm, mich nach Britannien zu begleiten. Er glaubte, ich wollte ihn dort töten, wo niemand es sehen und mir vorwerfen konnte, also floh er. Daraufhin zeigte ich ihm, daß ich ihn, wenn ich es wollte, vor aller Augen töten lassen konnte. Labienus gehorchte mit Vergnügen. Er konnte Dumnorix nie leiden.«
»Ich mag Labienus nicht«, sagte Rhiannon fröstelnd.
»Das überrascht mich nicht. Labienus gehört zu den Römern, die meinen, man dürfe nur einem toten Gallier vertrauen. Das gilt übrigens auch für Gallierinnen.«
»Warum hast du nicht widersprochen, als ich sagte, Orgetorix würde König der Helvetier sein?« wollte sie wissen. »Er ist dein Sohn! Als er geboren wurde, wußte ich nicht, wie mächtig und berühmt du in Rom bist. Jetzt weiß ich es.« Sie richtete sich auf und legte die Hand auf seine Schulter. »Caesar, nimm ihn als Sohn an! König eines mächtigen Volkes wie die Helvetier zu sein ist ein großes Los, aber König von Rom zu sein ist noch viel größer.«
Er schüttelte ihre Hand ab. Seine Augen blitzten. »Rhiannon, Rom wird nie einen König haben! Ich würde dem auch nie zustimmen! Rom ist seit fünfhundert Jahren Republik! Ich werde der Erste Mann in Rom sein, aber das ist nicht dasselbe wie König von Rom. Könige sind veraltet, das merkt ja selbst ihr Gallier. Es geht dem Volk besser, wenn eine Gruppe von Männern es regiert, die immer wieder neu gewählt wird.« Er lächelte spöttisch. »Wahlen geben jedem die Chance, der Beste zu sein — oder der Schlechteste.«
»Aber du bist doch der Beste!« rief sie. »Niemand ist besser als du! Du bist zum König geboren, Caesar! Rom würde unter deiner Herrschaft blühen — und zuletzt wärst du König der ganzen Welt!«
»Das will ich gar nicht sein«, sagte er geduldig. »Ich will nur Erster Mann in Rom sein — der erste unter gleichen. Als König hätte ich keine Rivalen, und das macht doch keinen Spaß. Ohne einen Cato und einen Cicero, die mich herausfordern, würde ich verdummen.« Er beugte sich vor und küßte ihre Brüste. »Es ist schon gut so, wie es ist, Frau.«
»Willst du denn nicht, daß dein Sohn Römer ist?« fragte sie und kuschelte sich an ihn.
»Was ich will, spielt keine Rolle. Mein Sohn ist kein Römer.«
»Du könntest ihn zu einem machen.«
»Mein Sohn ist kein Römer. Er ist Gallier.«
Sie küßte seine Brust und wickelte eine Haarsträhne um seinen wachsenden Penis. »Aber«, murmelte sie, »ich bin eine Prinzessin. Er hat besseres Blut, als wenn er eine Römerin zur Mutter gehabt hätte.«
Caesar rollte auf sie. »Sein Blut ist nur zur Hälfte römisch — und nicht einmal das läßt sich beweisen. Er heißt Orgetorix, nicht Caesar, und wird auch weiterhin so heißen. Schicke ihn zu deinen Leuten, wenn er alt genug ist. Mir gefällt die Vorstellung, daß ein Sohn von mir König sein wird. Aber nicht König von Rom.«
»Und wenn ich eine berühmte Königin wäre, so berühmt, daß sogar Rom zu mir aufblicken würde?«
»Auch wenn du die Königin der ganzen Welt wärst, meine Liebe, es wäre nicht gut genug. Du bist weder eine Römerin noch Caesars Frau.«
Was immer sie darauf erwidern wollte, es blieb ungesagt, denn Caesar verschloß ihr den Mund mit einem Kuß. Weil er sie im Bett so verzauberte, ließ sie das Thema fallen und gab sich ganz den körperlichen Wonnen hin. Doch nahm sie sich vor, später weiter darüber nachzudenken.
Dazu hatte sie den ganzen Winter über reichlich Gelegenheit, während römische Legaten gewichtig über die steinerne Schwelle von Caesars Haus schritten, ihrem Sohn Reverenz erwiesen und zu Tisch lagen und endlos von Armeen sprachen, von Legionen, Nachschub, Befestigungen...
Ich verstehe das nicht, dachte sie, und er hat es mir auch nicht erklären können. Mein Blut ist doch viel edler als das aller Römerinnen! Ich bin die Tochter eines Königs! Ich bin die Mutter eines Königs! Mein Sohn sollte König von Rom sein, nicht nur König der Helvetier. Was Caesar sagt, leuchtet mir nicht ein, und wie kann ich es je verstehen, wenn er es mir nicht erklärt? Könnte eine Römerin es mir erklären? Eine Römerin?
Während Caesar mit den Vorbereitungen seiner pangallischen Konferenz in Samarobriva beschäftigt war, diktierte Rhiannon einem Schreiber der Haeduer auf Lateinisch einen Brief an die berühmte Römerin Servilia. Daß sie ausgerechnet an Servilia schrieb, zeigte, daß der römische Klatsch überall kursierte.
Ich schreibe Dir, verehrte Servilia, weil ich weiß, daß Du jahrelang eine enge Freundin Caesars warst und das nach Caesars Rückkehr nach Rom auch wieder sein wirst. So sagt man jedenfalls hier in Samarobriva.
Ich habe Caesar einen Sohn geboren, der jetzt drei ist. Ich bin königlichen Geblüts, denn ich bin die Tochter König Orgetorix’ von den Helvetiern. Caesar nahm mich meinem Mann weg, dem Haeduer Dumnorix. Doch als mein Sohn geboren wurde, sagte Caesar, er solle in Gallia Comata als Gallier aufwachsen, und er bestand darauf, ihm einen gallischen Namen zu geben. Ich nannte ihn Orgetorix, aber viel lieber hätte ich ihn Caesar Orgetorix genannt.
Bei uns in Gallien ist es absolut notwendig, daß ein Mann mindestens einen Sohn hat. Deshalb haben die Adligen mehr als eine Frau, für den Fall, daß eine unfruchtbar ist. Denn was ist die Karriere eines Mannes wert, wenn er keinen Sohn hat, der ihm nachfolgen kann?
Und Caesar hat keinen Sohn, will aber nichts davon hören, daß mein Sohn ihm in Rom nachfolgt. Ich fragte ihn nach dem Grund. Er sagte nur, ich sei keine Römerin. Damit meinte er, ich sei nicht gut genug. Selbst wenn ich Königin der ganzen Welt wäre, aber keine Römerin, sei ich nicht gut genug. Ich verstehe das nicht, und das macht mich wütend.
Verehrte Servilia, kannst Du mir das erklären?
Der Schreiber erhob sich mit seinen Wachstafeln, um Rhiannons kurzen Brief auf Papier zu übertragen. Anschließend fertigte er eine Zweitschrift an, die er Aulus Hirtius gab, damit dieser sie Caesar vorlegen konnte.
Die Gelegenheit dazu ergab sich, als Hirtius Caesar mitteilte, Labienus habe die Treverer mit durchschlagendem Erfolg in der Schlacht gestellt.
»Er hat ihnen eine Lektion erteilt«, sagte Hirtius mit ausdruckslosem Gesicht.
Caesar musterte ihn mißtrauisch. »Und?« fragte er.
»Indutiomarus ist tot.«
Caesar sah ihn überrascht an. »Seltsam! Ich dachte, die Belgen und die Kelten hätten inzwischen gelernt, daß ihre Anführer zu wertvoll sind, um sie in vorderster Front kämpfen zu lassen.«
»Das — haben sie ja auch«, sagte Hirtius. »Aber Labienus hat seine Anordnungen erteilt. Egal wer oder wie viele entkamen, er wollte Indutiomarus, das heißt — nicht alles von ihm, nur seinen Kopf.«
»Beim Jupiter, der Mann ist ja selbst ein Barbar!« rief Caesar zornig. »Es gibt im Krieg wenig Regeln, aber eine davon ist, daß man einem Volk nicht die Anführer wegnimmt, indem man sie ermordet! Wieder etwas, das ich für den Senat in tyrischen Purpur einwickeln muß! Ich wünschte, ich könnte mich in so viele Legaten aufteilen, wie ich brauche, und alles selbst tun! Ist es nicht schlimm genug, daß in Rom die Köpfe von Römern auf der Rednerbühne zur Schau gestellt wurden? Tun wir jetzt dasselbe mit den Köpfen unserer barbarischen Gegner? Er hat den Kopf doch ausgestellt, oder?«
»Ja, auf den Wällen des Lagers.«
»Haben seine Männer ihn zum Imperator ausgerufen?«
»Ja, noch auf dem Schlachtfeld.«
»Dann hätte er Indutiomarus gefangennehmen und für seinen Triumphzug aufsparen können. Indutiomarus hätte sterben müssen, aber zuvor wäre er als Roms Gast geehrt worden, und er hätte die Größe seines Schicksals begriffen. Denn während eines Triumphes zu sterben, ist eine Auszeichnung, aber ihn zu töten, das war gemein — schäbig! Wie kann ich das in meinen Briefen an den Senat so hinstellen, daß es gut klingt, Hirtius?«
»Mein Rat ist, nichts zu beschönigen, sondern einfach zu sagen, was geschah.«
»Er ist mein Legat, mein Stellvertreter.«
»Richtig.«
»Was ist in ihn gefahren, Hirtius?«
Hirtius zuckte die Schultern. »Er ist ein Barbar, der genauso Konsul werden will wie Pompeius Magnus. Um jeden Preis, und ohne Rücksicht auf den mos maiorum.«
»Wieder ein Picentiner!«
»Labienus ist nützlich, Caesar.«
»Wie du sagst, nützlich.« Caesar starrte die Wand an. »Er erwartet, daß ich ihn als Kollegen wähle, wenn ich in fünf Jahren wieder Konsul bin.«
»Ja.«
»Rom will mich, aber nicht Labienus.«
»Ja.«
Caesar begann auf-- und abzugehen. »Darüber muß ich nachdenken.«
Hirtius räusperte sich. »Da ist noch etwas.«
»Ja?«
»Rhiannon.«
»Rhiannon?«
»Sie hat an Servilia geschrieben.«
»Mit Hilfe eines Schreibers, da sie selbst nicht schreiben kann.«
»Und der Schreiber gab mir eine Zweitschrift des Briefes. Den Boten mit dem Original habe ich zurückgehalten, bis du den Brief absegnest.«
»Wo ist er?«
Hirtius übergab ihn.
Wieder wurde ein Brief zu Asche verbrannt, diesmal in einer Kohlenpfanne. »Närrisches Weib!«
»Soll der Bote das Original nach Rom mitnehmen?«
»Ja, soll er. Aber laß mich die Antwort sehen, bevor Rhiannon sie bekommt.«
»Selbstverständlich.«
Caesar zog den scharlachroten Feldherrnmantel von dem tförmigen Ständer. »Ich brauche Bewegung«, sagte er, warf sich den Mantel um die Schultern und band die Schnüre eigenhändig zusammen. Dann sah er Hirtius starr an. »Laß Rhiannon beobachten.«
»Noch eine gute Nachricht, bevor du in die Kälte hinausgehst, Caesar.«
Ein trübseliges Lächeln huschte über Caesars Gesicht. »Das kann ich gebrauchen! Was?«
»Ambiorix hatte bei den Germanen noch keinen Erfolg. Sie sind vorsichtig geworden, seit du eine Brücke über den Rhenus gebaut hast. Sein Bitten und Schmeicheln hat keinen einzigen Germanen über den Fluß nach Gallien gebracht.«
Der Winter näherte sich dem Ende, und die pangallische Konferenz stand unmittelbar bevor, als Caesar mit vier Legionen in das Gebiet der Nervier zog, um die Macht des Stammes endgültig zu brechen. Er hatte Glück; der ganze Stamm hatte sich in seinem größten oppidum versammelt, um zu besprechen, ob Abgeordnete nach Samarobriva geschickt werden sollten. Die Männer waren zwar bewaffnet, waren aber nicht auf einen Überfall Caesars gefaßt, und Caesar ließ keine Gnade walten. Die überlebenden Nervier sowie die beträchtliche Beute überließ er seinen Soldaten. Er selbst und seine Legaten verzichteten diesmal auf persönlichen Gewinn; alles, auch der Erlös aus dem Verkauf der Sklaven, ging an die Legionäre. Danach verwüstete er das Gebiet der Nervier und brannte alles nieder außer dem Dorf, das Vertico gehörte. Die gefangenen Stammesführer wurden nach Rom gebracht, wo sie bis zum Tag seines Triumphes ehrenvoll behandelt und standesgemäß untergebracht werden sollten, wie er zu Aulus gesagt hatte. Am Tag seines Triumphes würde man ihnen im Tullianum den Hals brechen, aber bis dahin hatten sie Zeit zu erkennen, welch ruhmreiches Schicksal ihnen zuteil wurde.
Caesar hatte seit seiner Ankunft in Gallia Comata jährlich eine Konferenz aller gallischen Stämme abgehalten, die ersten in Bibracte im Land der Haeduer. In diesem Jahr sollte sie zum erstenmal so weit im Westen stattfinden, und alle Stämme waren durch Boten aufgeforden worden, Abgeordnete zu schicken. Caesars Ziel war, mit allen Stammesführern zu sprechen, mit Königen, Räten und gewählten Vergobreten, und sie davon zu überzeugen, daß ein Krieg mit Rom nur ein Ergebnis haben konnte — die Niederlage.
In diesem Jahr hoffte er auf mehr Erfolg. Alle Stämme, die in den vergangenen Jahren Krieg geführt hatten, waren besiegt worden, egal wie groß sie gewesen waren und für wie unbesiegbar sie sich gehalten hatten. Sogar der Verlust der Dreizehnten hatte in einen Vorteil umgemünzt werden können. Jetzt würden sicher alle erkennen, was für ein Schicksal ihnen drohte!
Doch je näher der Eröffnungstag der Konferenz rückte, desto mehr schwand Caesars Hoffnung. Drei der größten Stämme hatten niemanden geschickt: die Treverer, die Senonen und die Carnuten. Auch die Nemeten und Tribocer waren nicht gekommen; sie waren allerdings noch nie gekommen, aus verständlichen Gründen — ihr Gebiet grenzte an den Rhenus und lag dem Gebiet der besonders wilden und kriegerischen germanischen Sueben gegenüber. Die Verteidigung ihres Landes nahm sie so in Anspruch, daß sie mit den anderen Stämmen in Gallia Comata sowieso kaum Kontakt hatten.
Der gewaltige, aus Holz errichtete und mit Bären-- und Wolfsfellen behängte Saal war trotzdem voll, als Caesar die Rednerbühne betrat. Grellweiß leuchtete seine purpurgeränderte Toga aus dem farbigen, exotischen Gepränge der versammelten Gallier heraus. Jeder Stamm war mit seinen Farben vertreten: die Atrebaten in Person König Commius’ mit ihren scharlachroten Karos, die Cadurcer mit Orange und Smaragdgrün, die Remer mit Karmesin und Blau und die Haeduer mit scharlachroten und blauen Streifen. Doch das Gelb und Scharlachrot der Carnuten fehlte, und ebenso das Indigo und Gelb der Senonen und das Dunkel-- und Hellgrün der Treverer.
»Ich will nicht näher auf das Schicksal der Nervier eingehen«, begann Caesar mit der hohen Stimme, mit der er seine Reden hielt. »Ihr wißt alle, was passiert ist.« Er sah Vertico an und nickte. »Daß heute ein Nervier hier ist, zeugt von seiner Vernunft. Warum gegen das Unvermeidliche kämpfen? Fragt euch doch selbst, wer euer wahrer Gegner ist! Rom oder die Germanen? Die Anwesenheit Roms in Gallia Comata ist letzten Endes nur zu eurem Guten. Sie gewährleistet, daß ihr eure gallischen Bräuche und Traditionen behalten könnt. Sie stellt sicher, daß die Germanen nicht über den Rhenus kommen. Ich, Gaius Julius Caesar, habe in jedem Vertrag, den ich mit euch geschlossen habe, zugesagt, daß ich für euch gegen die Germanen kämpfen werde! Denn ohne die Hilfe Roms könnt ihr die Germanen nicht in Schach halten. Wer das bezweifelt, frage die Abgeordneten der Sequaner.« Er zeigte auf die in Karmesin und Rosa gekleideten Männer. »König Ariovistus von den Sueben hat sie überredet, ihn auf einem Drittel ihres Landes siedeln zu lassen. Da die Sequaner Frieden wollten, beschlossen sie, als freundliche Geste auf seinen Wunsch einzugehen. Doch gebt den Germanen den kleinen Finger, und sie nehmen nicht nur eure ganze Hand, sondern euer ganzes Land! Glauben die Cadurcer vielleicht, daß sie diesem Schicksal entgehen, weil sie weit weg im Südwesten leben, neben den Aquitanern? Sie entgehen ihm nicht! Hört auf mich, sie entgehen ihm nicht! Wenn ihr nicht die Römer bei euch duldet und willkommen heißt, werdet ihr alle dasselbe Schicksal erleiden!«
Der Abgeordneten der Arverner belegten eine ganze Reihe, denn die Arverner waren ein sehr mächtiges Volk. Sie waren alte Feinde der Haeduer und bewohnten das bergige Land der Cebenna, in dem die Flüsse Elaver, Caris und Vigemna entsprangen. Vielleicht deshalb trugen sie Hemden und Hosen in einem verwaschenen Braun und dazu hellblau, braun und dunkelgrün karierte Umhänge. Damit waren sie im Schnee oder in felsigem Gelände kaum zu sehen.
Einer von ihnen, ein glattrasierter junger Mann, stand auf.
»Erkläre mir den Unterschied zwischen Römern und Germanen«, sagte er in dem carnutischen Dialekt, den Caesar auch sprach, einem Dialekt, den alle Druiden sprachen und der deshalb überall verstanden wurde.
»Nein.« Caesar lächelte. »Erkläre du ihn mir.«
»Ich sehe überhaupt keinen, Caesar. Fremdherrschaft ist Fremdherrschaft.«
»Aber es gibt gewaltige Unterschiede! Daß ich hier heute eure Sprache spreche, ist einer davon. Als ich nach Gallia Comata kam, sprach ich die Dialekte der Haeduer, Arverner und Vocontier. Seit damals habe ich mir die Mühe gemacht, die Sprache der Druiden, Atrebatisch und einige weitere Dialekte zu lernen. Stimmt, ich habe ein Ohr für Sprachen, aber ich bin auch Römer und weiß, wenn man direkt miteinander sprechen kann, hat ein Dolmetscher keine Gelegenheit, das Gesagte zu entstellen. Trotzdem habe ich keinen von euch aufgefordert, Latein zu lernen. Die Germanen dagegen würden euch zwingen, ihre Sprache zu sprechen, und ihr würdet eure allmählich verlernen.«
»Glatte Worte, Caesar!« sagte der junge Arverner. »Aber sie zeigen die größte Gefahr der Römerherrschaft: ihre raffinierten Methoden! Die Germanen sind nicht raffiniert und deshalb leichter zu bekämpfen.«
»Da das hier offenbar deine erste pangallische Konferenz ist, kenne ich deinen Namen nicht«, sagte Caesar unbeeindruckt. »Wie heißt du?«
»Vercingetorix!«
Caesar trat zum Rand der Rednerbühne. »Zuerst einmal, Vercingetorix, mit einer Fremdherrschaft müßt ihr Gallier euch abfinden. Die Welt schrumpft. Sie schrumpft, seit die Griechen und die punischen Völker sich entlang der Küste des Meeres ausgebreitet haben, das wir in Rom jetzt mare nostrum, Unser Meer nennen. Dann betrat Rom die Bühne. Die Griechen waren nie ein geeinter Staat. Sie bestanden aus vielen Kleinstaaten und kämpften wie ihr gegeneinander, bis das Land erschöpft war. Auch Rom war ein Stadtstaat, aber es unterwarf nach und nach ganz Italia und machte daraus einen Staat. Rom ist Italia. Doch beruht die Herrschaft Roms in Italia nicht auf einer Einzelperson, einem König. Ganz Italia wählt die römischen Magistraten, ganz Italia hat an Rom teil, ganz Italia stellt die Soldaten Roms. Denn Rom ist Italia. Und Rom wächst. Das ganze italische Gallien südlich des Padus gehört inzwischen zu Italia und wählt römische Magistraten, und bald wird auch das ganze italische Gallien nördlich des Padus römisch sein, das habe ich mir geschworen. Ich glaube an die Einheit, denn in der Einheit liegt die Stärke. Und ich möchte aus Gallia Comata ein geeintes Land machen. Das wäre das Geschenk Roms an euch. Die Germanen bringen keine erstrebenswerten Geschenke. Wenn Gallia Comata ihnen gehörte, wäre das ein Rückschritt. Sie haben kein Staatswesen, keine Institutionen des Handels, keinerlei Strukturen, die die Bevölkerung mit einer zentralen Regierung verbinden.«
Vercingetorix lachte verächtlich. »Ihr regiert doch nicht, ihr vergewaltigt! Es gibt keinen Unterschied zwischen Rom und den Germanen!«
Caesar antwortete ohne Zögern. »Wie gesagt, es gibt viele Unterschiede, ich habe nur einige genannt. Du hast mir nicht zugehört, Vercingetorix, weil du nicht zuhören willst. Du appellierst an die Leidenschaft, nicht an die Vernunft. Das wird dir viele Anhänger bringen, aber du wirst nicht in der Lage sein, ihnen zu geben, was sie am dringendsten brauchen — weisen Rat und ein nüchternes Urteil. Sieh dir die schrumpfende Welt an. Überlege, welchen Platz Gallia Comata in ihr haben wird, wenn es sich Rom anschließt statt den Germanen, wenn ihr euch nicht untereinander zerfleischt. Ich will nicht gegen euch kämpfen, bin aber sehr wohl bereit dazu, wenn es sein muß. Nach fünf Jahren Rom in der Person von Gaius Julius Caesar wißt ihr das. Rom eint, Rom bringt die römische Bürgerschaft, Verbesserungen des täglichen Lebens und Frieden und Wohlstand. Rom bringt geschäftliche Möglichkeiten und einen weitgespannten Handel, es eröffnet dem lokalen Handwerk die Möglichkeit, seine Waren in allen Ländern zu verkaufen, die zu Rom gehören. Ihr Arverner macht die beste Töpferware ganz Galliens. Als Teil der römischen Welt könntet ihr eure Töpfe noch viel weiter verkaufen als nach Britannien. Wenn römische Legionen die gallischen Grenzen bewachen, könnten die Arverner ihre Geschäfte ausweiten und ihren Reichtum mehren, ohne Überfälle, Plünderungen und — Vergewaltigung fürchten zu müssen.«
»Leere Worte, Caesar! Was passierte mit den Atuatucern? Den Eburonen? Den Morinern? Den Nerviern? Ausgeplündert! Versklavt! Vergewaltigt!«
Caesar hob seufzend die rechte Hand und steckte die linke in die Falten seiner Toga. »Alle diese Völker hatten ihre Chance«, sagte er ruhig. »Sie brachen ihre Verträge, sie zogen den Krieg der Unterwerfung vor. Sich zu unterwerfen hätte sie wenig gekostet. Sie hätten Tribut gezahlt und dafür Frieden bekommen, Schutz vor germanischen Überfällen und ein Leben in Sicherheit und Wohlstand. Sie hätten weiter zu ihren Göttern beten können, sie hätten ihr Land nicht verloren, sie wären freie Männer geblieben, und — vor allem — sie wären noch am Leben!«
»Unter fremder Herrschaft«, sagte Vercingetorix.
Caesar nickte. »Das ist der Preis, Vercingetorix. Die leichte Hand Roms am Zügel oder die schwere der Germanen. Das ist die Alternative. Die Welt wächst zusammen, Gallia Comata ist in den Kreis der Länder des mare nostrum getreten. Das muß euch allen klar sein. Es gibt kein Zurück. Rom ist hier und wird hier bleiben. Weil auch für Rom wichtig ist, daß die Germanen nicht über den Rhenus kommen. Vor gut fünfzig Jahren zog eine Dreiviertel Million Germanen durch Gallia Comata. Ihr mußtet ihre Anwesenheit hinnehmen, Rom in der Person des Gaius Marius hat euch gerettet. Und jetzt wird euch Rom in der Person seines Neffen retten. Findet euch mit der Anwesenheit Roms ab, das rate ich euch dringendst! Wenn ihr das tut, wird sich nur wenig ändern. Fragt die gallischen Stämme in unserer Provinz Gallia Narbonensis — die Volcer, die Vocontier, die Helvier, die Allobroger. Sie sind zwar Römer, aber deshalb nicht weniger Gallier. Sie leben in Frieden und Wohlstand.«
»Ha!« schnaubte Vercingetorix. »Schöne Worte! Diese Stämme warten doch nur darauf, daß jemand sie von dem fremden Joch befreit!«
»Du irrst dich«, entgegnete Caesar freundlich. »Geh hin und rede selbst mit ihnen, und du wirst sehen, daß ich recht habe.«
»Wenn ich hingehe, dann nicht, um sie zu fragen«, sagte Vercingetorix, »sondern mit einem Speer in der Hand.« Er lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie könnt ihr hoffen, uns zu besiegen? Ihr seid eine Handvoll, nicht mehr! Rom ist ein einziger Bluff! Die Völker, mit denen ihr bisher zu tun hattet, waren zahm, dumm und feige! In Gallia Comata gibt es mehr Krieger als in ganz Italia und im italischen Gallien! Vier Millionen Kelten, zwei Millionen Belgen! Ich kenne die Volkszählungen von euch Römern — bei euch leben nicht so viele! Drei Millionen, Caesar, keiner mehr!«
»Zahlen besagen gar nichts«, sagte Caesar, der belustigt schien. »Rom besitzt drei Dinge, die weder die Kelten noch die Belgen haben — Organisation, Technik und die Fähigkeit, die vorhandenen Kräfte optimal zu nutzen.«
»Ach ja, eure vielgepriesenen technischen Künste! Und? Konntet ihr mit den Dämmen, die ihr gegen den Ozean gebaut habt, auch nur eine der venetischen Festungen erobern? Nein! Auch wir wissen mit technischem Gerät umzugehen! Frage deinen Legaten Quintus Tullius Cicero! Wir haben ihn mit Belagerungstürmen belagert, wir haben gelernt, römische Wurfmaschinen zu bedienen! Wir sind weder zahm noch dumm, noch feige! Wir haben seit deiner Ankunft in Gallien gelernt, Caesar! Und solange du hier bist, werden wir weiterlernen! Außerdem sind nicht alle römischen Feldherrn mit dir vergleichbar! Früher oder später kehrst du nach Rom zurück und Rom schickt einen Narren zu uns nach Gallien! Einen wie Cassius bei Burdigala! Oder wie Mallius und Caepio bei Arausio!«
»Oder wie Ahenobarbus, der vor fünfundsiebzig Jahren die Arverner vernichtete«, sagte Caesar lächelnd.
»Die Arverner sind heute mächtiger als damals, bevor Ahenobarbus kam!«
»Vercingetorix von den Arvernern, höre mir zu«, sagte Caesar fest. »Ich habe Verstärkung angefordert, vier weitere Legionen, das sind insgesamt vierundzwanzigtausend Mann. Vier Monate nach Beginn der Aushebung stehen diese Legionen kampfbereit im Feld, zu meiner Verfügung. Alle Legionäre tragen Kettenhemden, am Gürtel kunstvoll geschmiedete Dolche und Schwerter, auf dem Kopf Helme und in der Hand pila. Sie beherrschen die militärischen Kommandos im Schlaf. Sie haben Wurfmaschinen dabei, sie wissen, wie man die für eine Belagerung nötigen Maschinen baut und wie man Befestigungen anlegt. Sie marschieren jeden Tag mindestens dreißig Meilen, angeführt von fähigen Zenturionen. Sie werden willens sein, dich und alle Gallier zu hassen — und wenn du sie zum Kampf provozierst, werden sie dich hassen.
Ich werde eine Fünfte — Sechste — Siebte — Achte — Neunte — Zehnte — Elfte — Zwölfte — Dreizehnte — Vierzehnte — und Fünfzehnte Legion haben! Alle in voller Stärke! Fünfzigtausend Legionäre! Und dazu viertausend Reiter der Haeduer und Remer!«
Vercingetorix lachte höhnisch. »Was für ein Narr du bist, Caesar! Soeben hast du uns deine Truppenstärke für dieses Jahr verraten!«
»Das habe ich, allerdings nicht aus Dummheit, sondern als Warnung. Ich sage dir — sei vernünftig und klug. Du kannst nicht gewinnen! Warum es dann überhaupt versuchen? Warum eure besten Männer sinnlos opfern? Warum die Frauen der Männer berauben und das Land entvölkern, so daß ich römische Veteranen ansiedeln muß, die eure Frauen heiraten und römische Kinder zeugen können?«
Und plötzlich war Caesars eiserne Beherrschung wie weggeblasen. Drohend reckte er sich auf, und Vercingetorix wich, ohne es zu merken, einen Schritt zurück.
»Wenn ihr mich herausfordert, zwinge ich euch in die Knie!« donnerte Caesar. »Erhebt das Schwert gegen mich, und euer Untergang ist besiegelt! Ich bin unbesiegbar! Rom ist unbesiegbar! Die Mittel, die uns in Italia zur Verfügung stehen, sind so gewaltig und so schnell abrufbar, daß ich jeden Verlust, den ich habe, im Handumdrehen ersetzen kann! Wenn ich will, kann ich meine vierundfünfzigtausend Soldaten verdoppeln! Und alle ausrüsten! Ich warne dich, paß auf! Ich sage dir das nicht für heute, sondern für die Zukunft! Roms Organisation, Technik und Macht allein besiegeln euren Untergang! Und hofft nicht auf den Tag, an dem Rom einen weniger fähigen Statthalter nach Gallien schickt! Denn dann wird es euch nicht mehr geben! Ich, Caesar, habe euch bis dahin alle vernichtet!«
Zornig eilte er von der Bühne und verließ den Saal; die Gallier und seine Legaten blieben versteinert zurück.
»Was für ein Ausbruch!« sagte Trebonius zu Hirtius.
»Man mußte es ihnen deutlich sagen«, erwiderte Hirtius.
»Tja, ich bin dran.« Trebonius stand auf. »Was soll ich nach diesem Auftritt noch sagen?«
Quintus Cicero grinste. »Vielleicht einige diplomatische Worte.«
»Es ist doch schnurzegal, was Trebonius sagt«, meinte Sextius. »Entscheidend ist, daß sie vor Caesar Angst haben.«
»Dieser Vercingetorix sucht Streit«, sagte Sulpicius Rufus.
»Er ist noch jung«, sagte Hirtius, »und bei den anderen Abgeordneten der Arverner nicht sehr beliebt. Sie hörten ihm zähneknirschend zu und hätten am liebsten ihn umgebracht, nicht Caesar.«
Während die Versammlung im großen Saal weitertagte, saß Rhiannon mit dem Schreiber der Haeduer in Caesars Steinhaus.
»Lies mir vor«, sagte sie.
Der Schreiber öffnete das Siegel, das bereits geöffnet und mit Quintus Ciceros Siegelring erneut versiegelt worden war (Rhiannon wußte ja nicht, wie Servilias Siegel aussah). Dann zog er die kleine Rolle auseinander und beugte sich murmelnd längere Zeit darüber.
»Lies!« befahl Rhiannon ungeduldig.
»Ich muß es zuerst entziffern«, erwiderte er.
»Caesar braucht nicht so lange.«
Er sah seufzend auf. »Caesar ist Caesar. Außer ihm kann niemand einen Brief vom Blatt lesen. Und je mehr du redest, desto länger brauche ich.«
Rhiannon ergab sich und zupfte nervös an den goldenen Fäden, mit denen ihr langes, bräunlich-karmesinrotes Gewand durchwirkt war. Sie brannte darauf zu erfahren, was Servilia ihr schrieb.
Endlich war der Schreiber soweit. »Ich kann anfangen.«
»Dann fang an!«
»>Tja, ich habe wirklich nicht damit gerechnet, von Caesars gallischer Freundin einen Brief in sehr seltsamem Latein zu bekommen, aber zugegeben, es ist amüsant. Du hast Caesar also einen Sohn geboren. Wie erstaunlich! Ich habe ihm eine Tochter geboren. Sie trägt genausowenig wie Dein Sohn Caesars Namen, denn ich war damals mit Marcus Junius Silanus verheiratet. Ein entfernter Verwandter dieses Marcus Junius Silanus, der genauso heißt, ist dieses Jahr einer von Caesars Legaten. Meine Tochter heißt deshalb Junia, und weil sie die dritte Junia ist, nenne ich sie Tertulla.
Du schreibst, Du seist eine Prinzessin. Bei den Barbaren gibt es so was, ich weiß. Du schreibst das, als ob es eine Bedeutung hätte, aber das hat es nicht. Für einen Römer zählt nur römisches Blut. Römisches Blut ist besser. Der nichtswürdigste Gauner, der in Rom durch eine dunkle Gasse schleicht, ist besser als Du, weil römisches Blut in seinen Adern fließt. Kein Sohn, dessen Mutter keine Römerin ist, könnte Caesar interessieren. Caesar hat den erhabensten Stammbaum aller Römer. Unter seinen Vorfahren war kein einziger Nichtrömer. Wenn Rom einen König hätte, hieße er Caesar. Seine Vorfahren waren Könige. Aber Rom hat keinen König, und Caesar würde das auch gar nicht zulassen. Römer beugen sich vor niemandem.
Ich kann Dir nicht helfen, Barbarenprinzessin. Ein Römer braucht keinen leiblichen Sohn, um seine Macht und den Familiennamen zu vererben, denn er kann einen Sohn adoptieren. Er tut das sehr sorgfältig. Er adoptiert einen Sohn, der würdig ist, sein Geschlecht fortzusetzen, und der infolge der Adoption seinen Namen annimmt. Auch mein Sohn wurde adoptiert. Er hieß Marcus Junius Brutus, aber sein Onkel, mein Bruder, der kinderlos starb, adoptierte ihn testamentarisch. Aus Brutus wurde Quintus Servilius Caepio, Mitglied meiner Familie. Erst in den letzten Jahren ist er wieder zu dem Namen Marcus Junius Brutus zurückgekehrt, aus Stolz auf einen Vorfahren unter den Juniern, Lucius Junius Brutus, der den letzten König von Rom verbannte und die römische Republik gründete.
Wenn Caesar keinen Sohn hat, wird er einen Sohn aus julianischem Geschlecht und mit makellos römischen Vorfahren adoptieren. So ist es in Rom Brauch. Caesar weiß das, und er weiß auch, daß er, sollte er keinen leiblichen Sohn haben, testamentarisch Abhilfe schaffen kann.
Antworte nicht auf diesen Brief. Die Vorstellung, daß Du Dich mit Caesars Frauen auf eine Stufe stellst, mißfällt mir entschieden. Du bist nicht mehr und nicht weniger als ein Notbehelfe«
Der Schreiber ließ die Rolle zusammenschnappen. »Jetzt wissen wir mal wieder, wohin wir Barbaren gehören«, sagte er wütend.
Rhiannon nahm ihm den Brief weg und begann ihn in kleine Stücke zu zerreißen. »Verschwinde!« fauchte sie.
Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie zu Orgetorix ging, der im Nebenzimmer in Obhut seiner Amme spielte. Gerade zog er geschäftig ein Spielzeugmodell des Trojanischen Pferdes über den Boden. Caesar hatte es ihm geschenkt und ihm gezeigt, wie es funktionierte. Wenn man es an der Seite öffnete, purzelten fünfzig lebensecht geschnitzte und bemalte Griechen heraus, von denen jeder einen Namen hatte: der rothaarige Menelaus, der rothaarige Odysseus mit den kurzen Beinen, der schöne Neoptolemus, Sohn des toten Achilles, und sogar einer, Echion, dessen Kopf mit gebrochenem Hals umknickte, wenn er auf den Boden fiel. Caesar hatte angefangen, Orgetorix die Sage zu erzählen und die Namen vorzustellen, aber weder Gedächtnis noch Verstand des Kindes hatten für die Beschäftigung mit Homer ausgereicht, und so hatte Caesar es wieder aufgegeben. Wenn der Knabe trotzdem über das Geschenk begeistert war, dann aus ganz anderen, kindlichen Gründen: Das Spielzeug bewegte sich, in ihm waren Dinge versteckt, die man herausnehmen und wieder hineinstecken konnte, und alle, die es sahen, bewunderten es und waren neidisch.
»Mama!« rief er, ließ die Schnur fallen, die an dem Pferd befestigt war, und streckte die Arme aus.
Rhiannons Tränen versiegten. Sie trug ihn zu einem Stuhl und nahm ihn auf den Schoß. »Mach dir nichts draus«, flüsterte sie, die Wange an seine glänzenden Locken gedrückt. »Du bist zwar kein Römer, sondern ein Gallier, aber du wirst König der Helvetier sein! Und du bist Caesars Sohn!« Ihr Atem wurde heftiger, und sie bleckte die Zähne. »Sei verflucht, Servilia! Nie soll er zu dir zurückkehren! Heute abend gehe ich zur Priesterin im Schädelturm und kaufe den Fluch für ein langes, in Elend verbrachtes Leben!«