Caesars Armee war wieder vereint. Die Fünfzehnte Legion hatte er aufgelöst und mit den inzwischen kampferprobten Legionären die anderen zehn Legionen aufgefüllt, vor allem die stark dezimierte Achte. Mit Labienus, Trebonius, Quintus Cicero, Fabius, Sextius, Hirtius, Decimus Brutus, Marcus Antonius und einigen anderen Legaten sowie dem gesamten Troß marschierten sie von Agedincum nach Osten ins Land der romtreuen Lingonen.
»Wir wären eine verlockend fette Beute«, sagte Caesar zufrieden zu Trebonius. »Zehn Legionen, sechstausend Reiter, dazu die gesamte Ausrüstung.«
»Wobei zweitausend Reiter Germanen sind«, schmunzelte Trebonius und drehte sich zu Labienus um. »Na, was hältst du von unserer neuen germanischen Reiterei, Titus?«
»Sie ist wahrhaftig jeden Sesterz wert, der für ihre Aufstellung bezahlt wurde«, brummte Labienus und entblößte seine Pferdezähne. »Obwohl unsere gekränkten Militärtribunen dich dafür nicht gerade lieben werden, Caesar!«
Caesar lachte. Sechzehnhundert Germanen hatten in Agedincum auf sie gewartet, und Trebonius hatte sich mächtig dafür ins Zeug gelegt, daß ihre Klepper gegen remische Schlachtrösser eingetauscht wurden. Nicht, daß die Remer sie nicht hätten herausrücken wollen, im Gegenteil. Sie bekamen für ihre Pferde derart überzogene Preise, daß sie sich gern von allen bis auf die Zuchttiere trennten, nur hatten sie nicht genügend Pferde. Als Caesar nach Agedincum kam, glich er diesen Mangel dadurch aus, daß er alle Militärtribunen zwang, ihre rassigen italischen Pferde — Staatseigentum hin oder her — gegen die germanischen Klepper einzutauschen. Das entrüstete Geschrei, das daraufhin ausbrach, war zwar weithin zu hören, doch ließ es Caesar kalt.
»Ihr könnt eure Arbeit ebensogut auf einem Klepper wie auf einem Pegasus tun«, erklärte er. »Es geht nicht anders, also tacete, ineptes!«
Flankiert von zweitausend Germanen und viertausend Remern auf nervös tänzelnden Pferden, wand sich die fünfzehn Meilen lange römische Kolonne nach Osten.
»Warum bilden sie so lange Kolonnen?« wollte König Teutomarus von König Vercingetorix wissen, als sie hoch zu Roß von einer Anhöhe aus auf die scheinbar endlose Prozession hinuntersahen. »Sie könnten doch auch in vier oder fünf oder sechs Kolonnen nebeneinanderher marschieren.«
»Weil keine Armee groß genug ist, um eine so lang auseinandergezogene Kolonne auf ihrer gesamten Länge anzugreifen«, erklärte König Vercingetorix geduldig. »Selbst mit den drei-- oder vierhunderttausend Männern, die ich nach der Heeresversammlung in Carnutum hoffentlich zur Verfügung habe, hätte ich Schwierigkeiten, obwohl ich es sicher versuchen würde. Eine solche Kolonne ist eine sehr geschickte Sache. Wo immer sie angegriffen wird, kann sich der Rest zu Flügeln formieren und die Angreifer einschließen. Und die Soldaten sind so gut ausgebildet, daß sie sich in der Zeit, die wir brauchen, um zum Angriff zu blasen, bereits zu einem oder mehreren Vierecken aufgestellt haben. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Tausende von Bogenschützen brauche. Übrigens habe ich gehört, daß die Parther vor einem knappen Jahr eine marschierende römische Kolonne angegriffen und in die Flucht geschlagen haben. Dank ihrer Bogenschützen und einer Armee, die nur aus Reitern bestand.«
»Dann willst du sie jetzt also ziehen lassen?« fragte König Teutomarus.
»Nein, nicht ganz ungeschoren. Immerhin habe ich dreißigtausend Reiter gegen ihre sechstausend, kein schlechtes Verhältnis. Aber nur Reiter gegen Reiter sollen kämpfen, Teutomarus. Ach, wenn ich doch berittene Bogenschützen hätte!«
Als Caesars Armee nicht mehr weit vom Nordufer der Icauna entfernt war, griff Vercingetorix von drei Seiten mit seinen Reitern an. Die gallische Strategie beruhte auf dem Glauben, daß Caesar seinen relativ wenigen Reitern nicht erlauben würde, sich von der Marschkolonne zu entfernen, und daß die Reiter sich deshalb damit begnügen würden, die Legionäre zu schützen und den gallischen Angriff abzuwehren.
So siegesbewußt waren die Gallier, daß sie vor ihrem König schworen, wer nicht wenigstens zweimal durch die römische Marschkolonne reite, dürfe niemals mehr zu Heim, Frau und Kindern zurückkehren.
Die gallischen Reiter teilten sich in drei Gruppen auf. Zwei jeweils neuntausend Mann starke Gruppen bedrängten die römische Kolonne an den Flanken, die dritte griff die Kolonnenspitze an. Als Problem stellte sich freilich heraus, daß das ebene Gelände, das für den Angriff so vieler Reiter eine notwendige Voraussetzung war, auch ideal für die römischen Legionäre war; sie stellten sich sofort im Viereck auf und nahmen Troß und Artillerie in die Mitte. Außerdem verfuhr Caesar anders, als Vercingetorix erwartet hatte. Statt seinen Reitern zu befehlen, zum Schutz der Legionäre in deren unmittelbarer Nähe zu bleiben, stellte er die Legionäre so auf, daß sie sich selbst schützen konnten, teilte seine Kavallerie in drei zweitausend Mann starke Einheiten und schickte sie unter Labienus aufs offene Gelände hinaus, um dort gegen die Gallier zu kämpfen.
Die Germanen auf der rechten Flanke trugen den Sieg davon. Sie stürmten einen Hügelkamm, warfen die bei ihrem Anblick zu Tode erschrockenen Gallier aus ihrer Stellung und ritten sie mit lautem Gebrüll nieder. Die Gallier wurden nach Süden zum Fluß gejagt, wo Vercingetorix seine Fußsoldaten zusammenzog und verzweifelt versuchte, die Panik einzudämmen. Doch die unter Kriegsgeschrei vorwärtsstürmenden Ubier mit ihren auf dem Kopf aufgetürmten Haaren und den hervorragenden Pferden waren durch nichts aufzuhalten. Sie ritten in ihrem Blutrausch alles zu Boden, was sich ihnen entgegenstellte, und die weniger ungestümen Remer fühlten sich bei ihrem Stolz gepackt und setzten alles daran, es den Germanen gleichzutun.
Schließlich mußte Vercingetorix den Rückzug antreten. Germanen und Remer verfolgten seine Nachhut noch den ganzen Tag.
Zum Glück war die Nacht stockfinster. Caesars Reiter zogen sich zurück, und der König von Gallien konnte seine Männer in einem behelfsmäßigen Lager unterbringen.
»So viele Germanen!« Gutruatus erschauerte.
»Und alle auf Pferden der Remer«, sagte Vercingetorix bitter. »Das werden die Remer uns büßen!«
»Das ist unser Hauptproblem«, meinte Sedulius. »Wir reden zwar ständig von Vereinigung, aber einige Völker lehnen sie ab, und andere sind nicht mit dem Herzen dabei.« Er starrte Litaviccus an. »Wie die Haeduer!«
»Die Haeduer haben heute gezeigt, was sie können«, stieß Litaviccus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Cotus, Cavarillus und Eporedorix sind nicht zurückgekehrt. Sie sind tot.«
»Nein«, widersprach Drappes, »ich habe gesehen, wie Cavarillus gefangengenommen wurde. Die beiden anderen waren beim Rückzug anfangs noch dabei. Aber nicht alle sind hierher zurückgekehrt. Einige sind abgeschwenkt, vermutlich, um einen Bogen um Caesar zu machen und dann nach Westen zu reiten.«
»Was passiert jetzt?« fragte Teutomarus.
»Wir warten jetzt darauf, daß das Heer aller Gallier sich versammelt«, sagte Vercingetorix langsam. »Es sind nur noch ein paar Tage bis dahin. Ich hatte gehofft, persönlich nach Carnutum gehen zu können, aber nach diesem Rückschlag muß ich bei meiner Armee bleiben. Gutruatus, geh du an meiner Stelle nach Carnutum, und nimm Sedulius und seine Lemovicer, Drappes und seine Senonen, Teutomarus und seine Nitiobrigen und Litaviccus und seine Haeduer mit. Ich behalte die restlichen Reiter und die achtzigtausend Fußsoldaten — Mandubier, Biturigen und meine Arverner. Wie weit ist es nach Alesia, Daderax?«
Der Anführer der Mandubier antwortete ohne Zögern. »Ungefähr fünfzig Meilen nach Osten, Vercingetorix.«
»Dann ziehen wir uns für ein paar Tage nach Alesia zurück, aber nur für ein paar Tage. Ich will kein zweites Avaricum erleben.«
»Alesia ist nicht Avaricum«, sagte Daderax. »Es ist viel zu groß und zu stark befestigt, um gestürmt oder belagert zu werden. Selbst wenn die Römer versuchen würden, eine ähnliche Blockade wie in Avaricum durchzuführen, könnten sie uns dort nicht einschließen, geschweige denn angreifen. Wir können die Stadt deshalb jederzeit wieder verlassen.«
»Wieviel Proviant haben wir noch, Critognatus?« fragte Vercingetorix seinen Vetter.
»Genug für zehn Tage, wenn Gutruatus und die, die mit ihm nach Westen gehen, den größten Teil hierlassen.«
»Wie lange reichen die Vorräte in Alesia, wenn ich mit achtzigtausend Fußsoldaten und zehntausend Reitern dorthin gehe?«
»Zehn Tage. Aber wir können zusätzliche Lebensmittel in die Stadt schaffen. Die Römer können sie nicht überall abriegeln.« Er kicherte. »Dort ist es nicht so flach wie hier!«
»Dann teilen wir uns morgen. Gutruatus, der größte Teil der Reiterei und einige Fußsoldaten gehen nach Carnutum, der Hauptteil der Fußsoldaten und zehntausend Reiter kommen mit mir nach Alesia.«
Das Land der Mandubier lag ungefähr achthundert Fuß über dem Meeresspiegel — eine zerklüftete Berglandschaft mit über sechshundertfünfzig Fuß hohen Erhebungen. Alesia, die wichtigste Festung, lag auf einer oben flachen, rautenförmigen Anhöhe inmitten weiterer, etwa gleich hoher Berge. An den Längsseiten im Norden und Süden schoben sich die Hügel bis dicht an die Anhöhe heran, im Osten berührte sie fast die Ausläufer eines Höhenrückens. Am Fuß der beiden abschüssigen Längsseiten strömten zwei Flüsse entlang. Die herausragende natürliche Lage Alesias wurde dadurch abgerundet, daß die Anhöhe nach Westen hin, wo sich offenes und ebenes Gelände erstreckte — ein schmales, drei Meilen langes Tal, durch das die beiden Flüsse fast nebeneinanderher flossen —, am steilsten und unzugänglichsten war.
Die von einem furchterregenden murus gallicus umgebene Zitadelle nahm das gesamte, abschüssige westliche Ende der Anhöhe ein; das sanft abfallende östliche Ende war dagegen nicht ummauert. Mehrere tausend mandubische Frauen, Kinder und Alte — die Angehörigen der in den Krieg gezogenen Soldaten — hatten Zuflucht in der Stadt gesucht.
»Genauso hatte ich es in Erinnerung«, sagte Caesar schlechtgelaunt, als das römische Heer die westlich der Anhöhe gelegene Flußniederung erreichte. »Trebonius, was melden die Kundschafter?«
»Daß Vercingetorix sich in die Festung zurückgezogen hat, Caesar, zusammen mit achtzigtausend Fußsoldaten und zehntausend Reitern. Die Reiter scheinen allerdings außerhalb der Mauern, am östlichen Rand des Plateaus, zu lagern. Wenn du es selbst sehen willst — man kann an den östlichen Rand hinreiten, es ist nicht gefährlich.«
»Willst du damit sagen, ich würde nicht hinreiten, wenn es gefährlich wäre?«
Trebonius starrte ihn an. »Nach all den Jahren? Natürlich nicht! Entschuldige, daß ich mich so verquer ausgedrückt habe.«
Caesar, der auf einem gewöhnlichen germanischen Pferd saß, riß den Kopf des Tieres unsanft herum und trat ihm mehrmals mit den Fersen in die Rippen, bis es sich in Bewegung setzte.
»Auwei! Warum ist er denn so gereizt?« flüsterte Decimus Brutus.
»Weil er gehofft hat, es wäre nicht so schlimm wie in seiner Erinnerung«, sagte Fabius.
»Warum ist er deshalb schlecht gelaunt? Er kann Alesia doch sowieso nicht erobern«, meinte Antonius.
Labienus lachte laut. »Das glaubst auch nur du, Antonius! Trotzdem bin ich froh, daß wir dich haben. Mit deinen breiten Schultern wirst du gut graben können.«
»Graben?«
»Graben, graben und nochmals graben.«
»Aber doch nicht seine Legaten!«
»Kommt ganz darauf an, wieviel wir graben müssen. Wenn er anfängt zu graben, graben wir auch.«
»Allmächtige Götter, ich diene unter einem Verrückten!«
»Ich wünschte, ich wäre nur halb so verrückt«, sagte Quintus Cicero wehmütig.
Hintereinander ritten die Legaten hinter Caesar an dem an der Südseite Alesias vorbeifließenden Fluß entlang. Von hier sah Antonius, wie felsig und groß das Plateau war — es erstreckte sich von West nach Ost über eine gute Meile. Zwar konnte man leicht hinaufklettern, allerdings nicht im Sturmangriff. Oben angekommen, wäre man außer Atem gewesen und außerdem ein leichtes Ziel für Speerwerfer oder Bogenschützen auf der Mauer. Das eine halbe Meile breite östliche Ende stellte vor ähnliche Probleme.
»Sie waren vor uns da.« Caesar zeigte zum Fuß des Osthangs, von wo sich der Weg zur Festung hinaufschlängelte.
Die Gallier hatten zwischen den Ufern der beiden Flüsse im Norden und Süden einen sechs Fuß hohen Wall errichtet und davor einen Wassergraben gezogen. Ein Stück hinter dem Hauptwall führten zwei kürzere Wälle an der nördlichen und südlichen Flanke der Anhöhe hinauf.
Als die gallischen Reiter die Römer sahen, riefen sie und lachten höhnisch. Caesar lächelte und winkte ihnen zu. Doch das Gesicht, das die Legaten sahen, war keineswegs freundlich.
Als sie zu dem kleinen Tal im Westen zurückkehrten, bauten die Legionäre bereits, wie sie es gewohnt waren, ihre Lager auf.
»Provisorische Lager genügen, Fabius«, sagte Caesar. »Ordentlich aufgebaut, aber nicht mehr. Wozu Energie für etwas aufwenden, das wir, wenn wir hier siegen, ohnehin nur kurze Zeit bewohnen werden.«
Die Legaten schwiegen.
»Quintus, du organisierst das Fällen der Bäume. Fang gleich morgen früh damit an. Und werft die Äste nicht weg, wir brauchen spitze Pfähle. Fällt junge Bäume für Brustwehr, Zinnen und Schutzwände der Türme. Sextius, du gehst mit der Sechsten auf Proviantsuche. Bring alles mit, was du auftreiben kannst. Ich brauche auch Holzkohle, also sieh zu, daß du welche findest — nicht zum Härten der angespitzten Pfähle, dafür müßte normales Feuer ausreichen, aber um das Eisen, das wir haben, zu bearbeiten. Antistius, du kümmerst dich um das Eisen. Die Schmiede sollen ihre Öfen aufbauen und die Gußformen für die Stachelstöcke auspacken. Sulpicius, du bist für die Schanzarbeiten zuständig, und du, Fabius, baust Brustwehr, Zinnen und Schutzwände. Antonius, du bist als Quartiermeister dafür zuständig, daß die Soldaten mit dem Notwendigen versorgt sind. Ich erkenne dir die Bürgerrechte ab, verkaufe dich in die Sklaverei und lasse dich kreuzigen, wenn du deine Arbeit nicht gut machst. Labienus, du kümmerst dich um die Verteidigung. Versuch, möglichst nur mit Reiterei auszukommen, die Legionäre brauche ich zum Bauen. Trebonius, du bist mein Stellvertreter und bleibst ständig an meiner Seite. Decimus und Hirtius, ihr bleibt ebenfalls bei mir. Ich brauche für mindestens dreißig Tage Proviant, ist das klar?«
Antonius fragte für die anderen. »Was ist geplant?«
Caesar sah seinen Stellvertreter an. »Was ist geplant, Trebonius?«
»Wir bauen einen Wall um Alesia herum«, antwortete Trebonius.
Erstaunt riß Antonius den Mund auf. »Einen Wall?«
»Richtig, Antonius«, sagte Caesar, »einen Wall. Das heißt, wir errichten eine Befestigungsanlage, die um ganz Alesia herumläuft. Vercingetorix glaubt, ich könnte ihn dort oben auf dem Berg nicht einschließen. Aber ich kann das sehr wohl. Er wird sich wundern.«
»Aber das sind doch Meilen!« rief Antonius. Er konnte es noch immer nicht fassen. »Und fast nirgends ist das Gelände richtig eben!«
»Dann läuft der Wall eben hinunter und hinauf, Antonius. Wenn uns ein Berg im Weg ist, um den wir nicht herum kommen, führen wir den Wall über den Berg. Er wird Alesia jedenfalls vollkommen einschließen und ist unsere wichtigste Befestigung. Wir graben zwei Gräben, der äußere fünfzehn Fuß breit und acht Fuß tief, mit steilen Seiten und flachem Boden und mit Wasser gefüllt, der zweite unmittelbar dahinter ebenfalls fünfzehn Fuß breit und acht Fuß tief, aber nach unten wie ein V zulaufend, so daß kein Platz zum Stehen ist. Direkt hinter diesem Graben kommt der Wall, den wir aus der Erde bauen, die beim Ausheben der Gräben anfällt. Wie hoch ist der Wall also, Antonius?«
»Auf der Innenseite — auf unserer Seite — zwölf Fuß, außen — also auf ihrer Seite — zwanzig Fuß, weil er dort direkt an den acht Fuß tiefen Graben anschließt.«
»Den Göttern sei Dank, er hat jemanden gefunden, an dem er sich abreagieren kann!« flüsterte Decimus Brutus.
»Kein Wunder. Antonius gehört ja zur Familie«, sagte Quintus Cicero, der Fachmann in Sachen Familie.
»Gut, Antonius!« lobte Caesar. »Der Weg auf dem Wall für die Legionäre wird zehn Fuß breit sein. Zu ihrem Schutz bekommt der Wall oben eine Brustwehr. Alles verstanden, Antonius? Gut. Alle achtzig Fuß kommt ein Turm, der den Wall um drei Stockwerke überragt. Noch Fragen, Antonius?«
»Ja. Du hast von unserer wichtigsten Befestigung gesprochen. Was planst du außerdem noch?«
»Überall dort, wo der Boden eben ist und für größere Angriffe in Frage kommt, graben wir einen zwanzig Fuß breiten und fünfzehn Fuß tiefen Graben mit senkrechten Seiten, vierhundert Schritt vom Wassergraben entfernt — also zweitausend Fuß, Antonius. Ist das soweit klar?«
»Ja, Feldherr. Aber welche Absicht verfolgst du mit dem vierhundert Schritt breiten Stück zwischen diesem Graben und dem Wassergraben?«
»Ich wollte dort einen Garten anlegen. Trebonius, Hirtius, Decimus, laßt uns losreiten. Ich will abmessen, wie lang der Wall sein muß.«
»Was schätzt du?« fragte Antonius grinsend.
»Zwischen zehn und zwölf Meilen.«
»Er ist verrückt«, sagte Antonius im Brustton der Überzeugung zu Fabius.
»Und genial!« gab Fabius lächelnd zurück.
Die Gallier beobachteten von ihrer Zitadelle aus, wie Landvermesser den Fuß des Berges von Alesia Meile für Meile abschritten und Wall und Gräben Form anzunehmen begannen, und langsam dämmerte ihnen, was Caesar vorhatte. Vercingetorix’ erste Reaktion war, die gesamte Reiterei zum Angriff hinauszuschicken. Doch die Gallier konnten ihre Angst vor den Germanen nicht bezwingen und erlitten eine schwere Niederlage. Das schlimmste Gemetzel fand am östlichen Rand der Anhöhe statt, als sich die Gallier bereits auf dem Rückzug befanden. Die Tore von Vercingetorix’ Wällen erwiesen sich als zu eng, um die in Panik geratenen Reiter schnell genug hindurchzulassen, so daß die Germanen die Gallier auf ihrer hitzigen Verfolgungsjagd scharenweise töten und ihre Pferde mitnehmen konnten, denn das Ziel jedes Germanen war, zwei gute Pferde sein eigen zu nennen.
In den folgenden Nächten machten sich die überlebenden gallischen Reiter in östlicher Richtung über den Höhenrücken aus dem Staub, und Caesar folgerte daraus, daß sich Vercingetorix nun seines Schicksals bewußt war. Er und achtzigtausend Fußsoldaten waren in Alesia eingeschlossen.
Mit einer selbst für Antonius, der sich in militärischen Angelegenheiten für sehr erfahren gehalten hatte, schier unvorstellbaren Geschwindigkeit entstanden der Wassergraben, der Graben dahinter, Erdwall, Brustwehr, Befestigungen und Türme. Innerhalb von dreizehn Tagen hatten Caesars Legionäre den gesamten Komplex in der gesamten Länge von elf Meilen fertiggestellt und überall dort, wo das Gelände einigermaßen eben war, den Graben mit den senkrechten Wänden ausgehoben.
Außerdem hatten sie in dem vierhundert Schritt breiten Streifen zwischen diesem Graben und dem Wassergraben Caesars »Garten« angelegt. Denn der Graben konnte trotz seiner Tiefe und der senkrecht abfallenden Wände überbrückt werden, was auch geschah: Die Gallier machten mit zunehmendem Geschick Ausfälle aus der Stadt und belästigten die an den Befestigungsanlagen arbeitenden Legionäre. Doch Caesar hatte dies von Anfang an berücksichtigt. Die Schmiede hatten inzwischen Tausende tückische Stachelstöcke gegossen — so viele, bis das von den Biturigen geraubte Eisen restlos aufgebraucht war.
In Caesars vierhundert Schritt breitem »Garten« wurden nun drei verschiedene Arten von Barrieren angelegt. Gleich hinter dem senkrechten Graben rammten die Soldaten fußlange Holzpfähle in die Erde, in die sie zuvor die spitzen Eisenstöcke getrieben hatten. Die Stachelstöcke ragten nur knapp aus dem Boden heraus, der anschließend mit Binsenmatten und Laub bedeckt wurde. Auf sie folgten eine Reihe von drei Fuß tiefen Gruben mit leicht geneigten Seiten, in deren Boden heimtückisch spitze Pfähle von Schenkeldicke eingegraben wurden; anschließend wurden die Gruben zu zwei Dritteln zugeschüttet und die Erde festgestampft. Dann kamen wieder Binsenmatten und Laub auf den Boden, aus dem nur die Köpfe der Pfähle heraussahen. Diese Gruben, von den Soldaten »Lilien« genannt, wurden in einem komplizierten Muster von Vierecken und Diagonalen angelegt. Und schließlich zogen die Männer kurz vor dem Wassergraben noch fünf getrennte, willkürlich verlaufende, fünf Fuß tiefe Gräben, in deren schräge Seiten feuergehärtete und angespitzte Äste gesteckt wurden, die direkt auf das Gesicht eines sich nähernden Mannes oder die Brust eines Pferdes zielten. »Grabsteine« nannten die Soldaten diese Vorrichtungen scherzhaft.
Die gallischen Überfallkommandos kamen nicht wieder.
»Gut«, sagte Caesar, als die elf Meilen langen Befestigungen fertig waren. »Jetzt machen wir dasselbe noch einmal auf der Außenseite, diesmal auf einer Länge von vierzehn Meilen, denn wir müssen über viele Berge, was die Strecke natürlich verlängert. Begreifst du das, Antonius?«
»Ja, Caesar«, sagte Antonius, und seine Augen funkelten; er genoß es, Caesars Zielscheibe zu sein, und machte sich einen Spaß daraus, die Rolle des Trottels gut zu spielen. Jetzt stellte er die Frage, die Caesar von ihm hören wollte. »Aber warum machst du das?«
»Weil sich in diesem Augenblick in Carnutum das gallische Aufgebot versammelt, Antonius. Schon in wenigen Tagen wird die Armee in Alesia eintreffen, um Vercingetorix zu befreien. Folglich brauchen wir einen Befestigungsring, damit Vercingetorix nicht hinaus kann, und einen, damit die gallischen Befreier nicht hinein können. Und wir stehen dazwischen.«
»Ach so!« Antonius schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Wie beim Wagenrennen auf dem Marsfeld im Oktober! Wir befinden uns sozusagen auf der Rennbahn, und die Befestigungsringe sind deren Geländer. Alesia liegt drinnen, die gallische Entsatzarmee ist draußen.«
»Sehr gut, Antonius! Ein guter Vergleich!«
»Wieviel Zeit bleibt uns, bevor die Gallier hier sind?«
»Meine Kundschafter sagen, mindestens noch dreizehn Tage, vermutlich sogar mehr. Der gesamte äußere Befestigungsring muß also in dreizehn Tagen fertig sein. Das ist ein Befehl.«
»Aber er ist drei Meilen länger!«
»Die Legionäre sind inzwischen auch viel routinierter, Antonius«, mischte sich Trebonius ein. »Sie werden beim zweiten Mal viel schneller sein.«
Tatsächlich ging alles viel schneller vonstatten, obwohl das Gelände erheblich steiler war. Sechsundzwanzig Tage nach der Ankunft von Caesars Heer war Alesia ringsum von zwei getrennten Befestigungsgürteln umgeben, jeder ein Spiegelbild des anderen. Gleichzeitig waren zwischen den Ringen insgesamt dreiundzwanzig Festungen errichtet worden, und an der äußeren Verteidigungslinie ragte alle tausend Fuß ein hoher Wachturm empor. Die Legionen und die Reiterei bezogen getrennte Lager, die ebenfalls befestigt waren; die Legionen auf dem Gelände zwischen den Ringen, die Reiterei außerhalb, wo reichlich Trinkwasser zur Verfügung stand.
»Die Technik ist keineswegs neu«, erklärte Caesar, als er die fertiggestellten Befestigungen inspizierte. »Sie wurde bereits in Capua gegen Hannibal angewandt, und Scipio Aemilianus bediente sich ihrer zweimal, in Numantia und in Karthago. Zwar hielten sich in Capua und Karthago damals mehr Menschen auf als in Alesia, aber dafür mußte man nicht auch noch mit einer Entsatzarmee von einer Viertelmillion fertigwerden. Das ist ein Rekord.«
»Dann lohnt sich die Mühe wenigstens«, meinte Trebonius.
»Allerdings. So bequem wie bei Aquae Sextiae haben wir es hier nicht. Die Gallier haben seit meiner Ankunft dazugelernt. Und ich will meine Soldaten auf keinen Fall verlieren.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Sind es nicht tüchtige Kerle?« sagte er leise.
Er sah seine Legaten streng an. »Es ist unsere Pflicht, alles in unserer Macht stehende zu tun, die Verluste möglichst gering zu halten. Die harte Arbeit der Legionäre soll nicht umsonst gewesen sein. Daß die Entsatzarmee der Gallier eine Viertelmillion Mann stark ist, ist meinen Informationen zufolge eher noch zu wenig. Der Sinn unserer Arbeit hier ist es, das Leben römischer Soldaten zu schützen und uns den Sieg zu sichern. Der Krieg in Gallien wird hier in Alesia entschieden.« Er lächelte. »Und ich habe nicht die Absicht, ihn zu verlieren.«
Der innere Befestigungsring verlief durch die Alesia umgebenden Täler und im Osten über den Ausläufer des Höhenzugs. Der äußere Ring zog sich über die kleine Ebene im Westen, dann zur Kuppe des Berges südlich von Alesia hinauf, auf dessen Ostflanke wieder hinunter zum südlichen der beiden Flüsse, von da über den Kamm des Höhenzugs im Osten zum nördlichen Fluß und schließlich zum Gipfel des sich im Norden von Alesia erhebenden Berges. Zwei der vier Legionärslager lagen am Hang des südlichen, ein weiteres an dem des nördlichen Berges.
Und dort, im Norden, befand sich auch die einzige Schwachstelle des Ringes. Der Berg im Nordwesten war zu hoch für den Bau einer Mauer gewesen. Ein an seinem Fuß gelegenes Reiterlager war durch starke Mauern mit dem äußeren Befestigungsring verbunden worden — doch war eine solche Sicherung bei dem vierten Legionärslager, das die Lücke im Befestigungsring sichern sollte, nicht möglich gewesen. Zu ungünstig war die Lage des Lagers an einem steilen und felsigen Abhang.
»Wenn ihre Kundschafter etwas taugen, entdecken sie die Schwachstelle«, meinte Labienus, der als einziger Anführer noch sein italisches Pferd ritt. Sein lederner Brustpanzer knarrte, als er sich im Sattel zurücklehnte und mit seinem Adlerprofil den Berg hinauf spähte. »Schade.«
»Ja«, stimmte Caesar zu. »Aber wenigstens kennen wir die Schwachstelle. Das Legionärslager sichert sie.« Er schlang ein Bein um die beiden vorderen Sattelknöpfe — eine Angewohnheit von ihm —, drehte sich im Sattel um und zeigte auf den Berg im Süden. »Von dort oben kann ich alles überblicken. Sie werden sich im Westen sammeln, denn ihre Reiterei ist zu groß, um im Norden oder Süden anzugreifen. Und Vercingetorix wird am Westrand Alesias herunterkommen, um an derselben Stelle unseren inneren Befestigungsring anzugreifen.«
Decimus Brutus seufzte. »Wir können nur abwarten.«
Vielleicht weil er seit einiger Zeit keinen Wein mehr bekam, fühlte Marcus Antonius sich hellwach, wissensdurstig und energiegeladen, und er verfolgte jedes Wort der Legaten und jeden Gesichtsausdruck und jede Äußerung Caesars mit gespannter Aufmerksamkeit. In einem solchen Moment hier zu sein! Nie zuvor war so etwas wie Alesia gewagt worden. Weniger als sechzigtausend Mann sollten einen zwölf Meilen langen Mauerring gegen einen Feind verteidigen, der sie mit achtzigtausend Mann von der Innenseite und einer Viertelmillion von der Außenseite belagerte...
Und ich bin dabei, bin ein Teil davon! Ach Antonius, auch dir ist das Glück hold! Deshalb schuften sie für ihn, und deshalb lieben sie ihn fast so sehr wie sich selbst. Durch ihn gelangen sie zu ewigem Ruhm, denn er teilt seine Siege stets mit ihnen. Ohne sie ist er nichts, aber er weiß das. Gabinius wußte es nicht, und auch keiner der anderen, unter denen ich gedient habe. Caesar kennt seine Männer, er spricht ihre Sprache. Eine eigenartige Faszination geht von ihm aus. Aber ich bin genauso. Eines Tages werden sie mich genauso lieben wie ihn. Ich muß mir nur seine Art zu eigen machen, dann werde ich seinen Platz einnehmen, sobald er zu alt für dieses Leben ist. Eines Tages werden Caesars Männer die Männer von Antonius sein. In zehn Jahren gehört er der Vergangenheit an, und dann bin ich dran. Und dann werde ich noch größer als Gaius Julius Caesar sein.
Vercingetorix stand mit einigen anderen gallischen Häuptlingen auf der Westmauer von Alesia, dort, wo sich die Hügelkuppe zu einer vorspringenden Nase verengte, der wie ein bizarrer Kristall aus der Raute herauswuchs.
»Offenbar beenden sie gerade die Inspektion ihrer Befestigungen«, sagte Biturgo. »Der in dem scharlachroten Mantel, das ist Caesar. Aber wer ist der Mann auf dem guten Pferd neben ihm?«
»Labienus«, antwortete Vercingetorix. »Die anderen haben ihre italischen Pferde wahrscheinlich den germanischen Hunden überlassen.«
»Sie stehen jetzt schon eine ganze Weile an dieser Stelle«, sagte Daderax nachdenklich.
»Weil ihre Befestigungen dort eine Lücke haben«, sagte Vercingetorix. »Ich frage mich nur, wie ich unsere Leute auf die Schwachstelle hinweisen kann, wenn sie kommen. Sie ist nur von hier zu sehen.« Er wandte sich ab. »Kommt mit. Wir müssen vieles besprechen.«
Sie waren zu viert: Vercingetorix, sein Vetter Critognatus, Biturgo und Daderax.
»Thema Proviant«, sagte der König, und sein ausgemergelter Körper verlieh dem Wort Nachdruck. »Wieviel haben wir noch, Daderax?«
»Das Getreide ist aufgebraucht, aber wir haben noch Rinder und Schafe. Und ein paar Eier, wenn nicht bereits allen Hühnern der Hals umgedreht wurde. Seit vier Tagen sind alle auf halbe Ration gesetzt. Wenn wir die Ration noch einmal halbieren, reicht es vielleicht für weitere vier bis fünf Tage. Danach müssen wir Schuhsohlen essen.«
Biturgo hieb donnernd mit der Faust auf den Tisch, und die andern fuhren erschrocken zusammen. »Hör endlich auf, uns etwas vorzumachen, Vercingetorix!« brüllte er. »Glaubst du vielleicht, wir wüßten nicht, daß die Entsatzarmee seit vier Tagen hier sein müßte? Du verschweigst uns doch etwas. Daß du nämlich überhaupt keine Armee erwartest.«
Schweigen trat ein. Vercingetorix, der am Kopfende saß, legte die Hände auf den Tisch, drehte den Kopf und starrte durch das große Fenster hinter ihm, dessen geöffnete Flügel die milde Frühlingsluft hereinließen. Seit sie in Alesia eingeschlossen waren, hatte er sich einen Bart wachsen lassen, und jetzt wurde klar, warum er als einziger immer glattrasiert gewesen war: Sein Bart war schütter und silbergrau. Auch die Krone trug er nicht mehr.
»Wenn sie unterwegs wäre, müßte sie jetzt eigentlich hier sein«, sagte er schließlich. Dann seufzte er. »Ich habe die Hoffnung aufgegeben, daß sie noch kommt. Also müssen wir uns zunächst um Verpflegung kümmern.«
»Die Haeduer haben uns verraten!« knurrte Daderax.
»Heißt das, wir sollen uns ergeben?« fragte Biturgo.
»Ich werde es nicht tun. Aber ich habe Verständnis dafür, wenn jemand von euch mit seinen Männern Alesia verlassen und vor Caesar kapitulieren will.«
»Wir dürfen uns nicht ergeben«, sagte Daderax heftig. »Was sollen zukünftige Generationen von uns denken?«
»Dann bleibt nur ein Ausfall mit allen Männern«, sagte Biturgo. »Dann sterben wir wenigstens auf dem Schlachtfeld.«
Critognatus war älter als Vercingetorix und hatte keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Vetter. Hochgewachsen, rothaarig, blauäugig und schmallippig, war er ein Gallier, wie er im Buche steht. Als könnte er es auf seinem Stuhl plötzlich nicht mehr aushalten, sprang er auf und begann auf und ab zu laufen. »Ich glaube es nicht«, sagte er und schlug sich mit der Faust auf die Hand. »Die Haeduer haben doch alle Brücken hinter sich abgebrochen. Sie würden es nicht wagen, uns zu verraten. Caesar würde Litaviccus nach Rom schicken, und dort müßte Litaviccus in seinem Triumphzug marschieren. Nein, ich kann es nicht glauben. Litaviccus will König von Gallien werden und nicht ein Vergobret von römischen Gnaden, also muß er wollen, daß wir siegen. Er wird alles tun, um dir zum Sieg zu verhelfen, Vercingetorix — erst danach wird er zum Verräter werden.« Critognatus kehrte zum Tisch zurück und sah Vercingetorix flehend an. »Siehst du nicht, daß ich recht habe? Die Entsatzarmee wird kommen! Ich weiß es! Mir ist nur unklar, warum sie noch nicht hier ist und wie lange es noch dauert, bis sie kommt. Aber sie wird kommen!«
Vercingetorix lächelte und streckte die Hand aus. »Ja, Critognatus, sie wird kommen. Das glaube ich auch.«
»Eben hast du noch das Gegenteil behauptet«, grollte Biturgo.
»Das stimmt. Aber Critognatus hat recht. Die Haeduer würden zuviel aufs Spiel setzen, wenn sie uns verrieten. Nein, vielleicht hat die Einberufung des Heeres sich verzögert, weil die Völker länger nach Carnutum unterwegs waren, als ich geschätzt habe. Gutruatus ist jedenfalls ein besonnener Mann, solange ihn nicht die Leidenschaft übermannt.«
Während Vercingetorix sprach, kehrte seine Begeisterung zurück, und er wirkte belebt und weniger von Sorgen niedergedrückt.
»Dann halbieren wir die Ration eben noch einmal«, seufzte Daderax.
»Es gäbe noch andere Möglichkeiten, die Verpflegung zu strecken«, sagte Critognatus.
»Nämlich?« fragte Biturgo skeptisch.
»Die Krieger müssen überleben, Biturgo. Wir müssen kampfbereit sein, wenn die gallische Armee eintrifft. Kannst du dir vorstellen, wie groß der Schock für sie wäre, wenn sie nach dem Sieg über Caesar beim Betreten der Stadt feststellen müßte, daß wir alle tot sind? Was das für ganz Gallien bedeuten würde? Der König tot, Biturgo tot, Daderax tot, Critognatus tot und alle Krieger und Frauen und Kinder der Mandubier tot? Weil wir nicht genug zu essen hatten? Weil wir verhungert sind?«
Critognatus trat vom Tisch zurück, so daß die anderen ihn ganz sehen konnten. »Ich schlage deshalb vor, wir tun dasselbe wie beim Einfall der Kimbern und Teutonen! Wir machen es genauso wie unser Volk damals — verbarrikadiert in seinen oppida, ernährte es sich zuletzt von den Nutzlosen, die nicht zum Krieg taugten. Eine gräßliche Kost, aber es mußte sein. Nur so konnten wir Gallier damals überleben. Und wer waren damals unsere Feinde? Germanen! Rastlose Menschen, die sich bald langweilten und wieder verschwanden, um neue Länder zu erobern. Und die uns ließen, was wir hatten, bevor sie gekommen waren — unsere Freiheit, unsere Bräuche und Traditionen, unsere Rechte. Aber wer ist heute unser Gegner? Die Römer! Und die werden nicht wieder verschwinden, sondern uns unser Land, unsere Frauen, unsere Rechte, die Früchte unserer Arbeit wegnehmen. Sie werden hier ihre Villen mit Heizöfen, Bädern und Blumengärten bauen! Sie werden uns demütigen und unsere Leibeigenen über uns setzen! Sie werden unsere oppida zu Städten machen, in denen das Laster herrscht! Wir Adlige werden Sklaven sein! Und glaubt mir, bevor ich ein römischer Sklave werde, esse ich tausendmal lieber Menschenfleisch!«
Vercingetorhr würgte, kreideweiß im Gesicht. »Das wäre ja abscheulich!« stieß er hervor.
»Ich glaube, die Krieger müssen das entscheiden«, sagte Biturg°.
Daderax war über dem Tisch zusammengesunken und hatte den Kopf in den Armen vergraben. »Mein Volk, mein Volk«, murmelte er. »Die Alten, die Frauen, die Kinder, alle unschuldig.«
Vercingetorix holte tief Atem. »Ich könnte es nicht«, sagte er.
»Ich könnte es«, erklärte Biturgo. »Aber die Krieger sollen entscheiden.«
»Wenn sie entscheiden sollen, wozu haben wir dann einen König?« fragte Critognatus.
Ein Stuhl schrammte über den Boden, und Vercingetorix stand auf. »Nein, Critognatus, eine solche Entscheidung kann nicht der König treffen! Selbst die mächtigsten Könige haben Berater, und wenn es darum geht, ob wir uns mit den niedrigsten Tieren auf eine Stufe stellen wollen, muß das ganze Volk entscheiden.« Er sah Daderax an. »Daderax, alle sollen sich im Osten vor den Mauern versammeln.«
»Wie klug!« flüsterte Daderax und erhob sich schwerfällig. »Du weißt, wie die Abstimmung ausgehen wird, Vercingetorix! Du willst bloß nicht mit dem Makel der Entscheidung behaftet sein. Sie werden dafür stimmen, meine unschuldigen Mandubier zu essen. Sie sind ausgehungert, und Fleisch ist Fleisch. Doch ich habe eine bessere Idee. Laßt uns tun, was die Menschen schon immer mit denen getan haben, die sie nicht mehr ernähren konnten. Laßt uns die Unschuldigen den Tuatha übergeben. Laßt uns die Unschuldigen aussetzen wie unerwünschte Kinder. Laßt uns wie Eltern sein, die ihre kleinen Kinder nicht durchfüttern wollen, aber beten, daß jemand vorbeikommt, der Kinder will und sich ihrer annimmt. Überlassen wir die Sache den Tuatha. Vielleicht haben die Römer ja Mitleid und lassen die Ausgesetzten durch ihre Linien. Vielleicht haben die Römer so viel zu essen, daß sie ihnen ein paar Reste überlassen. Vielleicht kommt ja auch die Entsatzarmee und befreit uns. Oder sie müssen sterben, von allen verlassen, auch von den Tuatha. Das könnte ich hinnehmen. Aber glaubt ihr ernsthaft, ich würde einer Entscheidung zustimmen, die mich zwingen würde, entweder unschuldige Angehörige meines Volkes zu essen oder zu verhungern? Nie und nimmer! Wenn es unbedingt sein muß, werde ich sie aussetzen lassen — den Tuatha zum Geschenk. Dann hätten wir ein paar tausend hungrige Mäuler weniger zu stopfen. Zwar hätten wir immer noch achtzigtausend hungrige Krieger, aber unsere Vorräte würden länger reichen.« In seinen von den geweiteten Pupillen fast schwarzen Augen glänzten Tränen »Und wenn die Entsatzarmee nicht hier ist, bevor uns die Vorräte ausgehen, dann eßt zuerst mich!«
Die anderen folgten seinem Vorschlag. Während die letzten Rinder und Schafe von den Weiden am östlichen Ende von Alesia ins Innere der Stadt getrieben wurden, scheuchte man Frauen, Kinder und Alte nach draußen. Unter ihnen befanden sich auch Daderax’ Frau, sein Vater und seine bejahrte Tante.
Bis Einbruch der Dunkelheit kauerten die Ausgestoßenen noch vor den Mauern, flehten um Gnade und riefen weinend nach den Angehörigen, die als Krieger im Innern der Stadt geblieben waren. Als der nächste Morgen graute, saßen sie noch immer dort, doch niemand antwortete ihnen, und niemand kam zu ihnen heraus. Um die Mittagszeit begannen sie langsam den Berg hinunterzusteigen. Am Rand des großen Grabens blieben sie stehen und streckten die Arme zum römischen Wall aus, der mit Hunderten von Legionären bemannt war. Doch auch hier antwortete ihnen niemand. Niemand kam über den laubbedeckten Boden, um sie einzulassen, niemand warf ihnen etwas zu essen zu. Die Römer schauten nur herüber, bis der Anblick sie langweilte, dann wandten sie sich ab und gingen wieder ihren Aufgaben nach.
Am späten Nachmittag halfen sich die ausgestoßenen Mandubier wieder gegenseitig den Berg hinauf und drängten sich an die Mauer, wo sie weinten und die Namen jener schrien, die sie kannten und liebten und die sich im Innern befanden. Aber niemand antwortete. Niemand kam. Die Tore blieben geschlossen.
»Oh Dann, Mutter der Erde, rette meine Volk!« stammelte Daderax in seiner dunklen Kammer. »Sulis, Nuadu, Bodb und Macha, rettet mein Volk! Laßt die Entsatzarmee morgen kommen! Geht zu Esus und legt ein gutes Wort für uns ein, ich flehe euch an! Oh Dann, Mutter der Erde, rette mein Volk! Sulis, Nuadu, Bodb und Macha, rettet mein Volk...« Unaufhörlich betete er so, in einer endlosen Litanei.
Daderax’ Gebete wurden erhört. Am folgenden Tag kam das Heer der Gallier. Es kam von Südwesten und besetzte die dortigen Höhen. Der Wald verbarg die Männer zum Teil und nahm dem Anblick seinen Schrecken, aber am Mittag des folgenden Tages wimmelte es auf der drei Meilen langen Niederung zwischen den beiden Flüssen nur so von Reitern — ein Schauspiel, das keiner der Wachposten auf den römischen Türmen jemals vergessen würde. Es war ein Meer von Reitern, Tausende und Abertausende, ohne daß jemand auch nur annähernd ihre Zahl hätte schätzen können.
»Es sind so viele, daß sie manövrierunfähig sind«, stellte Caesar auf seinem Aussichtspunkt westlich unterhalb des südlichen Berggipfels fest. »Wieso begreifen sie eigentlich nicht, daß mehr nicht unbedingt besser bedeutet? Wenn sie nur ein Achtel der Männer dort unten aufstellen würden, könnten sie uns besiegen. Sie wären uns zahlenmäßig immer noch deutlich überlegen und hätten den nötigen Spielraum für Manöver. Aber so ist ihre Überlegenheit nichts wert.«
»Unsere Soldaten dort unten haben noch keinen richtigen Oberbefehlshaber«, gab Labienus zu bedenken. »Nur einige Abteilungen haben Anführer.«
Der römische Befehlsstab hatte sich versammelt, die Legaten, die wie Trebonius noch nicht für einen Teil des Mauerrings eingeteilt worden waren, und dreißig Militärtribunen auf germanischen Pferden, bereit, mit entsprechenden Befehlen zu diesem oder jenem Abschnitt zu reiten.
»Das ist dein Tag, Labienus«, sagte Caesar. »Oder mache ihn zu deinem. Ich gebe dir keine Befehle. Gib deine eigenen aus.«
»Dann setze ich die viertausend Reiter der drei Lager in der Ebene ein«, sagte Labienus mit grimmiger Miene. »Das Lager im Norden halte ich in Reserve. Die Männer müssen quer zur Ebene kämpfen, und viertausend sind dafür mehr als genug, sonst reiten mir die vordersten Reihen beim Zurückweichen nur die eigene Nachhut nieder.«
Die vier Reiterlager lagen, anders als die Lager der Legionäre, außerhalb des großen Mauerrings. Sie waren stark befestigt, aber das vor ihnen liegende Gelände war nicht mit Stachelstöcken, »Lilien« und »Grabsteinen« vermint. Caesar und seine Legaten beobachteten, wie die zur Ebene führenden Tore der drei Lager aufflogen und die römischen Reiter hinausritten.
»Da kommt Vercingetorix«, sagte Trebonius.
Caesar sah zum Stadttor am westlichen Ende der Südmauer der Zitadelle. Durch das offene Tor strömten mit Rampen, Brettern, Seilen, Enterhaken und Drahtnetzen ausgerüstete Gallier und hasteten den steilen Westhang hinunter.
»Zumindest wissen wir, daß sie Hunger haben«, meinte Quintus Cicero.
»Und daß sie wissen, was sie da unten erwartet«, fügte Trebonius hinzu. »Allerdings wird die Ausrüstung, die sie haben, nicht ausreichen; sie werden Stunden brauchen, um die Stachelstöcke und Lilien zu überwinden, und dann müssen sie noch mit den Grabsteinen und den eigentlichen Befestigungen fertigwerden. Das Reitergefecht wird beendet sein, bevor sie uns erreichen.«
Caesar pfiff nach seinem Pferd, das sofort angetrabt kam. Ohne Hilfe des Pferdeknechts sprang er in den Sattel und breitete seinen scharlachroten Feldherrnmantel über den Rücken des Pferdes. »Alles aufsitzen«, befahl er. »Und spitzt die Ohren, Tribunen. Ich habe keine Lust, einen Befehl zu wiederholen, und erwarte, daß meine Befehle wörtlich weitergegeben werden.«
Obwohl jeder Legionär auf seinem Posten stand und wußte, was er zu tun hatte, rechnete Caesar am ersten Tag noch nicht mit einem Angriff der gegnerischen Fußtruppen. Wer immer auf gallischer Seite das Kommando führte, ging offensichtlich davon aus, daß allein die Masse der gallischen Reiter den Galliern den Sieg bescheren und die römischen Truppen so zermürben würde, daß man sie am folgenden Tag mit den Fußtruppen angreifen konnte. Der unbekannte gallische Befehlshaber war zugleich klug genug, einige Bogenschützen und Speerwerfer unter seine Reiter zu mischen, und als die beiden Armeen aufeinandertrafen, waren es diese Fußsoldaten, die den Römern besonders zusetzten.
Von Mittag bis fast Sonnenuntergang tobte die Schlacht unentschieden hin und her, obgleich die Gallier schon glaubten, sie hätten gewonnen. Doch dann gelang es vierhundert Germanen, sich zu sammeln und erneut anzugreifen. Die Gallier wichen zurück, prallten auf die gewaltige Masse der noch nicht zum Einsatz gekommenen Reiter hinter ihnen und nahmen den Bogenschützen und Speerwerfern die Deckung, die daraufhin von den Germanen vernichtet wurden. Damit hatte sich das Blatt gewendet. Sämtliche germanischen und remischen Truppen auf dem Feld stürmten zum Angriff, und die Gallier flohen Hals über Kopf. Germanen und Remer verfolgten sie bis an ihr Lager, während der siegreiche Labienus seine Truppen zurückkommandierte, bevor tollkühner Mut seinen Sieg gefährden konnte.
Wie Trebonms vorausgesagt hatte, war Vercingetorix mit seiner Armee noch immer damit beschäftigt, die Stachelstöcke und Lilien zu überwinden, als der von der Ebene herüberkommende Lärm ihm den Ausgang der Schlacht verriet. Kurz darauf traten auch er und seine Männer den Rückzug in ihr Gefängnis an. Den ausgesetzten Mandubiern begegneten sie dabei nicht; diese kauerten noch immer vor der Mauer im Osten und waren viel zu erschrocken, um sich in die Nähe des Schlachtlärms zu wagen.
Am folgenden Tag geschah gar nichts.
»Sie werden in der Nacht über die Ebene kommen«, sagte Caesar zu seinen Legaten. »Und diesmal werden sie Fußsoldaten einsetzen. Trebonius, du übernimmst das Kommando über den äußeren Befestigungsring zwischen dem Fluß im Norden und dem mittleren der drei Lager von Labienus. Antonius, du kannst dich jetzt bewähren. Du kommandierst den äußeren Befestigungsring von Labienus’ mittlerem Lager bis zu meinem Standort an der Flanke des südlichen Berges. Fabius, du kommandierst den inneren Befestigungsring zwischen den beiden Flüssen, für den Fall, daß es Vercingetorix gelingt, Stachelstöcke, Lilien und Grabsteine zu überwinden, bevor wir die Angreifer an der Außenseite zurückgeschlagen haben. Sie wissen zwar nicht, was sie drinnen erwartet, aber da sie Leitern und Rampen mitbringen werden, um die Gräben zu überbrücken, kommen einige von ihnen möglicherweise durch. Ich will, daß überall auf den Wällen Fackeln brennen; die Fackeln müssen von Soldaten gehalten werden. Wer mit seiner Fackel einen Brand verursacht, wird ausgepeitscht. Ich will, daß alle Skorpione und größeren Katapulte auf die Türme gebracht werden, während die anderen Wurfgeschütze so in Stellung gebracht werden, daß sie ein Pfund schwere Munition noch über den äußeren Graben schießen können. Die Männer an den Wurfgeschützen kommen noch bei Tageslicht zum Einsatz, während die Schützen an Skorpionen und großen Schleudern vermutlich mit Fackelschein auskommen müssen. Auch wenn es nicht so leicht sein wird wie in Avaricum, erwarte ich von der Artillerie, daß sie ihr Bestes tut und zur Verwirrung der Gallier beiträgt. Fabius, falls Vercingetorix weiter kommt, als ich annehme, forderst du sofort Verstärkung an. Antistius und Rebilus, ihr bleibt mit euren beiden Legionen im Lager und beobachtet genau, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gibt, daß die Gallier unsere Schwachstelle entdeckt haben.«
Der Angriff von außen erfolgte um Mitternacht und wurde von einem gewaltigen Geschrei aus Tausenden von Kehlen eingeleitet, für Vercingetorix in der Zitadelle das Signal, daß ein Sturmangriff begonnen hatte. Klangfetzen von Trompetenstößen, die der Wind aus Alesia herabwehte, kündigten an, daß Vercingetorix ebenfalls zum Angriff ausrückte.
Mit knapp sechzigtausend Soldaten war es unmöglich, eine Doppelreihe von Wällen, die zusammen etwa fünfundzwanzig Meilen lang waren, auf der gesamten Länge zu bemannen. Caesars Strategie beruhte auf der Annahme, daß die Gallier sich auf bestimmte Stellen konzentrieren würden und Ausfälle in der Dunkelheit ohnehin nur auf dem flachen Gelände der Ebene erfolgen konnten. Da Caesar seinen Gegner nie unterschätzte, ließ er jedoch auch den Rest der Mauer nicht völlig ungeschützt und hatte es den Posten auf den Wachtürmen zur obersten Pflicht gemacht, im Anmarsch befindliche feindliche Truppen unverzüglich zu melden. Zwei Eigenschaften prägten seinen Feldzug in jenen letzten hektischen Tagen: die Schnelligkeit seiner Truppenbewegungen und die Anpassungsfähigkeit seiner Strategie.
Die Gallier des Entsatzheeres hatten eine stattliche Menge von Geschützen herangeschafft, die zum Teil noch von Sabinus und Cotta stammten, größtenteils aber Nachbauten römischer Originale waren. Inzwischen hatten sie auch gelernt, sie zu bedienen. Während einige Krieger damit beschäftigt waren, den äußeren Graben mit allem möglichen Gerät zu überbrücken, schossen andere mit Steinen auf den römischen Wall, der im Schein der Fackeln, die Caesar hatte anzünden lassen, gut zu sehen war. Die Geschosse richteten zwar einigen Schaden an, doch blieb er vergleichsweise harmlos gegenüber der zerstörerischen Wirkung der unablässig feuernden römischen Geschütze, die in genau der richtigen Entfernung aufgestellt worden waren — eine Bedingung, die die Gallier mangels Erfahrung oder Gelegenheit nicht genügend berücksichtigt hatten.
Nachdem die Gallier den Graben teilweise zugeschüttet oder überbrückt hatten, stürmten sie zu Tausenden über den zweitausend Fuß breiten, mit Laub bedeckten Streifen auf die römischen Befestigungen zu. Einige wurden von Stachelstöcken aufgeschlitzt, andere von Lilien aufgespießt, und noch andere liefen in die Grabsteine. Mit jedem Schritt, den die Gallier sich dem Wall näherten, wurden weitere Krieger von Skorpionbolzen niedergestreckt, denn angesichts der vielen Gallier konnten die römischen Artilleristen ihr Ziel gar nicht verfehlen. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen, welche Art von Fallen die Römer im Boden versteckt hatten, und so stiegen die nachrückenden Gallier einfach über die Körper der Gefallenen hinweg und erreichten schließlich die beiden Gräben. Doch hier war durch die Fackeln alles hell erleuchtet, und außerdem hatten die Römer zwischen Erdwall und Brustwehr zahlreiche weitere feuergehärtete Äste mit tückisch angespitzten Ästen gesteckt, so daß es den Galliern trotz der mitgebrachten Rampen und Balken nicht gelang, ihre Leitern anzulegen und hochzuklettern. Zu Hunderten wurden sie von römischen Bogenschützen, Speerwerfern und Artilleristen niedergemäht.
Trebonius und Antonius sorgten dafür, daß überall dort, wo sich die Gallier den Wällen gefährlich näherten, genügend Verstärkungstruppen anrückten. Dabei wurden zwar viele Soldaten verwundet, doch da die meisten Verletzungen geringfügig waren, hielten die Verteidiger sich wacker.
Als die Gallier bei Tagesanbruch abzogen, lagen Tausende von Toten zwischen den Stachelstöcken, Lilien und Grabsteinen. Vercingetorix, der an der Innenseite noch immer verzweifelt versuchte, den Wassergraben zu überwinden, hörte den Rückzugslärm. Da er wußte, daß die Römer ihre Truppen jetzt an seinen Frontabschnitt verlegen würden, sammelte er Männer und Ausrüstung ein und kehrte, wieder ohne den ausgestoßenen Mandubiern zu begegnen, über den Westhang zur Zitadelle zurück.
Von Gefangenen erfuhr Caesar, wer das gallische Entsatzheer anführte. Wie Labienus vermutet hatte, setzte sich das Oberkommando aus mehreren Männern zusammen: dem Atrebaten Commius, den Haeduern Cotus, Eporedorix und Viridomarus und aus Vercassivellaunus, einem Vetter Vercingetorix’.
»Mit Commius hatte ich gerechnet«, sagte Caesar, »aber warum fehlt Litaviccus? Cotus ist zu alt, um in ein so junges Oberkommando zu passen, und Eporedorix und Viridomarus sind unbedeutend. Am gefährlichsten ist vermutlich Vercassivellaunus.«
»Nicht Commius?« fragte Quintus Cicero.
»Er ist Belger, deshalb mußten sie ihn ins Oberkommando aufnehmen. Aber die Belgen sind zerschlagen, Quintus Cicero. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mehr als ein Achtel des Heeres stellen. Hier handelt es sich um einen Aufstand der Kelten unter Führung von Vercingetorix, auch wenn das den Haeduern nicht gefällt. Vercassivellaunus ist derjenige, auf den man achten muß.«
»Wie lange werden die Kämpfe noch dauern?« fragte Antonius, der sehr mit sich zufrieden war, da er, wie er fand, seine Sache mindestens ebensogut gemacht hatte wie Trebonius.
»Der nächste Angriff wird wahrscheinlich der schwerste werden — und der letzte«, antwortete Caesar und sah seinen Vetter mit einem durchdringenden Blick an, als wüßte er genau, was in dessen Kopf vorging. »Da wir das Schlachtfeld in der Ebene nicht aufräumen können, werden sie die Leichen der Gefallenen als Brücken benutzen. Eine Menge hängt davon ab, ob sie unsere Schwachstelle entdecken. Antistius und Rebilus, ich kann gar nicht oft genug betonen, daß ihr für die Verteidigung eures Lagers gewappnet sein müßt. Trebonius, Fabius, Sextius, Quintus und Decimus, ihr seid auf blitzschnelle Stellungswechsel gefaßt. Labienus, du wirst mit den Germanen aus dem Lager im Norden je nach Lage mal hier, mal dort sein. Ich brauche dir nicht zu erklären, was zu tun ist, aber halte mich über alles auf dem laufenden.«
Vercassivellaunus beriet sich mit Commius, Cotus, Eporedorix und Viridomarus; ebenfalls anwesend waren Gutruatus, Sedulius und Drappes und ein Kundschafter namens Ollovico.
»Die römischen Befestigungen im Nordwesten sehen von hier und von der Ebene hervorragend aus«, sagte Ollovico, der zum Volk der Anden gehörte und als bester gallischer Kundschafter galt. »Während letzte Nacht die Schlacht tobte, habe ich mir die Sache allerdings einmal aus der Nähe angesehen. Unterhalb des Berges im Nordwesten liegt ein großes Legionärslager, das an den nördlichen Fluß grenzt, und jenseits des Flusses, etwas höher gelegen im engen Tal eines Nebenflusses, ein Reiterlager. Die Befestigungen zwischen diesem Reiterlager und dem Hauptring sind so stark, daß wenig Hoffnung besteht, sie zu überwinden. Aber am Ufer des nördlichen Flusses, auf der anderen Seite des Legionärslagers, klafft eine Lücke, die man weder von hier noch von der Ebene aus sieht. Die Römer haben zwar noch das Beste aus dem ungünstigen Gelände gemacht; ihre Befestigungslinie zieht sich den gesamten Hang des Berges im Nordwesten hinauf und erweckt tatsächlich den Eindruck, als liefe sie über dessen Kamm weiter. Aber das täuscht. Sie tut es nicht. Wie gesagt, es gibt eine Lücke, die bis zum Fluß reicht, eine unbefestigte Landzunge. Man gelangt von dort zwar nicht in den römischen Verteidigungsring, aber das Entscheidende ist, daß die Lücke es euch ermöglicht, die römischen Stellungen von oben anzugreifen — die Befestigungen liegen an der steil abfallenden Bergflanke. Außerdem ist das Gelände vor dem Doppelgraben und dem Wall des Lagers nicht vermint. Der Boden eignet sich nicht dafür. Deshalb gelangt man in dieses Lager viel leichter. Erobert es, und ihr seid in den römischen Ring eingedrungen.«
»Aha!« Vercassivellaunus lächelte.
»Großartig«, schnurrte Cotus zufrieden.
»Wir müssen Vercingetorix fragen, wie wir es am besten anstellen«, meinte Drappes und zupfte an seinem Schnurrbart.
»Vercassivellaunus weiß das auch«, widersprach Sedulius. »Die Arverner sind ein Bergvolk, sie kennen sich in einem solchen Gelände aus.«
»Ich brauche sechzigtausend unserer besten Krieger«, sagte Vercassivellaunus, »und zwar handverlesen aus den Völkern, die für die Freiheit keine Kosten scheuen.«
»Dann fang bei den Bellovacern an«, sagte Commius sofort.
»Fußsoldaten, Commius, keine Reiter. Nein, ich nehme fünftausend Nervier, fünftausend Moriner und fünftausend Menapier, dazu dich, Sedulius, und deine zehntausend Lemovicer, dich, Drappes, und zehntausend von deinen Senonen und dich, Gutruatus, und zehntausend deiner Carnuten. Biturgo zuliebe nehme ich außerdem fünftausend Biturigen und meinem Vetter zuliebe zehntausend Arverner. Seid ihr damit einverstanden?«
»Sehr sogar«, antwortete Sedulius.
Die anderen nickten ernst, obwohl die drei Feldherrn der Haeduer Cotus, Eporedorix und Viridomarus unglückliche Gesichter machten. Sie hatten in Carnutum ganz unerwartet das Kommando über die Haeduer übernehmen müssen, weil Litaviccus plötzlich aus unerfindlichen Gründen zusammen mit seinem Verwandten Surus weggeritten war. Eben noch war er alleiniger Anführer gewesen, und jetzt — fort! In Richtung Osten verschwunden!
Also war das Kommando dem alten und müden Cotus und zwei Haeduern übertragen worden, die immer noch nicht sicher waren, ob sie wirklich von Rom befreit werden wollten. Außerdem hatten sie den Verdacht, daß ihre Anwesenheit im gallischen Kriegsrat nur der Beschwichtigung diente.
»Commius, du befehligst die Reiterei und rückst auf der Ebene unterhalb des Berges im Nordwesten vor. Eporedorix und Viridomarus führen die übrigen Fußsoldaten zur Südseite der Ebene und veranstalten dort einen riesigen Aufmarsch. Versucht, bis vor die römischen Wälle zu kommen — wir müssen Caesar auch dort beschäftigen. Cotus, du bewachst das Lager hier. Ist das klar, ihr drei Haeduer?« Vercassivellaunus sah die Männer selbstbewußt an.
Die drei Haeduer versicherten, daß alles klar sei.
»Wir beginnen mit dem Angriff, wenn die Sonne am höchsten steht. Dann sind die Römer nicht im Vorteil, und wenn die Sonne sinkt, wird sie ihnen und nicht uns in die Augen scheinen. Ich verlasse mit den sechzigtausend Soldaten und Ollovico als Führer heute um Mitternacht das Lager. Wir steigen auf die Höhe im Nordwesten und gehen, noch bevor der Morgen graut, die Landzunge ein Stück hinunter. Dann verstecken wir uns im Wald, bis wir einen lauten Schrei hören. Commius, dafür bist du zuständig.«
»In Ordnung«, sagte Commius, dessen unscheinbares Gesicht durch eine große, quer über die Stirn laufende Narbe entstellt wurde; sie rührte von der Wunde her, die ihm bei jenem verräterischen Treffen mit Gaius Volusenus ein Zenturio beigebracht hatte. Commius brannte darauf, sich zu rächen; seine Träume, Hochkönig der Belgen zu werden, waren zerstört, sein Volk, die Atrebaten, vor knapp einem Monat von Labienus so dezimiert worden, daß er für den Appell in Carnutum nur noch viertausend zumeist alte Männer und minderjährige Jungen hatte aufbieten können. Er hatte auf seine Nachbarn im Süden gesetzt, die Bellovacer, doch von den zehntausend Bellovacern, die Gutruatus und Cathbad angefordert hatten, waren nur zweitausend nach Carnutum gekommen, und auch die nur deshalb, weil Commius sie von ihrem König Correus, seinem Freund und angeheirateten Verwandten, erbettelt hatte.
»Nimm zweitausend, wenn es dich glücklich macht«, hatte Correus gesagt, »aber nicht mehr. Die Bellovacer kämpfen gegen Caesar und Rom, wann und wie sie es für richtig halten. Vercingetorix ist Kelte, und die Kelten verstehen nichts von einer Taktik der Zermürbung und Vernichtung. Geh ruhig, Commius, aber wenn du geschlagen zurückkommst, vergiß nicht, daß die Bellovacer die Belgen als Verbündete brauchen. Paß gut auf deine Männer und auf meine zweitausend auf. Opfert nicht euer Leben für die Kelten.«
Correus hat recht gehabt, dachte Commius. Er erkannte allmählich, was für ein Schicksal Alesia von der Hand der Römer drohte. Die Kelten verstanden nichts von Zermürbung und Vernichtung, die Belgen dagegen sehr wohl! Correus hatte recht. Wozu sein Leben für die Kelten opfern?
Am nächsten Vormittag sahen die Wachposten in der Zitadelle, daß sich das gallische Heer zu einem neuen Angriff sammelte. Vercingetorix lächelte voller Genugtuung in sich hinein, als er im Nordwesten oberhalb des Legionärslagers zwischen Bäumen Kettenhemden und Helme aufblitzen sah. Die Römer würden den Gegner in ihren niedriger gelegenen Stellungen nicht sehen können, nicht einmal von den beiden Türmen des südlichen Hügels aus. Einen Moment lang befürchtete er, die Wachen auf den Türmen des Berges im Norden könnten das verräterische Glitzern bemerkt haben, aber die vorsorglich am Fuß der Türme angepflockten Pferde wurden nicht losgebunden, sondern dösten mit gesenkten Köpfen weiter vor sich hin.
»Diesmal sind wir bestens vorbereitet«, erklärte er den drei anderen Häuptlingen. »Wahrscheinlich werden sie um Mittag losschlagen, und wir tun dasselbe. Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Umgebung des besagten Legionärslagers. Wenn es uns gelingt, auf unserer Seite eine Bresche in den römischen Ring zu schlagen, müssen die Römer sich gleichzeitig nach zwei Seiten verteidigen.«
»Wir haben den schwierigeren Teil«, meinte Biturgo. »Wir müssen bergauf kämpfen, während die anderen Gallier bergab kämpfen.«
»Entmutigt dich das?« fragte Vercingetorix.
»Nein, es war nur eine Feststellung.«
»Innerhalb des römischen Ringes tut sich eine Menge«, sagte Daderax. »Caesar scheint zu wissen, daß einiges auf ihn zukommt.«
»Ich habe ihn noch nie für einen Dummkopf gehalten, Daderax. Aber er ahnt nichts von unseren Männern in der Lücke über seinem Lager.«
Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte, hatten sich die gallischen Fußsoldaten im Süden und die Reiter im Norden der Ebene aufgestellt. Mit ohrenbetäubendem Geschrei begannen die Gallier den Spießrutenlauf durch Stachelstöcke, Lilien und Grabsteine. Vercingetorix bemerkte das freilich nur am Rande. Seine Männer hatten zu dieser Zeit bereits die Hälfte des Abstiegs zurückgelegt und näherten sich der Innenseite des Ringes auf der Höhe des von Antistius und Rebilus verteidigten Lagers. Diesmal waren sie zum Schutz vor Skorpionbolzen und den traubengroßen Kieselsteinen, die von den römischen Türmen abgeschossen wurden, mit Sturmdächern ausgerüstet, die auf klobigen Rädern bergab holperten. Wer nicht mehr unter ein Sturmdach paßte, hielt sich den Schild über den Kopf. Zwischen Stachelstöcken, Lilien und Grabsteinen verliefen mittlerweile ausgetretene Pfade, bedeckt mit Leichen, Erde und Brettern. Vercingetorix erreichte den Wassergraben in dem Moment, in dem die sechzigtausend Männer des Vercassivellaunus anfingen, die Gräben auf der anderen Seite zuzuschütten; sie kamen damit schnell voran, weil sie am Hang von oben nach unten arbeiten konnten.
Von seiner Stellung am Wassergraben konnte der König der Gallier den römischen Ring bis zur Ebene zwischen den beiden Flüssen überblicken, so daß ihm der erfolgreiche Vormarsch seiner Landsleute an anderen Stellen nicht entging. Von verschiedenen Türmen der Römer am äußeren Mauerring stieg Rauch auf; die gallischen Krieger hatten dort den Wall erreicht und waren dabei, ihn zu zerstören. Doch blieb er skeptisch, ob an diesen Stellen wirklich ein Durchbruch gelingen würde, denn aus den Augenwinkeln sah er, wie Reservekohorten zu den Türmen ausschwärmten, während die Gestalt im scharlachroten Feldherrnmantel überall gleichzeitig zu sein schien.
Dann brach ohrenbetäubendes Freudengeheul los. Vercassivellaunus hatte mit seinen sechzigtausend Mann den römischen Wall erstiegen. Die Gallier kämpften jetzt auf dem Wall, und die römischen Legionäre versuchten, sie mit ihren pila zurückzustoßen. Zur gleichen Zeit gelang es den in Alesia eingeschlossenen Galliern, die beiden Gräben zu überwinden. Enterhaken wurden hochgeschleudert, überall Leitern aufgestellt. Nun war es soweit! Die Römer konnten nicht an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen. Doch dann, während noch von überall gewaltige Massen römischer Legionäre zusammenströmten, tauchte im Norden, im Rücken der ahnungslosen sechzigtausend Gallier, Labienus auf einem Apfelschimmel auf. Mit ihm stürmten zweitausend Germanen aus dem jenseits gelegenen Reiterlager hangabwärts, um über Vercassivellaunus’ Nachhut herzufallen.
Vercingetorix stieß einen lauten Warnruf aus, der jedoch von einem anderen Lärm übertönt wurde. Denn im selben Augenblick, als rechts und links von ihm krachend die Türme einstürzten und seine Männer auf den römischen Wall kletterten, kam von weiter weg ohrenbetäubendes Gebrüll. Vercingetorix wischte sich den Schweiß aus den Augen und drehte sich um. Und dort, zwischen den Mauern der Römer, kam in halsbrecherischem Galopp und mit flatterndem scharlachrotem Mantel Caesar mit seinen Legaten und Tribunen angaloppiert, gefolgt von Tausenden von Legionären im Schnellschritt. Überall auf den Mauern brachen die römischen Soldaten in Hochrufe aus. Sie jubelten nicht über einen Sieg, nein, denn noch war die gewaltige Schlacht nicht vorbei. Sie ließen ihn hochleben, Caesar. Welch ein Anblick! Caesar hoch zu Roß, mit seinem Pferd wie verschmolzen.
Die Legionäre, die den äußeren Wall des Lagers verteidigten, konnten Caesar zwar nicht sehen, hörten aber die Hochrufe. Mit neuer Kraft schleuderten sie ihre pila in die Gesichter der Feinde, zogen ihre Schwerter und griffen an. Dasselbe taten die Legionäre, die den Innenwall gegen Vercingetorix verteidigten. Dessen Männer begannen zurückzuweichen. Das Wiehern der Pferde und die Schreie der Gallier gellten Vercingetorix in den Ohren. Labienus war inzwischen über die gallische Nachhut hergefallen.
Viele der Arverner, Mandubier und Biturigen waren bereit, bis zum Tod zu kämpfen, aber Vercingetorix wollte das nicht zulassen. Er konnte die Männer in seiner Nähe um sich scharen, veranlaßte Biturgo und Daderax, dasselbe zu tun — wo war Critognatus? —, und kehrte auf den Berg nach Alesia zurück.
In der Zitadelle angelangt, wollte Vercingetorix mit niemandem sprechen. Er stand auf der Mauer und beobachtete für den Rest des Tages, wie die siegreichen Römer — wie hatten sie nur siegen können? — das Schlachtfeld aufräumten. Wie erschöpft sie waren, ging daraus hervor, daß sie die Gallier nicht verfolgten. Erst als es schon fast dunkel war, ritt Labienus mit einer Reiterarmee über den Berg im Südwesten in Richtung des gallischen Lagers, um noch möglichst viele Gegner niederzumetzeln.
Vercingetorix ließ Caesar, der noch nicht abgesessen war und immer noch unentwegt in seinem scharlachroten Mantel umhertrabte, nicht aus den Augen. Was für ein großartiger Feldherr! Obwohl er gesiegt hatte, wurden bereits die Breschen in der römischen Umwallung repariert und alles für den Fall eines neuerlichen Angriffs vorbereitet. Seine Legionen hatten ihm zugejubelt. Inmitten des heftigsten Gefechts, von allen Seiten bedrängt, hatten sie ihn hochleben lassen, als ob sie tatsächlich glaubten, daß sie mit ihm an der Spitze nicht verlieren könnten. Hielten sie ihn für einen Gott? Warum eigentlich nicht? Selbst die Tuatha liebten ihn, den Römer. Wenn die Tuatha ihn nicht lieben würden, hätte Gallien gesiegt. Die Götter liebten immer den Tüchtigen.
Vercingetorix kehrte in seine Kammer zurück. Im Schein der Lampe holte er die goldene Krone unter dem schlichten weißen, noch immer mit dem Mistelzweig verzierten Tuch hervor. Er legte sie auf den Tisch und setzte sich davor, ohne sie zu berühren. So verrannen die Stunden. Lautes Gelächter tönte von den römischen Befestigungen herauf. Leises Wimmern verriet ihm, daß Daderax die ausgesetzten Mandubier in die Zitadelle geholt hatte und mit der Fleischbrühe der letzten Rinder fütterte. Der Geruch der Brühe war ekelerregend, ebenso der Gestank der verwesenden Leichen vor den römischen Gräben. Und über allem hing drückend, wie stummer Donner, der Geist der Tuatha. Eine ewige Finsternis war angebrochen. Gallien war am Ende und er, Vercingetorix, auch.
Mit Daderax und Biturgo an seiner Seite sprach er am Morgen auf dem Marktplatz von Alesia zu den Überlebenden. Von Critognatus hatte niemand gehört; er war draußen geblieben, tot oder sterbend oder gefangen.
»Es ist aus«, sagte Vercingetorix ruhig. Seine Stimme war auf dem ganzen Platz deutlich zu hören. »Es wird kein vereinigtes Gallien geben, und wir werden die Unabhängigkeit nicht erlangen. Die Römer werden unsere Herren sein, aber ich glaube nicht, daß ein so großzügiger Gegner wie Caesar uns unter das Joch zwingen wird. Ich glaube, Caesar will Frieden mit uns schließen, er will uns nicht vernichten. Ein fruchtbares, blühendes Gallien ist für die Römer von größerem Nutzen als eine Wildnis.«
Sein ausgemergeltes Gesicht blieb unbewegt, als er fortfuhr. »Der Tod auf dem Schlachtfeld gilt bei den Tuatha viel, nichts ist ehrenvoller. Doch fordert unsere Religion nicht von uns, daß wir unserem Leben selbst ein Ende setzen. Ich weiß, daß sich andere Besiegte lieber umgebracht haben, als in Gefangenschaft zu gehen. Die Kilikier taten das, als Alexander der Große kam, und genauso die kleinasiatischen Griechen und die Italiker. Aber wir nicht! Das Leben ist eine Prüfung, die wir bis zum Ende bestehen müssen, egal wie dieses Ende aussieht.
Doch bitte ich euch, euch mit eurer ganzen Kraft dafür einzusetzen, daß Gallien ein großes Land wird, auf eine Weise, die die Römer nicht beanstanden können. Und eines Tages — eines Tages! — wird Gallien sich erneut erheben! Das ist nicht nur ein Traum! Gallien wird wieder aufstehen! Es kann nicht untergehen, denn es ist groß! Auch wenn ihr Rom viele Generationen lang dienen müßt, bleibt dieser Idee treu, haltet an diesem Traum fest, bewahrt die Hoffnung, daß ein geeintes Gallien eines Tages Wirklichkeit wird! Ich werde dann nicht mehr da sein, aber behaltet mich in Erinnerung! Eines Tages wird es Gallien, mein Gallien, geben! Eines Tages wird Gallien frei sein.«
Seine Zuhörer rührten sich nicht. Vercingetorix drehte sich um und ging hinein, Daderax und Biturgo folgten ihm. Dann gingen auch die gallischen Krieger auseinander; sie würden die Worte ihres Königs im Gedächtnis behalten, um sie ihren Kindern zu wiederholen.
»Was ich jetzt noch zu sagen habe, ist nur für eure Ohren bestimmt.« Vercingetorix’ Stimme hallte laut durch den leeren Saal, in dem der Kriegsrat getagt hatte.
»Setz dich doch erst«, sagte Biturgo leise.
»Nein, nein. Hör zu, Biturgo, es könnte sein, daß Caesar dich als König eines großen Volkes gefangennimmt. Dir dagegen, Daderax, wird das wahrscheinlich nicht passieren. Ich will, daß du zu Cathbad gehst und ihm sagst, was ich heute morgen zu unseren Männern gesagt habe. Sag ihm auch, daß ich diesen Feldzug nicht um meines Ruhmes willen unternommen habe, sondern um mein Land von Fremdherrschaft zu befreien. Ich habe für die Gemeinschaft gehandelt, nicht aus Eigennutz.«
»Ich werde es ihm sagen«, versicherte Daderax.
»Und jetzt müßt ihr entscheiden. Wenn ihr meinen Tod verlangt, soll die Hinrichtung hier in Alesia stattfinden, vor unseren Männern. Andernfalls schicke ich Gesandte zu Caesar und biete ihm an, mich zu ergeben.«
»Schicke Gesandte zu Caesar«, sagte Biturgo.
»Richte Vercingetorix aus, daß alle Krieger in Alesia ihre Waffen und Kettenhemden abgeben müssen«, sagte Caesar, »und zwar morgen in aller Frühe, noch bevor König Vercingetorix sich mir ergibt. Sie müssen vor ihm herauskommen und alle Schwerter, Speere, Bogen, Pfeile, Äxte, Dolche und Keulen in unseren Graben werfen. Dann sollen sie ihre Kettenhemden ausziehen und zu den Waffen werfen. Erst dann dürfen der König und Biturgo und Daderax herunterkommen. Ich erwarte sie dort.« Er zeigte auf eine Stelle unterhalb der Zitadelle, unmittelbar an der inneren Ringmauer.
Dort ließ Caesar zwei Fuß über dem Boden ein kleines Podium errichten, auf das sein elfenbeinerner Amtsstuhl gestellt wurde. Da Rom die Kapitulation annahm, trug er als Prokonsul keine Rüstung, sondern seine purpurgesäumte Toga, die braunen Schuhe mit der halbmondförmigen Schnalle des Konsulars und den Eichenkranz, die corona civica, die ihm für persönliche Tapferkeit im Felde verliehen worden war — die einzige Auszeichnung, die Pompeius der Große nie errungen hatte. Zwischen Hand und Ellbogenbeuge hielt er als Zeichen seiner Befehlsgewalt den einfachen Elfenbeinzylinder, der genauso lang war wie sein Unterarm. Außer ihm befand sich auf dem Podium nur noch Hirtius.
Caesar saß in der klassischen Haltung da, kerzengerade aufgerichtet, mit nach hinten gestrafften Schultern und vorgerecktem Kinn, den rechten Fuß vor den linken gestellt. Seine obersten Legaten standen rechts neben dem Podium. Labienus trug einen goldverzierten, silbernen Panzer mit der scharlachroten Schärpe seines Ranges. Trebonius, Fabius, Sextius, Quintus Cicero, Sulpicius, Antistius und Rebilus hatten ihre besten Rüstungen angelegt und trugen unterm linken Arm den attischen Helm. Die Männer von niedrigerem Rang standen links vom Podium — Decimus Brutus, Marcus Antonius, Minucius Basilus, Munatius Plancus, Volcatius Tullus und Sempronius Rutilus.
Wälle und Türme waren dicht mit Legionären besetzt, die dem Schauspiel beiwohnen wollten, und zwischen Graben und Podium — Stachelstöcke und Lilien waren verschwunden — bildeten Reiter ein langes Spalier.
Wie befohlen, erschienen zuerst die überlebenden Krieger von Vercingetorix’ ehemals achtzigtausend Mann starker Armee, die seit über einem Monat in Alesia eingeschlossen gewesen waren. Nacheinander warfen sie ihre Waffen und Kettenhemden in den Graben, dann wurden sie von bewaffneten Reitern auf einem Platz abseits zusammengetrieben.
Zuletzt kam Vercingetorix von der Zitadelle herunter, gefolgt von Biturgo und Daderax. Aufrecht saß der König der Gallier auf seinem makellosen Falben. Das Zaumzeug glitzerte, und Vercingetorix hatte Arme, Hals, Brust und Mantel mit all seinem Gold und seinen Saphiren geschmückt. Gürtel und Wehrgehenk funkelten, und auf dem Haupt trug er den goldenen Helm mit den goldenen Flügeln.
Ruhig ritt er durch das Spalier der Reiter und zügelte kurz vor dem Podium sein Pferd. Er saß ab, löste das Schwert samt Scheide vom Gürtel, zog den Dolch und ging ein paar Schritte vor, um beides auf den Rand des Podiums zu legen. Dann trat er zurück, setzte sich mit überkreuzten Beinen auf den Boden, nahm die Krone ab und neigte sein entblößtes Haupt zum Zeichen seiner Unterwerfung.
Biturgo und Daderax, denen man die Waffen bereits abgenommen hatte, folgten dem Beispiel des Königs.
Das Ganze vollzog sich inmitten tiefsten Schweigens; niemand wagte zu atmen. Dann ertönte von einem der Türme ein Freudenschrei, und ein Beifallssturm brach aus, der kein Ende nehmen wollte.
Regungslos und mit ernstem, gespanntem Gesicht saß Caesar auf seinem Stuhl. Seine Augen ruhten auf Vercingetorix. Als der Jubel abebbte, nickte er Hirtius zu. Hirtius, der ebenfalls eine Toga trug, stieg mit einer Schriftrolle in der Hand vom Podium. Ein bisher von den Legaten verdeckter Schreiber eilte mit Feder, Tinte und einem fußhohen Holztischchen nach vorn. An der Höhe des Tischchens wurde Vercingetorix klar, daß er, hätte er nicht bereits auf dem Boden gesessen, von den Römern genötigt worden wäre, die Unterwerfung kniend zu unterzeichnen. So streckte er nur den Arm aus, tauchte die Feder in die Tinte, strich sie, wie er es gelernt hatte, am Rand des Tintenfasses ab und unterschrieb seine Unterwerfung an der von Hirtius bezeichneten Stelle. Der Schreiber streute Sand aufs Papier, schüttelte ihn wieder ab, rollte das Blatt zusammen und reichte es Hirtius, der an seinen Platz auf dem Podium zurückkehrte.
Erst jetzt stand Caesar auf. Behende sprang er von dem kleinen Podium hinunter und ging mit ausgestreckter rechter Hand auf Vercingetorix zu, um ihm aufzuhelfen. Vercingetorix ergriff Caesars Hand und stand auf. Daderax und Biturgo standen ebenfalls auf.
»Ein großer Kampf ist mit einer großen Schlacht zu Ende gegangen«, sagte Caesar und zog den König der Gallier zu einer Stelle, wo man eine Bresche in den römischen Schutzwall geschlagen hatte.
»Wurde mein Vetter Critognatus gefangengenommen?« fragte Vercingetorix.
»Nein, er ist tot. Wir haben ihn auf dem Schlachtfeld gefunden.«
»Wer ist sonst noch tot?«
»Sedulius von den Lemovicern.«
»Wer ist gefangen?«
»Dein Vetter Vercassivellaunus und die Haeduer Eporedorix und Cotus. Von der Armee, die dir zu Hilfe kam, konnten die meisten entkommen, meine Männer waren zu erschöpft, um sie zu verfolgen. Gutruatus, Viridomarus, Drappes, Teutomarus und andere.«
»Was willst du mit ihnen machen?«
»Wie Titus Labienus mir berichtet, sind alle Stämme nach Hause abgezogen. Sobald das Heer über den Berg marschiert war, zerfiel es. Ich habe nicht vor, einen Stamm zu bestrafen, der nach Hause zurückkehrt und dort in Frieden lebt«, sagte Caesar. »Natürlich wird sich Gutruatus für Cenabum verantworten müssen, ebenso Drappes für seine Senonen. Biturgo nehme ich gefangen.«
Er hielt inne und sah die beiden Gallier hinter Vercingetorix an. »Daderax, du kannst nach Alesia zurückkehren und alle Krieger behalten, die Mandubier sind. Bevor ich aufbreche, wird ein Vertrag aufgesetzt, den du unterschreibst. Wenn du dich an seine Bestimmungen hältst, drohen dir keine weiteren Vergeltungsmaßnahmen. Du kannst mit deinen Männern im gallischen Armeelager nachsehen, ob du etwas zu essen für dein Volk findest. Ich habe die Beute und den Proviant, den ich brauche, bereits an mich genommen, aber es sind noch Lebensmittel übrig. Alle Arverner oder Biturigen können in ihre Heimat zurückkehren. Biturgo, du bist mein Gefangener.«
Daderax trat vor und sank vor Vercingetorix aufs Knie; dann umarmte er Biturgo und küßte ihn nach Landessitte auf den Mund. Zuletzt drehte er sich um und ging zu den auf der anderen Seite des Grabens versammelten Männern zurück.
»Was geschieht mit Biturgo und mir?« fragte Vercingetorix.
»Ihr macht euch morgen auf den Weg nach Italia«, sagte Caesar. »Dort wartet ihr, bis mein Triumphzug stattfindet.«
»Während dem wir alle sterben werden.«
»Nein, nicht alle. Du wirst sterben, Vercingetorix, Biturgo nicht, Vercassivellaunus und Eporedorix auch nicht. Cotus vielleicht, Gutruatus ja, er hat römische Bürger niedergemetzelt, genau wie Cotus, und Litaviccus ganz sicher.«
»Wenn du Gutruatus oder Litaviccus gefangennimmst.«
»Stimmt. Ihr werdet alle in meinem Triumphzug mitmarschieren, aber nur die Könige und die Schlächter müssen sterben. Der Rest kann nach Hause zurückkehren.«
Vercingetorix lächelte, doch die großen, dunkelblauen Augen in dem blassen Gesicht blieben traurig. »Ich hoffe, dein Triumphzug findet bald statt. Ich mag keine Verliese.«
»Verliese?« Caesar sah ihn an. »In Rom gibt es keine Verliese, Vercingetorix. Es gibt ein altes, verfallenes Gefängnis in einem aufgelassenen Steinbruch, die Lautumiae, in die wir manchmal für ein oder zwei Tage Leute stecken, aber sie können jederzeit hinausgehen, es sei denn, wir ketten sie an, was äußerst selten vorkommt.« Er runzelte die Stirn. »Der letzte, den wir angekettet haben, wurde noch in derselben Nacht ermordet.«
»Der Spitzel Vettius, als du Konsul warst«, entfuhr es dem gefangenen König.
»Stimmt! Nein, du wirst mit allen Annehmlichkeiten in einer Festung wie Corfinium, Asculum Picentum, Praeneste oder Norba untergebracht. Allerdings kommt jeder von euch in eine andere Stadt, und keiner weiß, wo die anderen sind. Du wirst einen schönen Garten haben und in Begleitung ausreiten dürfen.«
»Ihr behandelt uns also wie Ehrengäste, bevor ihr uns dann erdrosselt.«
»Ein Triumphzug soll den Bürgern von Rom zeigen, wie mächtig ihre Armee und ihre Feldherrn sind. Es wäre doch entsetzlich, wenn man ihnen einige halbverhungerte, geschundene und zerlumpte Gefangene in Ketten vorführen würde! Das würde den ganzen Zweck des Triumphzuges zunichte machen. Du wirst in deinen prächtigsten Kleidern erscheinen, jeder Zoll ein König und Anführer eines großen Volkes, der uns beinahe besiegt hätte. Deine Gesundheit und dein Wohlbefinden sind von allergrößter Bedeutung für mich, Vercingetorix. Deinen Schmuck und deine Krone mußt du abgeben, doch du wirst beides vor meinem Triumphzug zurückerhalten. Am Fuß des Forum Romanum wirst du dann beiseite geführt und zum einzig echten Verlies von Rom gebracht, dem Tullianum, einem kleinen Gebäude, das ausschließlich Hinrichtungen dient, aber nicht der Unterbringung von Gefangenen. Ich lasse dir deine Kleider und alles, was du sonst noch mitnehmen willst, aus Gergovia bringen.«
»Auch meine Frau?«
»Selbstverständlich, wenn du es wünschst. Es gibt in Rom zwar mehr als genug Frauen, aber wenn du deine Frau willst, sollst du sie haben.«
»Ich möchte meine Frau. Und mein jüngstes Kind.«
»Selbstverständlich. Junge oder Mädchen?«
»Ein Junge. Celtillus.«
»Er wird in Italia erzogen werden, das weißt du?«
»Ja.« Vercingetorix befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Muß ich morgen schon los? Ist das nicht sehr früh?«
»Es ist früh, aber besser so. Dann hat niemand Zeit, dich zu befreien. Sobald du in Italia bist, ist das sowieso unmöglich. Du kannst auch nicht fliehen, und wir brauchen dich gar nicht einzusperren, Vercingetorix. Mit deinem ausländischen Aussehen und deinen Sprachschwierigkeiten fällst du überall auf.«
»Ich könnte Latein lernen und mich verkleiden.«
Caesar lachte. »Vielleicht. Aber verlaß dich lieber nicht darauf. Wir werden nämlich diesen schönen goldenen Halsring um deinen Hals schmieden. Zwar ist das keines der Gefangenenhalsbänder, wie sie im Osten benutzt werden, aber es wird dich auffälliger kennzeichnen als ein solches Halsband.«
Trebonius, Decimus Brutus und Marcus Antonius standen ein paar Schritte hinter Caesar und Vercingetorix. Der Feldzug hatte sie trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere einander nähergebracht. Antonius und Decimus Brutus kannten sich zwar bereits über Clodius, doch Trebonius war etwas älter und von längst nicht so edler Herkunft. Auf ihn wirkten die beiden anderen wie ein frischer Wind, denn er stand nun schon sehr lange mit Caesar im Feld, und die anderen älteren Legaten wirkten auf ihn wie Großväter. Antonius und Decimus Brutus waren junge Burschen, und außerdem noch sehr attraktiv.
»Welch ein großer Tag für Caesar«, sagte Decimus Brutus.
»Monumental«, sagte Trebonius trocken. »Und das meine ich wörtlich. Er muß diese Szene unbedingt auf einem Wagen in seinem Triumphzug nachstellen lassen.«
»Er ist wirklich einzigartig!« Antonius lachte. »Habt ihr je einen Menschen erlebt, der so königlich sein kann? Vermutlich liegt es ihm im Blut. Neben den Juliern wirken die ägyptischen Ptolemäer wie Emporkömmlinge.«
Decimus Brutus seufzte wehmütig. »Ich wünschte, auch mir wäre einmal ein Tag wie der heutige vergönnt, aber das bleibt ein frommer Wunsch. So etwas wird keiner von uns erleben.«
»Ich wüßte nicht, warum nicht«, widersprach Antonius entrüstet. Er mochte es überhaupt nicht, wenn ihn jemand beim Träumen von künftigem Ruhm störte.
»Antonius, ich bewundere dich schon seit Jahren! Aber du bist ein Gladiator, kein Feldherr«, sagte Decimus Brutus. »Denk doch mal nach! Es gibt keinen zweiten Caesar. Es gab nie einen, und es wird auch keinen geben.«
»Marius oder Sulla waren auch tüchtige Männer«, meinte Antonius.
»Marius war ein homo novus, er hatte nicht die richtigen Vorfahren. Sulla hatte sie zwar, aber er war pervers, und zwar in jeder Hinsicht. Er trank, mochte kleine Jungen und mußte erst mühsam lernen, wie man Truppen befehligt, weil es ihm eben nicht im Blut lag. Caesar dagegen hat keine Fehler, keine noch so kleine Blöße, an der er verwundbar wäre. Und weil er keinen Wein trinkt, geht auch seine Zunge nicht mit ihm durch. Wenn er harte Worte gebraucht, was bekanntlich ja durchaus vorkommt, dann mit Absicht. Du hast ihn einzigartig genannt, Antonius, und hattest recht damit. Streite es jetzt nicht wieder ab, bloß weil du davon träumst, ihn zu übertreffen — das ist eine Illusion. Keiner von uns kann das, weshalb es also überhaupt versuchen? Und nicht nur sein Genie ist einzigartig, auch das Verhältnis, das er zu seinen Soldaten hat. So etwas würden wir auch in tausend Jahren nicht schaffen. Nein, auch du nicht, Antonius, halte also den Mund. Du hast ein bißchen davon, ja, aber bei weitem nicht so viel.«
»Das kann in Rom ja heiter werden«, meinte Trebonius. »Caesar hat jetzt nämlich auch Pompeius Magnus ausgestochen, und ich wette, daß das unseren Konsul sine collega mächtig wurmen wird.«
»Pompeius ausgestochen?« fragte Antonius skeptisch. »Heute? Ich wüßte nicht, wieso, Trebonius. Es war zwar ein großartiger Sieg über Gallien, aber Pompeius hat den Osten erobert. Zu seiner Klientel gehören immerhin Könige.«
»Stimmt. Aber denk doch mal nach, Antonius, denk doch nur ein einziges Mal nach! Mindestens halb Rom ist doch der Meinung, daß im Osten Lucullus die eigentliche Arbeit geleistet hat und Pompeius erst danach kam und die Lorbeeren geerntet hat. Das kann von Caesar in Gallien niemand behaupten. Und was wird Rom wohl eher glauben — daß sich Tigranes vor Pompeius auf den Boden warf oder daß Vercingetorix vor Caesar im Staub lag? Denn Quintus Cicero wird diese Szene in einem Brief an seinen großen Bruder schildern, und seine Aussage hat nun wirklich ein anderes Gewicht als die eher zweifelhaften Zeugnisse, auf die sich Pompeius beruft. Wer marschierte denn in Pompeius’ Triumphzug? Mit Sicherheit kein einziger Vercingetorix!«
»Du hast recht, Trebonius«, stimmte Decimus Brutus zu. »Nach dem heutigen Tag wird Caesar wohl Erster Mann von Rom werden.«
»Das werden die boni niemals zulassen«, meinte Antonius voller Neid.
»Ich hoffe, daß sie klug genug sind, es zuzulassen«, sagte Trebonius. Er sah Decimus Brutus an. »Ist dir nicht auch aufgefallen, daß er sich verändert hat, Decimus? Er ist nicht königlicher, sondern autokratischer geworden. Und seine dignitas geht ihm über alles. Ihm liegt mehr an gesellschaftlicher Wertschätzung und Anerkennung als jedem anderen, über den ich in den Geschichtsbüchern gelesen habe — mehr als Scipio Africanus und selbst Scipio Aemilianus. Ich glaube, Caesar würde alles tun, seine dignitas zu wahren. Hoffentlich stellen die boni sich ihm nicht in den Weg! Diese selbstgefälligen Schwätzer — sie lesen seine Depeschen und rümpfen die Nase. Natürlich, er übertreibt, das läßt sich nicht bestreiten, aber niemals in den Punkten, auf die es ankommt — der Aufzählung seiner Siege. Wir beide, du und ich, sind mit dem Mann durch dick und dünn gegangen, Decimus. Die boni wissen nicht, was wir wissen. Wenn Caesar sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist er durch nichts aufzuhalten. Der Mann hat einen unglaublichen Willen. Und wenn die boni versuchen sollten, ihn kleinzukriegen, wird er das Gebirge Pelion auf die Gipfel von Ossa türmen, um sie daran zu hindern.«
»Nicht auszudenken«, sagte Decimus Brutus stirnrunzelnd.
»Glaubt ihr, der Alte würde uns heute abend ein oder zwei Krüge Wein genehmigen?« fragte Antonius bekümmert.