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Ich drehte mich um, wollte nach Malachi sehen und fuhr mit einem Aufschrei zurück. Er stand direkt neben mir, dabei hatte ich noch nicht einmal gehört, dass er sich bewegt hatte. Seine Finger drohten mir das Handgelenk zu brechen, als er mich an sich riss.
Knochen verschoben sich unter der Oberfläche; Nase und Mund wölbten sich nach außen. Doch es waren nicht die körperlichen Veränderungen, die mich so schockierten, dass ich kaum denken oder atmen konnte; es war die Veränderung in seinen Augen. Ich sah in ihnen ein völlig anderes Wesen.
„Ich warte seit Ewigkeiten auf diesen Moment.“ Seine Stimme war nun viel tiefer – ein dumpfes Grollen, das gleich einem Erdbeben aus seiner Brust aufstieg und wie eine Eisschicht meine Haut überzog.
Er beugte sich nach vorn, drückte die Nase in meine Haare und inhalierte. „Du bist es“, knurrte er, bevor er über meinen Hals leckte.
Ich versuchte, mich zu wehren, aber das brachte ihn nur zum Lachen. „Je mehr du gegen mich ankämpfst, desto schneller jagt das Blut durch deine Adern. Du bist aufgeregt. Ich kann deine Angst riechen.“
Er presste die Zähne dorthin, wo gerade noch seine Zunge gewesen war. Dann zog er eine Fingerspitze, aus der plötzlich eine Kralle gewachsen war, von meinem Kinn zu meinem Schlüsselbein, bevor er mit einer ratschenden Abwärtsbewegung mein T-Shirt entzweischnitt. Mein BH war in zwei identische Hälften durchtrennt, meine Brüste wölbten sich ihm gleich einer Opfergabe entgegen. An mir selbst war nicht der leiseste Kratzer. Mich beschlich das Gefühl, dass er das schon früher getan hatte.
Sein Atem wärmte meine eiskalte Haut. Sanft, fast ehrfurchtsvoll strichen seine Lippen über meine linke Brust, und er wisperte: „Claire“, mit einer Stimme, die so unendlich traurig klang, dass mein Herz einmal laut pochte und dann stillzustehen schien. „Du musst fliehen.“ Er presste die Wange an meine Haut. „Ich möchte solch grauenvolle Dinge tun.“
Er ließ meine Handgelenke los, schloss die Arme um meine Taille, und ich konnte nicht anders, als sein Haar zu streicheln. „Schsch“, beschwichtigte ich ihn. „Ich bin hier.“
„Du darfst nicht bleiben.“ Er drängte mich weg und zog sich von Neuem in seine düstere Käfigecke zurück. Ich schaute im selben Moment zur Tür, als sich ein Schatten vor den Mond zu schieben begann.
„Ich bin hier eingesperrt“, erinnerte ich ihn. „Genau wie du.“
„Oh Gott!“ Seine Stimme schwankte zwischen Mensch und Tier. „Ich spüre es kommen. Ich werde dich töten, Claire. Ich werde dein Blut trinken, während das Leben aus deinem Körper entweicht. Lieber würde ich sterben, trotzdem werde ich nicht dagegen ankommen.“
„Das wirst nicht du sein.“ Ich schluckte und verdrängte die Bilder, die seine Worte heraufbeschworen. „Du darfst dir nicht die Schuld geben. Ich werde dir nicht die Schuld geben. Ich werde dich nicht hassen.“ Ich würde dann zwar tot sein, aber das tat jetzt nichts zur Sache.
Was auch immer ursprünglich sein Motiv gewesen war, er hatte mich geheilt. Er hatte mir mein Leben zurückgegeben. Die Gefühle, die ich in den vergangenen Tagen für ihn entwickelt hatte, waren stärker als alles, was ich je für einen anderen Menschen empfunden hatte. Wenn ich wirklich bald sterben musste, wollte ich, dass er die Wahrheit kannte.
„Ich liebe dich, Malachi.“
„Was?“ Seine Stimme klang wieder mehr wie die eines Menschen.
„Ich liebe dich; und ich weiß, dass auch du mich liebst.“
„Ich …“ Er brach ab und fuhr sich mit einer missgestalteten Hand durch seine Haare, die nun länger wirkten.
Vorsichtig näherte ich mich ihm. „Du warst bereit, dich selbst und deine Leute um meinetwillen zu einer Ewigkeit als Monster zu verdammen.“
„Ich konnte nicht … Ich kann nicht …“ Er stöhnte vor Seelenqual. „Aber ich werde.“
„Konzentriere dich auf mich, nicht auf den Mond und nicht auf die Stimme dieses Dämons in dir.“
„Claire“, knurrte er. „Du musst von mir wegbleiben.“
„Nein.“ Auf einmal wusste ich mit einer Klarheit, wie ich sie nie zuvor erfahren hatte, was ich tun musste, um ihn und damit auch mich selbst zu retten. „Ich muss ganz nahe bei dir sein.“
„Der Geruch deines Blutes entfesselt meine Begierde nach dir.“
„Auch ich begehre dich.“ Ich streichelte sachte über seinen Handrücken. Dort war ein Fell gewachsen; seine Nägel waren inzwischen noch länger.
„Ich werde dich verletzen.“
„Liebe ist stärker als Hass. Der Hass hat dich zu dem hier gemacht. Rhiannon hat dich nicht geliebt.“
„Ich konnte sie nicht lieben. Ich konnte niemanden lieben. Sie sagte, dass ich dazu nicht fähig sei, dass mich das zu einem Tier mache.“
„Du liebst mich; das macht dich zu einem Menschen.“
Ich hoffte, dass ich recht behielt und er mich tatsächlich liebte. Dass die Liebe stark genug war, um das zu besiegen, wozu der Hass ihn gemacht hatte.
In dieser Sekunde schob sich die Erde zwischen Mond und Sonne, tauchte die Lagerhalle in ein gespenstisches Rot, als der Himmel die Farbe von Blut annahm. Malachi riss sich von mir los, als ein entsetzliches Heulen, das so nah, so laut war, dass meine Ohren klingelten, die Nacht zerriss. Das scharfe Geräusch von Kleidungsstücken, die in Fetzen gingen, ließ meine Nervenenden vibrieren. Es kostete mich all meine Kraft, mich nicht vor dem Wesen, in das Malachi sich möglicherweise verwandeln würde, in den entferntesten Winkel des Käfigs zu flüchten.
Aber ich blieb, wo ich war. Falls er mich töten würde, konnte er es dort so mühelos tun wie hier. Ich konnte ihm nicht entfliehen, und in Wahrheit wollte ich es auch nicht. Ich würde dieser Hexe nicht den Sieg überlassen.
Leise seinen Namen raunend, legte ich die Hand an sein sich weiter veränderndes Gesicht. Er knurrte, aber zumindest biss er mich nicht; ich lehnte mich nach vorn und küsste ihn.
Seine Haut fühlte sich an, als würden sich Schlangen unter meinen Fingerspitzen winden. Sobald sich unsere Münder berührten, trat Stille ein, und da wusste ich, dass ich das Richtige tat.
Ich löste die Lippen von seinen und flehte: „Erwidere meinen Kuss.“
Hoffend, betend, beinahe bettelnd wartete ich, und als er dann endlich mit der Glut, die ich ersehnte, die Lippen auf meine presste, war sein Mund wieder der eines Mannes.
Ihn in meinen Armen haltend, küsste ich ihn und murmelte ihm beruhigende Worte zu, während die Erde den Mond verdunkelte. Zum Glück würde diese Mondfinsternis eine der kürzesten in der Geschichte sein und nur etwa zwanzig Minuten andauern. Wäre es eine der länger währenden gewesen – bei denen der Mond manchmal über Stunden verborgen sein konnte –, weiß ich nicht, was ich getan hätte.
Schwer atmend entzog Malachi sich mir; als er sprach, war seine Stimme wieder ein Knurren, und die Verzweiflung drohte mich mit der Gewalt einer Sturmflut zu überwältigen.
„Ich kann das nicht. Die Begierde entfesselt das Tier in mir.“
„Nicht Begierde.“ Ich wob die Finger in sein Haar, das wirklich nur Haar war und kein Fell und in wunderschönen schwarzen Locken über meine Handgelenke fiel. „Liebe. Sag mir, dass du mich liebst, Malachi.“
„Ich … ich.“
Die restlichen Worte wurden von einem bestialischen Brüllen erstickt. Er stieß mich auf den Rücken, sprang auf mich und begann wie wild an meiner Kleidung zu zerren.
Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich auf die guten Zeiten, als dieser sanfte Mann mich berührt und meine Seele gesund gemacht hatte. Ich würde den Hass nicht gewinnen lassen; zwischen uns würde es nur Liebe geben.
„Malachi.“ Ich drückte den Mund an seine Wange und fühlte, wie sich der Knochen unter meinen Lippen verformte. „Liebe mich. Liebe mich einfach nur.“
Er beruhigte sich; seine Hände waren nicht länger grob, sondern sanft, als er mich auszog, bis ich so nackt war wie er. Wir küssten uns und wanden unsere Zungen umeinander, um es unseren Körpern gleichzutun, und als ich mit den Handflächen über seinen Rücken streichelte, um ihn wortlos zu ermutigen, dem, was wir fühlten, Taten folgen zu lassen, war weder an ihm noch in ihm von dem Tier etwas zu spüren.
Leise meinen Namen beschwörend, drang er in mich ein. Ich wölbte mich ihm entgegen, zog ihn an mich, hieß ihn in meinem Körper willkommen und gab ihm alles, was ich hatte.
Nach Erfüllung strebend, bewegte sich sein granitharter Körper auf und in mir. Panisch vor Angst, ihn sich verwandeln zu fühlen, tastete ich mit den Fingerspitzen über seine Wangenknochen, seinen Hals, seine Brust, dann hielt ich vor Staunen inne, denn es passierte nicht.
Plötzlich veränderte sich das Licht, und das pulsierende Rot verblasste zu Silber, als die Mondfinsternis sich ihrem Ende näherte. Malachi spannte sich an und warf stöhnend den Kopf in den Nacken.
Ich durchlebte einen Augenblick puren Entsetzens, denn ich befürchtete, dass er sich verwandeln könnte, während er in mir war.
Mein Gehirn rebellierte bei der Vorstellung.
Doch anstelle des Entsetzlichen geschah etwas Wundervolles. Er hielt mich fest in seinen Armen, als mich der Orgasmus überwältigte und sich von dort, wo unsere Körper vereinigt waren, ausbreitete, bis selbst meine Zehenspitzen kribbelten.
„Ich liebe dich, Claire“, sagte er mit einer Stimme, die vollständig menschlich war. „Ich werde dich lieben, bis ich sterbe.“
Zeitgleich mit seinem letzten Wort fühlte ich, wie er zuckend kam und sich mir mit Leib und Seele schenkte.
Und in diesem Moment schob sich der Mond vollständig aus dem Schatten der Erde.