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Mit einer Hand drückte ich die Kurzwahltasten für jedes Telefon, das Grace besaß, während ich mit der anderen wie wild den Wagen lenkte.
„Sie ist auf Streife“, informierte mich ihr Dispatcher.
Ich hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter und ihrer Mailbox.
„Triff mich am See.“ Den Teil mit dem ruvanush ließ ich weg. Es war immer noch Zeit, ihr das zu erklären, wenn sie vor Ort war.
Malachis Leute hatten ihn in unserer Gegenwart ganz unverblümt Werwolf genannt. Nicht, dass eine von uns die verdammte Bedeutung gekannt oder sich die Mühe gemacht hätte, sie zu recherchieren.
Bis jetzt.
Was würde er sagen, wenn ich ihn zur Rede stellte? Nach allem, was ich wusste, folgte er dem Beispiel des strigoi de lup, indem er jeden umbrachte, der die Wahrheit entdeckte.
Aber warum hatte er mich nicht getötet? Nach allem, was ich im Internet gelesen und von Doc Bill gehört hatte, waren Werwölfe abgrundtief böse. Sie waren unfähig oder nicht bereit, gegen ihre mörderische Seite anzukämpfen. Trotzdem war Malachi nie anders als sanft und geduldig mit mir gewesen. Er hatte mich nie verletzt; tatsächlich hatte er meine Wunden geheilt.
Wenn er ein Werwolf war, wie war es ihm dann gelungen, Nacht für Nacht ein Mensch zu bleiben? Es sei denn, erst der bevorstehende Vollmond würde das Tier in ihm zum Vorschein bringen.
Und wie hatte Malachi verhindern können, in Flammen aufzugehen, als Grace ihm die Silberkugel zuwarf? Wie konnte er einen silbernen Ohrring tragen?
Also war Werwolf entweder ein Spitzname, oder der Test mit dem Silber funktionierte nicht.
Die Sonne warf ihre Strahlen durch die Bäume, erzeugte scheckige Schatten auf meiner Motorhaube und brach sich gleißend hell in meiner Windschutzscheibe. Als ich über die Spurrillen auf die Lichtung holperte, blinzelte ich nicht nur, weil mich die Sonne blendete, sondern auch wegen des Anblicks, der sich mir bot. „Wenn sie sagen, dass sie auf der Stelle weiterziehen, dann machen sie wirklich Ernst.“ Ich stieg aus.
Wären da nicht das zertrampelte Gras auf dem Parkplatz und am Seeufer sowie die Vertiefungen gewesen, dort, wo die Manege gestanden hatte, hätte ich geglaubt, mir die Zigeuner nur eingebildet zu haben.
Ich lief zurück zu meinem Auto; sie reisten in Pferdegespannen und konnten daher noch nicht weit gekommen sein.
Als ich nach dem Türgriff fasste, huschte eine flackernde Bewegung über die Glasscheibe. Ich drehte mich langsam um und …
Wusch! Alles wurde dunkel.
Ich erwachte in absoluter Dunkelheit, sodass ich komplett orientierungslos war. Der hämmernde Schmerz in meinem Kopf trug sein Übriges bei.
Ich lag auf einer kühlen, glatten Oberfläche. Nicht auf dem Boden. Nicht zu Hause. Wo war ich gewesen? Wo war ich jetzt? Wer zur Hölle hatte mich geschlagen?
Ich verhielt mich ganz still; der Schmerz ließ nichts anderes zu. Dann muss ich wieder das Bewusstsein verloren haben, denn ich wachte ein zweites Mal auf – ob Minuten, Stunden oder Tage später, wusste ich nicht. Aber ich konnte mich nun aufsetzen, ohne vor Schmerz schreien zu wollen. Ich konnte noch immer nicht die Hand vor Augen erkennen.
Ich kroch über den Boden und tastete mit der Hand umher, bis ich auf einen schmalen metallischen Gegenstand stieß – und daneben auf einen anderen, der sich exakt gleich anfühlte. Gitterstäbe.
Ich schob meinen Arm bis zur Schulter hindurch und tastete umher. Nichts als leere Luft.
Plötzlich überkam mich der beunruhigende Gedanke, dass ich vielleicht nicht in einem Käfig, sondern vor einem hockte, was bedeuten würde, dass ich gerade meinen Arm hineinstreckte und er mir von weiß Gott welchem Monster abgerissen werden konnte. Ich ging hastig auf Abstand und stieß nach circa eineinhalb Metern gegen eine solide Wand.
Ich fuhr mit den Händen darüber, ertastete die Ecke und schob mich an der anderen Wand entlang. Wenn mich nicht alles trog, befand ich mich in einem der Tierwagen, was bedeutete, dass auf der gegenüberliegenden Seite eine Tür sein sollte.
Es gelang mir, aufzustehen und, die Arme weiterhin vor mir ausgestreckt, hinüberzuschlurfen. Die Vorstellung, unversehens gegen Hogarth – in welcher Gestalt auch immer – zu prallen, hätte mich fast dazu verleitet, mich wieder in meine Ecke zu ducken. Aber ich würde mich nicht mehr ducken. Es nicht zu tun, fühlte sich so viel besser an.
Ich stolperte über etwas und wartete auf ein unmenschliches Knurren. Nichts passierte.
Ich ging in die Hocke, streckte die Hände aus und zog sie erschrocken zurück.
Das hatte sich wie ein menschlicher Körper angefühlt. Aber er war warm.
Nicht tot also oder zumindest noch nicht lange.
Ich musste wissen, wer das war. Meinen ganzen Mut zusammennehmend, berührte ich ihn wieder.
Langes, seidiges Haar, markante Nase, volle Lippen. Ich erkannte die Wahrheit, noch bevor meine Fingerspitzen über seinen Ohrring strichen.
„Malachi?“ Ich tätschelte seine Wange. Keine Reaktion.
„Malachi!“ Ich legte die Hand auf seine Brust. Er atmete noch.
Ohnmächtig, aber warum? Hatte er wie ich einen Schlag auf den Kopf bekommen? Er war unsterblich – auch wenn wir dieses Thema nicht weiter vertieft hatten. Technisch gesehen, hieß „unsterblich“, dass man ihn nicht töten konnte, woraus sich nicht zwangsläufig folgern ließ, dass es unmöglich war, ihn k.o. zu schlagen.
Aber aus welchem Grund sollte uns jemand bewusstlos schlagen und in einen Käfig sperren? Und welcher Raum war groß genug, um einen Tierkäfig auf Rädern zu beherbergen, und gleichzeitig so gut verschließbar, dass kein Tages- oder Nachtlicht hereindringen konnte?
Stöhnend begann Malachi sich zu regen. Ich streckte die Hand nach ihm aus, dann zuckte ich zurück. Ich hatte ihn gesucht, nachdem ich entdeckt hatte, dass seine Leute ihn Werwolf nannten, während gleichzeitig ein Werwolf in unserer Stadt sein Unwesen trieb. Jetzt saß ich mit ihm in einem Käfig fest, und der Vollmond war …
Mist, je nachdem wie lange wir schon hier waren, könnte er inzwischen voll sein und jede Minute aufgehen.
Ich schlich zurück zur anderen Wand und spitzte die Ohren. Stöhnen, Scharren, Verwünschungen. Stille, dann …
„Claire?“
Ich antwortete nicht, konnte mich nicht rühren, versuchte, nicht zu atmen, aber es war zwecklos.
„Ich weiß, dass du da bist“, sagte Malachi ruhig. „Ich sehe ziemlich gut im Dunkeln.“
„B-bleib, wo d-du bist!“ Ich klang verängstigt, und das war nicht gut. Tiere witterten Angst.
„Wie hast du es herausgefunden?“, fragte er.
„Was herausgefunden?“
„Dass ich ein Werwolf bin.“
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er es zugeben würde. Andererseits hatte er sich nie so verhalten, wie ich es erwartete.
„Ruvanush“, flüsterte ich.
„Wer hat dir das übersetzt?“
„Das Internet.“
Er seufzte. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie mich nicht so nennen sollen, aber nach ein paar Jahrhunderten lassen sich manche Gewohnheiten schwer abstellen. Und vor dir war niemand lange genug in unserer Nähe, um es zu bemerken. Vor dir hat niemand sich dafür interessiert.“
Obwohl mir die Brust wehtat, vermutlich, weil mein Herz gerade brach, mischte sich Wut in den Schmerz. Ich hatte gehofft, dass ich mich täuschte, dass ruvanush nur ein Spitzname war, aber das war er nicht, und jetzt musste ich mich damit und mit Malachi auseinandersetzen.
„Niemand hat sich dafür interessiert, dass Menschen verschwanden? Niemand hat bemerkt, dass plötzlich Wölfe an einem Ort auftauchten, an dem es keine geben sollte?“
„Das ist nicht geschehen.“
„Was meinst du damit? Du hast in anderen Städten keine Menschen gebissen oder umgebracht? Was macht Lake Bluff so besonders?“
„Jetzt warte mal; ich habe hier niemanden angefallen.“
„Wie erklärst du dann den Werwolf-Touristen, den Werwolf-Balthazar und den toten Josh?“
„Das war ich nicht.“
„Wenn du dich zurückverwandelst, erinnerst du dich dann überhaupt, was du getan hast?“
Ich konnte nicht fassen, dass ich diese Unterhaltung tatsächlich führte, aber das widerfuhr mir in jüngster Zeit häufig.
„Ich sollte dir besser ganz genau erklären, welche Art von Werwolf ich bin.“
„Es gibt verschiedene Arten?“
„Hunderte. Tausende. Ich weiß nicht, wie viele.“
„Wurdest du von Mengele für Hitlers Werwolf-Armee erschaffen?“
Ich nahm eine flinke Bewegung wahr und wich so abrupt zurück, dass ich mir den Kopf an der Wand anschlug und trotz der undurchdringlichen Dunkelheit Sterne sah. Aber Malachi hatte sich mir nicht genähert; seine Stimme erklang noch immer von der anderen Käfigseite.
„Wie bist du darauf gestoßen?“
„Der Arzt, der Josh untersuchte, war im Krieg. Er hat sie gesehen.“
„Ich bin schon länger ein Werwolf, nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg. Falls du dich erinnerst: Ich wurde vor mehr als zweihundert Jahren verflucht.“
„Das war die Wahrheit?“
„Du denkst, ich hätte gelogen?“
„Malachi, du belügst mich auf Schritt und Tritt.“ Ich klang derart niedergeschlagen, dass ich mich am liebsten geohrfeigt hätte, weil ich ihn wissen ließ, wie sehr er mich verletzt hatte.
„Es war keine direkte Lüge; ich habe dir nur nicht die ganze Wahrheit erzählt.“
„Trotzdem ist und bleibt es eine Lüge.“ Ich rieb mir die Augen, die von der Anstrengung, in die Dunkelheit zu spähen, brannten. „Aber lassen wir das jetzt. Erzähl deine Geschichte zu Ende.“
„Ich bin während des Zweiten Weltkriegs noch nicht mal in die Nähe von Deutschland gekommen. Wir reisten mit unserer Show quer durch Europa, und natürlich hörten wir von den Lagern und wussten, dass andere von uns dort eingesperrt waren und für Mengeles kranke Experimente missbraucht wurden.“
„Weißt du, wie? Oder warum?“
„Wir sind magische Geschöpfe, Claire. Denkst du, Mengele hätte ohne den Einsatz übernatürlicher Kräfte eine Werwolf-Armee aus dem Hut zaubern können?“
„Ich begreife überhaupt nicht, wie er das angestellt hat.“ Und ich wollte es lieber auch nicht wissen.
„Die Lykanthropie ist ein Virus, das wie andere Viren mittels Speichel übertragen wird, weshalb die Opfer durch einen Biss infiziert werden. Mengele beschäftigte sich mit der Mutation von Viren und kombinierte das, was er dabei entdeckte, mit dem Blut reinrassiger Roma, um einen Werwolf zu kreieren.“
„Wie kommt man bloß auf so eine Idee?“
„Böse Menschen begehen unbeschreibliche Gräueltaten. Werwölfe waren nicht das Einzige, was Mengele erschuf.“
„Was noch?“
„Alles, was du dir vorstellen kannst, und vieles, das jede Fantasie übersteigt. Kreaturen, die es nur in Albträumen geben sollte und die jetzt auf dieser Erde wandeln.“
„Jetzt?“ Meine Stimme zitterte.
„Er ließ seine Bestien frei, bevor die Alliierten sein Labor entdeckten.“
„Warum machte Mengele sich überhaupt die Mühe, einen Werwolf zu erschaffen, wenn es sie dir zufolge schon lange vorher gab? Wäre es nicht einfacher gewesen, ein paar einzufangen und von dort aus weiterzumachen?“
„Ich weiß nicht, warum er es tat. Möglicherweise glaubte er, eine gewisse Kontrolle über die von ihm geschaffenen Wölfe zu haben. Aber er hat seine Aufzeichnungen vernichtet, daher werden wir es nie erfahren.“
„Was ist mit ihm passiert?“
„Er ist unter falschem Namen aus Deutschland geflohen. Verbrachte den Rest seines Lebens in Südamerika, bevor er in den Siebzigerjahren in Brasilien an einem Schlaganfall starb.“
„Was für eine Gemeinheit.“
„Du findest nicht, dass er den Tod verdient hatte?“
„Ich finde, dass er gehängt, zu Tode geschleift und gevierteilt hätte werden müssen. Es hätte ihm nicht vergönnt sein dürfen, überhaupt noch ein Leben zu haben. Ist dir je das Gerücht zu Ohren gekommen, dass Hitler ein Werwolf gewesen sein soll?“
„Solche Gerüchte gab es immer. Wenn Menschen böser als böse sind und jeder Versuch, sie unschädlich zu machen, scheitert, tauchen stets solche Geschichten auf.“
„Wenn du keiner von Mengeles Wölfen bist, was bist du dann? Warum kann Silber dir nichts anhaben? Hat es überhaupt je eine Wirkung?“
„Bei Wölfen, die mit dem Virus infiziert sind, schon. Bei mir nicht. Ich wurde von einer Hexe verflucht. Sie beschwor den Mond, mich in ein Tier zu verwandeln, und ich wurde eins.“
„Und dann?“
„Ich habe sie getötet.“
Kühl, nüchtern und Furcht einflößend wehte seine Stimme aus einer Dunkelheit heran, die so absolut war, dass ich nichts sehen konnte, und doch sah er mich.
„Du sagtest, du hättest niemanden getötet.“
„Ich sagte, dass ich hier niemanden getötet habe.“
Ich fröstelte. „Du hast die Wahl getroffen, ein Wolf zu werden?“
„Nein, diese Wahl wurde für mich getroffen.“
„Warum ausgerechnet ein Wolf?“
„Ihr Name war Rhiannon.“
„War sie ein Fan von Stevie Nicks?“, fragte ich, bevor mir dämmerte, dass diese Rhiannon, Jahrhunderte bevor Stevie diesen Namen gehört hatte, geboren worden sein musste.
Offensichtlich traf es zu, dass sich der Verstand in Momenten der Panik an einen glücklicheren Ort zurückzieht. Oder aber ich stand so neben mir, dass mir nur noch Unfug einfiel.
„Sie wurde nach der keltischen Göttin des Mondes benannt, und sie verehrte ihn auf die gleiche Weise wie wir.“
„Ich verstehe noch immer nicht, was der Wolf damit zu tun hat.“
„Rhiannon war das keltische Pendant zu Diana und Artemis.“
„Ich hatte eine Vier in Mythologie.“
„Als Göttinnen der Jagd herrschten sie über den Mond und über die Nacht. Schutzherrinnen der Wildnis und der Werwölfe.“
Das ergab schon mehr Sinn.
„Sie glaubte, wenn ich ein Wolf wäre, könnte sie mich kontrollieren, aber …“ Er sprach nicht weiter.
„Es ist ein bisschen schwierig, jemanden zu kontrollieren, wenn man tot ist.“
„In Wahrheit“, fuhr Malachi fort, „besaß sie, obwohl sie mi’zak, heimtückisch, war, große Macht. Es ist nachvollziehbar, warum sie annahm, die Wölfe beherrschen zu können, denn immerhin befehligte sie den Mond.“
Ich stieß ein ungläubiges Lachen hervor. „Das hat sie nicht getan.“
„In der Nacht, als sie mich verfluchte, hob Rhiannon die Arme, und der Mond färbte sich rot.“
„Ich verstehe nicht.“
„Hast du nie einen verborgenen Mond gesehen?“
Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Karte, die Edana mir gezeigt hatte – der rot glühende Mond, ein verborgener Mond.
„Eine totale Mondfinsternis“, klärte Malachi mich auf. „Sie kommt sehr selten vor.“
Auf einmal verstand ich, dass Malachi nicht rein zufällig in Lake Bluff gelandet war; er war aus einem bestimmten Grund gekommen.
„Was geschieht mit dir bei einer totalen Mondfinsternis?“
„Der Mond ergreift Besitz von meiner Seele, und ich werde zu einer bösartigen, blutrünstigen, unkontrollierbaren Bestie.“
„Malachi, der Mond kann ebenso wenig Besitz von deiner Seele ergreifen, wie Rhiannon diese Mondfinsternis bewirkt hat. Du hast in den vergangenen zweihundertfünfzig Jahren doch irgendetwas gelernt, oder?“
„Ich habe gelernt, dass in der Nacht, als Rhiannon den Mond verbarg, aus astronomischer Sicht keine Mondfinsternis hätte eintreten dürfen.“
Hm. Das gefiel mir nicht.
„Die Roma glauben, dass Alako, unser Mondgott, nach unserem Tod unsere Seelen zu sich nimmt.“
„Du bist nicht tot.“
„Ich war es. Als sie mich verfluchte, als sich der Mond blutrot verfärbte, schwand das Leben aus meinem Körper, und ich wurde als Wolf wiedergeboren.“
„Du willst damit sagen, dass du dich nur bei einer totalen Mondfinsternis verwandeln kannst?“
„Ja.“
„Aber wer …“
„Ich weiß es nicht!“ Er hob frustriert die Stimme. „Es gibt in meiner Karawane keinen Wolf. Ich wurde dazu verdammt, allein zu bleiben – der einzige Wolf, obwohl Wölfe Rudeltiere sind. Zwar wurden meine Leute dazu verflucht, bei mir auszuharren, aber sie sind andere Tiere, und sie machen mich dafür verantwortlich, bis in alle Ewigkeit rastlos umherziehen zu müssen. Sie respektieren mich als ihren Anführer, sie fürchten mich als ihren ruvanush, aber gleichzeitig hassen sie mich auch.“
„Wo sind sie?“, fragte ich. „Du sagtest doch, dass sie nicht von dir getrennt sein können.“
„Nicht mehr als ein oder zwei Kilometer, allerhöchstens fünf. Aber als Tiere müssen sie umherstreifen.“
„Was geschieht, wenn sie sich zu weit entfernen?“
„Sie fühlen sich, als ob sie auf glühenden Kohlen liefen. Ihre Köpfe pochen wie wahnsinnig; ihre Brustkörbe verkrampfen sich qualvoll. Niemand hat es öfter als ein- oder zweimal versucht.“
„Wenn der andere Werwolf kein Roma ist, wozu dann die Rune?“
„Keine Ahnung. Die Sache mit der Wiedergeburt deutet auf einen Gestaltwandler hin. Das Hakenkreuz führt uns wieder zu den Nazis, und da wir wissen, dass sie mit dem Blut der Roma Werwölfe erschufen …“
„Es ist ein allzu großer Zufall, dass es euch alle am Abend einer Mondfinsternis hierher verschlagen hat.“
„Ja.“
„Jemand heckt etwas aus, nur wissen wir nicht, was es ist.“
Er zögerte, als wollte er mehr sagen, dann wiederholte er seufzend: „Ja.“
„Etwas, das mit dir in Verbindung steht?“
„Ich war mir nicht sicher, aber da ich in einem Käfig aufgewacht bin …“
„Sehr wahrscheinlich.“
Er sparte sich die Antwort.
„Du sagtest, dass es kein Heilmittel gäbe.“
„Es gibt keins.“
Mit einem dumpfen Geräusch gingen die Lichter an.
„Aber natürlich gibt es eins“, sagte eine Frauenstimme, die ich nie zuvor gehört hatte.
Als sich meine Augen an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten und ich erkannte, wer gesprochen hatte, verstand ich, warum mir die Stimme nicht vertraut war.
„Sabina?“