10
„Können Wölfe an Bäumen hochklettern?“
„Nicht, dass ich wüsste“, entgegnete Grace.
„Glaubst du, unser Tourist hat bezüglich des Wolfs gelogen?“
„Könnte sein, aber wie erklärst du dann die schlimme Halsverletzung?“
„Das kann ich nicht. Wirst du noch mal mit ihm sprechen?“
„Ja, gleich morgen früh.“
„Und das hier?“ Ich zeigte auf das winzige Rindenstück.
„Danach werde ich ihn ebenfalls fragen.“
„Wirst du ihn bitten, die Stadt zu verlassen?“
Ihre Brauen zuckten nach oben. „Warum sollte ich das tun?“
„Falls er einer von diesen geisteskranken Neonazis ist, könnte er wegen der Zigeuner hier sein.“ Er war auffallend nah bei ihrem Camp gewandert.
„Mist!“, meinte Grace.
„Ja.“
Wir hoben beide unsere Gläser und tranken sie leer. Ich schenkte uns eine neue Runde ein.
„Das Letzte, was mir noch fehlte, wären die Nazis. Ich habe schon genug Probleme mit dem Ku-Klux-Klan.“
„Seit wann hast du Probleme mit denen?“
„Das hier ist Georgia, Claire. Da gibt es ständig Ärger mit dem Klan.“
„Von welcher Art Ärger sprichst du?“
„Der übliche Bockmist – brennende Kreuze im Vorgarten, eingeschlagene Fenster, hässliche Botschaften.“
„Hier?“
Sie legte die Finger an die Stirn und rubbelte darüber. „Ja, hier. Dieser Schwachsinn passiert schon seit Jahrzehnten.“
„Nicht, als mein Vater im Amt war.“
„Auch, als dein Vater im Amt war, genau wie meiner. Wir hatten so viele Kreuze in unserem Garten, dass wir manchmal das Gras nicht mehr sehen konnten.“
„Das wusste ich nicht.“
„Mein Vater war gut darin, Dinge zu vertuschen. Was meinst du, warum er ständig blühende Büsche mitten in unseren Garten gepflanzt hat?“
„Ich dachte, das wäre irgend so ein Cherokee-Brauch.“
„War es auch.“ Ihre Augen trafen meine. „Teils. Der Klan wollte keinen indianischen Sheriff, vielleicht nervte sie auch der afroamerikanische Einschlag. Und es gefiel ihnen auch nicht, dass die lilienweiße Tochter des Bürgermeisters und die nicht ganz so weiße Tochter des Sheriffs beste Freundinnen waren.“
Ich trank noch einen Schluck Wein. Warum hatte ich das nicht gewusst? Was war hier sonst noch vor sich gegangen, von dem ich nichts geahnt hatte?
„Und jetzt?“, fragte ich. Die Leute mussten heutzutage aufgeklärter sein. Sie mussten einfach.
„Ich hatte schon seit Längerem kein brennendes Kreuz mehr in meinem Garten.“
„Das ist immerhin ein Fortschritt.“
„Die Dinge haben sich gebessert. Gerade deshalb ist das hier …“ – sie drehte das mit einem Hakenkreuz verunzierte Rindenstück in ihren Fingern – „… so beunruhigend. Der Klan macht sich auch nicht viel aus Juden.“
„Wen mögen sie überhaupt?“
„Weiße. Protestanten. Die nur mit anderen weißen Protestanten spielen.“
„Wie laaangweilig“, stöhnte ich. „Aber so, wie sie sich anziehen, fand ich schon immer, dass es ihnen an Fantasie mangelt.“
„Und an Stil.“
„Und an Hirn.“ Ich zeigte auf das Rindenstück. „Es sieht aus wie ein Talisman oder ein Amulett, vielleicht ist es ein Glücksbringer. Ich werde ein paar Erkundigungen einziehen.“
Bevor ich den Produzentenjob ergattert hatte, war ich eine Weile als Rechercheurin tätig gewesen. Und war darin gar nicht mal so schlecht gewesen.
„Was ist das für eine Holzsorte?“, wollte ich wissen.
„Sieht aus wie von einem Apfelbaum. Ohne das Hakenkreuz hätte ich angenommen, dass dieses Rindenstück von selbst abgefallen ist. Der Baum muss vom Blitz getroffen worden sein – auf dem Stamm ist eine lange, schwarze Brandnarbe –, aber er hat überlebt. Manchmal ist die Natur wirklich erstaunlich.“
Grace steckte das Rindenstück in ihre Tasche und griff wieder zu ihrem Glas. „Es ist nett hier.“
„Ja. Ich hatte dich vermisst.“
Ihr Gesichtsausdruck, der offen und entspannt gewesen war, wurde verschlossen. „Du hast eine seltsame Art, das zu zeigen.“
„Was soll das denn heißen?“
„Freunde gehen nicht einfach weg, ohne sich zu verabschieden. Beste Freundinnen hören nicht auf anzurufen, und sie schreiben nicht nur eine Karte zu Weihnachten.“
„Ich weiß. Es tut mir leid. Diese Stadt. Mein Vater, die Leute …“ Ich holte tief Luft und rief mir ins Gedächtnis, wie eingesperrt ich mich hier gefühlt hatte. „Ich wollte ein neues Leben beginnen.“
„Und ich war Teil des alten. Also, was hat sich verändert?“
„Ich.“
Das Wort schwebte zwischen uns in der Luft – eine Brücke zu einem Geheimnis, das ich nicht preisgeben wollte.
„Was ist in Atlanta passiert, Claire? Was hat dich dazu gebracht, nach Hause zu laufen, um dich hier zu verstecken?“
„Ich glaube kaum, dass das Bürgermeisteramt eine gute Möglichkeit ist, sich zu verstecken.“
„Du weißt, worauf ich hinauswill.“
Das wusste ich. Nur Grace würde erkennen, dass sich an mir etwas verändert hatte. Nur Grace würde den Mumm haben, mich danach zu fragen, und nur bei Grace würde ich mich genötigt fühlen, alles zu erzählen.
„Ich habe jemandem vertraut, und er hat mich verletzt.“
„Willkommen im Club“, murmelte sie.
Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr ihr mein Fortgehen zugesetzt hatte. Ich hätte es wissen müssen. Grace war schwierig, um es milde auszudrücken, und sie konnte eine ziemliche Nervensäge sein. Ich bezweifelte, dass ihr die Mädchen die Tür einrannten, um sich für den Job als beste Freundin zu bewerben, oder dass sie, so wie die Dinge lagen, oft von Männern zu einem Rendezvous eingeladen wurde.
Mit dem Polizeichef zu schlafen, mochte seinen Reiz haben, aber im Land der Macho-Männer, in dessen exakter Mitte wir uns befanden, wäre es wahrscheinlich eine eher peinliche Angelegenheit. Dass Lake Bluff einen weiblichen Bürgermeister und einen weiblichen Sheriff hatte, war überaus fortschrittlich, trotzdem bedeutete es noch lange nicht, dass die Kerle mit uns gesehen werden wollten.
Was vermutlich ein weiterer Grund war, warum ich die Heimreise angetreten hatte. Hier musste ich nicht befürchten, dass mir die Männer nachstellten. Zumindest hatte das gegolten, bis Malachi Cartwright auf der Bildfläche erschienen war.
„Ich habe mir die Polizeiberichte angesehen“, sagte Grace leise.
Mein Blick zuckte zu ihr. Im ersten Moment dachte ich, sie meinte die aus Atlanta, und mein Herz begann zu rasen, ohne dass ich wusste, warum. Sie würde dort nichts finden. Dann dämmerte mir, dass sie über Cartwright und seine bunt gekleidete Zigeunertruppe sprach.
„Was hast du herausgefunden?“
„Nichts Außergewöhnliches für Städte, die ein Festival abhalten, zu dem jede Menge Auswärtige strömen.“ Sie nippte an ihrem Wein. „Schlägereien. Überfälle. Augenzeugenberichte über seltsame Geschöpfe, die sich nur bei Nacht zeigen.“
„Zum Beispiel Wölfe?“
„Mitunter. Außerdem riesige Fledermäuse, Wildkatzen, Zombies, Geister und in einem Fall ein Drache.“
„Und das findest du nicht außergewöhnlich?“
„Nicht, wenn man all die Zechgelage bedenkt.“
„Hm.“
„Und da ich schon mal dabei war, habe ich auch gleich noch die Polizeiberichte aus Atlanta gecheckt.“
Mein Herzschlag, der gerade angefangen hatte, sich zu beruhigen, wurde wieder schneller. „Die Zigeuner waren in Atlanta?“
„Nein. Aber du.“
„Du glaubst, dass ich aktenkundig wurde?“
„Ich hatte gehofft, dass du zur Anzeige gebracht hättest, was auch immer dir dort widerfahren ist.“
Ich schüttelte den Kopf. Das hatte ich nicht gekonnt.
„Wenn du sagst, dass jemand, dem du vertrautest, dich verletzt hat, sprichst du dabei nicht nur von deinen Gefühlen, oder?“
„Wie kommst du darauf?“ Meine Stimme zitterte. Verdammt. Ich wollte nicht darüber reden.
„Ich kenne dich“, fuhr sie fort. „Du hättest Atlanta und anschließend den Rest der Welt im Sturm erobert. Jetzt tauchst du hier auf und gehst nicht mehr weg.“
„Vielleicht gefällt es mir hier.“
Grace bedachte mich über den Rand ihres Weinglases mit einem skeptischen Blick.
Auf dieser Terrasse, das Heim meiner Kindheit hinter mir, den Wald vor mir und meine beste Freundin neben mir, tat ich das, was man mir zu tun geraten hatte, um zu heilen, und wozu ich bisher nicht imstande gewesen war. Ich sprach darüber.
„Ich ging mit einem netten Mann aus, der im Büro des Gouverneurs arbeitete.“
„Die Netten bedeuten immer Ärger. Entweder sind sie langweilig oder in Wahrheit ganz und gar nicht nett.“ Sie legte den Kopf schräg. „Welche Kategorie war er?“
„Ganz und gar nicht nett.“
„Das dachte ich mir schon.“
„Wir trafen uns schon ein paar Monate. Drei, vielleicht auch vier. Restaurantbesuche, Kino, politische Veranstaltungen.“
Grace schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Schnarch.“
Mein Lachen überraschte mich selbst. Normalerweise war ich, wenn ich an diese Nacht dachte, vor Angst und Ekel wie gelähmt. Ganz bestimmt hatte ich in diesem Zusammenhang nie gelacht.
„Ich lud ihn auf einen Drink in meine Wohnung ein.“
Wir waren hineingegangen; ich hatte die Tür geschlossen und gerade dazu angesetzt zu fragen, was er trinken wollte, als ich feststellen musste, dass er mich wollte.
Meine Brust tat weh; ich atmete nicht. Ich holte tief Luft, aber sie schien mir im Hals stecken zu bleiben.
„Lass dir Zeit“, sagte Grace mit beruhigender Stimme, die sie zweifellos für den Umgang mit traumatisierten Opfern perfektioniert hatte.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen. Er war der Annahme, dass ich ihn auf mehr als nur einen Drink eingeladen hätte.“
„Aber das hattest du nicht.“
„Nein.“ Ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, was ich gedacht und gefühlt hatte.
Vielleicht hatte ich Sex mit ihm gewollt. Vielleicht hatte er das gespürt und die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich wusste nicht mehr, was ich vor diesem Abend für Josh Logan empfunden hatte.
„Sprich weiter, Claire. Du kannst mir vertrauen.“
Unsere Blicke trafen sich, und ich erkannte, dass sie die Wahrheit sagte. Grace mochte wütend gewesen sein, dass ich fortgegangen war, vielleicht war sie es noch immer ein bisschen, trotzdem liebte sie mich. Sie würde alles für mich tun. Ich hatte nie eine andere Freundin wie sie gehabt, und daran würde sich auch nichts ändern. Alte Freunde waren einfach die besten Freunde. Sie kannten einen in- und auswendig – und mochten einen trotzdem.
„Er …“, setzte ich an, dann begann ich zu husten, als ob mir etwas in der Kehle feststeckte.
Grace schob mir mein Weinglas in die Hand. „Hier, trink.“ Sie klopfte mir zusätzlich mehrmals auf den Rücken.
Nachdem mein Husten abgeklungen war, ich ein paar Schlucke Wein getrunken und tief durchgeatmet hatte, versuchte ich es noch mal. „Wir hatten Sex, und dann ging er.“
„Das ist es nicht, was passiert ist.“
„Warst du dabei?“
„Du würdest nicht zittern, husten und stottern, wenn es hier nur um Sex ginge.“
„Extrem miesen Sex“, räumte ich ein.
„Er hat dich vergewaltigt.“
Ich zuckte so heftig zusammen, dass Wein aus meinem Glas schwappte. Dunkelrote Tropfen perlten über meine Hand und fielen auf die Terrasse. Ich beobachtete, wie sie über meine Haut rannen, und dachte an Schneewittchens Mutter, die sich beim Nähen in den Finger stach und das Blut auf das weiße Leinen tropfen ließ. Die seltsamsten Bilder kamen mir in den Kopf, wenn ich versuchte, die Wahrheit zu verschleiern.
„Er war mein … Freund.“ Zumindest nahe dran. „Ich hatte ihn reingebeten.“
„Auf einen Drink, nicht für Sex. Hast du ihm das gesagt?“
„Ich … ich glaube schon. Alles ist so verschwommen.“
„Hast du dich gewehrt?“
„Ein bisschen.“ Ich hatte mitten in einem glutheißen Atlanta-Sommer langärmlige Blusen tragen müssen, bis die Blutergüsse an meinen Armen verschwunden waren. „Offensichtlich nicht genug.“
„Es war nicht deine Schuld.“
Tief in meinem Inneren wusste ich, dass das die Wahrheit war. Doch in höheren Regionen, zum Beispiel meinem Kopf, wurde ich den Gedanken, mir das, was geschehen war, selbst eingebrockt zu haben, einfach nicht los. Dass ich Josh dazu verleitet hatte, indem ich ihm die falschen Signale gab. Ich hatte ihn gemocht, hatte mich zu ihm hingezogen gefühlt. Irgendwann hätte ich so oder so mit ihm geschlafen. Wo lag also das Problem?
Gott, ich klang wie jedes andere Vergewaltigungsopfer auf diesem Planeten. Ich hasste mich selbst.
„Weshalb hast du ihn nicht angezeigt?“
„Ich konnte nicht.“
„Natürlich hättest du gekonnt. Du willst, dass er dort draußen frei herumläuft und einer anderen das Gleiche antut?“
Ich hob den Kopf. „So ist er nicht.“
„Für mich scheint er exakt so zu sein.“
„Er machte Karriere im Büro des Gouverneurs. Es war sogar die Rede davon, dass er der nächste Gouverneur werden könnte.“ Ich holte tief Luft. „Ich dachte, dass niemand mir glauben würde, dass sie mich als irgendeine Exfreundin abtun würden, die nach ein paar Minuten Ruhm giert.“
„Du meinst nicht, dass diese Geschichte noch mal aufleben und dich in den Hintern beißen könnte?“
„Wie denn? Ich habe sie außer dir und meiner Therapeutin niemandem erzählt. Ich bezweifle, dass sie sie herumtratschen wird. Oder hast du etwa vor, damit an die Presse zu gehen, Grace?“
„Du warst nicht beim Arzt?“
„Wozu? Ich hatte nur ein paar blaue Flecken. Nicht weiter dramatisch.“
„Ich spreche von Krankheiten oder einer Schwangerschaft, du Idiotin.“
„Danke. Das hilft.“
„Du musst dich untersuchen lassen.“
„Er hat ein Kondom benutzt.“
„Mit anderen Worten: Er hatte es geplant.“
„Männer schleppen nun mal Kondome in ihren Brieftaschen herum. So sind sie eben.“
Natürlich war Joshs Kondom nicht in seiner Brieftasche gewesen, sondern auf seinem Schwanz. So viel zum Thema Planung.
„Das Ganze liegt hinter mir“, behauptete ich. „Ich will einfach nur vergessen.“
„Und deshalb bist du nach Hause gerannt.“
„Ich bin nirgendwo hingerannt. Mein Vater ist gestorben. Lake Bluff brauchte einen Bürgermeister. Ich akzeptierte.“
„Du redest eine solche Scheiße. Ich staune, dass du nicht stinkst.“
„Nochmals danke! Das hilft mir unglaublich.“
„Du hast es nicht vergessen, Claire. Ich habe dich heute Abend mit Cartwright gesehen. Du warst zu Tode verängstigt.“ Ihre Miene wurde düster, und sie streichelte den Griff ihrer Pistole. „Hat er mehr versucht, als dich zu küssen?“
„Nein. Nicht wirklich.“
Er hatte mich festgehalten und mir das Gefühl gegeben, gefangen zu sein. Das war der Auslöser für den Flashback gewesen. Bis dahin hatte ich mich gut gefühlt. Sehr gut sogar.
„Cartwright spielt nicht in deiner Liga.“
Beleidigt versteifte ich mich, aber sie fuhr ungerührt fort: „Männer wie er gabeln in jeder Stadt eine Frau auf. Sie haben ihren Spaß, und am Ende der Woche ziehen sie weiter.“
Klang gut für mich. Keine Bindungen. Keine Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Nur ein wenig horizontaler Tango, und fort waren sie, ohne dass man je wieder von ihnen hörte. Ich fragte mich, ob ich eine solche Abmachung öfter als einmal pro Jahr treffen könnte.
Grace’ Augen verharrten auf mir. „Willst du noch ein bisschen mehr von Atlanta erzählen?“
Ich schüttelte den Kopf. Darüber hatte ich schon ausführlich mit meiner Therapeutin gesprochen – zumindest so ausführlich, wie ich es jemals tun würde. Darüber zu reden, hatte nicht viel gebracht.
Grace stand auf, nahm ihr Glas und die Flasche. „Ich sollte aufbrechen.“
„Okay.“ Sie war enttäuscht von mir. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich war von mir selbst enttäuscht.
Grace hätte Josh nicht nur verhaftet; sie hätte ihm zusätzlich eine neue Körperöffnung beigebracht – genau an der Stelle, wo zuvor sein unkontrollierbarer Penis gewesen war.
Abrupt stand ich auf, schnappte mir mein Glas und ging ihr voraus nach drinnen.
Wir stellten alles auf dem Küchentresen ab. Grace berührte mich am Arm. „Wenn du noch mal darüber reden willst, ich bin da. Jederzeit. Bei Tag und bei Nacht. Falls du ihn anzeigen möchtest, helfe ich dir dabei.“
„Dafür ist es ein bisschen spät.“
Sie ging zur Haustür und warf mir einen Blick über ihre Schulter zu. „Es ist nie zu spät.“
„Ich will es einfach vergessen, Grace.“
„Was dir offensichtlich super gelingt.“ Damit zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.
Sie hatte recht. Ich war nie über diese Nacht hinweggekommen. Mein Leben hatte sich in Davor und Danach aufgesplittet. Hätte ich wirklich vergessen, dann hätte ich … nun ja, vergessen.
Was mit Josh passiert war, würde für immer ein Teil der Person, die ich geworden war, bleiben. Es war eine lebensverändernde Erfahrung gewesen – denn hier war ich nun, zurück am Ausgangspunkt, und es machte mir noch nicht mal etwas aus.
Ich kehrte mit dem Vorsatz, die Spülmaschine einzuräumen und die Weinflasche zu verkorken, in die Küche zurück. Ich hielt gerade beide Gläser in der Hand, als mich ein leises Klopfen aufblicken ließ.
Ein Mann spähte durch die Schiebetür.