21
„Hab keine Angst.“
Ich setzte mich ruckartig auf, hangelte nach der Decke und zog sie mir bis unters Kinn, und das, obwohl ich die Stimme als auch den Mann erkannte, dessen mitternächtliche Silhouette das Mondlicht nachzeichnete, das durch mein offenes Fenster fiel.
„Was tust du hier?“ Meine Furcht hatte sich in Wut verwandelt. „Wie bist du reingekommen?“
„Das Fenster stand offen.“
Stirnrunzelnd versuchte ich, mich zu erinnern. Stimmte das? Vielleicht. Aber …
„Dies ist der erste Stock.“
„Denkst du, jemand könnte nicht trotzdem hereingelangen, wenn er es unbedingt wollte?“
Exakt das hatte ich gedacht. Das Haus war nach Art alter Häuser groß, mit hohen Decken, wodurch das erste Stockwerk beträchtlich höher über dem Erdboden lag als bei den meisten modernen Gebäuden. Es gab kein bequem erreichbares Abflussrohr in der Nähe meines Fensters.
„Du kannst nicht an der Außenwand hochgeklettert sein“, beharrte ich. „Völlig ausgeschlossen.“
„Offensichtlich nicht ausgeschlossen, sonst wäre ich nicht hier.“
Sein Akzent wurde schwerer, seine Worte förmlicher, was mich daran erinnerte, dass Englisch weder seine Muttersprache noch seine einzige Sprache war.
„Warum bist du gekommen? Hast du Josh gefunden?“
Er zögerte, dann seufzte er. „Nein.“
„Keine Spur von ihm?“
„Die Bluttropfen aus seiner Nase führten zu seinem Wagen.“ Er spreizte die Hände.
„Nicht wichtig. Grace wird sich morgen um ihn kümmern.“
„Männer wie er … Sie wissen, wie man sich Ärger vom Hals hält.“
„Dieses Mal nicht.“
Er legte den Kopf schräg, und das Mondlicht spiegelte sich so hell in dem Kreuz an seinem Ohr, dass es mich fast blendete. „Warum hast du ein Kruzifix als Ohrring?“
Seine Lippen formten ein Lächeln. „Warum nicht?“
„Die meisten Katholiken tragen ein Kreuz um den Hals.“
„Ich sagte, dass wir als Katholiken getauft wurden.“
„Aber ihr seid nicht wirklich welche?“
„Was sollten wir sonst sein?“
„Ständig beantwortest du eine Frage mit einer Gegenfrage.“
„Was ist daran verwerflich?“
„Es lässt dich schuldig wirken.“
„Mir war nicht bewusst, dass du mich irgendeines Vergehens verdächtigst.“
„Ich betreibe nur Konversation.“ Was sollte ich auch sonst tun, wenn mitten in der Nacht ein Mann durch mein Fenster geklettert kam?
Tatsächlich wusste ich, was ich tun sollte, und zwar besonders in seinem Fall; was ich hingegen nicht wusste, war, ob ich mich dazu schon bereit fühlte.
Malachi schien meine Unsicherheit zu spüren, denn er verharrte weiter am Fenster, lehnte sich sogar dagegen – die personifizierte Ruhe, von der nicht der Hauch einer Bedrohung ausging.
„Wir eigneten uns immer schon die Symbole der Menschen an, die das Land um uns herum bewohnen“, erklärte er.
„Warum?“
„Um Hetzjagden auf uns zu vermeiden.“
„Heutzutage wird niemand mehr wegen seiner religiösen Überzeugung gejagt.“
Er lächelte mich an, wie ein Vater sein geliebtes, aber törichtes Kind anlächeln würde. „Meinst du, wenn die Bewohner hier wüssten, dass wir dem Mond und dem Feuer huldigen, würden sie so bereitwillig zu unseren Vorstellungen kommen und uns ihr hart verdientes Geld geben?“
Vermutlich nicht. Aber …
„Sie würden keine Hetzjagd auf euch veranstalten.“
„Du hast selbst gesehen, was in der Apotheke mit Sabina passiert ist.“
Das hatte ich.
Schweigen senkte sich über uns. Ich fühlte seinen Blick auf mir, und das, obwohl ich gerade die Mondstrahlen betrachtete, die durch das Fenster auf meine zerwühlte Decke fielen.
„Claire?“
Ich schaute auf und wurde hypnotisiert von dem, was ich in seinen Augen las. Er begehrte mich, aber er würde nicht den ersten Schritt unternehmen. Der musste von mir kommen.
Darin lag Macht, Kontrolle, Stärke – alles, was mir von Josh Logan geraubt worden war. Ich wollte es zurück.
Heute würde ich es mir zurückerobern, indem ich Malachi eroberte.
In Wahrheit hätte mich dieser Mann in Angst und Schrecken versetzen müssen. Er hatte Josh die Nase gebrochen, ihn einfach so in die Luft gehoben und wie eine Puppe geschüttelt. Malachis Körperkraft war nicht nur meiner überlegen, sondern auch der jedes Menschen, den ich kannte. Doch er nutzte diese Kraft, um mich zu verteidigen; er hatte sie nie gegen mich eingesetzt, und ich glaubte auch nicht, dass er das je tun würde.
Ich bin mir nicht sicher, warum ich ihm vertraute, warum ich das Gefühl hatte, ihn zu kennen, ihn schon immer gekannt zu haben, warum mir sein Äußeres, sein Duft, sein Geschmack bekannt vorkamen, aber so war es nun mal.
Ich ging durch das Zimmer auf ihn zu. Er lehnte sich weiter gegen das Fensterbrett, die Finger um das Holz geschlossen. Er hatte gesagt, dass er mich nicht anfassen würde, solange ich ihn nicht darum bat, darum anflehte.
Ich trat vor ihn, meine nackten Füße von seinen schwarzen Stiefeln umrahmt. Als ich den Arm ausstreckte, legte er die Handfläche an meine und richtete sich auf.
Unsere Körper waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Kann sein, dass ich ein wenig schwankte.
Ihm stockte der Atem, als meine von meinem Traum erigierten Brustwarzen über seinen Oberkörper strichen. Ich lehnte den Kopf nach hinten. „Küss mich“, wisperte ich.
Unsere Lippen trafen sich; er schmeckte wie der Nebel – wie ein kühler, weicher Regen. Ich wollte ihn trinken und mich an dem Geschmack ergötzen. Meine Zähne ritzten sein Fleisch, dann leckte ich an der winzigen Verletzung, bevor ich an seiner Zunge saugte.
Ich erwartete, dass er die Arme um mich legen würde, doch das tat er nicht. Es gab von seiner Seite keine Berührung außer dem Kuss. Seine Selbstbeherrschung war geradezu phänomenal. Wenn dieser Mann ein Versprechen gab, löste er es auch ein.
Ich hob meinen Mund ein winziges Stück von seinem und flüsterte: „Berühr mich überall.“
Seine Lippen formten ein Lächeln. „Hast du ein Seil?“
„Was?“
„Ich habe dir versprochen, dass du mich fesseln darfst. Dann musst du keine Angst haben.“
Ich wich zurück. „Ich habe keine Angst.“
„Nein?“
„Nein“, sagte ich mit fester Stimme.
Und ich hatte tatsächlich keine – ein Wunder. Was wusste ich schon über diesen Mann, abgesehen von dem, was er mir über sich erzählt hatte? Nichts davon musste wahr sein. Aber er hatte jede Gelegenheit gehabt, mir wehzutun, mich zu überwältigen und zu zwingen, wie Josh es getan hatte. Stattdessen war er geduldig und sanft gewesen. Er hatte mich beschützt.
Ich wollte ihm dafür etwas geben. Zum Beispiel mich.
Ich ergriff seine Hand und führte ihn zum Bett
Ich musste seinen Körper im Mondlicht sehen, so wie an dem Abend, als er aus dem See gestiegen war. Ich hatte ihn schon da berühren, jeden Zentimeter von ihm mit meinen Händen, meinem Mund erforschen wollen. Jetzt hatte ich die Chance.
Als ich an seinen obersten Hemdknopf fasste, hielt er seinen zärtlichen, erhitzten Blick weiter auf mein Gesicht gerichtet. Langsam öffnete ich einen Knopf nach dem anderen und entblößte Malachis prächtigen Oberkörper.
Das Hemd segelte zu Boden, und ich erkundete seine Konturen mit den Lippen: die Wölbung einer Brustwarze, die Einbuchtung seiner Taille, die harten Konturen seiner Rippen unter seiner geschmeidigen Haut.
Sein Hosenbund war vom vielen Tragen geweitet, deshalb kniete ich mich auf den Boden und fuhr mit der Zunge darunter, bis er erschauderte.
Das Ratschen seines Reißverschlusses durchdrang laut die Stille des Zimmers, in dem das einzige Geräusch unsere stetig schneller werdenden Atemzüge waren. Ein Ruck, und seine Hose rutschte nach unten, wo sie auf seinen Stiefeln liegen blieb.
Er kickte sich die Schuhe so ungestüm von den Füßen, dass sie mit einem doppelten Wumms gegen die Wand knallten; seine Socken folgten in hohem Bogen, dann seine zerknüllte Hose.
Ich blickte an seinem Körper entlang nach oben, fasziniert vom Spiel des Lichts, das durch das Fenster hereinfiel. Die Schatten der Bäume jagten den Schein des Mondes über Malachis Haut und verwandelten ihn in eine Statue aus Bronze und Silber.
Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und seine Haare fielen auf seine Schultern. Sein Ohrring tanzte zwischen den Locken. Er öffnete und schloss die Hände, während er mit absolutem Vertrauen auf meinen nächsten Schritt wartete.
Ich schaute ihn einfach nur an und prägte mir diesen Moment für immer ein.
Vor ihm auf den Knien zu kauern, hätte unterwürfig wirken können, doch das tat es nicht. Ich war vollständig bekleidet; er war vollständig meiner Gnade ausgeliefert – nackt und erregt, sein intimster Körperteil vor mir entblößt. Ich lehnte mich nach vorn und schloss den Mund um seine Spitze.
Weder stöhnte noch keuchte er, stattdessen war das einzige Geräusch, das er von sich gab, ein leises Seufzen. Er fasste nicht nach meinem Kopf, um mir zu zeigen, was ich zu tun hatte, und murmelte auch keine Anweisungen über Tempo, Druck oder Technik. Er tat nichts von dem, was jeder andere Mann, den ich kannte, in einer Situation wie dieser getan hätte. Malachi Cartwright ließ mich einfach machen.
Ich nahm mir Zeit, alles an ihm zu entdecken. Seinen Geschmack, seine Textur, seine Form und seine Länge. Was ihn anschwellen und fast kommen ließ. Ich brachte ihn an den Rand des Höhepunkts, zog mich zurück und wiederholte das Ganze. Dabei berührte er mich nicht ein einziges Mal.
Es war der beste Nicht-Sex, den ich je gehabt hatte.
Ich erhöhte die Geschwindigkeit und die Intensität, als er sich im letzten Moment von mir löste. Ich wollte wieder nach ihm greifen, aber er gebot mir mit einer Handbewegung Einhalt.
Seine Schultern bebten, während er um Beherrschung kämpfte. Ich setzte mich aufs Bett. „Du hättest nicht aufhören müssen.“
„Doch, denn sonst wäre nichts mehr für dich übrig geblieben.“
„Das hätte mir nichts ausgemacht.“
Er zog eine Braue hoch. „Du bist noch nicht bereit?“
Ich zögerte. Es gefiel mir, die Kontrolle zu haben. War ich bereit, sie ihm zu überlassen?
„Soll ich doch lieber das Seil holen?“
Ich musste unwillkürlich lächeln. Er ging so ungezwungen mit mir, mit der Situation hier um. Ich wünschte mir, es auch zu können.
„Lehn dich zurück, Claire. Ich möchte etwas für dich tun.“
Für mich, nicht mit mir. Ich tat, was er verlangte.
Sein Schatten blockte das Licht ab, und für einen winzigen Moment drohten mich die schlimmen Erinnerungen zu übermannen. Aber Malachi flüsterte mir sanfte Worte zu, so wie er es vielleicht auch bei seinem Pferd tat – beruhigende Worte in der Sprache der Roma, in denen womöglich ein Anflug von Gälisch mitklang –, und dann dachte ich an nichts mehr als an ihn.
Er sank auf die Knie, schob meine Beine auseinander und beugte sich über mich, um den Saum meines Oberteils hochzuschieben und seinen Mund auf meinen Bauch zu drücken. Meine Muskeln erwachten bebend zum Leben.
Er streichelte mit den Handflächen über meine Hüften, meine Leisten, fuhr mit den Daumen über meinen zitternden Schenkel und über die empfindliche Stelle, wo Bein und Becken miteinander verschmolzen.
Ich öffnete mich ihm, und er presste heiß und gierig den Mund an mich, genau wie in meinem Traum, nur dass Malachi kein Nebel und ich noch immer angezogen war. Allerdings bot der dünne Baumwollstoff meiner Pyjamahose kein echtes Hindernis, was mir gut zupasskam. Er übte weiter genau an der Stelle Druck aus, wo ich ihn brauchte, bis ich ihn schließlich anflehte, so wie er es prophezeit hatte. Am Ende war ich diejenige, die an meiner Hose zerrte und sie nach unten schob, bis sie um meine Knöchel hing.
Anschließend stellten sein Mund und seine Zunge unglaubliche Dinge mit mir an, während ich die Finger in seine Haare krallte und mich an ihm festhielt. Sein Ohrring kitzelte die Innenseite meines Oberschenkels, und mein Atem verhedderte sich zwischen einem Lachen und einem Stöhnen. Ich machte eine winzige Bewegung, die gerade ausreichte, dass ich beim nächsten Streicheln seiner Zunge nicht länger lachen oder stöhnen, sondern nur noch kommen konnte.
Anstatt aufzuhören, liebkoste er mich härter und länger, dehnte damit den Orgasmus aus, bis ich nicht mehr wusste oder mich darum kümmerte, ob es ein oder sogar zwei Höhepunkte waren.
Sobald meine Zuckungen verebbten, hauchte er einen Kuss auf die Stelle unter meinem Nabel und zog sich zurück. Kraftlos ließ ich meine Hände auf die Matratze fallen und öffnete die Augen.
Durch das Zimmer driftete ein derart dichter Nebel, dass ich nichts mehr sah.
Noch nicht einmal Malachi.