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lich.
"Lass mich los!", fauchte Ian und wandte sich Geoffrey zu, die rechte Hand zur Faust geballt. Seine Augen quollen irre aus dem fahlen Gesicht, und er schien sich überhaupt nicht bewusst zu sein, wer ihn von seiner Liebsten zurückhielt. Geoffrey erkannte mit kalter Gewissheit, dass das, was sie gesehen hatten, als Hezekiah die schützende Wand der Büsche zur Seite gezogen hatte, Ian fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Er taumelte immer noch am Rand des Wahnsinns entlang, und der geringste Stoß würde ihn hinüberbefördern. Wenn das geschah, würde er Misery mit sich nehmen.
"Ian --"
"Lass mich los, sage ich!" Ian warf sich mit wütender Kraft nach hinten, und Hezekiah stöhnte furchtsam. "Nein, Boss, macht die Bienen verrückt, sie stechen Mis’wess..."
Ian schien ihn nicht zu hören. Mit wilden und blicklosen Augen schlug er auf Geoffrey ein und erwischte seinen alten Freund am Wangenknochen. Schwarze Sterne rasten durch Geoffreys Kopf.
Trotzdem sah er noch, wie Hezekiah anfing, die potenziell tödliche Gosha zu schwingen -einenmitSand gefüllten Beutel, den die Bourkas im Nahkampf bevorzugten --, und konnte gerade noch zischen: "Nein! Lass mich das machen!"
Widerwillig ließ Hezekiah die Gosha wie ein sich allmählich verlangsamendes Pendel ans Ende der ledernen Schnur gleiten.
Dann wurde Geoffreys Kopf von einem erneuten Schlag zurückgeworfen. Dieser schlug ihm die Lippe gegen die Zähne, und er spürte, wie ihm der warme, salzig süße Geschmack von Blut in den Mund zu rinnen begann. Ein spröder, schnurrender Laut war zu hören, als Ians Hemd, das von der Sonne gebleicht und an etlichen Stellen bereits gerissen war, in Geoffreys Griff gänzlich auseinanderzugehen begann. Noch einen Augenblick, dann würde er frei sein. Geoffrey stellte mit verblüffter Verwunderung fest, dass es dasselbe Hemd war, welches Ian vor drei Abenden zum Dinner des Barons und der Baroness getragen hatte... aber selbstverständlich war es das. Seither hatten sie keine Möglichkeit gehabt, sich umzuziehen, keiner von ihnen, auch Ian nicht. Es war erst drei Nächte her... aber das Hemd sah aus, als würde Ian es schon mindestens drei Jahre lang tragen, und Geoffrey war, als wären seit jenem Fest mindestens dreihundert vergangen. Erst drei Nächte her, dachte er erneut mit dümmlicher Verwunderung, und dann ließ Ian Schläge in sein Gesicht hageln.
"Lass mich gehen, verdammt!" Ian hieb seine blutigen Fäuste wieder und wieder in Geoffreys Gesicht -- das seines Freundes, für den er, wäre er bei Sinnen gewesen, sein Leben geopfert hätte.
"Möchtest du ihr deine Liebe beweisen, indem du sie umbringst?", fragte Geoffrey leise. "Wenn du das tun möchtest, dann, alter Junge, kannst du mich getrost bewusstlos schlagen."
Ians Faust zögerte. In seinen entsetzten, irren Blick kehrte zumindest ein Ansatz von Vernunft zurück.
"Ich muss zu ihr gehen", murmelte er wie ein Mann, der träumte. "Tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe, Geoffrey -- wirklich sehr leid, mein Bester, und ich bin mir sicher, das weißt du -- aber ich muss... Du siehst sie..." Er sah erneut hin, wie um sich des entsetzlichen Anblicks noch einmal zu vergewissern, und wieder schickte er sich an, dorthin zu eilen, wo Misery auf einer Lichtung im Dschungel an einen Pfosten gefesselt worden war, die Arme über dem Kopf. Was an ihren Handgelenken schimmerte und womit Misery an den untersten Ast des Eukalyptus gefesselt war, der als einziger Baum auf der Lichtung stand, war etwas, woran die Bourkas offensichtlich Gefallen gefunden hatten, bevor sie Baron Heidzig in den Mund des Götzenbildes schickten, zweifellos einem schrecklichen Ende entgegen: die Handschellen des Barons aus gebläutem Stahl.
Diesmal war es Hezekiah, der Ian ergriff, aber die Büsche raschelten erneut, und Geoffrey sah auf die Lichtung, einen Augenblick stockte ihm der Atem in der Kehle, so wie ein Stück Stoff an einer Dorne hängen bleiben kann -- er fühlte sich wie ein Mann, der mit einer Ladung gefährlich explosiven Sprengstoffs einen Geröllhang emporklettern muss. Ein Stich, dachte er. Nur ein Stich, dann ist für sie alles aus.
"Nein, Boss, nich", sagte Hezekiah mit einer Art entsetzter Geduld. "Ist wie der andre Boss gesagt hat... wenn hinausgehen, dann Bienen wachen auf aus Traum. Und wenn Bienen aufwachen, dann für sie ganz gleich, ob gestochen von ein Stachel oder tausend. Wenn Bienen aus Traum aufwachen, dann wir alle werden sterben, aber sie zuerst stirbt und ganz am schrecklichsten."
Ganz allmählich entspannte sich Ian zwischen den beiden Männern, der eine schwarz, der andere weiß. Er drehte den Kopf mit schrecklichem Widerstreben zu der Lichtung, als wollte er nicht hinsehenund konnte doch nicht anders.
"Was also sollen wir tun? Was sollen wir für meinenarmen Liebling tun?"
Ich weiß es nicht, wollte Geoffrey sagen, und in seinem eigenen Zustand schrecklicher Anspannung konnte er die Worte kaum zurückhalten. Nicht zum ersten Mal dachte er darüber nach, dass die Tatsache, dass Misery Ian gehörte, es diesem ermöglichte, sich in einer seltsamen Art von Egoismus und einer beinahe weibischen Hysterie zu ergehen, die Geoffrey selbst, der er sie ebenso sehr (wenn auch im Geheimen) liebte, sich versagen musste; schließlich war er für den Rest der Welt ja nur Miserys Freund.
Ja, nur ihr Freund, dachte er mit halb hysterischer Ironie, und dann wurde auch sein Blick wieder zu der Lichtung gezogen. Zu seiner Freundin.
Misery hatte keinen Faden am Leib, aber dennoch fand Geoffrey, dass selbst die prüdesten Dorfbewohner, die dreimal die Woche zur Kirche gingen, ihr nicht den Vorwurf der Unziemlichkeit hätten machen können. Die hypothetische alte Jungfer wäre wahrscheinlich kreischend vor Miserys Anblick weggelaufen, aber ihre Schreie wären von Grauen und Entsetzen verursacht gewesen und sicher nicht von verletztem Schamgefühl. Misery hatte kein einziges Kleidungsstück an, aber sie war alles andere als nackt.
Sie war in Bienen gekleidet. Von den Zehenspitzen bis zur Krone ihres kastanienbraunen Haares war sie von Bienen umgeben. Fast sah es aus, als trüge sie eine seltsame Nonnentracht -- seltsam deshalb, weil diese Tracht über die Rundungen ihrer Brüste und Hüften wogte und sich bewegte, obwohl nicht einmal der Hauch einer Brise zu spüren war. Ebenso schien ihr Gesicht in einen Schleier von beinahe mohammedanischer Züchtigkeit gehüllt zu sein -- nur die graublauen Augen sahen aus der Maske von Bienen heraus, die träge über ihr Gesicht krochen und Mund und Nase und Kinn und Brauen verbargen. Weitere Bienen, riesige braune afrikanische, die giftigsten und übellaunigsten Bienen der Welt, krochen über die Stahlhandschellen des Barons, bevor sie sich zu den lebenden Handschuhen an Miserys Händen gesellten.
Während Geoffrey dies beobachtete, flogen immer mehr Bienen auf die Lichtung, sie schienen aus allen Himmelsrichtungen zu kommen -- aber selbst in seinem momentanen Zustand der Verstörtheit erkannte er, dass die meisten aus Westen kamen, wo das riesige steinerne Antlitz der Göttin aufragte.
Die Trommeln dröhnten in ihrem monotonen Rhythmus, der auf seine Weise ebenso einschläfernd war wie das träge Summen der Bienen. Aber Geoffrey wusste, wie trügerisch diese Schläfrigkeit war; er hatte gesehen, was mit der Baroness geschehen war, und dankte Gott, dass Ian dieser Anblick erspart geblieben war... und wie das Geräusch dieses schläfrigen Summens plötzlich zu einem wütenden Kreischen angeschwollen war... ein Laut, welcher die entsetzten Schreie der Frau zuerst gedämpft und dann ertränkt hatte. Sie war eine eitle und alberne Person gewesen, und darüber hinaus gefährlich -sie hätte sie beinahe alle umgebracht, als sie Stringfellows Buschmeister, immerhin eine der gefährlichsten Giftschlangen der Welt, befreit hatte --, aber albern oder nicht, dumm oder nicht, gefährlich oder nicht, kein Mann und keine Frau verdiente es, auf diese Weise zu sterben.
In Gedanken wiederholte Geoffrey Ians Frage: Was also sollen wir tun? Was sollen wir für meinen armen Liebling tun?
Hezekiah sagte: "Nichts können jetzt tun, Boss -- aber sie nicht in Gefahr. Solange Trommeln schlagen, werden Bienen schlafen. Und Mis’wess, sie auch schlafen..."
Jetzthüllen die Bienen sie ein wie eine dicke, sich bewegende Decke; ihre Augen waren offen, nahmen aber nichts wahr, sie schienen in eine lebende Höhle aus kriechenden, taumelnden, summenden Bienen eingesunken zu sein.
"Und wenn die Trommeln aufhören?", fragte Geoffrey mit leiser, fast kraftloser Stimme, und genau in diesem Augenblick hörten die Trommeln auf.
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