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Annie legte die drei Manuskriptseiten neben ihm
auf den Nachttisch, und er wartete gespannt darauf, was sie dazu
sagen würde. Er war neugierig, aber eigentlich nicht nervös - es
hatte ihn tatsächlich selbst überrascht, wie leicht es ihm gefallen
war, sich wieder in Miserys Welt zu versetzen. Ihre Welt war
kitschig und melodramatisch, aber das änderte nichts an der
Tatsache, dass die Rückkehr dorthin ihm keineswegs so zuwider
gewesen war, wie er befürchtet hatte - es war sogar einigermaßen
beruhigend gewesen, als würde man ein Paar ausgetretene Hausschuhe
anziehen. Daher klappte sein Kiefer herunter, und er war aufrichtig
verblüfft, als sie sagte:
»Das ist nicht richtig.«
»Es … es gefällt Ihnen nicht?« Er konnte es kaum
glauben. Wie konnten ihr die anderen Misery-Romane gefallen
haben, und das hier nicht? Es war so Misery-artig, dass es
schon fast eine Karikatur war - die matronenhafte Mrs. Ramage
schnupfte Tabak in der Speisekammer, Ian und Misery begrapschten
sich wie geile Teenager, die gerade vom freitagabendlichen Ball an
der Highschool nach Hause kamen, und …
Jetzt war sie diejenige, die bestürzt
aussah.
»Gefallen? Selbstverständlich gefällt es
mir. Es ist wunderschön. Als Ian sie in die Arme nahm, da
musste ich weinen. Ich konnte nicht anders.« Ihre Augen waren
tatsächlich ein wenig rot. »Und dass Sie Baby Thomas’
Kinderschwester nach mir benannt haben … das war sehr
reizend.«
Er dachte: Und klug - wenigstens hoffe ich das.
Und übrigens, Schätzchen, der Name des Babys sollte eigentlich Sean
sein, falls es dich interessiert; ich habe ihn geändert, weil ich
sonst zu viele von diesen beschissenen N nachtragen
müsste.
»Dann fürchte ich, dass ich nicht verstehe …«
»Nein, offensichtlich nicht. Ich habe nicht gesagt,
dass es mir nicht gefällt, ich sagte, es ist nicht
richtig. Es ist Betrug. Sie müssen es ändern.«
Hatte er sie einmal für das perfekte Publikum
gehalten? Oje. Eines muss man dir lassen, Paul - wenn du einen
Fehler machst, dann aber richtig. Aus der Dauerleserin war eine
gnadenlose Lektorin geworden.
Ohne dass er es überhaupt bemerkt hätte, nahm Pauls
Gesicht unwillkürlich den Ausdruck tiefer und aufrichtiger
Konzentration an, den es immer hatte, wenn er einem Lektor zuhörte.
Er bezeichnete ihn als seinen »Kann ich Ihnen behilflich sein,
Lady?«-Gesichtsausdruck. Das lag daran, dass die meisten Lektoren
wie Frauen waren, die an eine Tankstelle fahren und dem Mechaniker
sagen, er möge bitte das beseitigen, was unter der Motorhaube
klopfte oder klonkklonk unter dem Armaturenbrett machte, und
zwar bitte bis gestern. Aufrichtige Konzentration war gut, weil sie
ihnen schmeichelte, und wenn Lektoren geschmeichelt waren, gaben
sie manchmal einige ihrer albernen Ansichten auf.
»Inwiefern ist es Betrug?«, fragte er.
»Nun, Geoffrey ist weggeritten, um den Doktor zu
holen«, sagte sie. »Das ist soweit richtig. Das geschah in
Kapitel 38 von Miserys Kind. Aber der Doktor kam nicht, wie
Sie genau wissen, weil Geoffreys Pferd mit dem Huf an der obersten
Latte vom Schlagbaum des elenden Mr. Cranthorpe hängen blieb, als
es darüber hinwegspringen wollte - ich hoffe, dass dieser
Schmutzfink seine gerechte Strafe in Miserys Rückkehr
bekommt, Paul, das hoffe ich wirklich -, und Geoffrey brach sich
die Schulter und ein paar Rippen und lag die ganze Nacht dort im
Regen, bis der Schäferjunge daherkam und ihn fand. Also konnte der
Doktor nicht kommen. Sehen Sie?«
»Ja.« Plötzlich war es ihm unmöglich, den Blick von
ihrem Gesicht abzuwenden. Er hatte geglaubt, sie würde sich den
Lektorenhut aufsetzen, vielleicht sogar den Zylinder der
Ko-Autorin, und versuchen, ihm zu sagen, was er schreiben solle und
wie er es schreiben solle. Aber das war nicht der Fall. Zum
Beispiel Mr. Cranthorpe. Sie hoffte, Mr. Cranthorpe würde
seine gerechte Strafe bekommen, aber sie verlangte es nicht. Sie
sah den kreativen Verlauf der Geschichte als etwas außerhalb ihres
Einflusses an, wenngleich sie ihn ganz offensichtlich in
ihrer Gewalt hatte. Aber manche Dinge waren ihr einfach nicht
möglich. Kreativität oder mangelnde Kreativität hatten damit nichts
zu tun; diese Dinge zu tun war so unsinnig, als würde man die
Aufhebung der Schwerkraft verkünden oder versuchen, mit einem
Backstein Tischtennis zu spielen. Sie war wirklich eine
Dauerleserin, aber Dauerleserin bedeutete nicht Dauertrottel.
Sie gestattete ihm nicht, Misery zu töten … aber
gleichzeitig gestattete sie ihm auch nicht, sie mittels Betrug
wieder zum Leben zu erwecken.
Gütiger Himmel, dachte er, ich HABE sie
aber doch umgebracht. Was soll ich denn jetzt tun?
»Als ich ein Mädchen war«, sagte sie, »wurden in
den Kinos noch Serials gezeigt. Pro Woche eine Folge. Masked
Avenger, Flash Gordon, sogar eine über Frank Buck, den Mann, der
nach Afrika reiste, um wilde Tiere zu fangen, und der Löwen und
Tiger zähmen konnte, indem er sie nur ansah. Erinnern Sie sich an
diese Serials?«
»Ich erinnere mich daran, aber Sie können
doch nicht so alt sein, Annie - Sie müssen sie im Fernsehen gesehen
haben, oder Sie hatten einen älteren Bruder oder eine Schwester,
die ihnen davon erzählt hat.«
Neben ihren Mundwinkeln wurden ganz kurz Grübchen
in dem festen Fleisch sichtbar, dann verschwanden sie wieder. »Ach,
hören Sie auf, Sie Schmeichler! Aber ich hatte wirklich einen
älteren Bruder, und wir gingen jeden Samstagnachmittag zusammen ins
Kino. Das war in Bakersfield, Kalifornien, wo ich aufgewachsen bin.
Mir gefielen die Wochenschau und die Trickfilme und der Spielfilm
immer sehr gut, aber worauf ich mich wirklich freute, das waren die
Fortsetzungen der Serials. Ich dachte die ganze Woche lang in den
unmöglichsten Momenten daran. Wenn der Unterricht in der Schule
langweilig war oder ich bei Mrs. Krenmitz’ vier Bälgern unten
Babysitterin spielen musste. Ich hasste diese kleinen
Bälger.«
Annie verfiel in ein nachdenkliches Schweigen und
starrte in eine Ecke. Sie hatte wieder abgeschaltet. Es war das
erste Mal seit einigen Tagen, dass das passierte, und er fragte
sich unbehaglich, ob das bedeutete, dass sie sich wieder der
depressiven Phase ihres Zyklus näherte. Wenn ja, dann tat er besser
daran, alle seine Luken dicht zu machen.
Schließlich kam sie wieder zu sich, wie stets mit
einem leicht überraschten Ausdruck, als hätte sie gar nicht damit
gerechnet, dass die Welt noch da war.
»Rocket Man war meine Lieblingsserie. Am
Ende von Folge 6, ›Tod am Himmel‹, lag er bewusstlos in seinem
Flugzeug, während dieses dem Boden entgegentrudelte. Oder am Ende
von Folge 9, ›Feuertod‹, war er in einem brennenden Lagerhaus an
einen Stuhl gefesselt. Manchmal war es ein Auto ohne Bremsen,
manchmal Giftgas, manchmal Elektrizität.«
Annie sprach von diesen Ereignissen mit einer
Zuneigung, die in ihrer unverkennbaren Aufrichtigkeit einfach nur
bizarr war.
»Cliffhanger nennt man das«, sagte er.
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Das weiß ich, Mister
Neunmalklug. Herrje, manchmal denke ich, Sie müssen mich für
schrecklich dumm halten.«
»Nein, Annie, wirklich nicht.«
Sie wedelte ungeduldig mit der Hand, und er
begriff, dass es besser war - zumindest heute -, sie nicht zu
unterbrechen. »Es machte immer Spaß, sich vorzustellen, wie er aus
dieser Lage entkommen würde. Manchmal gelang mir das, manchmal
nicht. Es machte mir nichts aus, solange sie fair blieben. Die
Leute, die sich die Geschichten ausdachten.«
Sie sah ihn durchdringend an, um sicherzustellen,
dass er begriffen hatte, was sie sagen wollte. Paul war der
Meinung, dass es ihm schwerlich hätte entgehen können.
»Etwa, als er bewusstlos in dem Flugzeug saß. Er
wachte auf, und unter dem Sitz war ein Fallschirm. Er legte ihn an
und sprang aus dem Flugzeug, und das war fair.«
Tausende Englischlehrer wären da anderer
Meinung, meine Liebe, dachte er. Was du meinst, das nennt
man Deus ex Machina, den Gott aus der Bühnenmaschinerie, der
erstmals in griechischen Theatern verwendet wurde. Wenn der
Theaterautor seinen Helden in eine unauflösbare Bredouille gebracht
hatte, dann wurde von oben ein blumengeschmückter Stuhl
herabgelassen. Der Held setzte sich darauf und wurde aus der Gefahr
entfernt. Der letzte Trottel hätte die Symbolik begreifen können -
der Held war von Gott gerettet worden. Aber der Deus ex Machina
- manchmal auch bekannt als der alte
Fallschirm-unterdem-Sitz-Trick, kam um das Jahr 1700 schließlich
aus der Mode. Aber natürlich nicht in solchen Geheimtipps wie
Rocket Man oder den Nancy-Drew-Büchern. Ich glaube, du hast da
was verpasst, Annie.
Einen grässlichen, unvergesslichen Augenblick lang
befürchtete Paul, er würde einen Lachanfall bekommen. In Anbetracht
ihrer heutigen Laune hätte das zweifellos eine unangenehme und
schmerzhafte Strafe nach sich gezogen. Er hob rasch eine Hand zum
Mund, um das dort beginnende Lächeln zu verbergen, und simulierte
einen Hustenanfall.
Sie schlug ihm so fest auf den Rücken, dass es
schmerzte.
»Besser?«
»Ja, danke.«
»Kann ich jetzt fortfahren, Paul, oder gedenken Sie
auch noch einen Niesanfall zu bekommen? Soll ich Ihnen den Eimer
holen? Ist Ihnen, als müssten Sie sich ein paarmal
übergeben?«
»Nein, Annie. Bitte fahren Sie fort. Was Sie sagen,
ist faszinierend.«
Sie sah ein wenig versöhnt aus - nicht sehr, aber
ein wenig. »Als er den Fallschirm unter dem Sitz fand, war das
fair. Vielleicht nicht unbedingt besonders realistisch, aber
fair.«
Er dachte verblüfft darüber nach - ihre
gelegentlichen brillanten Einsichten verblüfften ihn immer - und
stellte fest, dass das stimmte. Fair und realistisch
mochten in der besten aller Welten Synonyme sein, aber falls das so
war, dann war diese hier nicht die beste aller Welten.
»Aber nehmen Sie eine andere Folge, Paul«, sagte
sie, »und an der sieht man ganz genau, was nicht in Ordnung
ist mit dem, das Sie gestern geschrieben haben, also hören Sie gut
zu.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Sie sah ihn scharf an, um herauszufinden, ob er
sich über sie lustig machte. Aber sein Gesicht war blass und ernst
- ganz das Gesicht eines aufmerksamen Schülers. Der Drang zu lachen
war mit der Erkenntnis verschwunden, dass Annie möglicherweise
alles über den Deus ex Machina wusste, abgesehen vom
Namen.
»Also gut«, sagte sie. »Das war die Folge mit dem
Auto ohne Bremsen. Die Bösen sperrten Rocket Man - allerdings war
es Rocket Man in seiner Tarnidentität - in ein Auto ohne Bremsen,
dann schweißten sie die Türen zu und ließen das Auto diese
gewundene Bergstraße hinabrollen. Ich kann Ihnen sagen, an diesem
Tag konnte ich es vor Spannung kaum aushalten.«
Sie saß auf der Kante seines Bettes - Paul saß auf
der anderen Seite seines Zimmers im Rollstuhl. Seit seiner
Expedition
ins Bad und ins Wohnzimmer waren fünf Tage vergangen, und er hatte
sich schneller davon erholt, als er es je für möglich gehalten
hätte. Allein schon die Tatsache, dass sie ihn nicht erwischt
hatte, schien seine Genesung zu beflügeln.
Sie sah abwesend zum Kalender, wo der lachende
Junge auf seinem Schlitten durch einen endlosen Februar fuhr.
»Also saß der arme alte Rocket Man ohne seinen
Raketenrucksack und ohne seinen Spezialhelm mit den Einwegaugen in
dem Auto und versuchte, zu lenken und das Auto anzuhalten und die
Tür zu öffnen und das alles zur gleichen Zeit. Ich kann Ihnen
sagen, er hatte wirklich alle Hände voll zu tun.«
Ja, Paul konnte es sich vorstellen - und auf
instinktive Weise wurde ihm sofort klar, wie man aus einer solchen
Szene, so absurd melodramatisch sie sein mochte, Spannung beziehen
konnte. Die Landschaft, gefährlich abwärts geneigt, rast draußen
mit halsbrecherischer Geschwindigkeit vorbei. Schnitt auf die
Bremse, die sich widerstandslos bis zum Boden durchtreten lässt,
als der Fuß des Mannes (er sah den Fuß deutlich vor sich in einem
Schuh aus den Vierzigerjahren) darauf stampft. Schnitt auf seine
Schulter, die gegen die Tür rammt. Schnitt auf das Äußere des
Wagens, wo eine Schweißnaht die Tür fest verschlossen hat. Ziemlich
albern, sicher - ganz bestimmt nicht literarisch -, aber man konnte
eine Menge damit herausholen. Man konnte den Puls des Publikums
damit beschleunigen. Gewiss nicht gerade Chivas-Regal-Wisky; dies
war das künstlerische Gegenstück zu selbst gebranntem Fusel.
»Plötzlich sah man, dass die Straße an einer Klippe
endete«, sagte sie, »und jeder im Kino wusste, wenn Rocket
Man nicht aus dem alten Hudson herauskam, bevor er den Rand der
Klippe erreichte, dann war es um ihn geschehen. Mann, o Mann! Und
da kam das Auto angerast, und Rocket Man versuchte immer noch, zu
bremsen oder die Tür zu öffnen, und dann … raste das Auto über die
Klippe. Es flog einen weiten Bogen, dann fiel es. Auf halbem Weg
prallte es auf dem Abhang der Klippe auf und explodierte in einem
Feuerball, dann stürzte es ins Meer, und dann kam der Nachspann und
verkündete: NÄCHSTE WOCHE FOLGE 11: DER FLUG DES DRACHEN.«
Sie saß auf der Bettkante, hatte die Hände
ineinander verschlungen, ihr gewaltiger Busen hob und senkte sich
hektisch.
»Nun«, sagte sie, sah aber nicht ihn an, sondern
nur die Wand, »danach habe ich den Hauptfilm so gut wie gar nicht
mehr wahrgenommen. Ich dachte nicht nur ein- oder zweimal in der
folgenden Woche an Rocket Man, ich dachte ununterbrochen an
ihn. Wie konnte er überlebt haben? Ich konnte es mir einfach nicht
vorstellen.
Am nächsten Samstag stand ich schon um zwölf Uhr
vor dem Kino, wenngleich der Kartenverkauf erst um dreizehn Uhr
fünfzehn begann, und die Vorstellung begann erst um vierzehn Uhr.
Aber, Paul … was geschehen ist … darauf werden Sie nie
kommen!«
Paul sagte nichts, aber er konnte es sich denken.
Er begriff, wie ihr das, was er geschrieben hatte, gefallen und sie
es trotzdem nicht richtig finden konnte - wie sie es wissen und
sagen konnte, und zwar nicht mit der manchmal wenig
vertrauenswürdigen literarischen Raffinesse eines Lektors, sondern
mit der schlichten, unerschütterlichen
Gewissheit der Dauerleserin. Er begriff es und war überrascht,
dass er sich schämte. Sie hatte recht. Er hatte
betrogen.
»Die neue Folge fing stets mit dem Ende der
letzten an. Sie zeigten, wie er den Hügel hinabraste, sie
zeigten die Klippe, sie zeigten ihn, wie er gegen die Tür schlug
und versuchte, sie zu öffnen. Dann, kurz bevor das Auto über die
Klippe raste, ging die Tür auf und er sprang heraus! Das Auto flog
über den Rand der Klippe, und alle Kinder im Kino kreischten, weil
Rocket Man entkommen war, aber ich kreischte nicht, Paul.
Ich war wütend! Ich fing an zu schreien: ›Das ist letzte
Woche nicht passiert! Das ist letzte Woche nicht passiert!‹«
Annie sprang auf und lief hastig im Zimmer auf und
ab, sie hatte den Kopf gesenkt, die Haare hingen ihr wirr ins
Gesicht, mit einer Faust schlug sie beständig in die Handfläche der
anderen Hand, ihre Augen blitzten.
»Mein Bruder versuchte, mich zu beruhigen, und da
das nichts half, versuchte er, mir die Hand auf den Mund zu legen,
um mich zum Schweigen zu bringen, aber ich biss ihn und schrie
weiter: ›Das ist letzte Woche nicht passiert! Seid ihr alle so
dumm, dass ihr euch nicht erinnern könnt? Leidet ihr alle an
Gedächtnisverlust?‹ Und mein Bruder sagte: ›Du bist verrückt,
Annie!‹, aber ich wusste, dass ich das nicht war. Und der
Kinobesitzer kam und sagte zu mir, wenn ich nicht still sein würde,
müsste ich das Kino verlassen, und ich sagte: ›Sie können sich
darauf verlassen, dass ich gehen werde, denn das war ein billiger
Betrug, das ist letzte Woche nicht passiert!‹«
Sie sah ihn an, und Paul erblickte unverhohlene
Mordlust in ihren Augen.
»Er kam nicht aus dem bedummdusselten Auto
heraus! Es stürzte über den Rand, und er saß immer noch darin!
Begreifen Sie das?«
»Ja«, sagte Paul.
»BEGREIFEN SIE DAS?«
Plötzlich sprang sie mit dieser geschmeidigen
Heftigkeit auf ihn los, und wenngleich er sich sicher war, dass sie
ihm wehtun wollte, wie schon einmal, wahrscheinlich, weil sie
diesen Schmutzfink von einem Drehbuchautor nicht in die Finger
bekommen konnte, der betrogen und Rocket Man aus dem Auto
herausgeschwindelt hatte, bevor es über die Klippe stürzte, bewegte
er sich nicht - er sah den Keim ihrer Instabilität in dem Fenster
zur Vergangenheit, das sie gerade für ihn aufgestoßen hatte, aber
er war auch beeindruckt davon - die Ungerechtigkeit, die sie
empfand, war, so kindisch sie sein mochte, unbestreitbar
real.
Sie schlug ihn nicht; sie packte den Kragen des
Morgenrocks, den er trug, und zog ihn heran, bis sein Gesicht
beinahe ihres berührte.
»BEGREIFEN SIE?«
»Ja, Annie, ja.«
Sie sah ihn mit ihrem wütenden, schwarzen Blick an
und schien zu spüren, dass er die Wahrheit sagte, denn nach einem
Augenblick stieß sie ihn verächtlich in den Rollstuhl zurück.
Er verzog das Gesicht wegen der durchdringenden,
mahlenden Schmerzen, und nach einer Weile ließen sie nach.
»Dann wissen Sie, was falsch ist«, sagte sie.
»Ich schätze schon.« Aber ich habe gottverdammt
noch mal keine Ahnung, wie ich das hinbiegen soll.
Und die andere Stimme ergriff sofort das Wort:
Ich weiß nicht, ob du von Gott verflucht oder erlöst werden
wirst, Paulie, aber eines weiß ich genau: Wenn du nicht einen Weg
findest, Misery wieder zum Leben zu erwecken - einen Weg, der für
sie glaubhaft ist -, dann wird sie dich umbringen.
»Dann verbessern Sie es«, sagte sie kurz angebunden
und ging aus dem Zimmer.