***
Freyer ließ die Waffe langsam sinken. »Sie müssen mir ja nicht vertrauen, aber wir sollten zumindest versuchen, noch mehr Tote zu vermeiden. Der Krieg muss ein Ende haben.«
»Als wenn das in Ihrem Sinne wäre«, zischte ich.
»Sie wissen gar nichts über mich, Kay.« Freyer grinste breit.
»Kay. Sim. Bitte.« Docs Tonfall klang flehend. »Wir stehen so kurz davor, endlich Frieden zu finden. Die Menschen im Centro, in der Felsenstadt, aus der Kristallstadt; sie alle haben keine Kraft mehr zu kämpfen und keine Reserven mehr, um noch mehr zu verlieren. Wir müssen jetzt das Wenige, das wir haben, zusammenraffen.«
»Aber er …«
Freyer legte seine Waffe auf einer nahegelegenen Konsole ab, trat davon zurück. Er hob beide Hände. »Sie mögen von mir halten, was Sie wollen. Aber jetzt bin ich unbewaffnet. Diesen Schritt bin ich gegangen, jetzt sind Sie am Zug …«
Ich ließ die Schultern hängen, entspannte meine Finger, die sich in den geballten Fäusten verkrampft hatten.
»Kay, das ist nicht dein Ernst?! Er hat meine Schwester umgebracht!«
»Ich habe Ihre Schwester nicht umgebracht! Das war dieser bescheuerte Grenzwächter!« Freyers Stimme donnerte durch den Steuerraum. »Abgesehen davon war ihre Schwester krank, sie wollte, dass wir alle hier sterben. Vielleicht ist es also besser, dass …«
Sim stieß ein wütendes Knurren aus.
»Nicht hilfreich, Freyer«, sagte Doc. »Bitte, Sim. Lass es gut sein.«
Seine Miene blieb hart. Ich wusste, wenn nicht gleich etwas passierte, würde Sim den Mann in der Luft zerreißen. Egal wie Sascha sich verhalten hatte, es war immer noch seine Schwester, die da gerade gestorben war. Einem inneren Impuls folgend ging ich zu ihm.
»Sim«, sagte ich eindringlich. Als er mich ansah, stand Schmerz in seinen Augen, auch wenn seine Mimik nichts davon verriet.
»Glaubst du ernsthaft …«, begann er flüsternd, brach jedoch ab.
Ich verstand ihn auch so. Doch eigentlich wusste ich keine Antwort darauf, ob es richtig war, Doc jetzt zu vertrauen und mit diesem furchtbaren Mann zusammenzuarbeiten. »Doc hat recht, wir sollten mit dem Kämpfen aufhören.«
Wir blickten uns eine Weile an und in diesem Moment war es so, als wären wir ganz allein. Ich sah seine Erschöpfung und er meine. Doc hatte recht, wir alle hatten viel verloren und jetzt war der Punkt erreicht, der dem allen hier ein Ende setzte. Er legte den Arm um mich, und ich schmiegte mich an ihn. Der Dolch landete klirrend auf dem Boden. Wann hatte ich jemals nicht um mein Überleben kämpfen müssen? Niemals. Es war absurd und zeitgleich fühlte sich mein Körper auf einmal furchtbar leicht an.
Als wir über die Rampe nach draußen schritten, war das eingetreten, was Freyer vorhergesagt hatte. Die Bewohner der Kristallstadt hatten die Grenzwächter niedergeschlagen und hielten die Überlebenden in Schach. Als ich Akina und einige aus dem Stamm in der Menge sah, wollte ich losstürmen, doch Sim hielt mich zurück. Ein paar der weißen Grenzwächter mit den roten Armbinden kamen uns entgegen.
»Verbündete«, sagte Freyer schnell und warf mir und Sim einen fixen Seitenblick zu.
»Drei der Führung haben überlebt. Irgendeine Verrückte in Sektor 2 hat den gesamten Labortrakt in die Luft gesprengt, noch bevor wir sie holen konnten.«
»Slotan«, stieß ich gepresst hervor. Meine Mutter. Leihmutter. Diejenige, die mich fast bis zum Tod hin gequält hatte, war tot. Ich empfand nichts beim Gedanken daran.
Der Grenzwächter musterte mich neugierig.
Ich kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Marcie kam mir entgegengerannt und warf sich in meine Arme. Sie weinte und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigte.
»Alles wird gut«, murmelte ich und dieses Mal war ich mir sicher, dass ich mein Wort würde halten können.