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»Wie geht es Ihnen heute, Georgina McCarthy?«, fragte die Blonde mit dem mechanischen Lächeln. Es war dieselbe, die mich schon am ersten Tag auf der Medizinstation in Empfang genommen hatte. Zu mehr als einem knappen Nicken fühlte ich mich nicht imstande. Um meinen Bauch legte sich ein synthetischer Gurt und schnürte mich an den gepolsterten Behandlungsstuhl.
»Ihre Vitalwerte sind leicht besorgniserregend. Fühlen Sie sich nicht wohl?«
Nein. Es kam mir vor, als wäre ich gefangen in meiner düsteren Erinnerung an Sektor 2. Die Sicherungen, der Geruch nach Desinfektion; all das war wie ein lebendig gewordener Albtraum. Meine Hände krampften sich in meinem Schoß ineinander. Ich befand mich in einem ähnlichen Zimmer wie Joff gestern, was zusätzlich für einen bitteren Beigeschmack sorgte. Auch hier gab es große Glasscheiben, durch die man vom Flur aus in den Raum schauen konnte. Langsam glaubte ich, dies gehörte zum allgemeinen Konzept. Jetzt gerade stand niemand da draußen, doch vor meinem inneren Auge sah ich mich selbst mit Professor Freyer davorstehen und an meiner Stelle Joff mit schmerzverzerrtem Gesicht hier drinnen liegen.
»Georgina?«, fragte die Frau mit dem unheimlichen Lächeln.
»Ich bin nur etwas nervös. Soll ich das Oberteil ausziehen?«, murmelte ich.
»Das brauchen Sie nicht. Es ist wirklich nur ein ganz kleiner Eingriff. Reichen Sie mir bitte Ihre Hand?«
Entgegen meiner Instinkte tat ich, was sie von mir verlangte. Mir wurde übel, als sie meinen Ärmel zurückschob und den Verband an meinem Handgelenk entfernte. Vorsichtig löste sie die Binden und offenbarte eine gezackte Wunde, die bereits zu verheilen begann. Sie legte mein Handgelenk mit der Unterseite nach oben in eine Halterung und fixierte meinen Arm mit zwei Bändern.
Die Frau zog die Nase kraus, was bei ihren sonst so glatten Gesichtszügen irgendwie bizarr aussah. »Nicht schön rekonstruiert. Wir werden das optimieren.«
Ich entgegnete nichts, sondern konnte nur die Metallspritze anstarren, die ihr der blonde Mann reichte. »Danke, ASP1.«
»Was … was soll das?«
Das Lächeln der Frau blieb dasselbe, aber in ihrem Ausdruck lag eine Spur von Ungeduld. »Wir müssen das Gewebe anästhesieren, damit Sie keinerlei Schmerzen verspüren.«
In meinem Inneren überrollte mich bereits wieder die Erinnerung an brennenden Schmerz, der sich durch meine Adern fraß. Nadeln in jeglicher Form verband ich mit Leid, und so weckte allein der Anblick der Spritze meine tiefsten Ängste.
»Wir würden dann jetzt anfangen«, sagte die Frau beschwörend. Ihr Lächeln wurde noch starrer.
»In Ordnung.«
Ich schloss die Augen und versuchte mich zu beruhigen. Zwecklos. Meine Muskeln spannten sich in dem Moment an, als ich den Einstich spürte. Mein Herzschlag dröhnte laut durch meine Ohren. Joff hatte mir gesagt, dass sie mir einen neuen Chip einsetzen würden. Er hatte mich auf so vieles vorbereitet, und dennoch fühlte ich mich ahnungsloser denn je.
Und dann sah ich ihn. Vielmehr spürte ich seine Anwesenheit, noch bevor ich die Augen wieder öffnete und ihn auf der anderen Seite der Scheibe entdeckte. Professor Freyers orangefarbene Augen fraßen sich in mein Bewusstsein, die Lippen verzerrt zu dem Raubtiergrinsen. Als ihm klar wurde, dass ich ihn bemerkt hatte, hob er den rechten Arm und winkte mir zu. Eine alberne Geste, die in diesem Augenblick jedoch nicht bedrohlicher hätte sein können. Ich atmete tief und gleichmäßig, versuchte mich so locker wie möglich zu geben. Meine Mundwinkel zuckten, als ich mich an einem Lächeln versuchte.
ASP1 summte leise, als er einen kleinen Metallwagen an den Behandlungsstuhl schob. Ich sah das Skalpell, den Chip und zahlreiche andere Instrumente aus chirurgischem Stahl, die nichts Gutes bedeuten konnten.
Die beiden Ärzte tauschten einen Blick, anschließend griff die Frau nach einem glänzenden Instrument mit scharfer Klinge.
»Dann wollen wir mal«, flötete sie.
Ich wollte gerade die Augen schließen, als eine eindringliche Stimme durch den Raum dröhnte. »Sie sollten sich das wirklich ansehen, Georgina. Es kommt äußerst selten vor, dass man beim Einsetzen seines ID-Chips live dabei sein darf. Ich denke, das sollte eine Ihrer Statistiken bestätigen, in denen Sie die Wirkung dieses Prozederes auf unsere Kinder analysiert haben, meinen Sie nicht?«
Ich lächelte mechanisch und nickte. Professor Freyer verschränkte die Arme vor der Brust. Da war er wieder; dieser wissende Ausdruck, der mir das Gefühl gab, dass er nur mit mir spielte.
»Entspannen Sie sich, Georgina McCarthy«, sagte die Frau, was jedoch keinerlei Wirkung auf meinen Körper hatte.
Die Klinge drang in die Haut ein, schnitt hindurch und ließ sie auseinanderklaffen. Es war ein unwirklicher Anblick. Rosafarbenes Fleisch kam zum Vorschein, verbarg sich einen Sekundenbruchteil später hinter dem Blut, das die circa drei Zentimeter lange Wunde füllte. ASP1 tupfte mit einem Mulltuch darauf herum und saugte die rote Flüssigkeit auf. Als es wieder einzubluten begann, zückte die Blonde, deren Namen ich bereits vergessen hatte, eine kleine silberne Dose, die oben perforiert war. Gelbes Pulver traf auf meine Wunde und begann zu schäumen, sobald es mit meinem Körper in Berührung kam. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Bläschenbildung zurückging und mein Fleisch glänzend und blutfrei zum Vorschein kam.
»Wundhaken«, sagte die Ärztin und ASP1 drückte ihr zwei große Metallhaken in die Hand. Nachdem sie die beiden Krallen unter meine Haut geschoben hatte, zog sie fest daran und öffnete den Wundbereich noch ein Stück weiter. Danach drückte sie den Muskelstrang beiseite, der über dem Knochen lag. Ich unterdrückte ein Würgen.
»Seit Ihrer Studie ergaben sich neue Erkenntnisse, Georgina.« Professor Freyers Stimme dröhnte durch meinen Schädel. Ich sah nicht auf, sondern starrte auf das absurde Bild meiner auseinanderklaffenden Haut.
»Es kam immer wieder zu Abstoßungsreaktionen. Der Fremdkörper wuchs in Richtung der Hautoberfläche, sodass wir, zumeist im Teenageralter, gezwungen waren, zu operieren und den Chip abermals zu platzieren. Eine Sache, die sich schwierig darstellte, da sich das Narbengewebe gerade in den unteren Hautschichten kaum zur Implantation eignet.«
Die Frau griff nach einem weiteren scharfkantigen Gerät, das aussah wie ein schmaler Löffel mit geschliffener Kante. Eine Gänsehaut jagte meine Arme hinauf und breitete sich auf meinem gesamten Körper aus, als sie das Gerät auf meinen Knochen drückte. Ich empfand keinerlei Schmerzen, doch das Gefühl ließ mich innerlich erzittern. Mit gleichmäßigem Kraftaufwand schabte die Ärztin darüber und enthüllte Stück für Stück, Schicht für Schicht, die weiße Substanz, die unter einer feinen rosafarbenen Haut lag.
»Die neuen Chips werden direkt im Knochen verankert und können so nicht mehr rauswachsen. Außerdem zeigen sich nur minimale Abstoßungsreaktionen. Und durch unsere fortgeschrittenen Blutungshemmer lassen sich diese Eingriffe auch vollkommen problemlos durchführen.«
Er hatte recht. Blut sah ich nicht, bloß blanken weißen Knochen und auseinandergedrängtes Gewebe. ASP1 reichte der blonden Frau eine Pinzette, zwischen dessen Enden der Chip eingeklemmt war.
»Warten Sie, XR365.« Die Frau verharrte in ihrer Bewegung und blickte zu Professor Freyer. »Zeigen Sie Georgina bitte das Implantat.«
Es war ein kleines Plättchen, gerade einmal so groß wie die Fläche meines kleinen Fingernagels. Sechs Beinchen waren daran befestigt und gaben dem Chip die Optik eines kleinen Käfers, wie ich sie schon im Dschungel gesehen hatte.
»Die kleinen Widerhaken, die Sie sehen, werden direkt in die Knochensubstanz gedrückt. Im Anschluss wird synthetische Knochenhaut darübergelegt. Diese Lage des Implantats suggeriert dem Körper, dass er ein Teil des Skeletts ist. Sie können es nun einsetzen, XR365.«
Sie presste den Chip fest auf meinen Knochen. Natürlich wirkte die Anästhesie noch immer, doch ich bildete mir ein, zu spüren, wie sich die kleinen Widerhaken in meinen Körper bohrten. Mir wurde schwindelig, kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Was sie anschließend über den Chip legte, sah aus wie dünnes, durchsichtiges Papier. Mit einem Tupfer drückte der Mann die flexible Haut fest.
»Fertig«, sagte die Frau und blickte nach Bestätigung heischend zu Professor Freyer.
Dieser nickte zufrieden. »Dann machen Sie sie wieder zu.«
Die Wundhaken wurden entfernt und der Mann drückte meine Haut zusammen, sodass nur noch ein kleiner Spalt und die Überreste meiner unschön gezackten Narbe zu sehen waren. Die Ärztin legte einen ovalen schwarzen Gegenstand darauf, der, kaum dass er meine Haut berührte, ein bläuliches Licht verströmte. Ich bildete mir ein, Kälte zu spüren, auch wenn das durch die Anästhesie gar nicht möglich war. Einige Sekunden verstrichen, bevor sie das Gerät beiseitelegte. Die Stelle, wo vorher der Schnitt meine Haut geteilt hatte, war nun vollständig glatt und zeigte nicht die Spur einer Narbe.
»Ja, auch im Bereich der Wundheilung haben wir fantastische Fortschritte gemacht«, sagte Professor Freyer, der anscheinend meinen anerkennenden Blick bemerkt hatte.
Die beiden Ärzte traten einen Schritt zurück und in ihren starren Gesichtern meinte ich so etwas wie Erwartung zu sehen.
»Untersuchung beendet«, sagte ich pflichtgemäß und in möglichst selbstverständlichem Tonfall. Die Schlaufe um meinen Bauch löste sich automatisch und der Behandlungsstuhl fuhr in eine tiefere Position. Ich zögerte.
»Kommen Sie, Georgina? Ich würde gern testen, ob der Chip seinen Dienst erfüllt.«
Mit zittrigen Knien stand ich auf. Die unsichtbare Tür neben dem Fenster öffnete sich automatisch, als ich davortrat. Professor Freyer empfing mich grinsend mit hinter dem Rücken verschränkten Armen. Unwillkürlich musste ich an ein Sprichwort denken, das Doc immer mal wieder gesagt hatte: vom Regen in die Traufe. Auch wenn die Worte in meinem Kopf noch immer keinen Sinn ergeben wollten, schien mir die Bedeutung des Spruchs passender denn je.