EPILOG

Die Rückkehr des Club Remédio Santo

DAPHNES MIXTAPE

Supertramp – Take The Long Way Home

Und damit hatte sich dann der Kreis geschlossen. Die Geschichte begann mit einer Hochzeit, und sie endete mit einer Hochzeit. Fast. Lucy und Hannes wollten sich mit ihrem Gang zum Traualtar ein bisschen Zeit lassen, allein schon deswegen, weil Lucy so exquisite Wünsche für ihren großen Tag hatte, dass erst einmal Geld angespart werden musste, damit wenigstens ein Drittel davon erfüllt werden konnte. Aber sie tröstete sich damit, dass sie sich auf diese Weise noch eine Weile als seine Verlobte vorstellen konnte, ein Status, den man ja auch nicht allzu lang innehat – wenn man das mal auf die Gesamtlebenszeit rechnet.

Der Spätsommer wehrte sich mit aller Kraft gegen seinen schlechten Ruf und bescherte uns noch einige unerwartet sonnige Tage mit Temperaturen um die fünfundzwanzig Grad, und ja, für Hamburger Verhältnisse war das exorbitant gut. Keiner hatte damit gerechnet, und so waren Richard und ich auch nur geringfügig motiviert, als wir am Wochenende nach der großen Verlobungsverkündung in unserem Wohnzimmer den Kleister anrührten, um endlich diese Tapeten an die Wand zu bringen. Der letzte Schritt zur Vervollkommnung unseres Zuhauses. Wobei ich im Geheimen bereits mit dem Gedanken spielte, die graue Wand in der Küche durch eine grüne zu ersetzen, aber darüber hatte ich noch nicht mit Richard gesprochen und wollte es auch nicht tun, bis das Wohnzimmer fertig war.

Ich öffnete das Fenster zur Straße, damit wir das gute Wetter zumindest theoretisch genießen konnten, und begann seufzend damit, die Bahnen abzumessen. Im Hafen ertönte ein Schiffshorn. »Wenn wir schnell machen, können wir vielleicht noch den Nachmittag am Elbstrand verbringen. Oder so.«

Richard sah nicht so aus, als hätte er große Hoffnung, dass es dazu kommen würde. »Hast du schon einmal tapeziert?«

»Nee, ich hab immer nur gestrichen.«

»Tja, und ich kenn mich damit auch nicht aus. Schnell können wir also vergessen, befürchte ich.«

»Sag doch so was nicht!« Ich holte gerade Luft, um zu einer kleinen Ansprache anzusetzen, mit der ich ihn und mich selbst vom Gegenteil überzeugen wollte, als mein Handy klingelte. Am anderen Ende der Leitung: meine Mutter. Es kostete mich etwas Überwindung, ranzugehen, denn ich hatte seit unserem Telefonat vor Lucys Wohnung nicht wieder mit ihr gesprochen. Mein schlechtes Gewissen wog schwer.

»Kind, wann kommst du denn endlich von deiner Reise wieder?«

Und schwerer. »Ich bin schon seit über einer Woche wieder hier«, antwortete ich zerknirscht. Teilweise war ich wirklich zu sehr abgelenkt gewesen, um an meine Mutter zu denken und daran, mich bei ihr zu melden. Ein anderer, nicht unwichtiger Grund dafür, dass ich sie bisher nicht angerufen hatte, war jedoch, dass ich noch immer nicht wusste, wie ich mich bezüglich des Torten-Gates verhalten sollte. Es ist schwer, mit einer Lüge zu leben. Vor allem, wenn man sie der eigenen Mutter aufgetischt hat. Mütter waren so unheimlich zielsicher, wenn es darum ging, ihren Kindern auf die Schliche zu kommen. Ich empfand es einfach als zu gefährlich, ihr gegenüberzutreten.

»Seit über einer Woche?« Meine Mutter schnaufte empört. Im Hintergrund hörte ich etwas, das wie eine Durchsage klang. »Also, ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll, meine Liebe. Das finde ich schon sehr enttäuschend. Und Joe auch.«

»Sag ihm, es tut mir leid. Ich komm euch nächste Woche mal besuchen, dann können wir ja …«

»Nächste Woche sind wir nicht da«, unterbrach sie mich. »Wir sind den ganzen Monat nicht da.«

»Aha, und wo seid ihr dann?«

Sie lachte ein etwas überkandideltes Lachen, in dem aber auch Freude mitschwang, also war es nicht so schlimm. »Na, wo sollen wir denn sein, Kind? Ich stehe gerade mit Joe am Flughafen, wir fliegen nach Amerika.«

»Oh, das ist aber toll.«

»Das ist es allerdings.«

In der Tat. »Seid ihr schon durch den Security Check?«

»Ja, wir sind schon durch den Security Check, Daphne, was soll denn diese seltsame Frage?«

Also dann, eine bessere Gelegenheit würde sich nicht mehr bieten. »Ich muss dir etwas sagen.«

»Du bist schwanger?!«, schrie meine Mutter aufgeregt.

»Äh … nein.«

»Dann heiratest du?! Das ist ja wunderbar. Joe?« Ihre Stimme entfernte sich ein wenig. »Joe, Daphne will wedding!!!«

»Great!«, kommentierte Joe im Hintergrund.

»Wie ich höre, ist dein Englisch besser geworden …«

»Ach Kind, ich freu mich ja so! Wann ist es denn so weit?«

Ich seufzte. »Mutter, es tut mir leid, dich zu enttäuschen, aber ich bin nicht schwanger und auch nicht verlobt. Und Achtung, es kommt noch schlimmer: Ich habe das vierte Stockwerk deiner Hochzeitstorte gestohlen. Es war ein Unfall, und ich bedaure es sehr. Aber ich habe mich bisher nicht getraut, es dir zu sagen, weil ich davon überzeugt war, du würdest deswegen ausrasten.«

Meine Mutter sagte nichts. Bevor sich das änderte, hörte ich noch, dass die Passagiere De Beer und Nieuwman dringend zum Infodesk kommen sollten und dass der Flieger nach Moskau Verspätung haben würde. Dann brachen in Fuhlsbüttel im Terminal eins alle Dämme. Meine Mutter war wütend. Ihre Wut war episch. Ich hörte ihr so lange zu, wie ich es ertrug, sagte manchmal »Mutter« und »Es tut mir wirklich leid«, und einmal sagte ich auch »Es war doch nur eine Torte, und die Hochzeit war auch so wirklich schön«, aber das hatte einen komplett anderen Effekt, als ich es mir erhofft hatte. Es half auch nicht, dass Joe sie immer wieder beruhigend »honey« oder »darling« nannte, meine Mutter war erst fertig, als sie fertig war. Aber als sie fertig war, war sie ganz ruhig.

»Ich werde keine andere Entschuldigung akzeptieren als ein Enkelkind. Innerhalb der nächsten zwei Jahre.«

»Guten Flug, Mutter«, sagte ich und legte auf.

Richard rührte in dem Kleistereimer. »Und? Wie hat sie’s aufgenommen.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Erstaunlich gut. Ich hätte nicht gedacht, dass sie es so locker nimmt.« Trotzdem zündete ich mir zur Entspannung erst einmal eine Zigarette an und setzte mich aufs Fensterbrett. Und wäre vor Schreck fast die drei Stockwerke auf die Straße gefallen, als unter mir ein phänomenales Hupkonzert losging. Mit rasendem Herzen brachte ich wieder festen Boden unter meine Füße und hängte mich aus dem Fenster, um zu sehen, was da unten los war. Ich sah einen gelben VW-Bus und einen braunbeigefarbenen Van.

»Komm schnell!«, rief ich Richard zu und winkte ihn ans Fenster.

Unten öffnete sich die Fahrertür, und Betty stieg aus, den typischen Turm aus Dreads auf dem Kopf, ein ausgewaschenes Tanktop am Leib und Flip-Flops an den Füßen. »Schätzelein! Was zur Hölle machst du da drin? Heute ist einer von vier sonnigen Tagen im Jahr in Hamburg, komm sofort raus!«

Die Schiebetür des Busses öffnete sich, und Lucy und Hannes stiegen aus, gefolgt von Sky. Marco kletterte aus seinem Van, und alle fünf gemeinsam winkten und brüllten, dass wir herunterkommen sollten.

»Aber wir tapezieren doch gerade …«, rief ich zurück.

Marco ließ seinen Daumen nach unten zeigen, und die anderen buhten uns aus.

»Wir haben echt tolle Freunde«, sagte ich sarkastisch zu Richard.

»Die besten. Wahrscheinlich.« Er formte mit den Händen einen Trichter um seinen Mund und rief nach unten: »Was habt ihr denn zu bieten?«

»Tja, also im Süden ist nix mehr zu holen, da kommen wir gerade her.« Betty klopfte den Bus liebevoll auf die Schnauze. »Und da hab ich mir gedacht, wir könnten jetzt einfach mal aus Bock checken, was im Norden so geht, und Max und Mo an der See besuchen.«

Richard sah mich an. »Ich finde, das klingt viel besser als Renovieren.«

Hin- und hergerissen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Mein Herz sagte Ja, mein Kopf sagte: Aber die Tapeten!

»Daphne.« Richard nahm mein Gesicht in die Hände und küsste mich. »Immer schön geschmeidig bleiben, okay?«

Und da Lebensmotto ja nun einmal Lebensmotto war, seufzte ich »na gut« und war sofort froh darüber. »Ich pack nur schnell ein paar Sachen ein«, rief ich und hörte, als ich den Raum seinem Renovierungschaos überließ, wie Richard dem Pulk vor unserer Haustür verkündete: »Wir sind unterwegs!«

Auf der Straße wurde diese Neuigkeit mit freudigem Johlen begrüßt.

Und dann ging es wieder los. Bettys Mixtape im Kassettendeck, Proviant in der Kühlbox, die Straßenkarte in meinem Schoß. Nur die Zweifel, die ließen wir dieses Mal hinter uns. Denn es war ja schließlich Urlaub. Jetzt aber wirklich.


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