11

Der Teil mit dem Sonnenstrand – endlich

DAPHNES MIXTAPE

The Cure – Mint Car

Ein stetiges Klopfen auf dem Busdach weckte mich. Regenprasseln. Ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah einen trüben Tag, den feuchten Asphalt der Straße und eine triefend nasse Gestalt mit Dreads, die sich mit schnellen Schritten auf den Bus zubewegte und versuchte, den Pfützen auszuweichen. Hilfsbereit öffnete ich die Schiebetür und ließ Betty einsteigen. Sie hielt mir ein matschiges Baguette entgegen.

»Frühstück.«

»Müsste man vielleicht erst mal trocknen lassen …«

»Dann gibt es eben Eier mit Speck. Find ich sowieso besser.« Sie hielt ihren Kopf aus dem Bus und wrang sich die Haare aus.

Auf der Matratze bewegte sich Lucy und machte Aufwachgeräusche.

»Ich setz mal Tee auf.« Wir hatten einen schweren Kanister mit Wasser an Bord, aus dem ich den kleinen Topf aus unserem Küchenschrank befüllte. Gasflamme entzünden, Topf drauf, Becher mit Teebeuteln versehen, warten. Das Campingleben. Kein Wunder, dass man alles bewusster erlebte, es war ja auch alles viel komplizierter und brauchte mehr Zeit.

»Ich hätte ja eigentlich lieber einen Kaffee …« Betty hatte sich aus ihren klitschnassen Klamotten geschält und stand zitternd, lediglich von ihrem Stringtanga und Gänsehaut bedeckt, vor mir.

»Ich auch«, kam es unter der Bettdecke hervor. »Kaffee!«

»Nix da.« Ich hielt Betty ihr Handtuch hin, das noch ganz sandig vom vergangenen Tag am Strand war. »Tee. Gut gegen Erkältung.«

»Ich bin nicht erkältet«, protestierte Betty.

»Noch nicht.« Kleine Blasen bildeten sich am Boden des Topfes. »Wo warst du eigentlich die ganze Nacht?«

»Unterwegs. Ich hab ein paar Jungs kennengelernt, die parken in einer anderen Bucht hier in der Nähe, und da konnte ich auch pennen. War irgendwie lustiger als hier.« Sand rieselte aus dem Handtuch, während sie sich abtrocknete. »Tut mir leid, aber so ist es nun mal, Schätzelein.«

Es war nicht ganz klar, ob sie sich dafür entschuldigte, dass sie sich einfach so von der Reisegruppe abgesetzt hatte, oder dafür, dass wir jetzt wieder fegen mussten. War auch egal – beides.

Lucy setzte sich auf. »Hast du Karol gesehen?«, fragte sie Betty.

Die knappe Antwort lautete: »Nö.«

Wir sahen Karol auch im Verlauf des restlichen Morgens nicht wieder. Oder Viktor, aber den übersah man ohnehin meist, und um ihn ging es Lucy auch gar nicht, was daran liegen mochte, dass es nicht seine Zunge gewesen war, die sich den vergangenen Nachmittag über in ihrem Mund befunden hatte. Wie ein Hund, der vor dem Supermarkt auf die Rückkehr seines Besitzers wartet, hockte Lucy vor dem Busfenster und starrte die menschenleere Straße hinab. Betty und ich rauchten jede drei Zigaretten und tranken zwei Becher Tee in der Zeit, die wir den Polen gaben, sich wieder am Bus einzufinden. Aber sie kamen nicht. Lucy wirkte äußerst bedrückt. Der Wind pfiff, der Regen prasselte, und Bettys Dreads rochen streng.

»Deine Haare müffeln.«

»Trocknungsprozess. Da musst du leider durch.«

Ich überlegte, ob ich noch eine Zigarette rauchen sollte, entschied mich aber dagegen, weil ich schon von der letzten Kopfschmerzen bekommen hatte. Mit einem Seufzer der Ungeduld setzte ich dem Warten ein Ende. »Mir reicht’s. Wir fahren.«

Lucy warf mir einen flehenden Blick zu: »Aber wir können Karol doch nicht einfach so hier zurücklassen!«

»Der kommt schon klar.« Betty stand auf und kletterte über die Vorratsbox auf den Fahrersitz. Im Hintergrund lief »No Rain« von Blind Melon. Schön wär’s.

»Aber wenn er zurückkommt, und wir sind weg? Was denkt er denn dann?«

»Dass wir nicht länger warten wollten, vermutlich.« Ich erhob mich ebenfalls von der Matratze, blieb aber neben Lucy stehen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Einen Tag zuvor wäre ich von ihrem Verhalten noch genervt gewesen. Heute, nachdem ich ihre Geschichte gehört hatte, hatte ich so viel Mitleid mit ihr, dass ich ihr eigentlich jeden Gefallen getan hätte. Aber hier stehen bleiben, im Regen, in Biarritz, in unserem Urlaub, wegen eines äußerst suspekten polnischen Anhalters, das kam nicht infrage, das konnte ich auch Betty nicht antun. Zudem war ich verwirrt. Denn in all das, was Lucy mir erzählt hatte, passte ihre Karol-Fixination, wie Betty es genannt hätte, irgendwie nicht rein. Im Gegenteil. »Er ist doch nur ein Anhalter, Lucy, nur irgendein Kerl, den wir auf einem Rastplatz mitgenommen haben.«

»Er hat mich geküsst«, erwiderte sie trotzig.

»Manche Männer interpretieren in so einen Kuss einfach nicht so viel hinein.« Ich sah, wie ihre Augen glasig wurden. Dabei hatte ich noch versucht, meine Meinung möglichst diplomatisch zu umschreiben. Aber in diesen Dingen war ich leider nicht sonderlich geschickt.

Lucy drehte ihren Kopf weg und starrte aus dem Fenster. »Ich bin schon wieder auf so einen reingefallen, oder?«

»Ach, reingefallen würde ich das jetzt irgendwie nicht nennen …«

»Ich dachte, ich probier es einfach mal aus. Jetzt, wo Hannes …« Die Tränen. Da waren sie. Innerhalb kürzester Zeit war Lucys Gesicht rot und nass.

»Nicht schon wieder …«, murmelte Betty in der Fahrerkabine.

»Ein Kuss, hab ich gedacht, ein Kuss!«, rief Lucy schluchzend. »Er war so nett und so aufmerksam, und er mochte meine Haare!«

»Zu Recht, Lucy, zu Recht.« Ich tätschelte unbeholfen ihre Schulter. »Aber jetzt fahren wir weiter und suchen uns einen schönen Strand in der Sonne, hm? Und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«

Aber sie schien mich gar nicht gehört zu haben. »Wie konnte ich nur so dumm sein?«, heulte sie. »Er hat mich die ganze Zeit angelogen. Er hat es mit mir gar nicht ernst gemeint. Er wollte mich gar nicht!«

»Ach, Lucy …«, begann ich, aber Betty hatte genug. Genug für den Rest des Urlaubs. Sie drehte sich auf dem Fahrersitz nach hinten und sah Lucy und mich so streng an, wie sie es nicht einmal mit Max getan hatte, als er die Hochzeitstorte meiner Mutter zerstört hatte. Und das empörte mich ein wenig, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen, so wie sie guckte.

»›Er wollte mich nicht‹«, äffte sie Lucys Jammern nach, und ich verfluchte die Tatsache, dass sie bei dem Gespräch letzte Nacht nicht dabei gewesen war. Dann hätte sie jetzt sicherlich etwas feinfühliger reagiert. Auf der anderen Seite war ich mir da bei Betty gar nicht so sicher. Sie war nicht der Typ, der irgendjemanden mit Samthandschuhen anfasste. Eher noch glaubte sie an die heilende Kraft der Normalität und der Konfrontation und wäre ganz bestimmt der Meinung gewesen, dass wir jetzt auch nicht damit anzufangen brauchten, Lucy mit Samthandschuhen anzufassen, da wir das bisher ja auch nicht getan hatten. All das war aber nur Spekulation. Hier und jetzt hatte Betty keine Ahnung und war ohnehin zu gereizt, um sich zusammenzureißen. »Was seid ihr eigentlich für Frauen?«, fuhr sie uns an. »Ihr wartet immer nur darauf, dass euch irgendwelche Spacken ›aussuchen‹, als wärt ihr zwei verbeulte Raviolidosen im Supermarktregal, die sowieso keine Chance darauf haben, gekauft zu werden. Ihr seid nicht verbeult, und es gibt keinen Grund zu warten. Kapiert endlich, dass ihr auch eine Wahl habt, ihr Memmen. Dann geht’s euch besser. Verdammt noch mal!« Sie drehte sich wieder zum Lenkrad um. »Daphne? Beifahrersitz. Lucinda? Anschnallen.«

Lucy zog verschreckt die Nase hoch. »Hier hinten gibt’s keinen Gurt …«

»Mir egal. Wir fahren jetzt. Ist ja schließlich Urlaub, oder?« Sie ließ den Motor an und drehte die Musik bis zum Anschlag auf.

Ich krabbelte, so schnell ich konnte, über die Vorratsbox nach vorn, während der Bus sich schon in Bewegung setzte. Betty meinte es ernst. Urlaub oder Tod. Jetzt!

Bis wir die Stadtgrenze von Biarritz erreicht hatten, sagte keine von uns ein Wort. Das lag daran, dass Bettys Mixtape noch immer in einer höllischen Lautstärke aus den Boxen drang, vermutlich das einzige Ventil, das sie auf die Schnelle für ihre Wut hatte finden können. Die Situation wirkte jedoch eher komisch bis absurd, weil es der Reggae-Musik, die den Bus erfüllte, irgendwie an der nötigen Aggression fehlte. Und das passte nicht dazu, wie Betty verkrampft das Lenkrad umfasste, verbissen auf die Straße starrte und das Gaspedal trat, als hätte sie ein persönliches Problem damit. Trotzdem beschloss ich, dass es schlauer war, jetzt nicht zu lachen. Oder auch nur zu sprechen. Weshalb ich selbst dann die Klappe hielt, als ich glaubte, Karol und Viktor winkend an einer Straßenecke erkannt zu haben. Lucy sagte ebenfalls nichts. Wahrscheinlich hatte sie sie nicht gesehen.

Wenig später ließen wir Biarritz hinter uns, und ein kleines Wunder geschah: Der graue Himmel riss auf, und die Sonne schien hell und warm auf uns herunter, als hätte sie seit Tagen nichts anderes gemacht, als würde sie unschuldig auf uns herunterblicken und sagen: »Ich versteh euer Problem gar nicht, ich war schon die ganze Zeit hier.« Auf einen Schlag konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wie schlechtes Wetter aussah oder sich anfühlte. Bettys Hände entspannten sich, das Weiß an ihren Knöcheln verschwand, und sie lehnte sich vor, um die Musik leiser zu stellen. Grund genug für mich, aus lauter Freude über den unverhofften Sonnenschein eine kleine Portion klimawissenschaftliches Halbwissen im Bus zu verbreiten: »Wahrscheinlich liegt Biarritz an einem Schlechtwetterpunkt. Dort ist der Himmel dann meistens grau, und es regnet viel, und fünf Kilometer weiter ist das dann auch schon wieder vorbei. Echt, so was gibt es!«

»Sagt wer?«, fragte Betty, noch immer latent übellaunig, aber mit einem versöhnlichen Tonfall in der Stimme.

»Ähm …«, machte ich, und aus Ermangelung einer vernünftigen Antwort fuhr ich meinen Arm aus und zeigte aufgeregt auf einen Punkt schräg rechts vor uns. »Wow! Eine Palme!«

»Ich werd verrückt«, war Bettys trockener Kommentar dazu. Dass sie versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, sah ich trotzdem.

In San Sebastian (das eigentlich eher westlich als südlich von Biarritz lag, aber das sahen wir nicht so eng) unterbrachen wir unsere Fahrt für ein Mittagessen und Kaffee – Betty: »Endlich!« –, mischten uns unter die schönen, braun gebrannten Menschen am Stadtstrand und hielten unsere Beine ins Wasser, bevor wir unter lautem Hupen die Stadt wieder verließen und uns auf die Suche nach dem sonnigen Strand machten, den ich Lucy versprochen hatte. Sie wirkte noch immer ein wenig melancholisch, aber bei Weitem nicht so betrübt wie bei unserer Abfahrt. Als irgendwann kurz vor Bilbao ihr Mixtape an der Reihe war, sang sie aus vollem Hals »Baila me« von den Gipsy Kings mit. Dass sie kein Wort Spanisch sprach und sich mit irgendeinem haarsträubendem Kauderwelsch aus Vokalen und Konsonanten behelfen musste, machte ihr nichts aus und führte bei Betty zu einem heftigen Lachanfall, der uns fast einen Abhang hinunter befördert hätte.

Irgendwann fuhr Betty einfach in nördlicher Richtung von der Autobahn ab. Laut Karte lag dort das Meer, und sie hatte ein gutes Gefühl bei dieser einen speziellen Ausfahrt. »Du nicht, Schätzelein?«, fragte sie mich, aber mir war alles recht.

Außerdem war ich gerade abgelenkt, weil ich damit beschäftigt war, mein Handy abzuschalten – die Leitung nach Hamburg und somit auch zu Richard zu kappen. Ich hatte einen wirklich schönen Tag mit meinen Freundinnen gehabt, vielleicht den ersten wirklich schönen Tag dieses Urlaubs, und ich hatte nicht vor, meine gute Stimmung durch ein weiteres, ernüchterndes Telefonat am Abend trüben zu lassen. Und dem aus dem Weg zu gehen war leicht. Ein Knopfdruck, mehr brauchte es nicht, und plötzlich fühlte es sich an, als hätte ich ein großes Problem gelöst. Ein trügerisches Gefühl, das wusste ich, aber ich fand, dass ich mir diese Auszeit verdient hatte. Betty war da sicher auch auf meiner Seite. Es war ja schließlich Urlaub.

Wir fanden unseren Strand im letzten Tageslicht. Er lag ziemlich genau mitten im Nirgendwo und war eher lang als breit. Bis zum Wasser musste man einige Hundert Meter über den sonnengewärmten Sand laufen, bis man eine kleine, von hohen Felsen umgebene Bucht erreichte. In der Luft lag das Rauschen des Meeres und das Zirpen der Grillen, die in den Dünen, Hügeln und Büschen saßen, und unsere Nasen umwehte der köstliche Geruch der gebratenen Würstchen, die sich einige Meter weiter ein paar Jungs zubereiteten, die auf Campingstühlen vor ihrem alten, rostigen Wohnwagen saßen, an dessen Seite mehrere Surfboards lehnten. Abgesehen von diesem und unserem eigenen Bus, befand sich auf dem winzigen Parkplatz nur noch ein weiteres Fahrzeug. Ein beigefarbener Van.

Seinen Besitzer lernten wir wenig später kennen. Inspiriert von dem Duft von gebratenem Fleisch war Betty gerade dabei, eine großzügige Ladung Speck in die Pfanne zu werfen, als er zu uns an den Bus kam und sich vorstellte. Als gute Nachbarn boten wir ihm selbstverständlich an, einen Teller Nudeln mit Speck mitzuessen, aber er lehnte ab. Er hatte erst eine Stunde zuvor allein eine ganze Packung Spaghetti mit Käse gegessen. Allerdings zeigte er großes Interesse an dem letzten Stück Torte, das ich eigentlich gerade hatte entsorgen wollen, aber er ließ mich nicht. Er bestand darauf, es zu essen, trotz meiner Warnung, dass der Kuchen nun schon seit einigen Tagen ungekühlt in unserer Vorratsbox lag und eventuell nicht mehr genießbar sein würde. Dass das Marzipan möglicherweise nicht mehr nur dank eines ordentlichen Schusses Lebensmittelfarbe grün aussah. Aber er sagte, er hätte schon seit Tagen unbändige Lust auf etwas Süßes, aber leider nichts an Bord. Und er behauptete, einen starken Magen zu haben. Also wollte ich seinem Glück nicht im Weg stehen, gab ihm die Torte und sah mit teils skeptischem, teils angewidertem Gesichtsausdruck dabei zu, wie er sich genüsslich seinen riskanten Nachtisch einverleibte.

Und so lernten wir Marco kennen. Abgesehen von seinem enormen Appetit fiel er außerdem noch durch sein Aussehen auf. Er war groß und breit, hatte lange schwarze Haare und einen Bierbauch unter seinem AC/DC-T-Shirt. Er kam aus Hessen, was man ihm zwar nicht ansah, aber deutlich hören konnte. Er war kein Surfer, offensichtlich, nicht auf der Suche nach den besten Spots und den höchsten Wellen. Er hatte kein Ziel. Er war allein. Er war Reisender. Wie Sky, der Besitzer unseres Busses, war auch Marco in seinem fahrbaren Zuhause viel glücklicher als in vier Wänden aus Stein. Er brauchte nur seine Gitarre, ein paar gute Tapes, und schon war er unterwegs.

»Warum hab ich meine Gitarre eigentlich nicht dabei, Schätzelein?«, fragte mich Betty, als das Gespräch auf das Thema kam.

»Du hast sie vergessen.«

»Solltest du mich nicht erinnern?«

»Ja. Hab ich vergessen.«

»Tja. Was will man machen?« Sie hob resignierend die Hände. »Ist ja schließlich Urlaub, nä?« Und dann baute sie einen Urlaubsjoint, den ersten der Reise.

Am folgenden Morgen standen wir früh auf, weil die Sonne den Bus bereits beachtlich aufgeheizt hatte und es nicht sehr angenehm war, dicht an dicht wie die Sardinen in der Blechbüchse auf der Matratze zu liegen und aneinanderzukleben. Den Rest gab uns dann das Geräusch, das Marco machte, als er sich in das Gebüsch neben seinem Van übergab.

»Das war dann wohl die Torte«, bemerkte ich schläfrig. »Armer Kerl.«

Betty setzte sich auf und begann sofort, sich ihr Bikinioberteil anzuschnallen. »Mach dir keine Vorwürfe, Schätzelein, du hast ihn ja schließlich über alle Risiken aufgeklärt.«

Lucy machte unter der Decke ein glucksendes Geräusch. Entweder lachte sie, oder sie war kurz davor, sich ebenfalls zu übergeben.

Als wir strandfertig aus unserem Bus stiegen, saß Marco auf einem Klappstuhl im Schatten des Vordachs seines Campers und sah in etwa so grün aus wie einst die Marzipandecke der Torte.

Betty winkte ihm zu. »Na, Marco? Alles klar?«

Er winkte zurück, oder er winkte ab, sagen konnte er jedenfalls nichts. Und nur einen Moment später sprang er von seinem Stuhl auf, ging vor dem Busch in die Knie und, nun ja …

»Tut uns leid!«, rief Lucy und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Gut, dass wir ihm die Torte gegeben haben. Stellt euch vor, wir hätten die gegessen. Dann würden wir jetzt ins Gebüsch kotzen und nicht er.«

Betty legte ihr einen Arm um die Schulter. »Du bist ein guter Mensch, Lucinda. Wirklich.«

Die nächsten zwei Tage blieben wir weitestgehend unbehelligt von anderen Menschen. Auf dem kleinen Parkplatz mit den Holzmarkisen, die absolut lebensnotwendigen Schatten spendeten und unter denen auch unser Bus stand, war noch Platz für vier weitere Fahrzeuge. Eins davon war Marcos Camper, die drei anderen wechselten, gehörten aber immer Surfern, die, gut gebaut und braun gebrannt, ihre Bretter über den breiten Strand zum Wasser trugen und dort den Tag verbrachten. Betty war jeden Morgen pünktlich zur Stelle um diese Wanderung mit entrücktem Gesicht zu betrachten, als handelte es sich dabei um ein großes, seltenes Naturschauspiel. Sie versuchte sogar, sich einen Feldstecher von Marco zu leihen, aber der besaß so etwas leider nicht.

Abends wurde auf dem Parkplatz gegrillt und Bier getrunken, ansonsten war nicht viel los auf diesem abgeschiedenen Flecken Erde. Der Strand lag geografisch an der Nordküste Spaniens, inmitten von kargen Hügeln, vertrockneten, brach liegenden Feldern und wilden Wiesen. In der unmittelbaren Umgebung gab es nichts außer ein paar verfallenen Zweizimmerhäuschen, einer Kuhweide und einem Bauernhof, auf dem ein Esel, ein Hahn und mehrere Hühner wohnten. Außerdem lebte dort ein wütender weißer Schäferhund, der uns immer ankläffte und mit seinem ganzen Gewicht an der Kette zog, wenn wir auf dem Weg ins nahe gelegene Dorf den sandigen Trampelpfad entlangspazierten, der an seinem Territorium vorbeiführte. Die einzigen Geräusche, die in der warmen, sauberen Spätsommerluft lagen, waren somit vereinzeltes Muhen, Gackern, Krähen und Bellen, das Rauschen der Wellen, das Zirpen der Grillen und manchmal ein einsames I-Ah. Hätte während unseres Aufenthalts die Apokalypse eingesetzt – wir wären dort, in unserem Niemandsland, mit großer Wahrscheinlichkeit glatt von ihr übersehen worden.

Es war perfekt.

Wir genossen unseren Urlaub, lagen in der Sonne, plantschten im Meer, spielten Beach Ball, aßen Nudeln und rauchten Joints. Betty und ich zumindest und, nachdem er sich von seiner Lebensmittelvergiftung erholt hatte, auch Marco.

Lucy stand dem Kiffen erwartungsgemäß kritisch gegenüber, aber sie fand ihren ganz eigenen Weg, sich zu entspannen, indem sie eines Nachmittags ihr Malen-nach-Zahlen-Set aus dem Koffer zog und mit höchster Konzentration nach und nach das Bild eines Einhorns im Zauberwald produzierte. Das fertige Gemälde brachte sie mit viel Klebeband im Bus über der Matratze an und war sehr stolz auf ihr Werk, bis Marco bemerkte, dass der Konsum von Marihuana und das sehr psychedelisch anmutende Motiv sich eigentlich ganz gut ergänzten. Daraufhin war Lucy nicht mehr stolz, sondern schockiert. Und das zum zweiten Mal an diesem Tag, nachdem sie gerade erst den skandalösen Vorfall vom Morgen einigermaßen verdaut hatte.

Lucy und ich waren gleich nach dem Aufstehen ins Dorf gewandert, um Frühstück einzukaufen. Das Dorf bestand lediglich aus einer langen Straße, die in der Sonne flimmerte, die Häuser links und rechts davon waren neuerer Bauart, zwei- bis dreistöckig, weiß verputzt und eher uncharmant. Es war geisterhaft still. Der ganze Ort wirkte wie ausgestorben, die Fenster waren ausnahmslos hinter Jalousien versteckt, und bei unseren wenigen kurzen Besuchen war uns dort keine Menschenseele begegnet. Fast. Einmal sahen wir eine alte Frau, die im Schneckentempo Einkäufe nach Hause trug, und einmal eine junge Mutter und ihren kleinen Sohn auf einem Dreirad. Das war’s. Hierher kam man, um seine Vorräte aufzustocken, andere Gründe gab es nicht.

Deswegen beeilten wir uns mit unseren Besorgungen. In der kleinen Bäckerei kauften wir weiche, weiße Brötchen und im Minimarkt nebenan noch schnell etwas Käse, Schinken, ein paar Eier und drei Plastikflaschen Wasser, dann waren wir auch schon auf dem Rückweg zu unserem einsamen Traumstrand.

Als wir an dem Bauernhof vorbeikamen, kläffte uns erwartungsgemäß der Schäferhund an, und Lucy, die ohnehin schon so weit wie möglich auf der anderen Seite des Weges ging, beschleunigte ihren Schritt und quietschte ängstlich. Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so entspannt gewesen war. Seit zwei Nächten schlief ich ohne Knirschschiene. Außerdem hatte ich keinen Handyempfang, wie ich am Tag nach unserer Ankunft festgestellt hatte, als ich mein Telefon wieder anstellen wollte. Kein Handyempfang, keine nervigen Telefonate.

»Na, vermisst da jemand seinen Freund?«, hatte Marco gefragt, der mich beobachtet hatte.

»Ein bisschen?«, hatte ich geantwortet, aber das war nicht die Wahrheit gewesen.

Lucy wartete unter einem der wenigen, niedrigen Bäume am Feldrand auf mich. »Ich hasse diesen Hund«, schimpfte sie mit zitternder Stimme.

»Du hättest auch schlechte Laune, wenn du jeden Tag in dieser Hitze angekettet im Staub liegen müsstest.«

»Wahrscheinlich. Aber wenn er nicht so bösartig wäre, müsste er wahrscheinlich gar nicht an der Kette sein. Dann würde ich ihn vielleicht sogar mitnehmen. Der ist so hübsch weiß und kuschelig.«

Ich musste lachen, weil das typisch Lucy war. Hauptsache flauschig und niedlich und sauber.

Sie atmete genervt aus. »Mann, Daphne, ich hab langsam das Gefühl, es ist total egal, was ich sage, du und Betty lacht mich immer …«

Wir waren nur noch wenige Hundert Meter von dem Parkplatz am Strand entfernt, als wir Betty schreien hörten. Schreien und jämmerlich stöhnen, es klang so alarmierend, dass wir uns einen erschrockenen Blick zuwarfen und den Rest des Weges rannten, wobei ich mir trotzdem Mühe gab, die Eier in meinem Rucksack nicht zu gefährden und Lucy echte Probleme damit hatte, die Wasserflaschen im Griff zu behalten.

Das Schreien wurde lauter, es kam aus Marcos Van und für einen Moment schossen mir schreckliche Gedanken durch den Kopf. Daran, was er mit Betty in seinem Van anstellte. Wie lange schon. Und ich ärgerte mich darüber, dass wir so leichtgläubig gewesen waren, die ganze Zeit geglaubt hatten, er wäre ein netter Kerl. Und dabei hatte er die ganze Zeit nur auf den richtigen Moment gewartet, um unsere Freundin in seine Gewalt zu bringen und … ja was? Ich wollte gar nicht daran denken. Hoffentlich waren wir nicht zu spät. Hoffentlich konnten wir ihr noch helfen.

»Betty!«, rief ich, als wir über den Parkplatz liefen, der Camper-Van noch außer Sichtweite, und dachte: Scheiß auf die Eier.

Ich ließ den Rucksack fallen, beschleunigte noch einmal und blieb abrupt vor der geöffneten Tür von Marcos Van stehen. Dort sah ich Betty, beziehungsweise Bettys nacktes Hinterteil, weil sie vornüber auf Marcos Bett lag und es ihm entgegenstreckte. Dabei schrie sie, während er eine ihrer Pobacken festhielt – und daran saugte.

»Äh …«, machte ich.

Neben mir ließ Lucy die Flaschen fallen und schlug sich die Hände vor die Augen. »Ich hab nichts gesehen«, stammelte sie, während sie sich abwandte und wegging. »Ich hab nichts gesehen. O Gott. O mein Gott. Ich hab nichts gesehen …«

Marco hob irritiert den roten Kopf, erblickte uns und richtete sich auf. Betty jammerte noch immer. Er winkte mir unbeholfen zu und spuckte aus dem Van in den Sand. »Ach, hi!«

»Hallo«, sagte ich matt.

»Scheiße, das brennt so!«, hörte ich Bettys Stimme aus dem inneren des Fahrzeugs. Dann ein Wimmern.

Marco zuckte mit den Schultern. »Wespenstich.«

»Wespenstich«, wiederholte ich langsam.

»O MEIN GOTT!«, rief Lucy aus unserem Bus.

»Man muss das Gift sofort raussaugen.«

»Verstehe.« Ich sammelte die Wasserflaschen auf, die auf dem Boden verstreut lagen. »Tja, dann mach ich mal Frühstück, was?«

Betty hatte sich inzwischen die Hose wieder angezogen und schaute neben Marco aus dem Van, während sie sich die Pobacke rieb. »Schätzelein!«, rief sie überrascht. »Du schon hier?«

»Ja. Allerdings.«

»Ich hab mich auf eine Wespe gesetzt.«

»Ich weiß.«

»Machst du Rührei?«

Ich schaute zu meinem Rucksack, der ein paar Meter entfernt auf dem Boden lag. Dann fing ich an, zu lachen, eine Weile noch im Stehen, dann musste ich mich irgendwann auf den Boden setzen und da weiterlachen, weil meine Knie nachgaben.

»Sonnenstich?«, fragte Betty.

Ich schüttelte den Kopf. »Rührei ist im Rucksack«, presste ich mühsam heraus.

Zum Frühstück gab es Käsebrötchen.

Am dritten Tag verzichtete Betty auf den Abendjoint und kramte stattdessen die Straßenkarte aus dem Handschuhfach. »Reiseplanung!«

»Ei, ihr fahrt schon?« Marco wirkte bedrückt. Vielleicht würden auch Lucy und ich ihm fehlen. Ganz sicher aber vermisste er Betty schon jetzt. Auch wenn das einem einsamen Wolf wie ihm gar nicht ähnlich sah, hatten die beiden in den letzten Tagen einen ganz besonderen Draht zueinander entwickelt. Eigentlich machten sie alles zusammen und waren sich so nah, dass ich teilweise eifersüchtig wurde. Sie lachten über dieselben Dinge, waren so gut wie immer einer Meinung, und außerdem hatte er an ihrem Hintern gesaugt – wobei das nicht zu den Situationen gehörte, in denen ich mit ihm hätte tauschen wollen. Aber er schien es gern getan zu haben, was mich unter anderem stark vermuten ließ, dass zumindest von Marcos Seite ein romantisches Interesse bestand. Ob Betty sich auch zu ihm hingezogen fühlte, konnte ich nicht einschätzen. Vielleicht eher nicht, dafür machte sie ein bisschen zu häufig Witze über Marcos Dialekt und seine alles andere als ideale Figur. Und jetzt zum Beispiel bügelte sie seine enttäuschte Frage harsch ab, beugte sich über die Karte und erklärte, dass wir ja schließlich keinen Bus hätten, damit er die ganze Zeit nur rumstünde.

Marco schluckte.

Ich hätte ihn am liebsten getröstet, stattdessen half ich Betty bei der Planung und zeigte auf die Route Richtung Süden, die mir am kürzesten vorkam.

Aber Betty war dagegen. »Wenn wir nicht in Skys Schrottkiste unterwegs wären, dann wäre das kein Problem. Aber leider sind wir in Skys Schrottkiste unterwegs, und für die ist die Strecke viel zu steil. Da kommen wir nicht rüber. Wir müssen zwar so oder so durch die Berge, wenn wir in den Süden wollen, aber je weniger Höhenmeter, desto besser. Solange wir diesen Bus fahren, ist Geschwindigkeit Nebensache. Da muss gelten: Der Weg ist das Ziel.«

»Wie wär’s hiermit?« Lucy zeigte auf eine kleine, gewundene Straße mit relativ niedrigen Höhenangaben. »Das müsste doch gehen.«

»Muss«, sagte Betty. »Muss gehen. Probieren wir morgen aus.«

Marco sah aus, als würde er gleich weinen.

Ich konnte mich nicht erinnern, schon jemals eine so schöne Strecke gefahren zu sein. Und Lucy konnte sich nicht erinnern, schon jemals beim Autofahren so seekrank geworden zu sein. Betty quälte den Bus durch das kantabrische Gebirge, nahm im Minutentakt Links- und Rechtskurven und fluchte, weil uns bergab auf der Gegenfahrbahn in unregelmäßigen Abständen Kleinwagen und Motorräder in einem Höllentempo entgegenkamen. Dagegen setzten wir zwanzig Stundenkilometer. Mehr war bergauf aus Skys VW nicht herauszuholen. Umso besser konnte ich die Landschaft genießen, den Blick ins Tal, beeindruckende Felsformationen und kleine Ansammlungen von Häusern, für die die Bezeichnung Dorf bereits übertrieben gewesen wäre. Und es gab Bäume und Büsche, Vegetation – eine erfrischende Abwechslung zu den kargen Feldern am Meer. Ich kurbelte das Fenster runter und machte Fotos von Kühen, die auf Plateaus grasten, und von Fernmeldemasten auf Bergspitzen. Zumindest so lange, bis Betty mir befahl, den Arm einzuziehen, weil wir im Kampf gegen die Höhenmeter jedes bisschen Aerodynamik dringend brauchten.

»Ich glaube nicht, dass das einen Unterschied macht«, murmelte ich, kooperierte aber und beschränkte mich notgedrungen darauf, den Anblick zu genießen, der sich mir vor der Windschutzscheibe bot. »Atemberaubend, nicht?«

»Mh-hm.« Betty konnte der Schönheit der Landschaft jetzt leider keine Beachtung schenken. Sie arbeitete konzentriert. Kupplung, Gas, der Motor röhrte, irgendetwas knirschte unter uns, jedes Mal wenn sie den Gang wechselte.

»Ist es bald vorbei?«, jammerte Lucy, die sich hingelegt hatte, weil ihr übel war.

»Lucy, setz dich wieder hin. So wird es nur noch schlimmer.«

Ein Wimmern. »Ich kann nicht.«

»Na gut.« Wirklich schön hier. »Betty, weißt du was ich total gut fände?«

»Hm?«

»Wenn wir mal nicht auf einem Parkplatz übernachten würden, sondern irgendwo in der Natur. Inmitten von Feldern oder Wäldern oder direkt am Meer, ohne Asphalt unter den Rädern …« Die Gangschaltung knirschte wieder. Dann quietschte sie. Betty zog scharf Luft durch die Zähne. »Irgendwo, wo wir morgens aus dem Bus steigen, und da ist kein Mensch und kein anderes Auto und …«

»Anhalten!«, rief Lucy von hinten. Das »Sofort!« brachte sie nur noch teilweise heraus, bevor sie sich die Hand gegen den Mund pressen musste.

»O Gott, Betty, halt an!«, rief ich jetzt auch, nachdem ich mich umgedreht und Lucys bleiches Gesicht gesehen hatte.

Betty fuhr den Bus leise fluchend rechts ran, und noch während sie den Motor abstellte und die Handbremse anzog, riss Lucy die Schiebetür auf, fiel förmlich aus dem Bus in die Büsche, die entlang des Berghangs wuchsen und übergab sich lautstark an Ort und Stelle.

Ich seufzte. »Ich geh mal raus und halt ihr die Haare.«

»Mach das.« Betty, wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog ihren Tabakbeutel aus der Tasche. »Und pass auf, dass du über ihr am Hang stehst. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«

»Aber von so was hab ich echt überhaupt keine Ahnung«, kam Bettys Stimme unter dem Bus hervor. Ihre Beine schauten zwischen den Hinterrädern hervor, es sah fast so aus, als wäre sie überfahren worden. Dass dem nicht so war, war aber auch der einzige Lichtblick, über den wir uns im Moment freuen konnten.

Eine Mücke piekste mich in den Oberarm, und ich schlug auf die Stelle, verfehlte sie aber. Egal. Sollte sie mich doch stechen. Das machte auch keinen Unterschied mehr. »Und jetzt?«, fragte ich, denn dass der Bus hier stand und nicht weiterfuhr, war ein viel größeres Problem als die juckenden Quaddeln auf meiner Haut.

»Tja, Schätzelein …« Betty kam zwischen den Hinterrädern hervorgerutscht und setzte sich auf. »Du hast dir doch gewünscht, dass wir mal nicht auf einem Parkplatz übernachten. Gratulation: Jetzt übernachten wir auf einer Bergstraße.«

»O nein!« Lucy, die noch immer bleich und wackelig auf den Beinen war, ließ sich verzweifelt auf den Boden fallen und hintenüber kippen. »Das ist alles meine Schuld!«

»Quatsch.«

»Wenn ich nicht hätte kotzen müssen, dann würden wir jetzt nicht hier stehen.«

»Dann würden wir woanders stehen. Ein kaputter Bus ist ein kaputter Bus.« Lässig lehnte Betty sich gegen die Heckklappe und zündete sich eine Zigarette an. »Vielleicht sollten wir Sky anrufen und fragen, ob ihm das auch schon mal passiert ist und was er dann gemacht hat.«

Ich holte mein Handy aus der Tasche und suchte nach Skys Nummer. »Vielleicht kündige ich ihm bei der Gelegenheit auch gleich an, dass ich Tofu aus ihm machen werde, wenn sich herausstellt, dass er uns in einem kaputten Bus quer durch Europa hat fahren lassen.«

»Hackfleisch«, korrigierte Lucy mich mit schwacher Stimme. »Man macht Hackfleisch aus jemandem.«

»Nein, Tofu. Sky ist Vegetarier.« Ich fand die Nummer, drückte auf Wählen … und nichts passierte. Irritiert untersuchte ich das Display. »Kein Netz.«

»Wir werden sterben!«

»Richtig, Lucinda, wir werden sterben. Irgendwann. Wenn wir alt sind.«

Das nutzlose Handy wanderte zurück in meine Hosentasche. »Sterben mal beiseite: Was machen wir jetzt?«

»Abwarten.« Betty inhalierte einen Mundvoll Rauch und blies ihn langsam wieder aus. »Früher oder später kommt Hilfe. Das ist hier ja nicht der Nordpol. Uns sind genug andere Fahrzeuge auf dem Weg begegnet, da werden schon noch ein paar mehr kommen.« Sie stieg in den Bus, zog nach etwas Herumgesuche ein Warndreieck unter dem Fahrersitz hervor – »Ich hätte nicht gedacht, dass Sky so etwas überhaupt dabeihat« – und stellte es einige Meter bergab auf der Straße auf. Dann setzte sie sich an den Straßenrand in den Schatten, drückte ihre Zigarette aus, kreuzte die Hände hinter ihrem Kopf und schloss die Augen.

»Das war’s?«, fragte ich.

»Das war’s«, antwortete Betty.

»Ich wünschte, wir wären noch am Sonnenstrand«, heulte Lucy, stapfte an uns vorbei in den Bus und schmiss sich dort mit solcher Wucht auf die Matratze, dass das ganze Fahrzeug schaukelte wie ein Ruderboot auf der Nordsee.