Kapitel 24
Mason hatte gerade einen Fuß auf die Eingangstreppe der Gouverneursresidenz gesetzt, als er einen Schuss hörte. Ohne sich nach Ray umzusehen, rannte er die Stufen hinauf und zog dabei seine Waffe. »Fordere Verstärkung an!« Er warf sich aus vollem Lauf gegen die Haustür.
Verschlossen.
Frustriert hämmerte er mit der Faust dagegen. »Polizei! Aufmachen!«
Mist.
Er rannte die Treppe wieder hinunter, suchte mit den Augen die Fenster der gigantischen Villa ab und überlegte, wo es einen weiteren Eingang geben könnte. Ray bellte Anweisungen in sein Handy.
Verdammt. Sie mussten sich die Seiten des Hauses ansehen. Mason wünschte sich, die Verstärkung wäre bereits da. Mit einer Kopfbewegung forderte er Ray auf, ihm zu folgen, und wollte gerade zur Seite des Hauses laufen, als er eine Bewegung an der Haustür bemerkte. Er blieb stehen. Zwei riesige Augen starrten durch ein Zierfenster neben der breiten Doppeltür. Auf dem Weg zurück zur Tür wurde Mason klar, dass es sich um ein Kind handeln musste. Er ließ die Waffe sinken und zückte seine Marke.
Der Kleine verschwand.
Mason sprintete die Treppe hinauf und spähte durch das Fenster. Er sah, wie eine kleine Gestalt sich ängstlich zurückzog. »Ich bin von der Polizei! Ich habe den Schuss gehört. Bist du verletzt?«, schrie er. »Kannst du die Tür aufmachen?«
Der Junge wagte sich langsam zur Tür zurück. Misstrauisch schaute er Mason an. Als Mason sah, dass er unverletzt war, atmete er innerlich auf.
»Alles in Ordnung da drin?«
Weil der Kleine nur unverwandt zurückstarrte, überlegte Mason einen Moment lang, ob er taub wäre. Er hielt seine Marke ans Fenster. »Ich habe grade Verstärkung angefordert. Kriegst du die Tür auf?«
Der Junge regte sich noch immer nicht. Erst als Mason aufgeben und doch um das Haus gehen wollte, zuckte er plötzlich zusammen und warf einen Blick über die Schulter. Mit entsetzt aufgerissenen Augen legte er die letzten Schritte zur Tür zurück und fing an, an den Schlössern zu hantieren.
»Er lässt uns rein!«, rief Mason Ray zu.
Die Tür ging auf und sofort ertönte ein schriller Alarm.
»Meine Güte!« Nicht einmal die Stereoanlage eines Teenagers machte einen solchen Lärm.
Der Junge zuckte erschrocken zurück.
»Gut gemacht. Das war genau richtig.«
Der Kleine sah nicht so aus, als ob er Mason glaubte. Mit weit aufgerissenen Augen hielt er sich die Ohren zu. Mason hätte gerne dasselbe getan. Die Sirene zerriss ihm fast das Trommelfell.
»Woher ist der Schuss gekommen? Weißt du das?«, schrie Mason. Der Junge nickte, warf sich herum und wollte wegrennen.
»Moment!« Mason bekam ihn an der Schulter zu fassen und versuchte, ihn aus dem Haus zu schieben. Die Sicherheit des Kindes hatte erste Priorität. Aber der Kleine wehrte sich.
»Mein Dad ist hier drin! Ich kann nicht weg!«
Mason hielt den Jungen am T-Shirt fest. »Wer ist denn dein Dad?«
Ray joggte die Stufen hinauf, schlang den Arm um den Jungen und hob ihn hoch. Der Kleine schrie und zappelte, aber Ray ließ sich nicht beirren.
»Wir sind von der Polizei, junger Mann. Wir helfen, wenn es Probleme gibt. Ich kann dich nicht in einem Haus lassen, in dem geschossen wird.« Wegen der kreischenden Sirene sprach Ray mit ruhigen Worten direkt ins Ohr des Jungen. Er machte sich mit ihm auf den Weg zum Wagen. Das Kind trat weiter um sich. Einerseits bewunderte Mason den Jungen dafür, dass er sich gegen Fremde wehrte. Andererseits wünschte er sich einfach nur, dass der Kleine Ruhe gab.
»Schau mal in den Wagen!«, sagte Ray. »Siehst du unsere Ausrüstung? Wir sind wirklich Polizisten.«
Der Junge beruhigte sich tatsächlich. Ray stellte ihn auf den Boden, hielt ihn aber weiterhin fest.
»Schon besser«, sagte Mason. Er ging vor dem Kind in die Hocke. Hier beim Wagen war das Sirenengeheul etwas erträglicher. »Okay. Wo im Haus sind die Leute?«
Dunkelbraune Augen musterten Mason. Der Kleine war viel zu ernst für sein Alter. »In einem Esszimmer. Onkel Michael blutet. Auf ihn hat jemand geschossen. Und mein Dad kämpft mit dem Gespenst. Das Gespenst hat mir die Pistole an den Hals gedrückt.« Der Junge rieb sich die Stelle. Beim Anblick des ringförmigen roten Abdrucks fing Mason innerlich an zu brodeln.
»Du bist Brian Jacobs«, stellte er fest. Gespenst? Der Albino? Der Tätowierte ist hier?
Der Junge nickte mit großen Augen. In der Ferne heulten weitere Sirenen. Die Kavallerie rückte an. »Du bleibst mit den anderen Polizisten hier draußen. Ray und ich holen deinen Dad.«
»Und Tante Jamie. Die blutet auch.«
Mason war erleichtert, dass die Frau noch lebte. Aber was zum Teufel würden er und Ray im Haus vorfinden?
Zwei Streifenwagen hielten mit blinkenden Lichtern vor dem Haus. Die Sirenen verstummten. Mason nahm Brian an der Hand und führte ihn zu dem Polizisten, der gerade ausstieg.
»Sie beide kommen mit und …«
»Da kommt jemand raus!«, schrie ein Polizist aus dem zweiten Wagen.
Die Männer fuhren mit gezückten Waffen zum Hauseingang herum. Mason schob Brian hinter sich und fixierte die Gestalt an der Tür. Sie war weiblich.
»Wir brauchen einen Krankenwagen!«, rief Jamie. »Oder besser gleich drei.«