Kapitel 4

 

Jamie hängte ihre Schlüssel an den Haken neben dem Telefon. Lächelnd legte sie die Handtasche auf die Arbeitsplatte. Sie liebte den Sommer. Selbst jetzt, kurz vor neun Uhr abends, war es draußen noch hell und angenehm warm. So sehr sie die Kinder mochte, die die Flure ihrer Grundschule bevölkerten – sie schätzte die Ruhe und die halben Arbeitstage im Sommer. Die warmen Nachmittage und Abende gehörten ihr. Keine Elterngespräche, keine Strafpredigten, weil ein Kind ein anderes geschlagen hatte, keine klagenden Lehrer. Sie stemmte die Hände ins Kreuz, streckte sich und sog den Geruch von frisch gemähtem Gras ein. Ihr liebster Sommerduft. Gleich nach dem Aroma eines saftigen Steaks vom Grill.

Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Sie nahm eine Cola light aus dem Kühlschrank und betrachtete stirnrunzelnd ihre kargen Vorräte. Joghurt, Käse und Milch. Ihr Eiweißbedarf war abgedeckt. Leider war das fast schon alles. Sie nahm sich einen Zitronenjoghurt und schleuderte die Flip-Flops auf den Fußabstreifer bei der Tür zur Garage. Allein zu leben, war recht angenehm. Aber manchmal wünschte sie sich einen Anlass, ein ordentliches Essen zu kochen. Fleisch, Nudeln und knuspriges Brot. In rauen Mengen. Einmal im Monat traf sie sich mit ihren Freundinnen zum Abendessen. Bei einem Glas Wein erzählten sie einander, was es Neues gab. Die übrige Zeit lebte sie von Proteinriegeln, Müsli und Obst.

Und von Joghurt, sehr viel Joghurt.

Jamie betrachtete die cremige, gelbliche Masse. Sie brauchte dringend Abwechslung. Arbeiten, essen, Sport, putzen, den Rasen mähen. Immer dieselben routinierten und verlässlichen Abläufe, ziemlich langweilig. Sie warf einen Blick auf den Kalender. Nächste Woche hatte sie frei. Eigentlich hatte sie zwei ihrer Zimmer frisch anstreichen wollen, aber sie musste dringend mal weg, raus aus der Stadt. Etwas anderes tun, etwas Ungeplantes. Zum Beispiel … sich an den Strand legen und einfach nur lesen.

Heather drängte sie schon lange, sie in Bend zu besuchen. Jamie konnte über die Kaskaden fahren und sich mit Heather in der trockenen, heißen Mitte Oregons in die Sonne legen.

Sie spülte den leeren Joghurtbecher aus und warf ihn in den Recycling-Behälter. Den Löffel steckte sie gleich in die Spülmaschine. Wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Die Zahlen auf dem Kalender lachten sie aus. Sie würde nächste Woche die Wände anstreichen. Das musste unbedingt erledigt werden.

Die Türglocke schrillte. Jamie schlenderte zur Haustür und spähte durch den Spion. Männlich. Groß. Kenn ich nicht. Ihr Magen hörte auf, den Joghurt zu verdauen.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie durch die Tür.

Seine linke Augenbraue hob sich, ein Lächeln spielte um seine Lippen. Charmant. Attraktiv. Gut gebaut. Jamie spürte noch ein weiteres Gefühl im Magen.

»Michael Brody. Vom Oregonian.« Ein Presseausweis blockierte ihre Sicht.

Jamie war nicht beeindruckt. So was konnte sich jeder basteln. Und der Typ in den Cargo-Shorts und dem eng anliegenden T-Shirt sah nicht sehr offiziell aus. Den Namen auf dem Ausweis kannte sie allerdings irgendwoher …

»Was wollen Sie?« Sie hatte nicht vor, die Tür zu öffnen.

»Ich suche nach Ihrem Bruder Chris.« Er nahm den Ausweis weg und schaute direkt in den Spion.

Jamie erstarrte. Nicht schon wieder. Alle paar Jahre krochen irgendwelche Reporter oder ehrgeizige Cops aus ihren Löchern und belästigten ihren Bruder. Sie spürte die Wut in sich aufsteigen.

»Der wohnt nicht hier.«

Die Augenbraue des Mannes rutschte noch weiter nach oben. »Ich weiß. Aber wo finde ich ihn?«

Jamie lachte bitter auf. Hielt er sie für blöd?

Sein Mundwinkel zuckte. »Sind Sie Jamie Jacobs?«

Hatte er sie grade angezwinkert? Sie schluckte ein weiteres Lachen hinunter. »Nein.«

»Muss ich die Polizei rufen, weil Sie in ihrem Haus sind?«

Jamie schnaubte.

Das Gesicht des Reporters wurde ernst. »Der Bus wurde gefunden.«

Jamie fuhr von der Tür zurück. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. O verdammt. »Was ist mit den Kindern?«, flüsterte sie.

Er hörte sie. »Das sage ich Ihnen, wenn Sie die Tür aufmachen. Wissen Sie jetzt, wer ich bin?«

Der Name hallte durch ihr Gehirn, dockte an. Brody. Eins der anderen Kinder. Sie drückte das Auge noch einmal ans Guckloch. Michael Brody starrte ausdruckslos zurück. Jetzt sah er seinem Vater, der für Oregon im Senat saß, sehr ähnlich.

Draußen stand der Bruder des verschollenen Politikersohns.

Jamie merkte, dass sie die Luft anhielt. Michael Brody hatte sie nie kennengelernt. Damals an der Schule war er ein paar Klassen über ihr gewesen. Seinen Namen kannte sie nur aus der Zeitung. Nach der Rückkehr ihres Bruders hatten ihre Eltern ihn und sie von der Schule genommen und von den Medien und der Außenwelt abgeschirmt.

Mit zitternden Fingern öffnete sie die beiden Riegel, dann die Tür.

 

image

 

Als Michael die Riegel zur Seite gleiten hörte, atmete er auf. Er war nicht sicher gewesen, dass sie mit ihm reden würde. Über die Frau hatte er ausgegraben, was er konnte. Ihre Eltern waren verstorben, alle Hinweise auf ihren Bruder führten in eine Sackgasse. Sie war Chris’ einzige noch lebende Verwandte. Beim Verschwinden ihres Bruders war sie neun Jahre alt gewesen – elf, als er wieder aufgetaucht war. Inzwischen arbeitete sie als Direktorin einer der ärmsten Grundschulen Portlands. Es hieß, sie sei kompetent und fair. Die Kinder liebten sie, die Lehrkräfte lobten sie in den Himmel. Ihr Garten war makellos, die Hecken exakt geschnitten, Bäume und Sträucher ordentlich getrimmt. Das Gras war kurz gemäht, die Rabatten waren gepflegt. Blume in Lila, Blume in Gelb. Lila, Gelb. Rings um den Garten. Alles viel zu streng, viel zu perfekt.

Die Tür ging auf. Er stand der Frau gegenüber.

Zu perfekt.

Blassgrüne Jadeaugen starrten ihn angespannt an. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Einzelne Locken umrahmten ihr Gesicht. Und was für ein Gesicht. Sie erinnerte Michael an die Filmdiven der Vergangenheit, die mit ihrer Aura jede einzelne Szene von Anfang an beherrscht hatten. An Frauen, die Königinnen und Herrscherinnen gespielt hatten. Erhabene Erscheinungen. Sophia Loren … aber mit hellen Augen. Jamie Jacobs war fast so groß wie er. Um ihr in die Augen zu schauen, musste er den Blick kaum nach unten richten. Und er müsste kaum den Kopf senken, wenn er … Verdammt. Eine Wand des Misstrauens schob sich vor ihren besorgten Blick. Ihr schwarzes Top ließ gut bemuskelte Arme frei. Fitnessstudio oder Gartenarbeit? Sie war eine Powerfrau, eine prickelnde Mischung aus Athletin und Komtess.

In seinem Hirn verdampften sämtliche vorbereiteten Fragen.

Warum hatte seine Grundschuldirektorin nicht so ausgesehen?

Der sture Zug um ihr Kinn war ihm seltsam vertraut. Wenn Lacey ihm die Leviten las, machte sie dasselbe Gesicht.

»Was ist mit den Kindern?«, wiederholte sie streng. »Was haben sie gefunden? Und wo? Haben Sie …«

»Augenblick.« Er hob die Hände. Ihre schönen Lippen stellten zu viele Fragen auf einmal. »Kann ich reinkommen?«

Sie klappte den Mund zu und musterte ihn ungeniert von Kopf bis Fuß. So als würde sie einen Sparringspartner abschätzen. Ihre rechte Hand glitt in ihre Tasche. Irgendetwas hielt sie darin fest. Er sah, wie die Muskeln ihres Unterarms sich spannten. Was hatte sie da drin?

Er wich einen halben Schritt zurück.

»Zeigen Sie mir den Presseausweis noch mal. Und Ihren Führerschein.« Ihre Stimme klang ruhiger, doch ihr Ton sagte, dass sie Gehorsam erwartete. Sicher war sie eine gute Grundschuldirektorin.

Er reichte ihr den Presseausweis und zog den Geldbeutel aus der Hosentasche. Beim Anblick der vollgestopften Lederbörse schnaubte sie. Er suchte dreißig Sekunden lang in der Unordnung herum.

Verdammt, wo ist der Führerschein?

Sie streckte die Hand aus und zog das Dokument zwischen einer Sammlung von Kassenzetteln und zerknickten Visitenkarten hervor. Sie hielt sowohl den Ausweis als auch den Führerschein in der Linken und prüfte beides, anschließend musterte sie noch einmal eingehend sein Gesicht. Sie gab ihm die Dokumente zurück und nahm die rechte Hand langsam aus der Tasche.

»Darf ich fragen, was Sie da drin haben?« Er deutete mit dem Kinn auf ihre Hosentasche und versuchte, in seinem Geldbeutel so etwas wie Ordnung herzustellen. Sie lächelte, und sein Herz setzte zwei Schläge lang aus. Herr im Himmel. Die Frau war der Wahnsinn.

»Pfefferspray«, sagte sie kühl.

Seine Hand erstarrte. »Hätten Sie es gegen mich eingesetzt?«

»Ja.« Noch so ein huldvolles, königliches Lächeln. »Wenn es nötig gewesen wäre.«

»Muss ich noch Angst haben?« Er betrachtete ihren großen Mund. Die Filmdiva war bewaffnet. Sein Magen zog sich zusammen. Das fühlte sich gut an. Wirklich gut.

»Nicht auszuschließen.« Ihre fantastischen Augen verengten sich. »Was wollen Sie eigentlich von mir?«

Dich vierundzwanzig Stunden lang in meinem Bett haben. Nein. Achtundvierzig.

Verdammt, wo kommt dieser Gedanke her? Er scheuchte ihn aus seinem Kopf.

»Nur reden.«

»Ach ja? Das habe ich schon öfter gehört.« Noch mehr Misstrauen verdunkelte die grünen Edelsteine.

»Nein, im Ernst. Ich will bloß …«

»Das war ein Scherz.« Ihre Lippen zuckten. Sie trat beiseite und ließ ihn ins Haus.

Michael stieß den Atem aus. Diese Frau brachte ihn völlig aus dem Konzept. »Soll ich für dich einen Drachen töten, Prinzessin?«, murmelte er beim Betreten der königlichen Gemächer.

 

image

 

Als der Reporter an ihr vorbei in ihr klimatisiertes Haus ging, stieg ihr sein leicht sonnenverbrannter männlicher Geruch in die Nase. Ihre Sinne erwachten. Sie deutete auf die Küchentür. Er nickte und trat in den freundlichen Raum. Vor ihrer Mikrowelle lehnte er sich mit verschränkten Armen an die Arbeitsplatte und sah sie aus grünen Augen an.

Sie verzog das Gesicht. Er stand an ihrem Platz.

Ihre Küche wirkte plötzlich viel kleiner. Michael Brody war kein massiger Mensch. Er war groß und schlank. Aber seine breiten Schultern brauchten Platz. Seine lässige, selbstbewusste Ausstrahlung sorgte dafür, dass sich ihr Rückgrat anspannte. Dieser Mann schüchterte sie ein. In ihrer eigenen Küche! Ihr Kinn schnellte in die Höhe.

»Wollen Sie etwas trinken?«

Er schüttelte den Kopf. Sie griff nach ihrer Coladose, an der das Kondenswasser perlte. Nervös nahm sie einen Schluck. Ein eisiger Tropfen landete auf ihrer Brust und rollte unter ihr Top. Brodys Blicke folgten ihm gebannt.

Als Jamie sich unwirsch über die Brust wischte, sah Michael ihr wieder in die Augen. Sie starrte ihn wütend an, doch er blinzelte nur unschuldig.

»Was ist passiert?«, fragte sie.

Als er anfing zu reden, versteinerten seine Züge. Mit wachsendem Entsetzen hörte sie sich an, was er am Morgen erlebt hatte. Die Cola war vergessen.

»Dann fehlt also noch die Leiche eines Kindes?«, flüsterte sie. So viele kleine zarte Knochen. So lange begraben. Ihre Augen brannten.

Michael nickte grimmig. »Mein Bruder war nicht dabei. Das hat die vorläufige Altersbestimmung ergeben. Aber es müsste noch … Überreste eines weiteren Kindes geben.«

Jamie schloss die Augen. Was machte dieser Mann jetzt durch? Seine Familie hatte noch immer keine Gewissheit.

»Es ist so lange her …«

»Wo ist Chris?«, unterbrach Michael sie.

Jamie biss sich auf die Lippen. Das letzte, was Chris sich wünschte, war, dass die Medien ihm wieder auf den Leib rückten. »Ich glaube nicht, dass er mit der Presse reden will.«

Michael hatte die ganze Zeit mit verschränkten Armen dagestanden. Jetzt ließ er sie hängen und beugte sich zu ihr. »Ich bin nicht als Reporter hier. Ich bin als Bruder gekommen, der viele Fragen hat.«

Jamie schüttelte den Kopf. »Chris fehlt die Erinnerung an damals. Er hatte eine schlimme Hirnverletzung und die Ärzte meinten, sie hätte sein Gedächtnis blockiert. Das hat sich nie geändert.«

»Behauptet er.«

Jamie knallte ihre Dose auf die Arbeitsplatte. »Raus.«

Michael rieb sich die Stirn. »Mist. Entschuldigung. So habe ich es nicht gemeint. Ich würde es nur gern von ihm selbst hören.«

Aber Jamie zeigte unerbittlich zur Tür. »Da lang.«

Michael starrte ihr in die Augen. Ein warmes Gefühl durchrieselte ihren Magen. Die Unmengen Testosteron, die dieser Mann verströmte, waren ein Angriff auf ihre Hormone. Sie straffte die Schultern. »Die Sache mit Ihrem Bruder tut mir leid. Sicher ist es nur eine Frage der Zeit, bis seine Leiche gefunden wird.«

Michael wurde so blass, dass ihr Herz sich zusammenzog. Sie hatte nicht schnippisch und kaltherzig sein wollen. In ihrem Kopf hatten die Worte nicht so hart geklungen.

Er stieß sich von der Arbeitsplatte ab, schob sich an ihr vorbei und vermied dabei ihren Blick. Der Duft von Sonnenschein umgab ihn noch immer. »Es war schön, Sie kennenzulernen, Ms Jacobs. Sicher werden wir uns bald wiedersehen.«

Jamie wollte ihm nachlaufen, aber er war schon aus der Tür und auf dem Weg zur Straße. Die Hand an den Türrahmen gestützt, sah sie zu, wie Michael in einen schwarzen Range Rover stieg. Es fehlte nicht viel, und seine Reifen hätten beim Wegfahren gequietscht.

Jamie atmete aus und lehnte sich an den Türrahmen.

Na toll. Das lief ja super.

 

image

 

Michael hielt außerhalb von Jamies Sichtweite am Ende ihrer Straße. Dann zückte er sein Handy und drückte die Kurzwahltaste für die Nummer einer seiner wertvollsten Quellen. Sie arbeitete für eine Telefongesellschaft.

»Grace? Brody am Apparat. Ich habe dir doch vorhin eine Adresse gegeben. Wurde von dort aus in den letzten Sekunden angerufen?«

Stirnrunzelnd schrieb er die Nummer, die Grace ihm nannte, auf eine Serviette. »Verdammt, wo ist das denn?“ Bei ihrer Antwort blieb seine Hand mit dem Stift in der Luft hängen. »Im Ernst? Wer zieht denn freiwillig so weit raus?“

Kein Wunder, dass er Chris Jacobs nicht gefunden hatte. Er versteckte sich im abgelegensten Winkel des Staates.

»Danke. Du bist ein Schatz. Grab bitte alles aus, was du zu dieser Nummer finden kannst, okay? Ich muss so genau wie möglich wissen, wohin ich fahren soll. Ich bin dir was schuldig, Grace. Beim nächsten Mal gehen die Drinks auf mich.“

Michael spürte, wie ihm das Adrenalin in die Adern schoss. Zeit für einen kleinen Ausflug.

 

image

 

Chris löschte die Nachricht. Er saß im Abendlicht und seine Gedanken drehten sich im Kreis. Dass dieser Anruf einmal kommen würde, hatte er immer gewusst. Jetzt, da es passiert war, war er beinahe enttäuscht. Tausendmal hatte er diesen Moment durchlebt und noch öfter davon geträumt. Jetzt hatte er den Anruf erhalten und die Erde drehte sich einfach weiter. Sie stand nicht still, wie sie eigentlich sollte.

Eine schwere Last glitt ihm von den Schultern. Das Warten hatte ein Ende. Es war Zeit zum Aufbruch.

Er atmete die süße Luft in tiefen Zügen und lauschte der Stille. Nur die unverdächtigen, kaum wahrnehmbaren Geräusche der Natur drangen an seine Ohren. Das Gras um die Hütte raschelte in der Brise. Keine Motorengeräusche, keine menschlichen Laute. So hatte er es gern.

Zehn Jahre lang hatte er bei jedem Handyklingeln den Atem angehalten. Würde das der Anruf sein? War er bereit? Oder würde der Anruf niemals kommen? Seine Pläne standen seit Jahren fest. Alle paar Wochen überprüfte er sie – immer wieder von vorn. Er hatte sie häufig überdacht, nach einer Möglichkeit gesucht, sie nicht in die Tat umsetzen zu müssen. Aber es gab keinen anderen Weg. Ihm blieb keine Wahl. Der Anruf war gekommen, jetzt musste er handeln.

Das Bild des Geistermanns drängte sich in seinen Kopf. Er zermalmte es in Gedanken. Der Geistermann stand für Versagen. Aber das durfte nicht passieren. Der Geistermann verfolgte ihn schon zu lange in seinen Träumen. Albträumen von Folter und Schmerz.

Er schaltete den Laptop an und tippte die üblichen Begriffe in die Suchmaschine. Nichts. Wie hatte der Anruf vor der Computerwarnung kommen können? Er rutschte an die Stuhlkante, runzelte ratlos die Stirn. Mit ein klein wenig Ahnung konnte man finden, was man suchte. Mit etwas mehr Ahnung ließen sich diese Informationen für eigene Zwecke manipulieren. Ihm fiel das nicht schwer. Computer schnurrten unter seinen Fingern. Ihre Sprachen waren ihm so geläufig wie Englisch. Oder Spanisch. Er hatte Suchfilter für viele Begriffe und Namen installiert, aber in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sich nichts darin verfangen. Ab morgen würde sich das ändern. Die Story würde sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Der blinkende Cursor lockte. Er forderte ihn zu einer weiteren Suche auf. Chris klappte den Laptop zu.

Vom anderen Ende des Bungalows kam ein schwaches Husten. Leise tappte Chris den Flur entlang und öffnete die Schlafzimmertür. Brian regte sich nicht. Chris betrachtete die Umrisse seines Sohnes unter der dünnen Decke und hörte seine ruhigen Atemzüge.

Sein Herz zog sich zusammen. Er strich sich übers Kinn, spürte die leichte Erhebung unter der Haut, wo der Knochen nicht richtig zusammengewachsen war. Sein Sohn würde nie so leiden wie er. Brian würde nie all das Schreckliche erleben, was Männer Kindern antun konnten. Er würde nur Liebe und Frieden kennen. Das war sein Mantra. In den acht kurzen Jahren, in denen sein Sohn nun auf der Welt war, hatte er es täglich wiederholt.

Würde sich nun alles ändern?