Kapitel 14
Mason machte sich noch einmal auf den Weg zum Bunker. Sie hatten dort einen ganzen Anhänger voller Beweisstücke gesichert und abtransportiert. Mason war überrascht, wie viel Zeug sie aus dem Verlies geholt hatten, das auf den ersten Blick so kahl und leer gewirkt hatte. Aber wenn es um Kinder ging, blieb kein Stein auf dem anderen. Alles, was ihnen ein Haar oder eine Faser liefern konnte, war eingetütet worden. Das Labor würde so überlastet sein, dass wochenlang gar nichts anderes mehr ging. Mal wieder.
Er hatte sich alles angesehen, was die Kriminaltechniker in den Anhänger packten, dabei aber vor allem auf die größeren Gegenstände geachtet: die Kinderrucksäcke, die Kameras und Fotos. Falls irgendein Dreckkrümel sich als heiße Spur erwies, würde das Labor sich melden.
Unter den hohen Tannen war alles ruhig. Ein einzelner Polizist hatte den Auftrag, Schaulustige fernzuhalten. Der marineblaue Wagen der Oregon State Police mit den charakteristischen geschwungenen, goldenen Seitenstreifen stand im Schatten und blockierte die Zufahrt zum Bunker. Als Mason anhielt und ausstieg, sah er, wie der Polizist auf dem Fahrersitz ein Buch beiseitelegte.
Mason zückte seinen Dienstausweis. Ray hätte den Kollegen wahrscheinlich gekannt, für Mason war er ein Fremder. Als Mason ihm den Ausweis hinstreckte, winkte er ab.
»Guten Tag, Detective.« Der Cop fächelte sich mit seinem breitkrempigen Hut Luft zu. »Mit Besuch habe ich heute gar nicht gerechnet.«
Mason schüttelte dem Mann die Hand. Laut seinem Namensschild hieß er Robertson. »Ich bin spontan hier raus gefahren. Wie lange müssen Sie noch Wache schieben?«
Robertson schnaubte. »Anscheinend bis morgen. Viele Neugierige muss ich nicht mehr vertreiben. Die letzten waren gestern da. Und Sie und Ihre Leute sind hier doch fertig, oder?«
Mason nickte. »Ich glaube, außer dem Bunker selbst haben wir alles mitgenommen. Und ein paar von uns hätten das Ding am liebsten auch noch ausgegraben und weggekarrt.«
»Irgendwas muss damit geschehen. Man könnte das Loch mit Beton füllen oder die Tür zuschweißen. Sonst kommt am Ende noch irgendein anderes Arschloch darauf, es zu benutzen.«
»Zuschweißen halte ich für das Wahrscheinlichste. Ich bin in ein paar Minuten wieder weg.«
Der Polizist salutierte lässig und wandte sich wieder seinem Buch zu.
Mason benutzte seinen Hut als Fächer. Der staubige, trockene Geruch des Waldes erinnerte ihn an den Geruch eines alten Holzofens. Wenn es nicht bald regnete, konnten sie sich auf verheerende Waldbrände gefasst machen. Niederschläge gab es normalerweise bis in den Juli hinein. Aber in diesem Jahr war es schon seit April heiß und trocken.
Er ging zum Bunker und schaute die festgetrampelte Erde um die Eingangsklappe an. So viele Füße in den letzten paar Tagen. Während der Beweissicherung hatte es hier von Einsatzkräften gewimmelt. Jetzt war die Stelle verwaist und die Stille des Waldes war überwältigend. Es gab keinerlei Geräusche. Hatten das die Kinder damals auch so empfunden?
Wie lange sind die Kinder darin gewesen?
Mason blickte auf. Die Tannen verwehrten die Sicht in den Himmel. Hier und da schimmerte ein wenig Blau durch die Äste, aber der unheimliche dunkelgrüne Baldachin schluckte fast alles Licht. Es war, als wollte er etwas vor der Welt verbergen. Und genau das hatte er zwanzig Jahre lang getan und tat es noch.
Wo lag Daniel Brodys Leiche? Dieses Geheimnis hatte der Wald noch nicht preisgegeben.
Mason starrte ins dichte Unterholz. Irgendwo hier musste der Junge liegen. Warum ist Daniel nicht mit den anderen Kindern begraben worden?
Die Hundeführerin war die umliegenden Waldstücke mehrmals mit Queenie abgegangen. Aber selbst der Wunderhund hatte nichts gefunden. Auch auf der Farm hatten die beiden noch einmal gesucht, aber kein weiteres Grab entdeckt.
Sobald Mason einen Verdächtigen zwischen den Fingern hatte, würde er Antworten bekommen. Egal wie. Cecilia Brody verdiente es, das Schicksal ihres Sohnes zu erfahren, bevor sie starb.
Sein Handy klingelte. Es war Ray.
»Jepp.«
»Hast du eine Minute?«, fragte Ray.
»Für dich immer.« Mason überlegte noch, ob er in den Bunker steigen sollte. Nach den letzten beiden Malen hatte er Albträume gehabt, auf deren Wiederholung er keinen Wert legte. Er schlenderte zu dem gelben Absperrband um die Grube und starrte in das Loch, in dem jahrelang fünf Leichen verscharrt gewesen waren.
»Die konnten eine weitere Leiche aus der Grube identifizieren.«
Mason wich wie elektrisiert einen Schritt zurück. Dass Ray gerade jetzt von genau dieser Stelle sprach, war ein unheimlicher Zufall. »Verdammt, ich stehe genau davor. Gruselig. Was haben sie denn rausgefunden?«
»Eine der Frauen wurde vor fünfzehn Jahren vermisst gemeldet.«
»Fünfzehn?« Mason presste das Telefon fester ans Ohr. »Wurde sie um den Zeitpunkt herum noch gesehen?«
»Ja. Von der Tante, die zur Polizei ging, als sie sich eine Woche lang nicht bei ihr gemeldet hatte.«
»Dann hat unser unbekannter Täter also nach Chris Jacobs’ Flucht weitere Opfer hierher gebracht. Was wissen wir über die Frau?«
»Eine Verhaftung wegen Prostitution. Acht Jahre vor ihrem Verschwinden.«
»Nett. Hoffen wir, dass der Kerl sich an sein Muster hält. Dann kriegen wie ihn auch.«
»Es kommt noch besser: Sie hat mal im selben Viertel gewohnt wie eines der anderen identifizierten Opfer.«
»Die waren quasi Nachbarn?« Mason wollte sich die Hände reiben. Kamen noch weitere Opfer aus demselben kleinen Fischteich? Genügend tote Fische im selben Gewässer konnten die Suche nach dem Täter erleichtern. Serienmörder waren Gewohnheitstiere und hielten sich gern an bestimmte Tatmuster. Wenn sie Erfolg hatten, wiederholten sie die Abläufe.
»Das Opfer heißt Dawn Henderson. Sie war bei ihrem Verschwinden dreißig Jahre alt und hat als Empfangsdame bei einem Autohändler gearbeitet. Keine feste Beziehung. Ex-Freunde haben wir damals auch nicht gefunden. Ist nicht zur Arbeit erschienen und war wie vom Erdboden verschluckt.«
»Wie die anderen auch. Dieser Kerl geht immer auf dieselbe Weise vor. Er weiß, wie man sich jemanden holt, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Die Leute verschwinden einfach vom Radar.«
»Mit Dawn Hendersons Tante habe ich noch nicht gesprochen. Aber in einem Protokoll in der Akte heißt es, die Ermordung einer Mitbewohnerin ein paar Jahre zuvor hätte sie ziemlich mitgenommen.
Eine Zeit lang war sie wohl selbstmordgefährdet. Aber sie hat eine Therapie gemacht.«
Masons siebter Sinn schlug an. »Wie lange vor Dawns Verschwinden wurde die Mitbewohnerin ermordet?«
Ray raschelte mit seinen Unterlagen. »Neun, fast zehn Jahre. Scheußliche Geschichte. Und gar nicht weit von da, wo Dawn Henderson zur Zeit ihres Verschwindens gewohnt hat. Ihre Mitbewohnerin wurde zu Hause überfallen. Sie hieß Sandra Edge. Wurde sexuell missbraucht und dann erwürgt. Dawn Henderson hat sie gefunden, als sie nach Hause kam.«
»Wurde der Täter gefasst?« In Mason keimte Hoffnung auf.
»Jepp. Sitzt in Salem.«
Mist. »In der staatlichen Vollzugsanstalt?«, fragte Mason. »War er die ganze Zeit hinter Gittern?«
»Ich schaue grade nach. Ja. Kein Freigang.«
»Name?«
»Lee Fielding.«
Masons Hirn arbeitete auf Hochtouren. Der Kerl hatte zwar im Knast gehockt, aber Mason war sicher, dass es eine Verbindung zu dem späteren Mord geben musste. »Ich will trotzdem mit ihm sprechen. Und würdest du bitte nach den registrierten Sexualstraftätern suchen, die damals in der Gegend gewohnt haben? Ach Mist! Zu der Zeit hatten die noch keine Meldepflicht.«
»Der Mord an der Mitbewohnerin passierte ein paar Jahre, bevor das Registrierungsgesetz für Sexualstraftäter erlassen wurde. Und anfangs mussten sie sich auch nur in den ersten fünf Jahren nach der Tat melden. Aber ich schaue mal nach, was wir über die Gegend haben.«
»Der Tätowierte ist eindeutig ein Sextäter. Und ich habe das Gefühl, dass wir ihn irgendwo im Computer haben. Auf unsere Gang-Spezialisten warte ich auch noch. Die haben noch nichts zu den Tattoos gesagt.« Mason nahm sich vor, bei den Kollegen nachzufragen. »Ich rufe in Salem an und sage denen, dass ich mit Lee Fielding reden will. Vielleicht schaffe ich das heute Nachmittag noch. Oder morgen früh.« Nach einer kurzen Pause setzte Mason hinzu: »Ich habe ein gutes Gefühl, Ray.«
»Verdammt, sag doch so was nicht! Das bringt Unglück, Mason!«
Mason lächelte auf dem Weg zurück zum Wagen ins Telefon.
Mason marschierte in dem kleinen Vernehmungszimmer im Staatsgefängnis von Salem auf und ab. Die Ausstattung des Raumes war so typisch, dass er beim Eintreten fast die Augen verdreht hätte. Unverputzte Wände mit fahlem Anstrich, kleine, vergitterte Fenster, ein am Fußboden festgeschraubter Metalltisch mit zwei integrierten Hockern. Kein Möbelstück ließ sich verschieben und es gab nichts, womit man jemandem eins über den Schädel ziehen konnte. Mason hatte noch keine Zeit gehabt, sich mit dem Mord an Sandra Edge zu beschäftigen.
Ray ging gerade die Akten durch und würde ihm so bald wie möglich die wichtigsten Punkte mitteilen. Es spielte aber auch keine Rolle. Er musste Fielding einfach nur sehen. Ein Gefühl für ihn bekommen. Dann würden ihm die richtigen Fragen schon einfallen.
Zwei Wachen brachten Fielding herein. Seine Hand- und Fußfesseln waren mit einer Kette verbunden; er konnte nur kleine, schlurfende Schritte machen. Der Häftling sah aus wie sechzig, aber Mason wusste, dass er etwa zehn Jahre jünger sein musste. Der Mann wirkte völlig kraftlos. Schlaffes Gesicht, schlaffer Bauch, weiche Hände. Anscheinend hatte er seit seiner Verhaftung keinerlei körperliche Anstrengungen unternommen. Mason zog instinktiv den Bauch ein. Fielding und er waren fast im selben Alter und Mason stellte unwillkürlich Vergleiche an. Er selbst hatte sich ganz gut gehalten. Nur die verdammten grauen Strähnen und die Falten waren nicht zu übersehen. Aber er hielt sich fit. Mit regelmäßigen Läufen durch sein Viertel und der Quälerei in der Heimfolterkammer hielt er die Pölsterchen in Schach und baute Stress ab.
Fielding streifte Mason mit einem neugierigen Blick. Dann ließ er sich seufzend auf den Hocker plumpsen. Sein schon fast weißes Haar bildete einen eigentümlichen Kontrast zu den schwarzen Augenbrauen. Obwohl Fieldings aufgequollenes Gesicht nicht die typischen Falten eines Mannes um die Fünfzig aufwies, wirkte er alt und müde. Er hatte die Ausstrahlung eines gebrochenen Greises. Einer der Wachmänner kettete Fielding an einen Metallring am Tisch. Ein zorniger Ausdruck huschte über Fieldings Züge, dann starrte er wieder ausdruckslos vor sich hin. Mason war die Gefühlsregung nicht entgangen.
Mir machst du nichts vor, Kumpel. Deine Schlappheit ist nur vorgetäuscht.
In dem kraftlosen Körper schlummerte ein stinkwütender Mann.
»Mason Callahan von der OSP.«
Fielding hob mühsam die Lider, sah Mason an und zuckte mit den Schultern.
Schweigen.
Mason verdrehte innerlich die Augen. Man hätte meinen sollen, das Arschloch würde sich über die Gelegenheit freuen, mal mit jemand anders zu reden. So was brachte Abwechslung ins tägliche Knasteinerlei.
»Sandra Edge. Ist schon eine Weile her«, sagte Mason.
In Fieldings teigigem Gesicht zeigte sich keine Regung.
»Warum sie?«, fragte Mason.
In den müden Augen blitzte so etwas wie Erstaunen auf. Mit dieser Frage hatte Fielding offenbar nicht gerechnet.
»Warum nicht?« Fieldings Stimme war ungewöhnlich hoch. Er klang wie dreizehn. Wie ein dreizehnjähriges Mädchen.
Jetzt staunte Mason. Er fragte sich, ob Fielding schwul war. Geht’s noch? Als würde die Stimme die sexuelle Orientierung verraten.
»Kannten Sie sie?«
Fielding wirkte plötzlich verärgert. »Warum stellen Sie Fragen, deren Antworten Sie längst kennen?«
»Helfen Sie mir. Ich bin noch nicht dazu gekommen, die Akte zu lesen.«
Fielding kniff die Augen zusammen. »Sie hatten es so eilig, mit mir zu reden? Warum denn?«
Wieder bekam Mason einen kleinen Eindruck von der Person hinter dem schlaffen Äußeren. Fielding war nicht dumm.
Natürlich ist er dumm. Er sitzt wegen eines Mordes im Knast.
»Sandras Mitbewohnerin ist neun Jahre nach Sandras Ermordung verschwunden. Dawn Henderson. Wir haben gerade ihre Leiche gefunden und beschäftigen uns mit ihrem Fall.«
»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich war ewig nicht mehr draußen.«
»Noch mal. Warum Sandra?«
Fielding zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. »Mängel in Ihrer Zeitplanung lösen in mir keinen Drang zur Eile aus«, erklärte er, als würde er aus einem Gesetzestext zitieren.
Mason merkte, wie sein Geduldsfaden dünner wurde. Er spielt mit mir. Ihm ist langweilig.
»Das hab ich mal auf einem Schild auf einem Amt gelesen«, sagte Fielding. »Damals hielt ich das für typisch für die vom Staat bezahlten Sesselpupser. Aber im Augenblick sind die Rollen vertauscht, nicht wahr?«
Mason legte die Hände auf den Metalltisch und beugte sich vor.
»Warum Sandra? Wo haben Sie sie kennengelernt? Und ersparen Sie mir den Quatsch mit den Informationen, die ich angeblich auch in Ihrer Akte nachlesen kann. Zeit ist das Einzige, was Sie hier im Überfluss haben. Warum genießen Sie nicht den Anblick meines hübschen Gesichts und unsere kleine Plauderei und betrachten das als angenehme Unterbrechung Ihres stinklangweiligen Knastalltags? Die anderen Häftlinge sind sicher neidisch.«
Fieldings Mundwinkel zuckte. »Okay, Detective. Ich bin ja kein Spielverderber. Ich hab Sandra in einer Bar im Viertel getroffen. Sie hats für Geld gemacht, ich hatte Interesse. Ich war nicht ganz nüchtern. Die Sache lief aus dem Ruder. Schicht im Schacht.«
»In einer Bar im Viertel? Sie haben in derselben Gegend gewohnt?«
Fielding zuckte die Schultern. »Mein Kumpel wohnte dort. Ich war grade in der Stadt und hab eine Weile auf seiner Couch campiert.«
»Und wo haben Sie sonst gewohnt?«
»Nirgends.«
»Wohnungslos?«
»Zeitweise.«
»Dann hatten Sie kein Geld, sie zu bezahlen. Kein Geld für ein Dach über dem Kopf – kein Geld für eine Nutte. Es reichte bloß für Dope und Bier. Typisch.«
Das Zornflackern in Fieldings Augen zeigte Mason, dass er sein damaliges Leben akkurat beschrieben hatte.
»Dann gefällt es Ihnen hier doch sicher ganz gut. Drei Mahlzeiten am Tag, ein Dach über dem Kopf und Kabelfernsehen. Und das alles kostet Sie keinen Cent. Im Gegenteil, als Steuerzahler finanziere ich Ihren Aufenthalt im Ritz.« Mason legte eine kurze Pause ein. »Aber das tue ich gern, wenn ich damit ein Stück Scheiße wie Sie von der Straße weghalten kann. Ihr Kumpel war vermutlich froh, als Sie in den Bau wanderten und seine Couch wieder frei wurde. Sicher haben Sie nicht nur ein paar Nächte dort gepennt, sondern sich wochenlang bei ihm durchgeschnorrt.«
»Ficken Sie sich doch ins Knie. Er ist genauso eingefahren wie ich.«
»Eingefahren? In den Knast?«
»Ja. Sie sollten die verdammte Akte wirklich lesen, damit Sie nicht dasitzen wie ein Vollidiot. Gary und ich haben beide für den Mord eins auf die Mütze gekriegt. Nur dass Gary bald wieder draußen war, weil die Hälfte der beschissenen Beweisstücke verloren ging.«
»Und weil Sie derjenige waren, der Sandra umgebracht hat. Er wollte vermutlich nur ein bisschen Spaß haben.« Mason stocherte wild drauflos. »Sie haben nicht bloß Ihr Leben vermasselt, sondern auch seins. Wie lautet sein Nachname?«
»Das wissen Sie nicht? Machen Sie Ihre Hausaufgaben.« Fieldings Gesicht lief rot an. »So blöd fragt nicht mal ein Schülerzeitungsreporter.«
»Gary – und wie weiter?«
»Gary Busey.«
»Ich lach mich tot. Verdammt, Mann. Werden Sie erwachsen.«
»Gary Hinkes.«
Mason packte den Namen in eine Schublade in seinem Hirn. »War das wirklich so schwer?«
»Sind Sie wirklich ein Cop? Mit so wenig Ahnung?«
Masons Lächeln glich eher einem Zähnefletschen. »Ich bin Bulle durch und durch. Und jetzt tun Sie so, als wären wir Kumpels, und erzählen Sie mir alles, was Sie über Hinkes wissen.«
Fieldings rutschte auf die Kante des Metallstuhls. Seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Der Arsch ist wie vom Erdboden verschluckt. Hat seine Zeit in Shutter Creek abgesessen.«
»In Ostoregon?« Mason kannte das Gefängnis mit der mittleren Sicherheitsstufe nur vom Hörensagen.
»Ja, er hat mir ein paarmal geschrieben. Aber dann sind meine Briefe plötzlich zurückgekommen. Ich hab versucht rauszufinden, ob er entlassen oder verlegt wurde. Soweit ich weiß, hatte er sowieso nur neun Monate.«
»Mehr nicht? Neun Monate für Beihilfe zum Mord?«
»Nee. Für einen Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen und irgendwelchen anderen Mist. Ich weiß es nicht mehr. Ich hab online nach ihm gesucht, aber ich finde ihn nicht.«
»Online?« Die Häftlinge hatten Zugang zum Internet? »Ich wette, Sie sind ständig auf den Dating-Sites unterwegs.«
Fielding zuckte nicht mit der Wimper. Er starrte auf einen Punkt auf dem Tisch und murmelte nachdenklich. »Wahrscheinlich ist er tot oder wieder in irgendeinem Knast. Konnte die Hände nie bei sich behalten.«
»Was heißt das?«
Jetzt blickte Fielding auf und grinste. »Er war immer spitz. Er wollte es von jedem. Je härter, desto lieber. Wenn es richtig wehtat – umso besser. Männer, Frauen – das war ihm egal.«
Mason erstarrte. In seinem Kopf explodierten die Neuronen. Bingo. »Wo ist Hinkes?« Das ist unser Mann.
»Weiß ich nicht. Hab ich doch grade gesagt. Ich hab ihn gesucht, ich hab ja sonst nichts zu tun. Ich nehme an, er hat seine Strafe abgesessen und ist raus. Wer weiß, welche Scheiße er jetzt wieder macht. Arschlöcher wie er ändern sich nicht. Die können nicht anders. Und mir ist nie jemand begegnet, der mehr Spaß an extremem Sadomaso-Sex hat.«
»Scheiß Perverser.«
Fielding nickte. »Gut beschrieben.«
»Wie sieht er aus?«
»Gary? Der ist ein Freak. Einer von diesen ganz hellen Typen. Muss irgendwie genetisch sein. Albino sagt man wohl dazu. Aber er hat sich die Haare gefärbt mit so billigem Zeug. Hat immer total scheiße ausgesehen. Für farbige Kontaktlinsen hatte er kein Geld. Aber er hatte ein paar ziemlich coole Tattoos. So was ist teuer, aber ich kann mir vorstellen, wie er dafür bezahlt hat. Sein Rücken sah aus wie ein verdammtes orientalisches Kunstwerk. Krass.«
In Masons Kopf rauschte das Blut so laut, dass er Fielding kaum noch verstand. »Hatte er Tätowierungen auf den Handgelenken?«
»Nein. Nur auf den Oberarmen. Aber das kann sich geändert haben. Er war süchtig nach dem Zeug, hat die Dinger geliebt. Mir ist das unverständlich. Das tut doch verdammt weh.« Fielding zog den Ärmel hoch und zeigte den Phönix an seinem Oberarm. »Die eine hat mir gereicht.«
Mason starrte auf die kleine Figur. »Warum ein Phönix?«
Fielding wandte den Blick ab und zog den Ärmel wieder herunter. Er rieb den Stoff über der Tätowierung, als könnte er sie damit wegwischen. »Steht für Neuanfänge. Veränderung.«
Mason schnaubte. »Klar. Vielleicht irgendwann mal.«
»Wie kann er einfach verschwinden?«, fragte Mason. Er war zutiefst frustriert. Seine heißeste Spur, der Name, den Fielding ihm gegeben hatte, führte in eine Sackgasse. Mason hatte gleich nach dem Gespräch im Knast Ray angerufen und ihn gebeten, nach Gary Hinkes zu suchen. In der Hoffnung, dass Ray dort bereits mit guten Nachrichten auf ihn wartete, war er ins Büro zurückgerast.
Ray schüttelte den Kopf. »Es ist zum Durchdrehen. Ich habe im Archiv nach der Akte gesucht. Die Sachen von damals gibt es nur in Papierform. Aber alles über Hinkes ist weg. Die einzigen Informationen über ihn stammen aus Fieldings Akte. Und ich könnte schwören, dass auch die nicht vollständig ist.«
»Es gibt nichts über Hinkes’ Verhaftung und seine Strafe?« Mason gefiel das ganz und gar nicht.
»Doch. Der Haftbefehl ist noch da. Und dass er in Shutter Creek gesessen hat, habe ich auch rausgefunden. Aber das war’s auch schon.«
»Was ist mit seinen Vorstrafen? Fielding sagte, er hätte gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Es muss also schon mal was gegeben haben.«
»Nichts zu finden.«
»Was? Wie kann das sein?« Mason trommelte mit einem Bleistift auf den Tisch. Als er die stumpfe Spitze bemerkte, steckte er den Stift in den elektrischen Spitzer und hoffte, dass das Geräusch seinem Hirn auf die Sprünge helfen würde. Anschließend steckte er das Schreibutensil zu dem Dutzend anderer perfekt gespitzter Stifte in einen Becher auf dem Schreibtisch.
»Was ist mit Fotos? Wir brauchen ein Bild, das wir Jamie Jacobs zeigen können.«
»Nichts.« Ray hatte die Ärmel seines weißen Anzughemdes hochgekrempelt. Seine Stirn hatte sich nicht mehr geglättet, seit Mason ins Büro zurückgekommen war.
Mason betrachtete Rays knittrige Ärmel und die schief sitzende Krawatte.
Ray musste ziemlich unter Druck stehen. Normalerweise war er ein Musterbeispiel für kompakte männliche Eleganz. Im Gegensatz zu Mason, der schon froh war, wenn er zwei gleichfarbige Socken in den Cowboystiefeln hatte.
»Rede mit mir. Was treibt dich um? Spuck’s aus!«
»Wie können so viele Informationen einfach verschwinden?« Ray schaute Mason über seinen Computermonitor hinweg an. »Über Hinkes gibt es praktisch nichts, über Fielding ist jede Menge da. Ich kann dir genau sagen, was er seit seiner Verhaftung gemacht hat, was er zu Abend isst und wann er kacken geht. Aber bei Hinkes? Fehlanzeige.«
Masons Kopf fing an zu summen. »Was willst du damit sagen?«
»Jemand muss alles beiseitegeschafft haben. Ich finde ein halbes Dutzend Fotos von Fielding. Warum finde ich von Hinkes keins?«
»Hast du in den Zeitungsarchiven nachgesehen? Vielleicht ist seine Visage mal gedruckt worden.«
Ray nickte. »Ich war in den Onlinearchiven. Nichts da. Dasselbe gilt für seinen Führerschein. Kein Foto auffindbar.«
»Irgendwer hatte da die Finger drin bis zum Anschlag.« Der Summton wurde lauter.
»Eindeutig.«