28
Sie stiegen direkt vor dem Tor der JVA aus dem Taxi und warteten, bis es abgefahren war.
Der Knast bestand aus fünf massiven, sternförmig angeordneten Gebäuden aus rotem Stein, dem ebenfalls rotem Eingangsgebäude und einem gelben, das sich quer davor erhob. Ein hoher Zaun aus grauen Eisenstangen und eine Mauer grenzten das Areal von den Straßen Berlins ab. Sporadisch fuhren Autos vorbei, ein Jogger kam den Fußweg entlang und schielte zu Danielle herüber, sonst war die Nacht ruhig. Fast alle Fenster der JVA waren dunkel.
Danielle betätigte die Nachtglocke und stellte sich lächelnd unter die graue Kamera, die wie ein Geier auf der Mauer hockte und auf sie herabstarrte. Dabei knöpfte sie sich wie in Gedanken den zweiten Knopf der Bluse auf, der oberste war nie geschlossen gewesen. Alex konnte sich an keinen Plan erinnern, nach dem sie vorgehen wollten. Sie hatten noch gar nicht besprochen, mit welcher Lügengeschichte sie überhaupt in das Gebäude kommen wollten, bevor Danielle den Beamten becircen konnte. Jetzt war es dafür wohl zu spät.
»Ja?«, knarzte eine missmutige, müde Männerstimme aus der Sprechanlage.
»Hallo, ich hätte eine kurze Frage an einen Ihrer Insassen. Dauert auch nicht lange. Würden Sie mich bitte kurz hineinlassen?«
Alex kam gar nicht dazu, sich über den dreist ehrlichen Satz zu wundern, über diese Taktik, die weder abgesprochen noch überhaupt eine Taktik war. Es war egal, was sie sagte, es ging nur um Danielles Stimme. Weich und rauchig und zugleich bestimmt, ihr Klang löste ein erregtes Kribbeln in Alex’ Bauch aus, jagte eine Gänsehaut über seinen gesamten Körper, jedes Härchen richtete sich auf. Er hatte Danielle schon stöhnen und unanständige Dinge knurren hören, er hatte sie einen albernen Lovesong summen hören und war ihr deshalb an die Wäsche gegangen. Doch das war alles nichts gewesen, zum ersten Mal schien sie ihre Stimme wirklich zu benutzen. Und es war eine Stimme, die Todesdaten von Grabsteinen lesen könnte und dabei erotische Fantasien im Zuhörer hervorrief, selbst wenn dieser nicht nekrophil veranlagt war.
»Ja, sofort, ich hole Sie ab«, kam es aus der Sprechanlage. Es klang überhaupt nicht mehr müde oder missmutig.
»Danke«, flötete Danielle.
Alex beugte sich zu ihr. »Mit der Stimme könntest du Heerscharen von Fans um dich sammeln, ach was, du könntest Länder regieren.«
»Ich weiß.« Danielle lächelte und achtete darauf, dass ihr Dekolletee weiterhin gut von der Kamera eingefangen wurde. »Aber warum sich mit so was belasten? Ich bin wirklich Einzelgänger, ich brauche keine Paparazzi vor der Tür und übernehme nicht gern Verantwortung für andere.«
»Keine Verantwortung, klar. Und was machen wir dann hier?«
»Das ist was anderes.«
Alex grinste, sagte aber nichts mehr.
Schließlich wurden sie von einem Mann um die vierzig abgeholt, der genau dem Klischee entsprach, das Alex von Beamten einer solchen Einrichtung hatte. Etwa eins achtzig groß und leichter Bauchansatz, spärliches mattbraunes Haar, sorgfältig gestutzter Schnauzbart und kleine, unruhige Augen von unscheinbarer blaugrauer Farbe, die jetzt fiebrig glänzten.
»Treten Sie ein«, sagte er mit belegter Stimme, ohne nach Namen oder Ausweisen zu fragen. Schweißperlen zeigten sich auf der Stirn, er war gerannt.
Er ignorierte Alex, ließ ihn aber ohne Aufhebens mitdackeln.
»Darf ich?« Er griff nach Danielles Arm und errötete.
»Aber gern.« Sie ließ sich zu seinem Büro führen und setzte sich dort auf die Schreibtischkante, nachdem der Mann im Drehstuhl hinter dem Tisch Platz genommen hatte. Alex postierte sich mit verschränkten Armen neben der Tür. Er könnte Grimassen ziehen oder eine Waffe, der Typ würde das nicht einmal mitbekommen.
Danielle erklärte, mit welchem Gefangenen sie gern sprechen würden.
»Ich lasse ihn sofort rufen«, versprach der Beamte eifrig und griff zum Telefon. Während er die Nummer wählte, legte er seine Hand wie beiläufig auf ihr nacktes Knie. »Was sage ich dem Kollegen vom Schließtrakt, weshalb er ihn herbringen soll?«
»Dringender Fall von Staatssicherheit. Duldet keinen Aufschub.«
»Staatssicherheit? Bei so einem kleinen Würstchen?«
An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, andere als Würstchen zu bezeichnen, dachte Alex.
»Er weiß nichts davon«, erklärte Danielle. »Ist nur wahrscheinlich ein zufälliger Zeuge in einer anderen Geschichte.«
»Aha«, sagte der Mann und gab die Infos mit möglichst viel Zackigkeit in der Stimme weiter. Dabei ließ er Danielles Knie nicht los.
M. Koch und C.V. Hoffmann hatte auf dem kleinen Schild neben der Tür gestanden, aber Alex war sich nicht sicher, ob einer von beiden Namen zu ihm gehörte. Vielleicht war er nur der Nachtportier, der sich ein größeres Büro geborgt hatte, um Eindruck zu schinden. Alex wusste nicht, welches Personal sich nachts in einer JVA aufhielt. Egal, wie der Kerl hieß, er wurde langsam selbstbewusster, dachte wohl wirklich, es läge an seinem Charme, dass ihn Danielle so anlächelte, dass sie ihm nicht die Hand vom Knie stieß und ihn ohrfeigte.
Ihm eine reinzuhauen, das hätte Alex auch liebend gern übernommen, diesem fetten Koch oder Hoffmann oder Sonstmann, der Alex ignorierte und sich aufführte wie ein testosterongeschwängerter Teenager. Natürlich hatte Danielle ihn dazu gemacht, aber das änderte an Alex’ Abneigung gar nichts.
Er wandte sich ab, um diesen sabbernden Idioten nicht mehr ansehen zu müssen, der seine Danielle einfach so begrabschen durfte, und ließ den Blick über die Aktenschränke gleiten. Vielleicht hätten sie ja das Verhörprotokoll viel leichter in die Finger bekommen können. Ohne Grabscherei und Sex und all das. Doch er musste sich eingestehen, dass momentan alles reibungslos lief, leichter war kaum möglich.
Er hörte nicht zu, was der Idiot sabbelte, schielte nur manchmal aus dem Augenwinkel hinüber. Der Typ lockerte den Krawattenknoten, hakte den Daumen seiner Rechten in den Gürtel und gab den dynamischen Junggebliebenen. Danielle hatte die Beine übereinandergeschlagen und spielte tatsächlich mit seiner Krawatte herum. Warum fiel der Kerl nicht über sie her? Klar, weil jeden Augenblick der Kollege mit dem Gefangenen hereinplatzen konnte. Alex kaute auf einem imaginären Kaugummi herum und starrte weiter Akten an, ohne die Beschriftung zu lesen.
Endlich klopfte es. Danielle löste die Finger zögerlich von der Krawatte und erhob sich langsam vom Schreibtisch. Der Sonstmann trat einen Schritt zurück und rief laut: »Herein!«
Ein trainierter Uniformierter brachte einen verschlafenen Mann in Gefängnistracht und mit schulterlangen Haaren herein. Als er Danielle sah, rutschte ihm beinahe ein Pfiff heraus, und er nahm sofort Haltung an, drückte sein Kreuz durch, um zu zeigen, wer der größte Mann im Raum war.
»Danke, Meyer, Sie können gehen«, sagte Sonstmann unbeeindruckt.
Danielle lächelte.
»Wenn ich noch irgendwie behilflich sein kann ...« Sein Blick huschte zwischen Sonstmann und Danielle hin und her. Auch er ignorierte Alex.
»Danke, nein. Ich denke, wir haben das hier ganz gut im Griff.«
Als der Beamte aus dem Schließtrakt das Büro verlassen hatte, wandte sich Sonstmann an Danielle und nickte zum ersten Mal in Alex’ Richtung. Seine Stimme vibrierte vor Erregung. »Wie wäre es, wenn wir Ihren Kollegen die Befragung durchführen lassen? Und wir erledigen dann nebenan den Papierkram?«
Papierkram, pah. Nennst du das bei deiner Frau daheim auch so?, dachte Alex. Lass uns mal den Buchstaben S tackern, oder was? Aber er nickte ergeben. Was jedoch niemand bemerkte, da auch der Zivi nur Danielle anstarrte.
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte Danielle und ließ sich von Sonstmann durch die graue Zwischentür ins Nachbarbüro geleiten.
»Papierkram, hm?« Der Zivi nickte und bleckte die Zähne. »Bei solchem Papierkram könnte sogar ich zum Bürohengst werden.«
»Noch so ein Spruch, und du wirst Bürowallach, klar?«, knurrte Alex.
»Ist ja gut«, wehrte der Zivi ab.
Alex starrte ihn mit aller Wut auf Sonstmann an. Dann wechselte er zum distanzierten Sie und deutete auf den einfachen Holzstuhl vor dem Schreibtisch. »Setzen Sie sich.«
Er hatte noch nie ein Verhör durchgeführt, höchstens Interviews mit Musikern. Da versuchte man durch Freundlichkeit Antworten zu erhalten, aber das war hier wohl der falsche Weg.
Fügsam setzte sich der Zivi, Alex lümmelte sich in Sonstmanns Drehstuhl und trommelte mit den Fingern einen schnellen Wirbel auf den Schreibtisch. Der Zivi war klein und unrasiert, hatte Aknenarben und eine kleine, mädchenhafte Stupsnase. Er wirkte verschlafen und gähnte mit zusammengekniffenen Augen, ohne die Hand vorzuhalten. Alex hatte seinen Namen vergessen, er hatte gedacht, Danielle würde das hier klären. Aber sie klärte natürlich nur den Papierkram.
»Name?«, bellte er, wie er es von den bad cops aus dem Kino kannte. Dabei unterdrückte er selbst ein Gähnen, es war ansteckend. Er musste aufpassen, wenn er nicht einnicken wollte.
»Malmsheimer, Norbert.«
Alex kramte den Kaffee aus seiner Plastiktüte und nahm einen Löffel, kaute das Pulver zu einem bitteren Brei und schluckte es runter.
»Wollen Sie auch?«, bot er dem Zivi an, bevor ihm einfiel, dass er ja den bad cop geben wollte und das eindeutig zu höflich dafür war. Selbst nahm er sich noch einen Löffel, um auf Nummer sicher zu gehen.
»Danke, nein.« Malmsheimer sah ihn so irritiert an, dass er wohl doch sein Ziel erreicht hatte. Nicht als bad cop, sondern als irrer Bulle, aber das war wohl ähnlich einschüchternd. Er grinste und zeigte dem Zivi die Zähne, zwischen denen er noch Pulverreste spüren konnte.
Im Nebenzimmer wurde irgendwas zu Boden gestoßen, eindeutiges Stöhnen drang herüber. Alex starrte die graue Zwischentür mit dem aufgeklebten, blumenverzierten Geburtstagskalender an, sein Grinsen verschwand. Er knackte mit den Fingern, das Koffein raste durch seine Adern, und er konnte nicht mehr ruhig sitzen. Alex stand auf und tigerte hinter dem Schreibtisch hin und her. Nur nicht zu nah an die Tür kommen, die Versuchung war groß, sie einzutreten und dem selbstgefälligen Sonstmann eine aufs Maul zu hauen.
Drei Millionen, verdammt.
Und Lisa.
Würde es ihn auch so rasend machen, wenn Lisa da drüben wäre, nicht Danielle? Blödsinnige Frage, sie war nicht da drüben, es war nicht ihr Stöhnen, das in seinen Kopf kroch und ihn fast wahnsinnig machte. Es ging jetzt nicht um Eifersucht, sondern um Lisa und drei Millionen andere, also musste er sich zusammenreißen. Seine Gefühle für die beiden Frauen konnte er danach vergleichen, wenn er unbedingt musste. Jetzt sollte er erst mal Lisa den Arsch retten, sonst konnte er sich all die schönen Grübeleien nämlich sowieso sparen. Konzentrier’ dich endlich auf deine Aufgabe!
Er blieb neben seinem Stuhl stehen und griff sich einen Stift, um damit herumzuspielen. »Herr Malmsheimer. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts.« Der Zivi verschränkte demonstrativ die Arme und lehnte sich zurück.
»Und warum?«
»Weil mein Anwalt das gesagt hat.«
»Und wenn er sagt spring, fragen Sie wie hoch, oder was?«
Malmsheimer starrte ihn ungerührt an.
Danielles Stöhnen wurde lauter, sie stieß irgendwelche Worte aus, Alex glaubte so was wie »unglaublich gut« und »ist der groß« zu verstehen. Knackend zerbrach der Kugelschreiber in seiner Hand, die Einzelteile fielen zu Boden. Sein Herz raste, er griff mit fahrigen Fingern nach dem nächsten Stift, erwischte ein rotes, dreißig Zentimeter langes Lineal aus Plastik. Auch gut.
»Haben Sie eine Freundin?«, setzte er neu an. Für solche Anwaltsdiskussionen hatten sie jetzt keine Zeit. Natürlich hatte das Aknegesicht Recht, nichts zu sagen, trotzdem hätte er ihm für sein Schweigen liebend gern die Fresse poliert. Der Typ würde ganz sicher zu den Toten eines Stadtbrands gehören, wer in einer Zelle saß, floh nicht vor Flammen. Aber das konnte er ja schlecht sagen.
»Was hat das jetzt damit zu tun?« Das Misstrauen in den Augen des Zivis wuchs. Er richtete sich auf und zog die Brauen zusammen.
»Nichts, gar nichts. Aber Sie wollen ja über nichts reden, was den Fall betrifft.«
»Ich will mit Ihnen auch nicht über mein Liebesleben reden.«
»Also keine Freundin«, stellte Alex kühl fest und klopfte sich mit dem Lineal immer wieder gegen das rechte Bein. Unbewusst hielt er damit den Rhythmus der Geräusche von nebenan.
»Wieso? Woher wollen Sie das wissen?« Malmsheimer war sichtlich wütend.
»Sonst hätten Sie gesagt, Sie wollen nicht über Ihre Freundin reden. Nur Singles nennen ihr nicht vorhandenes Liebesleben Liebesleben.«
»Das ist doch Blödsinn«, sagte Malmsheimer leise.
»Ja!«, stöhnte Danielle.
Sonstmann sabberte: »Ich geb’s dir, du geiles Ding! O ja, ich besorg’s dir!«
Malmsheimer sah zu der grauen Tür und schluckte schwer, leckte sich mit der Zunge über die Lippen, ohne es zu merken.
Alex zerschmetterte das Lineal auf der Schreibtischkante, knirschte mit den Zähnen und bemühte sich um ein Lächeln. Erschrocken fuhr Malmsheimer zu ihm herum, der Mund stand noch immer offen.
»Anregend, was?« Langsam schlenderte Alex um den Schreibtisch zu Malmsheimer hinüber.
»Ähm, bitte?« Der Zivi glotzte ihn an.
»Sagen Sie mir, was Sie mit dem Blut gemacht haben. Ganz inoffiziell, es wird nicht protokolliert, nicht aufgezeichnet und kommt nie wieder zur Sprache. Wir brauchen das für einen anderen Fall. Sagen Sie es mir, und ich lass Sie zusehen.«
»Zusehen?«
»Ja. Da drüben. Sie haben ja schließlich keine Freundin, die deswegen sauer werden könnte.«
»Was? Sie sind doch pervers, Mann.« Malmsheimer klang nicht halb so wütend, wie ein Teil von ihm wohl wollte, denn der viel größere Teil wollte ganz sicher zusehen. Er schluckte erneut und ließ den Mund leicht offen stehen.
»Wenn Sie nicht wollen, okay. Aber eine bessere Show werden Sie Ihr ganzes Leben lang nicht zu Gesicht bekommen, das wissen Sie genau.« Alex beugte sich vor und legte dem Zivi kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. »Und unter uns: Meine Kollegin steht auf Spanner. Manchmal lässt sie sie sogar mitmachen.«
Danielles Stöhnen nebenan wurde noch eindringlicher, es füllte Sonstmanns ganzes Büro aus. Plötzlich schien die Luft schwül zu sein, und Alex wusste, was in diesem Moment alle Gefängnisinsassen träumten, ja vielleicht ganz Moabit. In Malmsheimers zuckendem Gesicht sah er, dass man nicht einmal schlafen musste, um davon zu träumen.
»Kein Witz?«, fragte dieser und befeuchtete sich wieder die trockenen Lippen mit der Zunge.
Alex bemerkte den fiebrigen Glanz in seinen Augen und wusste, dass Malmsheimer Danielle verfallen war. Er würde nicht mehr Nein sagen, er konnte es nicht.
»Kein Witz.«
»Ich hab es verschüttet«, sprudelte es sofort aus Malmsheimer heraus, der den Blick nicht von der grauen Tür abwenden konnte. »Aber ich kann Ihnen nicht sagen, weshalb, das habe ich Ihren Kollegen schon zu Protokoll gegeben. Es schien mir einfach das Sinnvollste zu sein, das ich je getan habe.«
»Ja, aber wo? Wo haben Sie es verschüttet?«
»Vor dem Bundestag. Auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude.«
»Was?« Eine Sekunde lang starrte Alex ihn an, dann lachte er los. Das klang wie ein schlechter Scherz. Aber er wusste, dass Malmsheimer nicht log. Na, dann wäre das Reichstagsgebäude ja mal zielgenau errichtet worden, einen besseren Platz hätte es gar nicht geben können als direkt auf dem Herzen des Blutvaters. Von wegen dem deutschen Volke.
»Das ist die Wahrheit, ehrlich!« Malmsheimer verstand sein
Lachen falsch und starrte ihn drängend an.
»Die Wahrheit!« In seinem Blick lag die Angst, um die versprochene
Belohnung gebracht zu werden, um das, nach dem er hilflos lechzte,
was er brauchte. Langsam erhob er sich, seine Hose hatte eine
sichtliche Beule. Er zitterte vor Lust, gierte nach einem kurzen
Blick ins Nebenzimmer.
Drüben wurde das Stöhnen immer lauter, jagte auf den Höhepunkt zu. Malmsheimer hielt es nicht mehr aus, wartete kein Nicken, keinen Wink von Alex ab, sondern eilte zur Tür, griff nach der Klinke und hatte sie schon halb heruntergedrückt, als Alex ihn einholte.
Mühelos zog er ihn zurück, obwohl der Zivi zappelte wie verrückt.
»Halt die Klappe«, zischte Alex. »Ich will keinen Ton hören. Lass dich nicht erwischen beim Spannen. Klar?«
»Aber ich will doch, dass sie mich erwischt! Sie muss mich beim Spannen sehen!«
Tränen bildeten sich in den Augen des jungen Manns. »Ich will doch mitmachen.«
»Das will wohl jeder auf der Welt. Aber er will nicht, dass du mitmachst. Wenn er dich sieht, erschießt er dich. Er ist da anders als meine Kollegin.« Das mit dem Erschießen war vermutlich gelogen, aber sicher war er sich bei Sonstmann nicht.
»Ja, gib’s mir, du Bär!«, stöhnte Danielle. Hände schlugen auf eine Schreibtischplatte oder gegen Wände oder Schränke, Haut klatschte aufeinander.
»Das ist mir egal, vollkommen egal. Soll er mich doch erschießen, ich muss sie sehen. Ich muss«, jammerte Malmsheimer, pure Verzweiflung im Gesicht. Ein flehendes, bibberndes Stück Mensch, gefangen in einer absurden Lust auf die personifizierte Sinnlichkeit, bereit, auf die Knie zu fallen, nur um die letzten Sekunden eines Ficks mitzubekommen. Nur um zuzusehen, wie ein anderer bekam, was man selbst begehrte, um wenigstens irgendwie Teil der Situation zu werden.
Plötzlich hatte Alex Mitleid mit dem Burschen, der zu nett und zu verzweifelt war, zu viel Akne und zu wenig Selbstvertrauen hatte, um ein Mädchen abzubekommen. Ein einsamer, harmloser Junge, der erst von dem Alpträume verteilenden Blutvater und jetzt von einer Nephilim in den Bann geschlagen wurde. Von fremden Alpträumen in den Knast getrieben und hier zu einem sabbernden Sexjunkie degeneriert. Nur weil er zu schwach war, sich zu wehren.
»Pst! Sei ruhig. Du willst eigentlich nicht erschossen werden«, sagte Alex und öffnete leise die Tür, nur einen Spaltbreit. Er selbst blickte nicht hinüber, er wollte das nicht sehen. Er sah auch nicht zu Malmsheimer, der mit zitternden Fingern seine Hose öffnete und den Penis auspackte, als wäre er allein daheim vorm Nachtprogramm. Danielles hypnotisches Stöhnen hatte ihm jedes Schamgefühl genommen.
Alle drei kamen zugleich, oder zumindest die beiden Männer. Bei Danielle hoffte Alex, dass der Orgasmus nur gespielt war. Jetzt warf er einen kurzen Blick in den Nebenraum. Sonstmann zog sich eben die Hose wieder hoch, Danielle strich ihren Rock glatt. Leise zog Alex die Tür zu und den bibbernden, grinsenden Zivi zurück auf den Holzstuhl. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und versuchte, das passende Gesicht zu strengen Fragen zu machen, beamtisch seriös und gewichtig. Zu spät bemerkte er das weiße Sperma, das langsam an der grauen Tür herabfloss.
Das selige Grinsen auf Malmsheimers Gesicht verschwand immer mehr. Ganz langsam wurde ihm wohl bewusst, was er gerade getan hatte. Er begann zu schluchzen und murmelte: »Sie Schwein.«
Das war mehr als Postsexmelancholie, er machte sich auf dem Stuhl so klein wie möglich, beugte sich vor und presste die Unterarme auf den Bauch. »Was habe ich getan?«
»Nichts Schlimmes. Von mir erfährt keiner was«, sagte Alex möglichst freundlich.
»Ach, lass mich doch in Ruhe.« Langsam richtete er sich wieder auf, das Gesicht noch immer schmerzverzerrt.
»Ganz ruhig, ja?«
In dem Moment kamen Sonstmann und Danielle herein.
»Und? Alles in Ordnung?«, fragte der Beamte fidel. Die Krawatte hing locker um seinen Hals, und er machte breitere Schritte als ein Cowboy, der stundenlang im Sattel gesessen hat.
»Alles bestens«, sagte Alex, erhob sich und deutete mit dem Zeigefinger auf den Zivi. Dreimal klappte er den Daumen runter und wieder rauf, wie Kinder es taten, wenn sie im Spiel jemanden erschossen, und nickte warnend in Richtung Sonstmann.
»Alles bestens«, presste auch Malmsheimer hervor. »Mir ist nur ein bisschen übel. Verdauungsprobleme, nichts Schlimmes.«
»Dann sind wir ja alle glücklich«, strahlte Sonstmann und griff zum Telefon, um den Gefangenen wieder in seine Zelle bringen zu lassen. An Danielle gerichtet sagte er: »Vielleicht können wir ja mal wieder zusammenarbeiten. Würde mich sehr freuen.«
»Ja, vielleicht.« Danielle lächelte, ging zur Tür und öffnete sie. »Wir hören voneinander. Eine schöne Nacht noch.«
Alex folgte ihr auf den Gang und sagte nichts. Er hätte dem Kerl doch ein paar Stifte mehr zerbrechen sollen.