18
Stalker
Als Andrew wach wurde, war der Himmel tief verhangen und düster, so dass er nicht sagen konnte, wie spät es war. Persephone lag neben ihm und verströmte ihren eigenen Geruch nach Bodylotion, Haarshampoo und Parfüm. Sie war nackt. Er lächelte, drehte sich zu ihr und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Dabei fiel ihm auf, dass er etwas in der anderen Hand hielt, vielleicht schon stundenlang im Schlaf gehalten hatte. Er öffnete die Faust. Ein kleiner, fast durchsichtiger, zarter Gegenstand lag auf seiner Handfläche. Ein Fingernagel?
Er untersuchte das Ding genauer. Es schien ein … Blütenblatt zu sein. Ein kleines Blütenblatt in der Form eines Fingernagels, rund und weiß mit schwarzem Rand.
Er überlegte fieberhaft, wie das Blatt einer Blüte – im Herbst – in seine Hand gelangt sein könnte.
Dann kam die Erinnerung an die Vision der letzten Nacht zurück. Bei dem Gedanken daran erstarrte er. Die Vorgänge erschienen ihm fern, als gehörten sie weit in die Vergangenheit. Nur ein Traum? Alarmiert drehte er sich zu Persephone, das geheimnisvolle Blütenblatt war vergessen. Atmete sie noch? War sie tot? Panik brach aus. Er schlug die Decke zurück, so dass er Persephones Gesicht sehen konnte. Ihre Wangen waren sauber.
»Gott sei Dank«, flüsterte er.
»Ist das ein ländliches Ritual in Amerika«, ächzte sie. »Prüft ihr das Vieh, nachdem ihr Sex mit ihm hattet?«
Er brach in schallendes Gelächter aus. Es muss ein normaler Traum gewesen sein, keine Vision von dem echten Harness.
»Ich liebe dich«, sagte er.
Sie kuschelte sich an ihn.
»Es ist Brauch, dass man nach so einem Geständnis sagt: ›Ich liebe dich auch‹«, neckte er sie, obwohl ihn ihre Reaktion irritierte.
»Wie kann ich mein geheimnisvolles Flair bewahren, wenn ich so viel gebe?«
»Du hast mir viel gegeben?«
Er zog ihr die Decke weg, und sie kreischte. Sie rangen um die Decke, doch nach einer Weile lagen sie nebeneinander und schauten sich an, als würden sie sich zum ersten Mal sehen – nackt oder angezogen. Sogar Persephone ließ Zeit verstreichen, ohne zu reden.
Agatha erwartete sie am Trinity Gate. Eine reglose Gestalt mit roten Haaren und langem Mantel inmitten von hektischen Studenten, Fahrradfahrern, parkenden Autos und chinesischen Touristen. Nebel hatte sich über die Universität gesenkt. Agatha umarmte Persephone und küsste Andrew auf beide Wangen, ehe sie die beiden wegen ihrer Verspätung aufzog. Cambridge bekommt euch offenbar gut. Ist noch etwas von meinem Zimmer übrig? Die zwei grinsten verlegen und hielten sich an den Händen. Agatha verdrehte die Augen und führte sie durch die Security-Kabine. Sie trugen sich in die Besucherliste ein und betraten durch einen Torbogen das Gelände des Trinity College.
Der Nebel verlieh der Umgebung etwas Traumartiges, aber Andrew vermutete, dass man selbst bei strahlendem Sonnenschein das Gefühl hätte, in ein anderes Zeitalter geraten zu sein. Die bestens erhaltenen sandfarbenen Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert umgaben eine mit Kieswegen umrandete Rasenfläche. Ein hoher, reichverzierter Brunnen befand sich in der Mitte. Agatha plauderte mit Persephone, während sich Andrew über die Ruhe wunderte, die in dem riesigen Hof herrschte; die Zeit hatte diesem Ort nicht viel anhaben können. Sie folgten dem Weg zu dem Gebäude auf der anderen Seite, stiegen ein paar Stufen hinauf und duckten sich durch eine in einen Bogen eingelassene Tür. Ein Gang, laut und belebt, unterteilte das historische Gebäude. Studenten mit Schals und Armeejacken hasteten an ihnen vorbei. Mit wenigen Schritten erreichten sie eine weitere Tür und kamen in einen anderen nebligen Hof, nur war dieser kleiner und vollkommen still. Auf der anderen Seite erhob sich ein mehrstöckiges Gebäude mit Arkaden.
»Das ist sie«, sagte Agatha und ging voran. »Die Wren Library. Wie heißt deine Archivarin, Andrew ?«
»Lena Rasmussen. Kennst du sie?«
»Ich studiere Wirtschaft«, erwiderte Agatha. »Deshalb hab ich für seltene Handschriften kaum Verwendung.«
Unter den Arkaden befand sich der Eingang. Sie gingen eine breite Steintreppe hinauf. Drei Meter hohe Porträts von früheren College-Größen zierten die Wände. Viele mit finsterem Blick und Talar.
»Die sind da, um amerikanischen Touristen Angst zu machen«, scherzte Agatha.
Sie kamen in einen langen Raum, zwei Etagen hoch mit Fenstern im zweiten Stock, durch die das Tageslicht fiel. Weiß getünchte Wände mit walnussbraunen Regalen, die eine ganze Reihe Nischen bildeten. Die waren vollgestopft mit verstaubten, vom Alter brüchigen Bänden und mit Samtkordeln abgesperrt, um die Arbeitsplätze mit Lampen und kleinen Schreibtischen zu schützen. Im Raum verteilt standen weiße Büsten von literarischen Heroen auf Sockeln: Vergil, Cicero, Milton. Am Ende des Saals ragte die größte Statue aus Marmor auf – eine Figur, die ein Buch und eine Schreibfeder in den Händen hielt. Abgesehen von ein paar Leuten im vorderen Bereich schien es in der Wren Library mehr Büsten als lebendige Menschen zu geben.
Agatha steuerte ein Pult an, hinter dem ein Mann saß und lustlos in den Computer tippte. Er trug einen schlabberigen bräunlichen Pullover und hatte nur noch oben am Kopf einen grauen Haarschopf, ansonsten war er kahl. Agatha fragte nach Lena Rasmussen. Der Mann schien überrascht zu sein, hier einem menschlichen Wesen zu begegnen und erst recht einer üppigen Neunzehnjährigen in teuren Kleidern und mit einer roten Haarmähne. Eine Frau kam aus der gegenüberliegenden Nische. Sie war Mitte zwanzig mit breiten, skandinavischen Wangenknochen. Sie trug ein braunes T-Shirt und schwarze Jeans, hatte ein Nasenpiercing und zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene schwarze Haare.
»Ich bin ein Schüler von Dr. Kahn«, sagte Andrew. »Sie hat Ihnen Briefe geschickt, die ich gefunden habe.«
Die Archivarin taxierte ihn belustigt. »Du bist das also«, sagte sie. »Diese Papiere haben einen ziemlichen Wirbel verursacht. Du bist Schüler in Harrow ?«
»Ja.«
»Sieht fast so aus, als hättest du Briefe gefunden, die Lord Byron dort hinterlassen hat«, sagte Lena.
»Du hast Briefe … von Lord Byron gefunden?«, rief Agatha, die bisher den Grund ihres Besuches nicht gekannt hatte.
»Nicht von Byron«, korrigierte Lena, »sondern an ihn. Ich habe Reggie Cade diese Briefe gezeigt. Er kann euch Näheres erklären.«
»Wer ist Reggie Cade?«
»Ein Kollege. Er hat das Byron-Institut an der University of Manchester gegründet, ehe das Trinity ihn abgeworben hat. Erst gestern war er hier, um sich die Briefe anzusehen.« Lena deutete zu der übergroßen Marmorstatue. »Das ist er.«
»Reggie Cade?«, fragte Andrew. Die drei Meter große Figur mit Buch und Feder saß heroisch auf einer umgestürzten griechischen Säule.
Die Archivarin lächelte. »Nein. Lord Byron. Die Statue war eigentlich für die Westminster Abbey gedacht. Doch die Kirche duldete nicht, dass einem berüchtigten Sexsüchtigen ein Denkmal gesetzt wird. Also hat man sie ins Trinity geschickt – hier sind Lüstlinge immer willkommen.«
Sie ging zu der Nische, in der sie gesessen hatte, und blätterte in einem Adressbuch.
»Die ist komisch«, raunte Agatha. »Persephone … ist alles in Ordnung mit dir?«
Persephone war blass.
»Ja.«
»Du siehst schrecklich aus.«
»Mir geht’s gut. Mein Blutzuckerspiegel ist vielleicht ein bisschen niedrig.«
Andrew legte den Arm um sie.
»Wie süß!«, flötete Agatha anerkennend.
»Keine Knutschereien in der Wren«, mahnte Lena. »Reggie ist auf dem Weg hierher. Bestimmt tritt er ordentlich in die Pedale. Kommt mit.«
»Wohin?«, wollte Andrew wissen.
»Ins Gewölbe«, antwortete sie.
Über die breite Treppe, die sie heraufgekommen waren, gelangten sie in eine enttäuschend moderne Studentenbibliothek mit Teppichboden, niedrigen Decken und besetzten Lesenischen. Lena dirigierte ihre Gäste zu einer Personaltreppe und ging voran.
»Jetzt befinden wir uns unter dem Gebäude«, erklärte sie, als sie eine massive Tür erreichten. Sie tippte einen Code ins Sicherheitsschloss und öffnete die Tür. »Ihr merkt, hier drin ist es kälter. Wir müssen darauf achten, dass immer eine gleichbleibende Temperatur und eine Luftfeuchtigkeit von fünfundsechzig Prozent herrschen. Der Fluss ist in unmittelbarer Nähe. Die Wände sind mit Beton, der die Feuchtigkeit abhält, verstärkt. Praktisch sind wir gerade in einer unterirdischen Betonschachtel. Und hier«, sie stieß die Tür zu einer Metallkammer auf, »bewahren wir die Handschriften und auch die Briefe auf. Komm. Ich zeige sie dir.«
Andrew begleitete sie in einen schmalen Durchgang zwischen über vier Meter hohen Drehregalen.
»Ich hoffe, du vertraust deinen Freundinnen«, raunte sie.
»Wieso?«
»Jedes dieser Regale wiegt eine Tonne. Wenn sie an der Kurbel drehen, werden wir zermalmt.«
»Sie haben einen eigenartigen Humor.«
»Das vertreibt die Zeit.« Sie nahm eine graue Kassette aus dem Regal. »Komm, wir warten im Besprechungszimmer auf Reggie.« Dr. Reggie Cade riss erhitzt und außer Atem von der schnellen Fahrt mit dem Rad (Andrew ertappte Lena bei einem zufriedenen Lächeln, weil sie mit ihrer Vermutung recht gehabt hatte) die Tür auf. Er war eine imposante Erscheinung über eins achtzig, riesiger Bauch, grüne Strickjacke, grüne Krawatte, hohe Gummistiefel, als hätte er gerade im Garten gearbeitet, und eine große Öljacke. Er war in den Fünfzigern mit rundem Gesicht und Doppelkinn. Blonde und graue Bartstoppeln. Ein Auge schaute in eine andere Richtung als das andere. Seine Hände waren weich und fleischig mit langen Nägeln – ein solches Aussehen scheinen nur Engländer zu haben, die ihr Leben lang jeden Sport vermieden hatten. Alles in allem war er kein attraktiver Mann, aber er hatte eine volle Bassstimme: Orson Wells mit Manchester-Akzent. Andrew konnte ihn sich als faszinierenden Dozenten vorstellen. Er blieb auf der Schwelle zu dem drei mal drei Meter großen Raum mit Teppichboden, Neonbeleuchtung und einem runden Tisch mit Stühlen stehen. Die jungen Leute scharten sich um Lena, als sie die Kassette öffnete und ein Dutzend stockfleckige Briefe auf dem Tisch ausbreitete.
Dr. Cade musterte sie mit seinem gesunden Auge. »Ich sehe hier nur einen Jungen, und die Briefe wurden in Harrow entdeckt, deshalb nehme ich an, du bist der Finder«, sagte er zu Andrew, während er sich das Gesicht mit einem Taschentuch abwischte.
Andrew erzählte von dem Zisternenkeller und der Keksdose.
Cade schüttelte kichernd den Kopf. »Waren es Kekse der Marke Byron?« Andrew grinste – der Mann gefiel ihm immer mehr. »Das ist eine abenteuerliche Geschichte. Gut, Lena, sehen wir uns die Exemplare an.«
»Piesacken Sie mich nicht, Mädchen.«
»Haben Sie die Briefe gelesen?«, fragte Andrew eifrig.
»Das habe ich.«
»Und?«
»Ein Jammer, dass deine Keksdose nicht ein wenig wasserdichter war«, sagte Cade und berührte die Blätter. »Diese Fasern hafteten aneinander, weil sie feucht geworden sind und zweihundert Jahre fest aufeinandergedrückt waren. Als wir die Blätter voneinander lösten, sind einige Fasern zerrissen, und vieles ist unlesbar. Ganz zu schweigen von den Flecken. Dennoch können wir so manche Passage entziffern. Und was wir da gelesen haben!« Er schaute in die Runde, als wollte er jedem drohen, der ihm widersprach. »Als mir Lena sagte, dass die Briefe möglicherweise Lord Byron gehört haben könnten … Woher wusstest du das überhaupt? Du konntest sie ja nicht lesen!« Cade durchbohrte Andrew mit einem Blick.
»Ich lebe im selben Haus wie Byron seinerzeit.«
»Und Hunderte andere Schüler.«
»Ich spiele Byron in einer Schulaufführung. Vermutlich spukt mir Byron im Kopf herum.«
»Wohnte dieser John Harness auch in dem Haus?« Andrew erstarrte. Er spürte, dass ihn alle verwirrt ansahen. Cade lachte leise. »Der Name ist dir bekannt, wie? John Harness, Byrons Geliebter und Kommilitone im Trinity. Du weißt viel über Lord Byron, wie ich sehe. Allerdings nehme ich an, dass es keine Gedenktafel für Byron und seinen jungen Freund in Harrow gibt. Schulen neigen dazu, derlei Angelegenheiten unter dem Deckel zu halten.« Andrew schüttelte den Kopf. »In den Aufzeichnungen wird Harness als Unschuldslamm dargestellt. Als frühes Byron-Opfer. Dazu hat Byron selbst erheblich beigetragen.
Those eyes proclaim’d so pure a mind,
Even Passion blush’d to plead for more.
Aber was wir hier vor uns haben … mein lieber Schwan«, tönte er laut, um seine Verlegenheit zu kaschieren. »Das hier ist der Beweis, dass der ach so unschuldige junge John Harness weit davon entfernt war, rein zu sein. Im Gegenteil – er war ein Teufelsbraten.«
»Woher wissen Sie, dass es sich um Harness handelt?«, brachte Andrew heraus.
»Woher?« Der Professor reckte stolz das Kinn nach vorn. »Ich habe diese Briefe mit der detaillierten Chronologie von Byrons Leben abgeglichen, die ich in dreißig Jahren erstellt habe.«
»Und die Briefe passen da hinein?«
»Perfekt«, antwortete Cade mit einem triumphierenden Lächeln. »Deshalb bin ich hier.« Er arrangierte die Blätter so, dass er sie direkt vor sich hatte. »Der Schreiber ist nicht Byron. Ich glaube, sie stammen von Harness selbst. Dies wären die ersten Briefe von einem homosexuellen Liebhaber Byrons.«
Andrew beugte sich eifrig vor.
»Woran erkennen Sie das?«
»Drei Faktoren sind ausschlaggebend: die Chronologie, die Intimität zwischen den beiden sowie der Tenor der Briefe. Die ersten sind Briefe eines Verliebten, die späteren zeugen von eifersüchtiger Besessenheit.« Dr. Cade setzte seine Lesebrille auf und beugte sich über die Seiten wie ein Vogel, der einen Wurm inspiziert. Dann entschied er sich für einen Brief. »An Byron. Sommer 1808. Die Tränen, die ich im Geheimen vergossen habe, sind Beweis meines Kummers. Ich war und bin der Deine. Ich habe hier & jenseits des Grabes alles für Dich aufgegeben. Jenseits des Grabes«, wiederholte Cade.
Andrew spähte zu Persephone. Ihr Gesicht wirkte aschgrau in dem grellen Licht.
Dr. Cade nahm die Brille ab. »Ein Jahr später starb Harness. Er muss gewusst haben, dass er Tuberkulose hatte und dass seine Überlebenschance sehr gering war. Damals wurde Schwindsüchtigen frische Luft verordnet. Reisen nach Spanien oder Aufenthalte am Meer. Aber dazu brauchte man Geld. Harness hatte das Trinity gerade verlassen und war bitterarm. Er musste eine Stelle als Sekretär in London annehmen und konnte sich keinen Luxus leisten. Und da haben wir das vierte Thema in diesen Briefen.«
»Welches ist das?«, hakte Andrew nach.
»Der Tod. Ein verzweifelter junger Mann siecht langsam dahin. Ein Brief an die Albemarle Street adressiert – im März. Der Winter muss ihm schwer zu schaffen gemacht haben.
Wenn Du durch irgendeinen widrigen Umstand meinen letzten Brief nicht erhalten haben solltest … Er beginnt mit einem Vorwurf: Wo sind die Zuwendungen, mit denen ich mich über Wasser halten könnte? Wo ist das Geld für meine Auslandsreise? Er wollte, dass ihn sein reicher Freund finanziell unterstützte. Und Byron ist – typisch für ihn – in den falschen Momenten selbstsüchtig. Wir sprechen hier von einem Mann, der später seine eigene Tochter in einem italienischen Kloster sterben lässt.«
Cade überflog die Seiten.
»Ein Teil ist unlesbar. Mein Husten und – wieder nicht zu entziffern, vielleicht heißt es Fieber – sind nicht besser … aber auch wenn mich das zwingt, die ganze Nacht aufrecht zu sitzen und ein Taschentuch an den Mund zu drücken … das sieht aus wie hungere ich – nach Dir und Nachrichten von Dir. Er fühlt sich noch wohl genug, um sich eines schwülstigen Stils zu bedienen. Das bleibt nicht so. Und das Schreibpapier wird auch knapp. Im nächsten Brief füllt er den ganzen Bogen und schreibt an den Rändern von unten nach oben weiter.« Cade legte den Brief auf den Tisch und nahm den nächsten zur Hand. »In mir ist ein kranker Kern, und es ist nicht leicht, ihn herauszuziehen. Ich habe aufgehört, in die Firma zu gehen. Harness’ Stellung in einer Londoner Firma, einer Reederei, war zur damaligen Zeit untere Mittelklasse; nach heutigen Maßstäben würden wir sagen, er wurde schlecht bezahlt. Könnt ihr euch vorstellen, welch ein isoliertes Leben er führte? Seine verarmte Familie hatte kein Interesse mehr an ihm. Homosexuell, allein, bankrott und todkrank? Seine Welt wurde mit jedem Tag kleiner. Ich lebe von den Guineas, die ich beiseitegelegt habe – doch selbst die nützen mir kaum. Die Wunden in meinem Mund machen es mir unmöglich, Speisen zu mir zu nehmen. Meine wenigen Besucher schelten mich wegen meiner Blässe und bestehen darauf, dass ich rotes Fleisch esse, aber ich habe von beiden genug – von Tieren und Besuchern –, und meine Brust ist in einem derart gereizten Zustand, dass mich Krämpfe schütteln, wenn ich Atem hole und Blut huste. Es ist schwarz & zähflüssig.«
Dr. Cade runzelte die Stirn. »Hartes Los, die Tb. Aber er ist noch nicht am Ende. Die Obsession, die ihn am Leben erhält, ist Byron. Nur Deine Liebe verschafft mir Erleichterung«, las Cade vor. »Aus diesen Worten – Deiner Liebe – besteht mein Dasein hier und im Jenseits. Doch die Stimmung wechselt, als er herausfindet, dass Byron – auch typisch für ihn – mit jemand anderem angebandelt hatte. Mit einem anderen jungen Mann. Jetzt enthalten die Liebesgesänge eifersüchtige Misstöne. Man denke – Byron geht während der ganzen Zeit in London ein und aus und scheint Harness kein einziges Mal zu besuchen. Hs Brief hat mich erreicht … Ich schätze, H ist Hobhouse, ein enger Freund von Byron und als solcher wahrscheinlich auch mit Harness bekannt … Du hast einen neuen ›Freund‹, mit dem du oft in London gesehen wirst – seinen Namen kennt niemand, aber alle scheinen ihn für hübsch, zierlich und reizend zu halten. Bei Männern kommt eine solche Einhelligkeit nur selten vor. Eine bissige Bemerkung. Er ist nicht nur todkrank, sondern wird auch noch betrogen. Byron hat einen neuen Gespielen, einen hübschen und gesunden, mit dem er durch die Stadt laufen kann. Ab da sind große Teile unleserlich – bis … angeblich reizendes Wesen … schwarze Wolke … Ah ja, dann die Forderung : Sag mir, wer das ist. Offenbar war Harness entschlossen zu handeln. Ich komme in die Albemarle Street – erwarte mich.«
»Ein Stalker«, bemerkte Andrew.
Dr. Cade nickte anerkennend. »Das gefällt mir. Sehr passend. Ein Stalker«, wiederholte er, als wollte er sich das für später merken. »Keine Briefe in den nächsten Tagen«, fuhr Cade fort. »Offenbar hat Byron Harness den Laufpass gegeben.«
»Was hat Harness gemacht? Hat er sich damit abgefunden?«, warf Andrew ein.
»Na ja, Harness ist sehr hartnäckig«, antwortete Dr. Cade. »Hör zu: Mein Liebster … ich vertraue darauf, dass Du diesen Brief gesund und wohlauf in Brighton erhältst. Wie man mir sagte, bist Du ziemlich überstürzt aufgebrochen – am selben Tag, an dem ich einen Besuch in Deiner Wohnung machte. Byron geht ihm aus dem Weg, seht ihr? Mrs. Leckie … das muss die Hauswirtin sein … war so freundlich, mir zu erzählen, dass Dich Dein Freund begleitet. Seht ihr die Großbuchstaben?« Dr. Cade hielt den Brief hoch, damit sich alle selbst überzeugen konnten. »Und dann, zwei Tage später – die Verfolgungstaktik hat Harness augenscheinlich nicht viel eingebracht, jetzt versucht er, an Byrons Gewissen zu appellieren. Er hätte es besser wissen müssen – Byron war kein Kindermädchen. Kannst Du nach London zurückkommen, wenigstens für eine Stunde? Wenn Du mich & und meine Not siehst, wirst Du auf alle anderen Geliebten verzichten. Heute war ich in guter, heiterer Stimmung, doch plötzlich packte mich ein Hustenanfall, und ich spuckte zwei Tassen voll Blut. Es ist mein Todesurteil. Ich muss sterben. Ich sehne mich Tag und Nacht danach, dass mich der Tod von den Qualen erlöst, dann wieder verwünsche ich ihn, denn der Tod wird meine einzige Hoffnung auf Freude zerstören – Dich noch einmal zu sehen. Sehr süß bis hierhin, doch dann gewinnt Eifersucht die Oberhand. Denjenigen, der an meiner Stelle diesen Anblick genießt, hasse ich zutiefst. Dieser Hass wächst und gedeiht sogar, während ich selbst verfalle und sterbe. Das Folgende ist nicht zu entziffern, aber es bleibt bei dem Thema Hass.« Dr. Cade drehte die Seite um. »Denn hier geht es weiter. Die Blüten werden ihn vernichten.«
»Vernichten«, wiederholte Andrew. »Damit meint er, dass er seinen Rivalen töten wird.« Andrews Blick huschte zu Persephone.
»Wie ich sagte, ein Teufelsbraten.«
Persephone hustete. Der penetrante, lang anhaltende Anfall unterbrach die Diskussion.
Andrew beobachtete sie, und mit einem Mal befiel ihn ein unsäglicher Verdacht. Sie war bleich, in sich gekehrt.
Der Stalker.
Andrew hatte das selbst gesagt in dem Versuch, sich als kluger Schüler zu erweisen und den Lehrer zu beeindrucken. Doch damit hatte er unwissentlich ins Schwarze getroffen. Er begriff, dass seine Vision von Harness in der letzten Nacht keineswegs ein Traum gewesen war.
»Wie fühlst du dich, Persephone?«
»Gut.«
»Sicher? Spürst du etwas in der Brust?«
»In meiner Brust?«
Alle sahen Andrew erstaunt an.
»Dein Husten«, verteidigte er sich.
»Alles bestens«, gab sie verärgert zurück.
»Ich mache mir Sorgen um dich. Du siehst gar nicht gut aus.«
»Sei nicht albern.«
»Soll ich fortfahren?«, fragte Dr. Cade.
Andrew nickte widerwillig. Aber er ließ Persephone nicht aus den Augen und beobachtete jede Veränderung, während er Dr. Cade zuhörte.
»Hier haben wir den letzten Brief dieser außerordentlichen Serie, datiert auf Juni 1809. Einen Monat später bricht Byron nach Portugal auf. Es ist der leidenschaftlichste Brief, wenn dies das richtige Wort ist. Liebster … Du fährst also zum SD. Ich weiß nicht, was SD ist. Klingt wie die Abkürzung eines Ortsnamens, aber ich hab in den Dokumenten nichts gefunden, worauf es sich beziehen könnte. ER begleitet dich. Ich weiß es. H hat mir alles geschrieben. Ich werde alle mir verbliebenen Kräfte aufbringen. Ich komme zu dir. Dorthin, wo wir uns einst getroffen haben. Ich werde dich finden, ihn vernichten, und alles wird gut. Du hast das vorausgesehen – sehr gut.« Cade nickte Andrew zu. »Er ist ein Stalker. Ein Stalker aus dem neunzehnten Jahrhundert. Byron hat seine Fehler, aber man kann verstehen, warum er Harness meidet. Die Eifersucht des jungen Burschen treibt ihn buchstäblich in den Wahnsinn. Ich werde Dich finden, ihn zerstören … das lässt nicht viel Raum für metaphorische Interpretationen. Das ist eine Morddrohung.« Cade legte die Lesebrille auf den Tisch. »Dennoch bleiben viele Fragen. Wer ist dieser andere Geliebte? Und wie sind all diese Briefe letzten Endes in Harrow gelandet? Und was ist SD?«
Persephone murmelte etwas.
»Wie war das?«, fragte Dr. Cade mitleidslos.
Persephone hustete wieder.
»Wasser«, forderte Andrew. »Gibt’s hier etwas zu trinken für sie?«
»Oben. Der Brunnen«, sagte Lena.
Andrew rannte die Treppe hinauf; Panik beherrschte sein Denken. Für einen Moment fühlte er sich, als hätte er den Verstand verloren. Persephone war krank. Das wurde ihm schlagartig bewusst. Die Krankheit ergriff in diesem Moment Besitz von ihr. Seine Hände zitterten, als er den Plastikbecher mit Wasser füllte. Er trug ihn vorsichtig hinunter ins Besprechungszimmer. Ja, Persephone war definitiv bleich. Trotzdem saßen alle seelenruhig am Tisch. Natürlich sind sie ruhig. Sie haben nicht gesehen, was ich letzte Nacht gesehen habe, sagte er sich. Er reichte Persephone den Becher. Sie trank dankbar das Wasser.
»Speech Day«, krächzte sie schließlich.
»Speech Day?«, wiederholte Dr. Cade. Er warf den Kopf zurück und blickte, als könnte ihm die Decke verraten, was Speech Day bedeutete.
»Speech Day in Harrow«, erklärte Andrew. »Es ist eine Art Abschlussfeier am Ende des Schuljahres. Einige Schüler aus der Abschlussklasse bereiten Reden vor und halten sie an diesem Tag. Byron und Harness könnten sich an diesem Wochenende getroffen haben wie … alte Freunde bei einem Klassentreffen.«
»Du fährst also zum SD«, murmelte Dr. Cade vor sich hin. »Zum Speech Day. Ja, natürlich. Der ist im Sommer, oder?«
»Anfang Juni. Sie konnten also am Speech Day 1809 in Harrow zusammengekommen sein«, sagte Andrew. »Und bei dieser Gelegenheit haben sie die Briefe ausgetauscht.«
»Dieses Treffen muss die Hölle gewesen sein.« Cade deutete auf die Briefe. »Nach alldem.«
Lena schaltete sich ein. »Aber das sind nur Briefe von Harness, da bin ich ganz sicher. Es ist immer ein und dieselbe Handschrift.«
»Ganz recht. Es gab keinen Austausch. Byron hat alle Briefe, die er von Harness bekommen hat, zurückgegeben«, rief Cade aus. »Sie waren das reinste Gift. Wer wollte so was schon behalten?« Seine Aufregung wuchs. »Und es erklärt die Büchse und die Schnur. Er hätte die Briefe sicher nicht mit einem hübschen Band gebündelt. Und er wollte nicht, dass seine Harrow-Freunde sie sehen. Deshalb hat er die Briefe in einer Keksdose zurückgegeben. Wahrscheinlich hat er die Dose kurz vorher – in aller Eile – in einem Laden im Ort gekauft. Zum Glück für uns – war die Dose luftdicht!« Cade grinste erfreut. »Das ist gut! Sehr gut!« Er öffnete den Mund, um weitere Fragen zu stellen, aber Persephone verhinderte das mit einem neuerlichen Hustenanfall. Der Husten schien sich immer mehr aufzubauen, klang abgehackt, kratzig und hörte nicht auf, während die Lunge vergeblich versuchte, ihm Einhalt zu gebieten. Persephone krümmte sich.
Andrews Magen krampfte sich zusammen. Da war es. Er hatte recht gehabt. Er hatte die Vision gesehen und gewusst, dass Harness Persephone infiziert hatte. Und er hatte den Fehler gemacht, nicht sofort etwas zu unternehmen. Die anderen Anwesenden verzogen angewidert und mitfühlend die Gesichter; dann endlich – endlich! – hörte es auf, und Persephone, der keine Zeit mehr blieb, nach einem Taschentuch zu suchen, spuckte etwas Flüssiges in ihre Handfläche. Sie hob die Hand, um sich den Auswurf anzusehen.
Agatha fand als Erste ihre Sprache wieder. »O mein Gott, Persephone!«, kreischte sie. »Das ist Blut! Andrew, Persephone hat Blut gespuckt!«
Andrew spang an Persephones Seite – er und Agatha beugten sich zu ihr und starrten die Hand an. Hellrotes, glitzerndes Blut. Persephone zog hastig die Hand zurück, um es zu verstecken.
»Es ist nichts«, behauptete sie matt. »Macht euch keine Sorgen.«
»Selbstverständlich machen wir uns Sorgen«, widersprach Agatha. »Du siehst schon den ganzen Morgen so komisch aus. Wir gehen besser. In mein Zimmer, dann kannst du dich hinlegen. Tut mir leid, Dr. Cade.« Sie halfen Persephone beim Aufstehen. Professor Cade blieb enttäuscht sitzen; Lena Rasmussen flüsterte: Die brauche ich wieder, sammelte die wertvollen Briefe ein und verstaute sie in der Kassette, um sie in die rotierenden Regale zurückzulegen. Chaos brach aus. Alle umringten Persephone und führten sie die schmale Treppe hinauf.
»Ich bringe sie nach London«, sagte Andrew.
»London?«, protestierte Agatha.
»Sie muss in die Klinik.«
Andrew legte den Arm um sie und stützte sie durch die Studentenbibliothek, wo sie die Blicke auf sich zogen, unter die stille Kolonnade. Plötzlich erschien ihnen der Weg zur Trinity Street entsetzlich lang.
»Wollt ihr wirklich schon gehen?«, schrie Dr. Cade, der ihnen ins Freie gefolgt war.
»Tut mir leid, Sir«, rief Agatha über die Schulter, und zu Lena gewandt fügte sie hinzu: »Vielen Dank!«
Andrew hörte Cades donnernden Bass: »Ich beabsichtige, das zu publizieren. Wie kann ich euch erreichen?« Sie antworteten nicht. Als sie das Tor auf der anderen Seite des Hofes erreichten, schrie er verzweifelt: »Wollt ihr als Entdecker genannt werden?«
Andrew hielt den Arm um Persephone gelegt und beugte sich immer wieder vor, um ihr ins Gesicht zu schauen. Er überwachte ihre Blässe, den flachen Atem und suchte nach Merkmalen, die er bei Roddy oder Theo gesehen hatte.
Agatha bombardierte ihn mit Ratschlägen. Es gibt hier ein Krankenhaus; wir können in wenigen Minuten dort sein. Andrew ignorierte sie. Er wusste, was er tun musste.
Er trug Persephone halb durch die Straßen, durch die sie am Abend zuvor gelaufen waren. Die Strecke zog sich endlos dahin. Ein belebter Marktplatz, und kein Mensch bot ihnen Hilfe an. Es ist schon gut, ich weiß, wohin ich dich bringen muss, sagte er. Du übertreibst, flüsterte sie, ehe sie wieder von einem Hustenanfall gepeinigt wurde. Sie krümmte sich hier auf der Straße. Die Leute machten einen weiten Bogen um sie, angeekelt, als wären sie irgendwie entartet – Drogen, Nadeln, HIV! Es war, als könnten die Menschen Symptome, die einen normalen Husten oder eine Erkältung übertrafen, erahnen. Kommt wieder Blut?, fragte er unglücklich. Ich glaub nicht, antwortete sie.
Endlich kamen sie am Bahnhof an. Andrew ließ Persephone bei Agatha, die ihre Überredungsversuche schon vor einer Weile aufgegeben hatte, auf einer Bank zurück und rannte zum Fahrplan. Der nächste Zug fuhr um 12 Uhr 55. Jetzt war es 11 Uhr 57. Fast eine Stunde. Er ächzte gequält. So lange konnten sie nicht warten. Er lief hinaus. Persephone saß noch aufrecht – Gott sei Dank – und hatte eine Art Schutzhaltung angenommen: zusammengepresste Hände, hochgezogene Schultern, geschlossene Augen. Aber ihr Gesicht war noch immer kreidebleich.
Andrew kämpfte gegen die Panik an. Er musste nachdenken und machte die Augen zu.
Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick auf einen Taxistand.
Er hastete zum ersten Wagen und bückte sich zum Fahrerfenster.
»Ich muss nach London«, sagte er.
Der Fahrer, ein junger Kerl mit asiatischen Zügen, schnitt eine Grimasse. »Das kostet Sie hundert Pfund.«
»Nehmen Sie Kreditkarten an?«
»Ja.«
Andrew lief zurück zu der Bank, half Persephone behutsam beim Aufstehen und Überqueren des Bürgersteigs, dann setzte er sie auf den Rücksitz des Taxis.
»Was hast du vor?«, wollte Agatha wissen.
»Ich bringe sie in ein Hospital in London. Sie sind spezialisiert auf …«
»Auf was, Andrew ? Kannst du mir verraten, was vor sich geht?«
»Sie hat Tuberkulose.«
»Tuberkulose?«, schrie sie. »Woher … woher weißt du das?«
»Es hat mit dem zu tun, worüber wir mit Vivek gesprochen haben«, sagte er. »Eine lange Geschichte. Ich ruf dich später an. Versprochen.«
Sie verabschiedeten sich hastig, und das Taxi kämpfte sich durch Cambridge – Andrew wünschte, der Verkehr würde sich vor ihnen teilen. Er wartete Ewigkeiten, bis sein Handy-Browser das Suchprogramm hochgeladen und er »Royal Tredway London« gefunden hatte. Er gab die Adresse an den Fahrer weiter. Als sie auf den Highway kamen, lehnte er sich zurück, und Persephone schmiegte sich an ihn und schlang die Arme um ihn. »Danke«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.«
»Dann wärst du gar nicht erst krank geworden«, gab er zurück.
»Nein«, widersprach sie.
»Ich weiß, was passiert ist. Harness hat dich angesteckt. Nicht zufällig.«
»Wie? Warum?«
»Ich …« Er betrachtete ihr fahles Gesicht. Ein Blutstropfen war auf ihrer Unterlippe getrocknet. Sein Herz zog sich zusammen. »Du solltest dich ausruhen.«
»Ich will es wissen, Andrew. Du darfst mir das nicht verheimlichen.«
»Letzte Nacht … Ich habe Harness gesehen. In unserem Zimmer.«
Persephone fiel der Unterkiefer herunter. »Den Geist? Hier?«
»Er hat dich infiziert. Mit voller Absicht.« Erst Zweifel, dann Angst zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. Andrew fügte hinzu: »Er ist eifersüchtig.«
»Eifersüchtig?«
»Erinnerst du dich, was in dem Brief stand? Ich werde ihn vernichten, und alles wird gut. Er hält mich für Byron. Und jeden, dem ich nahekomme, steckt er an. So ist Theo gestorben.«
Persephone richtete sich auf. »Theo? Roddy?«
»Ich habe Zeit mit ihnen verbracht«, bestätigte Andrew. »Harness sucht nach männlichen Rivalen. Nach dem einen, von dem er besessen war.«
»Ich bin kein Mann!«, entgegnete sie entrüstet.
»Ich weiß.« Andrew brachte ein Grinsen zustande. »Aber …« Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. »Dein Haar.«
Sie berührte ihre kurzen Locken. »O Gott.«
»Bist du okay?«, erkundigte er sich sanft. »Es scheint dir …«
… ein wenig besserzugehen, wollte er sagen. Ihre Unterhaltung – so normal in einer Hinsicht – hatte Hoffnung in ihm geweckt. Er hätte den Mund halten sollen, denn in dem Moment, in dem er das Wort besser auf der Zunge hatte, fing Persephone an zu husten, als versuchte ein fremdes Wesen sich aus ihrem Körper zu befreien. Ihre Augen waren riesig vor Angst; sie schlug die Hände vor den Mund, aber das Blut spritzte durch ihre Finger auf Andrew. »O mein Gott!«, schrie er. An seiner Jacke – überall klebte Blut.
»Was ist?«, fragte sie erschrocken, obschon es nicht zu übersehen war; Blut tropfte von ihren Händen und Lippen.
»Was geht da hinten vor?«, erkundigte sich der Fahrer.
»Bitte, fahren Sie schneller«, drängte Andrew. »Bitte.«