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Das Licht in der Last Minute Bar war schummrig, als Braun eintrat. Er blickte sich im Raum um. Ein Dutzend Leute standen an der Theke, hauptsächlich Angestellte oder Managergestalten, die sich nach dem Arbeitstag einen Drink genehmigten. Ein paar Typen sahen aus, als würden sie im Finanzwesen arbeiten, andere schätzungsweise im Verlagsgeschäft. Die Finanztypen wirkten irgendwie steifer. Vom anderen Ende der Bar hörte er eine Frau lachend darüber sprechen, wie man Kinder zum Lesen bringen würde. Fünfzehn Tische, die Hälfte besetzt. Eine alte Lady saß am Klavier und spielte langsame, leise Versionen von Louis Armstrongs Standards.
Sam Capra war nicht da. Auch nicht die Frau, Mila. Ein großgewachsener dunkelhäutiger Mann im makellosen Anzug stand hinter der Theke: wahrscheinlich der Manager. Oder gar Capras Partner.
Es gab zwei Möglichkeiten, die Sache anzupacken. Er konnte hingehen und offen sagen, dass er Sam Capra suchte, oder sich setzen und warten. Die Bar war jedenfalls sein einziger Anhaltspunkt, und er hatte niemanden mehr in New York, den er auf seine Feinde hetzen konnte. Sam Capra hatte sie alle ausgeschaltet.
Braun setzte sich an die Theke, im Niemandsland zwischen den beiden lauten Gruppen. Er bestellte sich ein Harp-Bier. Nach einem kleinen Schluck ließ er es stehen. Er mochte Alkohol nicht besonders und trank nur ganz selten etwas. Das Zeug machte ihn höchstens unaufmerksam, und das konnte er sich nicht leisten.
Er hatte die Tische im Blick, und über den Spiegel hinter der Theke auch die Eingangstür. Er saß still da, den Blick geradeaus gerichtet. Die Gruppen zu beiden Seiten lachten und plauderten, und für einen Moment machte ihn seine eigene Einsamkeit traurig. Es war ihm unangenehm, den Leuten in ihrer Offenheit und Geselligkeit zuzusehen. Er begnügte sich schon seit langem mit sich selbst. Schließlich stand er von der Theke auf und setzte sich an einen Ecktisch. Er beobachtete die lachenden Frauen und hasste sie im Stillen. Jeder, den man zu nah an sich heranließ, konnte einem den Hals durchschneiden, wenn man nicht aufpasste.
Lindsay zum Beispiel. Irgendwann hatte sie genug von ihm gehabt und war einfach weggelaufen, nach allem, was er für sie getan hatte. Schlimmes Mädchen. Nein, Freunde machten nur Ärger.
»Alles in Ordnung, Sir?« Der große dunkelhäutige Mann im Anzug stand an seinem Tisch. Er hatte einen leicht singenden Tonfall, als würde er aus Haiti kommen.
Braun zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Ja, alles okay.«
»Mir ist nur aufgefallen, dass Sie Ihr Bier nicht trinken. Ist etwas nicht in Ordnung damit?«
Furchtbar aufmerksam für einen Bar-Manager, dachte er. »Doch, es ist in Ordnung. Danke. Ich war nur in Gedanken.«
»Darf ich Ihnen etwas anderes bringen, Sir?«
»Äh, vielleicht etwas zu essen. Haben Sie eine Speisekarte?«
»Natürlich, einen Moment.« Der große Kerl lächelte und ging weg, um die Karte zu holen.
Braun wartete. Er war zwar nicht hungrig, aber Essen war eine gute Tarnung. Er ließ die Tür nicht aus den Augen.