18
»Und das habt ihr einfach so geschluckt?« Van Appeldorn tobte. »Keiner hat dieser Pute klar gemacht, daß sie einen an der Klatsche hat? Das gibt’s doch wohl nicht!«
»Was können wir denn machen, wenn sie uns mit Dienstanweisungen kommt?« wehrte Astrid sich.
»Du!« schnauzte er. »Du bist doch sowieso …«
Astrid sprang auf. »Vorsicht! Sag jetzt bloß nichts Falsches.«
Heinrichs raufte sich die Haare. »Klasse! Genau das brauchen wir jetzt. Daß wir uns auch noch gegenseitig an die Köpfe kriegen. Als wäre nicht schon alles schlimm genug.«
Aber van Appeldorn konnte sich noch nicht beruhigen. »Von wegen Leitung übernehmen. Ich? Ich denk’ ja nicht dran. Die wird schon sehen!«
Als keine Reaktion kam, sagte er auch nichts mehr, saß nur da und mahlte mit den Kiefern.
»So«, meinte Heinrichs schließlich. »Hast du dich jetzt wieder abgeregt? Natürlich übernimmst du die Leitung. Ist doch völlig schnuppe, wer seinen Namen dafür hergibt. Hauptsache, wir ziehen alle an einem Strang. Und jetzt sag uns, was eigentlich los ist.«
»Ach, alles Mist! Günther freut sich wie ein Schneekönig. Der hat im Pfannkuchenhaus alle Papiere gefunden, die er gesucht hat. Aber ich bin kein Stück weitergekommen. Dabei hab ich mir die halbe Nacht mit diesen Gangstern um die Ohren geschlagen. Für alle drei Attentate hatten die Herren Alibis, und überhaupt, die würden sich mit so was gar nicht die Finger schmutzig machen. Wir sind raus aus dem Spiel, Freunde.«
»Was soll das denn heißen?« fragte Astrid.
»Ich komme gerade von Günther und Stein, deshalb bin ich auch so spät. Diese Blini-Kette ist ein einziger großer Laden, bundesweit gestreut, zentral organisiert, und natürlich haben die ihre eigenen Schlägertrupps, Profis, davon kann man wohl ausgehen. Ist ja wohl klar, was das bedeutet.«
»Wir könnten uns mit den Grevenbroichern zusammensetzen und deren Attentate mit unseren im einzelnen vergleichen. Ich meine, wenn das dieselben Typen sind.« sagte Heinrichs trotzig.
»Wir können gar nichts. Die Sache ist schon ans BKA gegangen, an die große Soko für organisiertes Verbrechen. Günther sagt, die hätten längst V-Leute eingeschleust.«
»Wenn wir der Chefin glauben, müssen wir uns ja keine Sorgen mehr machen, oder sehe ich das falsch?« meinte Astrid spitz. »Der Russenmafia in Kleve ist das Handwerk gelegt, und damit muß es mit den Attentaten auch vorbei sein. Was ist mit dem Postraub und den Anschlägen auf Helmut? Hast du das auch überprüft?«
Van Appeldorn verkniff sich eine ironische Erwiderung. »Hab ich, hab ich. Genauso ein Schuß in den Ofen. Ich vermute, die betreiben hier nur ihren Laden und geben einen Bericht an die Zentrale, wenn es Probleme vor Ort gibt, mit anderen Unternehmern zum Beispiel. Den Rest erledigt dann der ›Große Bruderc. Unsere zwei Geschäftsführer können sich nicht verplappern, weil sie gar nichts wissen.«
Der Verbandwechsel war nicht so schlimm gewesen. Die Ambulanzschwester hatte Toppe einen Packen großer Pflaster mitgegeben, weil er die Wunden ab jetzt allein versorgen konnte. Erst zum Fädenziehen in einer Woche wollten sie ihn im Krankenhaus wiedersehen. Aber baden durfte er nicht, und das wurmte ihn; gerade heute hätte er sich gern für zwei Stunden in die heiße Wanne gelegt und die Welt ausgesperrt.
Kochen war auch immer eine gute Ablenkung, also hielt er auf dem Heimweg kurzerhand am Marktplatz an und kaufte eine Kiste Gemüse für eine Minestrone.
Sein Stammhändler war nicht so diskret wie die Kollegen. »Sie laufen so komisch. Haben Sie ’nen wunden Popo?«
»So was ähnliches«, antwortete Toppe so freundlich wie möglich.
»Ach, ich verstehe«, dröhnte der Gemüsehändler und zog ihn dann verschwörerisch zur Seite. »Hab ich alles schon hinter mir. Meine Frau wollte auch keine Blagen mehr. Ist ja doch schmerzhaft. Und passen Sie bloß auf! Ich bin damals zu früh rumgelaufen, und ich hab vielleicht einen Bluterguß gekriegt. Frag mich nicht nach Sonnenschein! Klöten, so groß wie ’n Handball. Legen Sie sich besser hin, und dann tun Sie ’n Eisbeutel drauf. Das hilft.«
Toppe nickte nur zu all dem und packte sich die Gemüsekiste unter den Arm. Das waren ja goldige Aussichten. Am besten machte er sofort einen Termin beim Urologen, dann war das mit den Schmerzen wenigstens ein Aufwasch.
Das Haus war leer und still; auch Oliver würde nicht vor drei Uhr aus der Schule kommen.
Er stellte das Gemüse auf dem Küchentisch ab und ging zum Telefon, bevor er es sich noch einmal anders überlegen konnte. Der Urologe gab ihm einen Termin für Anfang Juni, aber zu einem Beratungsgespräch sollte er schon nächste Woche kommen.
Das Geräusch an der Haustür ging ihm durch Mark und Bein.
Er zog seine Pistole und schlich lauschend zum Fenster. Dicht gegen die Wand gepreßt, lugte er vorsichtig am Rahmen vorbei. Der Postbote radelte pfeifend vom Hof.
Toppe starrte auf die Waffe in seiner Hand und konnte es selbst nicht glauben. Was hatte er zu Astrid gesagt? Es hätte keinen Sinn, sich verrückt zu machen?
Aber Meinhards Anweisung war wirklich zu idiotisch. Im Präsidium wäre er wesentlich besser aufgehoben.
Wenn ihm jemand ans Leder wollte, dann war das verlassene Gehöft, auf dem er die halbe Zeit mutterseelenallein rumhockte, der ideale Ort dafür. Selbst wenn man hier auf ihn schoß, würden die Nachbarn das vermutlich nicht hören. Und verbarrikadieren konnte er sich auch nicht; es gab zu viele Luken und einfache Holztüren an der Tenne und an den Ställen.
Die Frauen hatten immer schon einen Hund haben wollen.
»Hör auf zu spinnen, Toppe«, sagte er laut, ging in die Küche, legte die Pistole auf den Schrank, holte sich eine Flasche Rotwein aus der Kammer und machte sich ans Gemüseputzen.
Aber er traute sich nicht, das Radio anzustellen. Sein Abendessen wurde ein voller Erfolg. Die Minestrone war sehr gut, das krosse Knoblauchbrot mit Olivenöl und frischen Tomatenwürfeln noch besser, und der Wein war sowieso ein Gedicht.
Astrid hatte sich besonders gefreut, denn eigentlich wäre sie für das Abendbrot verantwortlich gewesen, und sie war erst spät gekommen. Nach der Flaute auf der Arbeit hatte sie sich zu einem Pflichtbesuch bei ihren Eltern durchgerungen.
Das gute Essen und Toppes verliebte Blicke ließen sie übermütig werden. Sie machte sich lustig über ihre snobistischen Eltern und imitierte ihren Vater: »Mein Kind, ein, zwei Intensivlehrgänge, und du hast die Sache im Griff. Du bist doch intelligent. Und dann wäre ich ja für den Anfang auch noch da.«
Gabi lachte. »Hofft er tatsächlich immer noch darauf, daß du die Firma übernimmst?"
»Der wird bis zum letzten Atemzug darauf hoffen.« Toppe schüttete allen noch mal Wein nach, sogar Oliver gestand er einen zweiten Schluck zu. »Und es reizt dich immer noch nicht? Du wärst von heute auf morgen Millionärin, eine gute Partie, sozusagen.«
Sie grinste herausfordernd. »Das bin ich sowieso. Geld macht mich nicht an, daran bin ich gewöhnt. Du weißt doch: der goldene Löffel, den Norbert so gern zitiert. Aber du solltest dir Gedanken machen. Mein Vater bemerkte heute ganz beiläufig, daß ein Kripobeamter im gehobenen Dienst doch eigentlich eine ganze Menge von Verwaltungsarbeit und dergleichen verstehen müßte. Warte mal ab, der bietet dir noch einen Vorstandsposten an.«
Toppe knüllte seine Serviette zusammen. »Da schau her, finde ich doch so langsam Gnade. Der soll bloß vorsichtig sein, ich könnte in Versuchung kommen.«
»Jetzt hört mal auf zu labern«, unterbrach Oliver sie mit kippeliger Bruchstimme. »Ich hab ein geiles Video. Will einer mitgucken?«
Toppe fing an, gelangweilt die Teller zusammenzustapeln.
»Trainspotting!«
»Super«, rief Astrid. »Den wollte ich die ganze Zeit schon sehen. Gib mir fünf Minuten, ich will nur noch eben eine Partie Jeans in die Maschine stopfen.«
»Keine Eile, ich muß sowieso spülen. Aber du bist mit Abtrocknen dran, Mama.«
Toppe folgte Astrid in die Waschküche. Er packte sie von hinten um die Taille, preßte ihren Po hart gegen seinen Unterleib und küßte sie gierig auf den Hals. »Ich will dich.«
Sie drehte sich um und hielt sich an seinen Schultern fest. »Kann es sein, daß du ein bißchen zuviel Wein hattest?«
»Oder zuwenig, wie man’s nimmt«, raunte er und umfaßte ihre Brüste. »Ich will dich jetzt.«
Astrid warf einen Blick auf die offene Tür zur Küche, wo sich Gabi und Oliver stritten. »Ich dachte, du wärst indisponiert …«
Seine Augen leuchteten. »Schrecklich indisponiert, fühl mal.« Er führte ihre Hand.
»Du bist ein Lustmolch, Toppe«, flüsterte sie und öffnete mit der freien Hand die Tür zur Tenne. »Gott sei Dank bist du ein Lustmolch.« Dann zog sie ihn mit ins Dunkle.
Auf das Video hatte er allerdings überhaupt keine Lust, und so nahm er sich dann sein Glas und den restlichen Rotwein mit in sein Zimmer, zog Tucholskys Schloß Gripsholm aus dem Regal und legte sich ins Bett.
Das Telefon riß ihn aus guten Gefühlen. Automatisch sah er auf die Uhr: zehn vor elf.
Es war Ackermann: »Kacke! Sie lagen doch schonn inne Heia. Hätt’ ich nich’ gedacht.«
»Nein, ich war noch wach.« Toppes Zunge verhielt sich höchst ungehorsam.
Ackermann kicherte. »Dann haben Se aber eindeutig einen im Tee, Chef. Find’ ich Klasse, hätt’ ich au’ so gemacht. Wat ich sagen wollt’: Ich hab mir die Hacken abgelaufen un’ Fusseln annen Mund gequatscht, aber nee, beim besten Willen, Glöckner hatte mit de Unternehmermafia nich’ die Bohne zu tun.«
»Ackermann, ich bin aus dem Rennen. Hat Ihnen das keiner gesagt?«
»Hat man, un’ wie man dat hat! Aber wissen Se wat? Wem ich wat sach, dat entscheid’ immer no’ ich. Un’ meine Chefs habbich mir schonn immer selbs’ ausgesucht. Alles klar? So, un’ jetz’ tüddeln Se sich no’ einen. Ich meld’ mich wieder.«
In aller Herrgottsfrühe wachte Toppe auf. Sein Mund war ausgedörrt, aber er hatte keine Kopfschmerzen. Eine Stimme hatte ihn geweckt, nein, es waren zwei Stimmen gewesen.
»Ganz ruhig«, flüsterte er und zwang sich liegenzubleiben. Er horchte, aber alles blieb still.
Eine Flasche Wasser jetzt, das wäre gut.
Auf dem Weg zur Küche waren die Stimmen auf einmal wieder da, die Sätze in seinem Kopf: der Pastor von Bimmen: ›Haben Sie das denn nicht in der Zeitung gelesen?‹ Und dann Ackermann: ›… habbich schonn gedacht, wie ich dat am Freitach inne Zeitung gelesen hab’.‹
Toppe knipste die Küchenlampe an, holte Mineralwasser aus dem Kühlschrank, setzte sich an den Tisch und nickte zufrieden. Morgen würde er hier nicht auf dem Präsentierteller sitzen. Es gab einiges zu tun.