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Ordnungskraft bei der Eröffnung der Rhein-Maas-Ausstellung, na, das war vielleicht eine Herausforderung!

Schumacher und Schuster, die beiden jungen Polizisten aus Düsseldorf, standen sich die Beine in den Bauch.

»Eine Messe soll das sein!« mopperte der blonde Schuster. »Die sollten mal nach Düsseldorf kommen, dann könnten die sich angucken, was eine richtige Messe ist.«

»Genau«, stimmte Schumacher bereitwillig zu. »Und für so ein Zeltlager machen die auch noch Werbung. Typisch für dieses Kaff.«

»Hast du Heimweh?« wollte Schuster wissen.

»Manchmal schon.« Schumacher betrachtete melancholisch seine blankgewichsten Schuhspitzen. »Hier ist doch wirklich der Hund begraben. Um sieben Uhr klappen die alle Bürgersteige hoch, und man kann sehen, wie man sich den Abend um die Ohren schlägt.«

»Jetzt übertreibst du aber, Peter«, lachte Schuster.

»Ich übertreibe? Du kannst doch gar nicht mitreden. Du hast schließlich eine feste Freundin.«

»Das ist wohl wahr«, freute sich Schuster. »Und nächsten Monat zieht Claudia zu mir. Die hat nämlich eine Stelle hier im Kaufhof gekriegt.«

»Da hast du’s! Und bei mir ist tote Hose, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Oder glaubst du etwa, ich lasse mich mit einem Bauerntrampel ein? Guck dir doch mal an, wie diese Landeier schon angezogen sind!« Schumacher schüttelte sich.

»Großer Gott«, stöhnte Schuster. »Kann sich nicht wenigstens der Bürgermeister kürzer fassen? Ich frage mich sowieso, warum wir uns hier beim Rednerpult postieren sollten. Glauben die denn, daß die honorigen Gäste eine Prügelei anfangen?«

Schumacher unterdrückte ein Kichern. »Vielleicht stellen wir ja den Personenschutz für den Ministerialrat dar.«

»Phh«, grummelte Schuster, »ist doch eh nur der Stellvertreter.«

»Woher weißt du das denn schon wieder?« staunte Schumacher.

»Das haben die doch gerade gesagt. Es steht auch ein ganz anderer im Programmheft.« Schuster deutete versteckt auf die Faltblätter, die auf jedem leergebliebenen Sitzplatz lagen.

Schumacher wippte auf den Fußspitzen. »Nach dem Bürgermeister dürfte ja wohl Schluß sein.«

»Irrtum! Dann kommt noch eine Ehrung.«

»Ehrung? Was denn für eine Ehrung?«

»Jetzt steh endlich still«, zischte Schuster. »Wie sieht das denn aus, wenn du so rumhampelst?«

Schumacher nahm die Hacken zusammen.

»Da kriegt einer einen Umweltpreis verliehen«, erklärte Schuster leise. »Birkenhauer heißt der, meine ich. Das ist der Fette da vorne, der jetzt noch mal für kleine Männer geht. Der macht sich sonst vor lauter Aufregung in die Hosen.«

Schumacher unterdrückte ein Lachen. »Der hat seinen Kommunionsanzug an.«

Der Hüne, der sich gerade so auffallend unauffällig zum Klo schlich, war tatsächlich ein wenig zu massig für seinen Anzug.

Schumacher und Schuster langweilten sich weiter. In den ersten fünf Minuten waren sie damit vielleicht noch alleine, aber dann befanden sie sich in durchaus respektabler Gesellschaft: der Stadtdirektor, der Ministerialratstellvertreter, der Bürgermeister nebst Gattin – sie alle drehten Däumchen.

Wo blieb der Ehrengast?

Nur einer langweilte sich nicht. Dem Kulturdezernenten, oder was immer der verantwortliche Herr am Pult sein mochte, lief der Schweiß übers wächserne Gesicht.

Was für eine peinliche Panne! Dabei war doch alles so gut gelaufen bisher. Noch einmal sortierte er seine Zettel und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Das aber bereute er schon einen Augenblick später.

Mit lautem Krachen schlug die Klotür gegen die Wand, und johlend torkelte ein Randalierer in den Saal. Sein Schädel war bis auf einen leuchtrosa Irokesenbürzel kahlgeschoren, um die Kehle war wie ein Hundehalsband ein brauner Klebestreifen gewickelt, an den Füßen schlackerte die feine blaue Hose und am schrumpeligen Penis prangte feuerrot eine dicke Seidenschleife. Die Augen trieften blutunterlaufen.

Lähmende Stille stand im Saal, keiner rührte sich.

Birkenhauer taumelte, verfing sich in seiner Hose und landete klatschend auf dem nackten Hintern. »Ihr Säcke!« brüllte er und fuchtelte wild mit den Armen. »Verdammte Sausäcke!«

Jetzt kam Leben in die Bude. Blitzlichter zuckten, Frauen kreischten, Männer stießen Befehle aus, ein Stuhl kippte um. Der Stadtdirektor stürmte vor und winkte wütend den beiden Polizisten, aber die hatten sich längst in Bewegung gesetzt. Sie packten den Hilflosen bei den Armen und zogen ihn mit einem geschmeidigen, oft geübten Schwung auf die Füße.

»Igitt«, knurrte Schumacher, »der stinkt ja wie ein ganzer Schnapsladen.«

»Ziehen Sie dem Mann endlich die Hose hoch«, flüsterte der Stadtdirektor streng.

Birkenhauer wehrte sich, versuchte Tritte zu landen, doch die Polizisten drehten ihm die Arme nach hinten. Nur ein kleines bißchen, aber das reichte schon.

»Na, dann wollen wir mal«, meinte Schuster munter. »Bißchen viel getankt, Junge, ne? Macht nichts, wir haben ein schönes Bett für dich.«

Birkenhauer glotzte.

»Ich weiß nicht«, betrachtete Schumacher ihn besorgt.

»Soll nicht lieber erst mal ein Arzt draufgucken? Sonst nippelt der uns nachher noch ab.«

»Da könntest du recht haben. Aber los, bringen wir den erst mal nach draußen.«

Toppe entdeckte den kleinen Artikel auf der dritten Seite nur, weil heute Samstag war, der einzige Tag in der Woche, an dem er dazu kam, die Zeitung gründlich zu lesen.

Peinlicher Zwischenfall bei Eröffnung, das Portraitfoto eines augenscheinlich betrunkenen Mannes mit verrückter Frisur.

»Guck mal, Astrid«, reichte er die Seite über den Frühstückstisch. »Ist das nicht einer von unseren Schwarzarbeiterbossen?«

Astrid leckte sich die Marmelade von Daumen und Zeigefinger und las.

»Klein ist die Welt«, lachte sie. »Hans Birkenhauer, doch, der steht auf unserer Liste. Sind die vom Kreis noch ganz gescheit? Wie können die so einem den Umweltpreis geben? Die müßten doch auch wissen, daß der ganze Kiesund Sandabbau unseren Grundwasserspiegel absinken läßt.«

»Das auch«, stimmte Toppe zu. »Aber wie kann man überhaupt einen Preis für die Rekultivierung einer Kiesgrube verleihen? So weit ich weiß, müssen die Unternehmer sich sowieso dazu verpflichten, sonst erteilen die Gemeinden überhaupt keine Genehmigung zum Abbau.«

»Wer weiß, was da wieder für eine Kungelei im Gange ist. Aber nach dem Skandal hier kann der gute Herr Birkenhauer seine schöne Ehrung wohl vergessen.«

Nicht alle Zeitungen waren so diskret wie das Lokalblatt. Am Montag morgen machte immer noch die Samstagsausgabe der Bild die Runde im Präsidium. Birkenhauers Entgleisung als Aufmacher. Auf der Titelseite kein gnädiges Portrait, sondern der Mann in voller Lebensgröße mit heruntergelassenen Hosen und Seidenschleife.

Toppe beteiligte sich nicht an der allgemeinen Hetze. Er warf nur einen angewiderten Blick auf das Geschmiere und ging nach oben zu seinem Büro.

Schon auf dem Flur hörte er das Telefon klingeln, aber er ließ sich Zeit, schloß in aller Ruhe die Tür auf, hängte die Jacke in den Schrank, schaltete sein Terminal ein, dann erst nahm er den Hörer ab. Es war die Chefin.

»Herr Toppe, ich habe hier bei mir einen Herrn Birkenhauer, der eine Anzeige erstatten möchte.«

Toppe hielt einen Moment verblüfft die Luft an. Birkenhauer? »Eine Anzeige bei mir?« wunderte er sich.

»Die Kollegen von der Wache haben die Situation sofort richtig eingeschätzt und den Herrn ans K 1 verwiesen.«

Die Kollegen von der Wache hatten sich vermutlich vor Lachen in die Hosen gepinkelt, als Birkenhauer bei ihnen aufgetaucht war.

»Darf ich den Herrn jetzt zu Ihnen schicken?«

»Ja«, antwortete Toppe, immer noch verwirrt. »Ja, natürlich.«

Meinhards Ton hatte ihm gar nichts verraten.

Birkenhauer hatte einen breitkrempigen Filzhut auf dem blanken Schädel und eine grüne Plastiktüte in der Hand. »Bei Ihnen muß ich mich ja sicher auch nicht vorstellen«, war seine ganze Begrüßung.

»Guten Morgen, Herr Birkenhauer. Mein Name ist Toppe. Bitte nehmen Sie Platz.«

Der Mann war nicht zerknirscht, er war sehr wütend. Heftig riß er sich den Hut vom Kopf. »Damit wir’s hinter uns haben!«

Der Irokesenkamm war jetzt abrasiert, aber das Färbemittel hatte auf der Kopfhaut einen breiten, rosa leuchtenden Streifen hinterlassen.

»Na los, lachen Sie schon!«

»Warum soll ich lachen?« meinte Toppe achselzuckend. »Ich finde es nicht komisch.«

»Da sind Sie bestimmt der einzige in der ganzen Stadt.«

Endlich setzte Birkenhauer sich auf die Stuhlkante. Die Tüte bettete er vorsichtig in seinen Schoß.

»Ich erstatte Anzeige wegen Körperverletzung und Rufmord.«

»Gegen wen?«

»Gegen Unbekannt. Ich bin überfallen worden.«

»Am Freitag?«

»Ja, auf der Toilette im Festzelt. Jemand hat mich mit Schnaps abgefüllt. Ich kann beweisen, daß ich den ganzen Morgen nichts getrunken habe. Zig Zeugen bringe ich Ihnen dafür.«

»Sie sind also überfallen worden. Wieviele Leute waren es?«

Birkenhauer druckste. »Weiß ich nicht, kann ich nicht sagen. Bemerkt habe ich nur einen.«

Toppes Blick umfing Birkenhauers ganze Gestalt und verweilte lange auf den kräftigen Händen.

»Helmut?« ging die Tür auf. »Wenn du nicht …« Van Appeldorn stutzte verblüfft, dann grinste er. »Ach, der Herr Birkenhauer! Wie nett, Sie schon so bald wiederzusehen.«

»Die Freude ist ausschließlich auf Ihrer Seite. Arbeitet der Mann bei Ihnen?« Er sah Toppe giftig an.

Der nickte nur. Natürlich, Norbert hatte ja die vier Unternehmer befragt.

»Dann glauben Sie wohl auch, daß ich schmutzige Geschäfte mache?«

»Ich glaube gar nichts. Ich bearbeite einen Raubüberfall, bei dem jemand zu Tode gekommen ist.« Dann wandte sich Toppe an van Appeldorn: »Wo brennt’s denn?«

»Laß mal«, winkte der ab. »Das hat noch eine halbe Stunde Zeit. Ich warte auf dich im Büro. Bis bald, der Herr.«

Hans Birkenhauer sah noch wütender aus. »Dann schildern Sie mal, was Ihnen passiert ist«, forderte Toppe ihn auf, nachdem van Appeldorn wieder draußen war.

»Da ist nicht viel zu schildern. Ich bin auf die Toilette gegangen …«

»War außer Ihnen noch jemand im Toilettenraum?«

»Muß ja wohl, aber ich habe niemanden gesehen oder gehört. Ich stehe am Pissoir, und auf einmal packt mich einer von hinten um den Hals. Ich kann mich gar nicht mehr umdrehen, da habe ich schon so einen Lappen vor der Nase, der widerlich süß stinkt. Und von da an weiß ich nichts mehr. Ich bin erst im Krankenhaus wieder zu mir gekommen, in der Nacht darauf. Da will mich einer fertigmachen, verstehen Sie? Kaltstellen, abschießen, meine Existenz ruinieren!«

Aber Toppe schüttelte den Kopf. »Wer sollte denn wohl ahnen können, daß und wann Sie zur Toilette gehen?«

Birkenhauer sah betreten zu Boden. »Ich bin angerufen worden.«

Toppe übte sich in Geduld.

»Am Donnerstag abend habe ich einen Anruf bekommen, von einem Mann. Er sagte, ich sollte um Punkt halb zwölf auf die Toilette gehen, sonst würde es bei der Preisverleihung eine böse Überraschung geben. Das habe ich gemacht, aber da war kein Mensch. Und. und ich mußte dann tatsächlich.«

»Ein Mann hat Sie also angerufen. Die Stimme haben Sie nicht erkannt?«

»Nein, der sprach komisch, so nuschelig, als ob er das extra macht, oder vielleicht war der Ausländer.«

»Was sagte er genau? Wissen Sie den Wortlaut noch?«

»Nein, das ging alles so schnell, war auch nur ganz kurz. Aber er hat mich geduzt.«

»Haben Sie jemandem von dem Anruf erzählt?«

»Nein, wo werd’ ich denn! Das hätte doch alles nur ein Scherz sein können. Wie hätte ich denn dagestanden?«

Toppe ließ sich Zeit. Eine ziemlich abenteuerliche Geschichte. Von einem, dem an seinem guten Ruf sehr viel lag.

»Haben Sie die rote Schleife noch?«

Birkenhauer öffnete die Plastiktüte. »Ja, Gott sei Dank habe ich die mitgenommen. Und das Klebeband auch.«

»Welches Klebeband?«

»Hier, das hatte mir der Verbrecher um den Hals geklebt. Braunes Isolierband.«