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Wenn Toppe geglaubt hatte, er würde wenigstens am Samstag abend Ruhe und Frieden finden, dann hatte er sich gründlich getäuscht.

Astrid kam nur kurz mit ins Haus, um ihren Wintermantel und einen Schal zu holen. »Ich gehe ein Stück spazieren. Wartet nicht mit dem Essen auf mich.«

Toppe hielt sie zurück. »Du bist beleidigt.« Schon auf dem Heimweg hatte sie kaum ein Wort gesagt.

»Nein, beleidigt bin ich nicht. Ich fühle mich nur ziemlich allein gelassen. Aber eigentlich ist das so neu ja auch nicht.«

Gabi war heute mit dem Kochen an der Reihe gewesen, und es gab Pflaumenkompott mit Milchreis, den Toppe schon als Kind verabscheut hatte. Seine beiden Söhne allerdings konnten gar nicht genug davon kriegen.

»Willst du lieber ein Brot?« fragte Gabi.

»Nein danke, ein paar Pflaumen reichen mir. Ich habe heute zu mittag gegessen. Und?« fragte er seinen Ältesten. »Wie schmeckt der Zivildienst?«

Christian grinste. »Man darf’s ja nicht laut sagen, aber mir macht es sogar Spaß.«

Er war im Altenheim in der Burg Ranzow, wo er auch schon vorher freiwillig gearbeitet hatte. »Ich komme einfach gut klar mit alten Leuten. Am liebsten würde ich das zu meinem Beruf machen, aber wo ich das Abi nun doch noch gepackt habe, sollte ich vielleicht lieber studieren.«

Oliver schaufelte sich zum dritten Mal den Teller voll. »Kann Steffi heute bei mir pennen?«

»Wie meinst du das?« Toppe mußte sich verhört haben. »In deinem Zimmer?«

»Logo«, brachte Oliver mühsam zwischen zwei Bissen hervor.

»Ach, Oliver, ich finde.« begann Gabi, aber Toppe unterbrach sie: »Nein.«

»Was soll das denn heißen: nein?« empörte sich Oliver.

»Nein heißt nein – das ist doch nicht so schwierig.«

»Wie unfair!« schrie Oliver sofort los. »Clara darf schließlich auch hier schlafen.«

»Clara«, antwortete Gabi ruhig, »studiert und wohnt in Köln. Ein Besuch bei uns lohnt sich nur, wenn sie hier übernachten kann. Außerdem ist Clara Gast unserer ganzen Familie.«

»Ach ja? Ach ja? Das wüßte ich aber!«

»Besser, du achtest auf deinen Ton, Oliver«, meinte Toppe, »sonst rappelt’s gleich.«

Christian schüttelte den Kopf. »Clara schläft im Gästezimmer, das weißt du genau.«

»Was du nicht sagst. Etwa immer?«

»Es reicht mir, Kleiner. Ich hab nichts mit Clara.«

»Aber nur, weil sie dich nicht ranläßt, deshalb.«

Toppe packte Oliver um den Nacken und schüttelte ihn.

»Entschuldige, Papa, ist mir nur so rausgerutscht.«

Aber Christian platzte der Kragen. »Spiel dich doch nicht so auf, Olli. Was weißt du schon davon?«

»Mehr als du auf jeden Fall, du impoten … du … du Unschuldslamm.«

»Und was weißt du davon?« fragte Gabi.

Oliver versuchte seine Röte hinter einem Hustenanfall zu verbergen. »Hab was in den falschen Hals gekriegt. Was hast du gefragt? Ach so, nein Quatsch, da läuft überhaupt nichts mit Steffi und mir. Die ist nicht mein Typ. Wir stehen nicht aufeinander, wenn ihr wißt, was das heißt.«

»Das will ich auch hoffen«, wollte Gabi das Thema beenden.

»Du kennst mich doch, Mami. Kannst dich auf mich verlassen. Und deswegen meine ich ja auch, ob die Steffi nicht bei mir pennen kann. Bens Eltern zum Beispiel …«

»Nein«, sagte Toppe.

Oliver sprang so hastig auf, daß sein Stuhl umkippte. »Ihr seid gemein. Blöde, abgewichste Spießer, schlimmer als im Mittelalter.«

Damit stürmte er aus der Küche die Treppe hinauf in sein Zimmer.

Toppe ließ sich weder von Gabi noch von Christian zurückhalten.

Oliver hatte sich eingeschlossen.

»Mach die Tür auf!«

»Hau ab!«

»Ich warne dich nur einmal. Mach sofort die Tür auf.«

Oliver schloß auf, schmiß sich, vor Wut heulend, bäuchlings aufs Bett und schlug mit geballten Fäusten auf sein Kopfkissen ein.

Toppe blieb neben ihm stehen. »Wie verhütet ihr?«

Oliver lag unvermittelt still. »Was?« klang es erstickt. aus dem Kissen.

»Hör auf mit dem Mist. Diese Unschuldsmasche kauft dir vielleicht deine Mutter ab, was ich noch bezweifle, ich auf jeden Fall nicht. Also, wie verhütet ihr?«

»Das letzte Mal mit Gummi.«

»Und die Male davor?«

»Ist ja nichts passiert.«

Toppe erstarrte. »Ich hab mich doch wohl verhört. Das kann doch nicht wahr sein!«

»Scheiße«, schrie Oliver. »Was verstehst du denn davon?«

Toppe sah ihn an, bis Oliver den Blick senkte.

»Wie alt ist Stefanie eigentlich?«

»Sie wird fünfzehn.«

Toppe stöhnte; es wurde immer besser. »Sie ist also erst vierzehn.«

»Stop«, rief Oliver, »bevor du jetzt total abdrehst. Das ist heute ein bißchen anders als früher.«

»Wissen Stefanies Eltern davon?«

»Natürlich.« Oliver setzte sich herausfordernd auf. »Gestern war ihre Mutter mit ihr beim Frauenarzt. Steffi kriegt jetzt die Pille.«

»Hoffentlich reicht ihr Verstand wenigstens so weit, daß sie sie jeden Tag nimmt.«

Er fand Gabi in ihrem Wohnzimmer. Sie goß ihm eine Tasse Kaffee ein, und er setzte sich neben sie aufs Sofa.

»Du brauchst nichts zu sagen. Ihr wart so laut, daß ich jedes Wort hören konnte.«

Er wollte auch gar nicht reden.

»Helmut«, begann sie, nachdem sie eine Weile nur so dagesessen hatten, »wenn die sowieso miteinander schlafen, meinst du nicht, sie könnten dann besser hier.«

»Nein, ganz im Gegenteil.«

»Wieso? Findest du es etwa gut, wenn sie sich in irgendwelchen Ecken rumdrücken, immer auf der Hut, immer mit Angst?«

»Ja, das finde ich sogar sehr gut. Das gehört dazu. Glaub mir, es ist einfach nicht gesund, wenn ein sechzehnjähriger Junge und ein vierzehnjähriges Mädchen regelmäßig Sex haben, womöglich noch elterlich abgesegnet, jeden Samstag, wie ein altes Ehepaar.«

»Daß die erst vierzehn ist, habe ich gar nicht gewußt.«

»Und wenn sie fünfzehn wäre!« wurde Toppe wieder laut.

Gabi nahm seine Hand. »Jetzt komm doch mal wieder runter von deiner Palme. Ich weiß ja, was du meinst. In dem Alter soll es außergewöhnlich bleiben, spannend und heimlich und auch verboten.«

»Was es im übrigen auch ist«, murmelte Toppe müde und rieb sich das Kreuz.

»Hast du wieder Rückenschmerzen?«

»Ein bißchen.«

»Was ist eigentlich mit dir in letzter Zeit? Du bist so bedrückt, und ständig tut dir der Rücken weh.«

»Ach.« Er streckte sich, legte die Füße übereinander und verschränkte die Hände im Nacken. »Die Arbeit macht mir einfach keinen Spaß mehr, nervt nur noch, seitdem alles umgekrempelt worden ist. Die ballern uns zu mit Binsenweisheiten, die groß aufgebläht daherkommen; alles nur Worthülsen. Soviel verschwendete Zeit und vergeudete Energie. Mit dem Job, den ich wirklich immer gern gemacht hab, hat das alles nichts mehr zu tun. Und die ganze Zeit macht man mir klar, daß ich falsch liege, nicht die, verstehst du? Ich passe da nicht rein, ich bin das nicht und will das auch gar nicht sein. Es gibt Tage, da mag ich überhaupt nicht mehr hingehen.«

»Was sagen denn die anderen? Wie ist das bei denen?«

»Ich weiß es nicht. Wir reden nicht darüber. Wir reden eigentlich kaum noch miteinander. Wann denn auch? Jeden Tag fegt ein neuer Taifun über uns hinweg.«

»Und was ist mit Astrid los?«

»Das ist wieder eine andere Geschichte.« Er erzählte ihr von Meinhards Angebot.

»Mensch, das ist doch ganz toll«, meinte Gabi, dachte dann aber nach. »Ach verstehe, damit ist euer altes Problem wieder auf den Tisch gekommen, stimmt’s?«

»Du sagst es«, antwortete Toppe mit geschlossenen Augen.

»Du bist nie besonders fair zu Astrid gewesen, weißt du das?«

»Oh, vielen Dank, das hab ich heute schon mal gehört.«

»Wenn du mit einer so jungen Frau zusammen sein willst, mußt du damit rechnen, daß sie Kinder will. Das habe ich dir damals schon gesagt. Und ich finde, du hast dich darauf einzulassen.«

»Es war keine bewußte Entscheidung«, sagte er leise.

»Verstehe ich nicht.«

»Es war damals keine bewußte Entscheidung bei der Sache mit Astrid.«

»Ja«, sagte sie scharf. »Das genau war schon immer dein Problem: Entscheidungen zu treffen.«

Er machte die Augen auf. »Stimmt, da hast du recht, aber warum bist du auf einmal so sauer auf mich?«

Sie senkte den Blick. »Ich habe bei unserer Trennung ein paar mehr Federn gelassen als du, erinnerst du dich?«

Toppe legte den Arm um sie, zog ihren Kopf an seine Brust und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. »Ich weiß. Heute ist es übrigens eine bewußte Entscheidung.«

»Was?« Sie hob den Kopf.

»Ich will mit Astrid zusammenbleiben. Und wenn für sie unbedingt ein Kind dazu gehört, dann muß es eben sein.«

»Hast du ihr das so gesagt?«

»So ungefähr, ja.«

»Bin ich froh, daß ich nicht in ihrer Haut stecke.« Gabi setzte sich wieder auf.

»Hör mal«, meinte Toppe. »So etwas habe ich bisher noch nie gesagt, nicht sagen können.«

»Glückwunsch! Vielleicht verleiht sie dir ja dafür einen Orden.« Sie horchte plötzlich auf. »Du, ich glaube, dein Telefon unten schellt.«

Toppe stemmte sich hoch. »Verdammt! Es ist das Präsidium, das hör’ ich schon am Klingeln.«

Und es war das Präsidium: Ein Streifenwagen hatte den als gestohlen gemeldeten Ford Escort auf dem Aldiparkplatz an der Querallee entdeckt.

»Gabi?« rief Toppe nach oben.

»Ja?« Sie kam an die Treppe gelaufen.

»Ich kann Astrid nicht erreichen, sie hat wohl ihren Piepser nicht eingeschaltet. Wenn sie zurück ist, soll sie zum Präsidium nachkommen. Sag ihr, der Wagen ist gefunden worden, auf dem Aldiparkplatz.«

»Ja, mach ich. Ist es denn so wichtig, daß ihr beide hin müßt?«

»Kaum«, meinte Toppe und schlüpfte in seine Jacke, »aber die Meinhard nimmt es genau mit der Bereitschaft.«

»Ich dachte, du teilst das ein.«

»Das war mal.« Toppe sah sich suchend in der Halle um. »Wo hab ich denn die blöde Knarre hingelegt?«

»Auf den Küchenschrank.«

Was wollten die ganzen Menschen hier? Es gab doch nun wirklich nichts zu sehen. Aber offensichtlich reichten ein Streifenwagen und ein paar Polizisten schon aus, die Neugierigen anzulocken.

Toppe parkte hinter van Gemmerns Auto, stieg aus und musterte die Leute mißbilligend. Aber die beachteten ihn gar nicht; der Mann mit den Gummihandschuhen, der mit einer grellen Lampe das weiße Auto ausleuchtete, war viel interessanter.

Toppe versuchte, sich zu van Gemmern durchzudrängeln, und stolperte über Rother, der auf allen vieren um den Wagen krabbelte und sich die Reifen ansah.

Leise fluchend rieb Toppe sich den Knöchel. »Macht ihr jetzt etwa zu zweit Dienst?«

»Nein«, antwortete van Gemmern, ohne sich umzudrehen.

Jürgen Rother kam auf die Füße. »Guten Abend, Herr Toppe. Nein, ich habe keinen Dienst. Ich hatte heute nur nichts Besseres vor, und Sie wissen doch, ich habe noch einiges nachzuholen, was die Praxis angeht.«

Van Gemmern kam herüber. »Wie auch immer, wir kratzen jetzt ein bißchen Dreck aus den Reifenprofilen, und dann würde ich die Kiste gern einschleppen lassen. Oder spricht was dagegen?«

»Von mir aus nicht«, meinte Toppe. »Fordert mal den Abschleppdienst an«, rief er den Streifenpolizisten zu, die unbeteiligt an ihrem Wagen lehnten. Er hatte die beiden ein paarmal gesehen, konnte sich an ihre Namen aber nicht erinnern.

Auch für die neue Modellbehörde hatte sich der Personalschlüssel selbstverständlich nicht verbessert, aber Anfang des Jahres war die BKV neu berechnet worden – die »belastungsbezogene Kräfteverteilung«. Toppe hatte die Daten zwar nie zu Gesicht bekommen, aber offenbar mußte seit der letzten Berechnung die Gesamtzahl der Delikte im Kreis Kleve gestiegen sein. Im K 1 hatte er allerdings nichts davon bemerkt. Jedenfalls waren ihnen neue Beamte von außerhalb zugewiesen worden, einige davon ziemlich naßforsche Typen, die die Atmosphäre auf der Wache nicht gerade verbessert hatten. Diese zwei hier – der eine groß und dunkel, der andere schmal und hellblond – kamen, wenn er sich nicht täuschte, aus Düsseldorf und sahen geschniegelt und ein klein wenig einfältig aus. Sie waren beide noch sehr jung und lächelten Toppe stolz entgegen. Erwarteten die ein Lob, weil sie das Auto hier entdeckt hatten, oder was?

»Der Wagen soll eingeschleppt werden. Ruft mal an!«

Endlich bewegte sich der Große, beugte sich in den Streifenwagen und griff zum Funkgerät.

»Haben Sie den Besitzer benachrichtigt?«

Der Blonde schüttelte den Kopf. »Das fällt nicht in unsere Zuständigkeit, wenn die Kripo beteiligt ist.«

Toppe schluckte. »Aber ihr wißt, wer der Halter ist?«

»Selbstverständlich.«

Der Dunkle tauchte wieder aus dem Auto auf. »Alles erledigt. Ist das denn jetzt der Wagen vom Postraub?«

»Bin ich Hellseher?« verlor Toppe nun doch die Geduld.

»Oh je«, staunte der Blonde. »Mit Ihnen ist heute aber nicht gut Kirschen essen, Herr Hauptkommissar.«

Toppe hatte eine Entschuldigung schon auf den Lippen – er mußte seine schlechte Laune nun wirklich nicht an diesen beiden Trantüten auslassen – aber dann hörte er den Großen was von »häuslichen Problemen« flüstern und sah, wie sie ein anzügliches Grinsen tauschten.

»Würden Sie jetzt bitte dafür sorgen, daß die Schaulustigen endlich verschwinden? Soweit ich weiß, fällt das in Ihre Zuständigkeit.«

»Ach, die stören doch nicht«, gab der Blonde zurück. »Oder stören die, Herr van Gemmern?« rief er.

Van Gemmern sah Toppe lange ins Gesicht und kam dann langsam hinzu. »Sie stören.« Er war gut einen Kopf größer als der Uniformierte.

Toppe grinste sich eins – seit wann hatte van Gemmern Humor?

»Wie sieht es aus? Irgendwas Auffälliges am Auto?« Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie die Streifenpolizisten die Leute mit großen Gesten vertrieben und sich dann breitbeinig als Schutzwall vor dem Auto postierten.

»Nein«, sagte van Gemmern. »Ist auf die übliche Weise kurzgeschlossen worden. Die Schlösser sind aber unversehrt. Die Karre war offensichtlich gar nicht abgeschlossen.«

»Hm«, überlegte Toppe, »am besten, ich setze mich gleich mit dem Halter in Verbindung. Der soll mal einen Blick auf sein Auto werfen und uns erzählen, ob etwas fehlt oder vielleicht sogar was dazu gekommen ist.«

»Von mir aus sofort. In einer halben Stunde habe ich den Wagen am Präsidium.«

»Gut, dann will ich mal sehen, ob ich den beiden Unzuständigen da vorne den Namen und die Adresse entlocken kann.«

Astrid saß am Computer, als Toppe schließlich um halb elf ins Büro kam. Wie immer, wenn sie spätabends noch arbeitete, hatte sie nur ihre Schreibtischlampe eingeschaltet, und das Zimmer wirkte beinahe gemütlich.

»Hallo«, drehte sie sich sofort mit ihrem Stuhl zu ihm um. »Na, Erfolg gehabt?«

»Hallo, Süße.« Er küßte sie nachdrücklich. »Geht’s dir gut? Wie war dein Spaziergang?«

»Ach, Helmut! Du brauchst mich nicht wie ein rohes Ei zu behandeln. Ich bin wirklich nicht beleidigt, und mir geht es auch wieder gut.«

»Na, ich weiß nicht«, zweifelte er, zog einen Stuhl heran und setzte sich dicht neben sie.

Sie lachte. »Jetzt komm, wir wollen hier endlich fertig werden. Ich hab nämlich keine Lust mehr. Also, was ist mit dem Auto?«

»Steht unten. Van Gemmern hat es einschleppen lassen. Der Halter ist ein Edgar Stach aus dem Katzenhof in Materborn, Bankkaufmann. Ich habe ihn abgeholt, er hat sich den Wagen angesehen, aber aufgefallen ist ihm nichts. Der ED hat Schmutzproben von den Reifen genommen und will die morgen mit den Bodenproben vom Tatort vergleichen.«

»Und wie ist dem Stach der Wagen geklaut worden?«

»Ziemlich dreist. Stach ist wie jeden Tag in der Mittagspause zum Essen nach Hause gekommen und hat den Wagen vor seiner Garage abgestellt. Die liegt so zwanzig, dreißig Meter von seinem Haus weg, kennst du bestimmt. Da ist so eine ganze Reihe Garagen, die die Bewohner der beiden Wohnblöcke anmieten können. Als Stach um halb zwei wieder zur Arbeit fahren will, ist sein Auto weg. Er schwört Stein und Bein, der Wagen wäre abgeschlossen gewesen, aber van Gemmern glaubt ihm nicht.«

»Vielleicht hat Stach ja Angst vor der Versicherung.«

»Für die Möhre kriegt der sowieso nichts mehr, die ist elf Jahre alt. Stach sagt, er hätte schon alle Nachbarn gefragt, aber keiner hätte was beobachtet. War ja Mittagszeit, die saßen alle am Tisch.« Toppe rieb sich erschöpft die Stirn. »Ich werde dann wohl übermorgen brav meine Runde dort drehen. Am besten um die gleiche Tageszeit, da erwische ich höchstwahrscheinlich dieselben Leute.«

»Hej«, Astrid stupste ihn an. »Jetzt häng nicht so durch!«

»Vielleicht bringt uns der Aufruf in der Zeitung ja weiter …«

»Bestimmt! Ich habe übrigens was für dich. Gerade im Computer gefunden: Heinrichs’ Russengeschichte. Bei den beiden Raubüberfällen in Dormagen und Grevenbroich waren die Tatfahrzeuge geklaut, und beide Male haben die Täter sie auf Supermarktparkplätzen stehen lassen. Ich schätze mal, die sind dort in ein anderes Auto umgestiegen.«

»Und dabei hat sie keiner beobachtet?«

»Anscheinend nicht. Aber beide Überfälle waren freitags, und da ist in den Supermärkten Großkampftag. Bei Aldi war gestern um die Zeit bestimmt auch die Hölle los.«

»Und du meinst, das kriegt keiner mit, wenn jemand vier Alukästen umlädt?«

»Natürlich müssen wir das überprüfen. Aber ich kann dir nur sagen, ich würde das nicht mitkriegen. Ich bin so froh, wenn ich aus dem Ladengewühl und der Kassenschlange raus bin und meine Sachen ins Auto packen kann, daß es mich herzlich wenig interessiert, was andere Kunden einoder aus- oder umladen. Vielleicht haben die die Kästen ja in Plastiktüten gepackt oder in Kisten. Bei Aldi stehen genug leere Kartons hinter der Kasse.«

Toppe grübelte. »Mir schmeckt die ganze Sache nicht: organisiertes Verbrechen … Ich kann dir nicht mal genau erklären, warum. Aber einer unserer Täter spricht mit starkem niederrheinischen Akzent, das Auto wird in Materborn geklaut und in Materborn wieder abgestellt.«

Astrid stutzte. »Was willst du sagen? Etwa, daß die Täter aus Materborn kommen? Die haben den Wagen bei Aldi stehen lassen und sind dann zu Fuß nach Hause gegangen, oder was?«

Toppe blieb ernst. »Theoretisch ist auch das möglich.« Er stand auf und reckte sich.

»Und was ist mit den ganzen Übereinstimmungen zu den anderen Fällen?«

»Davon hätten wir normalerweise noch gar nichts gewußt. Schalt das Mistding ab, und laß uns endlich nach Hause gehen. Ich bin hundemüde.«