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Astrid und Toppe waren an diesem Wochenende zur Bereitschaft eingeteilt, aber die Meinhard hatte sich entschieden, die Sache in »großer Besetzung« anzugehen, und so waren am Samstag morgen nicht nur alle vom K 1 im Büro versammelt, sondern auch Ackermann.

»Ackermann?« hatte van Appeldorn gemeckert. »Wieso denn Ackermann?«

»Weil dat komisch is’ mit de Schwarzarbeiter un’ soviel Geld. Dat könnt’ in mein Ressort fallen, sacht die Chefin. Außerdem war ich ja quasi vor Ort.«

»An deiner Stelle würde ich das nicht so an die große Glocke hängen.«

Aber Ackermann hatte nur gelacht: »Da hab ich keine Last mit.«

Um zehn Uhr kam die Chefin dann selbst hinzu.

»Genauso habe ich mir das gewünscht«, strahlte sie. »Ich weiß doch, daß ich mich auf mein Paradeteam verlassen kann.«

Sie nahm im Besuchersessel Platz und schlug anmutig die Beine übereinander. Das weiche Leinenkleid paßte farblich perfekt zu ihrem dunkelroten Haar, und wie immer war gleichzeitig mit ihr ein Hauch von Chanel No. 5 ins Zimmer gekommen.

»Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Selbstverständlich werden Sie alle Ihre Überstunden abfeiern. Am liebsten noch in diesem Monat, dann ist es nicht so kompliziert. Gibt’s Kaffee?«

Ackermann sprintete los, um eine Tasse zu holen. »Schwarz, wa?«

Charlotte Meinhard nickte freundlich. »Haben wir inzwischen schon etwas vom Fluchtfahrzeug gehört?«

»Nein«, antwortete Toppe. »Ich habe den Wagen gestern abend sofort in die Fahndung gegeben. Aber Hoymanns Angaben waren mehr als mager: ein weißer Ford, möglicherweise Escort, mit Klever Kennzeichen. Allerdings ist ein solches Auto seit gestern nachmittag in Materborn als gestohlen gemeldet. Vielleicht …«

»Wieso haben denn Sie das Auto in die Fahndung gegeben?« unterbrach ihn die Chefin. »Was war denn mit den Kollegen von der Streife? Die waren doch lange vor Ihnen da.«

Toppe machte eine vage Handbewegung.

»Flintrop, nicht wahr?«

»Jau«, bestätigte Ackermann. »Der is’ unten. Soll ich den ma’ ebkes holen?«

Charlotte Meinhard zwinkerte ihm zu. »Das käme Ihnen gelegen, was? Ich habe die unglaubliche Geschichte auch schon gehört.«

»Unglaublich?« mischte sich van Appeldorn ein. »Finde ich eigentlich nicht. Für mich hattest du schon immer so einen verschlagenen Blick, Ackermann.«

Die Meinhard lachte leise. »Mit Herrn Flintrop rede ich später. Weshalb ich Sie alle hergebeten habe: Ich denke, nach unserer intensiven Arbeit in den letzten Monaten könnte uns das neue Programm endlich von Nutzen sein. Mit der Vielzahl der Daten, die wir inzwischen eingegeben haben, müßte es zum Beispiel möglich sein, Rückschlüsse auf die Täter zu ziehen. Es ist natürlich wichtig, daß wir den Tathergang mit allen Merkmalen akribisch genau eingeben. Das wäre dann wohl Ihre Aufgabe, Herr Heinrichs. Sie bleiben als Aktenführer ja sowieso im Büro.«

Heinrichs nickte zunächst bereitwillig, meinte dann aber: »Schön und gut, nur ist das so eine Sache mit den Merkmalen.«

»Hoymanns Aussage hilft uns kaum weiter«, erklärte Toppe. »Zu ungenau, was das Fahrzeug angeht, und auch die Täterbeschreibung ist zu dünn. Er kann sich nicht mal an deren Kleidung erinnern.«

»Natürlich müssen wir den Mann noch einmal befragen«, meinte die Meinhard. »Vielleicht erinnert er sich heute deutlicher. Wäre das nicht etwas für Sie, Frau Steendijk?«

Toppe legte die Hände fest übereinander und sah die Chefin eindringlich an. Alle waren still.

»Oh je«, lächelte Charlotte Meinhard entschuldigend. »Was habe ich jetzt wieder gemacht? Ich wollte mich wirklich nicht in Ihre Kompetenzen einmischen, Herr Toppe, tut mir leid. Manchmal gehen einfach die Pferde mit mir durch. Sie dürfen mich ruhig zurückpfeifen, wenn so etwas passiert.«

Toppe neigte nur kurz den Kopf. »Wir werden die Presse um Mithilfe bitten. Möglich, daß es Zeugen gibt, die das Auto besser beschreiben können. Vielleicht hat ja auch jemand den einen Täter an der Ampel in Nütterden beobachtet. Kannst du dich gleich mal drum kümmern, Walter. Üblicher Text. Im Augenblick interessiert mich eigentlich am meisten, was es mit diesen angeblichen Schwarzarbeitern auf sich hat, und wieso jeden Freitag über 750.000 Mark einfach so durch die Gegend kutschiert werden.«

»Und wer davon wußte«, ergänzte van Appeldorn.

»Richtig! Es wäre mir lieb, wenn du Ackermann dabei zur Hand gingest.«

Van Appeldorn verdrehte die Augen, fügte sich aber.

»Astrid«, Toppe wandte sich leise um. »Rufst du mal eben bei Hoymann an und sagst dem, daß wir gleich zu ihm kommen?«

»Äh …« Heinrichs räusperte sich. »Könnte Astrid nicht hier bleiben?«

»Brauchen Sie denn noch Hilfe am Computer?« fragte die Chefin erstaunt. »Kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Nur ganz selten«, antwortete Heinrichs voller Überzeugung.

»Dann ist das doch kein Problem. Ich bin den ganzen Tag im Haus, und Sie können mich jederzeit erreichen, wenn etwas sein sollte.«

»Der ED will mit seiner Auswertung bis heute nachmittag fertig sein«, fuhr Toppe fort. »Deshalb schlage ich vor, wir treffen uns wieder um drei Uhr.«

»Was die Merkmale angeht.« Heinrichs war schon bei der Arbeit. »Gut, da ist das Ausbremsen, zwei Täter, Feldweg«, murmelte er vor sich hin. »Dann wäre da konkret das braune Isolierband, das die Kerle verwendet haben und. ja, was denn noch?«

»Die Täter waren maskiert«, erinnerte sich Charlotte Meinhard. »Was waren das eigentlich für Masken?«

»Strumpfmasken«, sagte Toppe.

»Ach, steht das im Bericht?«

»Ja.«

»Muß ich überlesen haben. Gut, also Strumpfmasken. Möglicherweise kann Hoymann ja dazu genauere Angaben machen.«

»Wie das?« fragte Toppe amüsiert. »Der Mann kann ja nicht mal das Auto beschreiben.«

»Vielleicht ist Hoymann Strumpffetischist«, schlug van Appeldorn vor und kicherte. »Ja, Herr Kommissar, das Auto hab ich nicht richtig gesehen, aber der Strumpf war ein Kunert, 30 den, laufmaschensicher, Farbe Saskia.«

Ackermann prustete los.

Astrid hob die Hand. »Moment! So abwegig ist das nun auch nicht.«

»Das mit dem Strumpffetischisten?« gluckste van Appeldorn.

»Quatsch!« Astrid kämpfte mit dem Lachen. »Aber bei manchen Strumpfhosen zum Beispiel ist so ein farbiger Faden eingewebt zwischen dem eigentlichen Strumpf und dem doppelt gewirkten Höschenteil.«

»Und dann läuft dem Täter so ein Streifen quer übers Gesicht, oder wie?« kollerte Heinrichs. »Doppelt gewirkt!«

Ackermann schlug sich begeistert auf die Schenkel. »Oder vielleicht Stützstrümpfe.«

»Genau«, sprang van Appeldorn auf und legte sich würgend beide Hände um den Hals. »Dies ist ein Überfall«, röchelte er und taumelte auf die Meinhard zu. Die tupfte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Exitus! Tod durch Ersticken.«

»Stützstrümpfe!« rief Heinrichs und hielt sich den Bauch.

Keiner hatte gehört, daß van Gemmern gekommen war. Er legte Toppe ein paar Blätter auf den Schreibtisch. »Der Obduktionsbericht. Hat Bonhoeffer gerade gefaxt.«

Toppe brachte nur mit Mühe sein Gesicht unter Kontrolle. »Vielen Dank.«

»Weiterhin frohes Schaffen noch«, meinte van Gemmern und war schon wieder draußen.

Toppe überflog den Bericht. »Keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung«, las er leise, »keine Verletzungen.« Dann sah er hoch. »Der Postmann ist ertrunken.«

»Ach komm«, wehrte Astrid ab. »Das Wasser war nur ein paar Zentimeter hoch. Selbst mit den Fesseln hätte der Mann da doch irgendwie rauskrabbeln können oder zumindest das Gesicht aus dem Wasser drehen.«

»Tod durch Ertrinken, respektive Ersticken«, beharrte Toppe. »Steht doch hier. Warte mal, hier geht’s weiter: reflektorischer Schock führt zu Bewußtlosigkeit.«

»Bernhard Spilsbury«, meinte Heinrichs versonnen, »der große alte Mann der englischen Gerichtsmedizin. Der hat das damals rausgefunden. Der Fall Georges Joseph Smith.«

So kannten sie Heinrichs; er hatte die obskursten Kriminalfälle der letzten Jahrhunderte im Kopf, und er freute sich wie ein Schneekönig, wenn er sein Wissen mal anbringen konnte.

»Smith hatte mehrere Ehefrauen und Geliebte auf dem Gewissen. Alle waren sie angeblich in der Badewanne ertrunken, was ihm natürlich kein Mensch geglaubt hat. Aber man konnte ihm nichts nachweisen. Es gab in keinem der Fälle Hinweise auf Gewaltanwendung, keine Kampfspuren, nichts. Was völlig unerklärlich war, denn gerade beim Ertränken wehren sich die Opfer wie verrückt. Jedenfalls haben Bernhard Spilsbury und der ermittelnde Inspektor, Neil hieß der, glaube ich, schließlich ein paar Experimente gemacht. Die haben sich mehrere kräftige Schwimmerinnen geholt, sie der Reihe nach in die Badewanne gesetzt und versucht, sie auf alle möglichen Arten zu ertränken. Das klappte aber nicht, weil die sich, wie erwartet, nach Kräften gewehrt haben. Irgendwann sind sie auf die Idee gekommen, die Frauen einfach mal fest an den Füßen zu ziehen, so daß der Kopf urplötzlich unter Wasser tauchte. Und dabei ist denen eine Frau fast hops gegangen. Konnte nur mit Mühe wiederbelebt werden. Und so ist Spilsbury drauf gekommen: Das plötzliche Eindringen von Wasser in Nase und Rachen kann einen reflektorischen Schock auslösen.«

Toppe hatte die Erklärung mittlerweile in Bonhoeffers Bericht gefunden – »Wirkung auf das Zentralnervensystem (Schock)« – aber er wollte Heinrichs nicht unterbrechen.

»Jedenfalls wird der Mensch bewußtlos und kommt natürlich dann nicht mehr aus dem Wasser hoch. Und deshalb ertrinkt er schließlich, ganz einfach. England 1915.«

»Dat muß man sich ma’ wegtun«, sagte Ackermann düster. »Da ertrinkt der arme Kerl in ’ner Wasserpfütze. Is’ doch gemein, so wat.«

»Daß der überhaupt losgekrabbelt ist!« Astrid schüttelte den Kopf. »Mit den dick verklebten Augen hatte er doch gar keine Orientierung. Und bewegen konnte er sich auch kaum.«

Auch van Appeldorn wunderte sich noch: »Frei war doch nur dessen Nase. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß man so ertrinken kann.«

»Entscheidend ist nur, daß das Wasser urplötzlich im Schwall eindringt«, erklärte Heinrichs noch einmal. »Ob durch Mund oder Nase, ist im Grunde egal.«

Charlotte Meinhard stand auf. »Auf jeden Fall bedeutet das für uns, daß wir es nicht mit einem Mord zu tun haben. Wenn sonst nichts mehr anliegt, bis heute nachmittag um drei.«

Sie hielt inne und sah zuerst Astrid, dann Toppe an. »Eigentlich müßte ich mit Frau Steendijk noch etwas besprechen, das mit unserem Fall nichts zu tun hat, aber Nein, das kann zur Not auch bis Montag warten.«

»Wenn’s wichtig ist«, drehte Toppe sich zu Astrid um. »Ich kann auch allein zu Hoymann fahren.«

Astrids Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Okay«, meinte sie stirnrunzelnd.

Die Chefin hatte die Tür schon geöffnet. »Prima! Ich gehe schon mal voraus. Bis gleich.«

Astrid holte ihre Handtasche aus dem Garderobenschrank und packte ihre Zigaretten hinein. »Tss«, meinte sie. »Was mag die von mir wollen?« Dann beugte sie sich über Toppe und küßte ihn auf den Mund. »Treffen wir uns zum Mittagessen?«

Er zog sie sanft an den Haaren zu sich hinunter und küßte sie noch einmal. »Im Steakhaus?«

»Och nö, nicht schon wieder. Laß uns mal zu dem neuen Italiener auf der Kreuzhofstraße gehen. Der soll gut sein.«

»Wenn du’s sagst. Ich denke, ich kann es bis halb eins schaffen.«

Das Essen war sogar sehr gut, aber Astrid war so aufgeregt, daß sie das kaum bemerkte.

»Die Chefin richtet in Goch ein neues Dezernat ein: Mißbrauch«, erzählte sie. »Eine Anlaufstelle für Frauen und Kinder. Aber nicht nur das, es geht auch um Ermittlungen und Prävention, schwerpunktmäßig.«

»Und wann?« Toppe versuchte gelassen zu bleiben, obwohl er ahnte, was kam.

»Januar 98.« Astrid legte ihr Besteck auf den Tellerrand und sah ihn eindringlich an. »Und ich soll die Leitung übernehmen!«

»Das hatte ich mir schon gedacht.« Toppe kämpfte gegen das flaue Gefühl im Bauch. »Ist doch super.«

»Ich wäre für meinen jetzigen Job völlig überqualifiziert, und dort könnte ich endlich meine besondere Sensibilität, bla bla, du kennst das ja, jedenfalls würde es auf die Dauer ein Hauptkommissar-Posten. Jetzt sag doch mal was!«

Toppe schob die Kalbsschnitzelchen auf seinem Teller hin und her. »Ein tolles Angebot.«

»Natürlich müßte ich noch einige Seminare in Wiesbaden besuchen – die Termine hat sie mir schon gegeben. Und in den ersten Monaten wäre das sicher ein 24-Stunden-Job. Muß ja alles erst mal strukturiert werden. Helmut?«

»Willst du denn weg?«

Sie seufzte. »Eigentlich nicht. Das heißt, es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Es würde so vieles verändern, auch für uns.«

»Ja sicher, aber das muß ja nicht unbedingt schlecht sein. Bis wann mußt du dich denn entscheiden?«

»Bis zum ersten Juni; das war das Äußerste, das ich rauspokern konnte. Es ist eine Riesenchance, die ich vermutlich kein zweites Mal kriege, aber.« Mit beiden Händen strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. »Es wirft natürlich für uns diese besondere Frage wieder auf.«

»Welche Frage?«

»Die Frage, die du seit zwei Jahren so geschickt verdrängst.«

Jetzt legte auch Toppe das Besteck weg. »Sei nicht ungerecht. Die Frage verdrängen wir beide mehr oder weniger geschickt.«

»Stimmt, entschuldige. Ich war da auch nicht besser als du.«

Er nahm den direkten Weg. »Willst du immer noch ein Kind?«

Sie lächelte verloren und sah an ihm vorbei. »Ehrlich, ich weiß es nicht, jetzt noch viel weniger. Ich mag meine Arbeit, ich mag eigentlich mein ganzes Leben, aber es ist auch. manchmal sehne ich mich. ich weiß es nicht.«

Er hätte sie gern in die Arme genommen.

»Und du?« Sie sah ihn wieder an. »Du willst ganz sicher kein Kind?«

»Ich will dich.«

Aber das reichte ihr nicht.

»Ich will dich. Und wenn dein Lebensglück von einem Kind abhängt, dann wollen wir dieses Kind haben.«

Die Schwäche sackte ihm vom Bauch in die Beine.

»Mein Lebensglück! Jetzt bist du nicht fair. Du gibst mir den Schwarzen Peter. Das ist doch keine Entscheidung, die du mir allein überlassen kannst.«

»Aber es ist deine Entscheidung, Astrid.«

Er goß Wein aus der Karaffe nach und schob ihr schnell das Glas hin. »Nicht weinen. Wir reden heute abend weiter, ja? In aller Ruhe.«

Das Büro war und blieb für Teamsitzungen, an denen auch noch der ED teilnahm, zu klein, darüber konnten auch die komfortabelsten Möbel nicht hinwegtäuschen.

Toppe hatte gleich auf einen Stuhl verzichtet und sich auf die Fensterbank gehockt, und van Gemmern stand sowieso lieber irgendwo unauffällig an die Wand gelehnt.

Jürgen Rother saß auf Toppes früherem Platz und sammelte sich für seinen Bericht. Wie immer wirkte er höchst konzentriert. Eigentlich war er ein schmächtiger, unscheinbarer Mann von Mitte Fünfzig mit korrektem, grauen Bürstenhaarschnitt und grauen Anzügen. Aber er hatte auffallend grüne Augen, die einen manchmal unerwartet durchdringend musterten, und die leicht nach oben gezogenen Mundwinkel gaben seinem Gesicht, was auch immer er gerade sagte, einen stets ironischen Ausdruck.

»Nun«, begann er, »viel können wir Ihnen nicht berichten. Es gibt Reifenspuren vom Tatfahrzeug. Die genaue Beschreibung bezüglich der Reifenmarke etc. entnehmen Sie Ihren Kopien. Die Spuren können wir, was den Abrieb etc. angeht, selbstverständlich abgleichen, wenn Sie uns das Tatfahrzeug liefern. Ferner fanden und untersuchten wir Schuhspuren. Herrn Hoymanns Schuhe und die Schuhe des Toten wurden von uns überprüft, ebenso das Schuhwerk der beiden Streifenpolizisten sowie das von Herrn Ackermann, und es blieben uns einige ausreichend aussagekräftige andere Spuren, die sich nicht decken, also mit größter Wahrscheinlichkeit von den beiden Tätern stammen. Der Boden war, wie wir alle feststellen konnten, sehr weich und machte eine Abdrucknahme leicht.«

Liebe Güte, dachte Toppe. Der Typ paßt mit seinem Vortragsstil perfekt ins neue Raster.

»Klaus!« Er schaute van Gemmern an. »Was ist mit Fingerspuren?«

Wenn van Gemmern irritiert war, daß Toppe ihn plötzlich mit dem Vornamen ansprach, dann ließ er es sich nicht anmerken. »Es gab unzählige im und am Postauto, wie man sich denken kann. An der Beifahrertür, im Innenraum und an den hinteren Türen haben wir alle Abdrücke genommen, die was taugten. Wir haben auch bereits angefangen, sie mit den Spuren der Postbeamten abzugleichen, die nach der letzten Wagenwäsche am Auto waren, aber das dauert noch. Wenn zum Schluß was übrig bleibt, schicken wir es rund.«

»Also, eigentlich tote Hose«, faßte Toppe zusammen. »Das sieht bei mir auch nicht großartig anders aus. Hoymanns Gedächtnis ist leider nicht besser geworden. Der Mann an der Ampel hat eine dunkle Pudelmütze aufgehabt. Die Strumpfmasken waren hautfarben. Es könnte sein, daß die Täter Handschuhe getragen haben, aber hundertprozentig sicher ist er nicht.«

»Soviel zu den Fingerspuren«, brummelte van Gemmern.

»Mich hat dann hauptsächlich interessiert, wer denn nun von dem regelmäßigen Geldtransport wußte. Hoymann sagt, es seien sechs oder acht Kollegen, die den Transport in verschiedener Kombination fahren, je nachdem, wer Dienst hat. Hoymann selbst hat seiner Frau und seinen drei halbwüchsigen Kindern davon erzählt, und mit wem die darüber gesprochen haben, könne er nicht sagen. Er habe sich nichts weiter dabei gedacht. Schließlich hätten die Kollegen auch ganz offen darüber geredet. Es sei doch auch nie was passiert.«

»Schöner Mist«, schimpfte Heinrichs.

»Das kannst du laut sagen. Die Schiene können wir schon mal vergessen.«

»Sind wir jetz’ dran?« rief Ackermann.

Toppe nickte.

»Dat is’ ga’ nich’ so einfach an ’nem Samstag, kann ich euch sagen. Wenn ich da nich’ so meine Pappenheimer kennen würd’ … , ich mein’, Vitamin B un’ so. Aua! Is’ ja gut, Norbert. Wenn du et lieber erzählen willst.«

Van Appeldorn nahm seinen Fuß von Ackermanns Schuh. »Wir haben da wohl ein schwebendes Verfahren erwischt, der Wirtschaftsstaatsanwalt war jedenfalls ganz schön zugeknöpft. Er sagt, er hätte Tips bekommen und ein paar Stichproben gemacht. So wie es aussieht, beschäftigen, mehrere Unternehmen im Kreis Kleve Schwarzarbeiter. Es handelt sich da um zwei Bauunternehmen in Goch und Uedem, eine Kiesbaggerei und einen Landschaftsgärtner. Die Namen dieser Leute haben wir dem Staatsanwalt nur mit ganz viel Überredung abluchsen können. Ich gebe sie euch gleich. Fakt ist anscheinend, daß diese Schwarzarbeiter über einen einzigen holländischen Unternehmer aus Ubbergen vermittelt werden.«

»Warte mal«, unterbrach Toppe ihn. »Hab ich das richtig verstanden? Deutsche Unternehmer beschäftigen Arbeiter, die sie bei einem holländischen Koppelbaas buchen?«

»Koppelbaas hast du gesagt. Der Typ schimpft sich Geschäftsmann. Bei den Arbeitern handelt es sich wohl hauptsächlich um Polen, Engländer und Russen, die hier für einen Hungerlohn arbeiten. Ich wette, der Holländer kassiert eine saftige Vermittlungsgebühr, aber für die Deutschen muß es sich trotzdem noch rechnen.«

»Und was ist nun mit den 750.000 Mark im Postauto?« wollte Toppe wissen.

»Keine Ahnung«, antwortete van Appeldorn unzufrieden. »Vielleicht waren das wirklich die Lohngelder für die Schwarzarbeiter, wie Hoymann gesagt hat.«

»Hat der Staatsanwalt sich denn dazu nicht geäußert?«

»Nein.«

»Tja«, meldete sich Ackermann. »In unserem Geschäft geht dat nich’ so easy ab wie bei euch: zack, da hasse den Mörder un’ ab innen Bau!« Er schob seine schwere neongrüne Brille, die ihm bis auf die fettige Nasenspitze gerutscht war, wieder hoch. »Bei uns is’ dat nämlich vertrackt mit de Beweise, kapiert ihr?«

Van Appeldorn verzog das Gesicht. »Ich bin wirklich dankbar, Ackermann. Endlich gibt mir mal jemand eine exakte Beschreibung meiner Tätigkeit. Übrigens, leuchtet dein Nasenfahrrad eigentlich im Dunkeln?«

Charlotte Meinhard sah van Appeldorn mißbilligend an und machte sich eine Notiz.

»Jaa«, meinte Walter Heinrichs, »dann will ich mal. Hat ganz gut geklappt mit dem Computer und mir. Ich hab ihn gefüttert, und netterweise hat der auch was ausgespuckt. In den letzten Monaten hat es zwei ähnliche Überfälle gegeben, einen in Dormagen und einen in Grevenbroich. Beide Male trugen die Täter Strumpfmasken und schwarze Pudelmützen. Beide Male waren es Postautos, die Beute war allerdings viel kleiner: 75.000 Mark in Dormagen und 140.000 Mark in Grevenbroich. Das Schema ist ähnlich. Einmal war es ein quergestellter PKW auf einem einsamen Landstraßenabschnitt, der den Postwagen zum Halten brachte, einmal war es genauso wie bei uns, Ausbremsen an einer Ampel. In beiden Fällen waren die Tatfahrzeuge geklaut. Deckungsgleich ist auch das Fesseln mit Isolierband. In Dormagen war es braunes Band, in Grevenbroich schwarzes.«

»Isolierband«, sagte Rother. »Sehr gut. Wir werden uns darum kümmern, daß wir sofort Vergleichsproben bekommen.«

»Ja, macht das mal«, antwortete Heinrichs. »Wir wissen, daß in allen drei Fällen das Vorgehen ähnlich war: schnell und auch dreist, denn mit etwas Pech hätten die Überfälle von Passanten leicht beobachtet werden können. Und relativ brutal waren die Täter auch. Gestorben war allerdings bislang keiner. So!« Er schob die Brust nach vorn, daß auch jeder merkte, wie stolz er war. »Dann habe ich auf einmal gemerkt, daß alle Informationen, die ich kriegte, direkt vom LKA kamen. Da sind die Raubüberfälle nämlich mittlerweile gelandet, weil man davon ausgeht, daß es sich in Grevenbroich und Dormagen bei den Tätern um Russen gehandelt hat und organisiertes Verbrechen nicht auszuschließen, sogar höchst wahrscheinlich ist. Es gab wohl schon ähnliche Fälle in Bayern und Hessen.«

»Das ist interessant.« Charlotte Meinhard richtete sich auf. »Ich habe in Köln lange in der Soko für organisiertes Verbrechen gearbeitet. Russen, jetzt wird mir so einiges klar.«

Van Appeldorn war irritiert. »Russen am Bau und Russen beim Überfall, oder wie? Was wird Ihnen klar?«

»Unsere Täter kommen vom Niederrhein«, gab Toppe zu bedenken. »Zumindest einer von ihnen.«

»Dat muß nix heißen!« Ackermann war ganz aufgewühlt. »Die Jungs sind mit allen Wassern gewaschen.«

Van Appeldorn schloß stöhnend die Augen. »Was soll denn das nun wieder? Die Russen können perfekt Jupp Ackermann imitieren? Wenn die solche Talente haben, warum spezialisieren die sich dann nicht auf Alleinunterhalter?«

Aber Ackermann zuckte nicht mit der Wimper. »Mafioso wird besser bezahlt, Norbert. Solltest eigentlich wissen. Aber dat mein’ ich nich’. Et kommt schon ma’ vor, dat diese Ostjungs mit Deutschen arbeiten. Dat is’ alles ’n bisken komplizierter, wie sich dat auf ’n ersten Blick anhört. Charly …« Er wurde dunkelrot und fuhr sich hektisch durch das lange Haar. »Frau Meinhard, könnten wir beide uns nich’ gleich ma’ in Ruhe zusammensetzen? Ich hab da so ’n paar Ideen. Wo ich organisiertes Verbrechen hör’, da gehen auf einmal die Lämpkes bei mir an. Zum Beispiel hat da doch neulich dat Pfannkuchenhaus aufgemacht anne Linde.«

»Stimmt!« Die Chefin sah Toppe an. »Wenn Sie uns im Augenblick nicht brauchen, dann würde ich gern in meinem Büro ein paar Dinge mit Herrn Ackermann zusammentragen. Pfannkuchenhaus, meine Güte, ja. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.«

Ackermann hielt ihr die Tür auf, aber bevor er sie wieder schloß, drehte er sich noch einmal um und kniff der Runde ein Auge.

»Pfannkuchenhaus?« Heinrichs guckte verstört. »Was reden die denn da?«

»Tja, wir müssen auch wieder an die Arbeit.« Rother deutete eine Verbeugung an.

Van Gemmern ging einfach nur hinaus.