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Staatsanwalt Günther war knochentrocken, unzugänglich und ohne Humor. Für einen Mann seines Alters war sein Gesicht auffallend glatt, beinahe ausdruckslos, und seine Stimme war brüchig und dünn; vielleicht sprach er deshalb so wenig.
Die Razzia verlief ohne Dramatik: fünf Polizisten räumten unter Günthers knappen Anweisungen alle Akten aus der Kanzlei in den Einsatzwagen; drei verstörte Angestellte und ein versteinerter Anwalt sahen stumm dabei zu. Auch Toppe war nicht mehr als ein Beobachter, eine Rolle, die ihm in den letzten Monaten immer vertrauter geworden war.
Um 8 Uhr 25 war der ganze Spuk vorbei, und der Staatsanwalt kam auf Toppe zu. »Mir wäre es lieb, wenn wir die Akten gemeinsam überprüfen. Es scheint da in letzter Zeit zu einem unangenehmen Interessenskonflikt gekommen zu sein. Vermutlich ist es effektiver, wenn wir an einem Strang ziehen.«
»Das ist mir sehr recht«, begann Toppe und wollte eigentlich mit ein paar Worten den Konflikt aus der Welt schaffen, aber Günther wandte sich ab. Freundlichkeit und persönlicher Kontakt waren eindeutig nicht erwünscht, und so verlief der restliche Vormittag für Toppe recht angespannt.
Konzentriert und stoisch schweigend, arbeitete sich Günther durch den Aktenberg, ohne auch nur eine Pause zu machen. Selbstverständlich gab es in seinem Büro keinen Aschenbecher, und als Toppe zwischendurch hinausging, um zu rauchen, sah der Staatsanwalt nicht einmal auf. Auch der Becher Kaffee, den Toppe ihm mitbrachte, blieb unberührt.
Es war dann Toppe, der auf die entscheidenden Unterlagen stieß: die Liste mit den Namen der ausländischen Arbeitnehmer, die deutschen Firmen, die sie beschäftigten, die Adresse des holländischen Vermittlers und die Aufzeichnungen über die gezahlten Löhne.
Günther zeigte seine Anerkennung, indem er nun doch einen Schluck Kaffee trank.
»Bringt Sie das denn jetzt wenigstens auch bei Ihrem Postraub weiter?« fragte er sogar.
Toppe war ein wenig schwindelig geworden: 738 Schwarzarbeiter standen da aufgelistet, und nur 48 davon hatten sie bisher befragt. Blieben noch 690 übrig. Er nahm sich ein Blatt Papier und begann zu zählen. 476 Arbeiter waren bei verschiedenen Unternehmen im Ruhrgebiet angestellt, 91 im Raum Köln, 114 im Münsterland, 9 in Düsseldorf und nur 48 im Kreis Kleve. Aber das besagte nichts. Auch die anderen 690 wohnten in Holland und kamen freitags über die Grenze, um ihr Geld abzuholen. Theoretisch konnten auch sie vom regelmäßigen Geldtransport gewußt haben. Dann natürlich der Koppelbaas und die deutschen Unternehmer im Kreis. Fünf übrigens, nicht vier, wie sie bisher geglaubt hatten. Birkenhauer hatte in einem Punkt die Wahrheit gesagt: Bei ihm standen tatsächlich ein Pole und zwei Russen in Lohn und Brot. Dann waren da noch ein Baugeschäft in Goch, mit einer Zweigstelle in Uedem, Inhaber Jan Jansen, eine Gärtnerei in Reichswalde, Besitzer Gerd van den Boom, und als letzter – sieh an – Freund Geldek.
Es würde Monate dauern, mit jedem einzelnen der 690 Schwarzarbeiter zu sprechen. Da war Amtshilfe angesagt. Er mußte die Kollegen in Köln, Münster, Düsseldorf und in sechs Ruhrgebietsstädten bitten, die Leute an ihren Arbeitsstellen zu besuchen und zu vernehmen.
Kunst in der Architektur, das war wirklich ein Ding!
Eugen Geldek kannte das Hochglanzmagazin nur vom Hörensagen, aber soviel war klar: wenn die etwas über einen brachten, hatte man es geschafft. Und daß die erst heute morgen, so kurzfristig, einen Termin für das Interview abgesprochen hatten, konnte nur bedeuten, daß er den Preis tatsächlich kriegen würde. Bei der Presse sickerte so etwas leicht vorher durch, hatte er sich sagen lassen. Wenn man bedachte, was er in den letzten fünfzehn Jahren in dieser Stadt alles hochgezogen hatte, war eine größere Anerkennung schon längst fällig gewesen.
Gar nicht schlecht, daß er schon eine Stunde vor dem offiziellen Termin hier ankam, da konnte er gleich am Museum parken. Später würde hier alles dicht sein. Und morgen bei der Eröffnung mußte es eine Katastrophe geben, das konnte sich jeder Hanswurst ausrechnen. Nie und nimmer würden die umliegenden Parkplätze ausreichen. Aber bitte, bei der Planung dieses Objekts hatte man ihn ja nicht gefragt.
Geldek warf einen letzten gefälligen Blick in den Rückspiegel: sein frisch geföntes Haar saß perfekt. Sie wollten ihn knipsen, am liebsten neben einem Kunstwerk. Ob er mit den Chinesen einverstanden wäre? Keine Frage; das war sowieso das einzige Ding in dem Bau, das ihm gefiel, obwohl er auch da irgendwie nicht wußte, was das mit Kunst zu tun hatte.
Die Eingangstür stand weit offen, und drinnen ging es hektisch zu. Stühle wurden zurechtgestellt, Sektgläser poliert, Mikrofone aufgebaut und ausgesteuert: Test. one, two, Test … one, two …
Ein paar Leute grüßten ihn flüchtig, hielten sich aber nicht weiter auf.
Der Reporter wollte ihn bei den Chinesen treffen, also stieg Geldek in den ersten Stock hinauf, aber da war kein Mensch. Er sah auf seine Armbanduhr, acht Minuten zu früh, na ja.
›Installation‹ schimpften sich solche Kunststücke. Mitten im Raum standen kreisförmig angeordnet, auf eine freie Fläche im Zentrum ausgerichtet, die Skulpturen: lauter kleine, schlitzäugige Männer, alle im selben Anzug und alle mit demselben herzensguten, lächelnden Gesicht. Waren ja wirklich nett, die Kerlchen, bloß, warum hatten die keine Füße?
Geldek schlenderte zwischen den Figuren umher und stellte fest, daß es doch Unterschiede gab, die Köpfe waren verschieden geneigt und gedreht …
Er spürte eine Bewegung hinter sich, wollte sich umwenden, aber im selben Augenblick wurde ihm etwas eklig Stinkendes unter die Nase gedrückt. In Panik schnappte er nach Luft, ihm wurde schwarz vor Augen, die Beine gaben nach, und mit einem langen Stöhnen verlor er das Bewußtsein.
Karin Hetzel machte ein paar Fotos und setzte sich dann zu den Pressekollegen, für die man eine Stuhlreihe an der Längsseite reserviert hatte.
In den letzten Wochen hatte sie sich schon mehrmals im neuen Kurhaus umgesehen und darüber berichtet, wie außerordentlich die Restaurierung und der Umbau gelungen waren, und auch heute freute sie sich wieder über die Atmosphäre dieses Gebäudes. Die Kunstwerke waren löblich sparsam ausgestellt, ließen und hatten genug Raum.
Nun machten sich die Redner breit, einer nach dem anderen sagte, was er für sagenswert hielt, mal mehr, mal weniger spritzig. Es gab nicht viel zu notieren.
Irgend etwas stimmte nicht, das konnte man den Verantwortlichen von den Gesichtern lesen. Sie wisperten miteinander, jemand verschwand aufgescheucht nach draußen, kam ebenso aufgeregt wieder zurück, wisperte weiter. »Aber ich hab ihn doch eben noch gesehen«, schnappte Karin auf.
Die Pausen zwischen den Reden wurden länger und immer ungemütlicher. Schließlich gab sich der Vorsitzende des Museumsvereins einen sichtbaren Ruck und trat ans Mikrofon:
»Liebe Freunde! Es ist sehr bedauerlich, daß wir gezwungen sind zu improvisieren, aber leider ist der diesjährige Träger unseres Kulturpreises ganz plötzlich aus dringenden familiären Gründen abberufen worden. Wir haben uns aber entschlossen, ihm den Preis trotz seiner Abwesenheit zu verleihen. Ich bitte nun unsere guten Geister, den Champagner herumzureichen, damit wir wenigstens auf unseren Ehrengast anstoßen können … Meine Damen und Herren, der Träger des Kulturpreises der Stadt Kleve 1997 heißt … Eugen Geldek!«
Kultivierter Applaus füllte den Saal, Gläser klangen, hier und dort hörte man auch leises Gemurmel, während der Vorsitzende die Begründung verlas. In der ersten Reihe dokterten die anderen Nominierten an ihren Mienen herum – Enttäuschung oder gar Ablehnung hatten hier nichts zu suchen.
Endlich lud man alle Gäste zu einem Rundgang ein. Karin Hetzel hielt sich im Hintergrund und versuchte, einzelne Kommentare aufzuschnappen. Vielleicht würde sie später den einen oder anderen ausführlicher befragen.
Als der erste spitze Schrei ertönte, war sie nur wenige Meter vom Zentrum des Schreckens entfernt und schlüpfte schnell in den Raum, bevor das Gedränge losging.
Amüsiert belächelt von 27 Chinesen lag in der Mitte der Kulturpreisträger Geldek.
Seine Hand- und Fußgelenke waren mit braunem Isolierband umwickelt und im Rücken dicht aneinander gezurrt; auch um Hals und Stirn schlang sich das Band, und der Kopf war weit nach hinten gekippt fixiert worden. Geldeks Schuhe standen ordentlich neben seinen Füßen, jeder mit einer Socke dekoriert; Hose und Unterhose waren bis zu den Knöcheln heruntergezogen, und von seinem Penis reckte sich keck ein giftgrünes Teufelchen in die Höhe, ein Scherzkondom.
Ein penetranter Schnapsgeruch lag in der Luft. Geldek rührte sich nicht.
Die Fotoreporter hatten alle dieselbe Idee: Sie stürmten in den zweiten Stock, wo man von einer Galerie aus die ganze Szene von oben ablichten konnte.
Wie von einer gläsernen Wand zurückgehalten, standen die Leute um Geldek herum und glotzten.
»Ekelhaft«, hörte Karin Hetzel eine Frauenstimme.
Sie drängelte sich nach vorn. »Ruft vielleicht endlich einer den Notarzt?« schimpfte sie und ging neben Geldek in die Hocke. Er atmete.
»Ist schon passiert«, rief man von hinten.
Die Menge rumorte, »versoffenes Schwein«, Häme machte sich breit. Jemand schrie nach der Polizei.
Manchmal erlaubt sich das Schicksal einen Scherz: Die Beamten, die für den Festakt abgestellt worden waren und jetzt gelaufen kamen, waren zwei junge Kollegen aus Düsseldorf.
Sie blieben wie vom Donner gerührt vor Geldek stehen. »Sag mir, daß ich spinne, sag mir, daß das nicht wahr ist!« raunte Schumacher.
Schuster schluckte. »Mich laust der Affe, Eulenspiegel hat wieder zugeschlagen!«
Karin Hetzel richtete sich auf und sah ihn nachdenklich an.
»Der Notarzt muß jeden Moment kommen«, sagte sie.
Schuster nickte abwesend und drehte sich dann zu seinem Freund um. »Also, ich rühre hier nix an. Geh und ruf das Kl!«
Schumacher zögerte. »Das können wir doch nicht machen.«
»Meinst du, ich laß mich noch mal so eintopfen? Müßte ich schön bekloppt sein.«
Aber Schumacher ließ sich nicht aufhalten. »Hol du doch das Kl.« Dann fing er an, die Leute aus dem Saal zu komplimentieren. »Wir brauchen Platz für den Notarzt. bitte gehen Sie hinaus … ja, auch Sie … nein, bitte hinunter ins Erdgeschoß.«
Schuster zuckte die Achseln und griff zu seinem Funkgerät, aber dann fiel es ihm ein, und er rannte zur Treppe. »Stop!« brüllte er. »Keiner verläßt das Gebäude! Sie werden alle als Zeugen vernommen.«
Es war Toppe, den Schuster über Funk erreichte; alle anderen vom K 1 waren außerhalb in Sachen Postraub unterwegs. Astrid hatte einen Fragenkatalog für die Kollegen in Münster, Düsseldorf und den anderen Städten entworfen und reiste seitdem herum, um die Kollegen bei Laune zu halten und um zu helfen. Van Appeldorn war nach Dormagen gefahren. Leider hatte die Chefin übersehen, daß bisher nur eine Handvoll Dienststellen ans Netz angeschlossen waren. Grevenbroich und Dormagen gehörten nicht dazu, und es war van Appeldorn eine große Freude gewesen, ihr das persönlich mitzuteilen. Sogar Heinrichs hatte seinen Schreibtisch verlassen müssen, um nach Holland zu fahren. Lowenstijn war schließlich doch noch fündig geworden, über Wege, die sie lieber gar nicht wissen wollten. Auf einem heruntergekommenen Campingplatz in Ubbergen und in einem leerstehenden Haus an der Waal in Nijmegen hatte er etliche Schwarzarbeiter aufgetrieben, die das K 1 auf seiner Liste hatte, und denen wollte Heinrichs gern auf den Zahn fühlen. Aber da gab es auch mit der Staatsanwaltschaft noch einiges zu klären und abzustimmen, und Toppe war gebeten worden, einmal mehr »seine Besonnenheit« unter Beweis zu stellen.
Als er am Kurhaus ankam, warteten 84 Personen auf ihn, und nicht alle waren guter Laune. Man hielt ihm Armbanduhren unter die Nase, tippte wütend auf Zifferblätter, knurrte was von »heute noch zu arbeiten«.
Toppe war ein friedlicher Mensch, aber wenn man ihm zu dicht auf den Körper rückte, sah er rot. Mit beiden Ellbogen machte er sich den Weg zu den Polizisten frei.
»Und? Wo ist er?«
»Geldek? Den hat der Notarzt mitgenommen. Der war bewußtlos.«
»Wer hat ihn gefunden?«
Schumacher machte eine weite Handbewegung. »Im Prinzip die ganze Meute. Eine Zeitungsfrau war auch dabei. Die sagt, sie kennt Sie und will mit Ihnen sprechen. Steht da hinten.«
Toppe entdeckte Karin Hetzel in dem Gewimmel und nickte ihr kurz zu.
»Ich habe auch die Spurensicherung verständigt«, sagte Schuster. »War das in Ihrem Sinne?«
Toppe betrachtete ihn prüfend. »Sehr gut«, meinte er dann. »Auch daß Sie die Leute hierbehalten haben, nur …« Er rieb sich das Kinn. »Ich kann unmöglich gleich mit allen sprechen. Das würde Stunden dauern. Im Augenblick reicht mir einer vom Verein, Frau Hetzel vielleicht und dann natürlich diejenigen, die unbedingt was loswerden wollen. Ich bin mir ziemlich sicher, daß es nicht in Ihren Aufgabenbereich fällt, aber wenn ich Sie persönlich höflich bitte, wären Sie dann wohl so nett, Namen und Adressen der übrigen zu notieren und sie dann nach Hause zu schicken?«
Schuster grinste unverschämt, aber Schumacher achtete nicht darauf. »Machen wir glatt«, meinte er.
Jemand tippte Toppe von hinten an. Es war Rother. »Wo soll ich anfangen?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir einen Überblick zu verschaffen. Wo ist denn van Gemmern?«
Rother hielt seinen Blick auf Toppes Hemdkragen geheftet. »Der ist im Labor beschäftigt. Da ich sowieso in der Nähe zu tun hatte, als die Nachricht kam, lag es auf der Hand … Aber wenn Sie es wünschen, werde ich Herrn van Gemmern sofort.«
»Nein, nein«, unterbrach Toppe ihn, »lassen Sie. So war das nicht gemeint.«
Der Museumsleiter, den Toppe bisher nur aus der Zeitung kannte, war herangetreten. »Botho van Beveren«, stellte er sich vor. »Sie sind von der Kriminalpolizei.« Den holländischen Akzent konnte man nur ahnen. Der Mann schilderte angenehm sachlich und unaufgeregt, was passiert war, daß man Geldek schon gegen zehn Uhr kurz im Museum gesehen hatte, ihn aber später nicht mehr auftreiben konnte, und in welchem Zustand man ihn schließlich gefunden hatte.
»Hat jemand Geldek nach oben gehen sehen?« wollte Toppe wissen.
»Nein, bestimmt nicht. Sonst hätten wir doch nachgeschaut, als wir alle versucht haben, ihn zu finden.«
Dann nahm er Toppe und Rother mit hinauf in den ersten Stock. »Hier hat er gelegen.«
Geldeks Schuhe standen noch da.
Rother sah sich verdrossen um. »Wenn hier, wie Sie sagen, zwanzig bis dreißig Personen im Raum waren, was soll ich denn da für Spuren nehmen?«
»Die Schuhe dort«, wandte sich Toppe an van Beveren, »gehören die zum Kunstwerk?«
»Nein, ich denke, die gehören Geldek. Der hatte nackte Füße.«
Rother zog sich Handschuhe an, holte zwei Plastikbeutel aus seinem Koffer und packte die Schuhe vorsichtig ein. »Tja.«
»Tja«, meinte auch Toppe. »Am besten, Sie fahren gleich mit mir zum Krankenhaus. Da können Sie dann Proben vom Klebeband nehmen, und vielleicht finden sich ja Fingerspuren am Kondom.«
Karin Hetzel hatte unten gewartet. Toppe ließ sich noch einmal alles erzählen, erfuhr aber nichts Neues.
»Bestimmt kann ich dir Fotos von der Szene besorgen«, bot sie an. »Von Geldek und vielleicht auch von den Gästen. Wenn du mir mal dein Handy leihst …«
Keine zwei Stunden später saß Toppe im Büro, einen ganzen Stapel Vergrößerungen vor sich auf dem Tisch. Der Fotograf der Niederrhein Post hatte mehrere Bilder vom bewußtlosen Geldek für ihn abgegeben, außerdem noch Fotos vom derangierten Birkenhauer, die nicht gedruckt worden waren.
Toppe stützte den Kopf in die Hände.
Geldek war noch nicht ansprechbar gewesen. In seinem Blut hatte man nicht nur reichlich Alkohol, sondern auch eine gehörige Portion Barbiturate gefunden. Ein gefährlicher Cocktail, hatte der Arzt gesagt und Toppe einen frischen Einstich gezeigt. Der Täter mußte die Barbiturate gespritzt haben. Oder die Täter, korrigierte er sich.
Warum diesmal Schlafmittel? Geldek war gegen zehn Uhr nach oben gegangen. Wenn er nur mit Alkohol abgefüllt worden wäre, hätte er womöglich randaliert wie Birkenhauer, und man hätte ihn schon vor der Veranstaltung entdeckt. So aber mußte er beim Rundgang gefunden werden, als Teil eines Kunstwerkes gewissermaßen. Eine perfekte Inszenierung.
Das Telefon riß Toppe aus seinen Gedanken. »Hier ist Norbert. Ich bin mittlerweile in Grevenbroich. Hör zu, ich schaffe das nicht alles an einem Tag, aber ich komme gut voran. Einer der Kollegen hier hat mir sein Gästezimmer angeboten, deshalb werde ich wohl erst morgen zurückkommen.«
Toppe erzählte ihm, was passiert war.
»Geldek?« grunzte van Appeldorn. »Nicht, daß mir das besonders leid tut, aber da kann einem schon komisch werden. Günther zieht seine Razzia durch, und schon einen Tag später schlagen die Jungs zurück.«
»Welche Jungs?«
»Na, die Russen, oder?«
»Wenn man’s wüßte …«
Toppe legte bald auf. Irgend etwas in ihm sträubte sich gewaltig. Ob Geldek auch einen Anruf gekriegt hatte? Wieso sollte der sonst eine Stunde vor der Zeit im Museum sein? Heute abend konnte er ihn fragen, hatte der Arzt gemeint.
Er betrachtete wieder die Fotos. Bloßstellen, der Lächerlichkeit preisgeben, das war doch etwas ganz anderes als ein Ohr oder einen Finger abzuschneiden. Und dann beide Male die Sache mit den Schniedeln. Konnte da nicht etwas ganz anderes dahinterstecken? Ein sexuelles Motiv? Toppe wurde mulmig.
Beide Opfer gehörten zu dieser Klever Unternehmermafia, sicher, aber da war noch eine Übereinstimmung. Wieso hatte im Kurhaus keiner den – oder von ihm aus auch – die Täter gesehen, genauso wenig wie bei der Rhein-Maas-Ausstellung? Zufall? Möglich, aber es gab auch noch eine andere Erklärung.
Wieder wurde er in seinen Überlegungen gestört. Charlotte Meinhard kam herein, und zum ersten Mal erlebte Toppe sie aufgeregt. »Der Teufel ist los! Zur Eröffnung morgen wird der Landesvater erwartet, und nach dem, was heute vorgefallen ist, können Sie sich denken, daß wir etwas unternehmen müssen. Aber ich weiß jetzt, wie wir es machen werden. Im Grunde liegt das auf der Hand.«