Jedenfalls nicht mit Worten.

Das war das Besondere an der Beziehung zu Victor - sie war von Nähe und Distanz geprägt. Uns verband viel, aber mindestens ebensoviel stand zwischen uns. Nicht meine immer noch gültige Ehe, wahrscheinlich auch nicht meine Kinder, die weit weg waren.

Victor war außerdem selbst ein Scheidungsopfer. Es war eher seine angeborene oder anerzogene Förmlichkeit, die er nie abzulegen vermochte. Er war eben ein Oxford-Prinz, der nur im Maßanzug aus der Bond Street und in Schuhen aus Mailand herumlief. Nie erlebte ich ihn in T-Shirt und Shorts. Selbst am Strand trug er eine lange weiße Hose und ein weißes Hemd. Und so fühlte er wohl auch. Zwar voller Zärtlichkeit mir gegenüber. Aber immer auf die Form bedacht.

Doch das störte mich nicht. Es zählte der Augenblick, den es zu genießen galt. Wenn ich schwärmerisch an die Zukunft dachte, kam mir auch der Gedanke, wie lange mir mein Prinz erhalten bleiben würde. Dieses Glück schien mir viel zu groß zu sein. Zu groß für kühne Pläne ...

Victor fuhr mit zwei Fingern über den Elefantenhaarreif an meinem Armgelenk. Ich hatte ihn nicht mehr abgelegt, seit ich ihn auf dem Markt in Lagos dem Händler abgekauft hatte. „Warum trägst du ihn?“

„Weil mir vorausgesagt wurde, daß er mir Glück bringt.“

„Und?“

Ich suchte in Victors Augen nach der Antwort.

NACHT IN DER WÜSTE

Meine Lebensversicherung war natürlich wertlos, wenn Nickel nichts davon erfuhr. Sollte ich hingehen und es ihm ins Gesicht sagen? Nein! Ich lud Bernd und seine neue Flamme, eine baumlange, schlanke schwarze Rechtsanwältin, zum Abendessen ein. Und natürlich Victor. Tage vorher schon hatte ich Ron darüber informiert, daß er an jenem Abend sein Bestes geben müsse.

Allerdings verriet ich ihm nicht, wen ich erwartete. Sollte Nickel doch ein bißchen auf die Folter gespannt werden!

Während des Essens brachten Victor und ich das Gespräch auf meine ganz spezielle Lebensversicherung: Der Anwalt werde mein Protokoll der Polizei und der Strengfurt AG vorlegen, falls mir etwas zustieße. Bernds juristisch versierte Freundin gratulierte, wenngleich sie bedauerte, daß ich nicht sie als Anwältin hinzugezogen hatte. Während dieses Gesprächs servierte Ron höchstselbst das in der Tat perfekte Mahl. Ich sah förmlich, wie er jedes Wort unserer Konversation begierig in sich aufsog. Diesmal würde er eine Menge zu berichten haben. Allerdings war mir auch klar, daß Nickel meine „Lebensversicherung“ als Kriegserklärung betrachten mußte. Ich war gespannt, wie er darauf reagieren würde.

Seine Eröffnung war schwach, fand ich. Schachspieler Nickel hatte Femi zu sich bestellt und ausgefragt. Femi berichtete mir auf dem Heimweg, nervös und ehrlich: „Ich glaube, er hat vor, Ihrem Mann zu sagen, daß Sie hier in Lagos sind.“

„Haben Sie Nickel gesagt, wo er John Wowo findet?“ Femi blickte schuldbewußt zu Boden. „Ist schon gut, Femi. Wenn die Weißen Are Spiele spielen, dann muß man sie lassen.“

„Mister Nickel hat gesagt, daß er mich sonst rausschmeißt.“

„Ich weiß, Femi. Vielen Dank, daß Sie mir Bescheid gesagt haben.“

„Es tut mir leid, Ma'am.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, Femi. Ich habe schon eine Idee.“

Mary's car repair hatte trotz Vaters deutscher Entwicklungshilfe keinen Aufschwung genommen. Das Geld aus dem Autohandel war hier jedenfalls nicht investiert worden. Ich ließ mich von Femi auf den Hof kutschieren, auf dem einige nahezu schrottreife Autos herumstanden. In der Werkhalle machten sich vier Gestalten an einem Lieferwagen zu schaffen. Als ich ausstieg, sprangen zwei kleine Jungs aus irgendeiner Ecke hervor: „Oyibö, byiböU klang es in meinen Ohren. Durch die Rufe neugierig geworden, ließen alle vier Arbeiter gleichzeitig die Werkzeuge sinken und starrten mich an.

„Ich suche Mister Wowo“, rief ich.

Die beiden Jungs rasten los zur immer noch schäbigen Bürobaracke. Heraus trat ein Mann im abgewetzten Overall, an dem ein paar Knöpfe fehlten. Er wirkte schwammig, aufgedunsen, die Haut grau, die Haare stumpf und struppig. Ich erkannte John kaum wieder. In den knapp zehn Monaten, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war eine entsetzliche Veränderung mit ihm vorgegangen.

John musterte mich peinlich genau vom gut frisierten Kopf bis zu den hochhackigen Schuhen. „Du siehst toll aus.“

„Danke“, sagte ich, „ich wollte sehen, wie es dir geht.“

„Ich bin okay.“ Ich sah, daß das eine Lüge war. „Wieso bist du in Lagos?“ Er schien wirklich nichts zu wissen. „Wo sind die Kinder?“

In diesem Augenblick wurde mir etwas klar. Ich sah Bobby wieder am Heiligen Abend, wie er sich hinter Muttis Rücken versteckte, als die schwarzen Kinder mit ihm spielen wollten. Ich sah das Unverständnis in seinen Augen, daß Tessy in einer Sprache redete, die er nicht verstand. Ich hörte seine Alpträume in der Nacht. Und ich sah John vor mir stehen. So heruntergekommen, so ärmlich. So grau. Hatte ich einen Fehler gemacht, als ich Bobby und Janet nicht zu ihrem Vater gebracht hatte? Hatte ich einen Brückenschlag verhindert zwischen den beiden Welten, die sie in sich trugen?

Oder hat-

te ich sie vor einem Schock bewahrt? Einen, wie ich ihn in diesem Augenblick erlebte?

Wie weit hatte ich mich doch von John und seinem Leben entfernt!

Ich speiste mit Prinz Victor im Polo-Club. Ich flog mit seiner Privatmaschine durchs Land. Aufwelche Seite gehörte ich? Nein, schrie meine innere Stimme, nicht zu diesem Mann. Seit ich von John losgekommen war, hatte ich etwas wiedergefunden, das ich schmerzhaft vermißt hatte, als ich das letzte Mal aus Lagos weggeflogen war - meine innere Balance.

„Hat Mary ihr Kind schon bekommen?“ fragte ich.

„Mein Sohn ist zu Hause mit ihr.“ Er fixierte mich. „Und wo lebst du?“

Ich erklärte mit fester Stimme den wahren Grund meines Besuchs.

„Und du bist nie zu mir gekommen?“ fragte er überrascht.

„Nein, John, unser gemeinsames Leben ist beendet. Ich will die Scheidung.“

„Du hast bis jetzt nur deshalb keinen Druck wegen der Scheidung gemacht, weil du die Aufenthaltsgenehmigung brauchst, stimmt's?“

Und dann hatte er eine plötzliche Eingebung. „Ich verlasse Mary.

Noch heute. Laß mich bei dir wohnen. Du hast bestimmt ein großes Haus, das die Firma zahlt.“

Ich sollte die Zeit zurückdrehen? John wieder durchfüttern? Und seine hinzugekommenen Frauen und Kinder obendrein? Statt dessen schlug ich ihm einen Job in der neuen Produktionsstätte vor.

Für Sekunden verwandelte John sich in den stolzen Mann, der er früher gewesen war. „Ich soll in einer Fabrik schuften, und du sitzt in einem feinen Haus?“

Wie hätte ich jetzt noch sagen können: John, übrigens, du schuldest Vater noch eine Menge Geld aus dem Autohandel. Es war sinnlos weiterzureden. Ich drehte mich um und ging zu Femis Wagen zurück. „Mach's gut, John.“

Ich stieg hinten ein, und Femi fuhr los. Ich wollte mich eigentlich nicht umsehen - und tat es trotzdem. Da stand mein Mann, auf einem verwahrlosten Werkstatthof. Er hob die rechte Hand bis auf Brusthöhe, als wollte er winken, doch ihm schien die Kraft dazu zu fehlen.

Victor verwendete sehr viel Zeit darauf, sich ein neues Leben in Afrika aufzubauen. Dafür wollte er möglichst viel aus seinem alten, britischen Leben um sich haben. Vor allem seine sieben Polopferde

- in der Fachsprache Ponys genannt - und die drei Hunde. Immer wieder flog er für einige Tage nach London, um alles für den Transfer der viele zehntausend Mark teuren Tiere vorzubereiten. Ich sollte ihn begleiten. Doch ich hatte mit Strengfurt noch nicht abgeschlossen. Mit Akribie bereitete ich ein Dossier vor, um das mich inzwischen sogar Strengfurt-Chef Bernhard in einem Telefonat gebeten hatte. Mich hatte der Ehrgeiz gepackt: War es vermessen, davon zu träumen, Nickels Platz einzunehmen? Ich rechnete mir gute Chancen aus. Ich wußte alle in Lagos auf meiner Seite. Alle -