EINE ALTE LIEBE

„Solange du Läuse in der Kleidung hast, wird unter deinen

Fingernägeln Blut sein. (Nigerianisches Sprichwort) JOHN, DER MANN AUS MEINER VERGANGENHEIT

In München fanden die Olympischen Spiele statt. Die Stadt war voller Fremder, die ganze Welt sah auf sie. Und ich war mittendrin, 19 Jahre jung! Ich hatte einen Job „bei Olympia“ ergattert, teilte Reinigungskräfte ein. Es war Sommer, eine Atmosphäre, als wäre jeden Tag Föhn, und die Luft war wie Champagner.

John Wowo war so schwarz, daß ich in der Dunkelheit der Nacht nur seine Augen und sein fantastisch weißes Gebiß leuchten sah.

Er war nicht viel größer als ich, hatte krause Haare mit viel zu langen Koteletten, ein unwiderstehliches Lachen in den Augen und einen weichen, sinnlichen Mund. Erwählte seine Kleidung so, daß er auffiel - ein zu langer Mantel, zu weite Hosenbeine und bunte Hemden. Das Essen, das er für mich kochte, war ungewohnt scharf oder von verführerischer Süße. Er rief mich an, schrieb mir seitenlange Briefe, erzählte märchenhaft anmutende Geschichten aus seiner Heimat. Er holte mich zu unerwarteten Zeitpunkten ab, brachte mir kleine Holzfiguren, bunten Perlenschmuck, ungewöhnliche Talismane und Amulette mit, die mich faszinierten und meine Neugier weckten. John warb um mich mit einer altmodischen Aufmerksamkeit voll romantischer Zartheit, der ich mich bereitwillig auslieferte.

Meine Freunde, ganz zu schweigen von meinen Eltern, die schon bei der Erwähnung von Johns Hautfarbe abblockten, warnten mich.

Vielleicht war es der Reiz des Fremden, die uralte Versuchung, von verbotenen Früchten zu naschen, die Herausforderung, unsichtbare Grenzen zu überschreiten. Auf jeden Fall verletzte ich bereitwillig jene Tabus, die ich ohnehin nie akzeptiert hatte.

Johns Begehren machte mich süchtig, und ich begann ihn zu lieben,

seine schwarze, haarlose Haut, seine vollen Lippen. Seine sinnliche Körperlichkeit half mir aus meinen Hemmungen heraus wie aus einem zu engen Korsett. Sein Stolz auf mich, den er auf unzähligen Partys zeigte, gab mir Selbstbewußtsein. Seine Fantasie, die unbekümmerte Fröhlichkeit, mit der er das Leben auf sich zukommen ließ, ohne vorauszuplanen, verlieh mir Flügel. Seine Liebe und warmherzige Fürsorglichkeit umhüllten mich wie ein Handschuh die frierenden Finger.

Johns sinnliches Reich aus Liebe und Sex, Düften und Essen hätte ewig dauern können; aber er hatte kein Geld. „Macht nichts“, sagte ich lässig, „ich verdien' ja schon neben dem Studium.“ Und war nun meinerseits stolz, ihm mit meinem Geld helfen zu können. Das Leben mit John veränderte mich schnell. Auch äußerlich: Meine rotblonden langen Haare kräuselten sich schon bald im Afro-Look, womit ich John zeigte, daß ich zu ihm gehörte.

Aber mein Vater, der auf einen braven deutschen Geschäftsmann -

wie er selber einer war - als Gatten seiner ältesten Tochter gehofft hatte, sah seine Felle davonschwimmen. Unverhüllt zeigte er seine Ressentiments. Weil ich Konfrontationen immer aus dem Weg ging, schwieg ich. Da kamen mir Johns Ideen, die so farbenprächtig waren wie seine Fantasie, gerade recht. Er träumte von jener Gegend der Welt, die uns beiden weit, ungezwungen und grenzenlos erschien. In Kanada wollte er sich zum Piloten ausbilden lassen.

Mit Johns Liebe und Kraft fühlte ich mich unendlich stark und mutig, und ich glaubte, nie einen Fehler machen zu können. Meinem dominanten, überfürsorglichen Vater erzählte ich, daß ich in Amerika ein internationales Studium beginnen wolle. Er brachte mich sogar zum Flughafen. Und dann strömten am Abflugschalter fünf, sechs schwarze Männer auf mich zu, mittendrin John, voller Vorfreude auf Kanada. Mein Gebäude aus Lügen knickte in sich zusammen. Ich flog Hals über Kopf ab, statt meinem Vater klarzumachen, daß ich von nun an mein eigenes, von mir selbst zu verantwortendes Leben führte. Ich nahm einen Berg Schuldgefühle mit, mit denen ich die nächsten Jahrzehnte lebte und die Papa trefflich auszunutzen wußte.

Unsere abenteuerliche Reise nach Kanada tat unserer Beziehung gut. Ich bewunderte John wegen seiner Ausgeglichenheit, die nie ein böses Wort über seine Lippen kommen und ihn nie ein hartes Urteil über andere Menschen fällen ließ, ganz egal, wie sehr er selbst beleidigt worden war. Da ich immer eine Einzelgängerin gewesen war, genoß ich seine unkomplizierte Art, überall schnell Freunde und „Verwandte“ zu finden. Und ich lernte auch die stille, gläubige Seite an ihm kennen, das Gebet vor jeder Mahlzeit, das Ausdruck tiefer Spiritualität war.

Unsere Hoffnung erfüllte sich nicht: Das Leben in Kanada war nicht leichter als das in Deutschland, vor dem wir davongelaufen waren.

Zwar fand ich problemlos Arbeit, doch John erhielt nicht einmal eine Aufenthaltsgenehmigung, die Voraussetzung für die Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne. Aber was uns hätte trennen sollen, schmiedete uns noch stärker zusammen: Im März 1974 heirateten wir in Toronto, und ich wurde Ilona Wowo. In Briefen, die ich nach Hause schrieb, gab ich nur meinen Vornamen als Absender und eine Postfachadresse an. Meine Mutter roch den Braten bald und fragte, ob ich geheiratet hätte. Nach meinem Antwortbrief wollte mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben; Mutter mußte von nun an heimlich schreiben.

Den ersten Schatten auf unser Glück warf ein Brief aus Nigeria.

John hatte dort eine Ehefrau, die er kurz vor seiner Abreise nach Deutschland nach Stammesrecht geheiratet hatte. Aus seiner Sicht war Polygamie nichts Verwerfliches, sondern gehörte zur Tradition.

Doch ich war wütend. John schrieb einen Brief nach Hause, in dem er das Mädchen verstieß und seine Eltern aufforderte, die letzte Rate des Brautpreises nicht zu zahlen, da er in Europa die Frau seines Leben gefunden habe. Ich war versöhnt und glaubte wieder an ihn. Trotz der Heirat bot Kanada uns keine Zukunft. Wir entschlossen uns, nach England zu gehen, um zu studieren und zu arbeiten. In kürzester Zeit gelang es mir, in London einen Job zu finden und Geld für uns beide zu verdienen. Wir wohnten in dem heruntergekommenen Londoner Stadtteil Brixton, weil wir uns mehr nicht leisten konnten. Das armselige Zimmer, das ein Vorhang in Wohn- und

Schlafbereich teilte, besaß weder Klo noch Bad. Der Nachbar von oben löste das Problem auf seine Art: Er pinkelte aus dem Fenster.

Ich wurde vom anstrengenden Alltag so in Beschlag genommen, daß ich nicht bemerkte, was mit John vor sich ging. Was es für ihn bedeuten mußte, die Weite Afrikas zu kennen, von der Freiheit Kanadas zu träumen - und in einem solchen Loch zu landen, ohne die Aussicht, das Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu können. Denn wieder bekam John keine Arbeitsgenehmigung.

Wenigstens ein Studium durfte er beginnen, das wir allerdings selbst zu finanzieren hatten. Es machte mir nichts aus, daß es mein schwer verdientes Geld war, solange John seinem Ziel ein Stück näher kam.

Aber John fehlte der Antrieb. Erst gegen Mittag fand er aus dem Bett, beantwortete Fragen nach dem Studium ausweichend. Wenn ich müde von der Arbeit nach Hause kam, war in unserer kleinen Wohnung Party angesagt. Mein ausgeruhter, kontaktfreudiger Mann hatte andere Afrikaner eingeladen, die alle nicht arbeiten mußten oder durften. Unser Leben geriet aus den Fugen.

Ausgerechnet da kam John mit einer neuen Idee - ein Kind! Für Afrikaner hat Nachwuchs einen anderen Stellenwert als für Europäer. Das reicht vom Gedanken der finanziellen Alterssicherung bis hin zu einer spirituellen Bedeutung: Kinder sichern die Wiedergeburt. Das wußte ich mit Anfang Zwanzig nicht.

Ich dachte weiblich-pragmatisch: Als Vater wird John sicher verantwortungsbewußter!

Anfang Juli 1975 kam unsere Tochter Janet zur Welt, doch nichts änderte sich. Im Gegenteil. John dachte gar nicht daran, Janet zu betreuen. Das alte Klischee: Kindererziehung ist Frauensache. Aber ich arbeitete - der Sozialhilfesatz hätte nur zum Verhungern gereicht. Johns Vorschlag: Bring das Kind zu deiner Mutter.

Unvorstellbar! Mit Mama wechselte ich immer noch heimlich Briefe, zwischen Papa und mir herrschte der Krieg des Schweigens. Ich hätte zu Kreuze kriechen, mein Versagen eingestehen müssen.

Doch so weit war ich nicht - noch nicht. Janet kam zur Tagesmutter, in deren winziger Wohnung ein Dutzend anderer Kinder herumkrabbelte.

Da Janet ständig krank war, mußte ich sie oft zu Hause lassen. Als ich am Abend eines solchen Tages heimkehrte, glaubte ich, die falsche Wohnung erwischt zu haben. Da stand eine Frau in unserem Zimmer an der Kochplatte, trug meinen Wrapper, rührte träge in einem Topf, und meine einjährige Tochter, hochfiebrig, krabbelte zu ihren Füßen herum. Mein Mann tanzte mit seinen Freunden zu lauter, reggaeartiger High-Life-Musik durchs Nebenzimmer. Ich bin nicht der Typ, der Szenen macht. Statt dessen schleppte ich John zum Eheberater, der uns zur Sexberatung ins Krankenhaus schickte. Nasenspray gegen Lungenentzündung, sozusagen. Alles ging weiter wie gehabt. Zum ersten Mal wollte ich raus aus dieser Ehe, die so romantisch begonnen hatte.

John begriff den Ernst der Lage, wurde für einige Monate wieder der Mann, den ich geliebt hatte und der sogar seine kleine Tochter versorgte. Im September 1977 kam Bobby zur Welt. „Mein Sohn“, sagte John voller Vaterstolz. Jetzt wollte er mir zeigen, daß er Geld verdienen konnte. Naja, vielleicht wollte er es mehr sich und seinem Sohn beweisen. Jedenfalls bekam ich nichts davon mit, denn er flog nach Nigeria. Um Geschäfte in Gang zu bringen, die er mit seinen Freunden nächtelang diskutiert hatte.

Ich mußte arbeiten, wurschtelte mich mit den zwei Kindern durch und schickte Geld nach Nigeria. Dann hörte ich nichts mehr von John - er war verschwunden, als hätte ihn der afrikanische Boden verschluckt. So konnte es nicht weitergehen! Janet und Bobby verbrachten den Tag bei einer englischen Tagesmutter in einer engen Sozialwohnung mit acht anderen Kindern, drei Hunden und zwei Katzen. Das war nicht das Leben, das ich mir für meine Kinder gewünscht hatte. Schlechtes Gewissen plagte mich. Sollte ich zurück zu Muttern nach Deutschland? Mama, die großmütige Kindernärrin, liebte meine beiden Süßen aus der Ferne. Und Vater?

Ihn reumütig um Hilfe bitten? Er hatte mir ja noch nicht mal die Ehe mit John verziehen. Schuldgefühle hier wegen der Kinder, Schuldgefühle dort wegen meines Vaters. Die Kinder gaben den Ausschlag, zerknirscht kapitulierte ich. Meine Eltern hatten mich wieder. Und ich sie!

Während meine Mutter sich um die Kinder kümmerte, machte ich in München bescheiden Karriere als Abteilungsleiterin. Ich reichte die Scheidung ein. Das Scheidungsbegehren wurde von der Post zwischen Deutschland und Nigeria hin- und hergeschickt. Johns Adresse konnte nicht ermittelt werden. Ich war mit einem Nigerianer verheiratet; aber in Afrika war ich bis dahin noch nie gewesen. Das war 1980, im sechsten Jahr meiner Ehe. Oma und Opa hatten ihre Rolle, Janet und Bobby ihre Familie gefunden. Ich hoffte, endlich wäre Ruhe eingekehrt. Außerdem war Weihnachten.

Meine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Ein erstes Anzeichen dafür war, daß der dreijährige Bobby mit seinem ersten Fahrrad, das sein Opa ihm schon einen Tag vor Heiligabend geschenkt hatte, im Kellerflur stürzte. Er blutete aus einer Platzwunde über dem rechten Auge, und sein linker Arm war verrenkt. So saß mein kleiner Sohn mit einem Gipsarm und einem dicken Pflaster über dem Auge unter dem dritten Weihnachtsbaum seines zarten Lebens.

Wir waren gerade bei „Stille Nacht, heilige Nacht“, als es klingelte.

Überrascht sahen wir uns an. Da sprang Janet schon hoch und lief zur Tür. Sekunden später hörte ich sie aufgeregt kreischen: „Mama, komm schnell! Da ist ein schwarzer Weihnachtsmann!“

Janet hätte ihren Vater auch nicht erkannt, wenn der sich keine rote Mütze mit einem weißen Bommel aufs schwarze Kraushaar gesetzt hätte. Da stand er nun, bepackt mit lauter glitzernden Paketen und einem unschuldigen Grinsen im Gesicht. Janet klammerte sich ängstlich an mir fest und starrte den schwarzen Weihnachtsmann an, der zur Bescherung zu spät gekommen war.

„Happy Christmas, everybody. Kann ich sehen meine Sohn?“ fragte John in seinem fröhlichen Deutsch-Englisch. Obwohl mit einer Deutschen verheiratet, hatte er meine Sprache nie richtig lernen wollen; wir unterhielten uns immer auf englisch. Am Anfang hatte das einen exotischen Reiz gehabt; doch im sechsten Jahr unserer Ehe, dem Frustjahr, nervte es mich.

Der schwarze Weihnachtsmann bekam seinen Mund nicht wieder zu. Aber er staunte nicht etwa über den zwei Meter fünfzig großen Weihnachtsbaum, den mein zur Gigantomanie neigender Vater ins Wohnzimmer geschleppt hatte, sondern über den desolaten Zustand seines einzigen Sohnes, seines Stammhalters, den zu besuchen er gekommen war. Auf englisch rief er: „Was habt ihr mit meinem Bobby gemacht?“

Er stürzte auf das leidende Kind zu, hob es auf den Arm und drückte ihm Küsse ins verdutzte Gesicht. Ich weiß nicht, ob Bobby von dieser Art der Liebkosung Kopfschmerzen bekam und deshalb in Tränen ausbrach oder einfach nur vor Schreck, aber ich tippe auf letzteres. Der Heilige Abend war jedenfalls gelaufen. Keine stille Nacht, sondern ausführliche Erklärungen über den Hergang des Unfalls im Keller. Ich glaube, John wertete Bobbys Fahrradcrash schließlich in die erste Männlichkeitsprüfung seines Sohnes um.

Denn der einzige Schluß, den er aus der Angelegenheit zog, war:

„Morgen kaufe ich für Bobby ein neues Fahrrad.“

„Aber John, morgen ist Weihnachten. Da haben alle Geschäfte zu!“

„Okay, dann der Tag nach morgen.“

„Da ist auch zu.“

„Ilona, das ist typisch für dich. Ich bin gerade gekommen. Den weiten Weg von Nigeria zu euch hier nach München. Und du streitest mit mir.“

Ich habe erst später erfahren, daß er nicht aus Nigeria gekommen war, sondern aus Augsburg. Gerade mal sechzig Kilometer. Und daß er schon seit zwei Wochen in Deutschland war. In Augsburg hatte einer seiner vielen Vettern eine Wohnung. Und der Vetter hatte eine Freundin, die eine Freundin ... Egal, zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns schließlich im Trennungsjahr.

Von Johns Auftauchen an spielten weder meine ohnehin sehr stille, leidgeprüfte Mutter noch meine verdutzte Tochter Janet oder gar ich selbst eine Rolle. Wir waren abgemeldet und überließen John, meinem Vater und Bobby das Schlachtfeld. Mutter und ich backten Kuchen, und Janet gesellte sich zu uns. Ich futterte, gefrustet und ratlos. Ich hätte John einfach rausschmeißen sollen! Wir lebten doch in Scheidung. Aber ich bin viel zu nachgiebig, viel zu rücksichtsvoll. Die armen Kinder - da kommt der Daddy an Weihnachten

vorbei, und den setzt man an so einem Festtag eben nicht einfach vor die Tür. Was hätten Janet und Bobby von mir denken sollen?

Vielleicht war mein Rückzug vom weihnachtlichen Schlachtfeld schuld oder der viele Glühwein. Auf jeden Fall hatten mein Noch-Mann und sein Noch-Schwiegervater plötzlich einen Narren aneinander gefressen. Sie redeten und redeten. Wenn ich mal dazukam, wunderte ich mich über ihre spezielle Kommunikation.

John sprach afrikanisches Englisch und konnte nur wenige deutsche Worte, Papa pflegte sich auf bayerisch zu unterhalten. Ob John alles verstand? Ob mein Vater alles richtig mitbekam? Leider verschwendete ich daran nicht genug Gedanken, amüsierte mich nur insgeheim über die beiden angetrunkenen Weihnachtsmänner.

Was sich bitter rächen sollte. Denn so wunderte ich mich nicht weiter über die Rechenmaschine vor den beiden, deren papierener Auswurf im Laufe des Abends Girlandenausmaße annahm. Und konnte nicht verhindern, daß John von meinem Vater herzlich eingeladen wurde, über Silvester zu bleiben.

Welches gemeinsame Interesse hatten mein weißer Vater und mein schwarzer Mann an diesem Abend wohl ausgemacht? Natürlich: Autos. Damit nahm ein Verhängnis seinen Lauf, dessen Ausgang ich nicht im Traum geahnt hätte.

John und mein Vater beschlossen unter dem Weihnachtsbaum johns vom reichlich sprudelnden Öl gesegnete Heimat Nigeria mit Autos zu versorgen. Nun wußten die beiden von Autos mal gerade so viel, daß die Dinger möglichst groß zu sein hatten, schick aussehen mußten und viele PS unter der Haube haben sollten. Vom Handel damit hatten sie auch ganz konkrete Vorstellungen: kaufen, aufs Schiff packen, wieder entladen, gewinnbringend verscherbeln.

Den Anfangwollten sie mit zehn Stück machen. In Deutschland billig kaufen, in Nigeria zu astronomischen Preisen verkaufen.

Johns älterer Bruder Moses sollte das Unternehmen in Lagos in die Wege leiten und ein Vetter der beiden, der beim Zoll arbeitete, für eine reibungslose Einfuhr sorgen. Der Autohandel stand von Anfang an unter keinem guten Stern.

Papa und John kauften vor allem Peugeots, weil die angeblich in Nigeria besonders gefragt waren, und zwei Mercedes. Vielleicht lag es am deutschen Verkehr, den John nicht gewohnt war, vielleicht ließen es die beiden Herren auch bei der Auswahl der Wagen an Sorgfalt mangeln. Jedenfalls kamen vier der zehn Wagen mit Beulen, defekter Ölpumpe und kaputtem Vergaser am Verschiffungshafen in Bremen an. Meine zaghaften Einwände, daß man für im Schnitt 3 000 Mark pro Auto eben keine Nobelschlitten bekomme, hatten nicht gegolten. Was versteht eine Frau schon von Autos? Außerdem: „In Nigeria kann man alles billig reparieren.“

In diesem Stil ging es weiter: Meerwasser ist salzig. Daß für Autos eine Meerwasser-Dauerdusche auf Deck nicht gerade wertsteigernd ist, sollte man berücksichtigen. Aber mein Vater wiegelte ab: „Unter Deck kommt zu teuer, Ilona. Ist doch billiger, sie hinterher zu waschen und ordentlich zu polieren. Wenn die Wagen in Lagos ankommen, nimmt John sie in Empfang und läßt sie auf Vordermann bringen.“ John nickte.

Die Rechnung der beiden Starverkäufer war einfach: Kaufpreis pro Auto 3 000 Mark plus jeweils etwa 7 000 Mark „Nebenkosten“ gleich 10 000 Mark, Verkaufspreis in Nigeria 10 000 Naira, damals 20 000

Mark. Aus eins mach zwei. Aber das war eine Rechnung mit verflixt vielen Unbekannten. Denn mit dem Ausfall eines Wagens standen nicht 3 000 Mark auf dem Spiel, sondern 10 000. In drei Monaten sind die Autos verkauft, machte mein Vater mir Mut. Und mit dem Gewinn wird dann richtig groß ins Autogeschäft eingestiegen. Dem künftigen Leben als Millionär stand nichts mehr im Weg...

Die Wagen wurden verschifft, und dann herrschte Funkstille an der Autofront. Wir konnten nur hoffen, daß die Vehikel ihr Ziel heil erreichten. Die Bank meines Vaters hoffte mit: Sie hatte insgesamt 50 000 Mark für den Autohandel vorfinanziert. Die Spedition, die die Wagen nach Afrika verschiffte, hatte meinen Vater Wechsel unterschreiben lassen, die drei Monate später zur Zahlung fällig waren. Hier lauerten weitere 25 000 Mark.

Dann kam das Telegramm aus Nigeria: Johns Bruder Moses, der unerläßliche Helfer beim Autohandel vor Ort, hege im Sterben john müsse sofort kommen. Und weg war er. Mit weiteren 25000 Mark, die die Bank uns lieh, um die Autos sicher aus dem Zoll zu bekommen und herrichten zu lassen.

Ursprünglich hatte ich mit diesem unsinnigen Autohandel nichts zu tun. Trotzdem machte ich ihn mit jedem Tag des Wartens mehr zu meiner Angelegenheit. Ich fühlte mich für Johns Tun verantwortlich.

Jeder Schritt, den Vater mit hängenden Schultern schlurfte, drückte auf meine schuldbeladene Seele. Wenn sich die Autos nicht verkaufen ließen, wären wir ruiniert gewesen.

Von John kam keine Nachricht. Anrufen konnten wir nicht - er war abgereist, ohne eine Telefonnummer dazulassen. Was wir hatten, war ein Zettel, auf den er ein paar Worte gekritzelt hatte - die Adresse seines Vetters irgendwo in Lagos. Ich schickte ein Telegramm an den Vetter: John, ruf sofort an! „Sofort“ ist in Afrika ein sehr relativer Begriff. In diesem Fall bedeutete er zwei Wochen, in denen ich bangte und kaum noch schlief. Eines Nachts um eins schrillte das Telefon. Durch das Rauschen der Leitung drang Johns Stimme - von ganz weit her.

„Hi Hello? Ilona? Hier ist John!“

„O Gott, John! Wo bist du? Bist du okay?“

„Ja, ja. Geht es den Kindern gut?“

„Ja, alles okay. Was ist mit den Autos? Hast du sie verkauft?“

„Die Autos? Was soll mit den Autos sein?“

„John! Sind sie verkauft?“

„Die stehen im Zollhafen.“ Dabei mußte mein Vater eine Woche später 75 000 Mark zurückzahlen! „Ilona, es gibt ein Problem mit den Autos.“

Ich war der Ohnmacht nahe. „Was ist mit deinem Vetter beim Zoll?“

„Er ist nicht mehr beim Zoll. Ich brauche noch Geld, um die Autos aus dem Zoll zu bekommen.“

„Du hast doch 25 000 Mark mitgenommen!“

„Ilona, mein Bruder Moses ist sehr krank. Ich muß den Medizinmann bezahlen. Sag deinem Vater, er muß noch Geld schicken.“

„Er hat keins mehr!“

„Du brauchst Geld, um Geld zu verdienen, Ilona.“

„Wieviel denn noch?“

„Ich glaube, 10 000 Mark werden reichen. Aber vielleicht wären 20

000 besser.“

„John, willst du Autos verkaufen oder Medizinmänner reich machen?“

„Ilona, bitte reg dich nicht auf. Zwei Autos sind beim Ausladen beschädigt worden. Sie müssen repariert werden.“

Die Leitung brach zusammen. Und ich auch. Ich sank einfach zu Boden. Als meine Mutter nachts um drei aufstand, um sich aus der Küche etwas zu trinken zu holen, fand sie mich so vor. Nein, geheult habe ich eigentlich nicht, jedenfalls nicht bewußt, nur geschrien, leise in mich hinein. Auf dem Weg nach draußen müssen wohl Tränen daraus geworden sein. Man kann ja nachts um eins nicht vor Wut losbrüllen. Ich hätte die Kinder geweckt.

Autos sind zum Fahren da. Und die Beziehung zu einem Mann setzt Vertrauen voraus. Das ist meine Überzeugung bis heute. Obwohl ich gegen beide Ansichten verstieß, war im März 1981 klar: Ich fliege nach Nigeria, um die Sache in Ordnung zu bringen. Denn ich habe noch ein Prinzip: Ich lasse niemanden im Stich, schon gar nicht meinen Vater, so gespannt das Verhältnis zu ihm auch war.

Aber auch Papa war ein Dickkopf. „Ilona, du fährst nicht allein nach Afrika! Es geht schließlich um mein Geld, das John da unten aus dem Fenster schmeißt. Ich komme mit.“

„Aber du sprichst kein Wort Englisch!“ mahnte ich vergebens.

Als John zum verabredeten Zeitpunkt brav anrief, informierte ich ihn, daß wir kämen und wann er uns abholen solle. Da meinte John:

„Oh, gut, daß ihr kommt. Bringt ein paar Kleinigkeiten mit, um Freunde zu machen.“ Kleinigkeiten? Ein schwerer Ballen goldenen Brokatstoffes sowie zwei riesige Stoffballen mit österreichischer Stickerei. Mein Vater fuhr extra 300 Kilometer nach Dornbirn in Osterreich. Er wollte sich ja nicht lumpen lassen. Das Motiv der Stickerei: Mercedes-Sterne, laut John der letzte Schrei auf dem nigerianischen Modemarkt. Am nächsten Tag brachte Quelle noch ein gigantisches Paket voll güldenem Krimskrams: Aschenbecher, Vasen, Tellerchen, Kerzenleuchter. Ein Flohmarkt für den Afrika-Export.

Diesmal nahm ich den Kredit auf: 15 000 Mark, 10 000 für die Autos, 5 000 kosteten die Lufthansa-Flüge. Wir mußten Business class nehmen, denn auf Plätze in der günstigeren Touristenklasse hätten wir wochenlang gewartet. Mein Vater war auch nicht der Typ, der mit einem Billigticket reist. Er war ein Mann von einem Meter achtzig und wog damals 125 Kilo. Ein Mann mit Einlegesohlen in den Gesundheitsschuhen, wollenem Trachtenanzug und Filzhut mit Gamsbart. Er wollte eben was hermachen. Um einen Kredit bei einer oberbayerischen Bank zu ergattern, war das vielleicht der richtige Aufzug. Doch so stieg er auch ins Flugzeug nach Afrika.