28
 
Nasse Braut, glückliche Braut
 
Ein ohrenbetäubendes Donnergrollen weckte mich, der Vorläufer eines Platzregens, der die Trockenheit der letzten drei Monate an einem einzigen Vormittag locker wieder wettmachte – an dem Vormittag, an dem ich heiraten wollte. Ich traute meinen Ohren kaum und eilte zum Balkonfenster. Dort starrten Daniela und meine Eltern ungläubig in die Dunkelheit, wo normalerweise ein Postkartenidyll war.
Ich umarmte die zukünftige Braut, die genauso betrübt war wie das Wetter. »Das ist wahrscheinlich nur ein« – DONNER – »Morgengewitter, mein Schatz«, sagte ich wenig überzeugend. »Das ist bestimmt« – KRACH – »in wenigen Minuten vorbei.« Meine Eltern gaben ähnliche Plattitüden von sich, aber Daniela, die statt dem Donner vielmehr die Klatschmäuler reden hörte, war untröstlich. Eine nichtkirchliche Trauung an einem Freitag mit verschiedenfarbigen Ringen – nachdem wir uns über so einfache Grundwahrheiten und den Geistlichen hinweggesetzt hatten, bekamen wir einfach nur, was wir verdienten.
Zwei Stunden später war der Spuk vorbei. Der Himmel und das Meer waren wieder blau, der Wind ließ nach, die Fischerboote verließen den Hafen, Wäsche wurde auf Dachterrassen zum Trocknen gehängt, die Sonne erwärmte geweißelte Häuser, und es kehrte wieder Leben in den Ort am Mittelmeer ein. In der festen Überzeugung, dass es weitere drei Monate nicht regnen würde, verbrachten wir den restlichen Vormittag damit, den Burghof gemeinsam mit der Floristin wie geplant für eine Hochzeit im Freien zu dekorieren. Um die Tradition wenigstens ein bisschen zu wahren, schickte ich Daniela anschließend nach Hause. Wenn wir uns das nächste Mal sehen würden, dann vor dem Traualtar beziehungsweise vor seinem standesamtlichen Äquivalent – einem Tisch mit einem elfenbeinfarbenen Tischtuch.
Daniela verbrachte den Nachmittag damit, sich schminken und frisieren zu lassen, während ich nach La Botte fuhr und darauf achtete, keinen Sonnenbrand zu bekommen, damit ich nachher auf den Hochzeitsfotos nicht aussah wie ein gekochter Hummer. Ich war froh, dass wir am Vormittag mit allen Vorbereitungen fertig geworden waren, sodass ich mich im Meer abkühlen konnte, statt noch kurz vor der Hochzeit ins Schwitzen zu geraten. Während mein Vater in Sandalen schnorchelte, um sich vor den riccio-Stacheln zu schützen, döste ich auf meinem Handtuch in der Sonne und unterhielt mich mit meiner Mutter, für deren helle russische Haut die intakte Atmosphäre der Nordhalbkugel die reinste Wohltat war – zumindest, was die Ozonschicht anbelangt. Man brutzelt auch, nur langsamer.
Gegen halb fünf, also anderthalb Stunden bevor man uns auf der Burg erwartete, wurde unser friedlicher Nachmittag empfindlich gestört, als mein Vater, dessen Haut vom vielen Schwimmen ganz verschrumpelt war, fragte: »Was meinst du, Chris, zieht das hierher?«
»Wieso, wovon redest du?«
Er zeigte auf die Wolke hinter der südlichen Landspitze.
»Davon.«
»Minchia!«, rief ich – sizilianisch für Schwanz und genauso vielseitig einsetzbar wie »Fuck!«.
»Ich dachte, du hättest gesagt, im Sommer scheint hier immer die Sonne«, meinte Dad.
»Bis auf heute Morgen hat es hier drei Monate nicht mehr geregnet!«
»Dann dürfte es statistisch gesehen wohl jetzt so weit sein.«
Angesichts seiner Swans-Krawatte und seiner Statistikgesetze bereute ich es langsam, ihn überhaupt eingeladen zu haben.
Bevor ich zum Tennisspielen fahre, gehe ich normalerweise auf Valerias Dachterrasse und sehe nach, wie das Wetter südlich von Tricase aussieht. Trotz fehlender Berge habe ich noch nie eine von Ort zu Ort so unterschiedliche Wetterlage beobachten können wie im Salento. Manchmal wird die rechte Hand nass, während die linke braun wird. Die einzige Ausnahme ist der scirocco, der riesige Wolken mit sich bringt, die den ganzen Salento bedrohlich einhüllen. Aber das kommt nur höchst selten vor. Ich hatte Danielas Kleid zwar noch nicht gesehen, war mir aber ziemlich sicher, dass es nicht wasserdicht war. Nachdem mich mein Vater an die Statistikgesetze erinnert hatte, beschloss ich, zu Valeria zu fahren und von ihrer Terrasse aus einen Blick auf den ungebetenen Gast zu werfen.
Ich wurde unter Protest am Tor empfangen, wo ein Schwarm von Sizilianern annahm, ich sei gekommen, um die Braut zu sehen. Nachdem ich ihnen den Grund für meinen Besuch genannt hatte, bekam ich freie Bahn und wurde von der Floristin und Danielas Bruder auf die Dachterrasse begleitet. Beide waren in Andrano geboren und kannten die hiesigen Wetterverhältnisse besser als jeder Australier. Mit Valerias Unterhosen in unserem Rücken beäugten wir die Wolkenberge in der Ferne.
»Was meint ihr?«, fragte ich.
»Scirocco«, entgegnete Francesco. »Innocuo
»Scirocco«, echote die Floristin. »Aber das muss uns nicht weiter beunruhigen.«
Hätte ich mich zum Tennisspielen verabredet gehabt – ich wäre nicht gefahren. Ich kannte diesen Himmel und hatte ihn mindestens ein Dutzend Male gesehen.
»Pioggia«, sagte ich bestimmt. »Regen.«
Eine Viertelstunde später regnete es in Andrano, und ich raufte mir den Rest meiner Haarpracht. »Non ti preoccupare, Crris«, tröstete mich die Floristin. »Wir haben da ein Sprichwort: »Sposa bagnata, sposa fortunata« – »Nasse Braut, glückliche Braut.« Ein Sprichwort warnt davor, an einem Freitag zu heiraten, während ein anderes besagt, dass schlechtes Wetter ein Segen ist, und zwar egal an welchem Wochentag. Italienische Sprichwörter mögen sich reimen, aber einen richtigen Reim kann ich mir nicht auf sie machen. Am besten, man sucht sich das aus, was einem gerade am besten in den Kram passt.
Das Sprichwort, das mir jetzt am besten in den Kram passte, war ein englisches: Many hands make light work. Viele Hände machen der Arbeit bald ein Ende. Wie auf Kommando schwärmten Francesco, die Floristin, die Harfenistin, die Sizilianer sowie zwei Angestellte des municipio in alle Richtungen aus, um Blumen, Teppiche, Harfe und Mikrophone vom Innenhof in das Obergeschoss der Burg zu bringen. Obwohl die Zeit langsam knapp wurde, war dieser Umzug immer Plan B für den unwahrscheinlichen Fall gewesen, dass es regnete. Auf dem municipio hatte man uns versichert, dass der Raum geputzt sei. Aber wer einen Italiener beim Wort nehmen will, wird unweigerlich auf den Arm genommen.
Was wir als Nächstes brauchten, war ein Putzkommando, denn als wir die Tür öffneten, fanden wir das reinste Chaos vor: Der Amtsraum wurde anscheinend gerade renoviert. Überall dreckige Klamotten, leere Getränkedosen und in die Ecken gestapelte Stühle und Tische. Das war meine Schuld – ich hätte den Raum kontrollieren sollen, als es am Vormittag regnete. Aber wenige Wochen zuvor hatte ich hier noch einer Hochzeit beigewohnt, und alles war piccobello gewesen. What the minchia war hier passiert? Ganz einfach: Weder wir noch das municipio hatten damit gerechnet, dass wir den Raum wirklich brauchen würden. Wenn man schon gar nicht mehr weiß, wie eine Wolke aussieht, wiegt man sich schnell in falscher Sicherheit. Es war April gewesen, als Daniela im Englischunterricht das Wort »cloud« durchgenommen hatte, und bis Ende Juni hatte sich das reale Beispiel dafür immer noch nicht vor dem Klassenzimmerfenster blicken lassen.
Auf mein Kommando – besser gesagt, auf eine ganze Reihe von Kommandos hin, in denen das Wort minchia ziemlich häufig vorkam – baute die Floristin den Blumenschmuck im Innenhof ab, während der Rest des Teams, zu dem mittlerweile auch die Schneiderin und die Friseurin gehörten, die die Braut fertig hergerichtet hatten, anfing, den Raum zu schmücken, in dem sie vierzig Minuten später heiraten sollte. Eine gebückte alte Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war und Pantoffeln trug, eilte ins Zimmer und verteilte Besen. Ich hatte sie noch nie zuvor geshen, aber sie schien mich offensichtlich zu kennen. Oder jemand Ähnlichen. »Keine Sorge, Crristian«, sagte sie im Dialekt. »Das sieht hier bald wieder wie auf einer Burg aus.« Bis heute weiß ich nicht, wer sie war. Sie sah aus, als lebte sie in einem der Schränke unter den Treppen.
Als ich gerade die 30 Kilo schwere Harfe hochschleppte – ich hätte doch lieber eine Geigerin engagieren sollen -, tippte mir Danielas Bruder auf die Schulter und verkündete, der Fotograf sei eingetroffen, dabei hatte ich immer noch meine Badehose an. Francesco war so geistesgegenwärtig, mir das sperrige Instrument abzunehmen, und schickte mich nach Hause, damit ich mich umzog, geistig umpolte und meine Eltern einsammelte, die bestimmt schon dachten, ich sei von Valerias Dach gefallen, während ich nach dem Wetter sah.
Ich trat das Gaspedal durch und jagte die Tachonadel des Lancia weit in den roten Bereich, als ich auf der einsamen Strecke zwischen Andrano und dem Hafen wen sonst, wenn nicht die carabinieri traf, deren Lollipops mich zum Anhalten zwangen. Einen Mann mit Maschinengewehr soll man nicht ignorieren, also nahm ich seine Einladung an und fuhr rechts ran. Ich war nicht angeschnallt, aber entweder, sie bemerkten es nicht, oder es war ihnen egal. Es handelte sich um eine Straßensperre und weniger um eine Geschwindigkeitskontrolle. So gesehen interessierten sie sich mehr für albanische Flüchtlinge in meinem Kofferraum als dafür, wie schnell ich fuhr. Betont langsam gaben sie meine persönlichen Daten in ihren Laptop ein. Zum Glück war ich dort nirgendwo gespeichert, was eigentlich erstaunlich war, wenn man bedenkt, wie oft ich die Strecke im Sommer hin- und hergerast war. Als ich zu Hause war, hatte ich noch genau zehn Minuten, zitterte vor Stress und schrie meinen Eltern immer noch Obszönitäten um die Ohren, die sie nicht verstanden.
Ich zog mich aus, duschte, rasierte mich, zog meinen Anzug an, während sich sowohl mein Magen als auch meine Krawatte verknoteten. Dann ging es gemeinsam mit meinen Eltern und den Ringen zurück in den Lancia. Ich machte einen Umweg über Marittima, um den carabinieri zu entgehen, die den Mann im Anzug bestimmt verhaftet hätten, weil sie ihn des Diebstahls des Wagens des Mannes in der Badehose verdächtigten.
Mit zehn Minuten Verspätung trafen wir bei Nieselregen auf der Piazza Castello ein, wo die Gäste zum Himmel hochsahen und etwas vom scirocco murmelten. Rüde rasten wir nach oben, um in Augenschein zu nehmen, was ich meinen Eltern als den Besenschrank der Burg beschrieben hatte. Stattdessen fanden wir einen elegant dekorierten Amtsraum vor, der aussah, als habe man ihn schon vor Wochen herausgeputzt. Wo dreckige Klamotten gewesen waren, standen jetzt Tulpen, und an den Wänden hingen historische Fotos von Andrano. Ich konnte mich im blitzsauberen Boden spiegeln, ein roter Teppich trennte zwei ordentliche Stuhlreihen und führte zu einem blumengeschmückten Tisch. Dahinter standen drei Flaggen, die italienische, die europäische und die mit dem Wappen Andranos. Am Fenster zupfte die Harfenistin eine keltische Melodie, und an der Tür standen meine Eltern sowie meine sprachlose Wenigkeit. Ich kam mir vor, als habe man mir einen Streich gespielt. Ein Wunder war geschehen, wie die, um die man sonst nur in einer Kirche bittet. Trotzdem darf Valeria nie erfahren, dass ich das gesagt habe.
Meine Eltern warfen mir vor, das Chaos maßlos übertrieben zu haben. Aber wären sie vor einer halben Stunde hier gewesen, hätten sie einen hektischen Haufen Einheimischer gesehen, die wie Ameisen auf einem weggeworfenen Stück Brot herumwuselten und die Katastrophe um ein Haar verhinderten. Aber es wäre auch keine echt italienische Hochzeit gewesen, wenn es nicht wenigstens ein bisschen dramatisch zugegangen wäre und man nicht bis zur letzten Minute gezittert hätte, ob auch ja alles gutgeht. Hier schien es eine größere Herausforderung zu sein, das Versprechen eines geputzten Raumes zu halten, als ihn noch in letzter Minute herauszuputzen. Nur Italiener wissen, wie man eine aussichtslos erscheinende Situation doch noch retten kann. Daran, dass ich fest mit einer Katastrophe gerechnet hatte, zeigte sich, dass ich trotz meiner Aufenthaltsgenehmigung, meiner fließenden Sprachkenntnisse und meiner Fähigkeit, eine Wassermelone auf dem Fahrrad zu balancieren, immer noch ein Außenseiter in Andrano war. Trotzdem: Meiner Meinung nach war es ein unnötig aufregender Nachmittag gewesen. Jetzt fehlte nur noch die Guardia di Finanza, die sich der Harfenistin annahm. Das Leben in Italien kann wirklich anstrengend sein.
Selbst wenn man weiß, dass die Braut auftauchen wird, weil man vor dem Zimmer schon die Gäste klatschen hört, macht einen das Warten am Altar nervös. Vor allem, wenn man so lange warten muss wie ich. Daniela hatte darauf bestanden, am Arm ihres Vaters zum Altar zu schreiten. Das bedeutete, in seinem Tempo neben ihm her zu schlurfen. Jetzt verstand ich auch, warum sie auf einer Zeremonie im Innenhof bestanden hatte: um Franco das Treppensteigen zu ersparen. Als ich sah, wie Vater und Tochter eintrafen, wobei sie ihn führte statt er sie, begriff ich erst, was für ein passender Heiratsort die Burg war. Franco war in diesem antiken Gemäuer aufgewachsen, und genau in diesem Zimmer hatte er gelernt, Geige zu spielen. Wenn es ihm gut gegangen wäre, hätte er auf der Hochzeit seiner Tochter bestimmt seine Lieblingssonate vorgespielt. Doch hier war er nun, unfähig, die Treppe hochzusteigen, die er als Junge heruntergesaust war, den Kopf voller Musik, das Leben voller Verheißungen. Als er sich Zentimeter für Zentimeter fortbewegte und in seinem Anzug wie geschrumpft aussah, galt der Applaus genauso sehr ihm wie seiner Tochter. Und obwohl ihm das Laufen Mühe machte, funkelten seine Augen lebhafter als sonst. Die Umgebung mochte ihm entfallen sein, aber an seinem Strahlen sah man, dass er begriffen hatte, wie besonders der Moment war.
Gäste drängten hinter der Braut und ihrem eingefallenen Begleiter in den Raum, bevor Daniela Franco zu Valeria führte, die den Rest des Abends, ja den Rest seines Lebens seinen Arm halten würde. Ich hatte mich gerade erst von dem nachmittäglichen Fiasko erholt. Doch jetzt verlor ich erneut die Fassung, als Daniela von meiner Hand und dem Platz neben mir Besitz nahm. Hätte ich auch nur ein Wort herausgebracht, ich hätte ihr zugeflüstert, dass sie fantastisch aussieht. Aber ich hatte einen Kloß im Hals und kämpfte mit den Tränen. Ich musste an den Abend denken, an dem wir uns in diesem verqualmten irischen Pub kennengelernt hatten und ich wie magisch von dieser lebhaften Person inmitten eines verschwommenen Publikums angezogen worden war.
Ich habe Daniela immer gesagt, dass sie eine natürliche Schönheit besitzt, die Schminke nur zerstören kann. Also freute ich mich, dass sie es an unserem Hochzeitstag mit dem Make-up nicht übertrieben hatte und zuließ, dass ihre lakritzfarbenen Augen und ihre sonnengebräunte Haut für sich selber sprachen. In ihre Haare waren Blüten im Elfenbeinton ihres Kleides geflochten, das sommerlich, schmal und mit Perlen besetzt war. Als ich sie so süß und stilvoll vor mir sah, fühlte ich mich glücklicher, aber auch ängstlicher denn je. Daniela zu heiraten bereitete mir gemischte Gefühle. Es bedeutete, meine Liebe zu einer Frau öffentlich zu machen, zu einer Frau, die mich seit unserem Kennenlernen glücklich machte, aber auch gefährdete.
Der unerwartete Preis für meinen Umzug nach Italien bestand in einem Gefühl der Entfremdung, das ich fern von meiner Heimat und meinen Freunden empfand. Mein Leben, wie ich es vor meinem Umzug nach Italien gewohnt war, kam mir inzwischen fremd vor, aber dasselbe galt für mein italienisches Leben. Anstatt mich in zwei Ländern zu Hause zu fühlen, fühlte ich mich wie ein Nomade, der weder hier noch dort heimisch ist. Ich lebte in einer Art Zwischenreich, hin- und hergerissen zwischen Italien und Australien.
Was sagt ein Name über jemanden aus? Eine ganze Menge. Chris aus Sydney und Crris aus Andrano waren zwei vollkommen unterschiedliche Menschen. Ihre Namen wurden unterschiedlich ausgesprochen, sie sprachen verschiedene Sprachen mit verschiedenen Akzenten, hatten einen unterschiedlichen Modegeschmack, einen unterschiedlichen Sinn für Humor, sie aßen unterschiedliches Essen zu unterschiedlichen Zeiten, fürchteten sich vor unterschiedlichen Dingen und genossen unterschiedliche Vergnügungen. Chris, der Pilot und Surfer, liebte die Natur und verachtete den Zigarettengestank, während Crris, der Kaffeesüchtige, manchmal zehn Glimmstengel pro Tag rauchte. Crris sprach mit lauter Stimme – etwas, das Chris’ Freunde irritierte. Und Chris mochte keine Menschen, die einen unterbrechen – etwas, das für Crris überlebensnotwendig war. Es handelte sich also um zwei völlig unterschiedliche Personen, die sich unter normalen Umständen nicht besonders gut verstanden hätten. Tatsächlich bestand ihre einzige Gemeinsamkeit darin, dieselbe Frau zu lieben.
Statt die Distanz zwischen unseren Welten zu verringern, wurde sie von unserer Liebe nur noch betont. Daniela und ich waren uns einig, dass wir uns eine gemeinsame Zukunft wünschten, auch wenn wir immer unterschiedlich sein würden. Daniela und Chris konnten niemals gleichzeitig vollkommen glücklich sein. In Australien litt Daniella – was sich ganz anders anhört als Daniela – unter derselben Schizophrenie, der Crris in Italien ausgesetzt war. Damit wir zwei zusammen sein konnten, musste einer seine Identität opfern. Aber die Liebe ist es wert, weshalb Daniela trotz der vor uns liegenden Herausforderungen gelobte, wovon ihr Barzini abriet, nämlich Chris und Crris zu lieben und zu ehren, während ich Daniela dasselbe gelobte, bis dass der Tod uns vier scheidet.
Kurz vor sieben wurden wir in der Burg gegenüber von Danielas Garten zu den Klängen des Matratzenverkäufers, der gerade seine Runde drehte, und denen einer keltischen Melodie vom Vizebürgermeister von Andrano zu Mann und Frau erklärt. Dieser machte dem Gesetz und den Traditionen seiner Heimat alle Ehre, indem er die Tricolore-Schärpe der italienischen Republik quer über seinem Maßanzug trug. Er sah fantastisch aus, wie ein schön verpacktes Hochzeitsgeschenk.
Die Menge applaudierte, unsere Mütter wischten sich die Tränen aus den Augen, und mein Vater sauste wie eine eingesperrte Fliege im Raum herum und machte noch mehr Fotos als der Fotograf. Ich war stolz, ihn als »Best Man« zu haben, obwohl die Italiener einen weniger schmeichelhaften Begriff benutzen, nämlich testimone, also Trauzeuge. Komisch eigentlich, wo sie doch sonst keine Gelegenheit auslassen, jemanden zu loben. Er hörte nur auf zu knipsen, um auf der Heiratsurkunde zu unterschreiben, eine Formalität, die von Paolo, dem Rathausangestellten, überwacht wurde, der keine Zeit gehabt hatte, sich zu diesem Anlass die Fingernägel zu säubern.
Alle anderen hatten sich ausgiebig herausgeputzt, vor allem der Vizebürgermeister, dessen Unterschrift auf der Urkunde die Zeremonie beendete. Jetzt musste ich nur noch 200 Wangen küssen und durfte mich anschließend betrinken.
Daniela und ich waren begeistert von der Zeremonie, einer Mischung aus italienischem Gesetz, australischer Poesie und irischer Musik, die, wie ein Gast es ausdrückte, »originalità, personalità e spiritualità« besaß. Selbstbewusst und stur wie wir waren, hatten wir einem ebenso sturen Dorf gezeigt, wie man den Glauben anderer respektiert, dass die Welt dadurch eher bereichert als befleckt wird und dass die Akzeptanz anderer Werte weitaus christlicher ist, als jedes Mal auf die Knie zu sinken, sobald man ein Buntglasfenster sieht. Sogar Danielas Mutter sprach anschließend von der »einzigartigen Spiritualität« unserer Zeremonie. Auch wenn sie sich nie für ihre »italienische Inquisition« entschuldigte, zeigte sie uns doch, dass sie ihren Fehler einsah. Und für Daniela war ein später Segen ihrer Mutter immer noch besser als gar keiner.
Nachdem wir uns durch die Menge geküsst hatten, wurden wir mit confetti und Makramee-Bumerangs beworfen. Letztere hatte Hiroshi, unser japanischer Freund aus Mailand, in mühsamer Handarbeit selbst gebastelt. Mit Erlaubnis des Vizebürgermeisters betraten Daniela und ich anschließend den Balkon der Burg, um die Gäste auf der Piazza darunter zu grüßen. Unsere Bitte war höchst ungewöhnlich. In den zwei Jahren in Andrano war ich unzählige Male stehen geblieben, um den Balkon zu bewundern, hatte jedoch nie jemanden darauf gesehen. Der Barock-balcone ist ein wichtiges Wahrzeichen Andranos. Er wurde direkt in die Burg gemeißelt und ist von verschwenderischer Pracht. Wenn man zwischen seinen Zinnen und Säulen steht, hat man einen fantastischen Blick über den ganzen Ort. Das gesamte centro storico liegt einem zu Füßen: Piazza Castello, La Chiesa di Sant’Andrea und auf der kopfsteingepflasterten Gasse im Schatten des Glockenturms ein Mosaik mit Andranos Wappen. Letzteres zeigt le sette spighe – die sieben Weizenähren – und symbolisiert den bäuerlichen Ursprung der sieben Gründerfamilien Andranos.
Inzwischen sind Jahrhunderte vergangen, auch wenn die Zeit vom Balkon aus betrachtet stehen geblieben zu sein scheint, und Andrano hat 5000 Einwohner, zu denen ich auch gehöre, offiziell ebenso wie emotional. Über Andranos schiefe Dächer zu schauen war wirklich ein krönender Abschluss. Außerdem hatte es aufgehört zu regnen, die Wolke war verschwunden, und die Hausfrauen kehrten auf ihre Terrassen zurück, um die Wäsche erneut zum Trocknen aufzuhängen. Noch vor zwei Jahren waren die Gassen unter mir der reinste Irrgarten gewesen. Jetzt konnte ich blind hindurchfahren, ohne in ein einziges Schlagloch zu geraten. Noch vor zwei Jahren war die Frau, die mich in dieses merkwürdige Dorf brachte, eine Fremde. Jetzt hatten wir uns untergehakt, und sie war meine Frau.
»Ihr seht aus wie Mussolini und seine Geliebte«, rief Concetta zu unserer Bühne hinauf. Concetta war Danielas testimone, eine Zeugin im wahrsten Sinne des Wortes, da sie damals mit Daniela in Irland gewesen und eine besonders gute Freundin von ihr war. Aber an jenem Abend wimmelte es auf der ganzen Piazza von besonderen Menschen, die ich von meiner erhöhten Position aus leicht unterscheiden konnte. Gesichter meines Abenteuers, die mir mit Großzügigkeit, Freundschaft und Zuneigung begegnet waren und mir vor allem das wahre Italien gezeigt hatten. Das waren Riccardo, der Polizeichef, der einen Schlüssel zur Hintertür einer jeden Behörde in Lecce besaß, die stolze Laura, die mir vergeben hatte, dass ich ihre hochgelobten gnocchi an einen Straßenköter verfüttert hatte, Dr. Nino, dessen selbst gemachter limoncello ihn mehr zum Anästhesisten als zum Hausarzt machte, der schweigsame Franco, die Sturköpfe Valeria und Francesco, die nun besänftigt und von Feinden zu Freunden geworden waren, Antonio, Adele und die kleine Asia, über deren Namen immer noch ein Damoklesschwert schwebte, die inzwischen Verlobten Michele und Carla, deren Eltern ihnen ihre Lüge hinsichtlich der New-York-Reise längst vergeben hatten, und eine Brigade sizilianischer Verwandter vom Hügel bei Alcamo. Nur Freccia fehlte, unsere freche vierbeinige Freundin, die wenige Monate vor der Hochzeit gestorben war und ihrem Part leider nicht mehr nachkommen konnte. Zu Valerias Entsetzen hatte ich geplant, dass der Hund die Ringe auf die Burg bringen solle, und zwar in einem an seinem Halsband befestigten Behälter. Mein Vater war ganz begeistert von der Idee gewesen, woraufhin ich sofort wusste, dass er der Richtige war, um für meinen schmerzlich vermissten Kumpel einzuspringen.
Obwohl man mir sagte, dass ich aussehe wie ein Faschist, gehören diese Momente auf dem Burgbalkon zu den schönsten Erinnerungen an meinen Hochzeitstag, ja an meine Zeit in Andrano. Uns lächelten und winkten Familienmitglieder und Freunde aus dem Salento, aus Mailand, Sizilien, Australien und Japan zu, die sich alle auf Andranos Piazza versammelt hatten, kosmopolitische Füße auf dem Kopfsteinpflaster eines Provinznests. Durch und um die Menge herum fuhren schwarze Witwen auf rostigen Fahrrädern, die vom Friedhof zurückkehrten, sonnenverbrannte Bauern auf holprigen Traktoren, die von ihren Feldern zurückkamen, und aufgestylte Jungs auf Vespas ohne Ziel, Hauptsache, sie machten genug Lärm. Von hier aus sah das wunderbar aus, eine typisch italienische Alltagsszene, ein lärmendes Kommen und Gehen von Menschen und Maschinen. Mein Leben hatte sich dramatisch verändert, aber das von Andrano war gleich geblieben. Der vigile blies in seine Trillerpfeife. Und die Glocke schlug Viertel vor acht.
 
Als wir Andrano mit lautem Hupen und Blinken verließen, um zur Feier zu fahren, hielt ich noch kurz, um Signor Api zu begrüßen, während unsere Wagenkolonne an der »California«-Tankstelle vorbeifuhr. Mein erster Freund aus dem Dorf verließ seinen Tankwagen und lief mit schnellen Schritten auf mein Autofenster zu. »Auguri!«, rief er und beugte sich vor, um mich auf die Wangen zu küssen. »Und wo bleibt das bambino
Nach aperitivi und antipasti in einem bezaubernd beleuchteten Garten servierte man uns in der Villa ein schnelles, aber üppiges Vier-Gänge-Menü in einem außergewöhnlichen Speisesaal. Das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert mit seinen durch drei Bogengänge verbundenen Räumen war ursprünglich Graf Lucagiovannis Stall gewesen. In der großen Halle parkte er seine von Pferden gezogene Kutsche, von der ein Foto an der Wand hinter dem Flügel hängt. Und in den anderen beiden Räumen band er seine Reittiere fest. Zu den Klängen leiser – und legaler – Klaviermusik aßen wir in der veredelten Garage, wo uns elegant gekleidete Stallknechte jeden Wunsch von den Augen ablasen.
Ich war schon auf einem Dutzend italienischer Hochzeiten und kenne keine, auf der jemand anders als der Priester eine Rede gehalten hat. Als Daniela das Mikrophon anstellte, kam sogar das Personal angelaufen, um diesem neuartigen Brauch beizuwohnen. Daniela bedankte sich bei den richtigen Personen für ihr Erscheinen, ich erzählte einige peinlichere Momente meines Lebens in Italien, einschließlich meiner Bitte um einen Pädophilen und um einen Kilometer Wurst. Und als mein Vater seinem Sohn und seiner Schwiegertochter stammelnd in so einem mühsamen Italienisch Tribut zollte, erntete er unabsichtlich mehr Gelächter als ich, der es beabsichtigt hatte.
Anschließend wurden im Garten Cocktails und die Hochzeitstorte serviert, und auch der Weinkeller des Grafen wurde gründlich geplündert. In der Villa serviert man kein Bier auf Hochzeiten, also hatte ich im Vorfeld gebeten, einen kleinen Vorrat anzulegen. Der Vorrat, der uns letztendlich zur Verfügung stand, war wirklich klein. Ehrlich gesagt, waren es ganze sechs Flaschen, eine Pfütze, die Danielas früherer Englischlehrer aus Lecce schnell intus hatte. Ich trank heftigere Geschütze, als ich es normalerweise gewohnt bin, sodass meine Fähigkeit, einen geraden Satz zu sagen, ebenso schnell dahinschwand wie das Bier. Zur Sicherheit hielt ich mich an die üblichen Phrasen, vor allem aber an das Wörtchen »grazie«.
Die Großzügigkeit unserer Gäste verdiente mehr als ein grazie. In Mazedonien sollen die Gäste Banknoten an die Braut heften. In Süditalien stecken sie sie in die Taschen des Bräutigams, wenn sie gerade nicht hinsieht. Am Ende des Abends waren meine von lauter kleinen weißen Umschlägen ausgebeult, die über 6000 Euro enthielten (insgesamt, leider nicht pro Umschlag). Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem die Gäste ungefähr überschlagen, was ihr Essen kostet, und Geschenke von entsprechendem Wert machen. Unsere hatten gut gerechnet. Vom Tischschmuck bis hin zu den Zahnstochern hatte Valeria allein für den Abend 6000 Euro ausgegeben. Aber das war ihr Geschenk an Daniela und mich, also durfte ich das Bargeld in meinen Hosentaschen behalten. Und ich hatte irgendwo anders heiraten wollen?
Nur wenige Gäste schenkten etwas anderes als Geld, darunter auch Zia Francesca, die eine 60 Zentimeter hohe Ikone schickte. Ich schlug vor, ein Gedeck für sie aufzulegen, aber Daniela meinte, das sei beleidigend.
Neben den Bumerangs hatte Hiroshi auch noch ein lebensgroßes Känguru gebastelt, das ich am Ende des Abends bestieg, um damit im Garten herumzuhüpfen, wobei ich sorgfältig darauf achtete, keinen der Umschläge aus meinem Beutel zu verlieren. Hätte der Graf noch gelebt, hätte er mich bestimmt erschießen, ausstopfen und auf seinen Kaminsims stellen lassen. Als ich in Danielas Nähe hüpfte, bekam ich den Eindruck, dass sie gern dasselbe getan hätte. Wir waren erst zehn Minuten verheiratet, und schon brachte ich sie in Verruf. Barzini hatte vermutet, es sei genau andersherum.
Bekanntlich sind Italiener, was ihren Alkoholkonsum angeht, sehr zurückhaltend, wenn andere dabei sind. Denn der wirkt sich negativ auf ein anderes, erstrebenswertes Ziel aus, nämlich bella figura zu machen. Aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu amüsieren, um mir über meine Wirkung auf andere Gedanken zu machen. Während ich auf einem Makramee-Känguru an Hecken vorbeihüpfte, wurde mir klar, dass die Italiener trotz ihrer sprichwörtlichen Extravaganz ein ziemlich formelles Völkchen sind, das Benimmregeln für jeden Anlass kennt. Sie sind Fische, die sich lebhaft im Wasser tummeln, aber nur selten gegen den Strom schwimmen, Pferde, die buckeln, aber Scheuklappen tragen. Vielleicht liegt das daran, dass die Bevölkerung so homogen ist, eine uralte Geschichte teilt und stets alles en masse macht, ganz anders als die Multikulti-Kultur, aus der ich komme. Bella figura hin oder her – ich blieb auf meinem Känguru. Ich war und werde vermutlich immer ein Australier sein.
 
Nachdem er das Känguru mit seinen Scheinwerfern hypnotisiert hatte, fuhr Francesco Daniela und mich in ein Hotel nach Castro. Dort gab ich der Tradition erneut eine Ohrfeige, indem ich meine Hose anließ, um das Geld in meinen Taschen nicht zu verlieren. Inzwischen weiß ich auch, warum Italiener freitags nicht heiraten: Weil die Banken erst am Montag wieder aufmachen. Ich überprüfte das Türschloss mehrere Male. Wo war San Denaro – der Schutzheilige des Geldes -, wenn ich ihn am dringendsten brauchte?
Beruhigt, dass uns niemand gefolgt war, widmete ich meiner Braut schließlich die Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Was für eine keusche Frau Danielas Näherin sein muss! Sie hatte fünfunddreißig Knöpfe in das Rückenteil des Hochzeitskleides genäht, die selbst ein nüchterner Bräutigam kaum vor dem Einschlafen aufbekommen hätte. Als ich sie endlich ausgezogen hatte, ließ ich ihre überteuerten High Heels an, damit ich meinen Kick bekam und sie, was sie verdiente.
Leidenschaftlich, aber sanft und immer mit einem Auge auf das Türschloss, nahm unsere unkonventionelle Hochzeit ein konventionelles Ende. Manche Regeln sollte man niemals brechen. In einem Moment absoluter Zufriedenheit waren die anstrengenden Monate davor völlig vergessen. Selbst die nagende Stimmme, die ständig wissen wollte, wo wir uns nun endgültig niederlassen würden, verstummte für eine Weile.
Eine Morgenbrise liebkoste den Vorhang. Ein Fischerboot tuckerte in den Hafen. Eine streunende Katze miaute auf der Terrasse. Der Sommer kehrte in das Salento zurück, die Sonne sammelte ihre Kräfte, und während der nächsten drei verrückten Monate konnten sämtliche Entscheidungen unsere Zukunft betreffend warten.