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Nasse Braut, glückliche Braut
Ein ohrenbetäubendes
Donnergrollen weckte mich, der Vorläufer eines Platzregens, der die
Trockenheit der letzten drei Monate an einem einzigen Vormittag
locker wieder wettmachte – an dem Vormittag, an dem ich heiraten
wollte. Ich traute meinen Ohren kaum und eilte zum Balkonfenster.
Dort starrten Daniela und meine Eltern ungläubig in die Dunkelheit,
wo normalerweise ein Postkartenidyll war.
Ich umarmte die
zukünftige Braut, die genauso betrübt war wie das Wetter. »Das ist
wahrscheinlich nur ein« – DONNER – »Morgengewitter, mein Schatz«,
sagte ich wenig überzeugend. »Das ist bestimmt« – KRACH – »in
wenigen Minuten vorbei.« Meine Eltern gaben ähnliche Plattitüden
von sich, aber Daniela, die statt dem Donner vielmehr die
Klatschmäuler reden hörte, war untröstlich. Eine nichtkirchliche
Trauung an einem Freitag mit verschiedenfarbigen Ringen – nachdem
wir uns über so einfache Grundwahrheiten und den Geistlichen
hinweggesetzt hatten, bekamen wir einfach nur, was wir
verdienten.
Zwei Stunden später
war der Spuk vorbei. Der Himmel und das Meer waren wieder blau, der
Wind ließ nach, die Fischerboote verließen den Hafen, Wäsche wurde
auf Dachterrassen zum Trocknen gehängt, die Sonne erwärmte
geweißelte Häuser, und es kehrte wieder Leben in den Ort am
Mittelmeer ein. In der festen Überzeugung, dass es weitere drei
Monate nicht regnen würde, verbrachten wir den restlichen Vormittag
damit, den Burghof gemeinsam mit der Floristin wie geplant für eine
Hochzeit im Freien zu dekorieren. Um die Tradition wenigstens ein
bisschen zu wahren, schickte ich Daniela anschließend nach Hause.
Wenn wir uns das nächste Mal sehen würden, dann vor dem Traualtar
beziehungsweise vor seinem standesamtlichen Äquivalent – einem
Tisch mit einem elfenbeinfarbenen Tischtuch.
Daniela verbrachte
den Nachmittag damit, sich schminken und frisieren zu lassen,
während ich nach La Botte fuhr und darauf achtete, keinen
Sonnenbrand zu bekommen, damit ich nachher auf den Hochzeitsfotos
nicht aussah wie ein gekochter Hummer. Ich war froh, dass wir am
Vormittag mit allen Vorbereitungen fertig geworden waren, sodass
ich mich im Meer abkühlen konnte, statt noch kurz vor der Hochzeit
ins Schwitzen zu geraten. Während mein Vater in Sandalen
schnorchelte, um sich vor den riccio-Stacheln zu schützen, döste ich auf meinem
Handtuch in der Sonne und unterhielt mich mit meiner Mutter, für
deren helle russische Haut die intakte Atmosphäre der Nordhalbkugel
die reinste Wohltat war – zumindest, was die Ozonschicht anbelangt.
Man brutzelt auch, nur langsamer.
Gegen halb fünf,
also anderthalb Stunden bevor man uns auf der Burg erwartete, wurde
unser friedlicher Nachmittag empfindlich gestört, als mein Vater,
dessen Haut vom vielen Schwimmen ganz verschrumpelt war, fragte:
»Was meinst du, Chris, zieht das hierher?«
»Wieso, wovon redest
du?«
Er zeigte auf die
Wolke hinter der südlichen Landspitze.
»Davon.«
»Minchia!«, rief ich – sizilianisch für Schwanz und
genauso vielseitig einsetzbar wie »Fuck!«.
»Ich dachte, du
hättest gesagt, im Sommer scheint hier immer die Sonne«, meinte
Dad.
»Bis auf heute
Morgen hat es hier drei Monate nicht mehr geregnet!«
»Dann dürfte es
statistisch gesehen wohl jetzt so weit sein.«
Angesichts seiner
Swans-Krawatte und seiner
Statistikgesetze bereute ich es langsam, ihn überhaupt eingeladen
zu haben.
Bevor ich zum
Tennisspielen fahre, gehe ich normalerweise auf Valerias
Dachterrasse und sehe nach, wie das Wetter südlich von Tricase
aussieht. Trotz fehlender Berge habe ich noch nie eine von Ort zu
Ort so unterschiedliche Wetterlage beobachten können wie im
Salento. Manchmal wird die rechte Hand nass, während die linke
braun wird. Die einzige Ausnahme ist der scirocco, der riesige Wolken mit sich bringt, die
den ganzen Salento bedrohlich einhüllen. Aber das kommt nur höchst
selten vor. Ich hatte Danielas Kleid zwar noch nicht gesehen, war
mir aber ziemlich sicher, dass es nicht wasserdicht war. Nachdem
mich mein Vater an die Statistikgesetze erinnert hatte, beschloss
ich, zu Valeria zu fahren und von ihrer Terrasse aus einen Blick
auf den ungebetenen Gast zu werfen.
Ich wurde unter
Protest am Tor empfangen, wo ein Schwarm von Sizilianern annahm,
ich sei gekommen, um die Braut zu sehen. Nachdem ich ihnen den
Grund für meinen Besuch genannt hatte, bekam ich freie Bahn und
wurde von der Floristin und Danielas Bruder auf die Dachterrasse
begleitet. Beide waren in Andrano geboren und kannten die hiesigen
Wetterverhältnisse besser als jeder Australier. Mit Valerias
Unterhosen in unserem Rücken beäugten wir die Wolkenberge in der
Ferne.
»Was meint ihr?«,
fragte ich.
»Scirocco«,
entgegnete Francesco. »Innocuo.«
»Scirocco«, echote die Floristin. »Aber das muss uns
nicht weiter beunruhigen.«
Hätte ich mich zum
Tennisspielen verabredet gehabt – ich wäre nicht gefahren. Ich
kannte diesen Himmel und hatte ihn mindestens ein Dutzend Male
gesehen.
»Pioggia«, sagte ich bestimmt. »Regen.«
Eine Viertelstunde
später regnete es in Andrano, und ich raufte mir den Rest meiner
Haarpracht. »Non ti preoccupare,
Crris«, tröstete mich die Floristin. »Wir haben da ein
Sprichwort: »Sposa bagnata, sposa
fortunata« – »Nasse Braut, glückliche Braut.« Ein Sprichwort
warnt davor, an einem Freitag zu heiraten, während ein anderes
besagt, dass schlechtes Wetter ein Segen ist, und zwar egal an
welchem Wochentag. Italienische Sprichwörter mögen sich reimen,
aber einen richtigen Reim kann ich mir nicht auf sie machen. Am
besten, man sucht sich das aus, was einem gerade am besten in den
Kram passt.
Das Sprichwort, das
mir jetzt am besten in den Kram passte, war ein englisches:
Many hands make light work. Viele Hände
machen der Arbeit bald ein Ende. Wie auf Kommando schwärmten
Francesco, die Floristin, die Harfenistin, die Sizilianer sowie
zwei Angestellte des municipio in alle
Richtungen aus, um Blumen, Teppiche, Harfe und Mikrophone vom
Innenhof in das Obergeschoss der Burg zu bringen. Obwohl die Zeit
langsam knapp wurde, war dieser Umzug immer Plan B für den
unwahrscheinlichen Fall gewesen, dass es regnete. Auf dem
municipio hatte man uns versichert,
dass der Raum geputzt sei. Aber wer einen Italiener beim Wort
nehmen will, wird unweigerlich auf den Arm genommen.
Was wir als Nächstes
brauchten, war ein Putzkommando, denn als wir die Tür öffneten,
fanden wir das reinste Chaos vor: Der Amtsraum wurde anscheinend
gerade renoviert. Überall dreckige Klamotten, leere Getränkedosen
und in die Ecken gestapelte Stühle und Tische. Das war meine Schuld
– ich hätte den Raum kontrollieren sollen, als es am Vormittag
regnete. Aber wenige Wochen zuvor hatte ich hier noch einer
Hochzeit beigewohnt, und alles war piccobello gewesen. What the minchia war hier passiert? Ganz einfach:
Weder wir noch das municipio hatten
damit gerechnet, dass wir den Raum wirklich brauchen würden. Wenn
man schon gar nicht mehr weiß, wie eine Wolke aussieht, wiegt man
sich schnell in falscher Sicherheit. Es war April gewesen, als
Daniela im Englischunterricht das Wort »cloud« durchgenommen hatte, und bis Ende Juni hatte
sich das reale Beispiel dafür immer noch nicht vor dem
Klassenzimmerfenster blicken lassen.
Auf mein Kommando –
besser gesagt, auf eine ganze Reihe von Kommandos hin, in denen das
Wort minchia ziemlich häufig vorkam –
baute die Floristin den Blumenschmuck im Innenhof ab, während der
Rest des Teams, zu dem mittlerweile auch die Schneiderin und die
Friseurin gehörten, die die Braut fertig hergerichtet hatten,
anfing, den Raum zu schmücken, in dem sie vierzig Minuten später
heiraten sollte. Eine gebückte alte Frau, die ganz in Schwarz
gekleidet war und Pantoffeln trug, eilte ins Zimmer und verteilte
Besen. Ich hatte sie noch nie zuvor geshen, aber sie schien mich
offensichtlich zu kennen. Oder jemand Ähnlichen. »Keine Sorge,
Crristian«, sagte sie im Dialekt. »Das sieht hier bald wieder wie
auf einer Burg aus.« Bis heute weiß ich nicht, wer sie war. Sie sah
aus, als lebte sie in einem der Schränke unter den
Treppen.
Als ich gerade die
30 Kilo schwere Harfe hochschleppte – ich hätte doch lieber eine
Geigerin engagieren sollen -, tippte mir Danielas Bruder auf die
Schulter und verkündete, der Fotograf sei eingetroffen, dabei hatte
ich immer noch meine Badehose an. Francesco war so
geistesgegenwärtig, mir das sperrige Instrument abzunehmen, und
schickte mich nach Hause, damit ich mich umzog, geistig umpolte und
meine Eltern einsammelte, die bestimmt schon dachten, ich sei von
Valerias Dach gefallen, während ich nach dem Wetter
sah.
Ich trat das
Gaspedal durch und jagte die Tachonadel des Lancia weit in den
roten Bereich, als ich auf der einsamen Strecke zwischen Andrano
und dem Hafen wen sonst, wenn nicht die carabinieri traf, deren Lollipops mich zum Anhalten
zwangen. Einen Mann mit Maschinengewehr soll man nicht ignorieren,
also nahm ich seine Einladung an und fuhr rechts ran. Ich war nicht
angeschnallt, aber entweder, sie bemerkten es nicht, oder es war
ihnen egal. Es handelte sich um eine Straßensperre und weniger um
eine Geschwindigkeitskontrolle. So gesehen interessierten sie sich
mehr für albanische Flüchtlinge in meinem Kofferraum als dafür, wie
schnell ich fuhr. Betont langsam gaben sie meine persönlichen Daten
in ihren Laptop ein. Zum Glück war ich dort nirgendwo gespeichert,
was eigentlich erstaunlich war, wenn man bedenkt, wie oft ich die
Strecke im Sommer hin- und hergerast war. Als ich zu Hause war,
hatte ich noch genau zehn Minuten, zitterte vor Stress und schrie
meinen Eltern immer noch Obszönitäten um die Ohren, die sie nicht
verstanden.
Ich zog mich aus,
duschte, rasierte mich, zog meinen Anzug an, während sich sowohl
mein Magen als auch meine Krawatte verknoteten. Dann ging es
gemeinsam mit meinen Eltern und den Ringen zurück in den Lancia.
Ich machte einen Umweg über Marittima, um den carabinieri zu entgehen, die den Mann im Anzug
bestimmt verhaftet hätten, weil sie ihn des Diebstahls des Wagens
des Mannes in der Badehose verdächtigten.
Mit zehn Minuten
Verspätung trafen wir bei Nieselregen auf der Piazza Castello ein,
wo die Gäste zum Himmel hochsahen und etwas vom scirocco murmelten. Rüde rasten wir nach oben, um
in Augenschein zu nehmen, was ich meinen Eltern als den
Besenschrank der Burg beschrieben hatte. Stattdessen fanden wir
einen elegant dekorierten Amtsraum vor, der aussah, als habe man
ihn schon vor Wochen herausgeputzt. Wo dreckige Klamotten gewesen
waren, standen jetzt Tulpen, und an den Wänden hingen historische
Fotos von Andrano. Ich konnte mich im blitzsauberen Boden spiegeln,
ein roter Teppich trennte zwei ordentliche Stuhlreihen und führte
zu einem blumengeschmückten Tisch. Dahinter standen drei Flaggen,
die italienische, die europäische und die mit dem Wappen Andranos.
Am Fenster zupfte die Harfenistin eine keltische Melodie, und an
der Tür standen meine Eltern sowie meine sprachlose Wenigkeit. Ich
kam mir vor, als habe man mir einen Streich gespielt. Ein Wunder
war geschehen, wie die, um die man sonst nur in einer Kirche
bittet. Trotzdem darf Valeria nie erfahren, dass ich das gesagt
habe.
Meine Eltern warfen
mir vor, das Chaos maßlos übertrieben zu haben. Aber wären sie vor
einer halben Stunde hier gewesen, hätten sie einen hektischen
Haufen Einheimischer gesehen, die wie Ameisen auf einem
weggeworfenen Stück Brot herumwuselten und die Katastrophe um ein
Haar verhinderten. Aber es wäre auch keine echt italienische
Hochzeit gewesen, wenn es nicht wenigstens ein bisschen dramatisch
zugegangen wäre und man nicht bis zur letzten Minute gezittert
hätte, ob auch ja alles gutgeht. Hier schien es eine größere
Herausforderung zu sein, das Versprechen eines geputzten Raumes zu
halten, als ihn noch in letzter Minute herauszuputzen. Nur
Italiener wissen, wie man eine aussichtslos erscheinende Situation
doch noch retten kann. Daran, dass ich fest mit einer Katastrophe
gerechnet hatte, zeigte sich, dass ich trotz meiner
Aufenthaltsgenehmigung, meiner fließenden Sprachkenntnisse und
meiner Fähigkeit, eine Wassermelone auf dem Fahrrad zu balancieren,
immer noch ein Außenseiter in Andrano war. Trotzdem: Meiner Meinung
nach war es ein unnötig aufregender Nachmittag gewesen. Jetzt
fehlte nur noch die Guardia di Finanza,
die sich der Harfenistin annahm. Das Leben in Italien kann wirklich
anstrengend sein.
Selbst wenn man
weiß, dass die Braut auftauchen wird, weil man vor dem Zimmer schon
die Gäste klatschen hört, macht einen das Warten am Altar nervös.
Vor allem, wenn man so lange warten muss wie ich. Daniela hatte
darauf bestanden, am Arm ihres Vaters zum Altar zu schreiten. Das
bedeutete, in seinem Tempo neben ihm her zu schlurfen. Jetzt
verstand ich auch, warum sie auf einer Zeremonie im Innenhof
bestanden hatte: um Franco das Treppensteigen zu ersparen. Als ich
sah, wie Vater und Tochter eintrafen, wobei sie ihn führte statt er
sie, begriff ich erst, was für ein passender Heiratsort die Burg
war. Franco war in diesem antiken Gemäuer aufgewachsen, und genau
in diesem Zimmer hatte er gelernt, Geige zu spielen. Wenn es ihm
gut gegangen wäre, hätte er auf der Hochzeit seiner Tochter
bestimmt seine Lieblingssonate vorgespielt. Doch hier war er nun,
unfähig, die Treppe hochzusteigen, die er als Junge heruntergesaust
war, den Kopf voller Musik, das Leben voller Verheißungen. Als er
sich Zentimeter für Zentimeter fortbewegte und in seinem Anzug wie
geschrumpft aussah, galt der Applaus genauso sehr ihm wie seiner
Tochter. Und obwohl ihm das Laufen Mühe machte, funkelten seine
Augen lebhafter als sonst. Die Umgebung mochte ihm entfallen sein,
aber an seinem Strahlen sah man, dass er begriffen hatte, wie
besonders der Moment war.
Gäste drängten
hinter der Braut und ihrem eingefallenen Begleiter in den Raum,
bevor Daniela Franco zu Valeria führte, die den Rest des Abends, ja
den Rest seines Lebens seinen Arm halten würde. Ich hatte mich
gerade erst von dem nachmittäglichen Fiasko erholt. Doch jetzt
verlor ich erneut die Fassung, als Daniela von meiner Hand und dem
Platz neben mir Besitz nahm. Hätte ich auch nur ein Wort
herausgebracht, ich hätte ihr zugeflüstert, dass sie fantastisch
aussieht. Aber ich hatte einen Kloß im Hals und kämpfte mit den
Tränen. Ich musste an den Abend denken, an dem wir uns in diesem
verqualmten irischen Pub kennengelernt hatten und ich wie magisch
von dieser lebhaften Person inmitten eines verschwommenen Publikums
angezogen worden war.
Ich habe Daniela
immer gesagt, dass sie eine natürliche Schönheit besitzt, die
Schminke nur zerstören kann. Also freute ich mich, dass sie es an
unserem Hochzeitstag mit dem Make-up nicht übertrieben hatte und
zuließ, dass ihre lakritzfarbenen Augen und ihre sonnengebräunte
Haut für sich selber sprachen. In ihre Haare waren Blüten im
Elfenbeinton ihres Kleides geflochten, das sommerlich, schmal und
mit Perlen besetzt war. Als ich sie so süß und stilvoll vor mir
sah, fühlte ich mich glücklicher, aber auch ängstlicher denn je.
Daniela zu heiraten bereitete mir gemischte Gefühle. Es bedeutete,
meine Liebe zu einer Frau öffentlich zu machen, zu einer Frau, die
mich seit unserem Kennenlernen glücklich machte, aber auch
gefährdete.
Der unerwartete
Preis für meinen Umzug nach Italien bestand in einem Gefühl der
Entfremdung, das ich fern von meiner Heimat und meinen Freunden
empfand. Mein Leben, wie ich es vor meinem Umzug nach Italien
gewohnt war, kam mir inzwischen fremd vor, aber dasselbe galt für
mein italienisches Leben. Anstatt mich in zwei Ländern zu Hause zu
fühlen, fühlte ich mich wie ein Nomade, der weder hier noch dort
heimisch ist. Ich lebte in einer Art Zwischenreich, hin- und
hergerissen zwischen Italien und Australien.
Was sagt ein Name
über jemanden aus? Eine ganze Menge. Chris aus Sydney und Crris aus
Andrano waren zwei vollkommen unterschiedliche Menschen. Ihre Namen
wurden unterschiedlich ausgesprochen, sie sprachen verschiedene
Sprachen mit verschiedenen Akzenten, hatten einen unterschiedlichen
Modegeschmack, einen unterschiedlichen Sinn für Humor, sie aßen
unterschiedliches Essen zu unterschiedlichen Zeiten, fürchteten
sich vor unterschiedlichen Dingen und genossen unterschiedliche
Vergnügungen. Chris, der Pilot und Surfer, liebte die Natur und
verachtete den Zigarettengestank, während Crris, der
Kaffeesüchtige, manchmal zehn Glimmstengel pro Tag rauchte. Crris
sprach mit lauter Stimme – etwas, das Chris’ Freunde irritierte.
Und Chris mochte keine Menschen, die einen unterbrechen – etwas,
das für Crris überlebensnotwendig war. Es handelte sich also um
zwei völlig unterschiedliche Personen, die sich unter normalen
Umständen nicht besonders gut verstanden hätten. Tatsächlich
bestand ihre einzige Gemeinsamkeit darin, dieselbe Frau zu
lieben.
Statt die Distanz
zwischen unseren Welten zu verringern, wurde sie von unserer Liebe
nur noch betont. Daniela und ich waren uns einig, dass wir uns eine
gemeinsame Zukunft wünschten, auch wenn wir immer unterschiedlich
sein würden. Daniela und Chris konnten niemals gleichzeitig
vollkommen glücklich sein. In Australien litt Daniella – was sich
ganz anders anhört als Daniela – unter derselben Schizophrenie, der
Crris in Italien ausgesetzt war. Damit wir zwei zusammen sein
konnten, musste einer seine Identität opfern. Aber die Liebe ist es
wert, weshalb Daniela trotz der vor uns liegenden Herausforderungen
gelobte, wovon ihr Barzini abriet, nämlich Chris und Crris zu
lieben und zu ehren, während ich Daniela dasselbe gelobte, bis dass
der Tod uns vier scheidet.
Kurz vor sieben
wurden wir in der Burg gegenüber von Danielas Garten zu den Klängen
des Matratzenverkäufers, der gerade seine Runde drehte, und denen
einer keltischen Melodie vom Vizebürgermeister von Andrano zu Mann
und Frau erklärt. Dieser machte dem Gesetz und den Traditionen
seiner Heimat alle Ehre, indem er die Tricolore-Schärpe der
italienischen Republik quer über seinem Maßanzug trug. Er sah
fantastisch aus, wie ein schön verpacktes
Hochzeitsgeschenk.
Die Menge
applaudierte, unsere Mütter wischten sich die Tränen aus den Augen,
und mein Vater sauste wie eine eingesperrte Fliege im Raum herum
und machte noch mehr Fotos als der Fotograf. Ich war stolz, ihn als
»Best Man« zu haben, obwohl die
Italiener einen weniger schmeichelhaften Begriff benutzen, nämlich
testimone, also Trauzeuge. Komisch
eigentlich, wo sie doch sonst keine Gelegenheit auslassen, jemanden
zu loben. Er hörte nur auf zu knipsen, um auf der Heiratsurkunde zu
unterschreiben, eine Formalität, die von Paolo, dem
Rathausangestellten, überwacht wurde, der keine Zeit gehabt hatte,
sich zu diesem Anlass die Fingernägel zu säubern.
Alle anderen hatten
sich ausgiebig herausgeputzt, vor allem der Vizebürgermeister,
dessen Unterschrift auf der Urkunde die Zeremonie beendete. Jetzt
musste ich nur noch 200 Wangen küssen und durfte mich anschließend
betrinken.
Daniela und ich
waren begeistert von der Zeremonie, einer Mischung aus
italienischem Gesetz, australischer Poesie und irischer Musik, die,
wie ein Gast es ausdrückte, »originalità,
personalità e spiritualità« besaß. Selbstbewusst und stur
wie wir waren, hatten wir einem ebenso sturen Dorf gezeigt, wie man
den Glauben anderer respektiert, dass die Welt dadurch eher
bereichert als befleckt wird und dass die Akzeptanz anderer Werte
weitaus christlicher ist, als jedes Mal auf die Knie zu sinken,
sobald man ein Buntglasfenster sieht. Sogar Danielas Mutter sprach
anschließend von der »einzigartigen Spiritualität« unserer
Zeremonie. Auch wenn sie sich nie für ihre »italienische
Inquisition« entschuldigte, zeigte sie uns doch, dass sie ihren
Fehler einsah. Und für Daniela war ein später Segen ihrer Mutter
immer noch besser als gar keiner.
Nachdem wir uns
durch die Menge geküsst hatten, wurden wir mit confetti und Makramee-Bumerangs beworfen. Letztere
hatte Hiroshi, unser japanischer Freund aus Mailand, in mühsamer
Handarbeit selbst gebastelt. Mit Erlaubnis des Vizebürgermeisters
betraten Daniela und ich anschließend den Balkon der Burg, um die
Gäste auf der Piazza darunter zu grüßen. Unsere Bitte war höchst
ungewöhnlich. In den zwei Jahren in Andrano war ich unzählige Male
stehen geblieben, um den Balkon zu bewundern, hatte jedoch nie
jemanden darauf gesehen. Der Barock-balcone ist ein wichtiges Wahrzeichen Andranos. Er
wurde direkt in die Burg gemeißelt und ist von verschwenderischer
Pracht. Wenn man zwischen seinen Zinnen und Säulen steht, hat man
einen fantastischen Blick über den ganzen Ort. Das gesamte
centro storico liegt einem zu Füßen:
Piazza Castello, La Chiesa di Sant’Andrea und auf der
kopfsteingepflasterten Gasse im Schatten des Glockenturms ein
Mosaik mit Andranos Wappen. Letzteres zeigt le
sette spighe – die sieben Weizenähren – und symbolisiert den
bäuerlichen Ursprung der sieben Gründerfamilien
Andranos.
Inzwischen sind
Jahrhunderte vergangen, auch wenn die Zeit vom Balkon aus
betrachtet stehen geblieben zu sein scheint, und Andrano hat 5000
Einwohner, zu denen ich auch gehöre, offiziell ebenso wie
emotional. Über Andranos schiefe Dächer zu schauen war wirklich ein
krönender Abschluss. Außerdem hatte es aufgehört zu regnen, die
Wolke war verschwunden, und die Hausfrauen kehrten auf ihre
Terrassen zurück, um die Wäsche erneut zum Trocknen aufzuhängen.
Noch vor zwei Jahren waren die Gassen unter mir der reinste
Irrgarten gewesen. Jetzt konnte ich blind hindurchfahren, ohne in
ein einziges Schlagloch zu geraten. Noch vor zwei Jahren war die
Frau, die mich in dieses merkwürdige Dorf brachte, eine Fremde.
Jetzt hatten wir uns untergehakt, und sie war meine
Frau.
»Ihr seht aus wie
Mussolini und seine Geliebte«, rief Concetta zu unserer Bühne
hinauf. Concetta war Danielas testimone, eine Zeugin im wahrsten Sinne des
Wortes, da sie damals mit Daniela in Irland gewesen und eine
besonders gute Freundin von ihr war. Aber an jenem Abend wimmelte
es auf der ganzen Piazza von besonderen Menschen, die ich von
meiner erhöhten Position aus leicht unterscheiden konnte. Gesichter
meines Abenteuers, die mir mit Großzügigkeit, Freundschaft und
Zuneigung begegnet waren und mir vor allem das wahre Italien
gezeigt hatten. Das waren Riccardo, der Polizeichef, der einen
Schlüssel zur Hintertür einer jeden Behörde in Lecce besaß, die
stolze Laura, die mir vergeben hatte, dass ich ihre hochgelobten
gnocchi an einen Straßenköter
verfüttert hatte, Dr. Nino, dessen selbst gemachter limoncello ihn mehr zum Anästhesisten als zum
Hausarzt machte, der schweigsame Franco, die Sturköpfe Valeria und
Francesco, die nun besänftigt und von Feinden zu Freunden geworden
waren, Antonio, Adele und die kleine Asia, über deren Namen immer
noch ein Damoklesschwert schwebte, die inzwischen Verlobten Michele
und Carla, deren Eltern ihnen ihre Lüge hinsichtlich der
New-York-Reise längst vergeben hatten, und eine Brigade
sizilianischer Verwandter vom Hügel bei Alcamo. Nur Freccia fehlte,
unsere freche vierbeinige Freundin, die wenige Monate vor der
Hochzeit gestorben war und ihrem Part leider nicht mehr nachkommen
konnte. Zu Valerias Entsetzen hatte ich geplant, dass der Hund die
Ringe auf die Burg bringen solle, und zwar in einem an seinem
Halsband befestigten Behälter. Mein Vater war ganz begeistert von
der Idee gewesen, woraufhin ich sofort wusste, dass er der Richtige
war, um für meinen schmerzlich vermissten Kumpel
einzuspringen.
Obwohl man mir
sagte, dass ich aussehe wie ein Faschist, gehören diese Momente auf
dem Burgbalkon zu den schönsten Erinnerungen an meinen
Hochzeitstag, ja an meine Zeit in Andrano. Uns lächelten und
winkten Familienmitglieder und Freunde aus dem Salento, aus
Mailand, Sizilien, Australien und Japan zu, die sich alle auf
Andranos Piazza versammelt hatten, kosmopolitische Füße auf dem
Kopfsteinpflaster eines Provinznests. Durch und um die Menge herum
fuhren schwarze Witwen auf rostigen Fahrrädern, die vom Friedhof
zurückkehrten, sonnenverbrannte Bauern auf holprigen Traktoren, die
von ihren Feldern zurückkamen, und aufgestylte Jungs auf Vespas
ohne Ziel, Hauptsache, sie machten genug Lärm. Von hier aus sah das
wunderbar aus, eine typisch italienische Alltagsszene, ein
lärmendes Kommen und Gehen von Menschen und Maschinen. Mein Leben
hatte sich dramatisch verändert, aber das von Andrano war gleich
geblieben. Der vigile blies in seine
Trillerpfeife. Und die Glocke schlug Viertel vor acht.
Als wir Andrano mit
lautem Hupen und Blinken verließen, um zur Feier zu fahren, hielt
ich noch kurz, um Signor Api zu begrüßen, während unsere
Wagenkolonne an der »California«-Tankstelle vorbeifuhr. Mein erster
Freund aus dem Dorf verließ seinen Tankwagen und lief mit schnellen
Schritten auf mein Autofenster zu. »Auguri!«, rief er und beugte sich vor, um mich auf
die Wangen zu küssen. »Und wo bleibt das bambino?«
Nach aperitivi und antipasti
in einem bezaubernd beleuchteten Garten servierte man uns in der
Villa ein schnelles, aber üppiges Vier-Gänge-Menü in einem
außergewöhnlichen Speisesaal. Das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert
mit seinen durch drei Bogengänge verbundenen Räumen war
ursprünglich Graf Lucagiovannis Stall gewesen. In der großen Halle
parkte er seine von Pferden gezogene Kutsche, von der ein Foto an
der Wand hinter dem Flügel hängt. Und in den anderen beiden Räumen
band er seine Reittiere fest. Zu den Klängen leiser – und legaler –
Klaviermusik aßen wir in der veredelten Garage, wo uns elegant
gekleidete Stallknechte jeden Wunsch von den Augen
ablasen.
Ich war schon auf
einem Dutzend italienischer Hochzeiten und kenne keine, auf der
jemand anders als der Priester eine Rede gehalten hat. Als Daniela
das Mikrophon anstellte, kam sogar das Personal angelaufen, um
diesem neuartigen Brauch beizuwohnen. Daniela bedankte sich bei den
richtigen Personen für ihr Erscheinen, ich erzählte einige
peinlichere Momente meines Lebens in Italien, einschließlich meiner
Bitte um einen Pädophilen und um einen Kilometer Wurst. Und als
mein Vater seinem Sohn und seiner Schwiegertochter stammelnd in so
einem mühsamen Italienisch Tribut zollte, erntete er unabsichtlich
mehr Gelächter als ich, der es beabsichtigt hatte.
Anschließend wurden
im Garten Cocktails und die Hochzeitstorte serviert, und auch der
Weinkeller des Grafen wurde gründlich geplündert. In der Villa
serviert man kein Bier auf Hochzeiten, also hatte ich im Vorfeld
gebeten, einen kleinen Vorrat anzulegen. Der Vorrat, der uns
letztendlich zur Verfügung stand, war wirklich klein. Ehrlich
gesagt, waren es ganze sechs Flaschen, eine Pfütze, die Danielas
früherer Englischlehrer aus Lecce schnell intus hatte. Ich trank
heftigere Geschütze, als ich es normalerweise gewohnt bin, sodass
meine Fähigkeit, einen geraden Satz zu sagen, ebenso schnell
dahinschwand wie das Bier. Zur Sicherheit hielt ich mich an die
üblichen Phrasen, vor allem aber an das Wörtchen »grazie«.
Die Großzügigkeit
unserer Gäste verdiente mehr als ein grazie. In Mazedonien sollen die Gäste Banknoten an
die Braut heften. In Süditalien stecken sie sie in die Taschen des
Bräutigams, wenn sie gerade nicht hinsieht. Am Ende des Abends
waren meine von lauter kleinen weißen Umschlägen ausgebeult, die
über 6000 Euro enthielten (insgesamt, leider nicht pro Umschlag).
Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, nach dem die Gäste ungefähr
überschlagen, was ihr Essen kostet, und Geschenke von
entsprechendem Wert machen. Unsere hatten gut gerechnet. Vom
Tischschmuck bis hin zu den Zahnstochern hatte Valeria allein für
den Abend 6000 Euro ausgegeben. Aber das war ihr Geschenk an
Daniela und mich, also durfte ich das Bargeld in meinen
Hosentaschen behalten. Und ich hatte irgendwo anders heiraten
wollen?
Nur wenige Gäste
schenkten etwas anderes als Geld, darunter auch Zia Francesca, die
eine 60 Zentimeter hohe Ikone schickte. Ich schlug vor, ein Gedeck
für sie aufzulegen, aber Daniela meinte, das sei
beleidigend.
Neben den Bumerangs
hatte Hiroshi auch noch ein lebensgroßes Känguru gebastelt, das ich
am Ende des Abends bestieg, um damit im Garten herumzuhüpfen, wobei
ich sorgfältig darauf achtete, keinen der Umschläge aus meinem
Beutel zu verlieren. Hätte der Graf noch gelebt, hätte er mich
bestimmt erschießen, ausstopfen und auf seinen Kaminsims stellen
lassen. Als ich in Danielas Nähe hüpfte, bekam ich den Eindruck,
dass sie gern dasselbe getan hätte. Wir waren erst zehn Minuten
verheiratet, und schon brachte ich sie in Verruf. Barzini hatte
vermutet, es sei genau andersherum.
Bekanntlich sind
Italiener, was ihren Alkoholkonsum angeht, sehr zurückhaltend, wenn
andere dabei sind. Denn der wirkt sich negativ auf ein anderes,
erstrebenswertes Ziel aus, nämlich bella
figura zu machen. Aber ich war viel zu sehr damit
beschäftigt, mich zu amüsieren, um mir über meine Wirkung auf
andere Gedanken zu machen. Während ich auf einem Makramee-Känguru
an Hecken vorbeihüpfte, wurde mir klar, dass die Italiener trotz
ihrer sprichwörtlichen Extravaganz ein ziemlich formelles Völkchen
sind, das Benimmregeln für jeden Anlass kennt. Sie sind Fische, die
sich lebhaft im Wasser tummeln, aber nur selten gegen den Strom
schwimmen, Pferde, die buckeln, aber Scheuklappen tragen.
Vielleicht liegt das daran, dass die Bevölkerung so homogen ist,
eine uralte Geschichte teilt und stets alles en masse macht, ganz anders als die
Multikulti-Kultur, aus der ich komme. Bella
figura hin oder her – ich blieb auf meinem Känguru. Ich war
und werde vermutlich immer ein Australier sein.
Nachdem er das
Känguru mit seinen Scheinwerfern hypnotisiert hatte, fuhr Francesco
Daniela und mich in ein Hotel nach Castro. Dort gab ich der
Tradition erneut eine Ohrfeige, indem ich meine Hose anließ, um das
Geld in meinen Taschen nicht zu verlieren. Inzwischen weiß ich
auch, warum Italiener freitags nicht heiraten: Weil die Banken erst
am Montag wieder aufmachen. Ich überprüfte das Türschloss mehrere
Male. Wo war San Denaro – der Schutzheilige des Geldes -, wenn ich
ihn am dringendsten brauchte?
Beruhigt, dass uns
niemand gefolgt war, widmete ich meiner Braut schließlich die
Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Was für eine keusche Frau
Danielas Näherin sein muss! Sie hatte fünfunddreißig Knöpfe in das
Rückenteil des Hochzeitskleides genäht, die selbst ein nüchterner
Bräutigam kaum vor dem Einschlafen aufbekommen hätte. Als ich sie
endlich ausgezogen hatte, ließ ich ihre überteuerten High Heels an,
damit ich meinen Kick bekam und sie, was sie
verdiente.
Leidenschaftlich,
aber sanft und immer mit einem Auge auf das Türschloss, nahm unsere
unkonventionelle Hochzeit ein konventionelles Ende. Manche Regeln
sollte man niemals brechen. In einem Moment absoluter Zufriedenheit
waren die anstrengenden Monate davor völlig vergessen. Selbst die
nagende Stimmme, die ständig wissen wollte, wo wir uns nun
endgültig niederlassen würden, verstummte für eine
Weile.
Eine Morgenbrise
liebkoste den Vorhang. Ein Fischerboot tuckerte in den Hafen. Eine
streunende Katze miaute auf der Terrasse. Der Sommer kehrte in das
Salento zurück, die Sonne sammelte ihre Kräfte, und während der
nächsten drei verrückten Monate konnten sämtliche Entscheidungen
unsere Zukunft betreffend warten.