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Eine Einspruchsfrist von acht Tagen
 
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Daniela war zehn, als ihr Vater diese Skizze machte. Das Bild faszinierte das Kind durch seine naive Schönheit. Als es größer wurde, zerstörte die Zeit ihren Vater, nicht aber die Magie seiner Zeichnungen, die Daniela in Erinnerung an einen Mann hütete, der keine Erinnerung mehr besaß. Sie wusste, wie glücklich Franco gewesen wäre, Freunde und Familie über ihre Hochzeit zu informieren, und ermöglichte ihm das, indem sie die obige Zeichnung auf die Vorderseite unserer Einladung drucken ließ. In diesem Moment wurde mir erst bewusst, was für ein emotionales Ereignis die Hochzeit für Danielas Familie sein würde. Francos geistige Abwesenheit fiel bei besonderen Anlässen umso mehr auf, wenn ein kurzer Moment der Freude von jahrelanger Traurigkeit überschattet wurde.
Das Entwerfen der Einladung war einfach, zu entscheiden, wem wir sie schicken sollten, schon wesentlich komplizierter. Danielas Familie und ihre Freunde erhielten natürlich alle Einladungen. Aber ich verwirrte meine Freunde eher, indem ich ihnen die Einladung zusammen mit einem Brief schickte, der ihnen empfahl, nicht zu kommen. Andrano ist ein abgelegenes, schlichtes süditalienisches Dorf, in dem niemand Englisch spricht und in dem alle Straßenschilder nur auf ähnlich verwilderte Orte verweisen. Ich konnte von meinen Freunden unmöglich erwarten, an einem Ort zurechtzukommen, an den ich mich selbst ein Jahr lang hatte gewöhnen müssen. Ich würde mich um alle ihre Bedürfnisse kümmern müssen, und bei diesem Anlass wollte ich mich verständlicherweise lieber um meine eigenen kümmern. Meine Eltern waren da schon vollauf genug, und da halb Sizilien über den Ort hereinbrechen würde wie der scirocco und dann noch Freunde aus Mailand, blieb mir keine andere Wahl, als meine australischen Kumpel dort zu lassen, wo sie waren. Stattdessen lud ich sie zu einer Hochzeitsparty über Weihnachten ein, wenn Daniela und ich verspätete Flitterwochen in Australien verbringen würden.
Die Einladung war die erste von vielen Hochzeitsvorbereitungen, von denen manche Routine waren, andere aber nicht. Vor ein paar Monaten war ich zum australischen Konsulat nach Mailand geflogen, um die notwendigen Papiere für meinen Führerschein zu bekommen. Jetzt war ich wieder dort, um mir die notwendigen Papiere für meine Hochzeit zu besorgen. Als ich beim Verlassen des Konsulats noch im Aufzug das »No Impediment to Marriage«-Zertifikat überflog, blieb mein Blick an der merkwürdigen Zeile »… es gibt kein Gesetz, das einem australischen Staatsbürger verbietet, eine australische Staatsbürgerin zu heiraten« hängen. Da ich eine italienische Staatsbürgerin heiraten wollte, drückte ich im Erdgeschoss gleich wieder den Knopf für den dritten Stock, wo ich der Verfasserin dieses Papiers den Fehler sofort unter die Nase rieb. »Ach du meine Güte«, rief die Frau, die mich inzwischen gut kannte. »Diesen Brief händige ich Leuten wie Ihnen schon seit Jahren aus.« Dabei handelte es sich offensichtlich um eine solche Formalität, dass ich das Papier genauso gut selbst hätte aufsetzen können.
Zurück in Andrano stand als Erstes Kleidung auf meiner Liste. Nach meinem Zusammenstoß mit der schwarzen Schlange brauchte ich dringend einen neuen Anzug. Daniela dagegen entwarf und nähte ihr Kleid mithilfe einer Freundin ihrer Mutter, die Schneiderin war. Es war mir streng verboten, das Kleid zu sehen, aber die Schuhe durfte ich begutachten, und so begleitete ich Daniela zu mehreren Märkten nach Maglie, um welche zu finden. Daniela hatte ein Talent dafür, noch in den billigsten Klamotten teuer auszusehen. Wir saßen einmal in einem Wartezimmer in Sydney, als sich eine Frau über ihre drei Jahre alte Modezeitschrift beugte und fragte: »Wo haben Sie diese Schuhe her? Sie sind fantastisch.« Als Daniela »Italien« sagte, dachte die Frau zweifellos an die Prachtstraßen Mailands und nicht an den Markt in Maglie, wo ein ungepflegter alter Mann aus seinem Schrottlaster heraus Billigtreter verkauft.
Daniela kaufte einen Großteil ihrer Garderobe auf dem Markt von Maglie, der für seine hohe Qualität genauso berühmt ist wie für seine niedrigen Preise. Dort bekommt man eine Hose und hat hinterher immer noch Geld übrig, das man in die Tasche stecken kann. Niedrigere Breitengrade bedeuten auch niedrigere Preise, und Norditaliener wissen diesen Unterschied durchaus zu schätzen, wenn sie im Sommer gen Süden ziehen. Ein gewitzter Händler auf dem Markt nutzte diesen Preisunterschied für seine Verkaufsargumentation. Wie jeden Samstag war er auch an jenem Morgen da, als Daniela und ich nach Schuhen suchten. Er stand vor einem bunten Haufen aus Schuhen und Schnürsenkeln und schrie: »Die Frauen in Mailand würden sich die Haare raufen, wenn sie solche Schuhe zu solchen Preisen sehen könnten!« Bei dieser Gelegenheit hatte er leider nichts Passendes, und so raufte ich mir meine noch verbliebenen Haare, als wir ein kleines Vermögen in einem Brautmodengeschäft ließen. Dort erwarben wir ein Paar elfenbeinfarbene Pumps mit hohen Absätzen, die Daniela nicht einmal lange genug tragen würde, um die Sohlen schmutzig zu machen.
Wer in Italien gegen den Strom schwimmt, muss damit rechnen, dass sich die anderen Fische das Maul zerreißen. In synchronisierten Schwärmen lästern sie nicht nur über die Nonkonformisten, sondern fühlen sich auch noch dazu verpflichtet, sie über die Strömungsrichtung zu informieren. Familienangehörigen konnte ich solche Einmischungen gerade noch verzeihen, aber Rat von Fremden anzunehmen fiel mir schwer. Als Daniela und ich loszogen, um Trauringe auszusuchen, interessierte die Juweliere weniger, was wir uns wünschten, als vielmehr, was die Tradition erforderte. Als ich um Danielas Hand anhielt, schenkte ich ihr einen Verlobungsring, zu dem sie sich jetzt einen passenden Bandring wünschte. Da die Verlobungsringe aus Weißgold waren, suchte sie nach einem Bandring aus Weißgold.
»Hier sind die Trauringe«, sagte ein Juwelier in Tricase und zeigte ihr eine Auswahl Ringe in Gelbgold. »Weißgold ist für den fünfundzwanzigsten Hochzeitstag.«
»Dürften wir die Weißgoldringe trotzdem mal sehen?«
Er schüttelte die Ringe auf ein Samttablett.
»Aber Sie brauchen diese hier.«
Einen anderen Juwelier verwirrte ich dadurch, dass ich versuchte, mir selbst einen Ring aus Gelbgold zu kaufen. »Was? Die Ringe sollen nicht dieselbe Farbe haben? Aber das muss so sein!« Ganz so, als machten sie sich einer illegalen Hochzeit schuldig, indem sie uns Ringe in verschiedenen Farben verkauften! Aber vielleicht konnte sie auch die Guardia di Finanza mit Bußgeld überziehen, weil sie eine Tradition gebrochen hatten. Und nicht nur die Juweliere achteten streng auf die Einhaltung von Sitten und Bräuchen. Als Daniela zum Floristen von Andrano ging, um ihrer Mutter Blumen zum Geburtstag zu schenken, bat sie die Aushilfe, tulipani in lila Papier zu wickeln. »Lila ist für Beerdigungen«, sagte die Inhaberin. »Ich kann Ihnen Rot oder Grün anbieten.«
In Maglie fanden wir endlich eine junge Verkäuferin, die begriff, dass wir unsere Geldbeutel schneller öffneten, wenn sie den Mund hielt. Bis heute gibt es allerdings nur wenige italienische Freunde, die nicht entsetzt darüber sind, dass Danielas und mein Ehering unterschiedliche Farben haben. Und noch weniger schaffen es, den Mund zu halten. Dass wir glücklich verheiratet sind, ist für sie anscheinend bloß Nebensache.
Erstaunlicherweise sagte Danielas Mutter nichts zu den Ringen. Da ihre arthritischen Finger jeden Schmuck mieden, verstaubte ihr eigener Ehering auf der Ankleidekommode. Valerias Eltern und Großeltern hatten ihre Trauringe noch auf Mussolinis Befehl hin dem Krieg opfern müssen. Wer konnte ihr da einen Vorwurf machen, dass sie Ringe für unwichtig hielt?
Der nächste Punkt auf der Liste war die Organisation der Zeremonie. Wir hatten das Versprechen des Bürgermeisters von Andrano, dass uns die Burg an diesem Tag allein gehörte, und wir wollten die Trauung im Innenhof abhalten. Ich hatte vorgeschlagen, sie nach drinnen zu verlegen, falls es während der Zeremonie zu heiß würde, aber Daniela hatte sich in das steinerne Geviert verliebt. Für alle Fälle baten wir trotzdem darum, dass der Amtsraum im ersten Stock geputzt wurde. Außerdem baten wir den vigile, dafür zu sorgen, dass das Burgtor verschlossen blieb. Unsere größte Angst war der Matratzenverkäufer, dessen ohrenbetäubendes Geschrei nicht gerade die Hintergrundmusik war, die wir uns vorstellten.
Andranos Bürgermeister, Giuseppe Accogli, wachte am Bett seiner kranken Mutter, sodass die Zeremonie vom Vize-Bürgermeister Mario Accoto durchgeführt werden würde, einem engen Freund von Danielas Familie, der sich freiwillig angeboten hatte. Daniela und ich verbrachten einen Nachmittag mit Mario, übersetzten das Ehegelübde meinen Eltern zuliebe auf Englisch und halfen ihm, die schlimmsten Patzer bei der Aussprache auszubügeln. Bis auf das Gelübde und ein Gedicht, das meine Mutter vorlesen wollte, sollte der Rest der Zeremonie auf Italienisch stattfinden. 102 italienische Gäste kamen auf meine Eltern, und nur ihretwegen konnten wir die Zeremonie unmöglich doppelt so lange gestalten. Stattdessen organisierten wir eine schriftliche Übersetzung aller weiteren Reden und Gedichte. Mario machte den höflichen Versuch, seine Rede selbst zu übersetzen, was bis auf die Tatsache, dass er den Bürgermeister als »Mähre« bezeichnete, auch einigermaßen klappte.
Um an unsere irischen Anfänge zu erinnern, wünschte sich Daniela etwas keltische Musik und machte sich auf die Suche nach einem Harfenisten. Eine Kollegin von ihr kannte eine Harfenistin in einem Ort in der Nähe und nannte uns ihren Nachnamen, damit wir ihn im Telefonbuch nachschlagen konnten. Das Harfenspiel zu erlernen wäre schneller gegangen. Das Telefonbuch verzeichnete einundvierzig Rizzos, in einem Ort mit 2500 Einwohnern, von denen vier in derselben Straße wohnten. Das klingt nach vielen? Nun, von 5000 Andranesi teilen sich 185 den Nachnamen Accogli, einschließlich der Mähre, äh, des Bürgermeisters. Wenigstens suchten wir nach einer großen Nadel im Heuhaufen.
Ein Besuch auf dem Friedhof zeigt einem die häufigsten Nachnamen in einem süditalienischen Dorf, die, obwohl sie auf beinahe jedem Grab stehen, weit davon entfernt sind auszusterben. Andrano wurde von sieben Familien gegründet, die untereinander heirateten und selbst große Familien gründeten. Da sie dieselben Wurzeln haben, gibt es im ganzen Salento weit verbreitete Nachnamen wie Accogli, Accoto und Panico in Andrano sowie Musarò, Turco und Longo in Tricase. Da man auch weiterhin untereinander heiratet, hat sich der Trend nur noch fortgesetzt. Nur die Immigration hat zu einer leichten Verwässerung geführt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur einen einzigen Harrison in Andrano gibt. Zur Sicherheit sollten Sie im Telefonbuch allerdings unter A nachschlagen.
Doch den Süditalienern genügt es nicht, mit gemeinsamen Nachnamen Verwirrung zu stiften. Sie haben auch noch die Angewohnheit, ihre Kinder nach dem Schutzheiligen des Ortes zu benennen. Das bedeutet, dass sich viele Einwohner sowohl den Vor- als auch den Nachnamen teilen. Andrea ist ein beliebter Vorname in Andrano wegen des gleichnamigen Schutzheiligen. Aber ein Heiliger muss kein Schutzheiliger sein, damit sein Name übernommen wird. In Andranos Chiesa di Sant’Andrea gibt es eine Statue von San Rocco, der zwischen einem Hund und einem Jungen mit aufgeschlagenen Knien steht. Vielleicht hatte auch er einen Unfall mit seiner Vespa. Laut einer Heiligenlegende wurden San Rocco von einem Hund die Wunden geleckt und dadurch auf wundersame Weise geheilt. Die häufigen Invasionen zu Lande und zu Wasser mögen die Bevölkerung von Andrano im Laufe ihrer turbulenten Geschichte veranlasst haben, San Rocco – den Schutzpatron der Verwundeten und Pestkranken – zu verehren, in der Hoffnung, dass auch ihre Wunden geheilt werden. Dasselbe erreicht man, wenn man sein Kind nach ihm benennt. Einmal im Jahr ehrt Andrano San Rocco. Dann wird seine Statue durch den Ort getragen, und diejenigen, die nach ihm benannt sind, feiern ihren onomastico oder Namenstag. Das ergibt eine sehr lange Prozession, da jeder Mann und jeder Hund in Andrano Rocco heißen. Ich wünschte nur, man würde die Hunde mit demselben Respekt behandeln wie die Heiligen.
Ich habe drei Freunde in Andrano, die Rocco Panico heißen, und alle drei sind Cousins. Um sie voneinander zu unterscheiden, nennt man sie Rocco ingegnere – Rocco, den Ingenieur -, Rocco geometra – Rocco, den Vermessungstechniker – und Rocco professore – Rocco, den Lehrer. Alle drei kamen zu unserer Hochzeit, zusammen mit anderen Gästen mit denselben Namen. Ich überlegte schon, Steuernummern auf die Sitzordnung zu schreiben. Und das ist gar nicht mal so absurd, wie es klingt: Auf den hiesigen Wahlzetteln stehen die Spitznamen der Kandidaten, damit die Wähler sie auseinanderhalten können. Denken Sie nur an den armen Postboten in einem Ort, in dem die Häuser zwar unterschiedliche Adressen, ihre Bewohner aber dieselben Namen haben. Kein Wunder, dass die Zustellung so lange dauert. Man sollte den Postsack mit den eingehenden Briefen einfach auf die Piazza stellen und die Einheimischen ihre Post selbst sortieren lassen.
Nach einem Dutzend fehlgeschlagener Versuche, die Harfenistin aufzutreiben – was unter anderem erforderte, dass man Wildfremde besuchte, nur um zu fragen, ob jemand im Haus zufällig Harfe spiele -, fand Daniela eine alte Frau, die sagte, sie kenne einen Musiklehrer mit diesem Namen, der am Ende der Straße wohne. Vielleicht spiele dessen Tochter ja Harfe? »Ich habe zwar nie Musik aus dem Haus kommen gehört«, erzählte sie Daniela, »aber die Harfe ist ja ein sehr leises Instrument.«
Die Frau bot freundlicherweise an, hinzugehen und nachzufragen, und rief uns dann am Abend mit der frohen Botschaft zurück, dass sie unsere Harfenistin gefunden hatte. Daniela war ihr so dankbar, dass ich schon fürchtete, sie würde sie auch noch auf unsere Hochzeit einladen. Als sie erfuhr, dass die Familie als eine von wenigen in ganz Italien keinen Festanschluss besaß, notierte sie die Handynummer der Harfenistin. Wie sich herausstellte, gab es in dem winzigen Ort also zweiundvierzig Rizzos statt nur einundvierzig, wie im Telefonbuch angegeben. Selbst wenn wir alle durchtelefoniert hätten, hätten wir die Rizzos, die wir suchten, niemals gefunden. Nach so einer komplizierten Suche konnte ich den lieben Gott, oder besser noch San Rocco, nur anflehen, dass sie eine gute Harfenistin war.
 
Die Vorbereitungen für unsere Hochzeit waren beinahe abgeschlossen. Jetzt blieb nur noch der Papierkram übrig, den das municipio übernahm. Dort unterschrieben Daniela und ich ein Dokument, mit dem wir bestätigten, dass wir nicht miteinander verwandt waren und unsere Ehe rechtmäßig sei. Anschließend hängte Andranos Rathausangestellter Paolo, ein Hobbybauer mit viel Salento unter seinen Fingernägeln, das Aufgebot aus, natürlich nicht, ohne es mit den geforderten Steuermarken zu verzieren. Die Bevölkerung hatte acht Tage Zeit, um Einspruch zu erheben.
Während dieser acht Tage ging ich oft am Rathaus vorbei, um einen Aushang zu sehen, gegen den ich vor wenigen Jahren noch selbst Einspruch eingelegt hätte – damals, als Italien noch das herrliche Land der Kirchen und Caravaggios war und ich noch in eine andere Frau, meine Exfreundin, verliebt war. Wir hatten uns auf der Uni kennengelernt und besaßen viele gemeinsame Interessen, einschließlich dem für Italien, ein Land, das wir wenige Tage vor unserer Trennung noch gemeinsam bereist hatten.
Als sie mich bald darauf in einem winzigen französischen Dorf verließ, rechnete ich mit einer langen Phase aus Selbstmitleid und geringem Selbstwertgefühl. Aber dann fuhr ich nach Irland, und der dortige Sinn für Humor war Balsam für meine Seele und trivialisierte meine Trauer. Ich fand Trost in angeregten Gesprächen, leeren Gläsern und vollen Aschenbechern. Niemand kannte mich, niemand fragte, was mit mir los war, und das Trauma meiner Trennung begann sich früher zu verflüchtigen als erhofft. Vielleicht war ich auch einfach nur zu betrunken, um mich noch groß daran zu erinnern.
Obwohl auch Daniela das Herz schwer war, wegen der Krankheit ihres Vaters, schaffte sie es trotzdem, ein wenig Mittelmeersonne in das düstere Dublin zu bringen. Das Schicksal und getrennte Taxis brachten uns am selben Abend in denselben Pub, wo ich mich um ihr Glas und sie sich um mein verwundetes Herz kümmerte. Vielleicht war sie eine Abgesandte San Roccos und selbst eine Wundheilerin. Doch als ich ihr damals Fragen stellte, die sie mir nur mithilfe eines Taschenwörterbuchs beantworten konnte, wusste ich noch nicht, wer San Rocco ist, genauso wenig wie ich wusste, dass wir einst in einer Stadt heiraten würden, von der ich noch nie etwas gehört hatte, die mir aber schon bald zur zweiten Heimat werden sollte.
Zwei Jahre später bedeutete die Anmeldung unserer Hochzeit im Rathaus von Andrano mehr als nur eine juristische Formalität. Sie markierte das Ende einer schwierigen Zeit und hoffentlich auch den Beginn einer zärtlichen Zukunft. Jedes Mal, wenn ich den Aushang las, fielen mir weitere Episoden meines Lebens in Italien ein: Die Höhen und Tiefen, die ich erlebt hatte, weil ich alles auf eine Karte gesetzt, meine Koffer gepackt, die Sprache, Land und Leute, ja sogar meinen Namen eingetauscht hatte. Höhen und Tiefen würde es zweifellos auch nach unserer Hochzeit geben. Barzini, den ich während des Flugs nach Italien gelesen hatte, hatte mich schließlich gewarnt, als er schrieb, dass die Ehe unser Verderben wäre und mich Daniela als meine Ehefrau »unter Umständen in Verruf und ins Unglück brächte«. Aber warum sollte dann noch jemand die Aufforderung auf dem Aushang ernstnehmen und Einspruch gegen die von uns angekündigte Ehe erheben? Alle, die uns nichts Gutes wünschten, täten besser daran, uns sehenden Auges in eine unglückliche Zukunft rennen zu lassen.
Danielas und mein Name auf dem Aushang waren eine merkwürdige Kombination. Ihrer steckte voller Vokale und meiner voller Konsonanten – denn er war zur Abwechslung endlich einmal richtig geschrieben. Wie Andrano und Sydney trennten auch uns Welten, und jede Brücke, die beides verbindet, kann eines Tages Ermüdungserscheinungen zeigen. Wichtige Entscheidungen mussten gefällt werden, zum Beispiel die, wo wir uns endgültig niederlassen würden. Nicht in welcher Stadt, sondern in welchem Land. Daniela hatte einen festen Job und eine ansehnliche Pension zu erwarten. Aber wenn sie die beziehen wollte, bedeutete das, in Italien zu bleiben, was ich mir auf Dauer nicht vorstellen konnte. Meine Liebe zu Daniela war grenzenlos, aber meine Liebe zu ihrem Land war es nicht.
Barzini hatte Unrecht, mich vor Daniela zu warnen, aber Recht, als er mich vor Italien warnte. Mir hatte das Land besser gefallen, als ich nur wegen Kunst und Eiscreme hergekommen war. Jetzt, wo ich dort lebte, konnte ich auf viele Aspekte des italienischen Alltags gut verzichten. Ich werde diese Art zu leben nie verstehen, genausowenig wie ich es verstehen werde, dass die Liebe zu einer Italienerin alle Fehler dieser Nation locker wieder wettmachen kann. Warum zieht es mich nur so in dieses hoffnungslose Land, obwohl ich jede Menge Gründe wüsste, es nie wieder zu betreten? Wird es vielleicht erst durch seine Fehler perfekt?
Aber ich fragte mich auch, ob es nicht vielleicht ein Fehler war, jemanden aus einem Land zu heiraten, das ich heute liebte und morgen verachtete. Vielleicht war Liebe nicht die einzige Voraussetzung für eine Ehe, und ich sollte lieber erst mal das Organisatorische regeln. Ich bekam es mit der Angst: Meine Eltern packten bereits die Koffer in Sydney, und ich überdachte meine Eheschließung in Italien. Meine Sorgen waren wie hässliche Wolken, die sich plötzlich vor einen strahlenden Sonnenaufgang schieben. Aber waren diese Wolken Tatsachen oder nur Einbildung? »Einbildung«, meinte Renato, der mich nach Tricase mitnahm und zum Tennisspielen verdonnerte, um mich abzulenken.
Die acht Tage vergingen äußerst langsam, und nur in meiner Einbildung erhob ich von Zeit zu Zeit Einspruch gegen diese Ehe.
 
Die exklusive Villa La Tenuta Lucagiovanni außerhalb von Maglie war eine teure Wahl für unser Hochzeitsfest. Valeria bestand darauf, dass Franco keine Kosten gescheut hätte, wenn es um die Hochzeit seiner Tochter ging. Und da sie diejenige war, die zahlte, wäre es unhöflich gewesen abzulehnen. Je näher der große Tag rückte, desto mehr schien Danielas Mutter ihren Widerstand gegen die nichtkirchliche Trauung zu vergessen, ja, sie begann sogar, sich für die Zeremonie zu begeistern. Ich glaube, sie war stolz auf unsere Sturheit, denn für eine Sizilianerin ist das ein mehr als grandioser Charakterzug.
Nach anfänglichem Protest überließ es Valeria Daniela und mir, die Zeremonie zu organisieren. Deshalb überließ ich es ihr und Daniela, das Fest zu planen. Was mich betraf, war es ihr Abend, vorausgesetzt, der Nachmittag gehörte Daniela und mir. La Tenuta Lucagiovanni oder Maglio, wie das Lokal offiziell heißt, bot eine große Auswahl von Gedecken und Blumenarrangements, von denen sich Mutter und Tochter eines aussuchen konnten. In den Wochen vor der Hochzeit unternahmen sie unzählige Ausflüge zur Villa und entschieden alles Mögliche, angefangen von der Höhe der Torte bis hin zur Länge der Kerzen.
Von einem dieser Ausflüge kehrte Daniela besorgt zurück. Nachdem sie einen Pianisten gebucht hatte, der auf dem Flügel im Speisesaal spielen sollte, hatte man sie gewarnt, dass sie eine Steuer auf die Darbietung zahlen müsse. Nach italienischem Recht besaß der Pianist das Copyright, außer wir zahlten 100 Euro an den italienischen Schriftsteller- und Verlegerverband für die Rechte an der Musik, die unser Essen untermalt. Irgendjemand in der Villa hatte Daniela eingeredet, die Guardia di Finanza habe an einem Freitagabend nichts Besseres zu tun, als Hochzeiten heimzusuchen, dort nach den Quittungen für die Hintergrundmusik zu fahnden und Bußgelder zu verteilen, falls die Steuer nicht gezahlt worden war.
In ihrer Verwirrung, ob sie sie nun zahlen sollte oder nicht, rief Daniela den Pianisten an, der sagte, die Steuer sei legittima. Aber wenn die Finanzpolizei auftauche, könne man ebenso gut sagen, er gehöre zu den Hochzeitsgästen und spiele aus lauter Nächstenliebe spontan ein paar Sonaten. Anscheinend hatte diese Steuer das Geschäft des Pianisten bereits fast ruiniert – während des Essens eine CD abzuspielen war deutlich billiger -, weshalb er seinen Kunden diesen Ausweg anbot. Aber das Problem daran war laut Daniela, die von den hiesigen Sitten und Steuern sichtlich aufgerieben wurde, dass die Guardia di Finanza schnell merken würde, dass unser sogenannter Gast sehr wohl ein ausgezeichneter Profi war. Denn wer spielt schon freiwillig anderthalb Stunden am Stück und trägt dabei noch einen Frack?
Über die Steuer wurde, wie sooft in Italien, heftig diskutiert.
Die Leute aus der Villa meinten, es sei unsere Entscheidung, allerdings könnten sie etwaigen Beamten nicht den Zutritt verbieten. In der Vergangenheit war es zu Kontrollen gekommen, die allen den Abend ruiniert hatten. Ich plädierte dafür, nicht zu zahlen, und meinte, wenn man wirklich auf die Einhaltung eines solchen Gesetzes pochen würde, dürfte es auch nirgendwo mehr in Italien Straßenmusikanten geben. Außerdem heiratete hier sowieso niemand an einem Freitag, sodass die Guardia di Finanza eher im Aufenthaltsraum Karten spielen als unsere Hochzeit kontrollieren würde. Wenn niemand etwas gesagt hätte, wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, uns Sorgen zu machen. Warum diskutierten wir dann nicht, ob der Auftritt der Harfenistin auf der Burg nicht auch Steuern kostete? Doch nur weil uns niemand im municipio darauf hingewiesen hatte, was hoffentlich auch so bleiben würde.
Nach tagelangen Überlegungen beschloss Daniela zu zahlen, und sei es nur, um sich die Albträume von Männern in grauen Anzügen zu ersparen, die ihre Hochzeit stürmten wie Hollywood-Cops. Also fuhren wir eines Junimorgens, während die letzten Mohnblüten am Straßenrand standen, zu einer Behörde in Maglie und zahlten, was in Wahrheit eine Versicherungsprämie gegen ungebetene Hochzeitsgäste war. Genauso gut hätten wir aufs Polizeirevier fahren und uns anzeigen können, weil wir einen Fernsehfilm mitgeschnitten hatten. Welches Formular der carabiniere in Loritano wohl für diesen Verstoß verwenden würde?
Nachdem die Tischwäsche ausgesucht und das Ehegelübde geprobt worden war, begannen wir uns langsam zu entspannen und freuten uns auf den großen Tag. Meine Eltern kamen und machten es sich im Strandhaus gemütlich. Dad hatte sogar Taucherbrille und Schnorchel mitgebracht. Beide waren entzückt von Andrano, vor allem von seiner Piazza. Die uralten Traditionen faszinierten sie: das Geschrei der Gemüsehändler, das verlässliche Schlagen der Glocke. Dad war gerade mal eine Stunde da, als er auch schon wusste, wie oft sie schlug. Mir war es genauso gegangen. Es war herrlich, sie wiederzusehen.
Valerias Haus erlebte eine sizilianische Invasion, und Daniela verbrachte den Abend vor ihrer Hochzeit bei ihrer Mutter und ließ sich von ihrer Riesenfamilie feiern. Ich verbrachte einen ruhigen Abend mit Australian-Football-Spielen auf Video, die mir mein Vater mitgebracht hatte, übersetzte seine Rede ins Italienische und plauderte mit meiner Mutter, während sie Dads Sydney-Swans-Krawatte bügelte. Ich hätte mich geschmeichelt fühlen müssen, als ich sah, dass er sie wirklich nur zu besonderen Anlässen trug.
Alles war bestens vorbereitet, alles war perfekt – bis auf die Swans-Krawatte. Aber was noch wichtiger war: Es versprach ein herrlicher Tag zu werden. Es hatte schon seit drei Monaten nicht mehr geregnet, und ein rosa Sonnenuntergang kündete von schönem Wetter.