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Spaghettata am Sonntagabend
Nachdem sie dem
heimischen Nest entflohen und nach Norden gezogen waren, gründeten
die süditalienischen Freunde eine neue Familie, deren Intimität auf
Abstand beruhte. Damit meine ich nicht die italienische
Durchschnittsfamilie, die heute zu den kleinsten Europas gehört,
sondern das Klischee der italienischen Familie schlechthin, wie man
es aus Fellini-Filmen kennt: ein halbes Dutzend Leute mit
Servietten um den Hals, die dicht gedrängt um einen Tisch sitzen,
an ihrem Wein nippen und Spaghetti schlürfen.
Der Sonntag ist ein
heiliger Tag. Nachdem sie schon früh ihre religiösen Pflichten
erfüllt haben, essen Italiener mit ihrer Familie zu Mittag, bevor
sie den Abend mit Freunden verbringen. Aber wenn die Freunde zur
Familie werden, gestaltet sich der Sonntag wie ein Familienfest.
Aufgrund der vertrauten Gesichter aus Sizilien, jener Freunde, die
das Jahr über in Mailand arbeiteten, hatten unsere
norditalienischen Sonntagabende ein deutlich süditalienisches
Flair. Daniela und ich speisten und tranken mit Francesco, Michele,
Antonio, seiner Frau Adele, Sergio und Luisa. Wir spielten
Scopa, erinnerten uns an den Sommer und
planten den nächsten. Zu Zio Tonios selbst gekeltertem Weißwein,
den er uns regelmäßig in recycelten Mineralwasserflaschen schickte,
war die Sonntagabend-Spaghettata ein echter Lichtblick im
zementgrauen Mailand.
Jeden Sonntagabend
eilten Daniela und ich zu demjenigen, der gerade dran war, die
Spaghetti-Soiree auszurichten. Wenn wir an der Reihe waren, war ich
genauso verdreht wie die Spaghetti, wenn die Gäste gegen halb zehn
eintrafen: Ich konnte mich einfach weder an das späte Essen
gewöhnen noch daran, meine Aperitifs darauf abzustimmen. Meine
italienischen Freunde waren schockiert, wie viel ich trank – vor
allem, als ich ihnen erzählte, dass ich wesentlich weniger Alkohol
konsumierte, seit ich in Italien lebte. Und als ich sagte, dass wir
in Australien eine ganze Badewanne mit Bierflaschen füllen, wenn
wir eine Party geben, bestätigte ich nur ihre Vorurteile, von einer
langen Reihe von Alkoholikern abzustammen.
Wenn man nicht
gerade von seinem Moped gefallen ist, gilt es in Italien als
äußerst unfein, durch die Gegend zu torkeln oder zu lallen. Trinken
ist vollkommen in Ordnung, aber betrunken sein nicht. Das ist eine
Frage der Kultur. Da sie Wein trinken durften, seit sie alt genug
waren zu fragen, was das ist, mussten meine italienischen Freunde
nicht mit hängender Zunge warten, bis sie achtzehn waren, um an den
verbotenen Tropfen zu kommen. Das legale Mindestalter für
Alkoholkonsum ist in Italien kein Thema, die meisten Italiener
kennen es nicht mal. Nicht, weil sie so betrunken sind, dass sie
sich nicht mehr daran erinnern können, sondern weil sie so nüchtern
sind, dass es ihnen völlig egal ist. Die Volljährigkeit ist dagegen
ein ganz anderes Thema.
Italiener brauchen
keinen Alkohol, um ihre Hemmungen zu verlieren. Am Strand von
Andrano hatte ich mit Danielas stocknüchternen Freunden an Gesängen
teilgenommen, für die meine australischen Freunde mehrere Flaschen
Whiskey gebraucht hätten. Hier benötigte man nichts
Hochprozentiges, um hundert Prozent Spaß zu haben, und ich fand es
angenehm, am Samstagabend ins Bett gehen zu können, ohne dass sich
die Decke drehte.
Die Spaghettata am Sonntagabend war allerdings nichts
für Abstinenzler. Unsere Freunde ließen durchaus Alkohol über ihre
Lippen – aber ausschließlich zum Essen. Das sorgte dafür, dass sie
niemals betrunken wurden, selbst wenn sie sich einbildeten, sie
tränken weniger, wenn sie ihre Gläser nur halbvoll machten.
Danielas Cousin Antonio unterdrückte ein Grinsen, als er bestritt,
dass zwei halbe Gläser dasselbe seien wie eines. Und was mir
überhaupt einfiele, sinnvolle Traditionen mit meiner langweiligen
Wahrheitsliebe zu zerstören? War der Abend dann vorüber, griffen
sie nach ihrem Autoschlüssel, ohne sich weiter Gedanken über ihren
Alkoholkonsum zu machen. Niemand kannte die legale Promillegrenze,
wahrscheinlich nicht einmal die Polizei.
Die Idee eines
gemeinsamen Sonntagsmahls ward geboren, als wir zu acht im Park
gewesen waren, um den Bumerang zu werfen, den ich Michele geschenkt
hatte. Ich hatte erwartet, dass er dasselbe tat wie alle anderen
Freunde, die einen Bumerang bekommen hatten, nämlich ihn entweder
im Regal auszustellen oder ihn in einer Schublade zu vergessen.
Stattdessen erwartete der reizbare Sizilianer, dass ich ihm zeigte,
wie man ihn wirft. Angesichts meiner Nationalität nahm er an, dass
ich das wüsste.
Aber wo kann man in
Mailand einen Bumerang werfen? Freie Flächen sind nicht gerade ein
hervorstechendes Merkmal dieser Stadt, und in den meisten Parks
hätte man ihn nach dem Werfen im nicht gesponserten Gras verloren.
Doch da kam mir die rettende Idee: Wir konnten ihn nach dem ersten
Wurf verlieren und wären pünktlich zum Fußballspiel wieder zu
Hause. Es erwies sich als schwierig, einen geeigneten Ort dafür zu
finden, und als ich schon dachte, wir würden aufgeben, schlug
Adele, die außerhalb von Mailand in einem Vorort namens Rho wohnte,
vor, den Park neben ihrer und Antonios Wohnung zu nehmen. »Er ist
riesig«, sagte sie. »Und gut gepflegt.« Michele klatschte in die
Hände, und ich fügte mich widerwillig, froh, ihm kein Didgeridoo
geschenkt zu haben, denn sonst hätte ich ihm bestimmt darauf
vorspielen müssen.
Am folgenden Sonntag
trafen wir uns bei Adele und Antonio, bevor wir im Konvoi zum Park
aufbrachen, so wie in Sizilien zum Strand. Hunderte von Eltern,
Kindern und Haustieren versuchten ebenfalls, die ersten, zaghaften
Sonnenstrahlen einzufangen – viel zu viele, um eine tödliche Waffe
zu werfen, die – wenn überhaupt – in einem Beutel mit der
Aufschrift »Beweisstück A« zurückkehren würde. Wie ein
überehrgeiziger Astronaut weigerte sich Michele, das Unternehmen
abzublasen, und bestand darauf zu warten, bis sich die Massen
verlaufen hatten. Als es dämmerte und die Temperaturen schneller
sanken, als sich die Picknickgäste verabschiedeten, beäugten meine
Schüler ihren Lehrer aufmerksam. Das lange Warten hatte ihre
Erwartungen nur noch steigen lassen.
»Haben ihn die
Aborigines auch noch zu anderen Zwecken als zum Sport benutzt?«,
fragte Michele, während er den Bumerang aus seiner
Originalverpackung nahm und mir reichte.
»Sie haben ihn für
die Jagd benutzt, stimmt’s, Chris?«, sagte Daniela.
»Si«, antwortete ich vage und versuchte mich an die
ellenlange Gebrauchsanweisung für das verdammte Ding zu erinnern.
In ihren Augen stand eine Ehrfurcht, die höchstens beim Absingen
der Nationalhymne angemessen gewesen wäre.
»Für die Jagd?«,
wiederholte Adele. »Was gibt’s denn heute zum Abendessen,
Crris?«
Ich holte
hoffnungsfroh aus und warf das gekrümmte Wurfholz geradeaus, bevor
es auf die Erde plumpste und von einem Cockerspaniel erbeutet
wurde.
»Das sieht mir ganz
nach Spaghetti aus«, sagte Antonio. »Sollen wir wieder zu uns nach
Hause gehen?«
Von nun an traf sich
die Gruppe jeden Sonntag, um gemeinsam eine sogenannte Spaghettata zu sich zu nehmen – eine große Schüssel
Spaghetti. Diese Hauptzutat bedeutete nicht, dass unsere Mahlzeiten
eintönig gewesen wären. Ich bezweifele sogar, dass ich jemals
zweimal dieselben Spaghetti gegessen habe, außer, es war erwünscht.
Das Essen ist ein Aspekt, der sich deutlich verbessert, wenn man in
Italien lebt, anstatt das Land nur zu bereisen. Nicht nur von der
Sprache, sondern auch von dem wesentlich dicker machenden Essen
konnte ich nie genug bekommen. In Australien aß ich, um zu leben.
In Italien lebte ich, um zu essen.
Mein Lieblingsessen
waren Danielas spaghetti alle vongole –
Spaghetti mit Muscheln und Weißwein. Ebenfalls köstlich fand ich
Luisas spaghetti alla mediterranea –
ein einfaches Gericht, das sie als »echt italienische
Nationalflagge« beschrieb, mit grünem Basilikum, weißen Spaghetti
und roter Tomatensauce. Wenn es Landesverrat ist, sie zu essen, bin
ich bereit, dafür zu hängen. Adeles Spezialität waren entweder
spaghetti alle melanzane – mit Tomaten
und Auberginen – oder spaghetti al gusto
vivo mit Thunfisch, Pilzen und Tomaten. Die spaghetti ai funghi ihres Mannes waren
hervorragend, genauso wie seine mare e
monti mit Pilzen und Meeresfrüchten. Francesco
experimentierte gern in der Küche und versuchte sich oft in Saucen,
die er selbst erfunden hatte. Ich fragte nur selten nach den
Zutaten, zählte jedoch stets die Fische in seinem Aquarium, falls
er die Idee zu spaghetti alla piranha
gehabt hätte. Sergio konnte in wenigen Minuten eine carbonara zubereiten, und Micheles aglio, olio e peperoncino waren so scharf, dass sie
beinahe seine winzige Wohnung beheizten. Mein Beitrag bestand
darin, Nachtisch aus der pasticceria in
unserer Straße zu besorgen und mich darum zu kümmern, dass jeder
ein halbvolles Glas vor sich stehen hatte.
Um die Rolle der
italienischen Familie zu beschreiben, schrieb Luigi
Barzini:
»Wo die
Staatsautorität schwach ist und man dem Gesetz inneren und äußeren
Widerstand entgegensetzt, wird die Sicherheit und das Wohlergehen
des Einzelnen im Wesentlichen durch die Familie gewährleistet. Die
italienische Familie gleicht einer Burg in Feindesland: Denn hier
innerhalb ihrer Mauern und bei den Menschen, die zu ihr gehören,
findet der Einzelne Trost, Hilfe, Rat, Unterstützung, Darlehen,
Waffen, Verbündete und Komplicen. Kein Italiener, der eine Familie
hat, ist je allein.«
Als süditalienische
Legion auf einem norditalienischen Schlachtfeld erfüllte unsere
Sonntagabendfamilie alle Zwecke, die Barzini beschreibt, bis auf
das mit den Darlehen und Waffen, außer man wollte den Bumerang
mitzählen. In dieser Runde wurden oft Probleme besprochen, die den
ein oder anderen von uns um den Schlaf brachten, seien es nun
Beziehungsprobleme, Autounfälle oder irgendein rätselhaftes
italienisches Gesetz. Italiener stehen dem Staat und seinen
Statuten misstrauisch gegenüber und fragen stets die Familie um
Rat, wenn sie mit dem einen oder anderen zu tun haben. Doch
angesichts der niedrigsten Geburtenrate Europas stellen die
italienischen Familien nicht mehr das Wissensreservoir dar wie zu
den Zeiten Barzinis. Deshalb sah sich Antonio gezwungen, seine
zweite Familie hinsichtlich eines obskuren Gesetzes zu befragen,
das ihm hinsichtlich der Vergrößerung seiner ersten Familie Kummer
machte.
Ich bewältigte
gerade einen Berg Barilla-Nudeln, als Antonio fragte: »Crris, wie
klingt für dich der Name A-S-I-A?«
»Je nachdem, wie du
ihn aussprichst, wie ein Putzmittel oder wie ein Kontinent.
Wieso?«
Adele erwartete eine
Tochter, die Antonio Asia nennen wollte. Aber er hatte von einem
Fall in Turin gehört, wo es laut einem Gesetz aus den 1930er-Jahren
verboten war, ein Kind nach einer Orts- oder Länderbezeichnung zu
benennen, sodass das Kind gezwungen worden war, seinen Namen zu
ändern. Antonio machte sich nicht nur Gedanken über die
Schreibweise, sondern recherchierte auch ausgiebig. Dabei stieß er
auf die Website der berühmten italienischen Schauspielerin Asia
Argento und schickte ihr eine E-Mail, in der er sie fragte, ob sie
je Probleme damit gehabt habe, ihren Namen mit einem Kontinent zu
teilen.
Er hatte immer noch
keine Antwort erhalten, also verbrachten wir die bewusste
Sonntags-Spaghettata damit, eine Lösung
für sein Problem zu finden.
Antonio hatte
widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Gültigkeit dieses
dubiosen Gesetzes erhalten. Eine Behörde behauptete, es sei noch in
Kraft, während eine andere genau das Gegenteil verkündete. Das
machte den stolzen Vater eines bereits vorhandenen Kindes nervös.
Den beunruhigte weniger die aktuelle Gesetzeslage als vielmehr das
Missverständnis, dem jene erliegen konnten, die sie kontrollieren
müssen. Wenn er sich jetzt falsch entschied, könnte seine Tochter
unter Umständen jederzeit einen Brief erhalten, der sie zwänge,
ihren Namen zu ändern und der ihr ganzes Leben
durcheinanderbrächte. Francesco hatte neulich einen ganz ähnlichen
Brief erhalten, in dem stand, er habe vor fünf Jahren zu wenig
Steuern bezahlt. Entweder er beweise das Gegenteil, oder aber er
zahle ein Bußgeld. Zusammen mit seinem avvocato verfasste er eine wirre Antwort, woraufhin
er nichts mehr hörte – zumindest für die nächsten fünf
Jahre.
Mich wunderte
weniger das bizarre Gesetz als die Tatsache, dass es kein anderer
meiner Tischgenossen bizarr zu finden schien. Sie waren allerhand
Absurditäten gewohnt und hörten nur aufmerksam zu, bevor sie
Antonio bestmöglich berieten. Jeder in der Runde machte einen
Vorschlag. Francesco schlug vor, sie sollten das Kind doch einfach
offiziell Anna nennen und ihm dann den Kosenamen Asia geben. Nach
einigen halben Gläsern Wein meinte er, man könne sie offiziell
genauso gut Beatrice nennen, solange Asia ihr Rufname sei. Antonio
war skeptisch und meinte, dass alle, die seine Tochter nicht kennen
würden, ihren offiziellen Namen verwenden und ihr so in der Schule
und im späteren Leben Probleme machen würden. Daniela meinte, wenn
überhaupt, bekäme ihr Bruder noch mal Probleme, und riet ihm, den
Mund zu halten.
Michele schlug vor,
Antonio solle sein Kind doch nach einer Nuss oder einem Vogel Asia
nennen, und nicht nach dem Kontinent. Er wisse zwar nicht, ob es
solch eine Nuss oder solch einen Vogel überhaupt gebe, aber die für
das Geburtsregister zuständigen Leute auf dem Standesamt wüssten
das bestimmt auch nicht. Dieser unüberlegte Vorschlag stempelte
Michele zur dummen Nuss, und Daniela teilte erneut aus, obwohl sie
an jenem Sonntag gar nicht die Gastgeberin war. Man kann über die
italienische Regierung sagen, was man will, aber sie liefert auf
jeden Fall ausgezeichneten Gesprächsstoff.
»Was, wenn du ihren
Namen A-S-I-E schreibst?«, schlug Luisa vor, die das Vorhandensein
eines solchen Gesetzes generell anzweifelte und meinte,
sizilianische Freunde hätten ihre Tochter unlängst Ginevra – also
Genf – genannt.
»Vielleicht haben
sie den Namen mit J geschrieben«, sagte Sergio.
»Nein«, entgegnete
Antonio, »jede Region ist anders. Wahrscheinlich kennt man dieses
Gesetz dort bloß nicht.«
»Ich habe eine
Idee«, sagte Luisa. »Fahr nach Hause und melde deine Tochter auf
Sizilien an!«
»Aber wir sind in
Mailand gemeldet«, protestierte Antonio.
Dabei dachte ich
eigentlich immer, die Namenswahl sei mit die leichteste Übung beim
Elternwerden.
Wenn man als Tourist
durch Italien reist und sieht, wie ein Polizist vor einem
Rauchverbotsschild raucht, wie illegale Einwanderer gestohlene
Waren genauso problemlos feilbieten wie Eiscreme, wie Vespas wie
Schmeißfliegen durch die Straßen schwirren, kann man sich kaum
vorstellen, dass es hier auch Männer wie Antonio gibt:
diszipliniert, gehorsam und bereit, so einiges auf sich zu nehmen,
um ja nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Wie diese
Touristen hatte auch ich vor meiner Bekanntschaft mit Antonio
fälschlicherweise angenommen, dass Italien ein unrühmlich
gesetzloses Land sei, in dem nicht nur Verkehrsregeln skrupellos
missachtet werden.
Doch im Gegensatz zu
diesem Klischee führen Italiener ein streng reglementiertes Leben –
zumindest wenn es nach ihrer Verfassung geht, die zu den
chaotischsten Verfassungen überhaupt gehört. In Italien gibt es
unzählige sinnlose Gesetze. Sie bestimmen die Entfernung von einem
Geschäft, innerhalb derer man die Kaufquittung aufheben muss oder
den Abstand zwischen Sonnenschirmen am Strand. Und jetzt auch noch
die Namenswahl bei Kindern. Es gibt die verrücktesten Regeln, die
laut Barzini das gesamte Land zum Stillstand bringen könnten, wenn
man sie plötzlich anwenden würde. Niemand wisse, wie viele davon
noch gelten, und niemand wisse mit letzter Sicherheit, was einige
davon wirklich bedeuteten. Oft helfe es nicht einmal, die Bücher zu
konsultieren und nachzulesen, was der Gesetzgeber sagt, um ihre
eigentliche Bedeutung zu begreifen.
Als Nächstes war ich
an der Reihe, meine Meinung kundzutun. Ich schlug vor, dass Baby
H-A-S-I-A mit H am Anfang zu nennen. Als mich alle nur
verständnislos ansahen, schrieb ich das Wort »Hotel« auf ein Blatt
Papier und bat Antonio, es auszusprechen. »Otel«, sagte er, so als
sei das reine Zeitverschwendung. Dann schrieb ich »Hasia« hin und
hielt das Blatt erneut hoch. Antonios Grinsen wich einem
Strahlen.
»Incredibile«, verkündete er. »Wie bist du bloß
darauf gekommen?« Ich gab eine knappe Zusammenfassung meiner
Erlebnisse auf der Einwandererbehörde von Lecce zum Besten. Der
stumme Buchstabe hatte die Diskussion verstummen lassen. Höchste
Zeit, die zur Hälfte gefüllten Gläser zu heben und zu
feiern!
»Hast du schon
angefangen zu kochen?«, fragte Michele Daniela eines Sonntags am
Telefon.
»Nein.
Warum?«
»Ich würde die
Spaghettata heute Abend lieber bei mir
veranstalten.«
»Wenn du willst,
aber was ist los?«
»Crris muss für mich
in New York anrufen, um mir ein Hotel zu buchen, und ich möchte
nicht euer Telefon benutzen.«
»Ich dachte, dein
Reisebüro hätte das erledigt.«
»Ja, das dachte ich
eigentlich auch.«
Ich war ganz und gar
nicht begeistert – nicht weil Michele meine Hilfe brauchte, sondern
weil ein Abendessen bei Michele mehr oder weniger eine Zumutung
war. Das Problem bestand weniger in seinen Kochkünsten und auch
nicht in der fehlenden Ellbogenfreiheit, die verhinderte, dass acht
Leute gleichzeitig essen können, sondern darin, dass er mitten in
der Stadt wohnte. Dort fand man leichter einen Topf Gold am Ende
des Regenbogens als einen Parkplatz.
Italiener besitzen
mehr Autos pro Kopf als jede andere Nation in Europa. Ihre Liebe zu
Autos ist legendär. Aber ihr ständiger Kampf um einen Parkplatz –
in einem Land, das mehr Kirchen als Abstellflächen für Autos
besitzt -, ist ausgesprochen nervenaufreibend. Ein Neapolitaner
ermordete seinen Nachbarn im Streit über einen Parkplatz. Und auf
Sizilien bissen sich zwei Siebzigjährige das Ohrläppchen ab, nur
weil sie sich partout nicht einigen konnten, wer von beiden ein
größeres Anrecht auf drei Meter Asphalt hatte. Von da aus ist es
ein weiter Weg nach Paris, wo man die Handbremse extra nicht
anzieht, damit andere Autofahrer den Wagen vor- oder zurückschieben
können, um Platz zu schaffen. Den Italienern wird eine solche
Kameraderie immer fremd bleiben.
Italiener parken
ähnlich kreativ wie die Polizei in amerikanischen Hollywoodfilmen.
Verkehrsregeln und die Rechte anderer werden komplett ignoriert.
Entdeckt ein Fahrer zwei durch eine Linie voneinander getrennte
Parkplätze, was in Mailand ebenso wahrscheinlich ist, wie auf eine
Ölquelle im eigenen Garten zu stoßen, parkt er genau auf der Linie
und besetzt so beide Plätze auf einmal. Auf diese Weise sind die
legalen Möglichkeiten schnell erschöpft, und den Autofahrern bleibt
keine andere Wahl, als auf dem Bürgersteig oder in zweiter Reihe zu
parken. Jede freie Asphaltfläche gilt als geeignet, egal, ob sich
darauf auch Straßenbahngleise, Haltezonen für Busse oder
Fußgängerüberwege befinden. Das sorgt dafür, dass Mailands
vigili schwer beschäftigt sind und so
viele Bußgeldbescheide austeilen wie der Geber Karten beim
Poker.
Selbst wenn man das
Glück hat, einen legalen Parkplatz zu finden, ist man immer noch
nicht auf der sicheren Seite. Das musste ich eines schönen Morgens
feststellen, als ich Zeuge einer Art Stummfilmkomödie wurde. Bevor
ich zum Einkaufen in die Stadt fuhr, ging ich kurz in die Bar unten
bei uns im Haus, um einen Kaffee zu trinken. Von meinem
Fensterplatz aus sah ich, wie ein Bauarbeiter ein Loch in die
Asphaltdecke bohrte, während ein Kollege überall in unserer Straße
klingelte. Er suchte nach dem Halter eines Fahrzeugs, das Probleme
verursachte. Nicht, weil es illegal geparkt war – zumindest noch
nicht. Als ich gegen Mittag nach Hause zurückkehrte, waren die
Bauarbeiter weg, dafür hatten sie ein Schild mit der Aufschrift
»Behindertenparkplatz« in den Asphalt zementiert und eine
knallgelbe Umrandung um den Wagen gemalt. Das Auto stand immer noch
dort, als ich an jenem Nachmittag zur Arbeit fuhr. Ja, selbst dann
noch, als ich am selben Abend wieder nach Hause kam. Nur dass jetzt
im eiskalten Winterwind ein Bußgeldbescheid hinter seinen
Scheibenwischern flatterte – schließlich parkte der Wagen ohne den
geforderten Ausweis auf einem Behindertenparkplatz.
Obwohl ich noch
nicht ausprobiert hatte, wie Ohrläppchen schmecken, schlug mir das
Parkplatzproblem auf den Magen. Als uns Michele plötzlich zu sich
einlud, bat ich ihn spaßeshalber, uns abzuholen. Zu meiner großen
Überraschung willigte er ein. Er meinte, wir lägen ohnehin auf dem
Weg, wenn er seine Freundin Carla vom Flughafen abholte, die aus
Palermo kam, um ihn nach New York zu begleiten. Es war ihre erste
gemeinsame Reise nach Übersee – vorausgesetzt, ich schaffte es,
ihnen ein Hotel zu besorgen. Aber angesichts des von Michele zu
bewältigenden Parkplatzproblems glaubte ich mit der
Hotelzimmersuche das deutlich bessere Los gezogen zu
haben.
Als die beiden
kamen, um uns abzuholen, stritten sich Carla und Michele über die
Urlaubsbuchung. Michele behauptete, die Reiseverkehrskauffrau habe
den Fehler gemacht. Als er die Flugtickets und die
Hotelreservierungsbestätigung abholen wollte, hätte die
Reiseverkehrskauffrau behauptet, er habe bei der Flugbuchung nicht
dazu gesagt, dass er auch ein Hotelzimmer brauche. In seiner Wut
war Michele so dumm gewesen, die Flugtickets zu bezahlen und zu
sagen, dann würde er sich eben selbst ein Hotel buchen. Doch als
seine Internetrecherche bis 24 Stunden vor dem Abflug erfolglos
blieb, wurde Michele langsam gestresst und lud einen englischen
Muttersprachler zum Abendessen ein. Leider hatte er nicht bedacht,
dass das Wochenende auf einen amerikanischen Feiertag fiel und der
Big Apple wie sein winziges Apartment aus allen Nähten
platzte.
Das Damoklesschwert,
das nun über der Reise schwebte, verschärfte eine ohnehin schon
schwierige Situation: Carla hatte ihren Eltern nämlich erzählt,
dass sie nur eine Woche nach Mailand fahren würde. Dass die Reise
eigentlich nach New York ging, sollte erst anschließend oder am
Abend ihrer Ankunft in Amerika gestanden werden, wenn ihre Eltern
sie nicht mehr davon abhalten konnten. Wahrscheinlich erschien es
ihr einfacher, um Vergebung als um Erlaubnis zu bitten. Aber als
meine Anrufe bei diversen Hotels auch nichts ergaben, drohte sich
Carlas Lüge zu bewahrheiten. Jetzt schien sie das Wochenende in der
Tat in Mailand verbringen zu müssen. Zumindest Francesco machte
eine derartige Bemerkung, die dazu führte, dass sich Carla und
Michele erneut in die Haare bekamen, Daniela ihren unsensiblen
Bruder verwarnte und die Spaghetti matschig wurden.
Zum ersten Mal seit
ihrer Gründung artete die Sonntagabend- Spaghettata in Stress aus. Michele hätte keinen
ungeeigneteren Zeitpunkt wählen können, um seinen japanischen
Freund Hiroshi einzuladen. In der Schuhschachtel, die als Küche,
Schlaf-, Ess- und Wohnzimmer herhalten musste, drängten wir uns mit
Hiroshi zu zehnt. Eine ungeheure Anspannung lag in der Luft, und
bei voll aufgedrehter Heizung wurde die Stimmung immer
explosiver.
Alle waren
beschäftigt oder besorgt oder beides. Ich telefonierte alle
möglichen Hotels durch und schrie Fragen in den Raum, die ich
selbst nicht beantworten konnte, wie die, ob es zur Not auch zwei
Einzelzimmer tun würden.
»Assolutamente no«, warf Carla ein, deren Vater
sicherlich anderer Meinung gewesen wäre. Antonio und Sergio saßen
mit Adele auf dem Sofa und diskutierten darüber, wie man am
schnellsten mit dem Auto von ihrem Büro zum Krankenhaus käme. Adele
bestand nämlich darauf, noch zu arbeiten, obwohl ihr Bauch so
aussah, als könne Asia noch während meiner Telefonate mit Amerika
zur Welt kommen. Michele improvisierte eine carbonara, während er Reisebüros, überfürsorgliche
Eltern und die Frau verfluchte, mit der er am nächsten Tag zu einem
romantischen Kurzurlaub aufbrechen wollte. Francesco hörte mir
aufmerksam zu und informierte Michele regelmäßig darüber, dass er
zwar keine Ahnung habe, was ich sage, aber dass ich positiv klänge.
Hiroshi saß stumm in der Ecke und muss sich vorgekommen sein wie in
einem Irrenhaus. Währenddessen saßen Daniela, Luisa und Carla auf
dem Bett und tauschten sich über ihre überfürsorglichen Väter
aus.
Da es auch Daniela
mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen beziehungsweise
einzelne Buchstaben der Länder, die sie bereisen wollte,
weggelassen hatte, konnte sie Carlas Umgang mit ihren nervösen
Eltern gut verstehen. Aber Daniela hatte statt Australien
(Australia) nur deshalb Österreich (Austria) besucht, um den
Seelenfrieden ihrer Tanten und Onkel nicht zu stören. Ihr Vater war
schon damals sehr krank, als wir uns kennenlernten. Sie hätte es
sonst eventuell nicht mal bis Österreich geschafft.
Als seine Tochter im
Teenageralter war und abends im Minirock ausgehen und ihre
gebräunten Beine zeigen wollte, pflegte Franco Daniela stets an
ihre Sperrstunde zu erinnern, indem er sie fragte, was für ein Tag
gerade war. Wenn Daniela sagte, »Der fünfzehnte«, sagte Franco,
dass sie entweder vor dem sechzehnten wieder zu Hause sei oder den
siebzehnten nie erleben würde. Daniela hasste die Sperrstunde, war
aber trotzdem dankbar, dass ihr Vater nicht so streng war wie der
von Luisa. Der spuckte auf die Türschwelle, wenn Luisa fortging,
und sagte, wenn sie nicht zurück sei, bevor die Spucke getrocknet
wäre, würde er kommen und sie holen.
Ein Vater, der sich
um die Jungfräulichkeit seiner Tochter sorgt, macht es häufig
notwendig zu lügen. Solche Notlügen werden von italienischen
Teenagern regelrecht als Vorspiel betrachtet. Aber auch Söhne
werden streng überwacht. Auf jeden überfürsorglichen italienischen
Vater einer Tochter kommt eine überfürsorgliche Mutter, die nichts
anderes tut, als ihren heiß geliebten Sohn zu verwöhnen. Nicht
umsonst gibt es folgendes Sprichwort: Jesus Christus muss Italiener
gewesen sein, da er bei seinen Eltern lebte, bis er dreißig war,
und eine Mutter hatte, die ihn als Gott verehrte.
Psychologen in
Frauenzeitschriften warnen italienische Mütter vor dem sogenannten
mammismo distruttivo. Einmal schrieb
eine verzweifelte Mutter an eine Kummerkastentante und bat sie um
Hilfe, da sie ihre Eifersucht nicht kontrollieren könne, wenn sie
ihren fünfunddreißigjährigen »bambino«
dabei ertappe, wie er seine Freundin umarmt. Sie wollte wissen, wie
sie es schaffen könne, keine Vorwände mehr zu erfinden, um diese
Umarmungen zu unterbrechen.
Manche Mütter
schämen sich kein bisschen für ihr aufdringliches Verhalten. In
Stranamore, einer Fernsehshow, in der
Paare ihre Problem e kundtun, um dann m öglichst wieder m itei
nander versöhnt zu werden, stellte eine Frau ihrem Freund im
Studiopublikum ein Ultimatum: »Entweder ich oder deine mamma«, sagte sie. »Steh auf, wenn du dich für mich
entscheidest.«
»Ich entscheide mich
für dich«, sagte der Mann und stand auf.
»Nein, das tut er
nicht«, sagte seine Mutter und erhob sich neben ihm.
Aber mamma mischt sich nur ein, wenn der figlio sie lässt. Die verhätschelten mammoni, wie man sie nennt, sind ihren Müttern
genauso ergeben wie sie ihnen. Keiner hat das besser
zusammengefasst als Roberto Benigni in dem Film Johnny Stecchino. Darin spielt er einen
sizilianischen mafioso, der einer Frau
tief in die Augen sieht und sagt: »Amore
mio, es gibt nur eine Frau in meinem Leben, und diese Frau
bist du und meine Mutter.«
Mütter schlagen
ihren Söhnen nichts ab, dafür schlagen ihnen auch die Söhne nichts
ab, deren Ehen manchmal scheitern, weil es die Frauen leid sind,
mit ihren Schwiegermüttern zu konkurrieren. Eine Freundin von
Valeria kam in Andrano oft zu uns, um sich über ihren Mann zu
beschweren. Der hatte seiner Mutter den Schlüssel zu ihrem Haus
gegeben, erlaubte es, dass sie die Schubladen nach zu flickenden
Unterhosen oder Socken durchsuchte, und lobte stets das Essen
seiner Mutter, aber nie das ihre. Valeria gelang es immer, die
Probleme ihrer Freundin zu lösen – und sei es nur deshalb, weil
diese bei ihren Besuchen Franco sah und merkte, wie banal ihre
Probleme im Vergleich dazu waren.
Überfürsorgliche
Eltern tun alles dafür, um ihre Kinder an sich zu binden. In
extremen Fällen täuschen sie sogar eine Krankheit oder Behinderung
vor. Daniela hat eine Freundin, deren Mutter merkwürdigerweise
stets dann krank wurde, wenn ihre Tochter erwähnte, nach Mailand zu
ziehen, um dort Psychologie zu studieren. Warum wegziehen, um
merkwürdige Verhaltensweisen zu studieren, wenn man das genauso gut
zu Hause tun kann? Andere Eltern sind weniger manipulativ, lassen
ihre Kinder aber genauso ungern los. Als ich einem Schüler in der
Sprachenschule erzählte, dass ich Wohngeld hätte zahlen müssen,
wenn ich nach der Highschool zu Hause geblieben wäre, sagte er,
seine Eltern würden jede Summe zahlen, damit er nach der Schule zu
Hause bliebe.
Bis auf Carla, die
immer noch zu Hause wohnte, hatten die anderen ihre süditalienische
Heimat verlassen, um ihre Karriere in Norditalien fortzusetzen. Das
hatten die Eltern zwar mit der Zeit akzeptiert, aber dafür lebten
sie in ewiger Sorge. Der Wall der Familienburg war durchbrochen
worden, und sie konnten ihre Kinder nicht mehr vor der korrupten
und gefährlichen Welt beschützen. Doch die Fahnenflüchtigen werden
täglich überwacht, wenn die Drähte der Telecom Italia heißlaufen.
In ganz Italien erklingt abends um zehn in Millionen von Hosen- und
Handtaschen eine Melodie, die Söhne wie Töchter dazu bringt, auf
ihre Uhr zu sehen und ohne nachzudenken zu sagen: »Ciao mamma.« Auch bei unseren Sonntagabend-
Spaghettatas bereiteten sich alle auf
den Anruf der mamma vor, indem sie kurz
vor zehn ihre Handys hervorholten.
Die Anrufe von
Micheles Mutter waren stets amüsant, und in einer so kleinen
Wohnung war es unmöglich, nicht mitzuhören. Die Frau mit den
Gesundheitsschuhen und der Schürze kam zu Hause halb um vor Sorge.
Ihr kleiner Junge vom Land war in der gefährlichen Großstadt, in
der sie einmal gewesen war, um sich an der Hüfte operieren zu
lassen. Angespannt verfolgte sie tagtäglich die Abendnachrichten –
fest davon überzeugt, dass jede Tragödie, die sich in Mailand
ereignete, ihren Sohn Michele betraf. Wenn plötzlich Hagelkörner
vom italienischen Himmel fielen, von denen die meisten in Mailand
landeten, rief Micheles Mutter an, um sicherzustellen, dass ihr
Sohn nicht davon erschlagen worden war. Stur wie sie war, wartete
sie jedoch erst auf den Mondscheintarif, um sich davon zu
überzeugen, dass er noch lebte.
An einem anderen
Abend – in Mailand hatte es geschneit -, sorgten die
Abendnachrichten wieder einmal dafür, dass Micheles Mutter in Panik
geriet. »Non ti preoccupare mamma«,
beruhigte sie Michele und nahm wie gewohnt seinen
Zehn-Uhr-Kontrollanruf entgegen. »Ich bin im sechsten Stock. Der
Schnee muss schon etwas mehr als sechs Zentimeter hoch liegen, bis
er mich erreicht.«
Trotz ihrer nervösen
Veranlagung kam es nur einmal vor, dass Micheles Mutter dermaßen
beunruhigt war, dass sie den Mondscheintarif verschmähte und
bereits tagsüber anrief: nämlich als Micheles Vater von einem
Olivenbaum gefallen war und sich die Schulter und seine Leiter
gebrochen hatte. Da sie schwer damit beschäftigt war, ihren Mann zu
pflegen, hoffte sie, ihr Sohn könnte ein paar Tage nach Hause
kommen. Im Gegensatz zu seinem Vater waren die Oliven nämlich nicht
rund genug, um von allein herunterzufallen, sondern mussten
geerntet werden.
Aber jetzt war es
Carla, die nervös wurde, je näher die Zehn-Uhr-Stunde rückte.
Manhattan war doch noch nicht ganz ausgebucht, und ich hatte ihr
und Michele ein Hotelzimmer besorgen können. In Kürze würde sie
ihrem Vater alles beichten, der entweder seinen Willen durchsetzen
oder seine Meinung ändern würde. Ich schlug vor, sie solle erst
sicherstellen, dass er sich nicht gerade in einem Olivenbaum
befand, wenn sie ihm den Rest gab. Aber Carla war nicht zum
Scherzen aufgelegt und hatte den ganzen Abend nur in ihrer
Carbonara gestochert – nicht weil Michele schon mal besser gekocht
hatte, sondern weil sie ihren Vater bald von seiner schlimmsten
Seite kennenlernen würde.
Als ihr Telefon
klingelte, floh Carla ins Bad, von wo aus sie kurz darauf mit einem
gezwungenen Lächeln und einer Flasche Bier wieder auftauchte. Damit
ich mich ganz wie zu Hause fühlte, hatte Michele sechs Flaschen
davon in seiner Badewanne deponiert. Carla ließ ihr Publikum
warten, setzte sich an den Tisch und zündete sich eine von Sergios
Zigaretten an.
»Allora?«, fragte Michele. »Wie ist es
gelaufen?«
Carla hustete, stieß
eine Rauchwolke aus und zog eine Grimasse. »Ich versteh meinen
Vater einfach nicht«, sagte sie. »Erst sagt er mir, ich soll nicht
fliegen, und jetzt sagt er mir, ich soll nicht
zurückkommen.«
Zwei Wochen später –
ich fuhr gerade zur Arbeit – klingelte mein Handy. Die kleine
A-S-I-A war zur Welt gekommen. Ohne H am Anfang. Antonio war das
Risiko eingegangen. Wenn alles gut ging, würden wir sie am nächsten
Wochenende zur Sonntagabend-Spaghettata
sehen.