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Die italienische Inquisition
Wenn man keine Ahnung
hat, was man mit seinem Leben anfangen soll, ist das vielleicht
nicht gerade der ideale Zeitpunkt, jemanden zu fragen, ob er es mit
einem teilen will. Aber nach zwei Jahren mit Daniela wusste ich
eines ganz genau: Ich konnte in ihrem Land bleiben oder es
verlassen, aber sie könnte ich niemals verlassen. Als Don Francesco
also gegen Ende des Jahres in der Mitternachtsmette die Geburten-,
Todes- und Hochzeitsmeldungen vorlas, enthielt diese auch meine und
Danielas Hochzeit – und einer der Todesfälle wäre beinahe ihre
Mutter gewesen.
Obwohl wir
bekanntermaßen sehr unterschiedlich waren und immer noch keine
Ahnung hatten, auf welcher Erdhalbkugel wir uns endgültig
niederlassen würden, fand ich, dass Daniela und ich wirklich eine
Zukunft hatten. Wir lebten seit fast zwei Jahren zusammen und
verbrachten die meiste Zeit zusammen. Eine Hochzeit würde daran
auch nichts ändern, sie würde nur Unmengen von Geld kosten. Aber
ich bekäme eine endgültige Aufenthaltsgenehmigung, und alles, was
weniger Zeit in endlosen Schlangen und auf verqualmten Behörden
bedeutete, war eindeutig eine Verbesserung. Wenn wir den Bund fürs
Leben eingingen, würden wir außerdem jene bösen Zungen zum
Schweigen bringen, die uns seit dem Tag meiner Ankunft vorwarfen,
in Sünde zu leben. Obwohl wir wie gesagt immer noch nicht wussten,
wo unsere Zukunft liegen würde, reagierte Daniela auf meine Bitte,
sie mit mir zu teilen, indem sie strahlte, in Tränen ausbrach und
»Si, si, si«, sagte.
Ich habe lange
Verlobungszeiten nie verstehen können. Ich bat Daniela, mich zu
heiraten, weil ich sie so bald wie möglich heiraten wollte. Wir
hatten vor, den Bund fürs Leben im nächsten Sommer einzugehen,
stellten aber fest, dass jeder anständige Veranstaltungsort für
eine Hochzeitsfeier auf ein Jahr hin ausgebucht war. Und zwar nicht
nur die Samstage. Italiener heiraten an jedem Tag der Woche, bis
auf Dienstag und Freitag, weil das laut folgendem Sprichwort
Unglück bringt: »Di venere e di marte, non si
sposa e non si parte« – »Am Freitag und am Dienstag wird
weder geheiratet noch verreist«.
Italiener verstoßen
höchst ungern gegen solche Sprichwörter. Dieses Volk, das als
ausgesprochen locker und chaotisch gilt, kennt Regeln für beinahe
jede Lebenssituation. Um sich beispielsweise vor der Untreue des
Partners zu schützen, zögert ein abergläubischer Italiener, bevor
er von irgendetwas zwei akzeptiert. Ganz einfach, weil die Zwei für
die Anzahl Hörner steht, die einem von einem untreuen Partner
aufgesetzt werden. Wer es schafft, der Zwei aus dem Weg zu gehen,
sollte sich aber auch nicht für vier entscheiden – die Anzahl der
Sargträger bei einer Beerdigung. Ich servierte Daniela einmal vier
Erdbeeren mit Eis und musste miterleben, wie sie eine entfernte und
in meine Schale tat. »Du kannst von Glück sagen, dass ich nicht aus
Neapel bin«, sagte sie, »wo die Leute so einen Unsinn tatsächlich
noch glauben.«
Einen Stuhl auf
einem Stuhlbein umzudrehen bringt auch Unglück, genauso wie an der
Ecke eines Tisches zu sitzen. In unserem Strandhaus gab es einen
runden Tisch, sodass das kein Problem war. Doch die Form eines
Tisches ist noch lange keine Gewähr für körperliche Unversehrtheit.
Wenn man der Jüngste an einem Tisch mit dreizehn Personen ist – sei
er nun rund oder eckig -, stirbt man vor den anderen. An
Lebensmittelvergiftung vielleicht? Andere böse Omen bedrohen das
Eheglück. Wenn jemand wischt und deinen Fuß mit dem Besen berührt,
wird man niemals heiraten. Und wenn man schon verheiratet ist, wird
man geschieden. Aber dann hat man wenigstens einen sauberen
Fußboden, auf dem man zusammenbrechen und weinen kann.
Süditaliener sind
angeblich abergläubischer als Norditaliener. Es gibt die Geschichte
eines Mannes aus Palermo, der allein lebte – warum, wird klar, wenn
man seine Geschichte kennt – und der glaubte, dass der Monat März
Unglück bringt. Wahrscheinlich, weil Julius Cäsar an den Iden des
März ermordet wurde. Egal, was der Grund dafür war – der Mann
schloss sich kurzerhand bis um Mitternacht des 31. März in seiner
Wohnung ein, um allem Übel aus dem Weg zu gehen.
Daniela litt seit
unserer Beziehung an einem Fluch der ganz eigenen Sorte, musste sie
doch die Traditionen ihrer Familie irgendwie mit meiner
Gleichgültigkeit diesen Traditionen gegenüber vereinbaren. Das
letzte Drama bestand darin, dass es mir egal war, wo wir den Bund
fürs Leben schlossen. Da es in Italien schwierig zu sein schien,
ein entsprechendes Lokal zu mieten, schlug ich vor, auf eine
tropische Insel zu fliehen, mit Piña Coladas für die Priester und
Schwarzrussen für die Brautjungfern. Daniela fand die Idee
aufregend und abstoßend zugleich, schließlich musste sie auch an
ihre Familie denken. Als ich eine kleine Hochzeit in Italien im
Familienkreis vorschlug, rechnete Daniela kurz nach und sagte:
»Toll, das sind fünfundsiebzig Personen ohne die Familie meiner
Mutter.«
Die Sache musste
dringend überdacht werden. Wie konnte ich irgendeine alte Tante,
die nur noch wenige Freuden im Leben hatte – außer sich in die
Angelegenheiten anderer Leute einzumischen -, um das Spektakel
bringen, wie ihre Nichte den Bund fürs Leben einging? Daniela hatte
Recht: Manche Traditionen kann man vernachlässigen, andere nicht.
Also gab ich mich geschlagen. Besser gesagt, ich ging einen
Kompromiss ein. Keine Hochzeit auf einer tropischen Insel, aber
auch kein Jahr warten auf eine italienische. Uns blieb nur noch
eine Möglichkeit: an einem venerdì
heiraten, an einem fürchterlichen Freitag, einem Tag, an dem sich
prima Hochzeiten ausrichten ließen.
Wir bekamen
problemlos einen Termin und wollten am letzten Freitag im Juni
heiraten, was bedeutete, dass uns nur noch wenige Monate für die
Vorbereitungen blieben. Die Jahreszeit war perfekt – die
Schulferien begannen, und drei Monate Flitterwochen lagen vor uns.
Das Wetter dürfte auch ideal sein – weder zu heiß noch zu schwül.
Wir waren entzückt. Wir hatten an alles und alle gedacht. Und
prompt den ersten von vielen weiteren Skandalen
verursacht.
»Venerdì?«, schrie Valeria, als wir ihr die
Nachricht mitteilten. »Ihr könnt unmöglich an einem venerdì heiraten!« Nicht nur Danielas Mutter war
schockiert. Als unsere Hochzeit am Rathaus angeschlagen wurde,
konnten es die meisten nicht lassen, einen Kommentar abzugeben. Als
ob sie das auch nur das Geringste anginge, taten sie ihre Meinung
kund, auf der Piazza ebenso wie im Supermarkt. Für viele bestätigte
das nur, dass ich immer ein Außenseiter bleiben würde und dass
meine Beziehung zu Daniela wegen unserer Unterschiede zum Scheitern
verurteilt war. »Moglie e buoi dei paesi
tuoi« heißt ein anderes italienisches Sprichwort. »Ehefrau
und Kühe sollen aus der Heimat stammen.« Natürlich gab man mir die
Schuld für diese Entscheidung. Daniela hätte sich niemals einen
Freitag ausgesucht, wenn sie den Nachbarjungen heiraten
würde.
Meine Eltern dagegen
waren hocherfreut über die Nachricht. Ihnen war es egal, an welchem
Tag wir heirateten, vorausgesetzt, wir ließen ihnen genügend Zeit,
herzufliegen und dabei zu sein. Schließlich konnten sie es kaum
erwarten zu sehen, wo ich mich die letzten beiden Jahre
herumgetrieben hatte. Als erfahrene Reisende steckten sie ihre
Nasen sofort in Sprach- und Reiseführer und versuchten – wie immer
– mehr als nur einen oberflächlichen Blick auf Italien zu werfen.
Sie waren fünfundsechzig Jahre alt, verhielten sich aber wie
Vierzigjährige, wofür ich sie stets bewunderte.
Trotz der
anfänglichen Aufregung über den von uns bestimmten Hochzeitstag war
Danielas Mutter ebenfalls begeistert und bot uns an, eine Wohnung
auf ihrem Haus bauen zu lassen. Als wir ablehnten, sagte sie, der
Anbau würde auch über einen separaten Eingang verfügen. Damit hätte
ihr Haus vier Adressen gehabt! Als wir immer noch ablehnten, ließ
sie das Thema fallen. Hauptsache, wir heirateten kirchlich! Wir
waren hier schließlich im katholischen Süditalien, wo eine Hochzeit
ein sehr religiöses Ereignis ist. Manche Regeln konnte nicht einmal
ich ignorieren. Oder vielleicht doch?
Nachdem ich Daniela
gebeten hatte, mich zu heiraten, hatte ich sie auch gefragt, wo sie
mich heiraten wolle. Als sie aufhörte zu weinen, sagte sie, dass
ihr die Vorstellung schon immer gefallen habe, in der berühmten
Kathedrale von Otranto zu heiraten, einer mittelalterlichen
Hafenstadt nördlich von Andrano. Die eindrucksvolle Basilika, die
1080 von den Normannen errichtet und in den darauffolgenden
Jahrhunderten ausgeschmückt wurde, steht mitten in der
geschichtsträchtigen Altstadt auf einer kleinen, leicht geneigten
Piazza. Zu ihr gehört auch das Priesterseminar, das ihr Vater einst
besuchte. Was Daniela am meisten an der Kirche gefiel, war nicht
ihr Rosettenfenster aus der Renaissance, sondern ihr riesiges
Fußbodenmosaik, eines der größten der Welt, das den gesamten
Innenraum bedeckt und Stück für Stück die Religions- und
Kulturgeschichte der Menschheit nacherzählt.
Auch die Geschichte
Otrantos liegt innerhalb der Mauern der Kathedrale begraben. Als
1480 türkische Invasoren vom Meer her kamen und Kanonenkugeln
abfeuerten, die noch heute die Straßen der Stadt säumen,
verteidigten die Christen mutig ihre Stadt und ihren Glauben gegen
die muslimischen Belagerer. Doch nach einer blutigen Schlacht, die
fünfzehn Tage dauerte und einen Großteil des historischen Otranto
dem Erdboden gleichmachte, wurde die Stadt erobert, und die
Einheimischen mussten ihrer Religion abschwören. Jeder, der sich
weigerte, wurde geköpft. Seitdem die Stadt irgendwann von Christen
zurückerobert wurde, werden die Schädel der Märtyrer in sieben
Glasvitrinen aufbewahrt, die die Mauern der Kathedrale säumen. Ihre
gruseligen Gesichter bilden ein makaberes Gegengewicht zu der
überwältigenden Schönheit des »Lebensbaum«-Mosaiks. Ein ziemlich
düsteres Kunstdenkmal, wie ich finde, das eher wieder für eine
Hochzeit auf einer tropischen Insel sprach.
Nachdem Daniela
meine ukrainische Mutter angerufen hatte, um sie zu fragen, welcher
Religion ich angehöre – wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es ihr
auch selber sagen können -, rief sie den Pfarrer der Kathedrale in
Otranto an und fragte, ob er eine nicht praktizierende Katholikin
mit einem vergesslichen Ukrainisch-Orthodoxen trauen würde. Er
erklärte sich gern bereit, Danielas Wunsch zu erfüllen,
vorausgesetzt, wir würden bei seiner Kollekte spenden und an einem
katholischen Ehevorbereitungskurs teilnehmen. Selbst wenn ich
Katholik gewesen wäre, hätten wir diesen Kurs trotzdem besuchen
müssen, der »auf die Herausforderungen eines gemeinsamen Lebens«
vorbereiten soll. Geleitet wird er von einem Priester, der
keinerlei Erfahrung mit so einem gemeinsamen Leben hat, aber das
war laut Valeria völlig irrelevant. Ihrer Meinung nach sollten wir
uns einfach nur vor Gott bereit erklären zu heiraten. Und genau
dafür brauchte man eben ein Zertifikat.
Da Danielas Cousine
Federica ihren Verlobten Stefano wenige Monate vor unserer Hochzeit
heiraten wollte, schlug sie vor, den Kurs doch gemeinsam beim
Priester ihres Heimatorts zu machen. Also trafen wir uns sechs
Wochen lang jeden Montag mit sieben anderen Paaren, zu denen auch
Federica und Stefano gehörten, in Don Filippos Haus in Soldignano.
Das Gebäude unterschied sich nur durch ein Neonkreuz von den
anderen und besaß einen Raum, den Don Filippo abends für Ehekurse
und tagsüber als Klassenzimmer für verwaiste Immigrantenkinder
benutzte. Die Wände waren mit Kinderzeichnungen von Elefanten und
Giraffen geschmückt, während in der Mitte der größten Wand stolze
Porträts vom Papst, von Mutter Teresa und anderen berühmten
Geistlichen hingen, die natürlich nicht von den Kindern gemalt
worden waren.
»Sag, was du willst,
aber nicht, dass wir schon zusammenleben«, bläute mir Daniela auf
dem Weg zu unserem ersten Treffen ein.
»Und wo in Andrano
soll ich sonst wohnen, wenn nicht bei dir?«
»Bei meinen
Eltern.«
Von den sieben
Paaren waren Daniela und ich das einzige, das in wilder Ehe
zusammenlebte. Wir hätten den anderen wesentlich mehr über die
Herausforderungen des Zusammenlebens erzählen können als jeder
Priester, der diese erraten oder aber aus der Bibel zitieren
musste. Trotzdem verurteilte man uns – oder hätte es getan, wenn
wir unsere Sünde gebeichtet hätten. Federica wurde ebenfalls zum
Stillschweigen verpflichtet, sie hatte ihrer Cousine schon mehrfach
Alibis geben müssen. Als Daniela und ich in den Dolomiten Ski
fahren waren, merkte Daniela, dass sie zu Hause im Bad eine
Schachtel mit der Antibabypille hatte liegen lassen. Ein Anruf bei
ihrer Cousine, und die Schachtel war verschwunden. Valeria schöpfte
keinen Verdacht. Wie nett von ihrer Nichte, mal wieder zufällig
vorbeizuschauen!
Nachdem er uns zu
seinem Ehevorbereitungskurs willkommen geheißen hatte, gab Don
Filippo jedem Paar ein rotes Exemplar der Heiligen Schrift, bevor
er sein eigenes hochhielt. »Questa è la
Bibbia«, sagte er. »Das ist die Bibel. Ich bin mir sicher,
viele von Ihnen haben sie noch nie gesehen.« Er bat uns, Psalm 46
aufzuschlagen, und als die meisten von uns zur Seite 46 blätterten,
hatte er den Beweis, nach dem er suchte. Aber er kannte Federicas
Gesicht aus der Messe und bat sie, den Heiden zu helfen. »Auf
welcher Seite steht Psalm 46, Federica?«
»Quattrocentoquaranta«, entgegnete die
Streberin.
Als Don Filippo
einen schüchternen jungen Mann bat, laut vorzulesen, wurde sein
Gesicht rot wie die Bibel. Er war analfabeta. Ich hatte von dem hohen Prozentsatz an
Analphabeten in Süditalien gehört, aber bislang nicht viel davon
mitbekommen, von der weithin verbreiteten Unfähigkeit der
Italiener, ein Stoppschild zu entziffern, einmal abgesehen. Dieser
Mann hier war ein Bauer, und sowohl er als auch seine Verlobte
hatten rote Gesichter und schmutzige Fingernägel. Ihre fleckigen,
schlichten Kleider bildeten einen krassen Gegensatz zu dem Paar
neben ihnen: sie in einer Hose von Versace und mit einer goldenen
Dolce-&-Gabbana-Gürtelschnalle und er in einem Anzug von Armani
mit farblich perfekt darauf abgestimmten Schuhen. Die beiden Paare
erinnerten mich an einen Traktor und einen Mercedes, die Seite an
Seite auf einer mit Schlaglöchern übersäten Straße stehen – ein
Anblick, der in Andrano völlig alltäglich ist. Sie verkörperten
Süditalien, die Besitzenden und die Besitzlosen, die prächtig
Herausgeputzten und das Proletariat.
Nach einer kurzen,
peinlichen Pause las die Verlobte des Mannes für ihn vor. Diese
Erfahrung schien Don Filippo dermaßen abgeschreckt zu haben, dass
er die Bibel wieder zuklappte und uns eine Predigt über das Wesen
und die Bedeutung der Ehe hielt. Ich genoss es, ihn reden zu hören,
vor allem, wenn er seine eigenen Worte benutzte statt die aus
seinem Lehrbuch. Der kleine, dünne, bebrillte Mann hatte eine
leise, angenehme Stimme, mit der er sich Gehör verschaffte, ohne
sie je zu erheben, vermutlich eine Grundvoraussetzung für seinen
Job.
Don Filippo hatte
versucht, seine Gemeinde mit Humor und Selbstironie mitzureißen, in
einem letzten Versuch, sie auch für Jüngere attraktiv zu machen.
Und in einem gewissen Sinn war ihm das auch gelungen, obwohl er das
Christentum in dem winzigen Kaff Soldignano wohl kaum reformieren
würde. Er sprach offen über Sex und erzählte seinen Zuhörern, die
jetzt alle die Ohren gespitzt hatten, dass der Sex in der Ehe
anders sei, da sich aus ihm eine ganz neue Verantwortung ergebe. Er
sprach zu Menschen, die noch nie woanders gewohnt hatten als zu
Hause und die Hochzeitsnacht in der ersten gemeinsamen Wohnung mit
dem Partner verbringen würden. Als er die Männer anschließend bat,
ihre Verlobten zur Frau, aber nicht zu ihrer Hausfrau zu machen,
sah mich Daniela verschmitzt an und nickte mit dem
Kopf.
Wohl wissend, dass
die meisten der Frauen gegen Ende des Sommers schwanger sein
würden, verkündete unser Lehrer, Kinder seien das größte Geschenk,
das einem »il signore zukommen lässt
oder auch nicht«. Dieses Geschenk sollten wir schätzen, sei es nun
ein Mädchen oder ein Junge. »Ein Kind ist der größte Segen, den
Ihnen Gott zuteilwerden lässt«, so Don Filippo. »Mädchen sind davon
nicht ausgenommen.« Damit wendete er sich gegen die schamlose
italienische Bevorzugung von Jungen. Wo sonst auf der Welt wünscht
man jemandem Glück mit den Worten: »Tanti
auguri e figli maschi« – »Alles Gute und viele
Söhne«?
Da von Don Filippo
erwartet wurde, dass er die meisten Paare traute, sprach er kurz
die organisatorische Seite der Hochzeit an. Pünktlichkeit sei das
Wichtigste, meinte er, und wenn wir zu spät kämen, hätte er
dieselbe Gesichtsfarbe wie seine Bibel. Er bat uns, um Himmels
willen nicht zu viel Geld für Blumen auszugeben, und meinte, diese
verwelkten im Sommer ohnehin schnell, außerdem hätten wir ja
bereits ein Vermögen für das Brautkleid bezahlt. Er bat uns auch,
einen Fotografen zu finden, der den Unterschied zwischen einer
Kirche und einem Fußballstadion kannte. »Der Priester hat einen
schwierigen Job«, sagte Don Filippo, »der durch das ständige
Blitzlicht zusätzlich erschwert wird.« Als Nächstes kam er auf das
Thema Musik zu sprechen und sagte, dass neben der Orgel
Saiteninstrumente, »mit Ausnahme elektrischer Gitarren«, höchst
wünschenswert seien. Trommeln und Schlagzeug, egal welcher Sorte,
würden allerdings nicht in eine Kirche passen. »Ich weiß nicht, ob
Australier auf Hochzeiten Schlagzeug spielen«, sagte der Priester
und sah mich dabei an, »aber in Soldignano ist das streng
verboten.«
Nichts geschieht in
Italien ohne die richtige documentazione, also ging er als Nächstes die
Formulare durch, die unsere Liebe erst legalisierten. Das erste
hieß pikanterweise Posizione
Matrimoniale, was alle Anwesenden zum Kichern brachte. »Nur
keine Aufregung«, sagte Don Filippo. »Das ist nicht das Kamasutra.«
Tatsächlich war es ein Fragebogen für persönliche Angaben von Braut
und Bräutigam, ihre letzte Chance, Dinge zu beichten, die es
erlaubten, die Ehe annullieren zu lassen, »wie Unfruchtbarkeit,
seltene Krankheiten oder Kinder, die während des Militärdienstes in
Afrika gezeugt wurden«.
Daniela sah mich
besorgt an.
»Sieh mich nicht so
an«, sagte ich. »Ich habe meinen Militärdienst in Südamerika
abgeleistet.«
»Wirklich?«, fragte
Federica. Ein Hoch auf die schlichten Gemüter.
Das nächste Stück
Papier war die italienische Version des Aufgebots: Eine Ankündigung
der Verbindung, die sowohl an der Kirche, in der die Hochzeit
stattfinden soll, als auch am Rathaus der Herkunftsorte des Paares
ausgehängt werden muss. Das gibt Leuten, die etwas gegen diese
Hochzeit einzuwenden haben, die Möglichkeit, ihre Gründe
vorzubringen. Doch wenn das verhindern soll, dass Ehen ein
ehebrecherisches Ende nehmen, dürfte die Prozedur heutzutage
überflüssig sein. Zumindest in Bari, wo ein Richter entschied, dass
der Ehebruch auch vor der Hochzeit
stattfinden kann. Soll das heißen, dass der Ehevertrag auch erst
nach der Hochzeit aufgesetzt werden kann?
Gegen zehn entschied
Don Filippo, dass sein Vortrag über die religiöse Bedeutung der
Zeremonie bis nächste Woche warten konnte. Er verschwand in seiner
Küche und sagte, er habe bestimmt noch irgendwo eine Flasche
spumante und etwas Kuchen. Wie die
anderen blieben wir so lange, wie es die Höflichkeit gebot, bevor
wir den Priester verließen, der uns sowieso nie trauen würde. Aber
auch kein anderer Geistlicher. Ein Abend Ehevorbereitungskurs hatte
genügt, um mich daran zu erinnern, warum ich seit zwanzig Jahren
nicht mehr in die Kirche gehe – bis auf das eine Mal, als es die
Sydney Swans 1996 ins Finale schafften und ich für ein kurzes
Dankgebet hineinschlich.
Nichts gegen Don
Filippo, den ich dafür bewunderte, dass er sich um Waisenkinder
kümmerte. Aber ich wollte nicht, dass am wichtigsten Tag meines
Lebens irgendjemand Verse zitiert, mit denen ich nicht das
Geringste anfangen kann. Andererseits war mir auch klar, dass eine
rein standesamtliche Hochzeit einen noch größeren Skandal
verursachen würde, als an einem Freitag zu heiraten. Doch unsere
Hochzeit musste in erster Linie uns und nicht den Ort glücklich
machen. Auch wenn ich keine Probleme damit hatte, die Verantwortung
einer Ehe zu übernehmen, hatte ich doch Probleme mit einer
kirchlichen Hochzeit. Aber wie sollte ich das nur Daniela
beibringen?
Meilenweit von allem
entfernt, aber nicht voneinander, lagen Daniela und ich im
Strandhaus auf dem Teppich vor dem Kamin. Das gehörte für mich mit
zu den schönsten Momenten in Italien: ein verlassener Hafen, das
Rauschen des Meeres, die tanzenden Flammen und Daniela. Sie sah
schläfrig in die Flammen, spürte, dass ein Unwetter in mir tobte,
und wartete darauf, dass ich etwas sagte.
»Amore?«
»Si.«
»Ich will nichts
lieber als dich heiraten …«
»Aber.«
»… aber ich will
nicht kirchlich heiraten.«
Eine auflodernde
Flamme beschien ihr Gesicht.
»Wo willst du dann
heiraten?«
»Eine Prinzessin
sollte auf einer Burg heiraten.«
Daniela
lachte.
»Auf dem
Standesamt?«
»Auf dem Standesamt.
Auf unsere Art und Weise. Mit unseren Worten.«
Sie legte ihren Kopf
auf meine Brust und sprach ins Feuer.
»Das ist eine
wunderbare Idee, amore. Und das werden
wir auch tun. Aber erwarte nicht, dass meine Mutter davon genauso
begeistert ist wie wir.«
»Wessen Fest ist das
eigentlich?«
»Mein Vater stirbt,
Chris. Wenn es sein muss, mache ich meinen Eltern die Hochzeit
gerne zum Geschenk.«
»Ich will ihnen auch
einen ganz besonderen Tag bescheren. Aber auf eine aufrichtige
Weise, die wirklich etwas mit uns zu tun hat.«
Licht und Schatten
flackerten über ihr Gesicht, als Daniela die Hand hob, mich küsste
und dann Don Filippos Theorie infrage stellte, demzufolge der Sex
nach der Ehe besser ist.
Dreißig Prozent
aller Ehen, die in Italien geschieden werden, scheitern an der
Schwiegermutter. Aber meine Schwiegermutter weigerte sich, Teil
dieser Statistik zu werden, da sie meine Ehe mit Daniela beinahe
scheitern ließ, bevor sie überhaupt geschlossen wurde. Laut einem
Richter aus Bari geht das durchaus.
Bei einem
sonntäglichen Mittagessen machte Valeria ihrem Kummer Luft und
sagte, sie hätte Probleme damit, dass wir nur standesamtlich
heiraten wollten. Ihre Enttäuschung richtete sich überwiegend gegen
mich, denn mit Sicherheit hatte ich ihre Tochter negativ
beeinflusst. Ich sagte, ich hätte Daniela extra gefragt, ob sie das
in irgendwelche Gewissensnöte bringen würde.
»Und was hast du
gesagt?«, fragte Valeria überrascht.
»Ich habe nein
gesagt«, bemerkte Daniela.
Wieder einmal stand
Daniela zwischen mir und ihrer Mutter, und wieder einmal gab sie
ihr Bestes, es uns beiden recht zu machen. Was wir genau während
unseres Lasagne-Essens sagten, spielt hier keine Rolle. Fest steht,
dass Valeria sich berechtigt fühlte, die Entscheidung ihrer Tochter
zu hinterfragen. Das überraschte Daniela weder, noch belastete es
sie. Aber was sie durchaus belastete, war die Weigerung ihrer
Mutter, unserer Ehe ihren Segen zu geben, wenn sie auf der Burg
stattfand. Valeria wollte einen konkreten Gott auf der Hochzeit
haben oder zumindest einen aus Porzellan mit Bart und Sandalen. Das
führte dazu, dass Daniela und ich im Strandhaus weiterstritten,
weil ich mich über die Engstirnigkeit ihrer Mutter beschwerte.
Daniela stimmte mir zu, bat mich aber um Verständnis für Valerias
provinzielle Sichtweise.
Die Beziehung von
Daniela und mir war wie ein Schock für Valeria, die erwartet hatte,
dass ihre Tochter den Jungen heiratete, der drei Häuser weiter
wohnte. Daniela war sieben Jahre mit Tomaso zusammengewesen, bevor
sie nach Irland gefahren und mich mitgebracht hatte. In einem Ort
wie Andrano, wo schon ein Norditaliener als Fremder gilt, ist ein
Australier so etwas wie ein Außerirdischer. Trotzdem hatte Valeria
diesen Außerirdischen willkommen geheißen, auch wenn das bedeutete,
dass sie im Alter eventuell allein war. Ihr Mann lag im Sterben,
ihr Sohn lebte in Mailand, und dann sprach Daniela auch noch davon,
nach Australien zu ziehen. Trotzdem verlor Valeria nie ein Wort
über ihre Angst oder ihren Schmerz. Sie pflegte Franco trotz einer
Arthritis, die ihre Finger aussehen ließ wie die verkrüppelten
Zweige eines Olivenbaums. Alles, was sie sich wünschte, war, dass
ihre Kinder glücklich wurden. Ironischerweise sah ich, den sie als
unreligiös empfand, in ihr eine lebende Heilige.
Nachdem Daniela und
ich nach Mailand gezogen waren und Valeria mit Franco allein
gelassen hatten, ermutigte die Mutter ihre Tochter sogar noch, in
der Großstadt Fuß zu fassen. Daniela versicherte mir, dass viele
andere italienische Mütter in derselben Situation ihre Töchter
angefleht, wenn nicht sogar erpresst hätten zu bleiben. Trotz ihrer
Selbstlosigkeit fiel es Valeria schwer, über die Grenzen ihrer
kleinen Stadt hinauszudenken. Wer in Andrano überleben will, muss
denken wie die Andranesi, muss dazu
gehören, was Franco unmöglich gewesen war. Valeria wusste, dass
Daniela und ich niemals über ihr wohnen würden. Trotzdem war es nur
natürlich, dass sie es uns anbot und hoffte, wir würden
einwilligen. Und wieder redete der ganze Ort über nichts anderes
als darüber, dass Valeria unseren Entschluss, standesamtlich zu
heiraten, nicht guthieß.
Da sie sozusagen
alleinstehend war, war Valeria sehr empfänglich für die Meinungen
von Freundinnen, die fast alle aus süditalienischen Provinznestern
stammten. Und ihre Schwägerin, Danielas Tante Francesca, war zu
allem Überfluss Nonne. Nicht gerade jemand, der Partei für die
Gottlosen ergreift. Daniela wusste ganz genau, wann Zia Francesca
wieder angerufen hatte, weil der Widerstand ihrer Mutter gegen die
Hochzeit dann vehementer wurde. Aber sie vergab ihrer Mutter, dass
sie sich einmischte, weil sie wusste, dass der Ort und ihre Tante
dahintersteckten. Ich, der ich Eltern gewohnt war, die einen
einfach machen lassen, hatte wesentlich mehr Schwierigkeiten mit
Valerias elterlicher und spiritueller Fürsorge, die eine Beziehung,
die ohnehin nicht unkompliziert war, nur noch weiter
belastete.
Valeria hatte mich
geliebt wie einen Sohn, und zwar seit meine burgunderrote Unterhose
ihre Wäsche verfärbt hatte. »Figlio
mio«, nannte sie mich. »Mein Sohn.« Die Liebe einer Mutter
hat Vorteile wie Sicherheit und Spaghetti, aber auch Nachteile wie
ungebetene Ratschläge und Verhöre. Während Valeria ihre neue Rolle
konsequent ausfüllte, war ich weitaus weniger konsequent: Ich
genoss die Vorteile, ohne etwas von den Nachteilen wissen zu
wollen. Ich fand es toll, dass sie meine Unterhosen wusch, aber
ihren Rat, welche Farbe sie haben sollten, ignorierte ich.
Vielleicht sehnte sie sich mehr nach einem zweiten Sohn als ich
mich nach einer zweiten Mutter. Ich war eher an so etwas wie
Kameradschaft und Freundschaft statt an Familienzugehörigkeit
interessiert, an den Nudeln statt der Nase, die in alles
hineingesteckt wurde.
Die Beziehung
zwischen mir und Valeria war durch mehrere schwierige, aber auch
komische Situationen geprägt. Bevor wir im Strandhaus einen eigenen
Telefonanschluss bekamen, schulterte ich jeden Morgen meinen Laptop
und fuhr mit meiner Vespa den Hügel hoch, um bei Valeria E-Mails
abzurufen. Und jeden Morgen verbrachte ich weniger Zeit im Internet
als in ihrer Küche, um zu erfahren, was in Andrano alles
vorgefallen war: Für wen hatten die Begräbnisglocken geläutet? Wer
war krank geworden, wer heiratete, und wer ließ sich
scheiden?
Bis ich mich endlich
losreißen konnte, war es bereits später Vormittag, und Valeria
bestand darauf, mir etwas zum Mittagessen mitzugeben. Dass ich mit
dem Motorroller gekommen war, schreckte sie auch nicht ab. Einmal
kam sie mir in der Schürze nach und hatte eine Pfanne mit Bohnen in
Basilikum-Tomatensauce dabei. Damals weilte Freccia noch unter uns.
Ihre Laune und Nase hoben sich sofort, als die Pfanne auftauchte.
Nachdem ich mein motorino bestiegen
hatte, streckte mir Valeria die Pfanne entgegen und sagte:
»Buon appetito.«
»Sie duften
köstlich«, erwiderte ich, »aber ich kann keine Pfanne auf meiner
Vespa transportieren.«
»Wie wär’s hier?«,
schlug sie vor und stellte die Bohnen zwischen meine
Füße.
»Die Sauce wird
auslaufen.«
»Und auf dem Sitz,
zwischen deinen Knien?«
»Dort wird sie immer
noch auslaufen.«
Freccia begriff,
dass die Bohnen nicht für sie waren, und kehrte an ihren Platz an
der Sonne zurück.
Valerias Augen
leuchteten auf, als sie den perfekten Platz für die Pfanne
entdeckte: auf dem Armaturenbrett, direkt über dem Tacho. Als
Italienerin hielt sie dieses Instrument wohl für durchaus
entbehrlich.
»Wie soll ich das
hier balancieren, Valeria?«
»Du musst doch nur
den Hügel runterrollen!«
Sizilianer sind
genauso stur wie großzügig, und trotz weiteren Protests schlich ich
schließlich mit einer Feinkost-Fracht auf dem Tacho nach Hause. Was
ich an Andrano liebe, ist, dass sich niemand nach mir umsah, außer
dem vigile auf der Piazza, dessen
Nasenlöcher sich genauso weiteten wie die von Freccia, als die
Bohnen vorbeirollten. Er hätte mir bestimmt ein Bußgeld aufbrummen
können, wenn er in der Stimmung dazu gewesen wäre, aber die
Kirchturmuhr hatte gerade eins geschlagen, und sein eigenes
Mittagessen wartete auf ihn.
Obwohl mir Valerias
Einmischungsversuche guten Grund gaben, mich zu beklagen, tat ich
uns mit meinen respektlosen Bemerkungen auch keinen Gefallen. Ein
paar Wochen nachdem sie die fehlende Stange im Tor entdeckt hatte,
die der fabbro für Freccia entfernt
hatte, kam Valeria nach Hause und überraschte mich dabei, wie ich
mit ihrer Augenbrauenpinzette eine Zecke aus Freccias Ohr
entfernte. Ich hätte die Pinzette natürlich anschließend
sterilisiert, aber dieser Anblick war zu viel für Danielas Mutter,
die meine Liebe zu »Dogs« – oder wie in Freccias Fall zu
»Underdogs« – ohnehin merkwürdig fand. Sie war viel zu schockiert,
um etwas zu sagen, also bemühte ich mich, die Situation zu
entspannen, indem ich witzelte, sie solle sich schon mal anstellen,
als Nächstes käme sie dran. Als ihre Kinnlade nur noch weiter
herunterfiel, sagte ich, ich würde ihr auch einen Preisnachlass
geben, falls das ihre Sorge sei. Daniela war mir in solchen
Situationen immer eine große Hilfe, weil sie dann so ansteckend
lachte, dass ihre Mutter gar nicht anders konnte, als widerwillig
miteinzustimmen.
Humor hatte unsere
jeweiligen Sprengsätze und Unterschiede stets entschärft, aber wenn
es um die Hochzeit ging, war jedem von uns das Lachen vergangen.
Bei jeder Gelegenheit fragte mich Valeria nach meinen religiösen
Überzeugungen aus. Einmal wollte sie wissen, ob der Mensch meiner
Meinung nach perfekt oder ein Sünder sei. Meine Antwort, dass er
ein perfekter Sünder sei, war nicht ganz das, was sie hören wollte.
Die Vorstellung von einer individuellen Spiritualität ging einfach
nicht in Valerias Kopf hinein. Der einzige Ort, an dem man Gott
ihrer Meinung nach finden konnte, war die Kirche. Zum Glück teilte
Daniela meine Überzeugungen, und wir verfolgten unsere Pläne für
eine standesamtliche Trauung weiter, auf die Gefahr hin, dass uns
Valeria und ihr Gott boykottieren würden.
Da wir wussten, wie
einsam Valeria war, wenn sie Franco pflegte, besuchten Daniela und
ich sie, so oft wir konnten. Aber je näher die Hochzeit rückte,
desto mehr drückte ich mich davor – diese ständige Inquisition
trieb mich in den Wahnsinn. Ich fragte Valeria schließlich auch
nicht, warum sie zur Kirche ging – was gab ihr da das Recht, mich
zu fragen, warum ich nicht ging? Die Spannungen wurden immer
größer, und die Stimmung sank. Sogar Daniela und ich fingen an zu
streiten. Es musste dringend etwas geschehen, und wie immer war es
Daniela, die etwas unternahm.
Eines Abends saß ich
allein im Strandhaus und sah mir das Mondlicht über dem Mittelmeer
an – was übrigens kein Filmtitel ist -, als Daniela von ihrer
Mutter zurückkam. Ihr Gesicht war völlig freudlos und erschöpft,
und die Schatten unter ihren Augen sahen aus wie dunkle
Balken.
»Was für ein schöner
Mond«, sagte sie und setzte sich mit auf meinen
Sessel.
»Möchtest du darauf
heiraten?«
»Nein, ich möchte
auf der Burg heiraten.«
»Und deine
Mutter?«
»Sie wird kommen.
Ich habe soeben mit ihr gesprochen. Sie wird kommen.«
»Was hast du ihr
gesagt?«
»Ich habe ihr
geraten, ein wenig Vertrauen in ihre Tochter zu haben und nicht nur
in Gott.«
Wir schwiegen
gemeinsam – was guttut, wenn man verliebt ist, und verstört, wenn
man es nicht ist – und sahen zu, wie der Mond aufging und es Nacht
wurde.
Fast eine Woche lang
hielt Valeria ihr brüchiges Versprechen, die Hochzeit nicht mehr zu
erwähnen. Aber als ich eines Morgens bei ihr vorbeischaute, nachdem
ich mir eine Hochzeit auf der Burg angesehen hatte, um mich zu
informieren, wie so eine standesamtliche Trauung aussah, vergaß sie
ihr Versprechen sofort wieder und brach es. Ich wusste nicht recht,
ob die Zeremonie eine Farce oder ein Fiasko gewesen war, vielleicht
sogar beides, aber auf jeden Fall das Ergebnis von mangelnder
Kreativität und der Tatsache, dass der Trauzeuge die Trauringe auf
seinem Wagendach vergessen hatte. So etwas wie Standesbeamte gibt
es in Italien nicht, sodass der Bürgermeister das Paar getraut und
Gesetze statt Gebete vorgetragen hatte. Ich war nicht sehr
begeistert von dem, was ich da gesehen hatte, aber mit etwas mehr
Fantasie sollte sich durchaus ein besonderes Erlebnis daraus machen
lassen. Valeria war anderer Meinung und ließ mich das auch deutlich
wissen, als ich auf dem Heimweg vorbeischaute, um meine Vespa
abzuholen.
»Schon zurück?«,
fragte sie rhetorisch.
»Nun, ich gehörte
nicht zu den Hochzeitsgästen, und die Trauung war schnell
vorbei.«
Sie wäre sogar noch
schneller vorbei gewesen, wenn es die zehnminütige Suche nach den
Ringen nicht gegeben hätte.
»Weißt du, Crris,
hier lassen sich nur Leute mit Problemen auf der Burg trauen.
Wahrscheinlich war die Zeremonie deshalb so schnell
vorbei.«
»Probleme? Was denn
für Probleme?«
»Leute, die
geschieden sind oder vielleicht schwanger.«
Die Braut war in der
Tat schwanger gewesen, etwas, worüber Don Filippo gesagt hatte, es
sei »das größte Geschenk« und »der größte Segen, den Ihnen Gott
zuteilwerden lässt«. Aber anscheinend nur unter ganz besonderen
Umständen.
»Und was ist daran
das Problem?«
»Na ja, ein
Problem ist das vielleicht nicht, aber
wenn sie geschieden sind, dürfen sie nicht kirchlich
heiraten.«
»Außer sie zahlen,
meinst du.«
Eine sizilianische
Freundin von Daniela war neulich geschieden worden und wollte noch
einmal kirchlich heiraten. Die Kirche stimmte nur zu, wenn sie
dafür umgerechnet 25 000 Euro erhielt.
»Die Kirche ist sehr
empfänglich«, sagte ich zynisch.
»Die Kirche hat eine
strenge Moral«, nahm Valeria sie in Schutz.
»Eine sehr
scheinheilige und noch dazu käufliche Moral.«
Wir hatten uns
besser verstanden, als wir uns noch nicht miteinander verständigen
konnten.
Die standesamtliche
Trauung auf der Burg warf ein völlig neues Licht auf Valerias
Einstellung. Sie hatte anscheinend weniger etwas dagegen, dass wir
nicht kirchlich heirateten, sondern vielmehr, dass der Ort
fälschlicherweise daraus schloss, irgendetwas stimme mit ihren
»Kindern« nicht. Zum Beispiel, dass ich geschieden sei und Daniela
mehr zu tragen hatte als nur den Brautstrauß. Valeria wollte uns
vor diesem gehässigen Klatsch beschützen, den örtlichen
Gepflogenheiten Genüge tun und einen guten Eindruck machen
- fare bella figura, wie die Italiener
sagen.
Als ich Daniela von
der Hochzeit auf der Burg erzählte, sagte ich, sie sei nur deshalb
so prosaisch gewesen, weil so wenig Hochzeitsgäste dabeigewesen
seien. Wegen der monotonen Verlesung der Gesetze durch den
Bürgermeister, so als eröffne er eine neue Brücke. Und wegen dem
Fehlen von Musik, Blumen und anderen Dekoelementen. Sie hatte den
Eindruck einer echten Zwangsehe erweckt: Tatsächlich war die Braut
so schwanger gewesen, dass man Angst hatte, die Wehen würden noch
während der Trauung einsetzen. Vielleicht war die Zeremonie auch
deswegen so schnell vorbei. Daniela und ich waren uns sicher, dass
wir eine standesamtliche Trauung zu einem echten Event machen
konnten. Aber ging das auch in einem Ort, der nur deswegen etwas
dagegen hatte, weil er so etwas nicht kannte? Um alle Optionen
offenzulassen, beschlossen wir, nach Soldignano zurückzukehren und
den Ehevorbereitungskurs doch noch zu Ende zu machen. Natürlich
glaubte Valeria, wir hätten es uns anders überlegt, und war
entzückt. Endlich waren auch wir erleuchtet worden.
Daniela
entschuldigte sich für die versäumten Kursstunden, indem sie eine
Krankheit erfand. Das Gute daran, einen Priester zu belügen, ist,
dass es sein Job ist, einem zu vergeben. Der Kurs war auf den
Sonntagabend verschoben worden, das letzte Treffen fand zeitgleich
mit dem Formel-1-Rennen in Brasilien statt. Italiener hängen dem
automobilismo mit einem größeren
religiösen Eifer an als ihrem Glauben, sodass nur die Bräute
auftauchten, um ihre Zeugnisse abzuholen. Bei unserem hatte Don
Filippo das Feld mit dem Namen des Bräutigams freigelassen. »Tragen
Sie den Namen selbst ein«, sagte er zu Daniela. »Von heute bis Ende
Juni kann noch viel passieren.« Zusätzlich zum Zeugnis schenkte er
jedem Paar eine Bibel, die zweiunddreißigste Auflage des
Familiaris Consortio – Die Aufgaben der
Familie, verfasst vom Papst höchstpersönlich -, eine Topfpflanze,
die wir Don Filippo nannten, und eine Seidenschürze, auf deren
Tasche unsere beiden Namen gestickt waren, was den jeweiligen
Dienst am anderen symbolisieren sollte. Als Daniela mit vollen
Händen zurückkehrte – so etwa gegen Runde 47, wenn ich mich recht
erinnere -, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich die Piste
den Aposteln vorgezogen hatte. Ich hätte mitkommen und dem Priester
für seine Großzügigkeit danken sollen.
Den Namen von
Federica und Stefano hatte der Priester sehr wohl auf dem Zeugnis
eingetragen, da es nur noch eine Woche bis zu ihrer Hochzeit war
und diese sicherlich stattfinden würde. Niemand hatte etwas gegen
das Aufgebot einzuwenden gehabt, und Stefano hatte bezeugt, dass er
weder eine seltene Krankheit noch Kinder in Afrika hatte. Das Paar
würde in Don Filippos Kirche heiraten, und Valeria hoffte, ja
betete geradezu darum, dass die Zeremonie Daniela und mich
überzeugen würde, dass eine traditionelle Hochzeit doch die bessere
Wahl ist. Und nichts hätte traditioneller sein können als Federicas
Hochzeit. Genau wie das Dutzend anderer italienischer Hochzeiten,
zu denen mich Daniela geschleift hatte, war es ein langer,
langweiliger, vorhersehbarer Nachmittag gewesen. Das einzig
Originelle daran waren die Entschuldigungen der Gäste, die nicht
kommen konnten oder früher gehen wollten.
Aber das
Aufregendste an Federicas Hochzeit war der Unfall, den ich auf der
Fahrt dorthin hatte. Da Daniela am Vormittag arbeiten musste,
hatten wir verabredet, uns bei ihrer Mutter zu treffen, wo es
zuverlässig warmes Wasser gab und sie noch duschen und sich die
Haare zurechtmachen konnte. Das bedeutete, dass ich mit meiner
Vespa den Hügel zu Valeria hinauffahren musste, was ich dummerweise
in meinem Anzug tat, meinem besten Anzug, meinem einzigen Anzug,
dem Anzug, den ich auch auf meiner eigenen Hochzeit in zwei Monaten
tragen wollte. Während ich fröhlich und völlig ohne Helm in der
schönen Frühlingssonne dahinfuhr, achtete ich weniger auf die
Straße, sondern schaute aufs Meer, als ich plötzlich aus dem
Augenwinkel sah, wie sich die Straße bewegte. Ich drehte den Kopf
und entdeckte eine meterlange schwarze Schlange, die sich auf dem
Asphalt gesonnt hatte, bis meine Ankunft sie aufgeschreckt
hatte.
Für einen Australier
bedeutet eine schwarze Schlange Unglück. Und für eine schwarze
Schlange bedeutet ein Motorroller Unglück. Wir beide ergriffen die
Flucht, ich bog nach links, und die Schlange glitt nach rechts. Das
ließ uns beinahe erneut zusammenstoßen, also lenkte ich abrupt in
die Gegenrichtung, verlor die Kontrolle über mein motorino und schlitterte über den Asphalt. Die
Schlange verließ den Ort des Geschehens, und meine Hose war
zerfetzt. Mit blutenden Knien erreichte ich Valerias Auffahrt und
hoffte auf Mitleid und etwas Seifenwasser. Nachdem Valeria meine
traurige Geschichte gehört hatte, lachte sie und warf mir ein
Handtuch zu. »Diese Schlangen sind harmlos«, sagte sie. »Du hättest
sie überfahren sollen.« Wäre unsere Beziehung wegen der Hochzeit
nicht so angespannt gewesen, hätte sie mir bestimmt das Knie
ausgewaschen, wie das eine zweite Mutter eben so tut.
Bis auf diese
Episode war der Rest des Tages ziemlich ereignislos. Federicas
Hochzeit verlief genau nach Plan, einem Plan, der vor einem Jahr
Gestalt angenommen hatte, als sie und Stefano beschlossen hatten zu
heiraten und mit ihrem Hausbau begannen. Nach süditalienischer
Tradition muss das neue Haus pünktlich zur Hochzeit fertig sein.
Bezahlt wird das von den Eltern: Seine kommen für das Haus und ihre
für die Möbel auf. Als ob es nicht schon anstrengend genug wäre,
eine Hochzeit zu organisieren, gehört bei Italienern auch noch ein
Hausbau dazu. Als ich einmal Davide, einen Freund aus dem
Tennisclub, fragte, was seine Heiratspläne machten, sagte er: »Ganz
gut. Morgen kommt die Küche, und nächste Woche wird der Kamin
eingebaut.«
Davides Hochzeit
lief genauso ab wie die von Federica. Auch er heiratete seine
Jugendliebe aus demselben Ort. Auch er hatte sein Haus genau
rechtzeitig fertig. Auch er lud seine Gäste eine Woche vor der
Hochzeit ein, damit sie das Haus besichtigen und ihre Geschenke
abliefern konnten, und zwar genau diejenigen, die auf der
Hochzeitsliste gestanden hatten. Dabei dachte ich immer, so etwas
sei taktlos. Auch Davide durfte miterleben, wie ein Priester
roboterhaft eine Messe feierte, die die Gemeinde bis auf die Namen
der Brautleute auswendig kannte. Und auch er lud Freunde und
Familie zu einem Menü von acht Gängen ein, die zu essen man
mindestens ebenso viele Stunden brauchte. Es ist ein Märchen, dass
Italiener nach der Hochzeit zunehmen. Italiener nehmen auf ihrer Hochzeit zu.
Von »Da kommt die
Braut« bis hin zu »Da kommt das Dessert« dauerte Federicas Hochzeit
acht Stunden, und in sechs davon wurde gegessen. Wir applaudierten
den Kellnern, als einer nach dem anderen aus der Küche kam, um dem
Saal jedes Gericht zu präsentieren. Ständig kamen neue Gänge nach,
obwohl die meisten Gäste das Essen schon vor Stunden eingestellt
hatten. Laut Daniela sind italienische Hochzeiten eine Art
kulinarischer Wettbewerb, ein verzweifelter Versuch, die Hochzeiten
der Freunde zu übertrumpfen. Aber weil Süditaliener viel zu sehr
damit beschäftigt sind, bella figura zu
machen, vergessen sie ganz den Spaß bei der Sache. Es gab keine
Reden, kein Gelächter, keine Schnappschüsse, keine Betrunkenen. Nur
geschwollene Bäuche und angestrengtes Lächeln. Und obwohl es eine
Tanzfläche gab, waren nach diesem Marathonmahl alle viel zu
aufgebläht für einen Boogie. Vergessen Sie die Vorstellung von
einer italienischen Hochzeit als fröhliche Gala übersprudelnder,
mediterraner Lebensfreude. Und jetzt stand mir eine bevor, bei der
die Gäste nicht den größten Teil des Abends auf die Uhr sehen
sollten. Was mich und italienische Hochzeiten angeht, besteht »das
größte Geschenk und der größte Segen, den mir Gott zuteilwerden
lassen kann« darin, nicht eingeladen zu werden.
Der größte Unsinn
sind jedoch die bomboniere – ein
Geschenk an die Gäste, wahrscheinlich als Dank für ihr
Durchhaltevermögen. Riesige Geldsummen werden für diese banalen
Porzellan-Souvenirs ausgegeben, die beim Abschied verteilt werden
und eine Hand voll zuckerüberzogener Mandeln namens confetti enthalten, die so heißen, weil die Gäste
sie ursprünglich auf das Brautpaar warfen. Heute hat man
festgestellt, dass die Verletzungsgefahr bei Reis deutlich geringer
ist. In jedem italienischen Ort gibt es ein bomboniere-Geschäft, das mit Erinnerungsstücken an
einen Tag, den man getrost vergessen kann, Bombengeschäfte macht.
Bislang bekam ich eine Schildkröte, einen Engel, eine Schale, einen
Fingerhut, jeweils aus Porzellan, versteht sich …
Auch mir ist klar,
dass italienische Hochzeiten nicht dafür gemacht werden, einem
Australier zu gefallen. Aber warum jammerte Daniela dann noch mehr
als ich? Tatsächlich schienen die meisten Gäste auf Federicas
Hochzeit gar nicht zu bemerken, wie absurd es war, sechs Stunden an
einem Tisch zu sitzen, während die Kellner genauso viele Schmankerl
zurück in die Küche schleppten, wie sie hinaustrugen. Der Applaus
für das Essen ließ genauso schnell nach wie unser Appetit. Zwischen
dem fünften und sechsten Gang erfand ich eine Ausrede, um dem
Ganzen entfliehen zu können, und ließ Daniela mit ihrer Mutter
allein zurück. Beide wären liebend gern ebenfalls gegangen, waren
aber noch »im Dienst«, wie Daniela es ausdrückte.
Nachdem mein Platz
frei geworden war, witterte Zia Francesca die perfekte Gelegenheit,
Daniela noch einmal gut zuzureden. Die Nonne, die extra aus ihrem
Kloster in Rom angereist war, hatte einen Brief vom Papst dabei,
der Federicas Hochzeit und ihren zukünftigen Nachwuchs segnete. Die
Tante versprach, dass Daniela und ich einen ganz ähnlichen Brief
bekommen würden, vorausgesetzt, wir heirateten kirchlich. Und wenn
nicht, gebe es keinen Brief vom Papst und keine Zia
Francesca.
»Was?«, sagte
Daniela. »Du würdest nicht kommen?«
»Ich würde nicht
freibekommen, wenn ich sage, dass es um eine standesamtliche
Trauung geht.«
»Und das musst du
ihnen sagen?«
»Si.«
»Kannst du nicht
einfach als meine Tante und nicht als Nonne kommen?«
»No.«
Sie dachte eben
schwarzweiß, in den Farben ihrer Ordenstracht.
Wie von Valeria
erhofft, war Federicas großer Tag eine große Hilfe für Daniela und
mich bei der Entscheidung, wo unserer stattfinden sollte. Anders
als von Valeria erhofft, würde es die Burg von Andrano werden,
womit wir Zia Francesca das Fahrgeld von Rom und dem Papst einen
weiteren Formbrief ersparten. Der Veranstaltungsort für das Fest
blieb allerdings unverändert La Tenuta
Lucagiovanni – ein Jagdhaus aus dem 16. Jahrhundert, wo man
uns ein Viergängemenü in weniger als neunzig Minuten garantierte.
Die Vorbereitungen für eine unkonventionelle Hochzeit begannen, die
zunächst einmal Daniela und ich und hoffentlich auch unsere Gäste
genießen würden.