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Vero o falso?
 
In seinem Buch L’Italia del Pizzo – Das Italien des Schmiergelds – schreibt Franco Cazzola, ein Soziologieprofessor aus Turin, dass die am weitesten verbreitete Form von Korruption in Italien das Bestechungsgeld ist, mit dem man sich den Führerschein sichert. Als mein internationaler Führerschein ablief, verstand ich auch, warum. Denn obwohl ich seit zwölf Jahren Auto fahre und das letzte davon in Italien, musste ich mich bei einer italienischen Fahrschule für den europäischen Führerschein qualifizieren. Das Ganze hätte eigentlich nur wenige Wochen dauern sollen, aber es dauerte drei Monate.
Auf Renatos Rat hin entschied ich mich für eine Fahrschule in Caritano, einer staubigen Ansammlung von Zement, etwas landeinwärts von Andrano. Das einzige Erkennungsmerkmal der Fahrschule, die in einem schlichten Haus mit zwei Räumen untergebracht war, waren ein Schild mit der Aufschrift Autoscuola sowie »Stopp«- und »Hier kein Eingang«-Aufkleber an der gläsernen Eingangstür. Aber ich beachtete diese Warnungen nicht und betrat die Fahrschule, was ich noch schwer bereuen sollte.
Eine biedere, sommersprossige Brünette, die Sekretärin der Schule, saß hinter ihrem Schreibtisch im Warteraum und rauchte eine dünne Zigarette. Hinter ihr hing ein »Rauchen verboten«-Schild an der Wand – ein schöner erster Eindruck von einem Ort, an dem man mir das Beachten von Regeln beibringen sollte. Als ich der Frau meine Situation schilderte, zog sie eine Grimasse, blies mir einen Schwall Rauch ins Gesicht und schrie: »Vieni Michele!« in Richtung des angrenzenden Raums.
Michele war der Eigentümer der Fahrschule, groß, elegant gekleidet und mit einer Art Bartskelett – eine ziemlich affektierte Form von Gesichtsbehaarung -, das der Kontur seines Kinns folgte. Der vorzeitig Ergraute betrat den Raum, wo wir einen Deal machten, der berücksichtigte, dass ich beinahe genauso lang Auto fuhr wie er. Ich erklärte mich einverstanden, der ersten Woche seines vierwöchigen Kurses beizuwohnen, »nur um die Straßenschilder durchzugehen und sicherzustellen, dass Sie ihre Bedeutung kennen«: Danach würde er mich für die Theorie- und Praxisprüfung in Lecce anmelden. Der Plan klang einfach.
Am folgenden Abend kehrte ich zur Schule zurück, um dort einen Sehtest mit einem Augenarzt durchzuführen. Eine Woche und eine Anzahlung von 50 Euro später bekam ich mein foglio rosa, meinen Anfänger-Führerschein, und zwar ohne jede Theorie-Prüfung. Das war völlig normal und lag nicht etwa an meinen besonderen Umständen: In Italien fängt man an zu fahren, bevor man die Verkehrsregeln lernt.
Micheles Kurs ging von halb sieben bis halb acht, und zwar an fünf Abenden die Woche. Am ersten Abend rauchten die Schüler aus Caritano und den umliegenden Ortschaften Zigaretten im Hof, während sie darauf warteten, dass der Kurs begann. Sie sahen neugierig zu, wie ich vorfuhr, einhändig rückwärts einparkte, bevor ich als Fahrschüler mit meinem Lehrbuch unterm Arm die Schule betrat.
In einem schwülen Raum mit gekalkten Wänden und einer niedrigen, gewölbten Decke begann Michele wichtigtuerisch seinen Unterricht und setzte sich an einen noch wichtigtuerischeren Schreibtisch. Sein Publikum bestand aus zwanzig Teenagern und einem etwas reiferen Schüler. Die Jungs schienen mehr Sorgfalt auf ihr Äußeres verwendet zu haben als die Mädchen. Einer hatte sich sogar die Brauen gelockt. Das hier war vor allem eine Gelegenheit, Frauen aufzutun statt Fahrtipps. Wir saßen auf Unistühlen mit Klapppult, auf das wir unser 207 Seiten starkes Lehrbuch mit dem Titel Auto e moto su strada legten, das alle möglichen Informationen enthielt, von der Bedeutung einer roten Ampel bis hin zur Funktion eines Dieselmotors.
An der Wand hinter Michele befanden sich eine Tafel, ein Bildschirm, eine Ampel und eine Sehtest-Tafel. Hoch über seinem Kopf hingen zwei Plakate, die etwa im Maßstab 1:1 den Kühler und das Heck eines Fiat 500 mit Scheinwerfern, Blinkern und Nummernschildern zeigten. Neben diesem Auto, das durch eine Wand gefahren zu sein schien, hing ein Poster, das die Bedeutung jeder Anzeige und jedes Knopfes am Armaturenbrett erklärte.
Die Wände des Zimmers wurden von allen möglichen Autoteilen gesäumt, die auf wackelige Halterungen montiert waren, darunter befand sich auch ein Motor. Sie alle sahen alt genug aus, um tatsächlich von jenem Fiat stammen zu können – Bremssysteme, Benzinschläuche, Getriebe und mehrere Zylinder und Pumpen. Ein ganzes Auto schien im Unterrichtsraum zerlegt worden zu sein. Das Einzige, was fehlte, waren die Räder und der Rückspiegelanhänger.
Die Wände zierten Poster, die Verkehrszeichen, die korrekte Verwendung des Sicherheitsgurtes und Erste-Hilfe-Maßnahmen demonstrierten. Das Poster, das mir am nächsten war, war mit »Die häufigsten Unfallursachen« überschrieben und zeigte einen Sportwagen, der Probleme mit einer Haarnadelkurve hatte und in eine Schlucht stürzte. Neben den verkohlten Autoüberresten stand in roten Buchstaben: »No«, was wohl bedeutete, dass man das tunlichst unterlassen sollte.
Michele sorgte für Aufmerksamkeit, indem er auf eine Taste seiner Computertastatur drückte. Der Bildschirm hinter ihm zeigte eine Ampel, die durch einen weiteren Tastaturbefehl grün wurde, um den Beginn des Unterrichts zu signalisieren. Nett. Micheles Unterrichtstechnik bestand darin, den Inhalt des Lehrbuchs, Verkehrsschild für Verkehrsschild mithilfe des an seinen Computer angeschlossenen Bildschirms zu erklären. Nachdem er die Bedeutung eines jeden Schilds erläutert hatte, stellte er eine Reihe von »Richtig oder falsch«-Fragen, um zu überprüfen, ob wir seine Erklärungen verstanden hatten. In der Theorie klingt das beeindruckend. In der Praxis war es reine Zeitverschwendung. Nicht wegen unserer fehlerhaften Antworten. Sondern wegen seiner sinnlosen Fragen. Hier ein paar Beispiele:
002
 
F: »Der Zebrastreifen ist der Teil der Straße, der für Fußgänger reserviert ist, die die Straße überqueren. Hier müssen Autos halten, um die Fußgänger vorbeizulassen«, verkündete Michele. »Vero o falso?«
A: »Vero«, sagte die Klasse einstimmig.
Einmal ganz abgesehen davon, dass ich in Italien bis auf meine Wenigkeit noch nie einen Autofahrer an einem Zebrastreifen habe halten sehen, lautete die Antwort in der Tat »richtig«. Selbst, wenn keiner der Schüler die Regel je beachten würde, hatten doch alle die Bedeutung dieses Verkehrsschilds erkannt. Aber Michele war nicht überzeugt.
F: »Man muss nur halten, wenn Fußgänger von rechts kommen.«
A: »Falso«, war sich die Klasse einig.
F: »Man muss nur halten, wenn Fußgänger von links kommen.«
A: »Falso«, lautete die lethargische Antwort.
F: »Man muss nur für Kinder halten.«
A: »Falso
F: »Man muss nur für Tiere halten.«
A: »Falso
F: »Man muss aufpassen, nicht auf Autos aufzufahren, die anhalten, um Fußgänger vorbeizulassen.«
A: »Vero.«
Zum Glück hatte Michele das noch geklärt, denn sonst hätten wir Leute umgemäht, aber ihren Haustieren die Vorfahrt gelassen.
Er drückte auf eine weitere Taste, und das nächste Verkehrszeichen erschien auf dem Bildschirm. Nach einer längeren Erklärung ging die Befragung weiter.
003
 
F: »Busse haben immer Vorfahrt.«
A: »Falso
»Genau«, rief Michele aus. »Bravi. Denn das ist ein Schild für einen Bahnübergang, und Busse fahren nicht auf Gleisen, stimmt’s?«
A: »No
Die Schüler verdrehten die Augen.
004
 
F: »Dieses Verkehrszeichen besagt, dass es in dieser Gegend oft regnet.«
Es entstand eine Pause, die so lange dauerte, wie zwanzig Teenager brauchen, um die Stirn zu runzeln, bis einer von ihnen fragend murmelte: »Falso?«
Unsere Aufmerksamkeit hatte stark nachgelassen. Ein Junge verschickte SMS. Ein anderer machte dem Mädchen neben mir Komplimente wegen ihrer Ohrringe.
005
 
F: »Dieses Schild besagt, dass man umdrehen und den Weg nehmen muss, den man gekommen ist.«
A: Die Mehrheit antwortete mit »falso«. Ein Mädchen quäkte ein zögerliches »Vero«. Der Rest schwieg.
Jetzt hatte er sie wirklich durcheinandergebracht. Wenn ein Schild, das Gegenverkehr anzeigte, auch bedeuten konnte, dass man umkehren und zurückfahren muss, muss ein Schild mit einem Verkehrskreisel bedeuten, dass man immer im Kreis fahren muss. Die Zeit zog sich hin wie Kaugummi.
006
 
F: »Motorräder sind hier verboten.«
A: »Scusa?«, entgegnete die Klasse verwirrt.
F: »Motorräder sind hier verboten«, wiederholte Michele.
Eine lange Pause entstand.
A: »Fal-so«, versuchte ich mich in Sarkasmus.
»Si, falso«, sagte Michele, zufrieden, dass er sie an der Nase herumgeführt hatte. »Denn ein Motorrad ist schmaler als zwei Meter dreißig, und dieses Schild verbietet Fahrzeuge, die breiter als zwei Meter dreißig sind.«
Das war die vierte Stufe von Mastermind.
007
 
Und schon blitzte das Verkehrszeichen auf, das in Italien am allerwenigsten respektiert wird und am Eingang jedes Ortes und jeder Stadt zu sehen ist. Es ist unweigerlich an einem weiteren Schild mit dem Namen der Stadt befestigt und entweder verrostet oder verbeult oder wie in Andrano Porto von Schüssen durchlöchert. Wie uns Michele erklärte, verbietet das Schild das Hupen außer bei einem Notfall, bei Hochzeiten und natürlich bei einem Sieg von Ferrari oder den Azzurri – der Fußballnationalmannschaft. Eine idiotische Verkehrsregel, da Italiener keine hundert Meter fahren, ohne zu hupen, so als müsse man, um von A nach B zu fahren, B erstmal Bescheid geben, dass man kommt.
Obwohl das Schild an allen fünf Zufahrten zu Andrano steht, können nur wenige Autofahrer einem musikalischen Gruß widerstehen, wenn sie an einem Bekannten vorbeifahren. Und Gewinner von Vespa-Rennen können sich auch noch spät in der Nacht keinen Siegesgruß mit ihren quäkenden Hupen versagen. Und all das, während das Schild, das solche Frivolitäten untersagt, stumm am Stadtrand vor sich hin rostet. Sogar Michele, ein Anhänger überflüssiger Erklärungen, verschwendete nicht viel Zeit mit diesem Verkehrszeichen. Man kann den Italienern eher die Luft zum Atmen nehmen als das Recht, Krach machen zu dürfen.
Nachdem wir die Verkehrszeichen durchhatten, widmeten wir uns den Signalen, die auf die Fahrbahn aufgemalt sind. Michele informierte uns, dass solche Signale stets weiß seien, eine Information, die, so sollte man meinen, alle weiteren Farben ausschließt. Aber unser Lehrer wollte auf Nummer sicher gehen.
F: »Pfeile auf der Fahrbahn sind rot.«
A: »Falso.«
F: »Pfeile auf der Fahrbahn sind blau.«
A: »Falso.«
Ich werde ihn nicht erwürgen, sondern überfahren. Anscheinend darf man das, vorausgesetzt, er geht von links über die Straße.
Die einzige Logik, die ich in Micheles Methode sah, war die, dass ein Schüler, der weiß, was Verkehrszeichen alles nicht bedeuten, sich vielleicht auch daran erinnert, was sie bedeuten. Aber jemandem zu sagen, dass er eine Zugbrücke nur überqueren kann, wenn sie geschlossen ist, spricht ihm jeden gesunden Menschenverstand ab. Micheles Kurs ärgerte mich und verstörte meine Klassenkameraden. Ihre Antworten im Test gegen Ende der ersten Woche zeigten, dass sie eher verwirrt als vorbereitet waren. Ein Mädchen dachte, ein Entfernungsschild mit der Aufschrift »Venezia 4« bedeute, dass man sich in der vierten Spur für die Ausfahrt Venedig einordnen müsse. Aber das war in erster Linie die Schuld des Lehrers und nicht die seiner Schülerin. Sie wäre nie auf eine so komplizierte Antwort gekommen, wenn Michele sie nicht erst darauf gebracht hätte. Die junge Frau sollte in drei Wochen ihre Theorieprüfung machen, und so wie es aussah, würde sie die vier Kilometer nach Venedig wohl laufen statt fahren müssen.
Nach dem Freitagsunterricht fragte ich Michele, ob jede autoscuola in Italien die Verkehrsregeln so erkläre wie er.
»No no no«, sagte er stolz. »Ich habe dieses System erfunden.«
»Complimenti«, sagte ich lächelnd.
»Grazie«, entgegnete Michele, der viel zu eitel war, um meinen Sarkasmus zu bemerken.
Ich erklärte ihm, dass ich mir nach zwölf Jahren hinter dem Steuer ziemlich sicher sei, welche Farbe die Pfeile auf den Straßen haben, und bat ihn, mich wie versprochen für die Führerscheinprüfung anzumelden. Er versicherte mir, dass er das durchaus tun würde, er wolle mich aber erst noch selbst prüfen, damit ich am Tag der Prüfung keine Probleme hätte. Ich erklärte mich einverstanden mit seinem Vorschlag, der durchaus annehmbar schien, und machte einen Termin für den darauffolgenden Montag aus. Außerdem vereinbarten wir eine Testfahrt für Dienstag, um sicherzustellen, dass ich gut auf die Führerscheinprüfung vorbereitet war.
Zur Verabredung am Montag erschien ich fünf Minuten zu früh, in der Hoffnung, die zweite Woche würde produktiver sein als die erste. Eine halbe Stunde später war Michele immer noch mit einer Gruppe von Schülern im Unterrichtsraum beschäftigt. Als er fertig war, luden sie ihn in der Bar zu einem aperitivo ein. Michele nahm an, bevor er mich im Warteraum entdeckte und sich an unsere Verabredung erinnerte. Als er merkte, dass er sich doppelt verabredet hatte, aber keine Verabredung absagen wollte, versuchte er beides miteinander zu verbinden, indem er mich ebenfalls in die Bar einlud. Als ich ablehnte und sagte, dass ich gleich anschließend einen Englischschüler hätte, bat er mich zu warten, er würde nur ein Getränk nehmen. Ich lachte und deutete an, dass es unprofessionell sei, einen Schüler warten zu lassen. Aber Michele verstand keine Ironie. Nicht mal, wenn man ein Schild hochhielt, auf dem stand: »Ironie in wenigen Metern.«
Als ich begriff, dass aus unserem Termin wohl doch nichts mehr werden würde, schlug ich vor, den Theorietest nach meinem Pseudo-Fahrtest am folgenden Tag zu absolvieren, außer er hätte diese Verabredung auch vergessen. Das hatte er nicht, musste sie wegen eines Termins in Lecce allerdings absagen.
»Sagen wir nächsten Montag, so um halb acht?«, schlug er vor.
»Aber das ist ja erst in einer Woche!«
»Allora?«
Am folgenden Montag betrat ich pünktlich den Unterrichtsraum und überraschte Michele dabei, wie er mit seiner Stunde für zukünftige Lastwagenfahrer begann. Jeder seiner Schüler war übergewichtig, so als sei das Voraussetzung für diese Führerscheinklasse.
»Sie haben den Termin wieder vergessen, stimmt’s?«
»Nein, nein. Kommen Sie rein. Setzen Sie sich. Fangen wir an.«
Obwohl er es nicht zugeben wollte, hatte er unsere Verabredung erneut vergessen. Doch anstatt einen neuen Termin zu vereinbaren, befragte er mich eine halbe Stunde vor seinen Schülern, von denen niemand etwas gegen diesen Exkurs einzuwenden hatte. Sie mampften Pflaumenkuchen, den irgendjemand zum Unterricht mitgebracht hatte, und schienen sich köstlich über den Australier zu amüsieren, der versuchte, sich einen Weg durch den italienischen Schilderwald zu bahnen, klatschten bei jeder richtigen Antwort und riefen laut »Bravo, bravo!«
Während einer kurzen Pause fragte ich Michele, wie hoch die Promillegrenze in Italien sei. Das interessierte mich schon seit Längerem, aber weder Daniela noch mein Lehrbuch konnten mir in diesem Punkt weiterhelfen.
»Zero virgola tre« (0,3), sagte er schnell, so schnell, dass man annehmen sollte, die Antwort sei richtig.
Meine Zuhörer stellten das Kauen ein.
»Non è vero«, widersprach ein beleibter Bärtiger, der gerne auch mal was sagen wollte. »Sie liegt bei zero virgola quattro
»Nein, bei zwei Bier in einer Stunde«, sagte ein anderer und prustete einem Mitschüler lauter Krümel ins Gesicht.
»Nein, bei drei Bier«, sagte ein Dritter, der seine Schuhe ausgezogen hatte und sich die Füße massierte.
»Zero virgola tre«, schrie Michele und blätterte das Lehrbuch durch, um es zu beweisen, fand aber nur die Passage, die ich auch gefunden hatte. Darin stand vage, dass alles, was mehr ist als ein halber Liter Weißwein pro Tag, im Blutkreislauf bleibt. Später stellte ich fest, dass sich sowohl Michele als auch seine Schüler irrten. Die einstige Promillegrenze von 0,8 war 2002 auf 0,5 reduziert worden. Aber solche Nebensächlichkeiten interessieren Italiener nicht, die Gott sei Dank ohnehin nicht viel trinken. Man fragt sich, wie viele Verkehrstote es gäbe, wenn sie auch noch trinken würden.
Nach einer halben Stunde und zwei Pflaumenkuchen schlug Michele vor, dass ich am folgenden Montag wiederkommen solle, um mit dem Test fortzufahren. Als ich nach dem Fahrtest fragte, meinte er, den würden wir in der nächsten Woche ebenfalls erledigen. Frustriert erklärte ich mich einverstanden, aber nur, wenn er mich zur Führerscheinprüfung anmeldete. Mich anzumelden schien allerdings eine noch größere Herausforderung zu sein, als die Prüfung zu bestehen.
Als ich am nächsten Montag wiederkam, war Michele nicht da. »Er wurde in Lecce aufgehalten«, so seine Sekretärin. »Kommen Sie morgen wieder.« Am Abend darauf erschien ich zum selben Zeitpunkt und sah, wie sich Michele im Warteraum den Mantel zuknöpfte und zum Minibus der Schule eilte. »Ich bin gleich bei Ihnen«, sagte er, »ich muss vorher nur noch ein paar Schüler nach Hause fahren.«
Die Sekretärin, der ich entweder leidtat oder der ich im Warteraum auf den Geist ging, sagte, ihr Chef sei bestimmt eine Stunde weg, bevor er alle Schüler zu Hause abgesetzt hätte. Genervt wegen der vergessenen Verabredungen und gebrochenen Versprechen ignorierte ich das Stoppschild auf der Tür und stürmte zum letzten Mal aus Caritanos autoscuola. Ich war in einem Monat keinen Schritt weitergekommen und musste einsehen, dass das einzig Disziplinierte an Michele seine Bartpflege war.